Essen 11/6
Er Wohlgeboren
dem Herrn Steininger
Oberlehrer am Gymnasium in Trier
Essen am 10. Juni 1830.
Lieber Bruder!
Dein Brief hat mir viele Freude gemacht. Es hat mich
und endlich gefreut zu sehen dass du dich wieder erholst
und wieder anfängst neue Kraft zu bekommen. Das
Bertricher-Bad wird gewiss nur sehr vortheilhaft auf
dich wirken, und viel dazu beitragen deine Gesundheit
zu befestigen. Die Mittel zu deiner früheren Beschäftigung
waren sehr gut gewählt. Das Lesen von Reisebeschreibungen
Ist nicht allein recht angenehm und anziehend, sondern
auch für den Lehrer der Physik und Naturgeschichte
sozusagen unentbehrlich; und die Anlage einer
Sammlung von Versteinerungen ist eine recht hübsche
Ausbeute für die Urgeschichte unsrer Gegenden. Die
Reise in das Bertricher-Bad dürfte dir, außer ihrem
Hauptzwecke, auch noch zur Erweiterung dieser
Sammlung förderlich sein, in dem sie zu mehrerlei
kleinen Exkursionen Gelegenheit giebt und zum Suchen
veranlaßt. Gern biete ich dir hierbei die Hand,
und werde auch in diesen Gegenden aufsuchen und auf-
suchen lassen so viel ich kann, um es dir zur
gehörigen Zeit zuzuschicken.
Ich beschäftige mich schon beinahe zwei Jahre ausschließlich
mit Mathematik und Physik, dass ich am Gymnasium
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noch die zwei obersten Klassen in Französisch habe,
hat in der Krankheit unseres Direktors und in dem Ent-
weichen Guilleaume's seinen Grund, und wird wahr-
scheinlich auch nur mehr bis Herbst dauern; es nimmt
mir übrigens zu Hause keine Zeit weg und ist nicht
in Anschlag zu bringen. Ebenso daß ich in den Herbstfe-
rien etwas Latein las und Englisch trieb, waren nur
eine Erholung für mich und mußte auch mit den
Ferien wieder aufhören. Es wäre ein angenehmer
Wunsch für mich, hin und wieder in den Ferien die
alten und neuen Sprachen zu pflegen; es wird aber
wahrscheinlich nur ein Wunsch bleiben, in dem die
einzelnen Disziplinen der Naturgeschichte in deren
Stelle scheinen treten zu sollen. Aus eigener Erfahrung
ansehend, wie sehr diese in einem gewissen Grade dem
Physikus nothwendig sind, habe ich schon seit zwei
Jahren angefangen mich in den Zwischenstunden damit
zu beschäftigen, und habe ich zu diesem Zwecke
auch den Unterricht darin am Gymnasium übernommen.
Ich fange so nach und nach an einen Blick hinein zu thun,
und ich habe diesen Gegenstande diejenigen Stunden
bestimmt in denen ich zum kräftigen Arbeiten nicht
fähig bin; die guten Stunden des Tages sind alle
die eigentlichen Physik gewidmet. Darin habe ich
schon viel gethan; aber es ist mir noch ungeheuer
viel zu thun übrige. - So wie sich die naturgeschichtlichen
Zweige als Nebenstudien an die Physik anlehnen, so
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schließen sich an die Mathematik, in der ich so weit sie auf dem
Gymnasium vorkommt einen ziemlich festen Fuß gefaßt
Habe, die praktischen Messungen an. Ich gehe im Sommer
jede Woche wenigstens einen Nachmittag heraus. Mich
verfolgt hierbei ein beinahe in allen Arbeiten als Gymnasial-
lehrer das eigene Geschick, durch Lehren erst lernen zu
müssen, indem fast alles was ich auf dem Gymnasium oder
auf der Universität gelernt habe mir zur Anwendung
nicht vorgekommen ist, ich hingegen fast allein in dem
zu unterrichten, wovon ich gar nichts wusste
daher zum Teil in den ersten Jahren mein schwieriger
Standpunkt; es wird noch einige Jahre zu gehen, bis ich
als Gymnasiallehrer nicht leicht fühle.
Die Nachrichten von Trier waren mir sehr interessant;
ich hatte lange nichts mehr von dem Leben am Gymna-
sium gehört. Der Tod des Herrn Castello war für mich
zwar nicht überraschend, thut mir indessen doch leid;
man war von je her gewohnt sich ihnen als eine Art von
Familienvater zu denken, dessen man sich immer erin-
nerte so oft man der Jahre seiner frühen Jugend
gedachte. Daß Chr. Stein nicht wirklicher Direktor der
neuen Bürgerschule in Trier ist, war für mich befrem-
dend; noch vor kurzem hörte ich aus dem Munde des
Hr. v. Münchow, die nicht auf einer Durchreise besuchte,
daß er es sei und sich besser stehe als wäre er nach
Cöln gekommen. Sonderbarer Weise bin ich in die
Angelegenheiten von Cöln auch mit verwickelt worden.
