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Geschichte(n) -> Straßen in St. Wendel -> Die Balduinstraße -> Balduinstraße 59 bis 82

Am oberen Rondell

 

Können Sie sich noch an das Rondell erinnern? Welches? Ah, jemand, der meine älteren Werke gelesen hat, zum Bleistift die Geschichte der Bahnhofstraße. Denn es gab in St. Wendel tatsächlich zwei Rondelle. Im Prinzip waren das nichts anderes als Straßenkreuzungen; so war es jedenfalls vorn vorm heutigen Bahnhof. Am dortigen Rondell, das auf alten Plänen bevorzugt aus dem 19. Jahrhundert noch zu sehen ist, kam die Straße von Tholey den Tholeyerberg herunter, machte aber vor dem heutigen Bahnhofsbereich nicht halt und wandte sich nicht nach Norden (also links), denn weder den Bahnhof noch die Eisenbahn gab es damals schon. Statt dessen traf sie unten am Rondell auf die Straße von Saarbrücken, die sich nach Norden fortsetzte. Diese hieß später "Allee-" und heißt heute "Mommstraße". Die Straße von Tholey setzte sich über das Rondell hinweg ebenfalls fort in die heutige Bahnhofstraße.

 

Das Rondell am oberen Ende der Balduinstraße ? in einer Notariatsurkunde von 1863 entsprechend "das obere Rondell" genannt -  sah ein bißchen anders aus. Den Berg herab kam die heutige Ostertalstraße und setzte sich in die Balduinstraße fort. Von Urweiler den Berg hoch kam die heutige Urweilerstraße. Das war's. Die heutige Verbindung zur Werschweilerstraße gab es noch lange nicht, sie wurde erst in den 1980ern geschaffen. Ich kann mich noch gut an das Halbrund unter den Bäumen erinnern und das schmiedeeiserne Geländer auf der Mauer, der Werschweilerstraße zu. Dort sollen früher an den Markttagen die Kutschen und Wagen der Stadtbesucher gehalten haben, die von dort aus die enge Balduinstraße hinunter Richtung Dom auf den Markt kamen. Wer sich die Mühe macht, kann noch ein bißchen von der alten Struktur erkennen ? die Mauern vor den beiden Häusern hier an der Kreuzung weisen immer noch die entsprechende Wölbung auf.

 

 

 

Wie wärs, nehmen wir doch einfach mal an, Sie seien so ein Besucher. Ihr Diener, der obligatorische "Johann" ohne nennenswerten Nachnamen, hat die Droschke (huch, was sind wir vürnehm) am Rondell parkiert, Sie sind ausgestiegen und haben Ihrer Frau Gemahlin aus dem Wagen geholfen, nee, halt, das macht ja auch der Kutscher, wofür kriegt er sonst seinen Hungerlohn. Die Gattin steht Gewehr bei Fuß, ebenfalls die Sprößlinge. Sie rücken den Kneifer zurecht und schreiten gemessenen Schrittes die Straße zur Stadt hinab.

 

Dabei könnten Sie mir einen persönlichen Gefallen tun ? gleich oben am Rondell schauen Sie bitte mal auf das Straßenschild. Was steht denn da? Wie ? gar nix? Ach, da steht noch kein Schild. Hm. Ich frage nur, weil die Straße mehrere Namen hatte im Laufe der Zeit. Vor 1800, als sie nur bis zum oberen Tor ging, hieß sie "die Obergass", und dieser Name blieb auch bis ins späte 19. Jahrhundert bestehen. So heißt sie in den meisten Notariatsurkunden. Lange nachdem oben am Rondell das Casino gebaut worden war, erhielt sie ihren ersten offiziellen Straßennamen: Casinostraße; sie reichte bis zur Stadtgrenze. Gezählt wurde von "unten" ab dem früheren Haus des katholisichen Gesellenvereins, das ist der heutige Saalbau. Die Hausnummern wurden auch damals schon nach Straßenseite getrennt, d.h. die ungeraden Nummern kamen nach links, die geraden nach rechts, gesehen vom angenommenen Ursprung der Straße. 1935 ? als das Saargebiet "endlich" wieder deutsch wurde (das böse Erwachen kam erst danach und recht langsam) ? wurde sie in Hindenburgstraße umbenannt ? unter Beibehaltung der alten Nummern. Nach dem Krieg ? als Hindenburg nicht mehr so gern gesehen wurde, hängt vielleicht damit zusammen, daß er Hitler den Weg freigemacht hatte ? wurde dieser die Hindenburgstraße bis zum Rondell dann Balduinstraße, wobei die Hausnummern von "unten" an weitergezählt wurden.

