Schriftzug

Prolog

 

Ich habe so den Eindruck, als ob mich die ganze Welt fragt: „Na, wie war’s? Haste durchgehalten? War’s schlimm?“ Und setzt dabei ihr hämisches Grinsen auf ob der erwarteten Lügen oder Ausflüchte oder Wahrheiten, die sie gleich von mir hören wird.

    Gott weiß, daß ich nicht der Wanderer schlechthin bin (und niemals sein werde). Mein Spruch war immer, wenn man mich nach der Tour meiner Frau im Mai fragte und wie ich dazu stehe: „Warum soll ich zu Fuß gehen, wenn mein Auto funktioniert?“ Gehässig? Nö, so würde ich das nicht sagen. „Rotzig“ paßt da besser. Ich meine, ich hab schließlich einen Ruf zu verlieren - den eines stracken Hundes.

    Um so blöder muß ich aus der Wäsche geguckt haben, als meine Frau mir nach der Tour im Mai fröhlich verkündete, sie wisse, was wir im Urlaub machen. Das hätte mich vorsichtig machen sollen, denn wenn sie plant, wird’s entweder teuer, selten langweilig, oft anstrengend. Naja, das war jetzt auch gemein. Aber das letzte trifft doch zu.

    Die Tour im Mai? Oh, Anne ist mit ihrer Freundin Margret Butterblume 12 Tage auf den Spuren des heiligen Jakobus gepilgert. Von Porto in Portugal 220 km hoch nach Norden zum Grab des besagten Heiligen im nordspanischen Santiago de Compostela. Ich wußte immer, daß ich ne mutige Frau habe, weshalb ich noch nie verstanden habe, wie sie es mit mir ausgemachtem Feigling überhaupt aushält. Zum ersten Mal richtig klar wurde mir das, als sie mit knapp 40 ohne Not aus einem funktionierenden Flugzeug sprang. Sie hatte sich einen jungen Mann mit Fallschirm auf den Rücken gebunden und sich aus einem fliegenden Flugzeug fallen lassen. Ich habs gesehen - aus sicherer Position ein paar tausend Meter tiefer. Ich? Sind Sie irre? Ich wäre noch nicht mal in die Gurke eingestiegen.

    Die Tour auf dem Jakobsweg war natürlich lang nicht so gefährlich, aber dafür umso länger. Übernachtet haben sie in den Herbergen, von denen Hape der Große geschrieben hatte, sie würden so furchtbar stinken. Was sie nach ihrer Rückkehr nicht bestätigen konnte und nicht bestätigte. Sie war ganz begeistert davon. Ich traute meinen Ohren nicht, als sie davon schwärmte. Und sie konnte meine mangelnde Begeisterung nicht verstehen. Probiers doch erst mal selber aus. He, sagte ich, ich kenne das. Das habe ich bei der Wunderwehr lange Zeit mitgemacht, erst mit acht, dann mit vier Mann auf der Stube. Aber zum Teufel, damals war ich 30 Jahre jünger und hatte keine Alternative. Hoit mit über fuffzig, nee, danke, dafür bin ich zu alt.

    Und da sitze ich jetzt, und sie hat Urlaubsgedanken und ist am Planen und will unbedingt nochmal zurück auf den Jakobsweg - und ich soll mit. Es soll ja nur die kleine Strecke sein - von Santiago nach Fisterra. Schlappe 93 Kilometer von der Jakobsstadt bis zum Meer. Überschaubar.

    Und ich Depp stimme zu - wohl in der Hoffnung, sie macht nur Spaß, sie überlegt sich das anders. Ja, Pustekuchen. Sie nimmt mich beim Wort, und ich hänge in der Falle. Das war im Mai.

