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Merzig und Kurtrier, die vorgebliche Stadtrechtsverleihung 1332.

 

Von Dr. Georg Wilhelm Sante, Saarbrücken.[1]

 

Am 23. August 1332 gab Kaiser Ludwig der Bayer dem Erzbischof Balduin von Trier diese Urkunde:

 

Der Kaiser freit 30 Orte, darunter Trier, Saarburg, Merzig, Koblenz, St. Wendel, und bewidmet sie mit dem Frankfurter Stadtrechte, aber mit der Einschränkung, daß diese Freiung dem Erzbischof zu keinem Nachteil gereiche und der Erzbischof die Hochgerichtsbarkeit und Landeshoheit behalte.

 

Doch zwischen der Urkunde und der Geschichte bestehen anscheinend Widersprüche: sie verleiht die Freiung sowohl Orten, die längst Städte waren, wie Trier, Koblenz, Saarburg, das im Jahr 1313 ausdrücklich als Stadt erscheint, wie auch Orten, die es überhaupt nicht oder erst später zu einer förmlichen Stadtverfassung brachten: z. B. Grimburg im Schwarzwälder Hochwald ist jetzt noch keine Stadt, und gerade Merzig hieß noch im selben 14. Jahrhundert der Urkunde Dorf.

 

Also die Deutung scheidet aus, daß die genannten 30 Orte durch eben diese Urkunde zu wirklichen Städten aufstiegen. Aber um den richtigen Sinn zu treffen, muß man schon weiter ausholen und eine umfassendere Erklärung des Textes geben, als sie eine ausschließliche Betrachtung der Worte vermitteln kann. Es wird sich zeigen, daß auch hier der Kerngedanke in den Nebensätzen steckt: wie man die wichtigsten Bestimmungen eines Übereinkommens in Zusatz- und Nebenverträge verweist.

 

Die Urkunde setzt voraus, daß Merzig zum Kurfürstentum Trier, also zum weltlichen Bereich des Erzbischofs gehörte, nicht nur zum geistlichen des Bistums, wie sie ausdrücklich sagt.

 

Denn der mittelalterliche Reichsbischof hatte eine doppelte Stellung.

 

In seinem geistlichen Sprengel, dem Bistum, gebot er mit allen Mitteln des Kirchenrechtes und des Ansehens, das ihm sein Amt, Nachfolger der Apostel zu sein, verlieh: und der Trierer führte seine Ahnenreihe bis auf Schüler des hl. Petrus selbst zurück, auf Eucharius, Valerius und Maternus, welche die Überlieferung zu den ersten Bischöfen der Trierer Kirche machte ? tatsächlich ist der erste beglaubigte Bischof Agritius v. Ans. im 4. Jahrhundert. Das Erzbistum Trier reichte weit, von der Maas bis an die Lahn, von der Eifel bis an die mittlere Saar, und Merzig gehörte noch zu ihm. Anfänglich standen die kirchlichen Gewalten, Bischöfe und Äbte, außerhalb der staatlichen Organisation, nur ihr geistliches Amt gab ihnen Ansehen in den Angelegenheiten des Staates. Aber in dem Maße, wie diese, Stammesherzöge und Grafen, versagten, wuchsen sie in sie hinein, und seit Otto dem Großen waren sie sozusagen die ersten Beamten des Staates, weil sie sich als selbstloser und zuverlässiger denn die weltlichen Herren erwiesen hatten. Nun begannen sie innerhalb ihres geistlichen Sprengels eine weltliche Landesherrschaft auszubauen, gefördert von den Königen, die sie nur stärken konnten. Die Bischöfe führten also Krummstab und Szepter und Schwert, wie es die Zeit erforderte ohne viel Anstoß zu erregen, weil die Zeit noch nicht säuberlich zwischen geistlicher und weltlicher Macht schied.

 

Wenn sie sich derart auf das Feld staatlicher Politik begaben, weckten sie Widerstand und fanden Anlehnung, stritten sie mit ihres Gleichen um Ausdehnung, Stillstand und Rückschritt oder mußten im eigenen Lande aufstrebende Gewalten, Herren einer Burg oder Städte, niederhalten  oder gewähren lassen.

 

Der älteste Besitz der Trierer Bischöfe lag um Trier und erstreckte sich zum Hochwald. Mit dem Montclair, mit Merzig und St. Wendel griff es über den Hunsrück, besetzte hier die Straßenkreuzungen im Quellgebiet der Blies und Nahe und schob sich dort in das offenere Tal der mittleren Saar vor. Aber es blieb bei solchen Vorposten stehen: denn die Hauptrichtung des politischen Wachstums zeigte moselabwärts zum Rhein, und in dieser nordöstlichen entwickelten sich die Wachstumsspitzen. So lag Merzig nur am Rande, und die Kraft, mit der Kurtrier saaraufwärts drängte, war geringer: immerhin hatte es im Mittel-Saar-Raum Fuß gefaßt und gab seine Einflüsse dorthin. Aber das Saartal weiter aufzusteigen, hinderte Lothringen, das sich unmittelbar am Südabhang des Hunsrücks quer über die Saar legte.

