Schriftzug

Pestridge

 

oder

 

eine unfreiwillige Reise durch den Hunsrück nach dem Absturz seines Bombers bei Idar-Oberstein - Vollmersbach in der Nacht vom 9. auf den 10. August 1943

 

 

Technische Daten:

 

Englischer Bomber Halifax II #JD408    DY-R

102 Squadron

Basis: Pocklington, Yorkshire

Ziel: Mannheim

getroffen durch deutschen Nachtjäger über Trier

abgestürzt nahe Vollmersbach bei Idar-Oberstein

 

Crew:

 

P        Major  L. James       Pestridge       RTD

F/I      P/O     John   Burdon KIA 10.08.1943

Nav    P/O     Arthur R.       Hunter RTD tot RCAF DFC

Bom    F/O     Les     Bays   KIA

ROp    F/Sgt  Ken P. Walker RTD

MU-Gnr         Sgt     Les G. Dunn   RTD, tot um 1987

Rear T FSgt   Fred. A.        Sherrington    KIA

 

Offiziell:

Start um 22.50 Uhr in Pocklington. Abgeschossen durch Nachtjäger und Flugzeug aufgegeben westlich von Mannheim. F/O Bays wurde mit tödlichen Verletzungen aufgefunden, vermutlich wurde er von einem Propeller getroffen, als er ausstieg. Zusammen mit F/S Sherrington ist er auf dem Rheinberg War Cemetery beerdigt.

 

 

Jim Pestridge, der Pilot des Bombers, hat uns vorige Woche seine Erlebnisse geschildert (die Anmerkungen in Klammern stammen von mir):

 

Ich habe meine eigenen Erlebnisse niedergeschrieben - ich habe so wenig Kontakt mit dem Rest der Crew - wir alle gingen in verschiedene Richtungen nach der Rückkehr nach England. Tatsächlich haben wir uns seit unserem letzten Einsatz - auch in der Gefangenschaft - nicht getroffen. Wie Sie schon wissen wurden Sherrington und Bays bei dem Absturz getötet. Hunter hatte mentale Probleme im Gefängnis und kehrte nachhause nach Kanada zurück, starb aber kurz darauf. Walker arbeitete als Funker für das Britische Außenministerium - vor ein paar Jahren war er bei der Britischen Botschaft in Spanien. Dunn heiratete, konnte sich aber nicht niederlassen, sondern wanderte nach Australien aus, wo er vor zehn Jahren starb. Von Burton hörte ich nie mehr wieder.

 

 

Die letzte Reise

 

Vor dem Flug

 

Ich hatte einen Einsatz-Turnus voll, gefolgt von einer "Ruhepause" als Ausbilder in einer einsatzfähigen Trainingseinheit. Dann wurde ich im Juli 1943 nach Marston Moor zu einem Übungslehrgang versetzt, um die schwereren 4-motorigen Flugzeuge zu fliegen und eine neue Crew zusammenzustellen. Ende Juli hatte ich sechs Männer zusammen, und man sandte uns zur 102 Squadron in Pocklington, Yorkshire.

 

Wir waren einander neu und neu in der Squadron, obwohl wir das Flugzeug, die Halifax II, gut kannten. Fast sofort waren wir im Einsatz, und die üblichen Routinevorgänge auf einem Bomberstützpunkt waren uns allen vertraut.

 

Es war Sommer, es herrschte gutes Wetter und die Sonne brannte heiß - ausgezeichnete Flugbedingungen. Am 9. August 1943 wurden wir zum Morgenbriefing gerufen, es war ein Angriff auf Mannheim, ein Flug immer geradeaus mit einer Vorhersage auf gutes Wetter. Wir prüften und testen unser Flugzeug, studierten unsere Karten und übernahmen unsere Flugausrüstung. Nur ein weiterer Einsatz - mein 32ster.

