Vorwort
Jüngst habe ich in Ebay ein Faltblatt gesteigert, mit dem das Verkehrsamt der Stadt St. Wendel im Jahre 1932 für meine Heimatstadt warb. Es enthält einige stimmungsvolle Ansichten der Stadt, wie sie sich damals präsentierte; sie stammen aus der Feder von Karl Graf aus Speyer. Den Text hat Roland Betsch verfaßt; über seinen Hintergrund habe ich nichts in Erfahrung bringen können.
ST. WENDEL
600-jährige Kreisstadt im Gau Saarpfalz
Oft liegt der Zauber eines Städtchens in seiner Unberührtheit, in seiner versteckten Keuschheit und in den Akkorden der Stille, die über seinen Dächern schwingen. Auch eine bedeutsame Vergangenheit kann eine Menschensiedlung wundersam verklären und ihr etwas vom Schmelz des Unvergänglichen geben. St. Wendel, an der oberen Blies gelegen, gehört zu diesen Grenzlandstädtchen, denen auf Grund ihres besonders farbigen Schicksals die genannten Züge eindringlich anhaften.
Den schönen Namen hat die Stadt von einem heiligen Mann, der vor mehr denn 1300 Jahren in dieser landschaftlich einzigartig schönen Gegend als Einsiedler lebte, der dann ein Mönch in Tholey wurde und dessen Ruf mit den Jahrhunderten in alle Lande drang, über das Elsaß, den Schwarzwald, das Bayernland hinweg bis nach Ungarn und nach dem sonnigen Süden. Tausende von Städtchen und Dörfern des deutschen Sprachgebietes haben diesem Heiligen von der Blies eine Kirche, einen Altar oder eine Glocke geweiht. Alljährlich pilgert die ungezählte Schar frommer Wallfahrer zum Grabe des St. Wendalin, wo die Reliquien des einstigen stillen Einsiedlers gezeigt werden. So hat St. Wendel schon durch seinen Gründer einen bedeutsamen Namen erhalten und bleibt für alle Zeiten umsponnen vom Schimmer dieser legendären Vergangenheit.
Auch das Schicksal der westlichen Grenzlandstädte blieb St. Wendel nicht erspart, es liegt im Saarland und auf vorgeschobenem Posten gen Westen. Wo viel Kampf war, bleibt viel Stille. Möchte diese Stille, diese Ruhe und Beschaulichkeit, dieser tiefe innere Friede der Stadt und dem Lande bewahrt bleiben auf Jahrhunderte hinaus.
Jener fromme einfache Mann, der sich in grauer Vorzeit hier niederließ, muß wohl schon die landschaftlich reizvolle Lage dieses Erdenfleckchens erkannt und bewundert haben, sonst hätte er sich hier nicht niedergelassen zu seinem abgeschiedenen Leben. In der Tat ist die Landschaft um St. Wendel von einer milden und anmutig geschwungenen Schönheit. Ein malerischer Talkessel zieht sich in einem Halbrund um den Tholeyerberg, und in dieser gleichsam geborgenen Mulde, in diesem grünen Paradiesbett liegt die Stadt mit dem historisch berühmten Wendelsdom, mit den ehrwürdigen Kirchen und mit der farbigen Schar seiner schönen Häuser, seinen Straßen und Gassen, mit seinen alten Gasthäusern und dem Schattenzauber gedrängten Dächergewirrs und versteckter Winkel und Häuserfronten.
Abglanz der Jahrhunderte liegt über dem Charakterbild der Stadt, Adel der Geschichte formt das Einmalige des Antlitzes dieser bedeutsamen Menschenkolonie, gemeinsames Schicksal schuf eine Gemeinschaft von besonderer Prägung, eine stille und doch beschwingte Wälder- und Berglandschaft gibt eine wohlabgestimmte Umrahmung. Das ganze kann nur so sein, darf nur so sein und schließt sich zu einer vollendet harmonischen Einheit.
