Schriftzug
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Die Beteiligung Helmut Schöns aus Bliesen am Sturm auf das Pfarrhaus 1936 betreffend.
Landesarchiv Saarbrücken, StKpolS 4251
Abschrift: Roland Geiger, St. Wendel, Mai 2020


(5)
Bescheinigung
Der Frau Alois Schön, Bliesen Hausnummer 173, wird bescheinigt, dass ihr Mann seit Dezember 1945 im Lager Tholey interniert ist.
Frau Schön ist mit ihrer Familie seit dieser Zeit ohne jegliches Einkommen. Die Entlassung von Schön wäre erwünscht.
Bliesen, den 3. November 1947
Wagner, Bürgermeister

(6)
Erklärung
Wir unterzeichneten Bediensteten der Bahnmeisterei 2 St. Wendel erklären, als Nichtangehörigen der Partei und Formationen, dass unserer ehemaliger Rottensmeister Alois Schön, Bliesen, sich als Vorgesetzter in und außer Dienst uns gegenüber menschlich, anständig und korrekt benommen hat. Wir geben diese Erklärung ab, ohne Druck und Zwang und ohne jegliche Beeinflussung.

Die Arbeitskameraden der Bahnmeisterei St. Wendel
Maurer Jakob
Müller Nicolaus

(Seite)
Pfarrer Alt.
Bliesen den 5. Februar 1948.
Der umseitigenannte Alois Schön war der Führer der SA hier am Orte. Er war nach seinen eigenen Angaben damals bei dem Sturm auf das hiesige Pfarrhaus (Pfarrer Weiler) beteiligt; inwieweit er selbst Hand angelegt, kann ich nicht sagen, da ich ja nicht hier war. In der Sache: Pfarrer Weiler, die ich sicher nicht verteidige, stehe ich aber auf dem Standpunkte, dass Schön als die unterste Instanz unter gewaltigem Drucke stand. Für sein Verhalten war er 2 Jahre interniert; die höheren Stellen, die die Befehle erteilt haben, sind teils ganz straffrei ausgegangen, teils waren sie nur kurz inhaftiert. Und darin sehe ich die Härte.            

Mir ist aus meiner Amtszeit hier nicht bekannt, dass Schön agitatorisch tätig war oder dass er durch Anzeigen anderen Schaden zugefügt hätte. Ich habe stets den Eindruck gehabt, dass er sich des Sturms auf das Pfarrhaus schämte. Mir hat er während des Krieges einmal erklärt, er werde von Bliesen fortziehen und sein Häuschen verkaufen.

Alt, Pfarrer.

(10)
St. Wendel, den 12. 2. 1948.

Der Untersuchungsausschuss des Kreises St. Wendel.

An den Herrn Staatskommissar für die politische Säuberung des Saarlandes in Saarbrücken.

Gemäß der Rechtsanordnung zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus (...) schlägt der Untersuchungsausschuss gegen den Schön Alois, geboren am 4.7.98, wohnhaft in Bliesen, aufgrund der getroffenen Untersuchungen folgende Entscheidung vor:

Schön wird gemäß Art. 6 (I, 1) des Gesetzes in die Gruppe der Mnderbelasteten eingereiht.
Als Sühnemaßnahme wird festgesetzt: Rückversetzung zum Rottenarbeiter auf ein Jahr mit darauf folgender Aufrückungsmöglichkeit ins alte Amt.

Begründung:
Der Ausschuss hat bei der Untersuchung des vorliegenden Falles den Eindruck gewonnen, das es sich bei Schön um einen nicht besonders intelligenten Menschen handelt, der daher für sein Handeln nicht voll zur Rechenschaft zu ziehen ist. So scheint sich auch Schön bei der Aktion gegen den Pastor Weiler nicht ganz der Verantwortung bewusst gewesen zu sein, die er als SA Obertruppführer trug und hat wohl nur unter starkem Druck seiner Vorgesetzten gehandelt. Vorteile für seine Person hat Schön nicht durch sein Amt in der SA erlangt. Seine Beförderungen bei der Eisenbahn können als normal angesehen werden aufgrund einer langjährigen Dienstzeit und des damals herrschenden Personalmangels.
Wenn weiterhin die zweijährige Internierung berücksichtigt wird, so ist die Einreihung als Minderbelasteter bei der vorgeschlagenen Sühnemaßnahme gerechtfertigt.

