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Geschichte(n) -> Apotheken in St. Wendel

Eine kleine Geschichte der St. Wendeler Apotheken

 

von Roland Geiger

 

 

Apotheken gibt es in St. Wendel schon seit über 250 Jahren.

 

Davor wurden die Arzneien von den Ärzten selbst hergestellt. Als am 26. Februar 1658 der St. Wendeler Wundarzt und Organist Peter Scherer gen. "Kepper" oder "Keuper" und seine Ehefrau Anna Agnes einen Erbvertrag schließen, wird darin vereinbart: "Wenn Peter vor seiner Hausfrau stirbt, soll sie alle fahrende Habe erhalten, die er von ihr hatte, ausgenommen seine Arzneibücher, die jemand haben soll, der die Arzneikunst lernen möchte." [1]

 

Max Müller schreibt, daß man besondere Arzneien aus benachbarten Apotheken, z.B. aus Homburg, holen ließ. Aus dem Jahre 1625 meldet uns die St. Wendeler Gemeinderechnung, daß man den Stadtrechner Hans Rüssen und Hans Demuth für "die Besorgung der Arznei nach Reichenbach" geschickt hatte, dabei entstanden Ausgaben von 1 Thaler 6 albus. Da die beiden Männer über Nacht wegblieben, kamen weitere 2 Thaler 6 albus hinzu. Leider erfahren wir nicht, um welche Arznei es sich handelte und wer sie benötigte. [2]

 

Die sonst üblichen Heilmittel lieferten fahrende Händler. So, wie heute noch auf den großen St. Wendeler Märkten Gewürze und Kräuterbonbons angeboten werden, so boten auch in früherer Zeit die Händler und Krämer ihre Gewürzmischungen und Arzneien an. Beispielsweise wird in der Liste der Schuhmacherzunft aus dem Jahre 1582 eine Margarethe, "abraham würtzß Kremer sein Haußfrauwe", genannt. Noch 1786 waren in St. Wendel die Enziankrämer aus Tirol so zahlreich, daß sie die Vergabe ihrer Stände um die Wendalinuskirche untereinander auslosten mußten. Allerdings dürfte der von Max Müller genannte "Kräutler Barthel" nichts mit diesem Geschäft zu tun gehabt haben, denn er war Glaser und taucht in der Amtsrechnung von 1652 auf, als er in der oberen Stube des Hirtenhauses ein Fenster repariert. [3]

 

Der älteste bekannte Apotheker in unserer Stadt hieß Johann Braun. Er stammte aus Trier und ließ sich schon vor 1747 in St. Wendel als "Appodecker" nieder. Seine Ehefrau Maria Magdalena starb am 24. September 1747 bei der Geburt ihrer Tochter Maria Magdalena. Der Sterbeeintrag gibt den Beruf ihres Ehemannes mit "Apothecarii in Sto. Wendalino" an. Im darauffolgenden Jahr brachte am 10. November 1748 Brauns zweite Ehefrau Margaretha wieder eine Tochter zur Welt, die Margaretha Josefina genannt wurde. Ein Register vom 30.12.1747 nennt ihn mit Namen und Berufsbezeichnung "Hr. Appodecker Braun" [4]. Am 20. September 1749 verzog er nach Trier. Dort erhielt er am 14. Februar 1750 ein Privileg zur Errichtung einer Apotheke in Trier, der letzten noch im Kurstaat genehmigten Apotheke der Stadt.

 

Julius Bettingen vermutet, daß er gleichzeitig auch praktischer Arzt war. Das widerspricht zwar der damals schon seit 500 Jahren gesetzlich festgelegten strikten Trennung zwischen Arzt und Apotheker, doch scheint es im Amt St. Wendel durchaus übliche Praxis gewesen zu sein. Dies sehen wir am Beispiel von Nikolaus Steininger (1757-1810).

 

Steininger verließ früh sein Elternhaus und schloß sich einer umherziehenden Künstlergesellschaft an, bevor er zum Militär ging. Dort arbeitete er in einem Militärlazarett als Gehilfe des Chirurgen. Hier eignete er sich so viele chirurgische Kenntnisse an, daß er sich nach mehrern Jahren, nach seinem Austritt aus dem Militärdienst, in St. Wendel als Feldscher (Wundarzt) niederlassen konnte. Er nannte sich in einem Schreiben vom 10. Juni 1788 caracterisirter Amts Chirurgius et Medicinae practicus.