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Gegen Mitte des vorigen Sommers nämlich war Hr. Professor
Grastopf des Morgens einmal plötzlich ganz uner-
wartet im Gymnasial=Gebäude. Er wandte sich ganz
freundlich zu mir; und bat mich meine Stunde besuchen
zu dürfen. Er begleitete mich von Klasse zu Klasse, und
veranlaßte mich noch eine außergewöhnliche Stunde
in der Physik auf Prima + Secunda zu geben. Er forschte
Nicht nach der sie ihr angelegentlich aus, inwiefern ich Neigung
zur praktischen Mathematik und Physik etc. habe, und
was ich schon in diesen Fächern gethan. Bis mittags
wurde ich in dem Hause in welchem er speiste zu Tische
gebeten, des Abends in einem anderen Hause ebenfalls.
Er nahm von mir Abschied, mit dem Bemerken daß
er hoffe, mit mir in genauere Verbindung zu treten.
Tags darauf war die ganze Stadt voll, ich käme als erster
Oberlehrer an die höhere Bürgerschule nach Cöln, mit einem
Gehalt von 800-900 Thlr., Habe vorläufig unter Graskopfs
Leitung das Direktorium wahrzunehmen, werde alsdann
selbst Direktor et cetera. Daß Gr. In Auftrag der Regierung
und meinetwegen hergekommen war, war zu offenbar;
allein gegen mich hat er sich weiter nicht geäußert und
nur zu anderen bestimmte gesprochen. Einige Tage
später schrieb er indessen an einem Curator das Obige,
mit dem Zusätze sie hätten noch vorher den provisorischen
Mathematiker an der Bürgerschule wegzuschaffen und
würden jetzt der Nacht die Maasregeln ergriffen. Im
Herbste erschien hier dieser Mathematiker; er sagte
die Regierung habe ihm schriftlich meine Stelle versprochen.
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und zwischen uns beiden sollte ein Austausch geschehen,
es hänge nur mehr an der Oberbehörde. Gegen Neujahr
kam hier von Koblenz die Nachricht, daß die Provinzial=
behörde gegen diese Vertauschung nichts einzuwenden
habe; als einige Wochen später wieder die entgegenge-
setzte Nachricht von dorther einlief, der Tausch sei wieder
aufgegeben und Eschweiler sei das Direktorium
angetragen. Als Ursache gab man die Verwendung
einer „antigres Hof’schen Partei beim Ministerium an,
an deren Spitze der Erzbischoff und Lange stehen.
Man soll Seitens der andern Partei Herrn Gr. Privat-Ab-
sichten und namentlich Geldspekulation vorgeworfen
haben. Wie dem auch immer sei, H. Eschweiler scheint
die Stelle nun zu bekommen und es scheint sich immer
mehr um sein Examen zu handeln. Meinerseits
leugne ich gar nicht, daß es mich sehr befremdet hat,
Herrn Eschweiler am Anfang bei der Wahl übergangen
und dieselbe auch mich geleitet zu sehen, da derselbe
ein weit älterer Lehrer als ich, in Cöln gekannt,
und besonders bei Herrn von Münchow sehr froh geschätzt
ist. Ich habe mich übrigens um die ganze Sache nicht
bekümmert, so wie mir nie in den Sinn gekommen
wär nach dieser so wichtigen Stelle zu spüren.
Gegen Fastnacht, wie ich glaubte, daß sie schon bestimmt
in Herrn E. vergeben sei, meldete ich mich in Privat-
Schreiben bei Herrn Lange und Gr. zur Stelle von
Herrn Eschweiler; erhielt aber im sehr verbindlichen
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Briefe die Antwort, daß sie wahrscheinlich eingehen und
der Unterricht an den übrigen Lehrer vertheilt werden soll.
Somit ist also dieser freundliche Stern, der mir ein halb Jahr
geleuchtet hat, wieder gänzlich verschwunden. Ich bin indessen
doch zufrieden, obgleich ich hier nimmer in die 30 Stunden zu
geben, wegen Mangel an Fonds eine Aussicht auf eine
Gehaltserhöhung oder auf Renumeration, und wegen
der geringen Anzahl katholischer Gymnasien auch wenig
Aussicht auf Versetzung habe. Im Herbste werden
wir wohl einen neuen Direktor bekommen, da der unserige
in Siegburg für ineurable erklärt worden. Es heißt,
daß Rückstuhl aus Koblenz dazu ernannt werde.
Obgleich man sich zum Dirigiren eines Gymnasiums wohl
fähig halten könnte, so dürfte ich doch an die
hiesige Stelle nicht denken, theils weil ich noch Herrn
Wilberg vor mir habe, theils auch weil ein Mathema-
tiker noch schwerlich so leicht in solcher Eigenschaft
angestellt werden möchte. Darum muß man es nur
gehen lassen wie es geht, und muß sich in der Stille
für künftig mögliche Fälle zu befähigen suchen.
Ich werde mich übrigens immer zufrieden und
glücklicher fühlen, so wie ich die Meinigen immer
zufriedenener und wohl weiß, und in dieser Gesinnung
wünsche ich denn und hoffe ich, daß die Reise
in’s Bad zur Befestigung deiner Gesundheit viel
beitrage. Sehr verlange ich, daß wir uns einmal
wieder sehen und sprechen, und ich hoffe auch daß wir
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uns gesund sehen. Grüße mir freundlich Mdme Klauck
und behalte blieb
Dein getreuer Bruder
P.J. Steininger