(Unterschriften)

(11)
Internierungslager Theley.
Theley, den 27.3.1948.

Urschriftlich dem Herrn Staatskommissar für die politische Säuberung des Saarlandes in Saarbrücken

Zurück mit der Mitteilung, dass der umseitig genannte Aloys Schön am 24.12.1947 nach Bliesen, Hausnummer 173, entlassen wurde. Die Ladung zur mündlichen Verhandlung haben wir an Schön weitergeleitet.

(Gezeichnet) Die Lagerverwaltung

(18)
Spruchkammer Saarbrücken
Protokoll der Sitzung vom 2.4.1948.

(Der Betroffene) erklärte: 1933 trat ich in die Partei ein. Wegen dem Sturm auf das Pfarrhaus kam der damalige Ortsgruppenleiter August Schmidt zu mir und erklärte, er müsse für den Abend die SA haben (...) ich war nicht aus der Kirche ausgetreten.

Zeuge: Stein Peter.
Ich war damals Wahlbeisitzer. Ich machte das Kreuz auf den Zettel des Pfarrers. Dies wurde von höherer Stelle angeordnet.
Auf nochmaliges Befragen: die Umschläge waren vorher schon gekennzeichnet. Ich hatte die Sache damals so begriffen, dass festgestellt werden sollte, wie viele gewählt hatten. Die Wahlzelle hatte niemand aufgesucht als der Pastor und seine Schwester. Als das Wahlergebnis feststand und als bekannt wurde, wurde der Pfarrer von allen Seiten belästigt, weil er in die Zelle gegangen war. Ich habe von dem Vorgang damals wohl gehört, war aber nicht dabei. Die SA hat die Aktion durchgeführt.

Betroffener: Dies stimmt nicht. Der Stein sagte damals zu mir: "Wenn Ihr die Aktion nicht durchführt, dann holen wir die SS."

Zeuge Stein: Dies stimmt nicht. Ich habe damals gesagt, um die Sache durchzuführen, hätte man auch die SS von St. Wendel nehmen können und keine Ortseinwohner.

Betroffener: Ich bleibe bei meiner Behauptung, dass der Zeuge Stein das gesagt hat.

Zeuge Stein: Ich wusste von der Sache ja gar nichts. Ich habe später davon gehört.

Betroffener: Die Äußerung hat Stein vor der Aktion im Lokal Kunz getan.

(20)
Aussage von Pfarrer Weiler:

Meckel bei Bitburg, den 1.IV.48

An den Herrn Staatskommissar für die politische Säuberung des Saarlandes in Saarbrücken.

Herr Pfarrer Alt in Bliesen hat mir Ihr Schreiben vom 22. März, das bei ihm am 27 März angekommen war, sofort weitergegeben. Ich habe es aber bei der schlechten Postverbindung erst am 31. März erhalten. Infolge der Verkehrsverhältnisse und besonders, da ich keinen Pass zur Einreise in das Saargebiet besitze, war es mir ganz unmöglich, zu dem Termin am 2. April zu kommen. Ich gebe Ihnen deshalb nachfolgend einen schriftlichen Bericht.

Am 3. April 1936 des Abends um 1/2 8 und dann wieder gegen 1/2 12 Uhr fand der Tumult am Bliesener Pfarrhause statt, wobei Fenster und Türen eingeschlagen und eingetreten wurden, und wobei immer und immer wieder der Sprechchor wiederholt wurde "Raus mit dem Lump, der seine Stimme gegen Deutschland abgegeben hat". Herr Oberlandjäger Aßmus und der bereits verstorbene Amtsbürgermeister Rüther, die zu Beginn des Tumultes in das Pfarrhaus kamen, haben nach meiner Auffassung mich zu belügen gesucht: sie seien zufällig in Bliesen und die Volksseele in Bliesen würde gegen mich kochen, weil ich am Sonntag vorher nicht für Hitler gestimmt habe. Ich habe die Herren sofort darauf aufmerksam gemacht, dass ich eben aus dem Dorfe komme, dass von einer Aufregung beim meinen Leuten absolut keine Rede sein könne und dass wohl niemand mehr aus meiner geheimen Wahlbetätigung etwas nachweisen könnte. Das nämliche habe ich dann am folgenden Morgen bei meiner Vernehmung durch die Gestapo zu Protokoll gegeben. Zu meiner Verhaftung etwa um Mitternacht sind die obersten Verwaltungs - und Parteibeamten des Kreises St. Wendel im Pfarrhause erschienen, ihre Autos hielten zum Teil vor dem Dorfeingang.

