Schriftzug

Poststempel Essen 24.1.

 

Sr. Hochwürden

Herrn Subregens Prof. Steininger

 

Lieber Bruder!

Auf mein Gesuch um Entlassung vom 3. Apr bekomme ich endlich die Antwort, daß das Ministerium noch Anstand nehme, mich zu entlassen, da keine Aussicht zu einer Versetzung an eine Universität, und auch nicht einmal an ein anderes Gymnasium vorhanden sei. Ich werde dann ermahnt, die Sache wieder reiflich zu erwägen etc etc, und aufgefordert, mich von neuem zu erklären.

 

Da ich die Hoffnung aufgegeben hatte, mich dem Bergwesen widmen zu können, war meine einzige Hoffnungdie Professur an die Universität Berlin. Ich habe mich nun überzeugt, daß ich auch diesen Plan und überhaupt den Gedanken an eine Universitätsprofessur im math. Fache aufgeben müsse. Es fragt sich daher: darf ich etwa darauf bauen, einmal Direktor an einem Gymnasium oder an einer Bürgerschule zu werden? Das wäre der einzige Anker, der mich jetzt noch im Schulfache halten könnte. Ich glaube wohl, daß es einmal geschehen würde; aber nunmehr? daß ich Katholik bin und Mathematiker, steht mir überall im Weege. Die Aussichten dazu sind höchst schlecht. Und ewig Gymnasiallehrer bleiben? Ich würde es nicht ertragen können. Bis jetzt war mir die Schule erträglich, in der Hoffnung, einmal um so tüchtiger einen höheren Posten bekleiden zu können, wenn ich von unten an gedient hätte. Es ist mir unausstehlich, da diese Hoffnung geschwunden. Advokat zu werden, darauf bin ich gefaßt. Mein Bruder gibt mir das Geld dazu. Wenn auch 4, auch 6 Jahre damit hingehen, bis ich zum Ziele komme; so kann ich nachher das Geld wieder zurück geben. Wenn ich allein stehe, und nur auf mich Rücksicht nehme, so bin ich ohne Sorgen und komme gewiß zu meinem Zwecke und zu einem angenehmen Leben. Bis ich ganz frei bin von Schulden, darüber werde ich freilich 40 Jahre alt; aber ich lebe während dieser Zeit doch schon frei, und angenehm und alsdann bin ich dann doch an meinem selbstgewählten Ziele. Ich würde die Universität Freyburg von Anfang zu beziehen wünschen, um nicht in Bonn oder Heidelberg mit meinen alten Schulern auf denselben Bänken sitzen zu müssen, und würde alsdann nach Strasburg gehen. Nachher würde ich, wenn ich dardurch eher fertig wäre, im Baden’schen oder Bayer’schen mich niederlassen. Wenn ich auf mich allein Rücksicht nehme, habe ich also ziemlich leichte Aussicht; aber wenn ich an meine Mutter denke, dann wird es mir warm.

 

In der Nähe der Meinigen würde ich als Gymnasiallehrer einkommen. Wollte ich Haushaltung anfange, so würde ich meine Mutter nicht zu mir bitten könne, weil sie in einem fremden Lande und unter fremden Menschen es nicht aushalten würde. Wenn ich heirathet und sie nicht zu mir käme, würde ich ihr von meinem Gehalte nichts schicken können, weil die Gehelter zu klein sind. Also blos in dem einen Falle, wenn ich ledig bleibe, könnte ich als Gymnasiallehrer meine Mutter thätig unterstützen, indem ich jährlich um 200 Thr schickte. – Wenn ich Advokat werde, wann werde ich alsdann mich wieder gegen meine Mutter erkenntlich beweisen können? Werde ich jemals wieder dazu kommen, da sie schon bei Jahren ist? Muß ich sie nicht ganz eurer Sorge überlassen? Werdet ihr dadurch nicht zu sehr gedrückt sein? Ihr habt schon so viel für uns alle gethan, soll ich nicht auf mein eigenes Wohl verzichten, um euch zu erleistern, um meiner Mutter ein erkenntlicher Sohn zu sein?

 

Da nun der Augenblick ist, wo es heißt, entweder Zeit Lebens im Schulfache geblieben und das Joch geduldet, oder für immer aus demselben; so möchte ich doch noch um deine offene Meinung gebeten haben. Der eben angegebene Punkt in Betreff meiner Mutter liegt mir besonders auf dem Herzen, vorzüglich auch darüber möchte ich deine Meinung hören, auch, was du von der Universität Freyburg sagst. Ich bitte alsdann dich auch, mir Nachrichten zu geben von Hause, was unsere Mutter macht, ob mein Bruder Johann im Bade ist, meine Schwester immer noch in Trier, und wie es dir geht; ich habe seit Ostern nichts mehr gehört. Vor allen Stücken muß ich dich aber bitten, mir umgehend zu schreiben, da ich mit meiner Antwort ans Ministerium so lange warten werde.

 

Ich grüße euch alle herzlichst.

 

 

Dein Bruder

P.J. Steininger

 

Essen am 26. Juli 32

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