Schriftzug
19. Jahrhundert -> 1869 Ach Mutter, wie unverschämt ist der Herr Pastor!

Diesen Brief habe ich in einer Akte mit Kirchenangelegenheiten der Pfarrei St. Wendel gefunden. Er wurde 1869 von Nikolaus Schmidt aus Alsfassen an den Trierer Bischof verfaßt. Schmidt schreibt zwar recht kryptisch, aber meint damit den alten Pfarrer Creins, der bis zu seinem Tod im Jahre 1874 mehr als 50 Jahre lang die Pfarrstelle innehatte. Vielleicht ein gutes Maß an Jahren doch zuviel.

 

Interessant, aber nicht überraschend ist, daß der ganze Vorgang, der sich über etliche Jahre und noch mehr Beschwerden (natürlich auch Gegendarstellungen) hinzieht, bisher in der St. Wendeler Geschichtsforschung meines Wissens noch kaum oder gar keinen Eingang gefunden hat.

 

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Ihro bischöfliche Hochwürden!

 

Ich habe es mir fast wahrscheinlich gedacht, daß Ihro Hochw. auch mein zweites Schreiben unbeantwortet ließen, weil, wie es scheint, die Sache in Ihro Hochw. Augen zu gering erscheint, wo hingegen ich dieselbe für etwas Große halte, weil ich darin einen Gewaltstreich zu erkennen glaube.

 

Wann ich Ihro Hochw. berichten würde, wie in einer gewissen Stadt, im Bisthum Trier ein alter geistlicher Herr, einen Beichtstuhl hinter dem Hochaltar hat, wohin ein junger Bursche beichten geht und bekennt, er habe Bekanntschaft mit einem Mädchen und der alte Herr Beichtvater fragt ihn so laut: "hast du ihm auch daran gefühlt?", daß große Töchter nach Haus zu ihren Müttern kommen und sprechen: "ach Mutter wie unverschämt ist der Herr Pastor, er fragte so laut, daß es alle Leute hörten jenen Burschen so und  so", selbst der junge Herr, welcher gerade die heilige Messe las, wurde roth bis hinter die Ohren, wie er die Leute schlägt und tressirt, welche beichten wollen, weil sie nicht nach seinem Geschmack gehörig in Kirche und Glied stehen. Der preußische Korporal zeigt doch erst den Rekruten die Stellung, welche sie zu nehmen haben, bevor es Nüsse absetzt.

 

Wenn ich Ihro Hochw berichte, wie besagter Herr zu den Kranken mit dem Allerheiligsten geht, den Reckel an und den Hut auf dem Kopfe, oder den Rock über den Reckel und  den Cylinder aufm Haupt, oder wann er zum Altar tritt, um das Allerheiligste dar zu reichen, wie er statt dessen das Meßbuch aufschlägt und nach hinten und vorn anfängt zu blättern, bis ein junger Geistlicher kommt und ihn zu recht weist, so daß der Eine spricht: "mit dem alten Herrn ist es nicht mehr ganz richtig" und der Andere "man sollte bald glauben an dem Spiral wäre etwas gerückt". Als sich Mannen zu ächt katholischen Zwecken in seiner Kirche versammeln wollten, protestirte er so energisch dagegen, daß man  sich gezwungen sah, zur höchsten Instanz zu gehen und dort die Erlaubniß zu erwirken, worauf es bald nöthig gewesen ward, den alten Herrn wegen seiner Raserei eine Zwangsjacke anzulegen.

 

Die Kirchenstühle versteigert man, um dem armen müden Taglöhner sogar noch in der Kirchen fühlen zu lassen auf welche Stufe er gegen dem Reichen steht, welcher das Vorrecht hat, sich in seinen Stuhl zu legen und gut auszuschlafen, während der Arme vor Müdigkeit fast zusammen bricht, in dem er im Gang steht muß, weil er keinen Stuhl  mit 6 bis 7 Thlr jährlich bezahlen kann.

