Der römischen Grabung zweyter Theil
Geschehnisse in einem Garten beim Haus Alsfassener Straße 17 in Alsfassen,
im Herbst 2000 und Frühjahr 2001
Wir hatten grad alle Löcher aus der Ausgrabung im Garten unterhalb des Schopps wieder zu, als wir zufällig einen Bagger zur Hand hatten, der oben am Haus um meine "Höhle", wie ich mein Arbeitszimmer in Anlehnung an eine Schlucht bei Gettysburgh, PA, nenne, herum den Boden aufriß und eine tiefe Grube anlegte, die wir in den folgenden zwei Monaten mit viel Schweiß und Drainagekies wieder auffüllten. Irgendwann im Juli kam der Chef einer Firma in Primstal vorbei, die vorwiegend mit alternativen Baustoffen arbeiten (man nennt ihn Batsch- Uwe oder so ähnlich). Er gab uns fachlichen Rat hinsichtlich der Restaurierung des Schopps, da wir dort etwas tun müssen, sonst können wir ihn in ein, zwei Jahren abreißen. Nun wird wahrscheinlich im nächsten Jahr - also 2001 - ein Dach draufkommen. Das hat aber zur Folge, daß der Hof kleiner wird. Also beschlossen wir, in Anschluß an die Trockenlegung meiner Höhle die marode Mauer vor der Tür zu entfernen und etwa drei Meter Garten noch dazu, da die Arbeit zusätzlich Anne langsam auch zuviel wurde. Es war klar, daß darunter die Römer wieder zum Vorschein kommen mußten, deshalb schickte ich am 22. August ein Telefax an Herrn S. im Konservatoramt:
"Salü, ab 1. September 2000 wird die Mauer bei uns vor der Tür, wo Sie mir fürs Fernsehen seiner Zeit dreimal erklären durften, warum die gefundenen Ziegel römischen Ursprungs sind, fallen. Und zwar auf einer Länge von etwa 7 Metern, beginnend etwa zwei Meter oberhalb des Berens'schen Hauses (knapp oberhalb des Ahorns) bis hinauf zum alten Schopp. Ein dreieckiges Stück Garten wird bis auf Hofniveau entfernt, da wir dringend Platz brauchen. Die Mauer wird mittels Pickhammer entfernt, das Erdreich dahinter mit der Schaufel. Falls wir entgegen unseren Erwartungen etwas Antikes finden sollen, kriegen Sie ne Nachricht. Vielleicht haben wir ja Glück und finden nix."
Auf dieses Fax kam nie irgendeine Reaktion.
Die Arbeiten an meinem Zimmer verzögerten sich, und es wurde Mitte bis Ende September, bis wir an der Mauer anfangen konnten. Roger hatte sich bereit erklärt, einen Bagger zu besorgen, aber das würde Anfang Oktober werden. Also begann ich schon mal, innerhalb der Mauerbegrenzung den Humus abzutragen. Der kam zum Teil hinters Haus, zum Teil verschenkten wir ihn an den, der ihn abholen kam. Jürgen Gerber aus'm Loch holte sich ein paar Anhänger voll, ebenso Herr Donie vom Anwesen oberhalb. Es dauerte im oberen Bereich etwa einen halben Meter, bis die ersten Scherben kamen. Es war nichts besonderes, eben Dachscherben in Hülle und Fülle. Die schöneren Teile hob ich auf, der Rest auf den großen Haufen, der sich in unserem Schopp angesammelt hatte - vom Trockenlegen. Im mittleren Drittel trat bald eine Steinpackung zutage, die wie eine Mauer aussah, aber im Endeffekt doch keine war.
Anfang Oktober kam Roger dann mit seinem Bagger und verwandelte unseren Hof in einen Handgranatenwurfstand. Binnen zwei Stunden war alles vorbei, und die häßliche Mauer war nur noch Geschichte. Immerhin, sie kostete uns noch einen ganzen Container, den sie bis oben hin füllte. Dafür machte sie nicht so viele Spirenzien wie erwartet und zerbrach in mehrere handliche Stücke, die mit ein paar Schwierigkeiten in den Container bugsiert werden konnten. Roger packte noch ein, zwei Wagenladungen Dreck vom Haufen drauf, dann war es zu dunkel, um weiterzuarbeiten. An dieser Aktion waren Roger und Ronny, mein Vater Horst und ich beteiligt. Am nächsten Morgen - der Bagger war inzwischen weg - kam der zweite Container, den wir dann mit Schaufel und Schubkarren und dem restlichen Dreck füllten. Mag sein, daß man sich an verschiedene Sachen gewöhnen kann, aber Container gehören bei mir sicher nicht dazu.
Da noch Platz im Container war, als der Dreck oben an der Mauer weg war, ließen wir ihn über die Woche stehen, und ich füllte den Aushub aus dem Garten nach Durchsicht direkt hinein. Im unteren Drittel stießen wir dann auf jede Menge Keramikreste, bemaltes Tongeschirr, auf dem Figuren zu sehen waren. Wirklich schöne Sachen, die sich dann später als nicht-römisch, sondern mittelalterlich bis neuzeitlich herausstellten. Dort grub ich mich an einem Samstag bis zum Berens'chen Hause durch und riß prompt das dort hängende Tonkabel ab. Schöner Mist, aber Roger nahm es zum Anlaß, das Kabel gleich anders zu verlegen. In dem Graben, den er an unserem Briefkasten vorbei bis in die Hälfte des Fahrtweges führte, fand er eines unserer schönsten Stücke.