 

Im Jahre 1797 wollte der Königlich-Kaiserliche Feldapotheker Herrmann Gottfried Knaps aus Niederachern, Grafschaft Ortenau, in St. Wendel eine Apotheke gründen. Er legte ein Zeugnis vor, wonach er im Jahre 1791 als Feldapotheker in Temesvar und 1792 in Baden gestanden, auch als Provisor die Apotheke zu Oberkirch versehen habe [5]. Sein Gesuch wurde aber am 5. April 1797 abschlägig beurteilt, weil sämtliche Krämer mit dergleichen Medikamenten versehen seien und auch weil der Amts=Chirurgus Steininger eine kleine Apotheke eingerichtet habe, welche er erweitern wolle, sobald die Zeiten wieder friedlicher werden.

 

Steininger

 

Einer von Steiningers Söhnen war der bekannte Dr. Nikolaus Steininger. Er hatte die Apothekerkunst erlernt, und stand, nachdem er die Apotheke zu Saarburg bereits selbstständig verwaltet hatte, eben im Begriffe, eine zweite Apotheke in St. Wendel, seiner Heimatstadt zu errichten.

 

Seine Mutter Elisabeth Steininger geb. Wassenich hatte am 3. Novwember 1820 eine entsprechende Eingabe dem Stadtrat vorgelegt. [6] Sie habe ?die Ehre vorzustellen, daß sie als Witwe nun eilf Jahre eine beschwerte Haushaltung in drückender Zeit geführt und keine Aufopferungen gescheut hat, fünf bey Tode ihres Mannes noch unmündige Kinder rechtschaffen zu erziehen. Ihren Sohn Nicola Steininger ließ sie die Apothekerkunst erlernen, um in ihm künftig eine Stütze zu haben.? Ihr Sohn betreibe seit einem halben Jahr die Apotheke in Saarbourg bei Trier, schreibt sie weiter, und führte als weiteres Argument das unfaire Monopol der einzigen bisherigen Apotheke in St. Wendel an.

 

Der Stadtrat befragt seinen ortsansässigen Spezialisten, den Kreisphysikus Dr. Machry, und bittet ihn um eine fachliche Stellungnahme in diesem Fall. Machry fallen auch gleich zwei gute Gründe ein, die gegen die Annahme des Steiningerschen Gesuches sprechen. Zum einen ? so schreibt er in seiner Stellungnahme vom 13. November, sei das Gesuch unstatthaft, weil noch nie jemand eine Apotheke eingerichtet, der nicht selbst gelernter Apotheker sei. Er bezieht sich auf die Preussische Apothekenordnung. Außerdem sei der junge Steininger noch zu jung, geb. 22. Pluviose 7, also am 13.02.1799, demnach erst 20 Jahre 9 Monate alt. Er müßte aber nach Art. 8 mindestens acht Jahre praktiziert haben.

 

Der Stadtrat erklärt in seiner Sitzung am gleichen Tage:

?In Erwägung, daß das Monopol der einen Apotheke für jene welche derselben bedürftig sind, äußerst nachteilig ist, in dem man weder die Wahl zwischen guther und beßerer Waare hat, und mit jedem Preiß zufrieden seyn muß, den der alleinige Apotheker fordert, welches alles bey einer Concurrenz aufhört.

 

In Erwägung, daß die Errichtung einer zweiten Apotheke aus obiger Hinsicht, nicht nur für das allgemeine nützlich, sondern auch für die Wittwe Steininger den Lohn ihrer Bemühungen sichert, welchen sie an die ausgezeichnete Erziehung ihrer Kinder verwendet hat.

 

In Erwägung, daß deren Sohn die Apothekerkunst erlernt hat, und dadurch, daß ihm von seiner Behörde eine Apotheke in Saarburg anvertraut worden, seine Fähigkeit hinlänglich beweißt

 

In Erwägung, daß die Errichtung einer zweiten Apotheke schon lang der allgemeine Wunsch war.

 

In Erwägung aber, daß bey einer Concurrenz in Hinsicht der Herabsetzung der Preiß schlechte Waren herbeigeführt werden könnte,

 

wünscht (der Stadtrat), daß

1. eine zweite Apotheke dahier errichtet werden

2. dieselbe unter der Fa. Wittib Steininger durch ihren Sohn nach abgehaltenem Examen und anch Anerkennung seiner Tauglichkeit geführt werde

3. daß aber zur Verhütung alles eintretenden Neides und Privatvorteils worunter das allgemeine Beste leiden würde, wenigstens alle halbe Jahre beide Apotheker visitirt, und sich von der Aechtheit der Waren überzeugt werden möchte."

 

Steininger legte zehn Zeugnisse vor, die samt und sonders zu seinen Gunsten ausfallen.