 

Der Flug

 

Der Tag war heiß gewesen und sonnig, deshalb war der Einbruch der Nacht und die kühlere Luft sehr willkommen. Im Flight Office erhielten wir unsere Fallschirme, die wir in einen Lkw luden, weil uns ein hübsches junges Mädchen - eine von den Fahrerinnen der Womens Auxilary Airfore (Frauen-Hilfs-Corps der Luftwaffe) - zu unserem Flugzeug fuhr. P/O Burdon war der Flugtechniker und ziemlich neu in seinem Beruf. P/O Arthur Hunter kam aus Kanada und war ein Navigator, den ich schon einige Zeit kannte.F/O Les Bays schien ein bißchen älter zu sein als der Rest der Crew und war ein erfahrener Bombenschütze. F/Sgt Ken Walker hatte ebenfalls schon viel Erfahrung und war ein kühler und zuverlässiger Funker. Sgt. Les Dunn kam aus Wolverhampton, wo er für Goodyear, die Reifenfirma, gearbeitet hatte, er war unserer Schütze in der Stellung "Mitte-oben". FSgt Sherrington war ein zuverlässiger und herzlicher Londoner, ein fähiger Schütze in unserem Heckturm. And da bleibe nur noch ich als Pilot und Captain des Flugzeuges.

 

Am Abend gegen 22.45 Uhr laufen unsere Maschinen warm, dann reihen wir uns bequem in die Linie der Flugzeuge ein und heben mit unserer Bombenlast aus Brandbomben ab. Wir drehen von unserem Flugfeld bei Pocklington aus nach Süden und halten auf Le Touquet zu, das 400 km entfernt an der französischen Küste liegt. Wir steigen bestetig in den klaren Nachthimmel, die Luft ist ruhig, keine Wolken, so klar, daß wir viele andere Flugzeuge sehen, die in die gleiche Richtung fliegen - wir sind nicht allein. Einige Zeit später sagt mir Arthur Hunter, daß wir über Le Touquet sind, und wir drehen ostwärts auf unserem neuen Kurs, der uns nach etwa 500 km nach Mannheim führen wird. In solch einer sanften und stillen Nacht kommt die Versuchung auf, den Autopiloten einzuschalten - aber die Gefahr deutscher Jäger ist in unserem Bewußtsein, deshalb passen wir auf. Eine Stunde oder so später nähern wir uns dem Ziel, unter uns liegt Dunkelheit und vor uns sehen wir das Blitzen von Flak-Kanonen und explodierenden Bomben. Unsere Höhe ist 7.000 Meter, und wir sind über Trier, noch etwa 90 Meilen oder 150 km bis Mannheim. Plötzlich gibt es einen Schlag an der Backbordseite, ich schaue nach links, und quer durch die Tragfläche geht etwas, was aussieht wie eine kurze Kette elektrischer Lampen, die zwischen den beiden Motoren aufsteigt. Wir wurden von Brandgeschossen getroffen, die von unten kommen. Weder der obere noch die Schützen hinten können den Feind sehen. War das eine der neuen Messerschmidt Me-410 mit nach oben feuernden Kanonen?

 

Ich manövriere das Flugzeug, um einem neuen Angriff auszuweichen, als ein heller Flammenstrahl aus der Backbordtragfläche austritt. Die Motoren laufen noch, als ich befehle, sofort die Bomben abzuwerfen. Aber bevor Les Bays, der Bombenschütze, irgendetwas tun kann, schüttelt sich das Flugzeug, als ein Teil der Tragfläche in einem funkelnden Flammenmeer wegbricht. Ich gebe den Befehl an alle Mitglieder der Crew "Verlaßt das Schiff", "OK Skipper" sagen Len Dunn, Sherrington, Bays und Walker. Der Flugtechniker reicht mir meinen Fallschirm rüber, und als ich es einhake, verschwindet die Backbordtragfläche in einem Feuerball und das Flugzeug beginnt, furchtbar zu trudeln. Les Bays hat das vordere Luk geöffnet und taucht in die Dunkelheit hinein. John Burdon ist in den Rumpf hinuntergegangen, um durch das Hauptluk zu entkommen. Das Wrack der Halifax trudelt und taucht, als ich in Richtung des Vorderluks laufe und in die kalte Luft hineinspringe. Das Flugzeug scheint an mir vorbeizutreiben, als ich die Reißleine ziehe, ich fühle den scharfen Ruck, als der Fallschirm über mir aufbricht.