Ich scannte es ein und sandte einen Ausdruck ans Rheinische Landesmuseum in Trier; binnen einer Woche traf ein Antwortbrief ein, verfaßt von Frau Dr. Sabine Faust, Abteilung Denkmalpflege:
"... bei der von Ihnen im Photo übersandten Scherbe handelt es sich um den Rand eines römischen Trinkbechers. Der Becher aus rotem Ton wurde vor dem Brand in einen Tonschlicker getaucht. Durch reduzierenden Brand entstand die leicht metallisch wirkende schwarze Oberfläche. Becher dieser Art gehören zur Trierer Weinkeramik. Auf Ihrer Scherbe erkennt man unten im Ansatz noch zwei Reihen feiner Kerben. Solche Reihen überzogen den ganzen Bauch des Gefäßes. Der Sinn liegt hier nicht nur im Dekor, sondern auch darin, sicheren Halt bei fettigen Fingern zu schaffen. Eine Photokopie nach "Erich Gose, Gefäßtypen der römischen Keramik im Rheinland (1950), 4. Auflage 1984" füge ich bei. Am ehesten entspricht die Scherbe aus Ihrem Garten der Nor. 201 aus der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts nach Christus."
So wurde der Container doch noch voll und stand mitten in unserer Einfahrt. In der Gewißheit, daß uns im Eifer des Gefechts sicher einige Scherben durch die Lappen gegangen waren, informierte ich das Konservatoramt per Fax am Montag, 16.10.2000:
"Guten Morgen, ein gutes Viertel unseres Garten ist weg, aber am letzten Samstag habe ich im unteren Drittel nahe des Berens'schen Hauses etliche Fragmente von Gefäßen und Tellern gefunden, die auf den Innenseite Darstellungen zeigen. Was da dargestellt wird, da gehen die Meinungen hier von den Schwanzfedern eines Vogels bis zu einer Art Trompetenblume. Auf anderen Fragmenten finden sich Farben wie grün und blau, andere sind bemalt.
Vermutlich - das geht aus der Beschaffenheit der Bodenschichten hervor - wurde dieser Teil aufgeschüttet, ggf. als der Keller unseres Hauses gebaut wurde.
Da das Wetter in den letzten Tagen nicht unbedingt immer trocken war, gehe ich davon aus, daß wir natürlich nicht alles gefunden haben, sondern daß ein Teil mit dem Abraum in den Container gewandert ist, der hier noch vor unserer Tür steht. Der soll heute oder morgen abgeholt werden - nach einem Anruf meinerseits bei der Containerfirma. Wenn Sie sich die Sachen anschauen wollen und ggf. sich den Container sichern wollen (z.B. um ihn an einem bestimmten Ort abzuladen, wo der Inhalt später noch einmal durchgeschaut werden wird), ist mir das recht, nur brauchte ich dann eine Entscheidung Ihrerseits bis heute abend ..., weil ich auf jeden Fall morgen das Teil wegräumen lasse, um einen neuen zu bestellen. "
Die Antwort des Konservatoramtes enthielt nicht auch nur annähernd das, was ich erwartet hatte:
"Sehr geehrter Herr Geiger, mit Fax vom 16.10.2000 teilen Sie mit, dass ein Viertel Ihres Gartens, in dem eine römische Villa nachgewiesen ist, weg ist und zeigen gleichzeitig Funde an. In seinem Schreiben vom 20.06.2000 hat Sie das Staatliche Konservatoramt darauf hingewiesen, dass gemäß § 20 SDschG alle Erdarbeiten in Ihrem Grundstück der Erlaubnis bedürfen und hat Ihnen freundlicherweise den einschlägigen Paragraphen wörtlich zitiert. Wie Ihrem Fax vom 16.10.2000 zu entnehmen ist, haben Sie trotzdem weitere Erdarbeiten vorgenommen. Sie haben weder diesbezüglich einen Antrag gestellt, noch liegt eine gültige Grabungserlaubnis vor. Gemäß § 30 i.V.m. § 31 SDschG kann eine solche Vorgehensweise mit einer Geldbuße bis zu 500.000,-- DM, ja sogar bis zu 1 Mio. DM geahndet werden. Ich bitte Sie unverzüglich alle Erdarbeiten in Ihrem Grundstück einzustellen.
Mit freundlichen Grüßen
J.P. Lüth, Landeskonservator"
Ging das jetzt schon wieder los? Nein, am Telefon ließ sich die Sache besser regeln; die Sache beruhte auf einem Mißverständnis. Ich hatte in meinem Fax vom August nur mitgeteilt, nicht ausdrücklich um Erlaubnis gebeten. Die Drohung, die man herauslesen könnte, ist gar keine, sondern deutet nur eine Möglichkeit an. Mein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung kam am nächsten Tag persönlich mit zwei Begleitern, sah sich die Grabungsstelle an und erteilte mir eine mündliche Erlaubnis, die Grabungen fortzusetzen. Eine formelle Erlaubnis, unterschrieben vom Landeskonservator Johann Peter Lüth, ging in der darauffolgenden Woche ein. Man hatte uns gebeten, mit dem Weiterarbeiten bis zum Eingang der Erlaubnis zu warten, was wir auch taten. Aufgrund des Krankenscheines und des extrem schlechten Wetters konnte ich eh nichts machen.
