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20. Jahrhundert -> 1947 Weihnachten in der Kriegsgefangenschaft

Weihnachten ? allein?

 

    Lieber Kamerad!

 

    Weihnachten versteht man nur in Deutschland richtig zu feiern ? so denkt jeder Deutsche in der Fremde. Und wahr ist auf jeden Fall, dass für uns dieses Fest etwas ganz Besonderes bedeutet und bis in die ärmste Hütte hinein seinen Zauber übe. Selbst bei denen, die sich über den eigentlich religiösen Charakter des Festes keine Rechenschaft geben, ja selbst bei denen, die das Fest meist nicht anders zu feiern gewusst haben als mit einer aussergewöhnlichen Esserei und Trinkerei, hat sich doch immer noch ein Bewusstsein davon erhalten, dies Fest sei nicht wie andere Feste, es rühre an das Feinste, Verborgenste und Beste in uns. Darum sind wir auch besonders empfindlich dagegen, wenn wir dieses Fest nicht feiern können, wie wir gern möchten, nämlich im Kreise unserer Familie und bei Kindern, mit denen wir wieder Kind werden könnten.

 

    Und nun bist Du hier in Frankreich als Gefangener und Du hörst und siehst vom dem Fest nicht viel. Du bist nicht in einem Lager oder auf einem grösseren Kommando, wo Gemeinschaftssinn und Einfallsreichtum verschiedener Kameraden schliesslich doch eine öde Baracke in eine Art weihnachtlichen Raum verwandelt haben. De bist irgendwo ganz allein oder hast allenfalls ein halbes Dutzend Kameraden aus des nächsten Nachbarschaft, mit denen Du zusammenkommen kannst, oder auch, Ihr seid ein paar Mann im gleichen Quartier. Du arbeitest wahrscheinlich am Heilig-Abend wie an jedem anderen Tag, und der Weihnachtstag unterscheidet sich für Dich von keinem gewöhnlichen Sonntag. Von dem, was die Familie des Patrons unternimmt, bist Du ja ausgeschaltet. Du hast den Eindruck: Hier feiert man kein Weihnachten.

 

    Was sollst Du nun machen? Wie bringst Du die Weihnachtstage, insbesondere den für Dich so wehmütigen Heilig-Abend herum? Es bestehen da für die Gestaltung der Festtage etliche Schwierigkeiten äusserer und innerer Art. Du müsstest z. B. Deinen Patron rechtzeitig bitten, Dich zu Weihnachten in die Kirche gehen zu lassen. Sag es ihm höflich, Du weisst ja, dass man hier auf eine höfliche Anrede nun einmal wohlwollender reagiert als auf eine kurz angebundene. ( ?e voudrais vous demander, Patron, de bien vouloir me donner l'occasion à Noel d'aller à l?eglise, à ä la messe"). Du musst es ihm rechtzeitig vorher und ein paar Mal sagen, damit er merkt, dass Weihnachten für Dich ein besonderes Fest ist. Bist Du Protestant, so wirst Du natürlich schwer Gelegenheit finden, einen Gottesdienst Deiner Konfession zu besuchen. Wenn Du dann schliesslich in eine katholische Kirche gehst, um doch an einem christlichen Gottesdienst teilzunehmen, so halte Dich an das, was allen Christen gemeinsam ist.

 

Du hörst auch dort das Sündenbekenntnis und das Glaubensbekenntnis und das Vater Unser und Du hörst das Bibelwort vom fleischgewordenen Wort Gottes.

 

Aber ich wollte zunächst einmal von einigen inneren Schwierigkeiten reden, mit denen man zu tun hat. Viele von uns haben nämlich einfach Angst vor Weihnachten, weil sie fürchten, zu weich zu werden. Darum zeigen sie entweder eine betont schlechte Laune und wollen gar nichts zur festlichen Begehung des Tages tun oder sie kommen auf den anderen Ausweg: Sie sparen schon lange vorher für den Alkohol, um mit seiner Hilfe dem Trübsinn zu entfliehen. Menschen schwebt als geradezu sportliches Ziel dabei vor, die Besäufnis des Vorjahres noch zu übertrumpfen. Der Heilig-Abend endet dann ziemlich laut, und man ist im Grunde ganz froh, auf diese Weise dem ?Weichwerden" entgangen zu sein.

