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Feuer frei! Nachbemerkungen zum "Herrn der Ringe"

ein paar Nachbemerkungen zum "Herrn der Ringe"

verfaßt im Januar 2004

 

Sind Sie schon mal bei Dunkelheit (morgens halb acht) ins Kino rein und bei Tageslicht (kurz vor elf Uhr) wieder raus? Ein komisches Gefühl, schreib ich Ihnen. Der Zusammenhang der Tageszeiten geht da völlig verloren. So wie der zwischen Realität und Fiktion im Kino drin.

 

Am Sonntag vor Silvester schaute ich mir mit Freunden den dritten Teil von Herr der Ringe an. Die Handlung in vier Sätzen? (1) Nun (in der Hoffnung, daß die Tolkien-Fans mich ob dieser Blasphemie nicht Smeagol hinterherwerfen), jede Gattung auf Mittelerde hat mindestens einen Ring, der ihr Macht verleiht oder über sie Macht hat (so genau hab ich das nicht verstanden), und Sauron, das Böse an sich, hat alle Ringe bis auf einen. (2) Er übersät Mittelerde mit Krieg, und sobald er den letzten Ring, den einen, der ihm noch fehlt, in Händen hat, ist er so mächtig, daß ihm keiner mehr jemals was kann. (3) Dieser eine Ring gerät in die Hände Frodo, eines Halblings, auch Hobbit genannt, einer Mischung zwischen Mensch und Zwerg, dessen Bestimmung es ist, den Ring in Saurons Gebiet zu bringen und dort im Feuerberg zu vernichten. (4) Die Reise dauert etwa 10 Kino-Film-Stunden.

 

Die Rückkehr des Königs ist der Titel des dritten Teils, und aus der Handlung der ersten beiden Teile war mir zumindest überhaupt nicht klar, um welchen König es sich hier handelt. Deshalb fand ich es ungemein interessant, daß gerade dieser Titel mit der Haupthandlung, nämlich der Vernichtung des Ringes, den der Hobbit Frodo trägt, fast gar nichts zu tun hat. "Der Berg des Schicksals" wäre zum Beispiel ein angemessener Titel gewesen, ebenso wie schon im 2. Teil Die zwei Türme nur ein Turm eine wesentliche Rolle spielte, nämlich Sarumans Turm in Isengart, während Saurons Turm in Mordor nie überhaupt eine Rolle spielt, außer daß er da ist, jedenfalls bis kurz vor Schluß. Und warum er dann einstürzt, daß mag Tolkien gewußt haben und vielleicht auch jeder, der die Ring-Saga ganz gelesen hat, aber nicht unbedingt der Filmbetrachter. Gut, Sauron kriegt am Schluß nicht seinen Ring, aber damit ist er doch "nur" nicht allmächtig, aber immer noch ziemlich mächtig. Aber als der Ring im Feuerberg vernichtet wird, zerbröselt seine Macht im wahrsten Sinne des Wortes. Also gibt es dort noch eine höhere Macht, die streng über die Wesen von Mittelerde wacht. Und wer sich dort nicht an die Spielregeln hält - durch Dummheit oder Pech -, der ist weg vom Fenster. Als Sauron fällt, fallen auch alle seine Marionetten. Nicht einer überlebt. Die Erde bricht weg, aber sie schlägt einen Bogen um den Haufen der grauen Menschen und ihrer Verbündeten, doch der Tod läßt nicht einen "Bösen" am Leben. Doch erfährt man nichts über diese Macht, sie wird mit keinem Wort erwähnt, nicht einmal angedeutet.

 

Überhaupt wird in keinem der drei Teile an ein Konzept gedacht, um das heute bei uns in der irrealen Welt der Realität so viel Getue gemacht wird: Friede. Und zwar angestrebter Friede, also ein solcher, der herbeigeführt wird und von den verfeindeten Parteien er- und gelebt werden kann. Im Film gibt es nur ein Gesetz: nur ein toter Ork ist ein guter Ork. Pardon wird nicht erwartet und nicht gewährt. In amerikanischen Filmen gibt es eigentlich immer wieder den tapferen Mann, der sich mit erhobenen Händen dem unbarmherzigen Feinde nähert und Frieden schließen will, um zu erfahren, daß es dem anderen nicht um den Frieden geht. Sein Schicksal ist immer das gleiche: er wird plattgemacht. Im Herr der Ringe kommt ein solcher Depp erst gar nicht mehr vor. Seine Helden wissen, wie die Welt funktioniert. Auf bloße Gewalt gibt es nur eine Reaktion: bloße Gewalt. Auf Verrat gibt es nur eine Strafe: den Tod. So ging es Boromir im ersten Teil, als er Frodo den Ring abnehmen wollte (trotz seiner lauteren Absichten). Er hat dafür mit drei Pfeilen bezahlt, die ihm die Orks intravenös bzw. -muskulär verabreichten. Macht sich natürlich gut auf großer Leinwand, man hört das "Hump", mit dem der Pfeil in den Körper einschlägt und steckenbleibt, man fühlt den Schock mit, mit dem der Körper in der Bewegung einhält und ein Stück zurückgeschleudert wird, man sieht die Qual im Gesicht des Getroffenen, und nach dem zweiten Pfeil auch die Gewißheit, daß seine Reise hier und jetzt zu Ende geht - und auch sein Leben. Aus Qual wird Agonie, aus Agonie nichts mehr.

