15.08.1785 Der Diamantenprozeß der Königin [Halsbandaffäre].
Es war am 15. August des Jahres 1785 zwischen zehn und eilf Uhr, als eine bedeutende Masse Menschen in die große Galerie zu Versailles strömte. Die Höflinge drängten Ludwig XVI zur Messe nach, wie sie früher seinem Vorgänger zur Jagd oder in den Parc au cerf nacheilten. Denn bekanntlich theilen Höflinge die Neigungen ihrer Herrn. Jetzt hingegen war der Hof züchtig und fromm. Halb Moralist, halb Philosoph hatte er die guten Werke in die Mode gebracht, ja sogar die gute Hauswirthschaft war an die Tagesordnung gekommen. Die Gatten, welche in den letzten zwanzig Jahren sich notorisch der Untreue hingaben, hatten sich jetzt genähert, vereinigt, und erschienen stets zusammen. Diese Bekehrung würde sehr erbaulich gewesen sein, hätte man nicht Heuchelei dahinter geargwohnt.
Mitten unter diesen neugebackenen Andächtlern erregte die Haltung eines Mannes, der seinem Stande gemäß mit gutem Beispiel hätte vorangehen sollen, arges Aufsehen. Dieser Mann, etwa ein Fünfziger, trug den Purpur der Kirchenfürsten und das große Band des Heilig=Geist=Ordens über seiner Priesterkleidung. Er wartete mit dem Beginn des Hochamtes nur auf den Befehl des Königs, und ging unterdessen in leichter Haltung auf und ab, indem er seine Soutane zuweilen etwas aufhob, um seine wohlgebildete Wade zu zeigen; an allen Fingern blitzten Ringe; die Spitzen seines Chorrockes allein hatten 100.000 Thaler gekostet. Er näherte sich verschiedenen Gruppen, indem er nach allen Seiten solche leichtfertige Scherze hinwarf, worüber selbst die Regentschaft hätte erröthen müssen. Er bezeichnete durch abgeschmackte Komplimente die Frauen, deren Gunst er erkauft, und suchte durch unanständige Blicke selbst diejenigen zu verdächtigen, die ihm stets widerstanden.
Dieser Mann war kein anderer als Ludwig Reinhard Eduard von Rohan, Kardinal der heiligen römischen Kirche, Fürstbischof von Straßburg, Landgraf von Deutschland, Großalmosenier von Frankreich, Doctor und Vorsteher der Sorbonne, Abbe von St. Waast und Chaise=Dieu u.s.w. u.s.w. Er zeichnete sich übrigens in keiner Hinsicht aus, weder als moralischer Mensch, noch als Charakter, noch als Kopf. Um in den Besitz aller dieser Würden, welche mehr als eine Million zu den 2 bis 3 Millionen Einkünften, die er aus seinem Privatvermögen zog, fügten, zu gelangen, hatte diese erlauchte Person sich keine andere Mühe gegeben, als auf die Welt zu kommen, denn es war für einen Rohan eben so natürlich, Fürstbischof von Straßburg, als für einen Bourbon, König von Frankreich zu sein; im ersten Falle erfolgte die Nachfolge blos in der Seiten=Linie.
Der Großalmosenier (1) ging also mit seiner gewöhnlichen Aufgeblasenheit in der großen Galerie zu Versailles auf und ab, als ein Kammerdiener ihm meldete, daß der König in seinem Kabinette auf ihn wartete. Der Prälat folgte ihm, glücklich und stolz über eine solche öffentliche Auszeichnung, die er lange nicht mehr genossen. Er war im Begriff, eine graziöse Verbeugung zu machen, als er neben dem Könige die Königin erblickte, die ihn mit einem Maria=Theresien=Blicke ansah, welcher ihn während seiner Wiener Gesandtschaft so oft außer Fassung gebracht. Maria Antoinette, blassen Angesichtes und funkelnden Auges, biß sich vor Zorn auf die zitternden Lippen, und als ihr Mund den Ausdruck annahm, den man seitdem mit dem Namen des „österreichischen“ bezeichnete, bebte Alles umher, besonders der gute Ludwig. Der arme Kardinal stockte, seine Knie wankten, er ahnte ein Ungewitter, und täuschte sich nicht.