"Grabungserlaubnis gemäß § 20 des Gesetzes zum Schutz und zur Pflege der Kulturdenkmäler im Saarland (Saarländisches Denkmalschutzgesetz) vom 12. Oktober 1977
Hiermit erteilt Ihnen das Staatliche Konservatoramt gemäß Antrag vom 19.10.2000 die nach § 20 SDschG erforderliche Erlaubnis, Erdräumarbeiten in Ihrem Garten im Bereich einer römischen Villa durchzuführen. Die Erlaubnis erstreckt sich auf den im Antrag beschriebenen und mit Ortstermin vom 20.10.2000 in Augenschein genommenen Bereich. Sie wird gemäß § 20 Abs. 3 SDschG unter nachfolgenden Bedingungen und Auflagen erteilt.
1. Die Genehmigung des Grundstückseigentümers, des Nutzungsberechtigten und der Naturschutzbehörden muß möglichst schriftlich vor Beginn der Ausgrabungsarbeiten vorliegen.
2. Dem Saarland entstehen keine Kosten.
3. Die Ausgrabungen erfolgen nach dem vom Staatlichen Konservatoramt gebilligten Plan beim Ortstermin vom 20.10.2000.
- auf Niveau des Zufahrtsweges darf die Erde bis zu Grundstücksgrenze abgetragen werden
- die Mauern sind zu putzen und dürfen erst nach Freigabe durch das Staatliche Konservatoramt entfernt werden
- bedeutende Funde und Befunde sind unverzüglich telefonisch dem Staatlichen Konservatoramt mitzuteilen.
4. Nach Abschluß der Ausgrabungen ist eine zeichnerische Dokumentation der gefundenen Mauern und Funde dem Staatlichen Konservatoramt zu übergeben.
5. Der Erlaubnisempfänger erkennt an, dass es sich bei den Erdarbeiten nach Vorgabe durch das Staatliche Konservatoramt um eine Staatliche Nachforschung handelt, deren Ausführung mit Übernahme der Sach- und Personalkosten in Händen des Erlaubnisempfängers liegt. Gemäß § 23 SDschG werden mögliche Funde damit Eigentum des Saarlandes.
6. Medienarbeit darf nur in Abstimmung mit dem Staatlichen Konservatoramt erfolgen.
7. Die Publikationsrechte liegen beim Staatlichen Konservatoramt
8. Der Beginn der Arbeiten ist dem Staatlichen Konservatoramt mindestens eine Woche vor Aufnahme der Tätigkeit anzuzeigen.
9. Vor dieser Erlaubnis darf erst nach Eingang der Einverständniserklärung (Anlage), die den Verzicht auf alle Rechtsbehelfe enthält, Gebrauch gemacht werden. Die Erlaubnis gilt bis 30.11.2000.
Widerrufsvorbehalt: Bei Zuwiderhandlungen, auch gegen einzelne Nebenbestimmungen, kann diese Erlaubnis jederzeit widerrufen werden. Entschädigungsansprüche wegen eines Widerrufs der Erlaubnis sind ausgeschlossen.
Saarbrücken, den 20.10.2000
Dr. Rei/hat, Johann Peter Lüth, Landeskonservator"
Unten steht dann noch eine Rechtsbehelfsbelehrung, gleichwohl ich ja durch meine Unterschrift auf alle Rechtsbehelfe verzichtete (siehe Punkt 9). Einer der Punkte, die mir so gut gefielen bei diesem Dokument: ich erhielt die Erlaubnis nur, wenn ich auf alle Rechtsbehelfe verzichtete.
Das Wetter verschlechterte sich zusehends, und die Witterung ließ schließlich nur noch sporadische Arbeiten zu, die sich zudem auf samstags beschränkten, weil es abends schon sehr früh dunkel war.
Bereits im August hatte ich Kontakt mit Karsten Mayer aufgenommen, Lateinlehrer am Arnold-Jansen-Gymnasium oben auf dem Missionshaus. Dort fand seit etwa einem Jahr in unregelmäßigen Abständen eine Vortragsreihe statt, in die ein Vortrag über unsere Grabungen sehr gut paßte. Wir verabredeten einen Termin für Dienstag, 7. November, und ich zeigte einem sehr interessierten Publikum (etwa 30 Leute) etwa 120 Dias und erzählte von unseren Funden und was wir so erlebt hatten. Die zweite Ausgrabung erwähnte ich nur am Rande. Wiederholt wurde der Vortrag am darauffolgenden Samstag, 11. November, im Dorfkrug in Baltersweiler im Rahmen der Monatstreffen der Arbeitsgemeinschaft für Landeskunde (im Historischen Verein für die Saargegend e.V.). Beide Vorträge waren - wie immer bei meinen Vorträgen - etwas zu lang (90 Minuten), kamen aber - denke ich - gut an. Der Titel des Vortrags stammte von meinem Vater Horst Geiger und Dieter Bettinger: "Steinreich - oder: die Römer im Garten". Ich entwarf ein Plakat, daß ein römisches Landhaus zeigte und auf den Vortrag hinwies mit den Worten:
"Stellen Sie sich vor, Sie graben ein Loch in Ihrem Garten und finden einen Fußboden - einen Meter tief im Boden. Und direkt daneben Mauern und Ziegel. Und zwei Leichen gleich noch dazu. Eine Sensation - denken Sie. Denken Sie!"