Wenn ich das alles überlege so kann ich zu keiner anderen Überzeugung kommen als: die nationalsozialistische Partei, wenigstens im Kreise, und nicht die unteren Organe, etwa SA, sind für die damaligen Vorgänge im Pfarrhaus verantwortlich gewesen.

Das Volk von Bliesen, selbst bis hinein in die Reihen der "Muß S.A. Leute"hatten kein Interesse an der Tumultszene und auch nicht an dem Sprechchor und der Zerstörung am volkseigenen Pfarrhause. Die SA Leute - und da nehme ich auch den SA Führer Schön nicht aus - waren wie alle in ihrer Existenz abhängige Leute, die man mit der Lüge, an dem Abend soll ein Marsch nach Furschweiler stattfinden, getäuscht, denen man erst am Pfarrhause gesagt hatte: "Das vordere Glied hebt Steine auf und das zweite Glied bildet eine Abschlusskette." So wenigstens wurde mir verschiedentlich berichtet. Interessant ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch die Bemerkung, die mir gelegentlich eines Verhörs - es mag im Jahre 1937 oder 1938 gewesen sein - ein Gestapo-Mann machte: wie kommt es doch, dass gerade in Bliesen und zur Bewegung keine rechten Fortschritte macht, wo's doch sonst in allen davon vorangeht?

Der bisherige Bericht beleuchtet zunächst die Szene am Pfarrhaus in Bliesen am 3. April 1936. Er ist vielleicht hier auch notwendig, um zu einem möglichst objektiven Urteil über die damalige "Muß S.A." in Bliesen und ihren Führer, Herrn Alois Schön, zu kommen.

Bezüglich Herrn Alois Schön möchte ich noch folgendes anführen. Er war ein außerordentlich schwacher Schüler. Mir fiel einmal ein Schulzeugnis - Entlassungszeugnis? - in die Hand, auf dem das Prädikat "mangelhaft" - wenn ich mich recht erinnere - achtmal vorkam. Dann wurde er früh Vollwaise, so dass auch nach seiner Schulbildung nicht mehr viel zu seiner Weiterbildung geschah. Er hat sicherlich nicht soviel Wissen und Urteil, dass er sich über alle seine Handlungen Rechenschaft geben kann.

Gerade einen solchen Mann, der sich allenfalls in der Rolle eines Vorgesetzten und eines Kommandoführers bei der SA gefiel und im übrigen sich über die Tragweite seines Tuns nicht volle Rechenschaft geben konnte, konnte die NSDAP wohl gebrauchen, um ihre Pläne auszuführen. Er war sicherlich auch bei seinem damaligen Tun am Pfarrhause Bliesen, ebenso wie wohl die meisten seiner Untergebenen, total verwirrt.

Ich habe ihm deshalb bis zur Stunde nichts nachgetragen.

Nicolaus Weiler, Pfarrer

(26)
Spruchkammer Saarbrücken
Protokoll der Sitzung vom 11. Mai 1948

[Es werden Zeugen vernommen.]

1.) Zeuge: Schmidt August:
Ich war damals kommissarisch als Gruppenleiter bis 1936. Mir ist nicht bekannt, dass die Wahlumschläge gezeichnet wurden. An dem fraglichen Abend kam der Amtsbürgermeister und ein Polizeioffizier zu mir und sagten, dass die SA zum Einsatz vor dem Pfarrhaus benötigt wird. Hierauf mußte ich den Sturmführer anrufen, dass die SA freigegeben wird. Ich verständigte auch den Kreisleiter Zewen, dass diese Aktion starten soll. Der Kreisleiter sagte noch, dass dies keine Sache fürs Telefon sei, ich soll ihm entgegenkommen, er würde sofort mit dem Auto wegfahren. Als ich beim Kreisleiter von der bevorstehenden Sache Mitteilung machte, stieg die Aktion vor dem Pfarrhaus. Ich selbst war nicht dabei. Erst später wurde mir von den Betroffenen erzählt, was los war.