 

Der Zuschauer betrachtet das fortwährende Gemetzel aus sicherer Entfernung, durch Raum und Zeit und ein paar andere Dimensionen, nicht zuletzt die Kinoleinwand getrennt, von den Personen, denen seine Sorge gilt. Er ist angewidert von der Brutalität, die gezeigt wird, gezeigt werden muß, denn hier gilt noch das alte Gesetz: Mann gegen Mann, oder besser: Kreatur gegen Kreatur. Wenn die Pfeilflugdistanz auf ein Minimum reduziert ist und die dicken Mauern durch Steinwürfe zermalmt sind, dann kommt die Sekunde der Wahrheit; dann hilft nur noch Schwerttechnik und viel, viel Glück. Da versagt selbst Gandalfs Magie und macht aus seinem Zauberstab einen langen Stock, mit dem er schnell und gezielt zuhauen kann. Dann geht die Hackerei und Stecherei los, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln wird versucht, dem Feind der Garaus zu machen. Blut oder andere Körpersäfte jederweder Art fließen nicht mehr, sie spritzen in alle Richtungen. Doch der Zuschauer soll sich ja nicht nur ekeln, die Schlachterei soll ja Spaß machen, also führen Elb und Zwerg einen Wettbewerb und zählen munter mit, wieviele Feinde sie schon abgemurkst haben. Im dritten Teil setzen sie dieses Spielchen munter fort, grad dann, als es für die eigene Seite brenzlig wird. Das sorgt für Stimmung im Kino (ohne Witz: die bringen Menschen um, zählen die Toten pro Schlag oder Pfeiltreffer ab, und die Zuschauer im Kino lachen sich einen weg; ich weiß es, ich mußte ja auch lachen). Und doch: seien wir froh, daß nicht Steven Spielberg Regie führte. Sonst flögen hier alle möglichen Gliedmaßen durch die Gegend, denn für ein richtig schön blutiges Gemetzel sind Schwert und Axt viel besser geeignet als Gewehr und Granate (siehe "Der Soldat James Ryan").

 

Sollte jetzt hier der Eindruck entstanden sein, mir hätten die Filme nicht gefallen, so muß ich dem widersprechen. Ich finde sie einfach Klasse, archaisch, aber super. Und ich kann jedem empfehlen, sie sich anzuschauen. Allein die Choreographie der Schlachtszenen ist außergewöhnlich gut gelungen, dazu die grandiosen Totalaufnahmen und die perfekt eingesetzte Musik; hier paßt einfach alles. Und selbst die ungewöhnlichsten Monster aus der Trickkiste erscheinen wie lebendige, agierende Wesen, die mit Sinn und einer gewissen, wenn auch begrenzten Menge an Verstand handeln.

 

Auch wenn zumindest ein paar Eltern spätestens seit dem zweiten Teil wissen, daß Fantasy mit Phantasie und nicht unbedingt etwas mit Grimms Märchen zu tun hat. Und daß die Altersfreigabe "12 Jahre" nur des Kommerzes willen so tief liegt (siehe Harry Potter 2, dessen Schlangenpartie gegen Ende bestimmt einigen jungen Zuschauern Alpträume verpaßt hat).

 

Und doch sind mir so ein paar Kleinigkeiten aufgefallen, die nicht so stimmig sind und auf die mich mein Freund Werner bringen mußte, als wir nach dem dritten Film noch auf einen Milchkaffee ins Cafe Journal wanderten.

 

Der Befehl, die Pfeile abzuschießen, heißt "Feuer". Wieso eigentlich? Die Zivilisation im Herrn der Ringe kennt zwar das Feuer, aber keine Feuerwaffen. Sie verwendet Bomben resp. Sprengsätze, um z.B. im 2. Teil die Mauer von Helms Klamm wegzublasen, aber die Umsetzung dieses Prozesses in Kanonen und Gewehre ist ihr nicht gelungen. Es gibt nicht einmal Ansätze dazu. Statt Kanonen gibt es Katapulte, die riesige Steinbrocken und auch Brandsätze über die Mauern der belagerten Stadt hinweg tragen und schlimme Verwüstungen anrichten. Aber die Geschosse zerdeppern nur, sie sprengen nicht. Aber nun frage ich mich, welchen Wortlaut hatte der Befehl zum Abschuß der Pfeile? "Feuer" kann es nicht gewesen sein, warum sollte es, es brennt doch nichts, es kommt auch vorn aus dem Pfeil oder Bogen kein Feuer raus. Da könnte man genauso gut "Wasser" rufen, das wäre nicht richtiger und nicht falscher. "Angriff" dagegen ist zu allgemein, denn dann laufen alle los, obwohl nur das Losschlagen einer Teileinheit beabsichtigt ist. Wissen Sie's?

 

PS: noch beknackter als Sauron sind allerdings viele Menschen in der realen Welt. Das fiel mir spätestens nach dem ersten Teil auf, als bekannt wurde, daß ein cleverer deutscher Juwelier den Ring nachgebaut hat und verhökert. Er kam mit dem Produzieren gar nicht mehr nach. Dabei hat schon im ersten Teil jeder Kinobesucher gesehen, was der Ring aus Bilbo Beutlin und Frodo gemacht hat (von dem Gollum ganz zu schweigen). Wie kann also jemand, der ein bißchen nachdenkt, diesen Ring haben und tragen wollen?

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