 

 

 

Balduinstraße 86 und 82 zwischendurch

 

Zur linken bis fast hinunter zum Trier'schen Hof stehen noch keine Häuser. Das Haus Nr. 86 (Kasinostraße 10), in dem sich heute die Praxen von Hannes und Hanne Wachter (Fachärzte für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie) befinden, wurde zwischen 1905 und 1908 errichtet - von Heinrich Hofheinz. Den Namen fand ich in einer Unterlage des Katasteramts und hab zweimal hingeschaut, weil ich dachte, ich hätte mich sicher verlesen. Aber der Name stimmt. Der Herr Kreiswiesenbaumeister Hofheinz hat mit seiner Ehefrau Ida Hofheinz geborene Hofheinz zusammen am 6. Januar 1908 bei der Kreissparkasse ein Darlehen von 10.000 Mark aufgenommen und sein Anwesen ? erst Garten, jetzt Hofraum mit Gebäuden ? mit der Grundschuld belastet.

 

Familie Hofheinz kam am 31. Dezember 1904 aus Düsseldorf nach St. Wendel und wohnte bis zum Umzug nach Balduinstraße 86 im Haus unterhalb; hier kamen auch ihre beiden Kinder Erich und Irma zur Welt. Kennen Sie nicht (das Haus)?

 

Nun, es ist auch nicht leicht zu finden. Unterhalb des Hauses 86 ist der Parkplatz gegenüber des Saalbaus, und am unteren Ende dieses Parkplatzes steht ein kleines Haus, eben Nummer 82 (Casinostraße 6). Erbaut wurde es kurz vor der Jahrhundertwende von dem "Rechtsconsulenten" Lambert Willms und seiner Ehefrau Emma Kockler in einem Garten, den Willms 1896 von Fanny Mall, der Witwe des praktischen Arztes Dr. Wendelstadt, gekauft hat (diese hatte es von ihrem Vater, dem St. Wendeler Kaufmann Feodor Mall, geerbt). Willms wohnte 1900 selber nicht in St. Wendel, sondern in Neunkirchen in der Kurfürstenstraße. Das heute noch nicht so besonders große Haus hatte er an die Famile Michael Bernard vermietet, die uns in einer Fortsetzung dieses Artikels im Haus Balduinstraße 25 wieder begegnen wird, und eben die Hofheinzens.

 

 

 

 

Doch wieder zurück nach Balduinstraße 86. Die gesamte Anlage mit 13 Ar 32 Quadratmetern scheint der Familie Hofheiz zu groß gewesen zu sein, denn im März 1913 verkauften sie den rückwärtigen Teil ihres Gartens an den Renter Doktor Eugen Kirsch. Das mitverkaufte Gartenhaus kostete 100 Mark extra.

 

Heinrich Hofheinz starb im Jahre 1916 eines relativ natürlichen Todes. D.h. er fiel nicht als Soldat im Ersten Weltkrieg; trotzdem er nicht sehr alt wurde, geboren 1875 in Wilgersdorf, Kreis Siegen. Die Witwe Ida beantragte im Januar 1918 einen Erbschein und zog mit ihren Kindern im August 1918 nach Burg Altenrath im heutigen Nordrhein-Westfalen, etwa 30 km östlich von Köln. Der Hausverkauf ging im folgenden November über die Bühne. Neuer Eigentümer wurde der Metzgermeister Johann Hallauer, der im Sommer 1912 zusammen mit seinem Bruder Ludwig von beider Vater Wendel das Haus Balduinstraße 41 erworben hatte. Er übergab es ? vermutlich im Zuge ihrer Heirat mit dem Stadtbauamtmann Friedrich Wachter aus Ottweiler im Jahre 1942 - an seine Tochter Anna Maria Elisabeth Wachter, womit sich der Kreis wieder schließt.

 

Bevor wir der Straße weiter nach unten folgen ('s nächste Mal), lassen sie uns zunächst die rechte Straßenseite betrachten.