 

Das brennende Wrack geht jetzt schnell nach unten, und ganz nahe kan ich erst hören, dann sehen - den deutschen Jäger. Es geht durch meinen Kopf, daß ich gleichsam ein in der Luft sitzendes Ziel für jeden Schützen bin, der Jäger dreht einen Kreis und verschwindet dann. In einiger Entfernung gibt es einen Aufschlag und einen Blitz, als die havarierte Halifax den Boden trifft. Es ist unmöglich zu sehen, wo ich lande oder worauf. Ich schwinge ruhig hin und her, als ich plötzlich auf die Erde komme, ein leichter Aufschlag auf einem grasbedeckten Hang. Glücklicherweise ohne Wind, so daß der Fallschirm neben mir zusammenbricht, die weiße Seide schimmert in der Dunkelheit. Er ist zu auffällig, als das ich ihn auf dem Feld liegen lassen kann, deshalb raffe ich ihn schnell zusammen und löse den Harnisch. Ich stolpere den Hügel hinunter und komme zu einem kleinen Bach (Ringelsbach). Ein paar Büsche hängen übers Wasser hinaus, ein armseliges Versteck für den Fallschirm, aber es wird reichen müssen. Etwas weiter weg höre ich plötzlich Stimmen und das Gebell von Hunden - für mich ein Signal, mich schnell in die andere Richtung zu verziehen. Bald komme ich zu einem Pfad, der zwischen Bäumen hindurchführt, ich lege eine Pause ein und lausche - Stille, gesegnete Stille, außer dem Summen von Flugzeugen in der Ferne.

 

Etwas weiter kommt der Pfad aus den Bäumen heraus und führt durch Felder, dann ist das ein breiter Fluß, der im schwachen Nachtlicht glitzert (Nahe). Ich wate hindurch, es ist nicht sehr tief, auf der anderen Seite die Böschung hinauf in ein weiteres Feld, geradeaus kann ich eben noch eine Eisenbahnlinie ausmachen und eine Straße dahinter, die an ihr entlang führt, dahinter steigt der Boden steil an, er scheint mit Bäumen bedeckt zu sein. Ich überquere die Eisenbahn, dann die Straße (zwischen Weierbach und Nahbollenbach) und halte mich Richtung Hügel, wandere achtsam durch das Unterholz, bis die Bäume näherkommen. Das scheint ein guter Platz zu sein, um Deckung zu suchen und während des kommenden Tages auszuruhen.

 

In die Gefangenschaft

 

Als die Sonne an einem weiteren heißen Sommertag aufstieg, konnte ich die Felder sehen, die sich unterhalb meines Zufluchtsortes ausdehnten. Ein Bauer mit Pferd und Wagen und zwei oder drei junge Frauen begannen bald damit, Heu zusammenzutragen und auf den Wagen zu laden. Hinter mir war ein Pfad durch den Wald, ein paar alte Leute kamen, um Holz zu sammeln, ich behielt meinen Kopf unten, froh darüber, daß sie keinen neugierigen Hund bei sich hatten. Ich schaute über die Felder hinweg und sah ein kleines Dorf mit einer Eisenbahnstation, ein paar Züge und einige Lkws und Waggons, die auf der Straße und den Schienen vorbeifuhren (Nahbollenbach), alles war friedlich.

 

Die Karten, die ich hatten, waren auf Seide gedruckt, konnten mir keine Einzelheiten darüber geben, wo ich gelandet war, meine einzige Hilfe war ein kleiner Kompaß und die vage Erinnerung an die Karten mit unserer Flugroute. Es wurde ein langer heißer Tag ohne Wasser und nur ein bißchen Schokolade zum Essen. Die Dunkelheit kam langsam, und die Geräusche verklangen in Stille.

