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18. Jahrhundert -> 1770 Es kommt ein Schiff geladen - fürwahr keine Weihnachtsgeschichte

Es kommt ein Schiff geladen.
Eine schöne Bescherung, aber keine Weihnachtsgeschichte.

Die Stadt gegen Johann Wagner, Wollspinner in St. Wendel, am 29. März 1770

Unsere Geschichte führt uns in das Jahr 1770 und nach St. Wendel ins Gasthaus „Zum Lamm“ oben am Dom, in dem damals Johann Wassenich Gastgeber und Wirt war. Das Gasthaus, das im 19. Jahrhundert u.a. eine Buchbinderei, gegen Ende desselben eine private Leihbücherei, dann lange Zeit eine Buchhandlung (Dubreuil) und gegen Ende des 20. Jahrhunderts binnen 20 Jahren ein paar Mal verschiedene Gewerbe enthielt - ein Krims-Kramsladen der gehoben Art, eine Pizzeria, ein Obstgeschäft - nein, das eröffnete in der Oberstadt und war auch schnell wieder weg -, eine Damenboutique, bevor es vor ein paar Jahren wieder das wurde, was es vor 250 Jahren auch schon war. Eine Art Gasthaus. [Eine etwas ausführlichere Geschichte dieses Hauses finden Sie in meiner Buch „Die Reise um die Welt“, erschienen 2005 und wiederaufgelegt 2019, und dort im Kapitel „Balduinstraße 6“.]

Damals sah es aber wohl ein wenig anders aus. Die heutigen geschwungenen Fenster zur Straße hin kamen dort erst im 19. Jahrhundert hinein, ebenso wie die Tür. Der ehemalige Eingang existiert immer noch an der Ostseite des Hauses oberhalb des kleinen Treppchens. Von dort ging es geradeaus auf die Wendeltreppe nach oben oder unten, nach rechts aber in einen schmalen Flur, der das Erdgeschoß teilte. Links und rechts - südlich und nördlich des Flurs - gab es kleine Stuben, die als Gasträume genutzt worden. In der hinteren spielt unsere Geschichte.

Dort halten sich an einem Sonntag im März mehrere Leute auf, wie es zu meiner Jugend noch Brauch war. Der Gottesdienst ist vorbei, die Frauen eilen nach hause zum Kochen, die Männer eilen in die Kneipe, um den berühmt-berüchtigten „noch einen“ zu trinken.

Am vergangenen Sonntag, dem 25. Tag dieses Monats, hat in der hintersten Stube des Hauses von Johann Wassenich in Gegenwart unterschiedlicher Leute und Lutheraner der Beklagte sich so vergessen, dass er bei der geführten Diskussion über die Rosenkränze darauf geantwortet hat, dass er - bitte entschuldigen Sie den Ausdruck - auf diese scheißen würde, und hat besonders hinzugefügt, dass die Lutheraner sowieso besser seien als die Katholiken. Solch eine Verunglimpfung, die die Abscheu der Anwesenden hervorrief, kann so nicht im Raum stehen gelassen werden. Das befand der Stadtmagistrat, bestehend aus den Herren von Hame, Jakob Pistor, Christian Blum, Johann Coenen, Johann Wilquin, Johann Knoll, Wendel Demuth und Theodor Fleck, und „zitierte“ Johann Wagner zu sich.

Am heutigen Tag - Donnerstag, 29. März 1770 - wurde ausführlich nach dem Vorkommnis befragt. Er machte zunächst auf erstaunt und sagte aus, dass er neulich nicht in das hinterste Stübchen Wassenichs gekommen sei und noch weniger etwas über die Rosenkränze gesagt hätte.

Aber dann hat er sich die Sache wohl noch einmal überlegt und sich korrigiert: Am Abend, als die Lotteriezettel kamen, habe er sich ein bisschen in dem Stübchen aufgehalten, aber nichts derartiges gesagt.

Der Magistrat stellte dem Herbeizitierten nun verschiedene Fragen, die er auch beantwortete:

1. Wer in seiner Gesellschaft bei Wassenichs und zu welcher Zeit er dort gewesen sei?

Er gab zur Antwort, daß er am Sonntag, dem 25. diesen Monats nach der Prozession dorthingegangen sei, also als der Gottesdienst schon vorbei war. In seiner Gesellschaft waren der Geselle von Herrn Vilquin namens Louis Hermann, Nikolaus Neumer von Alsfassen und der Geselle von Georg Schwengler namens Caspar von Oberlinxweiler.

2. Ob denn niemand anders in der Stube gewesen sei?

Ja, da war noch der Johann Georg Wirtz aus Oberlinxweiler. Aber ansonsten erinnert er sich an niemanden als den alten Johann Clomen. Es seien aber mehrere Leute dort gewesen, deren Namen er aber nicht kenne.

3. Was damals getrunken wurde.

Antwort: Circa 3 oder 4 Flaschen Bier und dazu 2 oder 3 Viertel Schoppen Branntwein seien getrunken worden, was er auch hier und dort schon gesagt hätte.

