Schriftzug
St. Wendelin -> Die Magdalenenkapelle in St. Wendel -> Die Fräulein Lehrerinnen

 

 

Neben normalsterblichen Mietern werden in dem großen Gebäude auch Dienstwohnungen für Lehrerinnen eingerichtet. Doch sollte sich die Stadt damit ausgerechnet haben, die meist älteren Damen günstig unterbekommen zu haben ? nun, dann hat sie sich geschnitten. Aus den Jahren ab 1909 liegt uns etlicher Schriftverkehr vor, vor allem von einer Lehrerin namens Fräulein Elisabeth Theisen. Sie weiß auf jeden Fall, was sie will, und scheut sich auch nicht, das durchzusetzen:

 

?St. Wendel dem 21. März 1910.

An Herrn Bürgermeister Friedrich, St. Wendel-Stadt.

Durch Herrn Stadtbaumeister Krekeler ist ihnen wohl bekannt, daß ich eine von den neuen Wohnungen im alten Mädchen Schulhaus gewählt habe, um dieselbe nächstens persönlich zu beziehen. Seit dem 11. März bin ich aber krank und kann jetzt noch nicht den ganzen Tag außer Bett sein.

 

Mein Arzt, Herr Doktor Baltes, dem ich von dem bevorstehenden Umzug sagte, hat die neue Wohnung selbst gesehen und mir erklärt, ich dürfe erst dann die fragliche Wohnung beziehen, wenn dieselbe ganz trocken sei, und das werde sich wohl noch Monate lang hinziehen. Inzwischen müsse die Stadt für die Mehrkosten, die mir erwachsen, wenn ich mich anderswo einquartieren muss, aufkommen. Jetzt stand ich vor einer mir sehr peinlichen Sache. Es kam mir nun der Gedanke, die Leute, die meine jetzige Wohnung gemietet haben, zu fragen, ob sie mir die Wohnung lassen und dafür in meine neue Wohnung ziehen wollten. Herr Lokomotivführer Stauder und Frau waren dann auch deswegen gestern bei mir und erklärten, meine neue Wohnung im früheren Schulhaus anzunehmen.

 

Um die Leute nicht noch einmal wie früher weiter hinzuhalten, sagte ich ihnen die Wohnung zu mit dem stillschweigenden Bewusstsein, daß Sie, Herr Bürgermeister, mit meinem Vorgehen zufrieden sein werden. Ich darf mich wohl auch auf die Annahme stützen, das man mir die Erlaubnis, die Dienstwohnung zu vermieten, ebenso wenig verweigern wird, wie der Kollegin Fräulein Pistorius. Ich habe ja den guten Willen gezeigt, die Dienstwohnung persönlich beziehen zu wollen und hoffe so die beste Lösung des Rätsels gefunden zu haben. .

Indem ich um gütige Entschuldigung bitte, zeichne ich

hochachtungsvoll ergebenst

Elise Theisen, Lehrerin.?

 

 

Sie erhält eine recht harsche Antwort:

 

?An Fräulein Lehrerin Theisen, hier.

 

Auf ihr Schreiben vom 21. des Monats erwidere ich Ihnen, daß die für sie bestimmte Dienstwohnung nach dem Gutachten des Herrn Stadtbaumeisters vom 1. des Monats in durchaus bezugs - und bewohnbaren Zustand sich befinden wird, daß die Stadt ihnen aber selbstverständlich die gleiche Vergünstigung einräumt wie Fräulein Pistorius dahingehend, das ihnen gestattet wird, ihre Dienstwohnung an einen der Stadt genehmen Mieter weiter zu vermieten. Als solcher kann aber, wie dies auch Fräulein Pistorius zur Bedingung gemacht waren, nur ein kinderloses Paar oder solches mit höchstens einem Kind infrage kommen. Der von Ihnen genannte Mieter muss daher unter allen Umständen abgelehnt werden. Ich gebe Ihnen daher anheim, einen anderen Mieter der Stadt zu präsentieren oder aber die Dienstwohnung selbst zu beziehen. Ein Inserat in den hiesigen Zeitungen hätte Ihnen, daran zweifle ich nicht, ein Dutzend geeigneter Mieter zugeführt. Auch hätte die Stadt, wenn Sie früher ihre Absicht kund gegeben hätten, die Wohnung der neuernannten Lehrerin Fräulein Alsfasser überweisen können. Also nicht an der Stadt, sondern an Ihnen liegt die Schuld, wenn die Angelegenheit nicht schon heute in Ihrem Sinn erledigt ist.?