 

    Dazu ist Folgendes zu sagen: Es ist absolut keine Schande, wenn man an Weihnachten ein wenig ?weich" wird. Die Leute haben unseren Seelen einen schlechter Dienst erwiesen, die uns haben einreden wollen, man müsse immer bloss hart sein. Der Erfolg ist lediglich gewesen, dass sie uns zwar keineswegs stark gemacht haben im Ertragen innerer Schwierigkeiten, wohl aber uns eine höchst törichte panische Angst vor den Zartheit unserer Gefühle eingeimpft haben. Wenn einer an Weihnachten ein klein wenig weich wird, so ist das ein Zeichen, dass in ihm etwas Gutes steckt, das auf keinen Fall totgemacht werden darf. Uebrigens ist es mit den Weihnachten gar nicht mehr so schlimm, sobald man keine Angst mehr davor hat. Man darf nämlich auch nicht feige vor sich selber und seinen Gefühlen werden. Allerdings darf das Weichwerden, von dem wir da sprechen, nicht in ein Sichselbstbejammern wandeln. Dann erst ist die Katastrophe da. Aber ebensowenig braucht man vor seinen weichen Anwandlungen in die Besäufnis und den daraus entstehenden Lärm zu fliehen. Wir Deutsche stehen bei anderen Völkern sowieso in dem Ruf, in unserem Sprechen und unserem ganzen Auftreten lauter zu sein als andere. Ob dieser Eindruck zu Recht besteht, spielt hier keine Rolle, aber warum wollen wir ausgerechnet zu Weihnachten diesen Eindruck bestätigen? Das wäre eines christlichen Deutschen unwürdig. Nein, man kann auch in der Gefangenschaft Weihnachten anders begehen. Man muss es sich allerdings vornehmen.

 

    Hat man Gelegenheit, mit ein paar Kameraden gemeinsam das Fest zu begehen, so muss man sich vorher über den Charakter der Feier klar sein, ob man nämlich ein wirkliches Weihnachtsfest feiern will oder nicht. Ohne Alkohol? Warum denn ? wenn man ihn haben kann! Nur begrenzt von vornherein die Menge vernünftig und richtet euch dabei nach denen, die am wenigsten vertragen! Sonst kommt ihr doch nicht zu einer würdigen Feier. Eine Weihnachtsfeier muss ihren Stil haben. Sie kann wohl heiter werden, aber man muss ein Gefühl dafür haben, was zusammen passt und was nicht. Das empfindet Ihr doch z.B. alle, dass man nicht gut mit der Weihnachtsgeschichte und mit ?Stille Nacht" anfangen und etwa mit ?Bonifatius Kiesewetter" aufhören kann. Ebenso spürt Ihr sicher auch, dass es nicht angebracht wäre, ausgerechnet das Lied ?Stille Nacht" nach Mitternacht mit Gröhlstimmen steigen zu lassen oder auch es schon gegen Morgen in sanft weltschmerzlicher Anwandlung vor sich hin zu lallen. Das ist weder gemütvoll, noch geschmackvoll, noch christlich. Ich weiss, dass die meisten von Euch das auch ganz klar empfinden, hätte auch diese krassen Geschmacksverirrungen nicht angeführt, wenn sie nicht eben tatsächlich vorgekommen wären. Gegen so etwas muss man vorbauen. Es kann trotzdem sehr gemütlich werden.

 

   Warum feiern wir Weihnachten? Warum haben wir an dem Fest alle ein wenig das Verlangen, mit Kindern Kind zu sein? Weil Gott uns Menschen so nahe gekommen ist in einem Kinde. Darum rührt das Fest an die feinsten, empfindsamsten Saiten unserer Menschlichkeit. Gebt dem Edlen und Zarten, das da angerührt wird, sein Recht und meint nicht, man müsse es unterdrücken!

 

   Dieses Heft will Euch ein klein wenig dazu helfen, Weihnachten richtig zu feiern. Darum bringt es Euch Lieder, die alten schönen Lieder, die Ihr singen könnt (später tut Ihr das vielleicht daheim und erinnert Euch). Zwischendurch werdet Ihr dann mal ein wenig still, denkt an zu Hause ? sofern noch ein Zuhause da ist, oder Einer kramt Erinnerungen aus, trägt vielleicht etwas Lustiges aus dem Gedächtnis vor oder erzählt etwas zum Lachen. So geht das zusammen hin. Ihr werdet es bestimmt nicht bereuen, ein würdiges Weihnachtsfest begangen zu haben.

 

     Ein Kamerad sagte mir neulich sehr treffend: ?Die Weihnachtsfeier ist die Visitenkarte des prisonnier. Danach beurteilt man ihn".