    Ende Juli - als sie immer wieder davon anfängt und wir schließlich auch die Flüge buchen - beschließe ich, ein paar erste Übungen zu machen, um nicht gänzlich unvorbereitet auf die Tour zu gehen. Wir haben ein Treffen oben im Wendelinushof. Also lasse ich mein Auto zuhause stehen. Es schaut mir trübsinnig nach, als ich die Tasche über die Schultern werfe und mich in der brütenden Mittagshitze - ja, es ist einer dieser wenigen Tage - auf den Weg durch die Stadt hinauf zum Heiligen Berg mache. Ich wandere und wandere. Auf dem Weg durch die Innenstadt St. Wendels gehts mir noch gut. Aber dann wird mir die Missionshausstraße verdammt lang, und dann gehts den Berg hinauf, und mein forscher, flotter Schritt möchte die beiden Attribute ablegen, doch ich zwinge ihn; die Hitze steigt innen hoch und läuft mir in flüssiger Form feucht den Buckel wieder runter. Als ich oben ankomme, bin ich bums all und klitschnass, aber stolz wie Oskar. Ich habe es geschafft. Nach hause nimmt ich jemand mit, und dann prüfe ich im Computer die Entfernung von hoite mittag, und mir wird eiskalt und speiübel. Das sind schlappe vier Kilomter gewesen. In leichten Klamotten, nur mit einer Tasche bewaffnet. Eine Tagestour wird fünf mal so lang sein, und dann trage ich einen Rucksack von 12 Kilo Masse aufm Buckel, und … Ich stelle mein Training also zutiefst frustriert wieder ein und harre der Dinge, die da kommen werden.

    Ende August fahren wir zusammen ins Decathlon nach Neunkirchen, um mich feldmarschmäßig auszurüsten. Einen Rucksack habe ich von Margrets Mann bekommen. Neue Schuhe - ach, die Schuhe, das ist auch so ein Ding.

    Die hab ich in der Pfalz gekriegt. Am letzten Wochenende im Juli. Wir haben eine Übernachtung in einem Wohlfühlhotel in der Palz geschenkt bekommen, und Anne nutzt die Gelegenheit zu einem Besuch der Schuhhäuser nahe Hauenstein. Kennen Sie bestimmt. Die ganze Welt weiß das, äh, außer mir natürlich. Ich probiere ein paar Schuhe aus und klage der Verkäuferin mein Leid. Daß man (frau) mich zu einer Wandertour gezwungen habe, ein ganz billiger Urlaub, der jetzt mit 150 Euro für neue Wanderschuhe anfangen solle. Die Dame schaut mich zwar mitfühlend an, aber ich zweifle, ob da wirklich Mitleid im Blick ist - höchstens für meine Frau. Richtig verschissen habe ich dann, als ich den Spruch „Pälza Schuh fòh Saalennische Fieß“ fliegen lasse. Trotzdem - die Schuhe sind klasse. Ganz leicht, tragen sich super. Ich hatte zwar noch nie was von „Meindl“ gehört, aber später lese ich, daß die Wunderwehr hoitzutage auch Schuhe von denen kriegt. Natürlich müssen die Schuhe an dem Nachmittag direkt ihre Feuertaufe bestehen - das tun sie auch, oben auf den Höhen über Annweiler auf dem Weg zur Burg Trifels durch strömenden Regen. Schlimmer ists am nächsten Tag, als wir 15 km wandern wollen und aufgrund der Hitze um drei Kilometer abkürzen. Ähm, ich muß gestehen, die Abkürzung geht nicht auf der Konto der Schuhe, die wären weitergelaufen. Aber nicht die Jammergestalt, die drin steckt. Wer mich kennt, weiß, daß meine Gestalt nicht zum Jammern ist, jedenfalls nicht, weil ich etwa unterernährt aussehe (im Gegenteil), aber als wir abends gen Heimat fahren, sind meiner Frau erhebliche Zweifel ob der Qualität ihrer Idee vom gemeinsamen Jakobsweg-Wanderurlaub gekommen. Aber - verdammt noch mal - was kann ich denn dafür, wenn die blöden Pälzer bei ihrem Wanderweg, der in Serpentinen einen steilen Berg hinanführen sollte, plötzlich die Serpentinen gegen einen steilen, aber kürzeren Pfad direkt nach oben eintauschen. Und wirklich gejammert habe ich auch nicht - das ging gar nicht, dazu hatte ich überhaupt keine Luft übrig.

    Jedenfalls ist das Thema „Jakobsweg“ eine Woche tabu. Und ich überlege schon, wie ich da wieder rauskommen soll - einerseits froh, daß das Thema vom Tisch ist, andererseits voll Schrecken der nächsten Wochen gedenkend - als Anne nach einer Woche wieder mit den Planungen fortfährt, als sei nix gewesen. Mir fällt ein Stein vom Herzen, dummerweise landet er - virtuell gesehen - vorn auf meinem Fuß.