 

 

Die Bäckerfamilie Homberg

 

Die Geschichte der letzten vier Häuser der Balduinstraße auf der linken Seite ist schon recht kompliziert. Um ihren Erbauer vorzustellen, muß ich etwas ausholen. Wenn Sie meine Artikel kennen, werden Sie vielleicht wissen, daß ich mich in den letzten Jahren stark mit der Familie Wassenich beschäftigt habe, die um 1700 vom Glan nach St. Wendel kam und sich in der Stadt und Umgebung rasch ausbreitete. Um 1800 herum besaßen Mitglieder der Familie drei der vier großen Wassermühlen der Stadt. Unter anderem auch die Fausenmühle im Südwesten der Stadt, die übrigens vor zwei Jahren den Weg alles Irdischen ging. Auf dieser Mühle arbeitete im frühen 19. Jahrhundert der aus Hornbach stammende Müller Johann Vinzenz Homberg. 1815 heiratete er in den Wassenich-Clan ein. Seine Ehefrau Anna Maria schenkte ihm im Laufe der folgenden 23 Jahre insgesamt 12 Kinder, von denen sechs schon in früher Kindheit starben. 1825 hat Hornberg die Mühle verlassen und sich auf seinen eigentlichen Beruf, den eines Bäckers, konzentriert. Von der katholischen Pfarrkirche nahm er im Januar 1825 ein Stück Land an der Straße nach Niederkirchen in Erbpacht und errichtete hier zwei Jahre später ein zweistöckiges und damit recht imposantes Wohnhaus. Und im gleichen Jahr auf der Parzelle oberhalb gleich ein zweites in gleichen Dimensionen.

 

 

 

Balduinstraße 59

 

Bereits im Dezember 1827 verkaufte Homberg das erstgebaute Haus an Franz Georg Rosenbaum, Rentner in St. Wendel, der es allerdings nur noch drei Jahre bewohnen konnte. Rosenbaum war katholischer Pfarrer im Ruhestand und hatte bis 1798 die Pfarrei Nachtsheim bei Virneburg (nahe Mayen in der Eifel), danach die Pfarrei Lauscheid, etwa 30 km nordwestlich von Meisenheim, geführt. Hier haben mich meine Notariatsakten, denen ich die meisten Informationen entnehme, ziemlich aufs Glatteis geführt. Denn es gab in St. Wendel zeitlich noch einen weiteren Franz Georg Rosenbaum, den ich bisher nicht zuordnen konnte. Er war "Advokat=Anwalt am Herzoglichen Landgerichte des Fürstentums Lichtenberg zu St. Wendel". Im Jahre 1820 nahm der Ackerer Nikolaus senior aus Urweiler bei der "Jungfer Rosina Cheque, Haußhälterin bei Herrn Advokaten Rosenbaum zu St. Wendel", ein Darlehen von 193 Gulden auf. Die gleiche Dame, jetzt aber keine Jungfer mehr, sondern Witwe eines französischen Soldaten namens Jean Bruschard, ist keine zehn Jahre später Haushälterin bei genanntem katholischen Pastor Rosenbaum. Der Advokat tauchte zwischen 1820 und 1830 des öfteren in Grundstücksangelegenheiten auf, zum Beispiel ersteigerte er 1824 von dem Müller Jakob May die Lachenmühle in Baltersweiler ab und setzte einen Lohnmüller namens Nikolaus Weber ein. Als es 1829 wegen der Mühle zum Streit kam, schließt der Rechtsanwalt Nikolaus Hallauer aus St. Wendel einen Vergleich zwischen den Kontrahenten. Er tritt als Anwalt des Franz Georg Rosenbaum auf: "zur Zeit Pastor in Lauschied, Fürstenthum Hessen-Homburg". Also sind der Advokat und der Pastor identisch und Rosenbaums Rechtsanwaltszeit war eine Zwischenstation zwischen einer Pfarrstelle nach Nachtsheim und der in Lauscheid. Nach Rosenbaums Tod am 30. Oktober 1834 (in St. Wendel), ließ sein Neffe Georg Aldenhofen, "Notariath-Candidat" in Köln am Rhein, der seinen Onkel beerbt hatte, Mobiliar und Grundvermögen versteigern. Das Inventar, das zuvor im Haus erstellt wurde, ist beindruckend. In zwei Zimmern findet sich die sog. "Gemäldesammlung", das sind 318 " Brustbilder unter Glas und Rahmen, womit die Wände geziert waren". Außerdem wird die gesamte Bibliothek des Pastors aufgelistet;, das sind 88 Buchtitel in der Hauptsache aus den Bereichen "Recht" und "Religion", die meisten in lateinischer Sprache. Viele bestehen aus mehreren Folianten, allein " Voltaire?s Werke" umfassen 94 Bände (!). Sie werden nicht versteigert, sondern gehen in Aldenhovens Besitz über (eine Liste der Bücher finden Sie demnächst auf meiner Website "www.hfrg.de"). Dann beauftragte der neue Eigentümer den Schreiber Nikolaus Clemens aus St. Wendel, einen Käufer für das Haus in der "Obergasse" ? so wurde die Balduinstraße damals genannt ? zu finden.