2.) Zeuge: Jost
Ich war in der SA Obersturmführer. Bliesen hat zu meinem Sturm gehört. An dem fraglichen Abend war eine Besichtigung durch die oberste SA Führung angesetzt. Der damalige Ortsgruppenleiter Schmidt hatte mich angerufen und sagte, dass die SA in Bliesen benötigt wird, er bitte um Freigabe für den Abend. Die Sache könne er mir am Telefon nicht sagen, er würde einen Boten schicken.

3.) Zeuge: Stein, Peter, Postassistent.
Bei der Wahl war ich Beisitzer. Die Umschläge waren mit einem Kreuz auf der Rückseite versehen. Ich war nicht mit dem Zeugen Schmidt zusammen. Von höherer Stelle kam die Anordnung zur Zeichnung der Umschläge. Lehrer Buschhauer, damaliger Wahlvorsteher, erhielt die Anordnung bei einer Besprechung in St. Wendel. An dem fraglichen Abend war ich im Dienst beim Postamt St. Wendel. Als ich heimkam, war die Sache schon im Gange.

4.) Zeuge: Andres, Josef, Gendarm.
In der Partei hatte ich kein Amt. In der SA war ich Truppführer. Bei der Aktion vor dem Pfarrhaus war ich auch dabei. Einige Scheiben wurden zertrümmert. Wer dies getan hat, weiß ich nicht. Ich habe keine Steine geworfen.

(29)
Spruchkammer Saarbrücken
11. Mai 1948

Spruch
Der Betroffene ist Schuldiger.
Es werden ihm folgende Sühnemaßnahmen auferlegt:
Er ist unfähig, ein öffentliches Amt zu bekleiden, verliert die gesetzlichen Ansprüche auf eine Pension, Unterstützung oder auf eine Rente, die aus öffentlichen Mitteln bezahlt werden.
Er verliert das Wahlrecht, die Wählbarkeit und das Recht, sich irgendwie politisch zu betätigen und einer politischen Partei als Mitglied anzugehören. Er darf weder Mitglied einer Gewerkschaft noch einer wirtschaftlichen oder beruflichen Vereinigung sein. Es wird ihm auf die Dauer von mindestens 5 Jahren nach der Freilassung untersagt: selbstständig in einem freien Beruf, Unternehmen oder gewerblichen Betrieb jeglicher Art tätig zu sein, sich daran zu beteiligen oder die Aufsicht oder Kontrolle hierüber auszuüben, einen leitenden Posten in einem unselbstständigen Beruf innezuhaben. Es wird eine Internierung von 2 Jahren gegen ihn ausgesprochen, die durch die bereitstelle Inhaftierung als verbüßt anzusehen ist.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Betroffene.
Streitwert 50.000 französische Francs.

Begründung [auszugsweise]:
Der Betroffene, Eisenbahnrottenmeister, ging 1933 in die Partei. 1935 trat er der SA bei und wurde Obertruppführer. Als solcher bekleidete er die höchste SA Stelle seines Heimatsdorfes Bliesen. Denn neben Organisation spielte er keine Rolle.
Durch die Vernehmung von 4 Zeugen vor der Kammer wurde über das Verhalten des Betroffenen als SA Truppführer folgendes festgestellt: Bei einer geheimen Ja/Nein-Wahl im Jahre 1936 mit der Parole "ein Ja für den Führer" hatte der Lehrer Buschhauer von Bliesen bei einer Wahlbesprechung in St. Wendel Anweisung erhalten, die bei der Wahl benutzten Umschläge heimlich zu kennzeichnen, um die Abstimmung der einzelnen Wahlberechtigten zu kontrollieren. Der als Zeuge vernommen Postassistent Peter Stein aus Bliesen, damals Wahlbeisitzer bei der Wahl, gab zu, die Umschläge innen heimlich gekennzeichnet zu haben. Im ganzen Ort Bliesen wagten nur 2 Personen, sich zur Abstimmung in die Wahlkabine zu begeben. Das war der Pastor und seine Schwester. Alle anderen Personen haben offen vor den Augen der kontrollierenden Wahlbeisitzer ihr Ja auf dem Stimmzettel angekreuzt. Der Pastor Weiler stimmte mit Nein, seine Schwester gab eine ungültige Stimme ab [...]