 

Ich ging zur Straße und wanderte zu dem Dorf (Nahbollenbach) - alles war still - bis ich zur Linken eine Straße erreichte, die den Hügel hinauf zur Eisenbahnstation führte (Mühlenstraße führt unter der Eisenbahn hindurch, Bahnstation liegt auf der anderen Seite, heute abgerissen). Dann hörte ich leise Stimmen und sah einen Mann, der sich auf ein Fahrrad lehnte und mit einem anderen Mann sprach, sie standen auf der anderen Straßenseite, deshalb ging ich schnell weiter und bog in die Straße Richtung Bahnhof. Ich glaube, sie sagten etwas zu mir, aber ich blieb in Bewegung und gab keine Antwort. Kurz hinter dem Bahnhof stand ein Bauernhaus (heute H. Loch, Mühlenstraße 2), alles war still und dunkel, noch dreihundert Meter, und ich war in offenem Gelände, und da war ein kleiner sauberer Bach - endlich Wasser (ggf. Brücke der Mühlenstr. über den Bach). Ich zog meine Fliegerstiefel aus und füllte meine Gummi-Wasserflasche, jetzt war es Zeit, den Bauernhof zu untersuchen. Ich wanderte auf Socken zurück und schaute mir ruhig ein paar der Gebäude an; in einem offenen Gebäude fand ich ein altes Fahrrad; es schien in gutem Zustand zu sein, deshalb brachte ich es sorgfältig auf die Straße und fuhr zurück, um meine Stiefel aufzusammeln.

 

Jetzt konnte ich mich bewegen, auf der Straße zurück, als die Luftalarm-Sirenen zu heulen begannen. Hinter dem Bahnhof drückte ich auf die Tube und fuhr um die Ecke zur Hauptstraße (nach links Richtung Idar-Oberstein), als die Leute aus ihren Häusern kamen. Ich mußte mich daran erinnern, auf der rechten Seite zu fahren - wie stehts mit den Lampen? Das Rad hatte eine, schaltet man sie an bei Luftalarm? Die Straße ist frei, deshalb trete ich in die Pedalen - unter einer Eisenbahnbrücke hindurch (hinter dem heutigen US-Depot), dann um eine Straßenbiegung herum (folgt der Nahe), eine weitere Brücke, bald kommen Häuser, und eine Stadt beginnt. Ich halte an einer Busstation an, um den Fahrplan zu lesen, vor allem werde ich wissen, wo ich bin - ich lese "Idar Oberstein"!

 

Noch mehr Luftalarmsirenen und Flugzeuge über mir; ich radle weiter durch die Stadt (biegt nach rechts ab Richtung Allenbach), jemand ruft nach mir, deshalb trete ich schneller in die Pedalen, bis die Häuser weniger werden und ich müde bin; ich brauche einen Platz, um mich zu verstecken und auszuruhen. Eine kleine Straße biegt nach links ab und führt ins Land hinein (rechts gehts in die Vollmersbach). Auf einem Hügel liegen einzelne Gemüsegärten, Schrebergärten mit Schafen und dahinter stehen Kiefern. Ich verberge mein Fahrrad in einer Hecke und finde ein Versteck für den nächsten Tag (irgendwo vor Katzenloch). Unter den Bäumen auf einem süß-riechenden Bett aus Fichtennadeln kommt der Schlaf schnell.

 

Ich wache auf beim ersten Licht der Dämmerung, feucht und kalt, der Dunst zieht noch durch die Kiefern. Ich beginne, in den Gärten nach Nahrung zu suchen, in einem der Gartenbeete finde ich eine alte Schirmmütze, die paßt, und mit der ich - hoffentlich - der örtlichen Bevölkerung mehr ähnele. Außerhalb finde ich eine Menge reifer Birnen. Der Tag zieht sich dahin, nichts zu tun als aufzupassen und zu warten. Endlich ist es dunkel genug, um mein Fahrrad hervorzuholen und weiter zu fahren; ich glaube, es ist besser, ich bleibe auf den Landstraßen.