 

Darunter ist ein Schriftstück, ausgestellt von Hermann Gottfrid Knaps, patentisirter Apotheker zu Bliescastel. Nicolas Steininger, Sohn des verlebten Nicolas Steininger, Gesundheitsbeamter in St. Wendel, habe bei ihm die Apothekerkunst erlernt und war zwei Jahre und vier Monate in der Lehre. Er habe immer zu seiner vollkommenen Zufriedenheit gearbeitet und dabei ein Lehrgeld 30 louis d?or bezogen. Oder hat er das bezahlen müssen?

 

Die anderen Zeugnisse werden durch Herrn Gerlinger, Apotheker und Medicinalassessor in Trier, F. Lhr. Fritz, Apotheker in Mellrichstadt bey Sachsen, J. V. Niethammer, Pharmacien in Wasselonne, Frankreich, Joh. Cirilly aus Möhrs bei Nürnberg, Kreisphysicus Schneiders, M: Dor, Saarburg und Friedrich v. Dercum, Apotheker in Bliescastel, ausgestellt. Schließlich gehört noch ein Zeugnis von Steinigers Bruder Johann dazu, Lehrer der physischen Wissenschaften am Trierischen Gymnasium, hinzu. Er bescheinigt, daß sein Bruder Nicolas im verflossenen halben Jahr "während ungefähr dreyer Monate täglich Privatunterricht in der Chemie bey ihm genommen" habe.

 

Der Stadtrat hatte also zugestimmt, aber Steininger überlegte es sich anders und faßte den Entschluß, Medizin zu studieren, welchen er dann auch mit großem Eifer und in kürzester Frist ausführte, worauf er sich dann als praktischer Arzt und Wundarzt in St. Wendel niederließ.

 

Bevor wir weiter in der St. Wendeler Apothekengeschichte fortfahren, bleiben wir noch einen Moment bei Dr. Machry, der ungefähr zur gleichen Zeit auch bei einem anderen Gesuch um seinen fachlichen Rat gebeten worden war.

 

Am 11. September 1818 hatte ein älterer Herr namens Wendel Müller das Gesuch gestellt, im heute pfälzischen Grumbach, das damals wie St. Wendel zum Fürstentum Lichtenberg gehörte und damit in Machrys Zuständigkeitsbereich fiel, eine Apotheke errichten zu dürfen. Dr. Machry erhielt am 26. Juni 1819 den Auftrag, Christian Müller auf seine Tauglichkeit als Apotheker zu prüfen. Machry legt darüber am 18. April 1820 einen Bericht ab:

 

?Eine Hohe Landeskommission hatte unter dem 14ten 7ber 1819 No 3463 den Unterschriebenen von Einem Hohen Ministerial-Rescript vom 25ten Juni 1819 in Kenntnis gesetzt, nach welchem dem Herren Christian Müller von Grumbach die Erlaubnis zur Errichtung einer Apotheke sollte gegeben werden, wenn er in einer mit ihm anzustellenden theoretischen und praktischen Prüfung würde bestanden haben. Den 25ten 7ber gab ich von diesem Hohen Rescript dem Herrn Müller Nachricht. Er bath anfangs um einen Aufschub wegen Familienangelegenheiten; später wollte ich den bejahrten Mann wegen des rauhen Winters schonen. Den 21ten März lezthin bestimmte ich ihm nach einigen Vorfragen, den 15ten April zum Examen. Ich legte ihm über allgemeine theoretische Vorkenntnisse in der Chemie und Botanik nach und nach 11 Fragen schriftlich vor, um selbige ebenfalls schriftlich zu beantworten. Sie folgen hier in der Beylage. Ich kann nicht sagen, daß sie gut beantwortet wurden; sie waren zu kurz, und zu schief abgefertigt. Was aber die praktischen Fragen und Handgriffe anbelangt, worüber ich in der hiesigen Apotheke mit ihm eine Uebung vornahm, so muß ich gestehen, daß er hierin Genüge leistete. Ich trüge demnach, ungeachtet der unzulänglichen Beantwortung der theoretischen Fragen, bey einer Hohen Landescommission mit Rücksicht auf sein Alter, seine Lage, und sozusagen selben Besitzstand, darauf an, daß ihm die Errichtung einer Apotheke in Grumbach gestattet werde. Die Apotheke solle unter der vorschriftsmäßigen Bestimmungen errichtet, in Ordnung gehalten werden, er dörfe darin kein Arzneystoff fehlen, welcher in der Series medicaminum, quae in officinis minoram oppidorum postabunt, Berolini 1818, enthalten ist. Außer dieser Series dörfe er aber weiter sich anschaffen, was er für seine Umgebung zweckdienlich erachtet. Er habe für das Disciplinarische der Apotheke sich an die Preussische Medizinal-Verfassung von Dr. Augustin, Berlin 1818, II. Bde 8, und an die Preußische Taxe und das Dispensatorium zu halten.