4. Ob denn der Johann Wassenich während dieser Zeit nicht zugegen gewesen sei?

Antwort: Ja, der sei ab und zu in der vorderen und in der hinteren Stube gewesen, worauf er aber nicht achtgegeben hätte.

5. Ob denn der Johann Wassenich nicht zu dem Wirtz von Oberlinxweiler gesagt, dass einige Schiffe voller Rosenkränze auf dem Weg seien und hoffentlich auch einer ihm zu teil werden dürfte?

Antwort: Nein, davon habe er gar nichts gehört und wüsste darüber auch nicht das mindeste.

6. Ob er an der Prozession teilgenommen habe?

Antwort: Nein, weil er unpässlich gewesen sei.

7. Wie lang er im Haus des Wassenich gewesen sei?

Antwort: bis gegen Abend, also bis gegen 7 Uhr. Seine Gesellschaft sei ebenfalls um diese Zeit gegangen

8. Welcher Konfession gehört seine Gesellschaft an?

Antwort: Der Geselle von Herrn Vilquin und Nikolaus Neumer aus Alsfassen seien katholisch, Caspar von Oberlinxweiler aber seie Reformierter.

9. Beklagter soll erklären, ob auch Lutheraner anwesend waren.

Antwort: Er weiß keinen Namen zu nennen, als jene, die er schon angegeben hat.

10. Ob denn er nicht gehört hat, dass der Johann Wassenich mit ihm oder dem vorgenannten Wirtz diskutiert habe und worüber.

Antwort: Das ist ihm unbekannt. Er erinnert sich nicht, davon gehört oder gesehen zu haben. Und wenn er was dergleichen gehört habe und andere Diskussionen geführt worden seien, werde er das herzlich gern eingestehen, allein, er wüsste nicht, was er dazu sagen sollte

11. Ob der Beklagte eidlich beteuern könnte, von einer derartigen Diskussion nichts gehört zu haben?

Antwort: Ja, das könne er beschwören und stünde dazu bereit.

Damit war seine Aussage abgeschlossen. Sie wurde ihm vorgelesen und gefragt, ob sie in Ordnung oder er etwas ändern wollte. Nein, sagte er, er bliebe bei seiner Aussage und unterschrieb mit seinem Namen.

Nach seiner Entlassung wurde der Amtsbote wird angewiesen, sogleich den Joseph Theutscher und Wilhelm Weber am nächsten Samstag um 10 Uhr morgens einzubestellen. Wie der Rat auf diese beiden Männer kommt, bleibt schleierhaft, denn ihre Namen befinden sich nicht unter denen, die Wagner als Anwesende genannt hatte. Ich nehme an, daß sie ebenfalls dort waren und den Fall zur Anzeige brachten. Denn Wassenich war es sicher nicht und Wagners Gesellschaft wohl auch nicht.

Zwei Tage später - Samstag, 31. März 1770 -  hat sich die Lage verschärft: Aus dem donnerstags zur Vernehmung herbeizitierten Johann Wagner ist jetzt „der Beklagte“ geworden.

Noch bevor die beiden Zeugen vernommen wurden, erschien der Beklagte und brachte vor, dass er unterwürfig bitte, ihn mit den Kosten zu verschonen und ihm eine gnädige Strafe angedeihen zu lassen. Er wäre betrunken gewesen und habe sich bei dem Gespräch über die Rosenkränze dazu hinreißen lassen zu sagen, er hätte etlichen Leuten in ihre Rosenkränze - bitte entschuldigen Sie den Ausdruck - geschissen und ein Teil der Lutheraner würden sich viel besser verhalten als die Katholiken, und dies sei am vergangenen Sonntag nachmittags nach der Prozession in Johann Wassenich Haus gewesen. Da er diese Ausdrücke im betrunkenen Zustand gebraucht hätte, bitte er um Nachsicht.

Der Rat nahm seine Aussage zur Kenntnis und ging dann zum einzigen Tagesordnungspunkt über, der Zeugenbefragung. Vorgeladen waren die beiden schon genannten Zeugen Wilhelm Weber und Josef Theutscher. Sie wurden, nachdem sie in Gegenwart des Beklagten gelobt haben, die Wahrheit zu sagen, einzeln vernommen.

Wilhelm Weber gab an, er sei 24 Jahre alt.

ad generalia wohl in Körper und Geist
ad specialia
Zur Sache gab er zu Protokoll, dass er sich am vergangenen Sonntag gegen Abend im Hause von Johann Wassenich eingefunden und den Wollspinner Johann Wagner in Gesellschaft des Wirtz von Linxweiler und des Tuchscherergesellen Lorich Hermann angetroffen habe. Dort habe Johann Wassenich gesagt, es hätte in der Zeitung gestanden, es sollten 3 Schiffe mit Rosenkränzen kommen, worauf Johann Wagner geantwortet habe, - bitte entschuldigen Sie den Ausdruck - er scheiße in die Rosenkränze. Wagner sei sehr betrunken gewesen. Sonst hätte er aber nichts gehört, womit er seine Aussage beschließe und nach Vorlesung seiner Aussage diese mit seiner Unterschrift bestätige. Diese Unterschrift bestand aus einem „+“, da Weber nicht schreiben konnte und deshalb sein Handzeichen unter die Aussage setzte.