 

Kein Anzeichen oder Laut von irgendjemandem, bis ich einige Häuser erreiche, wo mir ein Schild verrät, daß es sich um "Allenbach" handelt. Ich passiere das örtliche Gasthaus, dort gibt es fröhliche Stimmen, und ich beneide sie um die Wärme und Bequemlichkeit. Es gibt ein bißchen Mondlicht, als ich einen Hügelkamm entlangfahre (alte Landstraße oberhalb der heutigen Hauptstraße); es scheint ein wunderschönes Land zu sein, und dort unten im Tal wird eine neue Straße gebaut (Hauptstraße bis zur Kreuzung vor dem Erbeskopf). Aber ich muß mich jetzt umschauen nach einem Platz, wo ich den Tag verbringen kann. Schließlich erreiche ich raues Gelände und verlassene Gebäude (vermutlich Buhlenberger Steinbruch; lt. Pestridge Gebäude links der Straße und rechts etwas höher die eigentliche Fabrik). Ich biege ab und lasse ich bald schon nieder, um ein kurzes Schläfchen zu halten. Später am Morgen erkunde ich die Gebäude; hier wurde einmal Schiefer verarbeitet. Die rostenden Maschinen und zerbrochenen Fenster stehen schon seit Jahren verlassen. Der lange Tag vergeht.

 

In der Nacht fahre ich weiter, merke aber, daß ich nicht schnell genug vorwärts komme. Als ich deshalb den Bahnhof Birkenfeld erreiche, werfe ich das Fahrrad in einen Graben. Alles ist still, der Bahnhof liegt abseits, und ein Güterzug im Verschiebebahnhof scheint zur Abfahrt fertig zu sein. Ich warte in einem Versteck bis zum letzten Moment und springe dann in einen Waggon, der an einem Ende ein kleines Bremserhäuschen hat. Als der Zug den Güterbahnhof von Birkenfeld verläßt, kommt das Tageslicht mit einem bewölkten Himmel und einem Regenschauer. Nachdem wir ein paar Meilen gefahren sind, ist es immer noch früh am Morgen, als der Zug in einen anderen Güterbahnhof einfährt und anhält (hier fehlen ein paar Bahnhöfe: Birkenfeld - Neubrücke = nicht Reichsbahn-eigene Nebenstrecke; Neubrücke - Türkismühle = Reichsbahn; Türkismühle - Hermeskeil = Nebenstrecke nach Trier).

 

Einige Waggons werden abgekuppelt - meiner gehört dazu - und wir bleiben dort stehen, während der restliche Zug weiterfährt. Bei dem Güterbahnhof stehen Häuser, und ein paar Leute laufen herum. Ich eile die Schienen entlang und schaue mich nach einem Tagesversteck um. Schlieplich sehe ich eine Arbeiterhütte, die nicht benutzt wird, und nahe dabei ein großer Vorratsbehälter für Werkzeuge. Der Regen ist stärker geworden, und ich fühle, daß meine Kleider ihn aufsaugen und an mir festkleben und kalt werden. Etwas entfernt kommen Leute die Straße entlang den Schienen heran, der einzige wahre Schutz ist in dem Werkzeugkasten - er ist mehr wie ein großer Sarg - deshalb steige ich hinein und liege da, während Regentropfen durch die Ritzen der Brettern dringen.

 

Weiter die Straße hoch muß eine Schule gewesen sein, denn um Mittag eilten Kinder durch den Regen die Straße herab. Es wird ein langes unbequemes Warten darauf, daß der Regen nachläßt und die Dunkelheit meine Bewegungen verdeckt. Ich folge dem gleichen Weg zurück zur Station und dem Güterbahnhof und schaue nach einem Zug, der nach Süden Richtung Saarbrücken fährt. Da steht eine Maschine, die gerade unter Dampf gesetzt wird, und eine lange Reihe von Waggons. In der Mitte find ich einen leeren Waggon für Zugbegleiter, unbenutzt, im Gegensatz zu einem gut beleuchteten (well-lit) Waggon weiter hinten im Zug. Ich bin naß, müde und hungrig, die Versuchung einzusteigen ist groß, und ich gebe ihr nach. Ich hänge meine Wasserflasche an einen Hebel an der Waggonwand und klettere auf die oberste Koje im leeren Waggon. Eine halbe Stunde vergeht, dann höre ich Stimmen - zwei oder drei Männer kontrollieren die Kupplungen und Bremsen; an meinem Waggon gibt es ein lautes Zischen, dann raue Kommentare. Die Tür öffnet sich, und ein Mann kommt herein; dummerweise habe ich meine Wasserflasche an den Hebel des Bremsventils gehängt, er wirft sie beiseite, als er das Ventil schließt. Dann kommt ihm etwas komisch vor, und er scheint mit seiner Taschenlampe durch den Wagen - meine Füße auf der oberen Koje fangen das Scheinwerferlicht ein - plötzlich gibt es viel Geschrei und Aufregu jhgf ng. Die Zugmannschaft ist sehr nett und herzlich, in ihrer Hütte gibt es einen warmen Ofen, ich bin zu müde, um auch nur zu versuchen zu entkommen.