    Im Decathlon in Neunkirchen erwerbe ich einen Schlafsack für 39 Euro, der nur 700 Gramm wiegt. Mir kommt das wenig vor, bis mir jemand sagt, der sei aber schwer. Dazu kommen ein paar schwarze Unterhosen, Marke „Liebestöter“. So haben wir die bei der Wunderwehr immer genannt, weil sie sich unten am Bein noch ein paar Zentimeter fortsetzen. Ich probiere sie noch vor Ort aus und bin ganz erschrocken, als ich vorn in der Mitte auf einmal gar keine stützende Funktion mehr verspüre. Nun ist dort im Ruhezustand eh nicht so viel, aber das, was dort ist, will gehalten werden. Ist ein komisches Gefühl, an das ich mich aber schnell gewöhnen werde. Zum Rucksack gibts noch den obligatorischen Becher aus Blech, ein schnelltrocknendes Handtuch, ein paar schwarze Badelatschen für 2 Euro (Gott, wie ich diese Dinger immer gehaßt habe, vor allem, weil sie zwischen dem großen und dem zweiten Zeh so scheuern), zwei Hemden, kariert, Eigenmarke von Decathlon (können Sie daran erkennen, daß der zweite Knopf von oben ne andere Farbe hat als die anderen) - oh, und noch einen Hut gegen die Sonne. Der kostet auch nicht viel und hat seitlich zwei Druckknöpfe und oben ein rundum verlaufendes, netzartiges Lüftungsloch. Mit dem Hut sehe ich aus wie ein australischer Lighthorseman aus dem Ersten Weltkrieg, nur irgendwie verdatscht. Zu guter Letzt gibts ein sehr wichtiges Utensil, das sich als extrem nützlich erweist: eine durchsichtige Flasche aus flexiblem Kunststoff, aus der ein langer Schlauch wegführt. Die Flasche wird später mit Wasser befüllt und hinten oben im Rucksack verstaut, und von dem Schlauch kann man trinken, wenn man durstig ist. Starkes Ding. Finde ich absolut hilfreich.

    Die Jakobsbruderschaft in Trier hat uns zwei Pilgerausweise zugesandt, damit wir die fürs Übernachten in den Herbergen notwendigen Stempel sammeln können. Hier ist gleich der erste aus Trier selbst.

    So ist alles fertig, die Flüge gebucht, ein Aufpasser fürs Haus gefunden. Unser Freund Werner, der schon vor zwei Jahren auf unser Haus aufpaßte, als wir nach Amerika flogen, wird sich für die gut anderthalbe Woche hier einquartieren und Haus und Hof und Karnickel gegen alles Üble verteidigen. Oder so.

    Samstags abends bekommen wir Zuwachs. Meine Mutter hatte im Mai - zeitlich ein bißchen versetzt zu Anne und Margret - den französischen Camino in Angriff genommen. Der geht von St. Pied de Port östlich der Pyrenäen über dieselben und dann in nicht immer ganz gerader Richtung, aber stetig nach Westen bis nach Santiago. Das sind gut 800 km in einer Richtung, und sie hatte gut 6 Wochen oder so dafür veranschlagt. Sie wanderte ganz allein. Das mag für den ein oder anderen ganz angenehm sein, weil niemand da ist, auf den man Rücksicht nehmen muß. Aber - das werden wir in den nächsten fünf Tagen erkennen - es ist ganz gut, wenn jemand da ist, auf den man Rücksicht nehmen kann. Dann stürmt man nämlich nicht einfach nur blind durch die Gegend und macht halt, wenn man will. Nein, man wird zu häufigeren Pausen gezwungen, an Orten, wo man sonst eher nicht stehen bleiben will. Die Tagesstrecke wird nur so lange, wie es der Schwächste im Bunde zu leisten vermag. Das macht die ganze Tour etwas langsamer, aber auch gemütlicher. Mir ist klar, daß ich wegen dieser Worte von den eingefleischten Individualisten Prügel beziehen werde - aber: ich habe ein breites Kreuz. Für mich wäre das Alleinelaufen sowieso nichts - ich brauche Gespräch ab und an. Mama war damals bis in die Hälfte der Strecke gekommen, gut 500 km weit, als ihr Knie nicht mit mitspielte und so stark anschwoll, daß sie in ein Hotel ziehen und aufgeben mußte. Es war geplant, daß Papa ein paar Wochen später über Santander nachfliegen und sie mit dem Auto begleiten sollte. Jetzt las er sie auf halber Strecke auf, und sie fuhren den Rest bis Santiago und weiter bis Fisterra mit dem Auto.