 

Ihm müsse aber nicht die Note vorenthalten werden, daß theoretische Kenntnisse nicht bloß eine zierliche Zugabe des Apothekers, sondern eine sehr nöthige wäre, und daß man hoffe, der Landesphysicus werde zu seiner Zeit bey einer Umreise sich davon überzeugen, daß Müller das in der Theorie Versäumte noch fleißig werde aufgeholt haben. Ferner wird das in mehreren Gegenden eingeführte Rezeptenbuch, enthaltend eine fortlaufende Abschreibung aller verfertigten aerztlichen Verschreibungen mit Angabe des Datums, des Kranken, des Preisses, und des ordinirenden Arztes, ihm zu halten vorgeschrieben."

 

Dies sind die Fragen, mit denen Dr. Machry den Wendel Müller aus Grumbach prüfte:

 

"1. Was ist eine einfache Wahlverwandtschaft, was eine doppelte?

2. Welche sind die Kennzeichen der sauren, welche der alkalischen Salze? welche aus den sog. 3 Reihen der Natur bilden die ersten, welchen die letzten?

3. Was ist ein Neutral, und was ein Mittelsalz

4. Woraus besteht antimonium audum ? welche Präparate hat man aus antimonium ? wie werden sie verfertigt ? welche jetzt nicht mehr gebräuchlichen hatte man ehedem?

5. Welche Pflanzen nennt man narcotische und woaran erkennt man sie schon gewöhnlich äußerlich, aus welcher, oder welcher Klasse des Sytems (botanischen) sind sie?

6. welches botanische System ist jezt allgemein angenommen, welche charakteristische Kennzeichen bilden dessen Klassen, und wie viele gibt es deren? Welche Systeme hatte man vor dem in Frage stehenden ? von selbigen nur die 2 lezten zu nennen?

7. was nennt man Principium eac bey den Pflanzen ? welche Pflanzen enthalten  es ? welche verlieren es bald, welche behalten es lang?

8. welche Präparate hat man von Quecksilber ? wie wir ein jedes verfertigt und woraus besteht es mithin ? Ist das aegneatum neapolitanum eine chemische, oder mechanische Mischung?

9. wie vielerley Erdarten gibt es ? mit welchen Säuren kommt eine jede in der Natur am meisten vor ? welche Erdart geht nur mit einer einzigen Säure eine Verbindung ein ? welche ist diese Säure? Welche Operation ist das Verglasen der Erden im Feuer ohne irgend einen Zusatz?

10. Wie unterscheidet man Metalle von Erden in Rücksicht des Verhaltens gegen den Finger, das Auge, das Licht, in Rücksicht des Flusses, der Verflüchtigung, und dergleichen.

11. Was muß erst mit einem Metall vorgehen, ehe es sich mit einer Säure verbinden kann ? warum verbinden die reguli metallici sich oft so schwer mit concentrirten Säuren ? welche Metalle sind edle, und welche unedle ? welche für sich, oder mit Zusätzen reducirbar ? welche Zusätze nimmt man gewöhnlich um ein Metall aus seinem Saltze (Kalke) zu reduziren?"

 

Der Apotheker Christian Müller zu Grumbach erhielt am 24. April 1820 sein Patent und wurde am 3. Juni des gleichen Jahres vereidigt.

 

Zurück nach St. Wendel:

 

Ratzen

 

Der Stadtrat hatte in seiner Zustimmung von einer "zweiten Apotheke" gesprochen, woraus sich schließen läßt, daß bereits eine Apotheke bestand. Das war die Alte Apotheke in der Schloßgasse, die von einem Apotheker namens Ratzen geführt wurde.