 

Aber das Fräulein Lehrerin läßt sich nicht unterkriegen:

 

?St. Wendel, den 28. März 1910

An Herrn Bürgermeister Friedrich, St. Wendel

 

Hierdurch die ergebene Mitteilung, daß ich mich genötigt gefunden habe, bei den Franziskanerschwestern zu mieten. Für die mir angewiesene Dienstwohnung weiß ich noch keinen geeigneten Mieter. Ich stelle Ihnen daher die Dienstwohnung zur gefälligen Verfügung, weil Sie gewiss eher einen Ihnen genehmen Mieter finden werden. In diesem Falle dürfte ich wohl bitten, mir die Wohnungsmiete gütigst überweisen zu wollen, anders ich nach einem Mieter suchen muss.

Um baldige gefällige Entscheidung bittet hochachtungsvoll ergebenst

Elise Theisen, Lehrerin.?

 

Die Stadt zeigt Initiative:

 

?St. Wendel 30.3.1910

An Fräulein Lehrerin Theisen, hier.

 

In Erledigung ihres Schreibens vom 28. vorigen Monats nehme ich Bezug auf die heute Abend in den hiesigen Blättern erscheinende Anzeige. Die Wohnung steht Ihnen vom 1. April ab zur Verfügung. Etwa eingehende Miete fließt Ihnen zu, wie Sie auch mit dem etwaigen Mieter den Mietzins zu verabreden haben. Die Stadt behält sich lediglich das Recht vor, zu entscheiden, ob der Mieter genehm ist.?

 

Im März 1911 meldet sich Fräulein Theisen wieder:

 

?Hiermit die ergebende Mitteilung, daß ich mit dem nächsten 1. April die mir zugesicherte Dienstwohnung selbst beziehen werde. Da in derselben aber keine Ölöfen vorhanden sind, so möchte ich bitten, mir für den genannten Termin je einen Ofen fürs Wohnzimmer und fürs Schlafzimmer sowie einen Gaskocher für die Küche gütigst beschaffen zu wollen. Einen Küchenherd für Kohlen habe ich selbst noch. 

Hochachtungsvoll  Elisabeth Theisen, Lehrerin?

 

Die Stadt stellt dazu fest, ?daß für die Fräulein Theisen die zwei erforderlichen Ölöfen beschafft worden sind und bis 1. April dieses Jahres in der Wohnung aufgestellt wurden. Der angeforderte Gaskocher wird erst beschafft, nach dem das (Gas-)Werk in den Besitz beziehungsweise Betrieb der Stadt übergegangen ist.?

 

Fräulein Theisen setzt am 19. März gleich noch einen Brief hinterher:

 