 

Drei der Männer sind nett und freundlich, aber einer von ihnen ist  ein strenges Parteimitglied, so vermute ich, der mich am liebsten aufhängen würde. Er nötigt die anderen, mich als gefährlichen Feind zu behandeln, obwohl sie gar nicht wissen, wer ich bin. Dankenswerterweise lehnen sie ab und ignorieren sein Gespräch. Dann kommt einer der örtlichen Eisenbahnbeamten, er sieht wichtig und professionell aus in seiner Uniform und im Regennerz. Nachdem er von den Männern gehört hat, wie ich gefunden wurde, spricht er erst in Deutsch, dann Französisch und Englisch. Ich mache ein ausdrucksloses Gesicht - bis er annimmt, ich sei ein russischer Flüchtling. Ich wittere eine gefährliche Situation, deshalb gebe ich zu, daß ich ein englischer Flieger bin. Ein Seufzer der Erleichtung geht durch die Runde - außer bei dem Parteimitglied, der mich einen "Terror Flieger" nennt. Ich kann nun mit dem Beamten reden, der mir in gutem Englisch sagt, daß er der Leiter der Passagierabteilung in Luxemburg gewesen sei. Wir gehen durch den Regen zu den Büros des Bahnhofs. Es ist der Bahnhof Hermeskeil im Hochwald - Teil der Siegfriedlinie.

 

Eine junge Frau, die in einem der Büros arbeitet, bietet mir eine Tasse Ersatzkaffee an. Kurz darauf erscheint der Bahnhofsvorsteher, ein sehr netter Mann in mittlerem Alter, dessen Englisch viel besser ist als mein Deutsch. Wir gehen in sein Büro und reden miteinander - er war Ingenieur und kannte Coventry gut, er hatte beim Bau der Siegfriedlinie in der Todd-Organisation mitgearbeitet. Er sagt mir, es sei seine Pflicht, mich an die örtliche Polizeistation weiterzumelden, die kommen und mich abholen würde.

 

Im Sack

 

Wir mußten nur ein bißchen warten, bevor die Tür aufflog und zwei Männer hereinstampften. Einer war sehr groß und hatte ein grobes rotes Gesicht. Er füllte seine schmutzige, hellblaue Uniform gut aus und hatte seine Pistole gezogen. Der zweite Mann war klein und dunkelhaarig und trug eine kleine Schirmmütze; er sah aus wie ein Büroangestellter oder Postbeamter, der zeitweise als Polizist arbeitet. Ich war versucht loszulachen, weil ich an eine komische Oper denken mußte. Der Große fing an, Befehle zu brüllen, und wollte meine Taschen durchsuchen. Er stellte Fragen an alle Anwesenden darüber, was ich gesagt und getan hatte. Dann - immer noch mit gezogener Pistole - marschierten wir aus den Bahnhofsbüros und den Hügel hinauf ins örtliche Gefängnis. Die Zelle war dunkel, feucht und kalt. Ich schaffte es, auf einer rauhen schmutzigen Matraze eine Stunde lang oder so zu schlafen, bevor der Tag anbrach. Ich wusch mich kurz mit kaltem Wasser, dann ins Gefängnisbüro, wo ich zusah, wie meine beiden Wächter Sandwiches mit kaltem Braten aßen, bevor sie mich zurück zum Bahnhof brachten. Als die Sonne aufging, fuhr der Zug ein; es wurde wenig gesprochen, als Rotgesicht sicherstellte, daß wir ein Abteil für uns allein hatten. Nach einiger Zeit hielt der Zug wieder an ich glaube, es war "Osburg", wo Rotgesicht kurz nach draußen ging. Ich bat den kleinen Polizisten um etwas zu trinken, aber er sagte, das sei nicht möglich, und fügte hinzu, daß der örtliche Polizeioffizier ein strenger und verbitterter Mann sei, von dem er glaubte, er sei schon im Ersten Weltkrieg ein Kriegsgefangener gewesen. Der andere kehrte zurück, und es herrschte Stille, als der Zug weiterfuhr. Bald erreichten wir den Trierer Bahnhof. Es war ein sonniger Sommersonntagmorgen. Es war ein richtig zivilisierter Anblick, ziemlich viele Leute in ihren besten Kleidern und Kirchenglocken in der Ferne. Meine Polizeieskorte salutierte, als ein Offizier in sehr eleganter Uniform uns am Bahnsteig traf.