Es gab dann noch zwei weitere Vorträge zum gleichen Thema, wobei ich je nach Grabungs- und Kenntnisstand aktuellere Informationen geben konnte. Der erste der beiden fand am 22. April 2001 in der St. Wendeler Felsenmühle statt, der zweite am 24. Mai 2001 in der Public Library der Stadt Dansville im amerikanischen Bundesstaat. Auf ihn hatte ich mich besonders vorbereiten müssen, weil ich davon ausging (nicht ganz zu unrecht), daß die dortigen Zuschauer gerade mal wußten, wo St. Wendel in Germany lag (weil ihre Vorfahren vor 150 Jahren von dort auswanderten), aber wohl noch nie eine römische Villa oder Trümmer derselben aus der Nähe gesehen hatten. Wenn Sie bei uns einen solchen Vortrag machen, können Sie davon ausgehen, daß die Zuschauer ungefähr eine Ahnung haben, von was sie da reden, während es von Amerika bis zu den nächsten römischen Ruinen vermutlich ein paar tausend Meilen sind. Meine Ansprechpartnerin in Dansville war die Leiterin der öffentlichen Bibliothek, Terry Dearing, die bereits Wochen vorher Plakate drucken ließ und Einladungen versandte und in der Zeitung für den Vortrag warb. Der Vortrag lief auch ganz gut, und von den etwa 30 Zuschauern verließen nur etwa zehn vorzeitig den Raum, weil's mal wieder zu lange wurde.
Professor Hermann machte bei einem Vortrag von bei der Arbeitsgemeinschaft für Saarländische Familienkunde im September 2000 über die Ausgrabungen an der Kirche von St. Arnual eine Anmerkung. Dabei ging es um die Lage der Toten bei Bestattungen im Mittelalter. Er sagte, daß bei Körperbestattungen bis etwa zum Jahre 1000 die Arme der Toten links und rechts entlang des Körpers lagen, der Brauch, die Hände der Toten zu falten, sich erst danach einbürgerte.
Ende Oktober 2000 war die große Wendalinus-Wallfahrt, bei der die Gebeine des Wendalinus enthüllt wurden. Ich betrachtete ihn oft und genau und bemerkte, daß man ihn in den engen Glaskasten richtig hineingepreßt hatte. Das Glassarg ist viel zu schmal, um eine Leiche aufzunehmen, deshalb schob man wohl die Schultern, den Brustkorb und die Hüften zusammen. Interessant dabei ist, daß die Arme auf dem Oberkörper liegen, aber nicht über Kreuz, sondern lotrecht nach unten, und die Hände über dem Becken nebeneinander liegen.
Das hatte ich schon einmal gesehen, nämlich bei dem vollständig ausgegrabenen Skelett in Rogers Garten. Dort lagen die Arme und Hände neben, also entlang des Rumpfes und waren nicht gefaltet. Sofern Professor Hermanns Behauptung stimmt, ist das ein Indiz für das Alter der Alsfassener Skelette - und das Mindestalter des Leichnams, der in der St. Wendeler Pfarrkirche begraben ist.
Weiter gingen die Arbeiten, und Mitte November wurden die Herren vom Konservatoramt nochmal eingeladen. Mit vierzehn Tagen Verspätung kamen sie auch (es gab ein neues Projekt in Völklingen, daß ihre gesamte Aufmerksamkeit erforderte). Dr. R. besichtigte die bisherigen Arbeiten und ließ sein Team die gefundenen Sachen einmessen. Unterhalb der jetzigen Mauer gab es eine etwa 5 auf 3 m² große Stelle, die mit Sandsteinblöcken bedeckt war. Erst hatte es nach einer dicken Mauer ausgesehen, aber jetzt wirkte es eher wie eine umgestürzte Hauswand. Dieser Theorie meinerseits wollte sich aber wohl niemand anschließen. R. gab mir die Erlaubnis, dieses Hindernis wegzuräumen.
Ich grub mich also von der Mitte aus Richtung Giebel des Berens'schen Hauses vor. Tatsächlich war die Schicht etwa 40 cm dick und bestand aus Sandsteinen, die oben auf einer weiteren etwa 30 cm dicken Trümmerschicht lagen. Diese Trümmer bestanden in der Hauptsache aus Ziegelscherben. Etwa zwei Meter unterhalb der Stelle, wo ich begonnen hatte, zog ich einen flachen Ziegel aus dem Schutt, direkt daneben ein weiteres Stück, das zu dem ersten paßte. Zusammen ergaben sie etwa drei Viertel einer Platte aus rotem Lehm, in dem Linien zu sehen waren. Erst dachte ich an zufällige Kratzer, aber als ich sie säuberte, waren künstliche Linien zu sehen, die mir aber nichts sagten. Ich zeigte sie ein bißchen herum, aber niemand konnte sich einen Reim draus machen. Es sah aus wie eine Art eingeritzter Stempel, aber was besagte er?
Etwa Mitte des Jahres war ich über Internet in ein Diskussions-Forum im Internet, eingestiegen, deren Mitglieder sich mit Themen der Antike und des Mittelalters beschäftigen (Infos gibt's via LT-ANTIQ-request@VM.SC.EDU). Mir ging es dabei um Fragen zu Wendalinus, wobei ich allerdings nie richtig wußte, wie ich sie stellen sollte. So war ich bislang nur passiver Leser geblieben. Das änderte sich jetzt. Ich legte die Platte auf meinen Scanner und erstellte eine Bilddatei.
Am 10. Dezember sandte ich via Internet eine Nachricht in Englisch aus, in der ich auf das Zeichen im Ziegel hinwies und fragte, ob mir jemand bei der Identifizierung helfen könne.
Spontan kamen Rückantworten aus aller Welt, und ich schickte jedem das Photo zu. Hier sind die Antworten der Reihe nach (Datum: 12.12.00 16:21:21 (MEZ) Mitteleuropäische Zeit; alle Emails bis auf das von Dr. Stylow kamen in englischer Sprache (eigene Übersetzung)):
"Hi, Roland!!