„Mein Herr,“ sagte der König, „haben Sie von Böhmer Diamanten gekauft?“
„Ja, Sire.“
„Was haben Sie damit angefangen?“
„Ich glaubte, man habe sie der Königin zugestellt?“
„Wer hat Sie damit beauftragt?“
„Eine Dame von Stande, die Frau Gräfin von Valois=Lamotte, welche mir einen Brief der Königin zeigte, und, um mich der Königin angenehm zu zeigen, hab ich mich dem Auftrage unterzogen.“
„Wie, mein Herr,“ rief jetzt die Königin, „wie konnten Sie, an den ich seit vier Jahren kein Wort gerichtet, glauben, daß ich Sie, und noch gar durch eine solche Vermittlerin zu diesem Geschäfte erwählen würde?“
„Ich sehe, ich bin grausam hintergangen worden und ich. werde den Schmuck bezahlen. Mein Streben, der Königin gefällig zu sein, hat mich so verblendet, daß ich den Betrug nicht ahnte; es schmerzt mich tief.“
Hierauf zog der Kardinal aus seiner Brieftasche den angeblich von der Königin unterschriebenen Kaufakt hervor, blieb aber wie versteinert stehen, als ihm der König bemerklich machte, es sei nicht die Schrift seiner Frau, welche sich übrigens „MarieAntoinette“ und nicht „Marie=Antoinette von Frankreich“ unterzeichne. Einige Minuten nachher führte ein Garde=Lieutenant den armen Prälaten, welcher noch im Priestergewande war, als Gefangenen durch die große Galerie. Ein anderer las die Messe, die gewiß wenige Anwesende mit Andacht hörten, weil ihre Gedanken mit dieser merkwürdigen Verhaftung, deren Ursache noch Niemand ahnte, beschäftigt waren.
Anders verhielt es sich den folgenden Tag, als man erfuhr daß der Kardinal in die Bastille gebracht worden sei. Da erhoben die Rohan, Soubise, Guéméné (2) lautes Geschrei. Diese Leute, welche zu sagen pflegten, daß Gott selber sich bedenken würde, einen Tremouille (3) zu verdammen, konnten es nicht begreifen, wie der schwache Louis es wagen könnte, einen Rohan, einen Fürstbischof von Straßburg, einen souverainen Reichsfürsten, einen Großalmosenier von Frankreich, in die Bastille zu schicken.
Marie=Antoinette hatte sich, kaum in Frankreich angekommen, dem ganzen hohen Adel entfremdet, wie sie sich später auch den Haß des Bürgerthums und Volkes zuzog. Um der Fürstin entgegenzuhandeln, nahm der Herzog von Aiguillon die Wiener Gesandtschaft dem Baron von Breteuil, dem Freunde des Dauphin (4), um sie dem Fürstbischof von Rohan zu geben. Dieser kam nach Wien 1772, konnte sich aber bei Maria Theresia nicht halten; denn sie hörte nicht auf, seine Zurückberufung zu verlangen, welche jedoch erst zwei Monate nach dem Tode Ludwig des Fünfzehnten erfolgte. Die Beschwerden, welche sie auseinandersetzte, waren folgende:
„1) die öffentlichen Verbindungen des Fürstbischofs bei Hofdamen und Personen geringeren Ranges,
2) sein Stolz und Hochmuth gegen die übrigen Gesandten,
3) die ungeheuern Schulden, die er und seine übrigen Leute machten,
4) seine Geringschätzung der Religion.
Nun bei seiner Rückkunft erhielt Herr von Rohan von Ludwig dem Sechszehnten nur eine Audienz von einigen Minuten, und Marie Antoinette, die ihn nicht empfangen wollte, ließ einen Brief ihrer Mutter, den er mitgebracht, bei ihm abholen. Vermöge seines Namens erhielt er später die Aemter und Würden, die wir aufgezählt haben. Niemals aber würdigte ihn der König seines Vertrauens noch die Königin eines einzigen Wortes. Letztere befolgte hierin dem Beispiel ihrer Mutter, die einzige Person, die einigen Einfluß auf sie ausgeübt. Die ganze Begebenheit, für deren Wahrheit wir einstehen, rechtfertigt Marie=Antoinette von vorn herein vor aller direkten oder indirekten Theilnahme an der berüchtigten Diamantengeschichte, während sie zugleich die stupide Eitelkeit des Kardinals beweist, welcher, anstatt sich an seine Ungnade zu gewöhnen, sich öffentlich als Liebhaber der Königin darstellte; ja er, den der ganze Hof kannte, wagte es, sich in allerhand Verkleidungen zu stecken, um sich auf ihrem Wege nach dem Trianon in Versailles bei den Festen und Reunionen einzufinden, wovon er namentlich ausgeschlossen war. Er benahm sich wie ein Student oder Commis, welcher der Frau eines Spezereihändlers seine Aufmerksamkeit bezeigt. Diese lächerliche und doch aufrichtige Leidenschaft machte den Kardinal zum Schlachtopfer der ihn umgebenden Intriganten.