 

Es war ein seltsames Gefühl, zwischen den beiden Polizisten durch die Straßen zu gehen, während der Rest der Leute den freien Sonntag genoß. Wir kamen zu einem großen und beindruckenden Gebäude, vielleicht das Rathaus der Stadt. Wir betraten es durch eine kleine Seitentür und stiegen eine dunkle Treppenflucht hinauf, in der Telefonkabel verliefen. Oben war ein Durchgang mit einer festen Tür. Nachdem an ein Fenster an der Seite geklopft worden war, schwang die Tür offen, und ich wurde hineingestoßen und an einige ziemlich unangenehm aussehende Männer übergeben. Sie waren das, wonach sie aussahen - die Gestapo. Ich wurde gründlich durchsucht und erhielt Handschellen, allerdings konnte ich ein paar Sachen wie einen Kompaß, ein Taschenmesser und die Uhr verbergen. Ein bißchen später brachte man mich in ein Büro, wo ich vor einem Gestapo-Offizier in voller Uniform stand. Ein viel jüngerer Polizist fungierte als Übersetzer. Ich erfuhr, daß sie nicht glaubten, ich sei ein englischer Flieger - ich sei ein Spion. Wo sei meine Ausrüstung und das Funkgerät, wen sollte ich treffen und wo?? Es schien eine lange Sitzung zu werden, bestehend aus Argumenten und gebrüllten Fragen. Der Übersetzer konnte nicht viel Englisch und trug mit zu der Verwirrung bei. Es gab die üblichen Drohungen wie "am nächsten Morgen erschossen werden" und die einfache Erwiderung, sich mit meinem Rang und Nummer zufriedenzugeben. Schließlich kam ich zurück in den Empfangsbereich, wo mich die Gestapo intensiv beobachtete. Die Zeit verging, es gab keine Unterhaltung, nichts zu essen und nichts zu trinken.

 

Schließlich gab es ein bißchen Aufregung und eine Diskussion an der Eingangstür, als zwei Unteroffiziere der Luftwaffe erschienen. Sie waren gekommen, um mich abzuholen und baten darum, die Handschellen abzunehmen und mich in ihre Obhut zu überstellen. Die Gestapo gab sich zögerlich, und es wurde telefoniert, und es gab harte Worte, aber nachdem Dokumente ausgetauscht worden waren, führten mich die beiden Feldwebel aus diesem Hauptquartier hinaus. Einer sprach gut Englisch und erzählte mir, sein Vater sei Dozent am Imperial College in London gewesen, bevor man ihn internierte, als der Krieg begann. Sie sagten mir, ich habe Glück gehabt, die Gestapo habe mich behalten wollen, aber der Bahnhofsvorsteher von Hermeskeil habe der Luftwaffe die Umstände mitgeteilt, und ich wäre nun ihr Kriegsgefangener. Wir gingen langsam zum Heeresgefängnis. Es war einmal ein Kloster gewesen, lag auf einem Hügel über einem Fluß, umgeben von Gärten und grünen Feldern.