?Wie bereits gemeldet, bin ich im Begriffe, mit April meine Dienstwohnung selbst zu beziehen. Ich bin nun genötigt, meine Haushaltung wieder vollständig einzurichten und muss deshalb eine Person für immer zu mir nehmen. Nachträglich war ich in den Wohnungsräumen, die ja in dankenswerter Zustand hergestellt sind. Allein, wie ich sah und hörte, ist keine Waschküche vorhanden, die ich bei früheren Dienst- und Privatwohnungen stets vorfand. Raum dazu ist ja jetzt dar. Auf dem Speicher befindet sich eine kleine Mansarde, die für vier Lehrerinnen doch nicht ausreicht. Es ist wohl auch nicht angängig, dieselbe einer Lehrerin allein anzuweisen, außer den beiden Mansarde ist alles noch offener Speicher, der jedem, der hinauf geht, freisteht. Man hat viele Sachen, die man in den Wohnräumen nicht unterbringen kann. Deshalb ist ein verschließbare Raum durchaus nötig. An Raum fehlt es hier nicht, für jede Lehrerin eine eigene Mansarde herzurichten. Soviel ich mich erinnere, ist mir im vorigen Jahr zu den unteren Wohnräumen ein Dachzimmer versprochen worden. Darf ich mir auch erlauben, daran zu erinnern, daß unsere Wohnungsmieter auf 53 DM erhöht ist, also soviel beträgt wie der Mieter Schneider in demselben Hause bezahlt, der die große Mansarde und den großen Keller zu seinen Wohnräumen hat, wogegen ich mit einer Kollegin den kleinen Keller teilen muss. Bitte mir diese Zeilen nicht übel nehmen zu wollen, denn ich glaube, nichts Unrechtes zu verlangen, wenn ich Euer Wohlgeboren versuche, möglichst bald veranlassen zu wollen, daß die Waschküche und die Mansarde eingerichtet werden.

Hochachtungsvoll ergebenst         Elisabeth Theisen, Lehrerin?

 

Ihre Kolleginnen lassen sich da nicht lumpen:

?Der Bitte um Waschküche und Mansarde schließen sich ergebenst an die Lehrerinnen M. Steinbach, C. Winandy und M. Pistorius?.

 

Jetzt geschieht lange gar nichts, weshalb sich Fräulein Theisen ein halbes Jahr später am 13. Oktober 1911 wieder an den Bürgermeister wendet:

 

?Sollen die Dienstwohnungen Anspruch auf Vollständigkeit machen können, so müssen die oben genannten Zugaben dabei sein. In Ermangelung der Waschküche muss die Wäsche in der Wohnungsküche gekocht und gewaschen werden, was für die ganze Wohnung wegen des Dunstes schädlich ist, da sehr bald die Tapeten verdorben werden. Eine der Lehrerinnen bittet auch um einen ordentlichen selbstständigen Keller.?

 

Gut drei Jahre später geht Fräulein Theisen in den wohlverdienten Ruhestand:

 

?St. Wendel den 9. Februar 1914.

An Herrn Bürgermeister Friedrich, St. Wendel-Stadt.

 

Wie ich weiß, ist Ihnen bekannt, daß sich zum 1. Juli des Jahres in den Ruhestand zu treten gedenke, dann werde ich natürlich auch meine bisherige Dienstwohnung räumen müssen. Es bietet sich mir aber schon zum 1. April hier in der Nähe eine passende Wohnung, die ich gerne für diesen Zeitpunkt mieten möchte. Selbstverständlich will ich mir die Mietentschädigung für das nächste Vierteljahr sichern, wenn ich meine Wohnung im Schulhaus abtrete. Für jeden Fall stelle ich Ihnen hiermit meine jetzige Dienstwohnung zum 1. April zur Verfügung, damit ich mir die in Aussicht stehende Wohnung fest mieten kann. Sollten sie gegen diesen Plan etwas einzuwenden haben, so bitte ich mir möglichst sogleich Bescheid zugehen zu lassen. Anderenfalls denke ich, daß Sie mit der Sache einverstanden sind und will Sie nicht weiter bemühen.

Ergebenst

Elisabeth Theisen, Lehrerin?

 

 

Von den Lehrerinnern lesen wir noch einmal, nicht von Fräulein Theisen, sondern von Fräulein Steinbach ? in einer sehr prekären Angelegenheit:

 

?St. Wendel, den 14. September 1918. An das städtische Bauamt.

Der Wasserbehälter am Klosett der ersten Etage im alten Schulhaus ist während der Ferien durchgerostet, so daß er kein Wasser mehr hält und das Klosett unter Wasser steht. Ich bitte, bald einen Arbeiter zu schicken, daß der Schaden ausgebessert wird.?

 

Ich glaube kaum, daß dieser Topf das Faß zum Überlaufen brachte, aber drei Jahre später sind alle Lehrerinnen aus dem Haus verschwunden, ebenso jeder sonstige Mieter.

 

=> Finanzamt, Parteizentrale und Bücherei

 

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