Um diese Zeit befanden sich in dem Dorfe Foutette in der Champagne drei verwaiste Kinder in großem Elende, jedoch im Besitze werthvoller Urkunden. Madame von Beulainvilliers, welche Interesse an diesen Kindern nahm, ließ deren Dokumente vom Wappenrichter d’Horzier untersuchen, und es wurde konstatirt, daß jene in direkter Linie von einem natürlichen Sohne Heinrichs II. abstammten. Aus dieser Entdeckung zog ihre Beschützerin für sie Nutzen, wobei sie durch ein von d’Horzier veröffentlichtes Memoire unterstützt wurde. Jeanne de Luz de Saint=Remy erhielt gleich eine Pension von 800 Livres, darauf eine von 1500 und heirathete den Grafen von Valois Lamotte, ihre Schwester Maria Anna wurde königliche Pensionärin in der Abtei zu Jarcy; ihr Bruder Jakob, Baron von Valois=Saint=Nemy, wurde in der Folge Fähnrich und starb den 2. Mai 1785 als Schiffslieutenant und Kommandant der Fregatte Surpeillante auf der Rheede von Bourbon.
Etwa um den Anfang des Jahres 1781 - kurz nach ihrer Verheirathung und dem Tode ihrer Beschützerin - machte Madame von Valois=Lamotte die Bekanntschaft des Kardinals von Rohan. Ihre ersten Beziehungen betrafen nur die Unterstützung, um welche sie ihn ansprach, denn sie gehörte zu jenen Adligen, welche gleich vielen Andern zu damaliger Zeit nur von Almosen lebten. Unter dem 8. Oktober 1783 finden wir unter den Akten einen Bericht, welchen der General=Kontrolleur über diese lästige Bittstellerin verlangt hatte. Es geht daraus hervor, daß Madame de Lamotte in der Neuve=Saint=Gillesstraße eine Wohnung von 1200 Livres innehatte, ihre geborgten Möbel wegen einer Summe von 126 Frs. faisirt waren, und daß, um deren Verkauf und die Verhaftung seiner Person zu verhüten, ihr Gemahl von der Gnade des Königs die Verlängerung eines im vorigen Jahre erhaltenen Frei=Briefes flehte. Ihre Schulden beliefen sich auf 9000 Frs. und ihre Hülfsquellen beschränkten sich auf die bereits genannten 1500 Frs. Dennoch hatten sie einen Bedienten, eine Kammerfrau und eine Köchin, die aber unregelmäßig und schlecht bezahlt wurden.
Madame de Lamotte war weder schön noch hübsch, aber ihr Aeusseres hatte doch etwas Interessantes, Geistreiches. Ihr Gemahl war durchaus nicht scrupulös, eben so wenig der Kardinal, wenn eine Frau ihn nur schön zu finden und seiner Eigenliebe zu schmeicheln wußte.
In seiner Vorstellung an den König und das Parlament gesteht dieser, der Madame de Lamotte kleine Unterstützungen von einem, zwei, drei, ja einmal eine von 25 Louisdor gegeben, und für ihren Gemahl wegen einer Summe von 5000 Fr. Bürgschaft geleistet zu haben, die er zahlen mußte. Sie hingegen behauptet, daß er sie mit Wohlthaten überhäuft, und daß sie innerhalb eines Jahres 28.000 Fr. ohne die Juwelen und andere kleine Geschenke von ihm erhalten habe.