 

Das schönste dabei ist, daß es der Herr Notar, sein Schreiber und der Herr Zuschläger nicht einmal der Mühe werth halten, nur die Mützen abzuziehen, überhaupt geht es dabei zu, wie auf einem Viehmarkt. Oder wenn der alte Herr die Erlaubnis zu einem Conzert dargibt, welches in der Kirche abgehalten wird, wo man die schöne Sängerin bewundert und zum Schluß auf der Orgel das schöne Lied gespielt wird: "Ich bin ein Preuße, kennt ihn u.s.w." "Was wird der Allmächtigte im Tabernakel denken ? doch halt! man könnte sich täuschen, unser Herrgott ist vielleicht gut preußisch gesinnt; denn das Tabernakel wurde blos des Allerheiligsten entkleidet bei der ersten kirchlichen Versammlung, welche nur aus katholischen Geistlichen und Laien bestand. Oder ich berichte Ihro Hochw., daß der alte Herr sogar ein Kind ohne Glockengeläute beerdigte,  um Rache an dem Vater zu nehmen, welcher sich weigterte, die Frucht nicht weiter geben wollte, welche ein großer Theil in der Pfarrei zu zahlen nicht schuldig und verpflichtet war. Doch genug, nicht zu erwähnen, daß es sprichwörtlich geworden ist: "wenn man beim alten Herrn etwas will, so muß man sich an die Pfarrverwalterin wenden und sehr Vielen gefällt dies lockere Relement. Dies wenig Gesagte dient nur dazu, um einiges Licht auf den Charakter eines Mannes zu werfen, dem das Heil so vieler Seelen anvertraut ist; bei näherer Untersuchung würden sich unzählige  Mängel aller Art herausstellen.

 

Daß es nicht zur allgemeinen Beschwerde kommt, währt daher, daß der bessere Christ jeden Tag die Erledigung erwartet, der andere Theil förmlich eingeschlummert ist und sich in einer lockeren Kirchenzucht ganz behaglich fühlt. Daß alle diese anstößigen Handlungen bis zur genauen Kenntniß der untersten Volksschichten gelangt sind, geht daraus hervor,   daß ich als schlichter Bauersmann jede Einzelheit weiß und kenne. Als dem alten Herrn bei einer gewissen Angelegenheit begreiflich gemacht wurde, es handele sich ja um den heil: Vater, antwortete er barsch: "was geht mich der Papst an?" Und zu jenem jungen Menschen, welcher sich bei ihm meldete, um als Ju___ in die päpstliche Armee ein zutreten, sprach er: was braucht der Papst Soldaten, sein Regiment wird nicht mehr lange existiren. Da wird es einem bald klar, warum  am letzt vergangenen Charfreitag junge Burschen aus besagter Pfarrei abends über die Straße gingen und Lieder durch die Stadt sangen, welche man wahrlich nicht zu den gesittetsten zählen konnte, so daß Protestanten spöttisch fragten, was haben denn die Katholiken heute für einen Feiertag? Woran bei solcher ungesitteten Zügellosigkeit größtenteils die Schuld liegt ist fast Niemand entgangen bei der letzten  heil: Firmung.

 

Als vor etlichen Jahren bei einer Gelegenheit derselbe alte Herr zu einem Bürger hiesiger Stadt sprach: "Wie man hört, sollen die Leute aus unserer Pfarrei in Nordamerika die schlechtesten sein, " gab dieser zur Antwortz: "das ist doch ganz natürlich, weil die Religion ihnen fehlt; so lange sie noch zu Hause unter den Augen ihrer Eltern und Verwandten waren mußten sie noch die Kirche besuchen, als sie aber über ihre Gemarkungen hinaus waren wucherte der Saame des Unkrautes, und wuchs ferner, welcher schon lange in ihren verdorbenen Herzen geschlummert hatte."

 

Ich glaube genug gesagt zu haben, und erwägen zu können, ob alle diese Thatsachen nicht mehr Aufmerksamkeit verdienen, als ein Beichtzettel für 7 Pfennige und erkühne mich nochmals mit der dringenden Bitte um Auskunft, ob das heil: Sakrament der Buße und des Altars nur durch Kauf kann erlangt werden, oder ob man dasselbe auch als Gnadengeschenk erhalten kann; es handelt sich doch nur um die einfache Antwort ja oder nein, welche ich doch schon als Nebenmensch einem Jeden verpflichtet bin zu geben, wann er mich fragt und in beide Antworten, gesprochen aus dem untrüglichen Munde meines Oberhirten, wird sich als gehorsames und treues Kind der katholischen Kirche gern und willig fügen

 

Ihro Hochw.

gehorsamster Diener

Nicklas Schmitt

 Alsfassen

am 17 Apr: 1869

 

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