 

Und mit dem Verkauf des Hauses im Januar 1837 kommt ein Name ins Spiel, der jedem, der sich ein bißchen in der oberen Balduinstraße auskennt, sofort klar werden läßt, von welchem Haus ich die ganze Zeit geschrieben habe ? und doch nicht. Käufer des Rosenbaum'schen, ehemals Hombergischen Hauses, wird Carl Alexander Schmoll, Königlicher Geometer.

 

 

 

Aber das Haus des Vermessers Schmoll ist nicht das Schmollsche Haus, wie wir es kennen. Dieser prächtige Bau mit dem von zwei Säulen flankierten Eingang, in dem früher mal die Stadt- und Kreisbibliothek untergebracht war, bevor sie ins Mia-Münster-Haus umzog, wurde nämlich erst 1875 errichtet. Und bis dahin sind es noch ein paar Jahre. Carl Alexander Schmoll zog 1852 nach Saarbrücken um, deshalb vermietete er das gesamte Haus für sechs Jahre an den Distriktchirurgen Jakob Herold. Die Erbpacht, also der Anspruch der katholischen Pfarrkirche aus Johann Hombergs Vertrag mit derselben von 1825, war immer noch fällig, und Schmoll erkannte 1867 diese Grundrente in Höhe von 17 Gulden 35 Kreuzer oder ? nach neuerer Währung - 9 Thaler 25 Groschen 8 Pfennig als rechtsverbindlich an. Im Januar 1872 verkaufte er das Gebäude an seinen Sohn Anton Adolf Schmoll.

 

Das Haus ohne Nummer

 

Hombergs Haus war beileibe nicht das erste gewesen, das oben oberhalb des Oberen Thores erbaut worden war. Am 11. Pluviose des Jahres 9 des Kalenders der französischen Republik ? das war, ein Samstag, der 31. Januar 1801 ? gaben Balthasar Kockler und seine Ehefrau Barbara Busch beim Notar Roechling in St. Wendel an, beim Aufbau ihres Hauses habe ihnen der Bürger Nikolaus Marschall die Summe von 418 Gulden vorgestreckt. Dieses Haus in der Obergasse in den neuen Häusern neben Henrich Demuth junior und der Acht gelegen gäben sie als Sicherheit. Am 24. November gleichen Jahres haben sie es schon an den hiesigen Tuchmacher Nikolaus Hallauer, Sohn von Henrich, verkauft. Zwei Generationen später wird es innerhalb der Familie Hallauer weitergereicht. Zwar kennen wir die Namen von Käufer und Verkäufer, aber ich kriege ihre verwandtschaftliche Beziehung einfach nicht: Nikolaus Hallauer, Jahrgang 1803, vormals Advokat in St. Wendel, heute Gutsbesitzer zu Richemont bei Metz in Frankreich, verkauft das Haus an den 30 Jahre älteren Nikolaus Hallauer, Tuchfabrikant in St. Wendel.

 

Richtig kompliziert wird es 1851. Der vorgenannte "ältere" Nikolaus Hallauer und seine Ehefrau Katharina geb. Tholey hatten ihrem Sohn Franz und seiner Ehefrau Elisabeth als Hochzeitsgeschenk ein Haus in der Schloßstraße übergeben, das ihr Sohn ihnen 1847 zurückgeschenkt hatte - ohne Einwilligung seiner Ehefrau, ihrer Schwiegertochter. Diese hat aber damit  Forderungen an ihre Schwiegereltern. Das war dann auch der Grund, warum sie drei Jahre zuvor dieses Haus hier gekauft hatten, nämlich zur Befriedigung ihrer Schwiegertochter. Allerdings behielt er Anteile des Hauses für sich und seine Ehefrau zurück. Und wenn Sie jetzt meinen, ooch, der muß aber Geld gehabt haben. Oh ja, das hatte er. Denn neben dem Wohnhause mit Scheune, Stallung, Werkstätte, Färberei, Hofraum und Garten nebst allen zum Betrieb der Wollenweberei und Färberei gehörigen Maschinen und Gerätschaften hier in der Balduinstraße betrieb Hallauer noch eine maschinelle, mit Wasserkraft betriebene Wollspinnerei in Alsfassen im Mühlwiesgäßchen, im Volksmund "die Wollmaschien" genannt. Knapp 20 Jahre später war sie alle tot: Nikolaus, sein Ehefrau Katharina, sein Sohn Franz und dessen Ehefrau Elisabeth. Franzens Bruder Josef kümmerte sich um den Nachlaß und verkaufte das Haus an Anton Adolf Schmoll.