Der zweite Zeuge war Josef Theutscher, nach eigenen Angaben 20 Jahre alt. Er bestätigte Webers Aussage mit eigenen Worten: Johann Wagner hätte auf Wassenichs Bemerkung, es solle ein Schiff mit Rosenkränzen aus dem Reich kommen und der Wirtz von Linxweiler sollte auch einen bekommen, geantwortet, er - bitte entschuldigen Sie den Ausdruck - scheiße in die Rosenkränze. Wagner sei sehr betrunken gewesen. Nach der Vorlesung bestätigte Theutscher seine Aussage und besiegelte sie mit seiner Unterschrift.

Daraufhin setzte sich der Rat zusammen und kam schnell zu dem folgenden Urteil:

Da der beklagte Wollspinner Johann Wagner nicht allein mit seinen lästerlichen Ausdrücken, sondern auch wegen seines ordnungswidrigen Trinkens am Sonntag sich gröblich an der Allgemeinheit vergangen und außerdem in Gegenwart des lutherischen Wirtz von Oberlinxweiler anderen Katholiken eine schwere Ärgernis beschert habe, also wird derselbe hiermit angewiesen, dass er in Gegenwart sämtlicher, bei dieser Lästerung gegenwärtig gewesener Leute diese Ärgernis abbitte und zu seinem Wohl und weiterer Strafe für 24 Stunden in den Turm muß. Außerdem muß er der Kirche 2 Pfund Wachs bezahlen und die Kosten des Verfahrens tragen.

So geschehen in St. Wendel am 31. März 1770.
von hame
Jacob Pistor
Gristian blum
J. Coenen
S. Wilquin
Joes Knoll
W. Demuth
Fleck



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Die im Gasthaus Anwesenden sind samt und sonders Männer.

Da ist zum einen der Gastwirt Johann Wassenich, geboren 1735 in St. Wendel und seit 1758 mit Margarethe Baltes aus Urweiler verheiratet. Das Gasthaus hat er von seinem Vater Johann Josef übernommen. Der gelernte Bäcker ist neben seiner Arbeit als Wirt des Lamms noch Hochgerichtsschöffe und Friedensrichter, nicht unbedingt eine Persönlichkeit hier in der Stadt, mit der man sich ohne Grund oder gerne anlegt. Nach dem Tod Margarethes 1787 heiratet er ein gutes Jahre später Anna Maria Koelsch aus Trulben bei Pirmasens. Er stirbt 1807 in St. Wendel und wird auf dem neuen Friedhof oberhalb des oberen Tors beigesetzt.

Der zuerst nur „Zitierte“ und spätere Beklagte ist Johann Wagner, ein Wollspinner aus hiesiger Stadt. Nun, ich kann ihn nicht identifizieren.

Es gibt einen Johann Wagner, geboren um 1735 in Koblenz, der lebt in St. Wendel bis zu seinem Tod 1805, aber der war zeitlebens Bäcker. Dann haben wir einen Johann Adam Wagner, geb. 1731 in Alsfassen. Er hat einen Stall voller Kinder, von denen wir alle Namen haben, aber seinen Beruf erfahren wir dort nicht.

Wilhelm Weber gibt sein Alter mit 24 Jahren an, also geboren ungefähr 1746.
Ja, mit dem kann ich dienen. Geboren am 20. September 1745 in St. Wendel als zweitältestes Kind (von 8) des Küfers Michael Weber und seiner Ehefrau Barbara Brock.
Wihelm hat den Beruf des Faßbinders gelernt und wird in acht Monaten Anna Katharina Hassdenteufel aus St. Wendel heiraten. Sie wird ihm sieben Kinder schenken und nach seinem frühen Tod im Dezember 1795 mit knapp über 50 um 24 Jahre überleben.

Wie Wagner schwer zu bestimmen ist Josef Theutscher, nach eigenen Angaben 20 Jahre alt, also geboren um 1750. Einen reinen „Josef“ finde ich gar nicht, und ein „Josef Wendel“ wird erst 1757 geboren, wäre 1770 also erst 13 Jahre alt. Er hat noch einen älteren Bruder, der am 7. Februar 1749 zur Welt kam. Das kommt zeitig hin, aber sein Name ist Johann. Im Taufbuch steht „Joes“, die Abkürzung für „Johannes“, und so heißt auch sein Pate mit Vornamen (Johann Knoll).

Den Namen „Theutscher“ gibt es heute in St. Wendel immer noch; aus dem „T“ wurde ein „D“, und das „h“ ging vermutlich bei der Orthographischen Konferenz von 1901 verloren.

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