 

Der diensttuende Feldwebel war herzlich und professionell. Er brachte mir schnell eine Platte mit Lebensmitteln und Kaffee. Ich wurde die Treppe hinauf zu meiner Zelle geführt. Es war ein kleiner Raum im obersten Stock. Unter viel Gelächter wurde mein Name außen auf ein Brett geschrieben: "Der Englisher Major". Ich durfte das Fenster eine Zeitlang öffnen. Es war ein wundervoller Blick über die Mosel, als die Sonne unterging, süße frische Luft, die Glocken der Kathedrale und Friede - der Krieg schien so weit entfernt zu sein von diesem Kloster. Ich schlief gut, und am nächsten Morgen kamen die Luftwaffefeldwebel, um mich abzuholen. Wir unterhielten uns, als wir mit der Straßenbahn zum Flugfeld der Luftwaffe im Außenbereich von Trier fuhren. Sie sagten mir, es sei eine Übungsstation für Piloten. Ich wurde ganz formell im Wachraum "abgegeben", später brachte man mich zum Büro des kommandierenden Offiziers. Er war streng und tüchtig, ohne Unsinn zu treiben, sein Englisch war gut, und seine Fragen kurz. Er gab sich mit meinen Antworten zufrieden. Ich wurden meinen beiden Feldwebeln übergeben und zurück in mein Quartier gebracht. Nachdem ich mich gründlich gewaschen, rasiert und meine Kleider in Ordnung gebracht hatte, wurde die Zeit knapp, denn wir mußten einen Zug nach Frankfurt erreichen. Wir drängten uns durch die Menge am Bahnhof. Einige waren Flüchtlinge aus zerbombten Städten, andere kehrten zur Arbeit zurück. Schließlich fuhr der Zug ein, und wir fanden ein komfortables Abteil. Die Reise verlief ohne Zwischenfälle. Wir kamen in Frankfurt bei strahlender Sonne an. Meine Eskorte fand schnell einen Stand der Armee und besorgte ein paar Tassen Kaffee. Schließlich eine kurze Fahrt zum Dulag Luft nach Oberursel, meinen beiden Luftwaffeunteroffizieren Lebewohl gesagt, und man nahm mich auf - ein weiterer Kriegsgefangener.

 

Epilog

 

Ich muß ziemlich schmutzig und zerzaust ausgesehen haben, als ich gefangen genommen wurde. Dennoch war jeder verständnisvoll und sogar freundlich - die deutsche Armee und Luftwaffe waren absolut korrekt und professionell, die Menschen in den Zügen und Bahnhöfen und sogar die Mädchen, mit denen wir am Bahnhof in Trier gesprochen haben - sie waren aus Wuppertal evakuiert worden, betonten die „Nähe zwischen unseren beiden Ländern“. Nur die Männer der Gestapo und die Fanatiker der Partei waren glücklich mit dem Krieg und voller Hass. Diese Atmosphäre war noch am Ende der Feindseligkeiten ganz offensichtlich. Ab September 1943 war ich fast ein Jahr lang im Stalag Luft 3 in Sagan in Polen, bis ich in ein neues Lager nahe Belaria verlegt wurde. Im Februar 1945 - kurz bevor der Schnee schmolz - mußten wir 60 km weit bis nach Cottbus marschieren (die Wachen schimpften immer über diese “unordentlichen britischen Offiziere). Von dort organisierte man einen Transport in das riesige Kriegsgefangenenlager in Luckenwalde, etwa 50 km südlich von Berlin. Gegen Kriegsende wurde das Lager von russischen Truppen überrannt. Wir übernahmen die Leitung; als wir die Russen nach Nahrung fragten, sagten sie: „Geht aufs Land und sammelt es Euch von den Bauernhöfen“. In unserer Lagerleitung war ich für die Gebäude und die sanitären Einrichtungen zuständig. Nach einer heftigen Diskussion von Churchill mit den Russen schickte man uns Lastwagen, die uns nach Wittenberg brachten. Allierte Streitkräfte brachten uns zum Flugfeld der Luftwaffe in Halle, und von dort flogen wir in Transportflugzeugen der Royal Air Force nach England.

 

Damit waren meine Tage als Kriegsgefangener zu Ende.

 

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