Wenn der Betroffene bei dieser Aktion auch nur ein Werkzeug war und keine weiteren Gewalthandlungen durch ihn bekannt geworden sind, er als SA Führer auch nicht aus der Kirche ausgetreten ist, so mußte er doch wegen seiner Gesamthaltung schuldig gesprochen werden. Mit dieser Tag war die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus in Bliesen errichtet. In dem überwiegend katholischen Ort nimmt der Pfarrer eine besonders geachtete und einflussreiche Stellung ein. In einem solchen Ort bedeutet es einen ganz besonderen Gewaltsstreich, sich an der Person des Geistlichen zu vergreifen. Der Betroffene wusste, dass es sich um eine geheime Wahl gehandelt hat. Allein durch seine Stellung und seine Mitwirkung hat er dazu beigetragen, dass kein Einwohner von Bliesen mehr seine Hand gegen den Nationalsozialismus zu erheben wagte.
Wenn schon vor der geheiligten Person des Ortspfarrers für seine Abstimmung bei einer Wahl, die geheim sein sollte, nicht mehr haltgemacht wurde, konnte sich jeder Einwohner aus Bliesen ausrechnen, wie es ihm erst erginge, wenn er gegen die Gewaltherrschaft zu opponieren wagte. Der Betroffene war der oberste SA Führer in seinem Dorf, und es müssen schon Gründe vorgelegen haben, dass gerade er, dessen Schulentlassungszeugnis nach Mitteilung des damals misshandelten Pfarrers eines der schlechtesten gewesen ist, dass er je gesehen hat, zum Führer der SA in Bliesen ernannt worden ist. Das setzt voraus, dass er sich vor den anderen SA Männern durch besonderen Eifer hervorgetan hat. Das von der Kammer ausgesprochene "schuldig" bezieht sich deshalb nicht auf die Aburteilung des einen Falles, sondern darauf, dass der Betroffene bis zum Schluss für seinen Ort Bliesen der Wächter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft darstellte. Sein Eingreifen sei jederzeit bei einer aufkeimenden Opposition zu befürchten. Ohne willige Werkzeuge wie ihn hätte der Nationalsozialismus niemals die verhängnisvolle Gewaltherrschaft errichten können. Die Kammer hatte deshalb gar keine Bedenken, gegen den Betroffenen, obwohl er sich später ein wenig diese Tatgeschehen zu haben schien, neben den zwingenden Sühnemaßnahmen für die Angehörigen der Gruppe II 2 Jahre Internierung zu verhängen, eine Freiheitsentziehung, die allerdings durch die erlittene über zweijährige Inhaftierung als verbüßt angesehen werden musste.

Verhandelter Spruch ist rechtskräftig seit 31. August 1948.


[Berufung]

(53)
Rechtsanwalt Strauss, St. Wendel, Kapellenweg 32.
St. Wendel, den 23 Oktober 1948

An die 3. Spruchkammer in Saarbrücken

In Sachen des ehemaligen Eisenbahnbeamten Alois Schön aus Bliesen, Haus Nr. 173, geb. am 4.7.1898
- vertreten durch Rechtsanwalt Strauss in St. Wendel -
begründet sich die Berufung wie folgt:

Der Betroffene wurde aufgrund des Spruches der Spruchkammer vom 11. 5. 1948 - Aktenzeichen Thel. 3/48 - als Schuldiger bezeichnet. Ihm ist besonders zur Last gelegt worden, dass er als oberster SA Führer bis zum Schluss für seinen Heimatort Bliesen als der Wächter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft anzusehen sei. Sein Eingreifen sei jederzeit bei einer aufkeimenden Opposition zu befürchten gewesen. Er habe sich vor den anderen SA Männern durch besonderen Eifer hervorgetan. Dieses sei daraus zu folgern, dass das Schulentlassungszeugnis des Betroffenen nach Mitteilung des misshandelten Pfarrers eines der schlechtesten gewesen sei und dass trotzdem gerade er zum Führer der SA in Bliesen ernannt worden sei.