Das Bild, das du mir geschickt hast, ist sehr interessant. Es scheint sich um eine richtige Inschrift zu handeln, nicht etwa um ein Siegel oder eine zufällige Eingravierung. Die Inschrift wurde geschrieben, als die Tonwaren schon trocken, aber noch nicht gebrannt war. Sie wurde mit der Spitze eines scharfen Werkzeuges angefertigt, das beweist der Verlauf des "ductus", also der Führung des Schnitts. Dieser Herstellungsprozeß erklärt auch die Ungleichmäßigkeit der Buchstaben, einige sind groß und einige kleiner als ihre Vorgänger.
Die Inschrift scheint ein Personenname zu sein, im "Genitiv" geschrieben. Ich glaube, man könnte den Namen als "Seviri" lesen, d.h. "gehört dem Sevirus".
Der erste Buchstabe ist ein S, eine Sinus-Linie, der größte der Buchstaben. Es ist ganz sicher ein "s", aber auf dem Bild sehe ich das obere Ende des Buchstabens nicht. Es scheint ein "großes S" zu sein.
Bei dem 2. Buchstaben handelt es sich wohl um das sog. "pompejanische E", auch das "archaische E" genannt (besteht aus einem Doppelstrich). Das läßt mir die Möglichkeit einer Datierung vom Ende des 1. Jahrhunderts vor Christus bis zum Ende des 1. Jahrhunderts nach Christus zu (in einigen westlichen Gegenden blieb dieses archaische E noch während des 1. Jahrhunderts nach Christus erhalten, während es in Italien schon während der Augustinischen Epoche oder noch vorher verschwand).
Beim dritten Buchstaben gibt es nicht viel Zweifel: ein V, sehr asymetrisch, das gebe ich zu, aber das liegt wohl an den Schwierigkeiten, in solch einem Material zu schreiben. Der vierte Buchstabe ist ganz eindeutig ein "i". Kein Problem, das zu erkennen.
Der fünfte Buchstabe ist am schwierigsten zu lesen. Ich denke, es ist ein "D". Die Kurve rechts ist zu groß, um einen anderen Buchstaben erwarten zu lassen (z.B. ein "R", was die Interpretation sehr erleichtern würde).
Der letzte Buchstabe ist vermutlich wieder ein "i". Dahinter kommen wohl keine Buchstaben mehr, denn das Bild zeigt klar, daß die Inschrift hier endet.
Sevidi (die Interpretation wäre viel einfacher, könnte man "Seviri" oder "Severi" lesen) ist der Genitiv" des Namens "Sevidus" = "dem Sevidus gehörend" oder "ein Teil des Sevidus".
Die Inschrift wurde hergestellt, bevor die Tonware gebrannt wurde. Das bedeutet, daß die Inschrift keine Markierung des Herstellers oder ein Siegel war, also nichts, was mit der Herstellung des Ziegels zu tun hatte. Damit fällt die Angabe des Namens in den Bereich der Liefermodalitäten, wie z.B. der Zuteilung der einzelnen Stücke, Angabe von Personen, die einen Teil der gelieferten Ware bezahlen usw. Oder es wird angezeigt, welcher Ziegler welche Ziegel produziert hat. Mein großes Problem ist der Personenname: Sevidus, Sevedus oder was auch immer Ich würde es gern als Severus lesen und die Unterschiede als Fehler deuten (Schreib- oder Sprachfehler). Diese traten im provinziellen Zusammenhang, z.B. in Germania, oft auf. Das ist meine eigene Leseversion.
Ich hoffe, ich war dir von Nutzen und liege nicht zu weit entfernt von den Deutungen anderer Kollegen.
Angel Fuentes, Dept. of Archaeology, University Autonoma of Madrid"
Ich bedankte mich überschwenglich in meinem nächsten Email und schrieb, daß ich als einfacher Heimatforscher nie damit gerechnet hätte, von solch gelehrter Seite eine Antwort zu erhalten (oder sagen wir mal einfach, daß ich das nicht gewohnt war). Seine Reaktion darauf kam prompt:
"Hi, Roland!!
Du mußt dich nicht für nichts bedanken ... das ist das Internet, die fortschreitende, sich zusammenschließende Welt. Alles Wissen für die ganze Welt. ... Außerdem weiß ich nicht, was ein einfacher Heimatforscher sein soll ("simple local historian"). Ich kenne nur "Wissenschaftler", ob sie an örtlichen Angelegenheiten arbeiten oder nicht. Ich bin auch nichts weiter als ein einfacher Professor für römische Archäologie an der Universität von Madrid, nichts weiter. Ich freue mich, daß du mit meinen Anmerkungen etwas anfangen konntest. Einen weiteren Tip habe ich noch. Wende dich mit deinem Fund an das Büro der Corpus Inscriptionum Latinarum in Deutschland, deren Leiter Prof. Armin Stylow ist. Sie werden an der Inschrift sicher interessiert sein.
Hope that helps you
Angel Fuentes"
Eine weitere Zuschrift kam von William P. Thayer aus England, der zwar nicht alle Buchstaben lesen konnte, aber sich hinsichtlich des kursiven "e" sehr sicher war.
Roger Tomlin von der Universität Oxford war sich ziemlich sicher:
"Das Bild erreichte mich heute per Post, vielen Dank. Es handelt sich um Buchstaben in der Standardschreibschrift (schwer zu datieren, aber vermutlich 2. Jahrhundert, plus-minus ein paar Jahre), und es liest sich: SIIVIRI
Severi, 'of Severus'. (II ist ein Schreibschrift "e", und das R hat einen Teil seines Abstriches verloren). Damit ist wohl nicht der römische Kaiser gemeint, sondern vermutlich der Hersteller des Ziegels.