 

 

 

Die obere Balduinstraße

rechts die Gastwirtschaft Demuth (Nr. 63)

 

Dieser schritt sofort zur Tat, legte das Hallauersche Haus und sein eigenes nieder und begann 1873 mit dem Bau des stattlichen Gebäudes, das heute dort noch steht, dem Schmollschen Haus. In einer Akte des Stadtarchivs (C5-7, Seite 249) habe ich eine Urkunde gefunden, in der über die Grundsteinlegung des Hauses berichtet wurde. Danach begann der Bau dieses Wohnhauses am 31. Juli 1873 nach Christi Geburt, unter der Regierung Seiner Majestät Wilhelm I, Kaiser des deutschen Reiches, König von Preußen etc etc, des Landrathes Hermann Rumschöttel für den Kreis St. Wendel und des Stadt=Bürgermeisters Carl Müller. Der Grundstein wurde am nämlichen Tage auf der Stelle des kürzlich abgebrochenen elterlichen Wohnhauses in Gegenwart folgender Personen gelegt:

1. Anton Adolph Schmoll von Eisenwerth, Civil=Ingenieur und Verfasser des Bauprojectes (also der Architekt), aus St. Wendel, wohnhaft in Wien

2. seiner Gemahlin geborene Josephine Uhl aus Wien,

als Eigenthümer und Bauherr    sowie

3. Michel Vollmann, als Maurermeister und Unternehmer der Maurer- und Steinhauerarbeiten     und

4. Carl Maurer, Buchdruckereibesitzer, als Bürge des Maurermeisters.

 

Ein Exemplar dieser Urkunde wurde damals in den Grundstein eingemauert, und dieser Urkunde wurden folgende Gegenstände beigelegt

=>  Nr. 90 der Nahe-Blies-Zeitung in St. Wendel

=>  Nr. 3206 der Neuen Freien Presse in Wien

=>  Nr. 3206 der Weltausstellungs-Zeitung in Wien

=>  ein preussischer Silberthaler vom Jahre 1871

=>  ein österreichischer Silberthaler vom Jahre 1858

=>  und die Photographieen der Eigenthümer

 

 

Das hat mich natürlich brennend interessiert, und ich habe das Haus aufgesucht, den Leuten im Erdgeschoß Bescheid gesagt, damit keiner die Polizei ruft, und den Grundstein gesucht ? und nicht gefunden. Vielleicht ist das auch besser so.

 

 

 

 

Balduinstraße 61

(Casinostraße 17)

 

Doch kommen wir zurück zu unserem Freund, dem Bäcker Johann Homberg. Das Haus Balduinstraße 59 war er 1827 los geworden und wohnte im Haus oberhalb, das heute die Hausnummer 61 trägt. Im Dezember 1831 nahm er bei dem District-Chirurgen Jakob Herold ein Darlehen von 540 Gulden auf. Er hatte große Pläne: Neben dem oberen Giebel gab es nämlich eine Einfahrt, die auch als Bauplatz genutzt werden konnte. Diese Einfahrt sollte über überbaut werden. Geplant (und im kommenden Jahr durchgeführt) wurden ein Erdgeschoß, die Einfahrt zum Hof, im ersten Stockwerk ein Zimmer vorn und eines dahinter und ein Speicher oben unterm Dach. 1835 vermietete er das Wohnzimmer im alten Gebäude rechts vom Eingang an den St. Wendeler Regierungsboten Franz Zangerle und schenkte seiner Tochter Marianne und deren Ehemann, den Schuhmacher Johann Barth, den neugebauten Trakt.