I.
Der Betroffene ist im Jahre 1933 in die Partei und am 15.3.1935 in die SA eingetreten. Er hat sich weder um die Führung des SA-Trupps in Bliesen beworben, noch hat er sich durch besondere Verdienste hervorgetan, die der örtlichen Parteileitung oder der übergeordneten SA Führung den Anlass hätte geben können, ihn für die SA Führung in Bliesen zu berufen. Ihm wurde die SA Führung in den Orte anvertraut, als der damalige SA Führer, der Eisenbahner Jakob Maldener, nach Saarbrücken versetzt wurde. Dem Betroffenen ist nicht bekannt geworden, weshalb gerade eher dazu ausersehen wurde, der örtliche SA Führung zu übernehmen. Zum politischen Führer hatte er weder einen Hang, noch besaß er die geistige Voraussetzung hierfür. Er glaubt aber seine Berufung als örtlicher SA Führer daher leiten zu können, weil er den an sich verzeihlichen Hang zur militärischen Dienst hatte. Dieser Hang veranlasste ihn, bei dem Gesangverein in Bliesen in Theaterstücken aufzutreten, die militärische Charakterrollen zum Gegenstand hatten. Hierbei hat der Betroffene Erfolg gehabt und hierbei wurde man auf ihn aufmerksam. Nach der Übernahme der SA Führung in Bliesen hat der Betroffene niemals eine politische Schulung durchgeführt, sondern sein Führer- Dienst bestand darin, militärische Übungen (Geländedienst, Exerzieren usw.) durchzuführen oder allenfalls einige Befehle von der übergeordneten SA Führung vorzulesen.
Beweis für das Vorstehende: pensionierte Eisenbahner Peter Maier, in Bliesen, Hauptstraße

II.
Die Aktion gegen den katholischen Pfarrer in Bliesen konnte den Betroffenen nicht zur Last gelegt werden, weil festgestellt worden ist, das er nur als Werkzeug sich an der Aktion beteiligt hatte und Gewalthandlungen durch ihn, die ihn hätte belassen können, nicht bekannt geworden sind. Wenn nun in dem Spruch feststellte, dass durch diese Aktion die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus in Bliesen errichtet worden sei, so ist dies nicht zutreffend. Gerade diese Aktion gegen den allseits geachteten Pfarrer in dem rein katholischen Dorf hat sich als ein Fehlschlag für die SA erwiesen. Viele SA Männer, die die Satzung teilgenommen hatten, erkannten nachträglich die Abscheulichkeit eines solchen Vorgehens. Die SA wurde von der katholischen Bevölkerung des Ortes missachtet. Die Folge war, dass ein großer Teil der SA Angehörigen sich zurückgezogen und den SA Dienst fernblieben. Wenn der Betroffene wirklich der ehrgeizige Wächter der Gewaltherrschaft gewesen wäre, dann hätte er alle nur erdenklichen Schritte unternommen, um eine Zersplitterung und Auflösung der SA zu verhindern. Der Betroffene hat aber nichts unternommen, um den Zerfall der SA Einhalt zu gebieten.
Beweis: Sattler Nikolaus Schmitt, in Bliesen.

III.
1. Der Zerfall der SA in Bliesen wurde vollends, als in den Jahren 1938 1939 die Rekrutierung zum Militärdienst begann und immer größere Formen annahm. Der Dienst in der SA schlief ein, ohne dass der Betroffene werden etwas unternahm. Seit dem Jahre 1940 ist kein Dienst durch den Betroffenen mehr angesetzt worden; seit dieser Zeit bestand in Bliesen praktisch keine Einheit mehr.
2. Für den Betroffenen war die Durchführung eines SA Dienstes um deswillen unmöglich, weil er zu Anfang des Jahres 1941 nach Homburg versetzt wurde und das Wochentags keine Gelegenheiten hatte, nachhause zu kommen. Es kam sogar sehr häufig vor, dass er 2-3 Wochen an seiner Arbeitsstätte in Hamburg verblieb.