    Wir haben mit meiner Mama schon ein paarmal gesprochen, sie quasi eingeladen, mit uns mitzukommen, aber sie hat immer wieder „nein“ gesagt und dabei die unterschiedlichsten Gründe genannt. In der Woche vor unserer Abreise (Flugtag ist der 9. September, ein Dienstag) hat Anne mit ihr gesprochen, und ich habe abends via Internet by RyanAir nachgeschaut, ob überhaupt noch ein Flug hin und zurück frei ist. Ich rufe an, sie ist überrascht, sagt aber zu meinem Erstaunen nicht sofort ab. Ich schicke ihr eine Email. Nach dem Abbruch im Mai wäre das doch eine gute Gelegenheit, die Wanderung auf dem Jakobsweg mit einem Marsch zum Meer zu einem Abschluß zu bringen.

    Am nächsten Morgen - sonntags - ruft mein Vater an und fragt, ob wir Zeit hätten. Wozu? Nun, um Mamas Flüge zu buchen. Da hol mich doch der …, denke ich. Und jetzt erfahren wir, wie RyanAir funktioniert. Wir wollen am Dienstag, 9., von Hahn im Hunsrück aus nach Santiago fliegen, dann fünf Tage wandern, montags mit dem Bus zurück nach Santiago und abends mit dem Überlandbus nach Porto unten in Portugal, um von dort mittwochs abends mit RyanAir wieder zurück nach Hahn zu fliegen. Wir haben schon im Juli gebucht und die Flüge für knapp 100 Euro hin und zurück gekriegt. Als ich am Samstagabend Mamas potentiellen Rückflug von Porto aus nachschaue, kostet er 173 Euro. Das ist zu erwarten gewesen - drei Tage vor dem Abflug. Als Papa morgens kommt, schauen wir vor Buchung des Hinfluges nach, ob überhaupt ein Rückflug zur Verfügung steht. Da kostet er schon 184 Euro. Dieses Hinsehen hat richtig Geld gekostet, denn als ich 15 Minuten später buche, bezahlen wir 215 Euro. Hat was?

    Wir sind also jetzt zu dritt. Auch gut, d.h. eigentlich sogar besser.

    Mamas Entscheidung kommt gerade noch rechtzeitig, damit sie sich am Sonntagabend nach dern 18 Uhr Messe im Dom zu St. Wendel mit uns zusammen von Vater Leist den Pilgersegen geben lassen kann. Diese altehrwürdigen Rituale sind ja nicht so wirklich „meins“, aber die Erziehung und das alte Komm-her erfordern sie. Als Zeugen treten das Ehepaar Karl und Maria Kreuz und Annes vorherige Wander-Partnerin Margret auf, und so feiern wir den Abend unten in der Tapperia bei Pizza und Rotwein. Anne hat mich mittags mit einem Mini-Puzzle zum Thema „Jakobsweg“ überrascht, das mich irgendwie gerührt hat.

    Die zwei Tage vergehen mit Vorbereitungen, irgendwann ist es Dienstagmittag. Der Flug geht um 17.40 Uhr, also werden wir um 15 Uhr nach Hahn abfahren. Um viertel vor drei nehme ich zum ersten Mal meinen vollgepackten Rucksack auf, den ich so oder so ähnlich die nächsten Tage durch die Gegend schleppen werde-will-darf-muß. Na, das wird was werden. Ich fange schon an zu schwitzen, wenn ich nur daran denke.

    Wir kommen gut nach Hahn, Papa setzt uns ab, trinkt noch einen Kaffee mit uns und entflieht dann in sein unverhofft gekommenes, knapp einwöchiges Strohwitwer-Dasein. Wir durchqueren die Sicherheitszone, werden examiniert und durchleuchtet und warten im Warteraum auf den Abflug. Ich bin als letzter durchgekommen, habe mich mit einem jungen Mann, der hinter mir drankommt, über die Kontrollen unterhalten und ihm von denen in Amerika erzählt, da sehe ich, daß sich die Mädels mit jemanden unterhalten. Das kenne ich von meiner Frau (und sie kennt es von mir), da gehst Du in St. Wendel irgendwo hin und hast etwas vor, da kommen sie von allen Seiten, und ein Schwätzchen entwickelt sich, und die Zeit geht rum und so weiter. Aber daß die beiden jemanden treffen würden - hier in Hahn auf dem Weg nach Santiago, das hätte ich nicht gedacht. Mama stellt ihn als Manolo L. vor. Er ist mittelgroß (aus meiner Warte sind die meisten eher klein), schwarzhaarig (auf dem Kopf und vorn am Kinn) und wirkt sehr sympathisch. Ich werde vorgestellt, und dann erfahre ich, daß Manolo der Autor eines Buches über den Jakobsweg ist, daß mein Vater im Juni meiner Frau empfohlen hat. Er und Mama haben Manolo in Fisterra kennengelernt. Oje, denke ich, noch ein Eingefleischter. Und fühle mich furchtbar fehl am Platze. Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal.