 

Ein bißchen Tratsch gefällig? Mein persönlicher Eindruck ist, daß Homberg mit seinem Schwiegersohn Johann Barth nicht unbedingt zufrieden gewesen ist. Der hatte mit Nikolaus Schmidt, Sohn eines gleichnamigen Tischlers aus St. Wendel, am 4. September 1833 einen interessanten Vertrag geschlossen. Barth würde den Schmidt beim Militär vertreten, wörtlich "bei allen Armeen zu vertreten und bei allen Truppen zu ersetzen, bei welchen derselbe zufolges seines Looses, geltender Militärgesetze und bestehenden Kriegsrechts annoch dienen müßte". Das war damals in den letzten Jahren der Coburger Zeit eine übliche Praxis für Leute, die Geld brauchten, recht billig an solches zu kommen. Risikolos war sie natürlich nicht. Denn im Falle eines Krieges mußte der Ersatzsoldat für den anderen ins Feld ziehen ? und den gegnerischen Kugeln ist es egal, wen sie treffen. Andererseits waren 40 Gulden für die einfache Bevölkerung ein ansehnlicher Batzen Geld. Was hat das aber mit Homberg zu tun? Nun mit ihm nicht direkt, wohl aber mit dessen siebzehnjähriger Tochter Anna Maria. Als Barth nämlich seinen Vertrag aufsetzte und kurz danach Soldat wurde, war sie im dritten Monat schwanger. Von Barth natürlich. Das Kind, ein Mädchen, das auf den Namen Katharina getauft wurde, kam am 28. Februar 1834 in St. Wendel zur Welt. Die Kleine wurde bei der Heirat ihrer Eltern legitimiert, aber das geschah erst im Januar des darauffolgenden Jahres. Ich will mir gar nicht ausmalen, was das für ein Jahr für die junge Mutter gewesen sein mußte. Als sie Johann Barth am 7. Januar 1835 heiratete, war sie bereits wieder schwanger. Ein drittes Kind kam im Februar 1837. Sechs Monate später ist Johann Barth nach Nordamerika abgereist. Er kam ein paar Jahre später wieder nach St. Wendel, um seine Frau und die drei Kinder abzuholen. Die Familie ließ sich in der Stadt der brüderlichen Liebe, die da heißt Philadelphia und liegt im Bundesstaat Pennsylvania, nieder. Ihre Nachfahren, die den Namen von "Barth" in das noblere "deBarth" änderten, lebten kurz nach der Jahrhundertwende dort immer noch.

 

 

 

 

Im mittlerweile preußischen St. Wendel zerplatzte Johann Hombergs Traum vom großen Haus wie eine Seifenblase.

 

Am 1. August 1838 erklärte er mit Frau und Tochter (deren Ehemann "sich gegenwärtig momentan in Nordamerika befindet") vor dem St. Wendeler Notar Hen ihre hoffnungslose finanzielle Situation.

 

"Da ihre Mittel zur Erbauung dieser Gebäulichkeit und zum Ankauf des dazu nöthigen Raumes sehr gering gewesen, so seyen sie damals schon sehr in Schulden gerathen, welche sich seit dem in dem Maße gemehrt hätten, daß dieses Haus mit Zubehör das einzige immobiliaer Eigentum, welches sie besäßen, heute nicht mehr hinreiche, um solche zu bezahlen.

 

Schon im Jahre 1835 habe die Frau Anton Kirschen Wittib von dahier, eine ihrer Gläubiger, ein SubhastationsVerfahren gegen sie eingeleitet (=> Zwangsversteigerung). Welches dadurch wieder beseitigt worden sey, daß die Margarethe Strässer, Nikolaus Werle's Wittib von der Urweiler Mühle, die Forderung der Wittib Kirsch übernommen und bezahlt habe. Die Wittib Werle habe die Forderung der Wittib Kirsch nur deshalb übernommen, weil sie (ebenfalls) eine Hypothek gegen sie, die Hombergs Eheleute, habe. Unter ihren übrigen Gläubigern befinden sich die katholische Pfarrkirche zu St. Wendel, bei der sie in einem mehrjährigen Zinsenrückstand gekommen seyen und die deshalb vor einigen Monaten ebenfalls eine Zwangsveräusserung ihres gedachten Hauses und Zubehör eingeleitet habe.

 

Sie seyen ganz außer Stande, auch nur das mindeste aus anderen Mitteln  zu bezahlen, da sie die tägliche Bedürfnisse zu ihrem und ihrer zahlreichen Familie Lebensunterhalt nicht mehr aufzubringen wüßten. Um eine Zwangsversteigerung zu ersparen, hätten sie daher am 24. vorigen Monats eine freiwillige Versteigerung durch den unterzeichneten Notar versucht, solche aber aus Mangel an Liebhabern nicht zu stande gekommen. Da die Wittib Sträser nun 800 Thaler angeboten hätte, hätten sie das Haus mit Zubehör an diese für diesen Preis verkauft."