Da dem armen Prälaten nichts mehr am Herzen lag als seine Leidenschaft für die Königin und die tiefe Ungnade, in die er gefallen, so war es natürlich, daß er oft mit der Intrigantin davon sprach, welche darauf den listigsten und merkwürdigsten Betrug gründete, der je bei einem Tribunale vorgekommen. Diese Frau, welche von milden Gaben lebte, schwatzte dem Kardinale vor, daß sie täglich die Königin sehe, ja eigenhändig geschriebene Briefe von ihr empfange. Doch hören wir ihn selber sein Mißgeschick berichten:
„Die Frau v. Lamotte eröffnet ihm im Mai 1784, daß die Güte der Königin sie vielleicht in den Stand setze, ihm zu dienen; als er dies nicht glauben will, zeigt sie ihm Briefe, deren Handschrift er nicht kennt; noch hegt er Zweifel; diese verschwinden aber, sobald er von ihr die schmeichelhafte Kunde vernimmt, die Königin sei geneigt, seiner Ungnade ein Ziel zu setzen. Jetzt lebt er ganz in dieser Hoffnung, und die Lamotte merkt, daß sie das sicherste Mittel gefunden habe, ihn mit Hülfe seiner Selbsttäuschung hinters Licht zu führen. Da er der Sache noch nicht gänzlich traut, so macht sie ihm Hoffnung zu einer Audienz; diese findet jedoch nicht Statt, und die Zweifel kehren zurück. Da faßt sie einen kühnen Plan, dem Bittsteller nemlich weiß zu machen, daß er aus dem Munde der Königin selber die tröstliche Kunde von dem Aufhören seiner Ungnade vernommen habe. Die Königin ging nemlich an Sommerabenden mitunter in den Gärten zu Versailles spazieren. Finden Sie sich doch ein, sagte die Lamotte, und Sie werden vielleicht so glücklich sein, von der Königin die Bestätigung meiner Mittheilung zu vernehmen.“
Wirklich fand sich eines Abends gegen das Ende des Juli oder im Anfange August der Bittsteller im Garten ein; nach Anweisung der Lamotte nähert er sich in tiefer Ehrfurcht einer Person, in der er fälschlich die Königin vermuthet, und von welcher er Folgendes vernimmt. „Sie dürfen hoffen, daß das Vergangene vergessen sei.“ Ein Mann in der Nähe dieser Person meldete gleich darauf Madame und die Gräfin von Artois.
Seit jener Zeit war Rohan so sicher, daß die Lamotte keine weitere Kunstgriffe mehr nöthig hatte; blindlings glaubte er nachgemachten Briefen, angeblichen Befehlen, Alles war wahr, Alles heilig für ihn. Bis jetzt war von dem berüchtigten Schmucke noch immer nicht die Rede, daran dachte man noch nicht, man köderte, man umgarnte den armen Prälaten nur, um ihn bei Gelegenheit gehörig auszubeuten. Und diese suchte man bald herbeizuführen, wie er uns selbst erzählt:
Schon im August 1784 spiegelte man ihm vor daß die Königin zur Unterstützung armer Bedrängten die Summe von 60.000 nun Frs. wünschte. Rohan überreichte der Lamotte die fragliche Summe. Eine ähnliche Bitte wurde an denselben im November oder Dezember desselben Jahres wiederholt. Es handelte sich um 10.000 Francs, welche er ebenfalls der Lamotte übergab.
Durch den leichten Erfolg, den ihre früheren Unternehmungen auf die Börse des Fürstbischofs gehabt, beschlossen Herr und Frau Lamotte nun in großem Maßstabe zu betrügen, selbst auf die Gefahr hin, das Huhn mit den goldenen Eiern zu tödten, welches ruhig geblieben wäre, hätte man es nicht so unbarmherzig gerupft. Jetzt bot sich die Gelegenheit mit dem Schmucke dar, die schönste Beute, welche jemals vornehme Preller gereizt hat.
Marie=Antoinettens wohlbekannte Neigung für Luxus und Aufwand veranlaßte die beiden Hofjuweliere Böhmer und Bassangers, einen prächtigen Schmuck zu verfertigen, wozu sie aus allen Hauptstädten Europas die Diamanten von dem größten Umfange und dem klarsten Wasser kommen ließen. Als er fertig war, wurde er ihr 1784 für 1.600.000 Francs angeboten. Aber die Königin, sei es aus eigenem Antrieb, sei es durch den König veranlaßt, wollte ihn, obgleich sie in sehr bewunderte, dennoch nicht kaufen. Es scheint aber, daß sie einige Unentschlossenheit, irgend einen Wunsch danach blicken ließ, denn die Juweliere eilten nicht, dieses Kleinod, worin der größte Teil ihres Vermögens steckte und worauf sie dem Herrn von St. James 820.000 Francs schuldeten, wieder auseinanderzunehmen.
Im Januar 1785 knüpften sie mit der Gräfin von Lamotte an, welcher sie, wie viele Andere, einen ungeheuern Einfluß zutrauten. Sie versprachen ihr eine ansehnliche Belohnung, wenn sie ihnen einen Käufer schaffte. Damit war die Dame nicht zufrieden; ohne die ansehnliche Belohnung wegzuwerfen, wollte sie zugleich sich auch das Halsband selber verschaffen.
