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Erna Berl: Briefe aus Gurs

von Dr. Margarete Stitz, St. Wendel

 

Das Lager Gurs mit 382 primitiven Baracken hatte man ca. 40 km nördlich der spanischen Grenze und ca. 80 km von der Atlantikküste entfernt im Jahr 1939 für fast 20 000 geflüchtete, meist spanische Antifaschisten, die in Spanien gegen Franco gekämpft hatten, errichtet, weil sie in Frankreich unerwünschte Ausländer waren. Im Mai 1940 befanden sich davon noch weniger als tausend darin, als aber 12 000 Frauen ohne französischen Pass dorthin verbracht wurden. Von ihnen blieben im Juni nach Unterzeichnung des Waffenstillstands einige hundert übrig.

 

Im Oktober 1940 wirkte sich die antisemitische Gesetzgebung der Vichy-Regierung aus, und das Lager füllte sich mit mehreren tausend ausländischen Juden, darunter den deutschen, die in Frankreich, Belgien und Luxemburg Schutz gesucht hatten. Dazu kamen die 6504 Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland und 3870 Männer aus dem durch eine Sturmflut zerstörten Lager St. Cyprien an der Mittelmeerküste, so dass die Kapazität des Lagers nahezu erreicht war. Bis Juli 1942 hatte sich allerdings die Belegstärke wieder auf 2599 reduziert.

 

Frauen und Männer waren getrennt untergebracht, gegenseitige Besuche ab 1941 in begrenztem Umfang möglich. Bei starkem Regen versanken die Internierten im Schlamm. Der Hunger war entsetzlich, die Hygiene miserabel (besonders die Latrinen katastrophal), die Epidemiegefahr groß, die Winterkälte grausam – insgesamt starben bis Januar 1946 in Gurs 1038 Menschen.

 

Für die im Lager Gefangenen war es eine existentielle Notwendigkeit, Briefe zu schreiben. Der Postverkehr unterlag aber manchen Schikanen: Nach Deutschland waren nur „persönliche Familiennachrichten von nicht über 25 Wörtern“ auf Vordrucken (Rückseite: Antwortformular) möglich, die das Rote Kreuz übermittelte (s.u. Brief 3). Auch bei normalen Briefen war nur ein einziger Bogen erlaubt (s.u. Brief 4). Zeitweise gingen 6000 bis 8000 Briefe pro Tag im Lager ein, die ebenso wie die ausgehenden eine Zensur durchliefen.

 

 

Briefe nach Palästina waren zunächst verboten (s.u. Brief 2), dort unterlagen sie zusätzlich der Zensur durch die britische Mandatsregierung.

 

Fritz Berl hat Briefe seiner Mutter aus Gurs sorgsam aufbewahrt, aber erst lange nach seinem Tod lernte seine Familie sie kennen. Ich durfte 2015 auf Bitten von Adi Gold mit einer Transkription wesentlich dazu beitragen – es sind die einzigen Briefe saarländischer Juden, die von Gurs bekannt sind). Aus den Jahren 1940 und 1941 ist nur je ein Brief, aber von 1942 sind vier Briefe erhalten. Vermutlich waren es insgesamt mehr. Es zeigt sich ein recht großes Netzwerk von Personen, zu denen Erna Berl unterschiedliche Kontakte besaß (ein ausführliches Verzeichnis ist angehängt).

Außer Fritz und Max sind es von der Familie Berl vor allem Irma Rosenberg und deren Tanten Selma, Rosa und Sophie. Problematisch dagegen war die Beziehung zu ihrer Schwägerin Bella Berl, die gleichzeitig mit ihr von Merzig deportiert wurde und regelmäßig von ihrer Stiefschwester Jula Geld und Päckchen erhielt; schon Eugen Berl hatte an ihr Anstoß genommen. Wenn Bella mit einem verheirateten Mann (gehörte er zum Wachpersonal?) „zusammenlebt“ (Brief 4), sind das wohl sehr eingeschränkte Rückzugsmöglichkeiten gewesen.

 

Unter den Bekannten steht der hilfreiche „Onkel Lothar“ Rothschild bei weitem an erster Stelle vor Angehörigen der Familie Stern. Einen neuen nützlichen Kontakt bietet auch Familie Schrimmer.

 

Trotz aller Klagen und Hilferufe beweist Erna ihrem Sohn, dass sie über Durchhaltevermögen verfügt und sich um Möglichkeiten bemüht, ihre Lage durch Arbeiten zu verbessern.

 

Die wenigen Worte vom 25.7.1942 (Brief 3) sind zwangsläufig die einzige uns bekannte Antwort des Jungen.

 

 

Diese Worte haben die Adressatin nicht mehr erreicht. Ein Umschlag ist erhalten, der mit dem Vermerk „Parti“ („Abgereist“) zurückgesandt wurde.

 

 

Fritz wusste wahrscheinlich, dass aus Frankreich Transporte nach Auschwitz gingen, und war mit der Situation hoffnungslos überfordert. Wenn ihm schon von Natur aus das Briefeschreiben nicht besonders lag, so dürften seine damaligen harten Lebensbedingungen als Lehrling im fremden Land es ihm außerdem nicht leichter gemacht haben.

 => Die Briefe

=> Personenverzeichnis zu den Briefen

=> Quellen- und Literaturverzeichnis

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