 

Joseph Markus Ratzen (Razen) wurde als Sohn des "Hochfürstlich hessenrothenburgischen Rat- und Landphysikus der Niedergrafschaft Katzenelnbogen", Dr. Ratzen, in St. Goar geboren. Seine Lehrzeit verbrachte er von 1786 bis 1790 in St. Goar. Als Gehilfe war er in der Einhorn-Apotheke in Bingen, in der Hofapotheke in Zweibrücken und in der Mohrenapotheke in Mainz tätig [7]. Aus einem Sitzungsprotokoll vom 7. Pluviose des Jahres VII (26. Januar 1799) der "Administration Centrale du Departement de la Sarre" in Trier geht hervor, daß Ratzen, zur Zeit als Apotheker in Blieskastel tätig, um die Erlaubnis gebeten hat, in St. Wendel eine Apotheke errichten zu dürfen. Die "Administration municipale" von St. Wendel äußerte sich zu diesem Antrag günstig, da die Bewohner ihre Medikamente aus Ottweiler oder Kusel beziehen müßten und die im Arrondissement herumziehenden Scharlatane nur schlechte Medikamente absetzen würden. Da die von Ratzen vorgelegten Zeugnisse zeigten, daß er die notwendige Ausbildung besaß, wurde dem Antrag unter der Bedingung stattgegeben, nur einwandfreie Arzneimittel zu verkaufen. Im Falle der Zuwiderhandlung würde er nach Artikel 229 des "Règlement du Commissaire" vom 1. Thermidor des Jahres VI (19. Juli 1798) bestraft. [8]

 

Unter diesem hatte der Regierungskommissar und Richter Franz Josef Rudler eine Verordnung über verdorbene Arzneien erlassen: "Werden verdorbene Arzneien verkauft, so soll der Schuldige vor die Zuchtpolizei gezogen und mit einer Geldbuße von 100 Livres und einer Gefängnisstrafe, die nicht über sechs Monate dauern darf, bestraft werden." [9]

 

Ratzen eröffnete die Apotheke in der Schloßgasse im ehemaligen Altaristenhaus, fing aber bald danach an zu trinken. Der Grund dafür mag gewesen sein, daß seine Ehefrau Anna-Maria geb. Sedelmair am 5. September 1804 in St. Wendel eine Fehlgeburt erlitt und danach keine Kinder mehr bekommen konnte. Am 20. Januar 1813 verkaufte Ratzen seinen Besitz an den geprüften Pharmazeuten Ludwig Friedrich Riegel. Unter dem 12. September 1815 bat Ratzen in einem Schreiben an den Generalgouverneurkommissar um die Erlaubnis, in Thalfang bei Trier eine Apotheke errichten zu dürfen. Der Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, daß kein Arzt dort wohne und in Birkenfeld, Oberstein, Bernkastel und Trier Apotheken vorhanden seien.[10] Letzte Nachricht erhalten wir von ihm im Juli 1816 durch einen Notariatsakt; die Dame Marthe Sedelmayer, Ehefrau des in Blieskastel wohnenden Herrn Josef Markus Ratzen, gewesener Apotheker, jetzt ohne Gewerb, legt eine Vollmacht ihres Mannes vor, alle noch ausstehenden Gelder einziehen zu dürfen. Sie hat an Josef Schneider, Metzger von Landstuhl fünf unbebaute Güter auf St. Wendeler Gemarkung verkauft (Garten- und Ackerstücke) [11].

 

Riegel

 

Friedrich-Ludwig Riegel war der Sohn des Regierungsamtmannes Ludwig Riegel aus Assemstadt und mit Maria Barbara Zahn aus Tholey verheiratet. Im "Intelligenzblatt des Kreises Ottweiler" vom März 1816 gab er bekannt, daß er neuerdings "neben den Artikeln, die zu einer vollständigen Apotheke erforderlich sind, auch alle Arten von Farben für Maler, Anstreicher, Weißbinder und Maurer, zu Zimmer und Oefen anzustreichen, sowie auch alle Gattungen von Holzfarben und Beizen und die zum Schleifen und Polieren des Holzes nötigen Artikel für Holzarbeiter, als Schreiner und Dreher usw. nebst denen dazu benötigten Pinseln und Firnisse aller Sorten, sowie auch gutes Gold und Silber im großen und kleinen Format führt". Er starb am 22. Februar 1844 in St. Wendel [12]. Sein Sohn Karl Ludwig Adolard Riegel (1820-1897) führte die Apotheke im Auftrag der Erben fort. Bei der Erbauseinandersetzung (was sich nach Streit anhören mag, war dies sicher nicht; nur ein einfacher rechtlicher Vorgang, bei dem unter den berechtigten Parteien das Erbe aufgeteilt wird) am 10. Mai 1846 kaufte er die Apotheke für 15.676 Thaler. [13] Adolard war aber auch noch auf anderen Gebieten tätig: er stieg aktiv in die Mineralwasserherstellung ein und gründete die Brauerei "Lindenau", wo er sein bekanntes "Apothekerbier" brauen ließ. Sein Sohn Emil studierte zwar ebenfalls die Pharmazie und übernahm 1892 die Verwaltung der väterlichen Apotheke. Als ihm im März 1895 die Konzession zur Errichtung einer Apotheke in Beckingen erteilt wurde, nahm er diese sofort an. Zwei Jahre später - mit Wirkung vom 1. Januar 1897 ? verkaufte sein Vater Adolard verkaufte die St. Wendeler Apotheke an den Apotheker Karl Maria Hubert Gottfried Heimbach aus Eschweiler [14].