 

Bleiben wir zunächst beim Haus, das jetzt der Witwe Werle von der Urweilermühle gehörte und nach ihrem Tod auf ihren Sohn Nikolaus Werle überging. Die Familie Werle besaß aber selbst ein stattliches Haus in der St. Wendeler Innenstadt und hat deshalb in diesem Haus am Stadtrand nie selbst gewohnt, sondern es immer vermietet. Die letzten bekannten Mieter vor dem Verkauf des Hauses am 30. Dezember 1872 waren der Schmied Wilhelm Burgermeister und seine Ehefrau Katharina Schenkelwald mit ihren Söhnen und die alleinstehende Fräulein Henriette Josefine Rechlin, Tochter von Karl Wilhelm Rechlin aus Stralsund, der zwischen 1835 und 1868 Bürgermeister in St. Wendel gewesen war.

 

 

 

Neue Eigentümer des Hauses wurden der Gutsbesitzer Johann Peter Müller, aus Cönen an der Mosel und seine Schwestern Anna Maria und Carolina Müller. Nach dem Tod ihres Bruders im Jahre 1904 wurde Anna Maria Alleinbesitzerin des Anwesens. Über die Geschwister habe ich nicht viel in Erfahrung bringen können, aber vielleicht sollte ich das nachholen, vor allem, wenn ich den nachfolgenden Notariatsakt in Betracht ziehe. Anna Maria hat nämlich am 9. Oktober 1906 an Barbara Lermen verkauft, die Generaloberin der Franziskanerinnen zum Marienhaus in Waldbreitbach mit dem Klosternamen Aquilina in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführerin der GmbH Marienhaus, Kranken- und Pflegeanstalt zu Sanct Marienhaus bei Waldbreitbach. Wow, was für ein Titel. Das Eigentum sollte ? so wurde es vereinbart ? beim Tod der Verkäuferin übergehen, die sich lebenslänglich die Nutznießung vorbehielt. Sie ist am 21. September 1907 in St. Wendel gestorben.

 

Der Verkaufspreis wurde auf 20.000 Goldmark festgesetzt, das sind umgerechnet etwa 500.000 Euro (phi mal Daumen mal Bauindex oder so). Leider fehlt mir der Maßstab, um die 3600 Thaler dagegen zu setzen, die Nikolaus Werle dafür erhalten hat.

 

Interessant ist die Verteilung dieses Betrages. 14.550 Mark behielt sich die Verkäuferin vor, den Rest bestimmte sie als eine Art Vermächtnis nach ihrem Tod:

 

"1. dem Metzgermeister Wilhelm Hallauer zu Sankt Wendel (Rotes Haus) = 300 Mark

2. an dessen Schwester Frau Elise Hallauer geb. Kirsch zu Essen = 1500 Mark

3. dem zur Zeit des Todes amtierenden Pfarrer zu St. Wendel = 300 Mark zum Besten des dritten Vereins (keine Ahnung, was das war)   und

4. zum Erwerb einer Stiftung für die Verkäuferin = 300 Mark.

Außerdem soll ein Begräbnis Erster Klasse davon bezahlt werden."

 

Das hat Stil.

 

Ich habe nicht ermitteln können, wie lange das Haus im Besitz der Waldbreitbachschwestern war, doch sie nutzten ihren Kauf sinnvoll: als Mietobjekt.

 

 

 

Balduinstraße 63

(Casinostraße 19)

 

Im Jahre 1856 hat sich Johann Homberg wieder gefangen, und prompt baut er in seinem Garten (Flur 6 Nr. 348) sein drittes Haus in die Reihe. Wieder wohnte er hier nicht lange, sondern veräußerte es bereits vier Jahre später wieder ? an seinen Sohn Philipp Homberg und dessen Ehefrau Klara Clemens. Wie sein Vater ist Philipp Bäcker von Beruf. Als er mit seiner Frau zusammen 1867 bei einem vermögenden Saarbrücker Rentner namens Schmidtborn ein Darlehen von 200 Thalern aufnimmt, wird das geschmackvolle Ambiente hinter seinem Wohnhaus in der Obergasse wie folgt beschrieben: "mit Garten, Kegelbahn und Schweinestall und dem daneben gelegenen Hofraum nebst Stallung und Holzschuppen". Na, da liegt ja alles schön beieinander.