IV.

Seitens des Betroffenen ist niemals ein Eingreifen zu befürchten gewesen, falls sich eine Opposition gegen den Nationalsozialismus bemerkt er gemacht hätte. Er hat sich frühzeitig innerlich vom Nationalsozialismus abgewandt.
1. Der Betroffene erschien sehr häufig an den Sonntagen, wo er von seiner Arbeitsstätte in Homburg nach Bliesen heimkam, in der Gastwirtschaft Biegel zum Stammtisch. Der Gastwirt Biegel war als Gegner des Nationalsozialismus bekannt. Dieser machte kein Hehl daraus und schimpfte häufig sehr deutlich über die Führer des Dritten Reiches in aller Öffentlichkeit. Der Betroffene hat nichts unternommen, um derartige Angriffe zu unterbinden. Dieses Rechner der Gastwirt Biegel dem Betroffenen sehr hoch an.
Beweis: Gastwirt Biegel in Bliesen

2. Aus Anlass des Einmarsches in Österreich kam es in der Bahnhofswirtschaft in Bliesen zur tumultartigen Szenen, als der nach benannter Zeuge Recktenwald äußerst aufsässig gegen Hitler und Göring demonstrierten. Der Betroffene Schön wurde von den Anwesenden aufgefordert, den Zeugen Recktenwald anzuzeigen und ihm des Hauses zu verweisen. Er weigerte sich aber, weshalb die Menge sich empörte und den Reckenwald aus dem Lokal auf die Straße warf. Auch hierbei beteiligte sich der Betroffene nicht.
Beweis: pensionierte Bergmann Karl Recktenwald in Bliesen-Niederhofen.

3. Der nach benannter Zeuge Wilhelm war aufgrund seiner antifaschistischen Haltung des Dienstes bei der Eisenbahn frühzeitig enthoben worden. Nur der Umstand, dass der Zeuge Wilhelm in der Bevölkerung von Bliesen sehr beliebt war, ist es zuzuschreiben, dass Wilhelm nicht in das KZ gekommen ist. Der Betroffene hat sich gerade um diesen Zeugen Wilhelm sehr bemüht, ihn zu schützen, ihm eine andere Stellung zu verschaffen und ihm soziale Hilfe und Unterstützung angedeihen zu lassen. Diesen Zeugen Wilhelm hat der Betroffene bei Unterhaltungen über seine innere Einstellung zum Nationalsozialismus nicht im Unklaren gelassen und seine Abneigung nicht vorenthalten.
Beweis: Johann Wilhelm in Bliesen-Schänzchen.

In beruflicher Hinsicht war der Betroffene Rottenarbeiter. Er hatte später als langjähriger Eisenbahner etwa 30-40 Mann bei der Arbeit einzusetzen und zu beaufsichtigen. Während der vielen Gespräche, die dieser mit seinen Kameraden führte, hat er viele Gegner des Nationalsozialismus kennen gelernt. Sie erlitten bei ihm keine Nachteile, sondern sie wurden genau wie die anderen Arbeitskameraden behandelt. Viel weniger ist geschehen, dass er auch nur einen dieser Gegner des Nationalsozialismuses denunziert oder gemeldet hätte.
Beweis: 1. Eisenbahner Müller in Güdesweiler, Haus Nr. 51,
            
2. Eisenbahner Maurer in Eiweiler-Saar.

Nach alledem ist also festzustellen, dass der Betroffene sich weder durch besondere Eifer in der SA hervorgetan hat, noch dass der Vorwurf gerecht wäre, er sei der Wächter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Blieen gewesen, zumal schon im Jahr 1939/40 jeglicher SA Dienst in Bliesen zum Ruhen kam. Die Einstufung des Betroffenen in die Gruppe der Schuldigen ist deshalb keinesfalls gerechtfertigt.

Strauss, Rechtsanwalt.