 

Der Notariatsakt vom 28. November 1896 enthält die zwischen den Parteien vereinbarten Modalitäten. Neben den reinen Immobilien ? Haus und Grundstücke ? werden "die im Wohnhaus befindlichen Apotheker-Einrichtungen, die darin vorhandenen Apparate, Medikamente, Waarenvorräthe und alle zum Betrieb der Apotheke notwendigen Utensilen" verkauft. Außerdem verzichtet der Verkäufer "zugunsten des Ankäufers auf die mit dem gedachten Wohnhaus verbundene Apotheken-Conzession per 01.01.1897 und verpflichtet sich, den Ankäufer als Nachfolger in Besitz der Concession zuständigen Orts in Vorschlag zu bringen." [15]

 

Einen guten Einblick in die zugrundeliegende Problematik ? auch in Hinsicht auf die Errichtung einer zweiten Apotheke in St. Wendel - gibt uns ein Schriftstück aus dem Jahre 1910, daß anläßlich dreizehn Jahre später des Verkaufs der Apotheke durch Heimbach an den Apotheker Lohmann angefertigt wurde. Berichterstatter waren der Regierungs- und Geheime Medizinialrat Dr. Schlecht und Regierungsrat Dr. Russell. [16]

 

"Die Frage der Errichtung einer 2. Apotheke in der Stadt St. Wendel ist durch den am 1. Februar dieses Jahres erfolgten Verkauf der Heimbachschen Apotheke in ein neues Stadium getreten. Durch Eurer Exzellenz Erlaß vom 6. Dez 1908 (J.Nr. 27638) war dem Apothekenbesitzer Heimbach bekannt geworden, daß die Verhandlungen wegen Anlage einer 2. Apotheke erst in einigen Jahrenwieder aufgenommen werden sollten. Er müßte mithin bestimmt mit der Anlage der 2. Apotheke in absehbarer Zeit rechnen und diesen Umstand bei dem Verkaufe berücksichtigen. Dies ist auch tatsächlich, wie der Käufer der Heimbachschen Apotheke, Apotheker Lohmann, meinem Medizinalreferenten in Anwesenheit des Kreisarztes bei einer am 3. Juni d.J. im Kreishause in St. Wendel stattgehabten Besprechung mitgetheilt hat, geschehen. Apotheker Lohmann hat ? bei Annahme eines Geschäftsumsatzes von 36 ? 37.000 Mark nur 245.000 Mark für die Apotheke bezahlt (70.000 Mark für das unbewegliche Vermögen, 30.000 Mark für das bewegliche und 145.000 Mark für die Konzession) und mit der Klausel, daß ein Nachlaß von 20.000 Mark stattfinden soll, wenn innerhalb10 Jahren vom Verkaufstage an eine 2. Konzession in St. Wendel verliehen würde. Dieser Nachlaß wird aber hinfällig, wenn zur Zeit der 2. Konzessionierung eine neue von St. Wenbdel ausgehende Staatsbahn oder die Errichtungeiner Haupt-Eisenbahn-Werkstätte in St. Wendel ausgeführt sein oder feststehen sollte. Nebenbei gesagt hat infolge der inzwischen erfolgten Bewilligung der Bahn von Tholey ? St. Wendel der Apotheker Heimbach nichts von der Kaufsumme nachzulassen."

 

Am 1. Februar 1910 kam die St. Wendeler Apotheke in der Schloßstraße 12 - jetzt "Alte Apotheke" genannt - durch Verkauf an den Apotheker Alexander Lohmann:

 

"St. Wendel, 28. Sept. Herr Alex Lohmann, Sohn des Apothekenbesitzers Lohmann hat am 25. September in Saarbrücken vor der Prüfungskommission sein pharmazeutisches Vorexamen mit dem Prädikate "sehr gut" bestanden. Er war bisher 2 Jahre in der "Glück Auf"=Apotheke in Neunkirchen tätig. Nach Beendigung seines so erfolgreich begonnenen Studiums wird er die Apotheke seines Vaters übernehmen. Wir gratulieren ihm und wünschen ihm für die Zukunft den besten Erfolg. Nil mortalibus ardui est!" [17] (Für die Sterblichen gibt es nichts, was in die Kategorie des Unerreichbaren gehört).