II = E war sehr verbreitet, und andere Inschriften auf diesem Medium sind bekannt (der Lehm war lederhart, aber noch nicht gebrannt). Es handelt sich mit ziemlicher Sicherheit um ein Schreibschrift-R, und davor steht das II. Ich tippe auf 2., vielleicht auch frühes 3. Jahrhundert. "
Auch der von Professor Fuentes empfohlene Dr. Armin U. Stylow reagierte postwendend:
"Sehr geehrter Herr Geiger,
was für ein unglaublicher Zufall, dass Sie sich mit Ihrem Ziegel gerade an meinen guten Freund Angel Fuentes von der Madrider Univ. Autónoma gewendet haben. Seiner Analyse stimme ich im wesentlichen zu, glaube aber, sie in einigen Punkten ergänzen zu können. Der Graffito lautet mit grösster Wahrscheinlichkeit SEVIRI. Erstens lässt sich ein mögliches Sevidi nirgends anknüpfen, und zweitens ist der Bauch des R zwar etwas gross geraten, doch ist dies beim schwungvollen Hantieren mit dem Griffel nicht überraschend und hat durchaus Parallelen. Da ein Cognomen Sevir, Genit. Seviri, nur ganz unsicher belegt ist, handelt es sich mit Sicherheit um das überall, auch und gerade in Germanien, äusserst gängige Cognomen Severus, das hier, einer bekannten Lautentwicklung im Vulgärlateinischen folgend, wonach langes e zu i wird (ähnlich: Felix, nicht selten Filix geschrieben), als Sevirus, Genit. Seviri, geschrieben erscheint.
Nach der Schriftform (vor allem des charakteristischen V) stammt das Graffito aus dem späten 2. oder doch wohl eher schon aus dem 3. Jahrhundert.
Mit freundlichen Grüssen
Dr. Armin U. Stylow , Koordinator CIL II2"
Nach diesen überraschenden Erkenntnissen erzwang der Winter sein Recht, draußen wurde es jetzt so richtig ungemütlich, und einsetzende Kälte ließ den Boden erstarren. Also legte ich bis Mitte Januar eine Zwangspause ein. Dann ging es - die Deadline des Konservatoramtes Ende April vor Augen - weiter. Knapp unterhalb der Stelle, wo ich den Schriftziegel gefunden hatte, stieß ich wieder auf Estrich, diesmal aber nicht aus Ziegelsplit, sondern aus großflächigen, etwa 4 cm dicken Platten aus einem bisher nicht identifizierten Material (nicht identifiziert - das alte Problem). Diesen Platten, die an der Oberfläche stellenweise abgeplatzt und sich außerdem gerade an den Kanten nach oben oder unten verschoben hatten, folgte ich Richtung Berens'ches Haus durch eine Brandschicht von etwa einem Meter Durchmesser, durchsetzt von Gefäßfragmenten. Von denen hatte das größte aber auch nur einen Durchmesser von etwa 10 cm. Meine rechte Grenze war das Ende des Aushubs, meine linke der Weg, der auf unseren Hof führte. Nach zwei, drei Wochen stieß ich im unteren Bereich auf drei große Sandsteine, behauene Quader, ähnlich denen, aus denen auch unser Haus gebaut ist. Unmittelbar dahinter wurde es dann plötzlich sehr interessant. Die Quader lagen querbeet aufeinander, ohne daß eine Ordnung zu erkennen war. Rechts arbeitete ich mich auf die Hauswand zu, als plötzlich links der Platten Ziegelsteine hochkant im Boden saßen. Sie kamen von links und bogen im rechten Winkel Richtung Berens'ches Haus ab, als begrenzten sie die Platten und ein links nebenan liegendes Areal. Ich folgte ihnen erst bis zum Haus, wobei die Ziegelsteinreihen plötzlich aufhörten, ebenso wie die Platten, als ich in gestörtes Gelände direkt am Haus stieß. Hier hatte irgendwer vorher schon mal gearbeitet.
Also folgte ich den Ziegelsteinreihen nach links in Richtung unseres Weges und stieß nach einem guten Meter plötzlich auf einen weiteren Quader, der hochkant im Boden steckte. Ich legte ihn rundherum frei und war baß erstaunt, als er sich als rund herausstellte. Gemerkt hat das mein Nachbar Roger, ich war so vertieft ins Freilegen, als er mich darauf hinwies. Als er frei lag, ging es nach unten, wobei ich nach etwa 40 cm auf einen weiteren Stein stieß, der unter dem runden Quader saß. Hier ging uns ein Licht auf, und wir erkannten, daß es sich um den unteren Teil einer Säule handelte. Der Teil unten war der Sockel, ein Würfel mit einer Kantenlänge von 50 cm, darauf und ehemals fest verbunden der runde Fuß einer Säule. Ein weiteres Stück fanden wir unmittelbar dabei liegend. Es hat oben eine Art Aushöhlung und stellt wohl die Hälfte des oberen Teils des Säulenfußes dar. Man kann sich gut vorstellen, daß auf diesem Fuß, eingelassen in die Aushöhlung ein hölzerner Pfosten saß.
Wir ließen das ganze Objekt zunächst, wo es war, und legten rundherum weiter frei. Natürlich hatte ich sofort das Konservatoramt informiert, allein, von denen ließ sich zunächst keiner blicken. Erst als ich meinem Fax einen Anruf hinterherschickte, kam Herr S. vorbei und schoß ein paar Photos. Zum Einmessen kam allerdings niemand zu uns. Ich sprach mit der Leiterin des St. Wendeler Museums, Cornelieke Lagerwaard, die natürlich sehr an der Säule und auch an dem Schriftziegel interessiert war.