Nach jener Gartenbegebenheit lebte der Kardinal in einer solchen Selbsttäuschung, daß die Lamotte nur einen Brief der Königin, worin sie den Wunsch ausdrückte, das Halsband zu besitzen, zu zeigen und ihn zu beauftragten brauchte, es zu kaufen.
Er ging augenblicklich zu den Juwelieren, schloß den Kaufvertrag ab, schickte ihn der Lamotte, welche ihm denselben einige Tage darauf mit der falschen Einwilligung der Königin nun zurückerstattete.
Am ersten Februar war Rohan zu Versailles, ließ den Schmuck hinbringen, ging damit zur Frau von Lamotte und übergab ihn einem Menschen, der angeblich von der Königin kam. Den andern Tag schickte Bittsteller zwei Personen zum Diner der Königin, um ihren Anzug zu beobachten, so fern war er dem Glauben, die Königin wolle aus dieser Acquisation ein Geheimniß machen. Seit der Zeit ermahnte er die Juweliere unaufhörlich, der Königin zu danken. Als er der Lamotte seine Verwunderung zu erkennen gab, daß ihre Majestät den Schmuck nicht trage, sagte sie, die Königin würde sich dessen nur dann bedienen, wenn sein Preis bestimmt wäre. Darauf beschlossen die Juweliere, ihn für 1.400.000 Fr, zu lassen und schrieben ihrer Majestät einen Brief, der ihr den 10. oder 14. Juli zugestellt wurde.
Sie schrieben ihn im Kabinet Rohan's, welcher den Styl desselben verbesserte. Entweder gelangte dieser Brief nicht in die Hände Marie=Antoinettens oder achtete sie nicht darauf, weil sie ihn nicht begriff (da sie ja seit einem Jahre vom Halsband nichts sprechen hörte), jedenfalls erfuhr sie die Geschichte erst am 10. August.
Unter den Bedingungen, welche sie, wie man glaubte, angenommen, war auch die, daß der Preis des Schmuckes in vier gleichen Terminen von sechs zu sechs Monaten bezahlt werden sollte. Der erste Termin endigte am 10. August. An diesem Tage sagte die Lamotte dem Kardinal, daß die Königin einen anderweitigen Gebrauch von ihrem Gelde gemacht habe und erst im September oder Oktober bezahlen würde, sie schicke aber 30,000 Fr. für die Zinsen. Der Kardinal meldete dies den Juwelieren, die nicht ganz damit zufrieden, die 30.000 Fr. nur als Abschlagszahlung annehmen wollten. Indem sie das Ungewitter also um einen oder zwei Monate hinausschob, hoffte Frau von Lamotte noch Zeit zu haben, sich in England mit ihrem Gemahle zu vereinigen, welcher das Halsband auseinandergenommen hatte und es jetzt stückweise verkaufte.
Aber der Juwelier Böhmer, der nur auf einige Tage Ausstand geben wollte, und der von Herrn von St. James überdies furchtbar gedrängt wurde, konnte nicht so lange warten. Am 10. August, bei Gelegenheit, als er der Königin mehrere Juwelen brachte, wagt er einige unzusammenhängende Ausdrücke wie von Heiligkeit der Verbindungen, schlechten Zeiten u.s.w. Marie=Antoinette fiel wie aus den Wolken, und glaubte einige Augenblicke, ihr Juwelier sei toll geworden. Nach einigen Erklärungen entdeckte sich Alles. Böhmer wurde mit der Weisung entlassen, das tiefste Stillschweigen über diese sonderbare Sache zu beobachten. Man nahm sich fünf Tage zum Nachdenken Zeit, und darauf wurde der Großalmosenier verhaftet.
Im mündlichen Verhöre, das er im Kabinet des Königs am 15. Aug bestanden, hatte der Kardinal Frau von Lamotté und ihren Gemahl genannt. Von Ludwig XVI eingeladen, in ein Nebengemach zu treten, sich zu sammeln und schriftlich zu antworten, blieb er dabei, sie als die beiden Intriganten zu bezeichnen, deren Schlachtopfer er gewesen. Es wurde der Befehl gegeben, sie unverzüglich festzunehmen; zugleich wurde eine Hausdurchsuchung zu Paris im Hotel Soubise und im Schlosse des Kardinals zu Coupvray veranstaltet, welche aber zu keinem Resultate führte.