 

Weitere zwei Generationen lang bleibt das Unternehmen in der Hand der Familie: Werner Lohmann ab 1938 und sein Sohn Holger ab 1972. Im Februar 2002 übernahm der Apotheker Sören Schwarzbeck die Apotheke und führt sie in der gewohnten Tradition fort.

 

Heute

 

St. Wendel hat heute neun Apotheken.

 

è Die Alte Apotheke blieb bis in 1924 die einzige in St. Wendel.

 

è Die Wendalinus Apotheke

In diesem Jahr wurde dem Apotheker Kockerols die Konzession zur Errichtunge einer zweiten Apotheke in St. Wendel von der Regierung des Saarlandes erteilt. Die Apotheke öffnete ihre Pforten im Juni 1925 in der "Mott" (in gemieteten Räumen des Hauses Neurohr)[18].

 

Die Einrichtung dieser neuen Apotheke führte nicht bei allen Bürgern zu Begeisterungsstürmen, was sich in der damaligen Presse deutlich widerspiegelt.

 

Es gab kritische Anfragen ?

 

"St. Wendel, 18. März. Sicherem Vernehmen nach soll die zweite von der Reg. Kommission für St. Wendel genehmigte Apotheke in den bisher von der Landesgenossenschaftsbank (Hotel Knoll) innegehabten Räume errichtet werden. Warum legt man die beiden Apotheken so nahe zusammen, ist das zweckmäßig für die Bevölkerung?" [19]

 

? und beißenden Spott ?

 

"St. Wendel, 1. April. Endlich! Endlich! Endlich! Ab heute ist die von der Bürgerschaft so lang ersehnte Apotheke eröffnet. Und wirklich, die St. Wendeler Bürger haben allen Grund, stolz auf diese eben so nützliche wie notwendige Einrichtung zu sein. Fundiert sie doch auf dem Boden der allerletzten und neuesten wissenschaftlichen Forschungsergebnisse, zumal sie Medikamente repräsentiert, mit deren Hilfe es möglich ist, schwerste Leiden, akute und chronische, zu heilen. Medikamente die man sonst nur an den Zentralstellen medizinischer Kliniken und Universitäten usw. erhalten konnte. Um der Bürgerschaft den Segen dieser modernen Einrichtung an einigen Beispielen zu demonstrieren, lud die Leitung der Apotheke sie vergangener Woche zu einem Probeabend ein. Ein bis auf den letzten Platz gefüllter Saal bewies das rege Interesse der Eingeladenen, die von und ganz auf ihre Rechnung kamen. Zu Thema stand: "Behandlung von Darm= und Asthmaleiden." Ein wie schweres und weit verbreitetes Leiden diese Krankheit ist, bewies die hohe Zahl der sich freiwillig meldenden Versuchspatienten (15). Der Versuch war ein glänzender Erfolg. Von den 145 Versuchspatienten wurden 11 nach einem wohltuenden Durchfall von ihrem Leiden befreit. Der Erfolg ist umso höher zu werten, als sämtliche Patienten in Abwesenheit behandelt wurden. Und das Medikament! Eine einfache schwarze Pille, die man nicht einmal selbst zu nehmen braucht. Für diejenigen, die an chronischem Durchfall leiden, empfahl der Mediziner weiße Pillen. Die Entdeckung dieser neuen und einfachen Heilmethode wird besonders demjenigen große Freude machen, die wegen ihrer sitzenden Lebensweise am meisten unter Verdauungsschwierigkeiten leiden." [20]

 

? und Erklärungsbedarf:

 

"St. Wendel, 25. Sept. 1925. Da über die Diensteinteilung der beiden Apotheken in St. Wendel immer noch Unklarheit herrscht, sei nochmals mitgeteilt, daß die Lohmann'sche Apotheke vom 1.-15., die Wendalinusapotheke vom 16.-30. bzw. 31. eines jeden Monats Nachtdienst und Sonntagsdient versieht. Die dienstfreie Apotheke ist jeweils nachts und Sonntags völlig geschlossen zu halten. ? Die Ansicht, diese Regelung sei für St. Wendel durch eine besondere Verfügung der Regierungskommission getroffen, ist irrig. Vielmehr handelt es sich hier um eine Verfügung des Mietgliedes der Reg.-Kommission für die Abteilung Volkswohlfahrt und Gesundheitswesen vom 23. April 1922, die den Dienst der Apotheken des ganzen Saargebietes allgemein regelt, und die mit Errichtung der zweiten Apotheke in St. Wendel hier ohne weiteres in Kraft trat." [21]

 

 