Im Flieger sitzen Anne und ich ganz vorne auf den ersten beiden Sitzen; die 10 Euro extra pro Nase nehmen wir gern in Kauf, dafür dürfen wir als erste rein und haben die Beinfreiheit der Sitze an den Ausgängen. Mama sitzt weiter hinten. Die Maschine bleibt halb leer, die 10-Euro-Sitze reichen etwa 7 oder 8 Reihen weit nach hinten und sind kaum besetzt. Nun, man kann auch an der falschen Stelle knausern. In den rechten der drei recht engen Sitze am Gäng setzt sich eine Dame um die paar 50, die aus Heilbronn stammt und eine Freundin nahe Santiago besuchen will. Anne unterhält sich mit ihr sehr angeregt, während ich meist aus dem Fenster schaue. Ich mag das Fliegen eigentlich überhaupt nicht und habe eine Heidenangst davor, aber die Begleitumstände - von denen liebe ich zumindest den Ausblick - so man ihn hat - heiß und innig. Wir starten nach Osten und drehen ein paar Kilometer weiter noch im Steigen nach Norden und dann nach Westen. Schräg unter mir habe ich einen tollen Blick erst auf den Flugplatz und dann auf die Mosel mit ihren vielen Bögen. Das da muß Bernkastel-Kues sein, und dort drüben liegen Veldenz und Burgen, wo ich noch vier Wochen zuvor mit Amerikanern zugange war, deren Vorfahren aus diesem kleinen Nest ausgewandert sind. Es wird etwas diesig, und im Südwesten türmen sich hohe Wolken. Wir fliegen über Trier und weiter Richtung Luxemburg.

    Nach einer guten Stunde überqueren wir eine riesengroße Stadt, über der viele Flugzeuge hin- und herfliegen. Ich tippe auf Paris. Nicht lange danach passieren wir die Atlantikküste und schwingen uns über die Biskaya hinaus. Nun kommt nur noch Wasser, ab und an mal ein Schiff. Mitten über dem Meer tauchen die anderen Begleitumstände auf, die ich nicht so mag. Wenn die Räder den Boden verlassen und der Schatten des Flugzeuges sich seitwärts entfernt, bis er schnell in Bedeutungslosigkeit versinkt, wenn das Flugzeug zu dem wird, was der Name sagt, dann sitze ich aufrecht, beide Hände auf den Seitenlehnen und schaue aus dem Fenster an und bemühe mich, nicht den Atem anzuhalten. Sind wir erst mal oben, gehts mir gut; da bin ich ganz cool. Bis es auf einmal pingt, die Anschnallzeichen angehen, und die Maschine zu bocken beginnt. Dann würde ich gern aussteigen, aber das geht ja nicht. Das hört ja auch wieder auf, aber bis es dann soweit ist - oje!

    So geht es natürlich auch bei dem kurzen Sprung zwischen Atlantikküste und Atlantikküste. Hoppeldi. Dann ist der Zenith überschritten, der Pilot senkt die Nase, und runter gehts wieder. Die Küste kommt in Sicht, schält sich langsam aus Wolkenformationen. Sieht nach nicht viel aus, keine Vegetation, nur nackter Fels. Tiefer runter gehen wir, und Felder tauchen auf, viel Grün, das ich nicht erwartet habe. Spanien kenne ich eigentlich immer nur braun und verbrannt, nicht grün und lebendig. Von diesem Grün werden wir die Tage noch viel zu sehen bekommen. Windräder tauchen auf, noch und nöcher. Aber anders als bei uns, wo sie ohne erkennbares Muster in die Landschaft gerammt werden, stehen sie hier in richtigen Windparks zusammen, auf Höhenzügen bar jeder Vegetation. In langen Reihen, in munteren Halbkreisen, Ovalen, so wie die Landschaftsformation es vorgibt. Aber eben auch nur dort in Gemeinschaft mit anderen, nicht mal hier einer und mal dort einer. Hier hat sich jemand Gedanken gemacht.