Nicht immer sind jene Städte die schönsten, die am lautesten besungen werden, oft liegt die Größe in der Verborgenheit, oft ist gerade das anziehend und liebenswert, was sich seine stille und geschlossene Eigenart bewahrt hat. Solche Städtchen betritt man nicht ohne einen leisen Schauer der Ergriffenheit, man wandert durch ihre Straßen und Gassen und fühlt, daß es erstrebenswert wäre, sich hier anzufreunden, um teil zu haben am Glück und am Frieden der Mauern und Dächer, der Ecken und Winkel, die hier, wenig geschwätzig, zum Verweilen einladen und bei der ersten Begegnung schon etwas verschenken von ihrem inneren Reichtum; die Glück ausstrahlen, das nicht greifbar ist, das man aber dennoch verborgen fühlt und an dem man dankerfüllt sich wärmt. Ein solches Städtchen, magisch besessen von einer unentrinnlichen Anziehungskraft ist St. Wendel.
Die Umgebung nun lockt den Fremden bald hinaus auf Berge und Höhen, in Wälder und Täler, durch Schluchten und enge Kessel, mitten hinein in den Schmelz einer unberührten Natur, fern den gewaltigen Industrieanlagen, die nur mit qualmender Geschäftigkeit am Horizont in Kaminen, Hochöfen und Förderanlagen gespenstig emporsteigen und eine gewaltige Sprache reden von der rastlosen Arbeit werktätiger Hände. Viele schöne Wege führen von St. Wendel hinaus in das Land an Blies und Saar, in jene Gotteserde, die so wenig bekannt ist und die jeder Deutsche einmal durchwandert haben sollte. Wie einmalig und bezaubernd ist der Weg über den Bosenberg durch das romantische Tiefenbachtal nach den Leitersweiler Buchen, sagenhaft alten Baumriesen, deren Kronen schon um die Zeit des 30-jährigen Krieges rauschten und deren Wind-und Sturmmelodie die Akkorde der Ewigkeit zu uns hernieder-klingen läßt. Auch Pfade von wilder und fast heroischer Großartigkeit gibt es, so die Wanderung auf dem Fürther Weg durch das Katzenloch, einem Wäldertal von grandios getürmter Schönheit und Unberührtheit.
St. Wendel lädt ein zu längerem und dauerndem Aufenthalt, denn sein Klima ist gesund und mild, es gibt keine jähen Temperaturschwankungen, die Höhenlage von 400 Meter ist besonders günstig, die Luft, durch die Wälder gereinigt, macht die Stadt zu einem Erholungsort, der hinter andern kaum zurückstehen dürfte. St. Wendel ist auch Kreisstadt und hat bequeme Fahrverbindungen nach allen Richtungen, günstig schon ist, daß es an der Hauptlinie Bingen-Saarbrücken liegt und demnach, trotz seiner abgeschiedenen Lage, Anschluß an die große Welt besitzt. Die Stadt selbst mit ihren mustergültigen Einrichtungen ? Höheren Schulen mancherlei Art, Schwimmbad, Krankenhaus, Waisenhaus, Niederlassung der Steyler Missionare usw. ? bietet schönsten Aufenthalt und ist auch für den Kunsthistoriker von eminenter Bedeutung. St. Wendel ist im besten Sinne des Wortes ein Kulturzentrum der westlichen Grenzmark.
Hervorzuheben ist noch das aus dem 17. Jahrhundert stammende Marschall-Haus, ein Patrizierbau von eigenwilligem Gepräge. Bemerkenswert ist auch die in St. Wendel stark ausgeprägte Tabak-Industrie. Vor mehr denn 100 Jahren gründeten alteingesessene Familien Tabakspinnereien, die überraschenden Ruf erlangten und St. Wendel einen wirtschaftlich geradezu berühmten Namen verschafften. Der gerollte Tabak, der ?St. Wendeler", eroberte den Markt bis weit über die Heimatgemarkungen hinaus und hat sich die ungeschmälerte Beliebtheit bei Rauchern und Tabakkauern bis in unsere Zeiten dank der Qualität bewahrt.
So ist St. Wendel ein in sich begnadeter Mittelpunkt, worin sich die Denkmale der Vergangenheit mit den Schönheiten landschaftlicher Lage und den weisen Errungenschaften der Neuzeit zu einem besonders reizvollen Ganzen mischen und den Besuch des anmutigen Bliesstädtchens für den Fremden zu einem Erlebnis werden lassen.
Roland Betsch.
Herausgeber: Verkehrsamt St. Wendel