 

Den richtigen Coburgern unter den Lesern ist das Haus natürlich als Gastwirtschaft Demuth bekannt. Aber wie schlägt man den Bogen von Homberg zu Demuth? Am einfachsten durch eine Heirat. Genau. Philipps Tochter Margarethe heiratet den Wollspinner Heinrich Karl Demuth, Sohn des Tuchwebers Karl Heinrich Demuth und seiner Ehefrau Katharina Bulley. Dabei bestand die Gastwirtschaft schon im 19. Jahrhundert. Denn die Kegelbahn aus dem Akt von 1867 gehörte definitiv zu der Gastwirtschaft von Philipp Homberg, der Bäcker und Wirt war.

 

Aus einem Notariatsakt von 1937 erfahren wir, daß die Hausnummern der Casinostraße denen der Hindenburgstraße, in die sie nach 1935 umbenannt worden war, entsprachen. Im Akt tritt auf: Margaretha Homberg, Witwe von Heinrich Karl Demuth, St. Wendel, Hindenburgstraße 19.

 

Bis vor zehn Jahren hatte ich das Haus nie gesehen. Dann rief mich ein Engländer an, der in Sachen Luftkrieg über England recherchierte. Er hatte gehört, daß ich mich mit dem 29. Januar 1944 beschäftigt hatte (an dem Tag, ein Samstag, stürzten im Kreis St. Wendel drei Fliegende Festungen ab), und bat mich um Hilfe. Am gleichen Samstag bzw. in der Nacht zum Sonntag habe die Deutsche Luftwaffe einen Angriff auf London geflogen. Eine der Maschinen vom Typ DO 217 sei unmittelbar vor der englischen Küste von der Flak abgeschossen worden und ins Meer gestürzt. Die vier Besatzungsmitglieder hatten keine Chance. Beobachter an Bord des Flugzeuges war der 23-jährige Unteroffizier Karl-Heinz Noss, Margarethe Hombergs Enkel.

 

 

 

 

Wenn Sie jetzt meinen, mit dem Bau des letzten Hauses wäre Johann Hombergs Unternehmensgeist erloschen, oh, nein, weit gefehlt. Denn das Haus oben auf der Ecke, das heute zur Urweilerstraße gehört, das hat er auch gebaut.

 

Urweilerstraße 1

 

Das muß ungefähr 1863 geschehen sein, im darauffolgenden Jahr wurde es eingemessen und fand so seinen Weg in die Supplemente der alten Katasterunterlagen, wo es 1865 auftaucht. Johanns Frau Anna Maria Wassenich hat den letzten Hausbau nicht mehr erlebt, sie starb 1858. Deshalb schloß Johann mit seinen beiden Töchtern Catharina und Johanna Margaretha am 27. August 1863 einen sog. Alimentenvertrag ab. Einerseits schenkte er ihnen seinen Anteil und seine Rechte an dem am oberen Rondell im Distrikte auf der Steinkaul neben Philipp Homberg und der Straße nach Urweiler gelegenen Wohnhaus mit Stallung, Backhaus, Hofraum und Bering. Anderseits verpflichteten sich die beiden ledigen Schwestern, ihren Vater bis zu dessen Lebensende in ihrer Wohnung zu St. Wendel vollständig zu verpflegen, demzufolge denselben in Kost, Kleidung, Pflege und Wäsche dergestallt zu unterhalten, daß ihm für seinen Lebensunterhalt keinerlei Sorge obliegt, ihm in Krankheitsfällen ärztliche Hilfe und Medicamente zukommen zu lassen sowie endlich nach dessen Ableben für ein christliches und standesgemäßes Begräbnis zu sorgen. Verträge dieser Art finden sich in den Notariatsakten im gesamten 19. Jahrhundert in St. Wendel und bis in 20. Jahrhundert hinein. Sie wurden notariell abgeschlossen, damit jede Partei auf der sicheren Seite war und weil sie meistens auch Immobilienübergaben enthielten.

 

Tragischerweise starben die beiden jungen Frauen binnen 14 Tagen im Januar und Februar 1871; Johann Homberg überlebte sie um sieben Jahre.

 

Zwischen 1892 und 1900 wurde der Zollaufseher Nikolaus Wilhelm Eigentümer des Hauses. Sein Sohn Rudolf Conrad Wilhelm verheiratete sich in Düsseldorf, und erst dessen Tochter Anna Dorothea kam 1965 wieder nach St. Wendel. Für 12 Jahre, dann verkaufte sie das Haus und kehrte nach Geldern nordwestlich von Duisburg zurück.

 

 

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