    Der Erdboden kommt uns weiter entgegen, dann drehen wir nach Norden, und weit voraus sehe ich Wasser sich in der untergehenden Abendsonne spiegeln. Eine Landzunge reicht nach Süden, davor und dahinter Wasser. Das ist unser Ziel - Fisterra, das Ende der Welt. Dort werden wir am Sonntag - so Gott will - eintrudeln.

 

    Die Landung ist wie immer holprig. Wir, die wir ganz vorn sitzen und als erste wegflogen, kommen naturgemäß als letzte an, aber auch als erste raus. Quer durch den Flughafen laufen wir, nehmen am Förderband unser Gepäck auf. Im Bus, der nach Santiago fährt, treffen wir Manolo wieder. Die Fahrt in die Stadt dauert eine gute halbe Stunde. Manolo kennt sich hier aus. Er weiß, wo wer aussteigen muß, um dort und dort hin zu kommen. Er steigt am Busbahnhof aus, eine riesige, ziemlich düstere Halle, in der es ziemlich nach Abgasen duftet. Wir bleiben noch eine Station sitzen und verlassen den Bus am „Plaza da Galizia“ oder so. Komischer Name, denn Hähne habe ich dort keine gesehen (was kein Wunder ist, denn den lateinischen Gockel schreibt man mit zwei „l“). Erst später wird mir klar, daß wir uns in der spanischen Provinz Galizien befinden (in ein paar Wochen später werde ich an einer Aufstellung der Gefallenen des Ersten Weltkriegs aus St. Wendel arbeiten. Dort wird bei einem Soldaten stehen, er sei in Galizien gestorben, was mich dann etwas verwirren wird, bis ich entdecken werde, daß es Galizien sowohl in Spanien als auch in Russland gibt - wow, soviel Futur in einem Satz - kuhl!). Von der Bushaltestelle bis zum Hotel ist es nicht sehr weit. „Horreo“ heißt es, ist vorne nur zwei Türen schmal, aber weitet sich nach hinten. Gleich vorn am Schalter stoßen wir auf das Problem, das ich vorausgesehen habe, von dem ich mich aber habe überreden lassen, es zu ignorieren - die Frau spricht nur spanisch, sonst nix. „Frag sie mal, ob wir morgen einen Teil des Gepäcks hier stehen lassen können“. Verdammt, ich wußte es, ich hätte mir in Hahn doch den Langescheidt-Reiseführer „Spanisch für die Reise“ kaufen sollen. Auf die 12 Euro und 300 Gramm wäre es jetzt auch nicht mehr angekommen. Das Problem klären wir am nächsten Morgen bei dem Poitier, der auch ein bißchen Englisch spricht.

    Unser Zimmer im dritten Stock erweist sich als recht geräumig, ganz toll wird es, als wir den großen Balkon entdecken, auch wenn wir ihn nicht nutzen können. Mama kommt von oben aus dem 5ten Stock, sie kriegt ihre Tür nicht auf. Ich hantiere ein bißchen mit dem Schlüssel, bis das Problem gelöst ist. Während Anne duscht, mache ich mich mit meinem Handy vertraut - die einzige Chance, meine Emails abzurufen. Sonst vermeide ich den Umgang mit diesem Aspekt unserer Technik - das ändert sich am nächsten Tag, wenn ich Wotts-Epp entdecken werde.

    Als wir das Hotel verlassen, um auf der anderen Straßenseite in einer Cafebar etwas kleines zu essen, ist es dunkel geworden. Gudrun weiht uns in die Geheimnisse des spanischen Radlers ein - Clara heißt er hier, eine Mischung aus Bier und Limonade mit einer starken Tendenz zu letzterem. Es erfrischt sehr, wenn es eiskalt serviert wird. Der Alkohol darin ist vernachlässigbar. Was ich esse? Egal, was es ist, es ist eigentlich unnötig, denn zum Getränk servieren die Spanier noch etwas kleines zu essen. Hier beginnt es mit Schinkenbrötchen beim ersten bis zu Chips beim letzten Clara. Verhungern würden wir hier nicht.

    Der nächste Tag soll locker beginnen, so ist das geplant. Wir werden uns Santiago anschauen und dann so gegen Mittag zu den 13 Kilometern aufbrechen. Die Herberge haben wir rausgesucht, da kann nichts schiefgehen.

 

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