Es folgt ein Auszug aus meinen Notizen, die ich anderntags angefertigt hatte:
"Samstag, 10.03.2001
Ich fange um kurz nach acht an, die Plattenfläche am Berens'schen Haus freizulegen, doch sie hört schon nach einem halben Meter wieder auf. Das Wetter ist bescheiden, ab und zu nieselt es ganz zart, doch es sieht nach mehr Wasser aus.
Gegen zehn kommt Lothar Zeyer aus Ottweiler vorbei und fährt wieder, um halb 12 wiederzukommen - diesmal in Arbeitskleidung. Um 11 kommt wie versprochen Professor Leo Kornbrust vorbei, seine Frau mußte wegen einer schlimmen Erkältung zuhause bleiben. Er schaut sich die Säule an und meint, die Hersteller hätten einen großen Fehler gemacht, weil sie den Stein in dieser Richtung bearbeitet hätten (das hat etwas mit der Maserung zu tun o.ä.).
Lothar kommt zurück, und wir rücken der Säule zu Leibe. Geplant ist, sie mit Rogers Unimog zu heben und zum Museum zu bringen. Wir sind zu fünft, Lothar, sein Sohn Moritz, Sieglinde, ihr Sohn Ramon und ich. Zunächst tragen wir den runden Oberteil der Säule in die Scheune. Als wir ihn abheben, sehen wir, daß er bereits vorher gerissen ist, denn die Bruchstelle ist völlig von Wurzeln bedeckt. Ein Bundeswehrseil wird um den Sockel geschlungen, Lothar hält das eine Ende, ein Brett kommt drunter, dann ziehe ich das Teil mit dem Auto aus dem Loch. Oben kommt es auf die Berens'sche Sackkarre und wird vor der Scheune abgestellt, wo es vom Schlamm befreit wird.
Nach einer kurzen Stärkung, die Anne bereitet hat, gehen wir wieder ins Loch, um festzustellen, was sich dahinter tut. Binnen fünf Minuten hat Lothar zwei Scherben gefunden, die auf einen großen Topf hindeuten, der dort drinsteckt. Vorsichtig wird rundherum und obendrüber gegraben - der Topf steckt vollständig im Boden. Ich rufe Ortwin Englert an, der eine halbe Stunde später vorbeischaut und den Nachbarn Bernhard Strube mitbringt. Der Topf ist freigelegt, er steht aufrecht im Boden und ist mit Dreck und Scherben gefüllt.
Aber wir können ihn nicht rausheben, er ist zu schwer und würde auseinanderbrechen. Jetzt schon besteht er aus einzelnen Fragmenten, die nur noch durch den Inhalt zusammengehalten werden. Wir beschließen, ihn von oben nach unten abzubauen, was wir auch tun. Auf der Innenseite eines runden Deckels eines Wasserfasses werden die einzelnen gefundenen Teile deponiert, der Inhalt zum Sieben extra gelegt. Im oberen Teil gibt es viele kleine Fragmente (3x4 cm), nach unten werden sie größer und dicker. Die letzten etwa 30 cm Topf nehme ich am Stück raus, um sie später in aller Ruhe zu leeren und säubern. Der Topf hat einen sehr schmalen runden Fuß von ca. 8 cm Durchmesser, leider ohne Inschrift. Darüber bauscht sich das Gefäß weit. Es sieht aus, als ob es aus zwei Teilen bestanden hat, Topf und Deckel. Aber das läßt sich erst mit Sicherheit sagen, wenn das Teil wieder zusammengesetzt ist.
Der Inhalt besteht von oben nach unten aus Lehm, Tonfragmenten, dem vermutlichen Deckel. Darunter finden sich Knochenfragmente, ein Gebiß, eine sehr breite Rippe, vermutlich von einem Rind, und andere Knochen. Dazwischen liegen kleine Steine. Das Arrangement erinnert mich daran, wie man ein Sauerkrautfaß füllt. Unten das Kraut, darauf eine Holzscheibe, darauf kleine Steine zum Beschweren. Ich wasche die Funde mit kaltem Wasser ab und lege sie zum Trocknen.
Sonntag, 11.03.2001
Das Puzzlespiel beginnt, als wir versuchen, den Topf zusammenzusetzen. Es kommt uns sehr zu Hilfe, daß wir die Teile gleich in richtiger Reihe hingelegt haben. Ich nummeriere sie im Innenbereich, aber die Arbeit gestaltet sich doch schwieriger als vorher angenommen. Da ich sowieso keine Möglichkeit habe und weiß, die Teile zusammenzukleben, gebe ich schließlich auf. Der Topf wird warten müssen auf eine berufenere Hand."
Diese berufene Hand kam in Person einer Töpfermeisterin namens Elke Gemmel, die den Topf wieder zusammensetzte.
Beim Heben des "Topfes"
von links nach rechts
Roland Geiger, Lothar Zeyer, Sieglinde Berens, Ramon Berens, Bernhard Strube
Schon zuvor hatte es viel Spekulation gegeben, wie denn nun diese Säule ins Gesamtkonzept hineinpaßte. Aufgrund des Standardbildes einer römischen Villa in unserer Kante vermuteten wir den Haupteingang hier an dieser Stelle. Das stimmte auch mit den bisher auf Berens'schem Gelände gefundenen Grundmauern überein, deren bekannter und vermuteter Verlauf auf einen Risaliten in unserem Garten hinwies. Wenn das stimmt, dann könnte der Haupteingang etwa dort liegen, wo wir die Säule rausgezogen haben. Dann liegt der zweite Risalit (der rechte, steht man davor) dort, wo heute unser Haus steht ("genius loci"). Tja, wenn ....