 

Lothringen hatte eine größere Vergangenheit: einst ein Zwischenreich zwischen Frankreich im Westen und Deutschland im Osten, dann ein Herzogtum im Räume zwischen Schelde-Maas und Rhein-Vogesen, war es 959 geteilt in Nieder- und Oberlothringen, deren Grenze durch die Eifel lief. Noch dieses verengte Oberlothringen begriff den weltlichen Besitz der Trierer Kirche in sich, und der Herzog behauptete den oberweltlichen Rang. Aber ohne ihn halten zu können: denn die Gewalten einer tieferen Stufe, Bischöfe und Grafen, drängten zur Selbständigkeit und zersetzten die stammesherzogliche, vor allem die Bischöfe, welche sich der Gunst der Könige erfreuten. So eingeschränkt und herabgedrückt, begann der Lothringer neben und gegen die geistlichen und weltlichen Herren eine neue Landesherrschaft, das Territorialherzogtum, auf- und auszubauen, das zwar mit dem älteren Stammesherzogtum nur den Namen gemein hatte, aber aus ihm den Anspruch auf höhere Geltung herleitete.

 

Bei Merzig trat Lothringen, im Verein mit Luxemburg, Kurtrier früh entgegen, ob auf Grund alter Grafen- oder Herzogsrechte oder alten Besitzes, bleibe dahin gestellt. Der Angelpunkt für die Geschichte dieser Gegend war die Burg Skiba, später Montclair genannt: 1010 eroberte sie Erzbischof Poppo, derselbe, der den Trierer Dom erweitern und die Westfassade erbauen ließ. Diesen Besitz bestritten die Lothringer Herzöge, die auch die Ansprüche der Luxemburger Grafen übernommen hatten, den Trierer Erzbischöfen. Doch 1333 sprach ein Mannengericht dem Kurfürsten Balduin Burg und Tal Montclair, Merzig, den Saargau zu, und im folgenden Jahre 1334 nahm Herzog Rudolf von Lothringen außer Sierck, Berus, Siersberg, Wallerfangen und Felsberg auch seinen Anteil an Montclair und Merzig als Lehen vom Kurfürsten. Indessen diese Hoheit hielt sich nicht ungeschmälert: noch im gleichen 14. Jahrhundert ? 1368 ? mußte Kurfürst Kuno von Trier dem Herzog Johann von Lothringen das Miteigentum an der Burg Montclair und seinen Abhängigkeiten zugestehen, Lothringen stieg von einem Lehnsträger zu einem Mitlandesherren empor, der alte Gegensatz wurde nicht ausgetragen, sondern auf der mittleren Linie einer Gemeinschaft, Kondominium, ausgeglichen. Sie währte 400 Jahre, bis sie 1778 Frankreich als Nachfolger Lothringens und Kurtrier längs der Saar aufteilten. Aber Gemeinschaft und Teilung gehörten erst späteren Jahrhunderten an: als Kurfürst Balduin 1332 die Urkunde Ludwigs des Bayern empfing, war er der wirkliche Landes- bzw. Lehnsherr.

 

Das aber war sein Wesenszug, der um der Urkunde und angeblichen Stadtrechtsverleihung willen herauszustellen ist: ein Landesherr, der seine landesherrlichen Rechte festhielt, ausbaute, sicherte. So paßte eine Minderung eben dieser Landeshoheit schlecht in sein Bild hinein. Aber Stadtrechtsverleihungen minderten die Landeshoheit, insofern eine Selbstverwaltung begründet wurde, auf deren Weg letzten Endes eine möglichst große Unabhängigkeit von eben dieser Landeshoheit lag.

 

Eine mittelalterliche Stadt als rechtlicher Begriff brauchte vor allem einen Markt, insofern der Handel zum Wesen der Stadt gehört, ein besonderes Stadtgericht, das sie den allgemeinen Gerichten entzog, und eine Befestigung ? die Stadtmauer - unterschied sie vom Lande. Und jede Stadt hatte ihren Stadtherren: man unterschied daher Reichsstädte, die nur dem König unterworfen waren, und landesherrliche Städte, über die ein Landesherr, ein Bischof, Abt, Herzog oder Graf gebot.

 

Immer aber regierten sich die Städte selbst, und das Maß der Selbstverwaltung war verschieden: auf dem einen Flügel die freien Reichsstädte, die eine vollständige Selbstregierung auf engem Räume darstellten, auf dem anderen Landesstädte, deren Landesherr sie in Abhängigkeit hielt, und je mächtiger er war, desto schärfer auch die Abhängigkeit.