 

     Ich weiss eine ganze Reihe Fälle, in denen der Patron auf das Tiefste gerührt war von der Art, wie die Gefangenen Weihnachten gefeiert haben. Das Erlebnis der Weihnachtsfeier ist in manchen Fällen der Grund zu einer freundlicheren Einstellung geworden. Das könnte sicher noch viel häufiger der Fall sein. Eins findet hierzulande fast immer Anerkennung: Unser Gesang. Unsere Lieder, schön gesungen, nicht abgehackt und nicht gegröhlt, haben schon manche Brücke geschlagen, wo man sich sprachlich und auch sonst nur schwer verstand. Wenn Ihr findet, dass man hier von Weihnachten wenig zu spüren bekommt, so beklagt Euch nicht nur darüber, sondern seht zu, wie Ihr trotz allem nach Kräften Euch bemüht, selbst ein rechtes Weihnachten zu feiern. Ich meine nicht, dass dies in einer hochnäsigen Einstellung geschehen müsste: ?Jetzt wollen wir den Brüdern aber mal zeigen, was ein deutsches Weihnachten ist.? Warum denn immer so? Hochnäsigkeit stösst letzten Endes doch ab, Aber wo man ganz einfach ein wenig Freude hat und sich ein wenig Mühe gibt, ein Fest zu gestalten, da übt das ganz von selbst irgendwann auch seine Wirkung auf Aussenstehende aus. Da kann man das Staunen nicht verhehlen, wie auch ein ungemütlicher Raum ein bisschen verwandelt aussieht, sauber, festtäglich. Da bewundert man die Erfindungsgabe, die aus ein paar Holzstückchen einen Weihnachtsbaum ge zaubert hat; da treibt die Neugierde, die geschmückten Bilder der Lieben anzusehen. So kommt man sich ein bisschen näher: Weihnachten übt seine Wirkung aus.

 

      Nun noch ein paar Worte an Dich, lieber Kamerad, falls Du ganz allein bist. De ist es also mit dem Singen und Vorlesen nichts. Da magst Du dies Heft in der Stille für Dich lesen. Zwischendurch hängst Du dann Deinen Gedanken nach, die Dich weit weg führen. Keine Angst, das ist ja das Schönste, was Du jetzt tun kannst, schliesslich, nimmst Du Dir dann das Briefformular und beginnst Deine Gedanken niederzuschreiben. Das ist gut. Gerade jetzt sollst Du die Verbindung mit den Lieben suchen. Du schreibst von Erinnerungen an früher. Ja, krame die schönsten Erinnerungen hervor. Das ist gut. Aber nun setze dahinter nicht die altbekannte Jammerformel:? ?und jetzt sitze ich nun hier usw, usw." Du weisst ja, wie es weitergeht.

Mach' mal einen anderen Schluss als diesen herzbeschwerenden. Begnüge Dich, etwa so zu schliessen:,,Es ist doch gut. dass man so schöne Erinnerungen hat. Die kann mir niemand rauben. Davon zehrt man in schweren Zeiten. Ich bin dafür dankbar, und das gibt mir auch wieder Mut für die Zukunft". Das Uebrige, was Du eigentlich. schreiben wolltest, schlucke herunter. Briefe, bei denen man es fertig gebracht hat, ohne Aufhebens etwas herunterzuschlucken, sind Kraftspender für Schreiber und Empfänger.

 

Schliesslich noch etwas: Weihnachten ist das Fest der Kinder, weil sie alle Geschwister des Christuskindes geworden sind ? ausnahmslos! Nun habt Ihr draussen auf Einzelkommandos sehr oft eines vor den Kameraden im Lager voraus: Ihr habt zu Weihnachten doch Gelegenheit, Kinder zu sehen und eventuell zu sprechen (im Lager hat man allenfalls ? Katzen!) Lasst zu Weihnachten nicht die Gelegenheit vorbeigehen, mit irgendeinem Kind ein freundliches Wort zu wechseln ? soweit könnt Ihr Euch ja doch verständigen. Lasst Euch mal erzählen, wie sie Weihnacht feiern, ob sie in der Kirche waren, ob sie Lieder kennen. Plaudert so ein bisschen oder seht gar zu, ihnen eine Freude zu machen. Das wird Euch wohl tun. Man ist doch nicht ganz arm und verlassen, wenn man zu Weihnachten mit einem Kind ein wenig freundlich geplaudert hat.

 

     Vielleicht merkst Du als Gefangener wenig davon, wie das Fest auf die Menschen Deiner Umgebung umwandelnd wirkt. Es könnte doch sein, dass man es Dir wenigstens etwas anmerkt, wie Weihnachten seine Wirkung an Dir tut.

 

 

Theo Jänicke

 

erschienen in: "Die Brücke für deutsche Kriegsgefangene + Zivilarbeiter", Heft 20, Dezember 1947, herausgeben von der Y.M.C.A, Weltbund Christlicher Vereine junger Männer, 13. Avenue Raymond-Poincaré, Paris (16e), Frankreich

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