Ortwin Englert wies mich später auf zwei Abbildungen in Alfons Kolling's "Funde aus der Römerstadt Schwarzenacker" (Tafel 37 oben rechts und links) hin, wo ein ähnlicher im Boden eingelassener Topf gefunden wurde und als "Schmorbehälter" deklariert wurde.
Kolling schreibt dazu auf Seite 41: "Zum Küchenbetrieb gehörten auch in die Erde eingelassene, geköpfte Amphoren. Die zwei vorgefundenen Exemplare waren mit Holzkohle gefüllt, ein Hinweis auf die Zweckbestimmung. Es dürfte sich um eine Art "Römertopf" handeln. Man füllte den Behälter mit glühender Kohle, steckte den umwickelten Braten hinein und verschloß das Ganze."
Die in unserem Topf gefundenen Hartsteine könnten dazu gedient haben, die Hitze zu halten, während der Inhalt vor sich hin schmorte. Ob der Inhalt des Topfes beim allgemeinen Aufbruch, also dem Verlassen der Villa, einfach vergessen wurde, bleibt im Ungewissen. Den alten Topf hätte man wahrscheinlich auf keinen Fall mitgenommen. Thomas Fontaine vom Rheinischen Landesmuseum in Trier meint dazu am 20.12.2001:
"Ihr "Topf" scheint mir keine für den Handel bestimmte Transportamphore, sondern eine einfache krugförmige Amphore gewesen zu sein, wie man sie im Haushalt als alltägliches Vorratsgefäß benutzte. Der "Deckel" ist wohl eher die eingedrückte Schulterpartie mit dem Ansatz des abgeschlagenen oder abgebrochenen Gefäßhalses. Solche Gefäße finden sich oft in den Kellern der Häuser, wo ihr Inhalt durch die kühlen Temperaturen eine gewisse Zeit geschützt war. Sicherlich wurde auch Fleisch in solchen Tonkrügen aufbewahrt, wozu die von Ihnen im Gefäß gefundenen Tierknochen gut passen. Vielleicht war das Fleisch auch eingepökelt oder in einer Salz-Essiglake eingelegt. In diesem Fall könnte das Gefäßoberteil tatsächlich bewußt abgeschlagen und als Deckel zum Beschweren des Inhalts benutzt worden sein. Die Steinwürfel, die Sie von der Herstellung von Sauerkraut her noch kennen, könnten in der Tat in diesem Fall als Gewichte gedient haben. Für diesen Hinweis bin ich im übrigen sehr dankbar, da man auf solch naheliegende Deutungen meist nicht kommt, und solche unscheinbaren Steine wohl allzu oft bei Ausgrabungen unbeachtet geblieben sein dürften."
Mittlerweile war es April geworden, und die Arbeiten neigten sich ihrem Ende entgegen. Die Säule und der Schriftziegel waren nebst anderen Teilen aus Rogers Bestand aus der ersten Grabung im Vorjahr ins St. Wendeler Museum gebracht worden. Der Bereich um das Sockelloch wurde photographiert, notdürftig vermessen und anschließend wieder aufgefüllt. Anschließend bedeckten wir den gesamten Grabungsbereich mit einer Lage schwarzen Drainagevlieses und dieses mit rot-weißem feinkörnigem Schotter. Am Fundort des Sockels hatten wir erst ein Eisen in den Boden geschlagen, um die Stelle zu markieren, und dieses später durch einen im Boden eingelassenen dreiblättrigen Stein ersetzt.
Damit waren die Grabungsarbeiten fast beendet. Meine Grabungserlaubnis ausnutzend, die uns unbeschränkte Grabungen bis an die Grundstücksgrenze erlaubte, stieg ich hinauf in den Garten und hob ein weiteres Loch aus entlang der Quermauer, die von Rogers Grundstück in unseren Garten hineinzieht, fast gerade auf den Fundort des Sockels zu. An der Innenseite hatte ich bei der ersten Grabung Wandbemalungen sowie Reste eines Mahlsteines (dachte ich jedenfalls) gefunden.
Einen halben Meter weiter legte ich die Oberkante der Mauer frei und stieß davor in die Tiefe, bis ich den Estrich erreichte. Links stieß ich wieder auf einen Stein, der dort vor der Mauer im Boden lag, und freute mich schon auf weitere Teile des Mahlsteines, alleine dieser Stein war etwas groß dafür. Er bestand aus einer viereckigen Platte von 50 cm Kantenlänge, auf der - fest verbunden - eine etwa 3 cm dicke, etwa kleinere Platte saß, die einen abgerundeten Rand hatte. Auf dieser wiederum saß irgendwann einmal ein weiteres rundes Teil mit wesentlich geringerem Durchmesser, das allerdings jetzt abgebrochen war. Als wir den Stein schließlich bargen, wurden wir gewahr, daß es sich um das Oberteil einer Säule handelte, wobei mir bis heute niemand sagen konnte, welchem Stil sie entspricht. Mittels eines einfachen Hebels hoben Roger und ich sie aus dem Grabungsloch.
Mit Pinsel und klarem Wasser säuberte ich die Wand der Mauer und photographierte den bemalten Putz. Dann füllte ich das Loch wieder mit Erde auf, und meine Frau Anne konnte ihren Garten vorm Haus weiter bepflanzen.