Man glaubte Herrn von Lamotte in England. Seine Frau war seit dem 6. des Monats in ihrem Haus zu Bar=sur=Aube. Ihre Wohnung zu Paris in der Straße Reuve=Saint=Gilles war zu vermiethen. Diesen Umstand benutzten zwei Polizeiinspektoren und gingen dahin; sie erfuhren, daß der Pater Loth, ein Franziskanermönch, die Geschäfte der Dame, deren Beichtvater er war, verwaltete und er den Auftrag hatte, ihr ein anderes Hotel zu besorgen und zu möbiliren.
Ohne Widerstand zu Bar=sur=Aube verhaftet wurde Frau von Lamotte und den 20. August in die Bastille geführt. Sieben Tage darauf wurde auf ihre Bitte, und um ihr Gesellschaft zu leisten, auch ihre treue Kammerfrau dahin gebracht.
Indessen wurde der Kardinal, welcher in seiner Bittschrift an den König und die Herren vom Parlamente von seinem „schrecklichen Verhafte“ spricht, fürstlich daselbst behandelt. Der Gouverneur hatte ihm auf Befehl seine sämmtlichen Gemächer abgetreten.
Kaum hatte der König dem Parlamente von Paris den Befehl ertheilt, den Kardinal und seine Mitschuldigen zu richten, als der Clerus in Bewegung gerieth. Hr. von Norbonne berief ihn zu einer Generalversammlung und auf seinen Antrag wurde dem Könige ehrerbietigst vorgestellt, daß ein Bischof, daß ein Kardinal, daß ein Großalmosenier von Frankreich nach den Privilegien des Ordens und dem Herkommen nur durch ein geistliches Tribunal gerichtet werden könne. Selbst Papst Pius VI schickte ihm ein Breve und einen eigenhändigen Brief über diesen Gegenstand. Trotz seiner ehrfurchtsvollen Hochachtung für den Heiligen Vater blieb Ludwig XVI standhaft und ließ sich durchaus nicht zum Nachgeben bewegen.
Als man Frau von Lamotte den 18. August zu Bar=sur=Aube verhaftete, fand man sie in einem Hause, das sie im Monat Oktober des vergangenen Jahres gekauft und bezahlt hatte, und welches sie im Begriffe stand, mit fürstlichem Luxus ausmöbiliren zu lassen. Sie hatte zwölf Bediente und neun Pferde. Wir sehen sie also nicht mehr im Dachstübchen in der Neuve=Saint=Gillesstraße. Die Polizeibeamten, welche Frau von Lamotte verhafteten, hatten keine Befehle in Bezug auf die Dienerschaft, sie schärften ihnen mit schrecklichen Drohungen ein, nicht von der Stelle zu weichen und den Beschluß der Justiz abzuwarten. Es scheint, daß man sie mehrere Monate dort vergessen hatte. Man muß in den Akten die kläglichen Bitten des Koches lesen, der weder Geld noch Kredit hatte, um seine zwölf Kameraden zu ernähren, und die des Kutschers, welcher erklärte, daß seine neun Pferde nur von Almosen lebten und zum Erbarmen mager würden.
Der Graf von Lamotte hat vielleicht den besten Vortheil vom Diamantendiebstahl gezogen. Vom Februar an verkaufte er einzelne Brillanten zum Werthe von etwa 100.000 Fr.; im April ging er nach England und verwerthete dort zu 160.000 Fr., tauschte seine Perlen, Sammet, Spitzen etc. dafür ein.
Wir sagten oben, daß man beim Ausbruche der Sache Herrn von Lamotte in England glaubte. Noch war er nicht dorten, aber er säumte nicht, dahin zu gehen. Nachher erfuhr man, daß er sich in der Nacht vom 20. auf den 21. August zu Boulogne einschiffte, daß er zu London vom 23. bis zum 26. im Hotel St. James sich aufgehalten, und daß er in diesen 3 Tagen 36 Guinees verzehrt und 40 Diamanten verkauft habe. Man wußte außerdem , daß er unter dem Namen eines Herrn Valois oder eines Grafen Louis reise.