1934 wurde sie in die Bahnhofstr. 5, in das Anwesen Bubel (wiederum gemietete Räume) verlegt und nach dem Tod von Apotheker Kockerols am 1. Juli 1940 von Apotheker Theodor Buschmann übernommen. Die heutige Wendalinus Apotheke wurde von 1952 - 1954 nach den Plänen von Professor Krüger aus Saarbrücken erbaut und am 2. August 1954 eröffnet. Nach dem Tod seines Vaters 1969 hat der damals 33 jährige Günther Buschmann die Wendalinus Apotheke übernommen. Am 1. Januar 2002 übergab Guenther Buschmann nach 32 Dienstjahren die Wendalinus Apotheke an seinen Sohn Joachim Buschmann, der diese jetzt in der dritten Generation leitet.

 

=> die Glockenapotheke

in der Bahnhofstraße 17, 1959 von Dr. Schneider eröffnet wurde; seit 1986 geführt von Josef Fischer

 

=> die Brunnenapotheke

in der Balduinstraße 56, Inhaber Inka Speicher-Hesse

 

=> Doc Morris

Die ehemalige Luisenapotheke in der Bahnhofstraße 28 wurde am 14. Januar 1963 von Apotheker Toni Angel eröffnet. Seit der Übergabe an seine Tochter Antoinette Angel ist sie eine DocMorris-Apotheke.

 

=> die Apotheke im Globus

 

=> die Bliesapotheke

Am 4. Mai 1967 eröffnete der Apotheker Elmar Landwehr aus St. Wendel in der Brühlstraße 19 seine Bliesapotheke und führte sie bis ins Jahr 2007. Mittlerweile hat die Apotheke Eigentümer und Standort gewechselt und wird von Joachim Buschmann in der Jahnstraße 4 betrieben.

 

=> die Annenapotheke

Apotheker Werner Clüsserath stammt von der Mosel und kam nach St. Wendel, um sich einen Traum zu erfüllen. Im Oktober 1974 eröffnete er im alten Gewerkschaftshaus neben dem Hochhaus seine "Annen-Apotheke". Aus Platzgründen zog er 1987 hundert Meter weiter in die St. Annenstraße 18, das eine ganze Zeit früher den Fliesenleger Klos beherbergt hatte. 1996/97 ließ er dann auf dem Gelände gegenüber dem Hochhaus ? dort, wo sich zu Sägewerkszeiten der Holzplatz befand ? ein neues Geschäftshaus erbauen, in dessen Erdgeschoß die neue Annen-Apotheke eingerichtet.

 

=> die Sebastianus-Apotheke

in der Wendalinusstraße (seit ein paar Jahren geschlossen)

 

 



[1] Stadtarchiv St. Wendel, A 40 Seite 14/15

[2] Stadtarchiv St. Wendel, A 37, Seite 411

[3] Stadtarchiv St. Wendel, A 72, Seite 42

[4] Stadtarchiv St. Wendel, A 94

[5] Max Müller, Geschichte der Stadt St. Wendel, Seite 711

[6] Landesarchiv Saarbrücken, Bestand 382 Nr. 327

[7] LHAK, Abt. 276, Nr. 1678, fol. 107-115

[8] aus: Die Entwicklung des Saarländischen Apothekenwesens" von Dr. Sieglinde Lefrère, Frankfurt am Main, 1963

[9] Rudlersche Sammlung, Heft 9-10, Nr. 123

[10] LHAK, Abt. 354, Nr. 432, fol. 45

[11] Landesarchiv Saarbrücken, Notar Eschrich, Nr. 162 vom 27.07.1816

[12] LHAK, Abt. 276, Nr. 1680, S. 261-274, Abt. 442, Nr. 1752, S. 5

[13] Landesarchiv Saarbrücken, Notariat St. Wendel, Notar Hen, 8934 vom 22.10.1854

[14] Max Müller, aaO, Seite 712

[15] Landesarchiv Saarbrücken, Notar Thiel, Nr. 40 vom 28.11.1896

[16] Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 403 Nr. 8103, die Apotheken im Kreise St. Wendel betreffend, Seite 121

[17] Stadtarchiv St. Wendel, St. Wendeler Volksblatt, Nr. 115/1925

[18] Stadtarchiv St. Wendel, St. Wendeler Volksblatt, Nr. 69/1925

[19] Stadtarchiv St. Wendel, St. Wendeler Volksblatt, Nr. 34/1925

[20] Stadtarchiv St. Wendel, St. Wendeler Volksblatt, Nr. 25/1925

[21] Stadtarchiv St. Wendel, St. Wendeler Volksblatt, Nr. 114/1925

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