 

Ein Ort konnte durch Verleihung des Königs oder Landesherrn zur förmlichen Stadt erhoben werden, er konnte auch zu einer Stadt emporwachsen, und der Übergang zur förmlichen Stadt ist oft kaum festzustellen. Denn wenn man auch alle rechtlichen Voraussetzungen einer mittelalterlichen Stadt aufzählen mag, so erschöpft der einfache Gegensatz von Stadt und Dorf die Buntheit der Erscheinungen nicht, und er genügt nicht, um sie zu meistern: sondern zwischen ihnen stand noch das Mittelding der sog. Freiheit, auch Tal genannt, noch nicht Stadt und nicht mehr Dorf, wie es noch jetzt Städte gibt, wo nicht nur Handel und Gewerbe, sondern noch Landwirtschaft getrieben wird.

 

Welches die Vorrechte waren, die eine solche Freiheit von dem ganz abhängigen Dorfe unterscheiden, und welche Minderung der Selbständigkeit sie trug im Vergleich zur vollen Stadt, das wechselte. Wichtiger ist in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Zwecke solcher Freiung. Dem Zuge zur Stadt und der Entwicklung eines Ortes ließ sich nicht steuern, oder es war für den Landesherrn unklug, sie zu unterdrücken ? denn Städtegründer zu sein, war ein berechtigter Ehrentitel. Aber er konnte eine solche Form wählen, die seine Rechte am wenigsten schmälerte, ohne einem aufstrebenden Orte Zwang anzutun: er erhob ihn nicht zur Stadt, der aus seiner Landeshoheit herausdrängte, sondern gab ihr die Mittelform der Freiheit, die auch eine gewisse Selbständigkeit gewährte, aber die Abhängigkeit festhielt. 

 

Solche Freiungen geschahen nach Vorbildern, nach dem Rechte von Beaumont in den Argonnen vom Jahre 1182, nach dem Rechte von Frankfurt a. M., von Lippstadt in Westfalen.

 

Und gerade das Recht Frankfurts nennt die Urkunde Ludwigs des Bayern vom Jahre 1332. Wenn sie Stadtrecht verliehen hätte, müßte Merzig in der nächsten Folgezeit danach gelebt haben.

 

Aber der Beweis fehlt: die Bewidmung mit Frankfurter Recht bedeutete keineswegs, daß die Frankfurter Stadtverfassung übertragen wäre, ihre Selbständigkeit hätte die Trierer Landeshoheit auf weite Strecken lahmgelegt: Merzig hieß auch nach der vorgeblichen Stadtrechtsverleihung Dorf. Sondern Merzig war eine Freiheit, jenes Mittelding zwischen Stadt und Dorf, und blieb es auf Jahrhunderte, bis es 1778 nach der Auflösung der Gemeinschaft zwischen Lothringen und Kurtrier kurtrierischer Amtssitz wurde: förmliches Stadtrecht erhielt es sogar erst 1856.

 

Als Kaiser Ludwig der Bayer die Urkunde ausstellte, gab er sie einem Reichsstande, auf dessen Macht und Unterstützung er angewiesen war: er vermehrte also dessen Rechte und schmälerte sie nicht, wie es eine vorbehaltlose Stadtrechtsverleihung hätte tun können. Zur wirklichen Stadt erhob er Merzig nicht, sondern für den Kurfürsten Balduin war der Schlußsatz die Hauptsache:

 

Die Freiung und Bewidmung mit Frankfurter Recht solle gelten unbeschadet seiner landesherrlichen Rechte.

 

Die genannten 30 Orte mochten sich zu Städten entwickeln ? und Merzig befand sich bereits auf der Zwischenstufe ?, das war der willkommene Lauf der Dinge: aber wenn sie dann dem natürlichen Streben nach Selbständigkeit zu weit nachgaben, hatten Balduin und seine Nachfolger die vorsorglich erwirkte Urkunde, die dann einen Riegel vorschob: Kaiser Ludwig der Bayer hatte bestätigt, daß sie abhängige Landesstädte zu bleiben hatten. Und es waren keine unwichtigen Orte, deren Abhängigkeit sich der Kurfürst sichern ließ: sie waren zum großen Teil Mittelpunkte der Landesverwaltung, hier saßen die Ämter und Kellereien ? wie in Merzig.

 

Wenn also eine oberflächliche Deutung der Urkunde als Stadtrechtsverleihung mit den Grundzügen Balduins nicht übereinstimmen will, der eine Minderung seiner Landeshoheit zuletzt angenommen hätte, so fügt sich ihnen eine umfassendere wohl ein: der Kurfürst benutzte den Kaiser, um sich eine Landeshoheit befestigen zu lassen.

 


[1] Unsere Saar, Heimatblätter für die Saarlandschaft, Jahrgang 8, Nr. 1, Seite 6-8, erschienen in Saarlouis am 15.04.1933.

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