Ein Polizei=Inspektor ergriff zu Brüssel die Demoiselle Oliva und den Herrn Beausire, ihren Geliebten; ebenso ergriff er zu Genf den Herrn Reteau de Villette, welche für den Urheber der falschen Unterschriften gehalten wurde. Derselbe Beamte nebst seinem Kollegen Serbois wurden nach England gesandt, um auf Herrn von Lamotte Acht zu haben, und ihn wo möglich festzunehmen. Ihre Reise kostete 18.000 Fr., und sie bekamen ihn nicht einmal zu Gesichte. Darauf schickte man unter Andern einen Herrn Buard de Seinemar, welcher neun Monate dazu verwandte, die drei Königreiche namentlich Wales zu bereisen, ohne irgend mehr auszurichten. Seine Berichte sind überaus belustigend. Er ist immer im Begriffe, seinen Mann zu fassen. In einer Stadt kam er 24 Stunden, in einer andern 4 oder 5 zu spät. Er sah, wie er sich einschiffte, er konnte von weitem seine Postkutsche wahrnehmen. Er hatte die Genugthuung, sich zu versichern, daß das Bett, welches jener eben verlassen, noch warm sei. Dieser Hr. von Seinemar hatte ein Dutzend entschlossene Leute unter seinen Befehlen; ein Schmugglerschiff erwartete ihn jedesmal, wenn er bei seinen Exkursionen sich dem Meere näherte. Und dennoch war diese ganze Ausgabe unnütz.
Den 7. Dezember 1786 kam Lamotte nach London, er glaubte, daß seine Frau in der Salpetriere (5) gestorben sei, und bereitete ein Memoire vor, um sie zu rächen. Anstatt ihn hier zu verfolgen, erkaufte man sein Stillschweigen, und man hörte nichts mehr von ihm. Seine Frau behauptete vom Augenblick ihrer Verhaftung an, niemals das ganze Halsband in Händen gehabt zu haben. Sie gestand, daß sie und ihr Gemahl, theils als Geschenk, theils um deren Verkauf zu besorgen, einzelne Diamanten erhalten hätte, welche recht wohl von jenem herkommen konnten. Sie nannte zugleich den angeblichen Grafen Cagliostro und dessen Frau als die Personen, welche wahrscheinlich den größten Theil an dieser reichen Beute genommen hätten.
Die Dame Oliva, welche nicht gewußt zu haben behauptete, daß sie in der Gartenscene die Stelle der Königin habe spielen sollen, leugnete, auch irgend ein Wort gesprochen zu haben; ihre Rolle habe nur darin bestanden, wenn sie am Kardinal vorbeikäme, eine Rose fallen zu lassen. Wie dieser Theil des Geständnisses im Publikum verlautete, hat man sich sehr darüber lustig gemacht. Jeden Abend wurde diese Scene von den Mädchen in der neuen Galerie des Palais Royal parodirt. Man konnte nicht spazieren gehen, ohne zu seiner Seite Rosen fallen zu sehen.
Als die Verhöre ausgehört hatten, erhielten die Gefangenen, namentlich der Kardinal die Erlaubniß, auf der Terrasse zu spazieren. Dies veranlasste täglich eine wahre Prozession von Leuten zu Fuße, zu Pferde und zu Wagen, welche die Tour um die Gärten der Bastille machten, weiße Taschentücher wehen ließen und den Gefangenen jeden Beweis der Theilnahme bezeugten. Die Menge wollte in ihnen Opfer Marie=Antoinettens sehen, und ihre Parteilichkeit wuchs mit dem beispiellosen Hasse, den man damals schon gegen diese unglückliche Königin hegte.
Endlich erschien nach neun und einem halben Monat, am 31. Mai 1785 das Urtheil des Parlaments, welches Frau und Hrn. de Lamette, letztern per contumaciam [in Abwesenheit des Angeklagten] zur Ruthe, zur Brandmarkung und zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurtheilte, den Herrn Reteau de Villette, muthmaßlichen Verfertiger der falschen Unterschriften, aus dem Königreiche verbannte und die übrigen Angeklagten völlig freisprach.
Dieses Urtheil ist vielfach angefochten worden, und dennoch ist es gerecht, nur daß es dem Kardinal wegen seines leichtsinnigen Benehmens einen strengen Verweis hätte ertheilen sollen. Marie=Antoinette betrachtete es als eine tiefe Kränkung; sie schloß sich während mehrerer Tage ein, um umgestört zu weinen, und in der Folge bezeichnete sie oft den 31. Mai 1786 als den ersten Tag der Revolution.
Cagliostro hat uns den Zug beschrieben, welcher ihn beim Ausgange aus der Bastille abholte und ihn im Triumpfe mit sich führte. Als der Kardinal die Bastille verließ, wurde er vom hohen Adel, den Gewerken und den „Damen der Halle“ empfangen. Indeß war der Taumel bald worüber nun. Caglistro wurde gleich den andern Tag durch einen Lettre de cachet aus dem Königreiche geschafft. Dem Kardinal aber gab man den Befehl, seine Würde eines Großalmoseniers niederzulegen und seine Dekoration als Kommandeur des heiligen Geistordens abzugeben. Zu gleicher Zeit kündigte man ihm den Befehl an, seine Abtei la chaise Dieu (6) in der Auvergne nicht zu verlassen (7). Später erhielt er die Erlaubniß, nach der von Marmoutier zu gehen, und endlich nach seiner Diözese zurückzukehren. Auf einer dieser Reisen fuhr er um Paris herum, ohne hineinzugehen.
Nach dem Urtheile verfielen alle beweglichen Güter der Eheleute Lamotte dem Fiskus, und am 10. Juni wurde Alles unter Siegel gelegt. Aber dieser Theil des Urtheilsspruches wurde nicht in seiner ganzen Strenge ausgeführt. Man hat behauptet, daß Frau von Lamotte den 5. Juli 1787 aus der Salpetriere entsprungen sei. Die Sache ist die, man öffnete ihr das Gefängniß und verschaffte ihr selbst die Mittel, nach England zu gehen, um für diesen Preis das Stillschweigen ihres Gemahles zu erkaufen, welcher mit der Veröffentlichung ehrenrühriger Memoiren in Betreff des Halsbandes drohte. Zu demselben Zwecke ließ man ihm zu verschiedenen Zeiten beträchtliche Summen zukommen. Sie starb zu London am 23. August 1791 entweder in Folge einer Krankheit oder eines Selbstmordes.
Später während des Prozesses Marie=Antoinettens versuchte man die bei Gelegenheit der Diamantengeschichte verbreiteten Gerüchte wieder aufzuwärmen.
Folgendes kommt in ihrem Verhöre vor:
„Haben Sie nicht die Frau von Lamotte gekannt?“
- Ich habe sie niemals gesehen. -
„War sie nicht Ihr Opfer bei Gelegenheit der berüchtigten Diamanten.“
- Sie konnte es nicht sein, weil ich sie nicht kannte. -
„Sie bestehen also auf Ihrem Läugnen, sie nicht gekannt zu haben?“
- Ich gehe nicht darauf aus zu läugnen,
sondern die Wahrheit zu sagen,
und darauf zu bestehen. -
Aus Haß gegen den Hof wußte der Kardinal von Rohan nicht, als er bei der Zusammenberufung der Generalstände zum Deputirten des Bezirkes Hagenau ernannt wurde, welche Rolle er da spielen sollte; er leistete zuerst den Civileid, nahm ihn darauf wieder zurück, zog in den deutschen Theil seiner Diözese und ließ als Reichsfürst der Conde'schen Armee Geld und Mannschaft zukommen. Er legte seine Bischofsstelle nach dem Konkordat von 1801 nieder und starb zu Ettenheim am 16. Februar 1803.
[(1) Großalmosenier: seit dem 15. Jahrhundert der oberste Geistliche des Klerus am französischen Hof. Zu seinen Aufgaben gehörte es, dem König die Kommunion zu spenden sowie die Taufen und Hochzeiten von Angehörigen der königlichen Familie zu feiern.
(2) Guéméné: Teile einer weitverzweigten französischen Fürstenfamilie.
(3) Tremouille: eine französische Fürstenfamilie, die ihre größte Macht Ende des Mittelalters und in der Renaissance hatte.
(4) Dauphin: der Thronerbe des französischen Königs.
(5) Das Hôpital de la Salpêtrière, in Paris im 19. Jahrhundert die wohl bekannteste psychiatrische Anstalt Europas, wurde im 18. Jahrhundert als Krankenhaus erbaut. Der Name stammt von einer früheren, unter Ludwig XIII. gegründeten Fabrik auf dem Gelände, in der Munitionspulver hergestellt wurde, das Salpeter enthielt.
(6) Lettre de Cachet = schriftliche Niederlegung eines royalen Auftrags und Willensbekundung führte oft zur Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, Exilierung oder Internierung unerwünschter Personen.
(7) Abtei la chaise Dieu: ein ehemaliges Benediktinerkloster in der französischen Gemeinde La Chaise-Dieu im Département Haute-Loire.
=> Wochenblatt für die Kreise St. Wendel, Ottweiler und die umliegende Gegend, 5/1842]