(Seite)
Spruchkammer Saarbrücken, 1. Februar 1949


Auf Grund der Rechtsanordnung zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 15. April 1947 erlässt die Spruchkammer, bestehend aus
1. Dem Vorsitzenden: Senatspräsident Dr. Baltes
2. Den Beisitzern: Schlossermeister Bergen, Bäckermeister Schmahl, Maler Weber, Obersteuersekretär Cullmann, Oberpostinspektor Fries,

gegen Alois Schön, Eisenbahnbeamter (Rottenmeister), geboren 3. Juli 1898 in Bliesen, aufgrund der mündlichen Verhandlung folgenden Spruch:
Die Berufung des Betroffenen gegen den Spruch der III. Spruchkammer Saarbrücken vom 11. Mai 1948 wird zurückgewiesen. Auch die Kosten der Berufungsinstanz trägt der Betroffene.

Begründung:
Durch Spruch der III. Spruchkammer vom 11. Mai 1948 ist der Betroffene in die Gruppe der Schuldigen eingereiht worden; außer den in Art. 17 A der Rechtsanordnung zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 15. April 1947 zwingend vorgeschriebenen Sühnemaßnahmen ist auf eine durch die bereits erlittene Inhaftierung als verbüßt angesehene Internierung von 2 Jahren erkannt und der Betroffene mit den Verfahrenskosten belastet worden. Gegen diese Entscheidung hat dieser in gesetzlich zulässiger Weise Berufung eingelegt. Sie ist zu spät erfolgt, durch Beschluss vom 10. Dezember 1948 ist aber dem Betroffenen die Wiedereinstellung in den vorherigen Stand bewilligt worden. Die Berufung ist in der erneuten Hauptverhandlung als nicht begründet erachtet worden.

Der Betroffene gehörte der NSDAP seit 1933 an; in seinen Personalakten hat er das Eintrittsdatum bald mit dem 25. März, bald mit dem 1. Juni 1933 angegeben. Ein Amt will er nicht begleitet haben; auf den Vorbehalt, dass er wiederholt sich als Zellenleiter bezeichnet hat, hat er entgegnet, er habe wohl mehrmals vorübergehend den Zellenleiter vertreten, sei aber als solcher nie bestätigt worden. Außerdem war er seit dem 15. März 1935 Mitglied der aktiven SA, in der er ab 1. Mai 1937 SA-Obertruppführer und damit der Führer der Bliesener SA war. Unter Bekleidung eines Amtes war er ferner in dem Reichsbund der deutschen Beamten, dem NSV, dem Reichsbund der deutschen Familie und der Deutschen Front. Endlich war er ausweislich der Personalakten während der Abstimmungszeit Leiter des Ordnungsdienstes in Bliesen.

Was den Betroffenen, dessen Tätigkeit im Abstimmungskampfe aufgrund des Römischen Abkommens unberücksichtigt bleiben muß, besonders belastet, ist folgendes:

Bei einer Hitler-Wahl im Jahre 1936 hatten der katholische Pfarrer und seine Schwester als einzige Wähler in Bliesen es gewagt, die im Wahllokale aufgestellte Wahlzelle zu benutzen. Durch Kennzeichnung der zur Aufnahme der Stimmzettel benutzen Umschläge hatte man festgestellt, dass der Pfarrer eine Nein-Stimme und seine Schwester eine ungültige Stimme abgegeben hatten. Einige Tage danach fand in Furschweiler eine SA-Besichtigung durch einen höheren SA-Führer statt. Auch die Bliesener SA unter Führung des Betroffenen sollte daran teilnehmen und hatte sich auch schon zum Abmarsch nach Furschweiler auf ihrem Sammelplatz eingefunden. Da kam der damalige kommissarische Ortsgruppenleiter der NSDAP und Ortsbürgermeister August Schmidt zum Betroffenen und erklärte ihm, er brauche für den Abend die SA. Auf dessen Antwort, er müsse nach Furschweiler marschieren, rief Schmidt fernmündlich den zuständigen SA-Obersturmführer Jost an und teilte ihm mit, die SA werde in Bliesen benötigt, wozu, könne er ihm am Telefon nicht sagen, er bitte um Freigabe derselben für diesen Abend. Zu den Betroffenen äußerte er darauf, die Aktion werde im Auftrage der Behörde durchgeführt, der Pfarrer müsse bis zum nächsten Tage aus dem Dorf heraus, die SA solle einen Sprechchor bilden und rufen: "Raus mit dem Lump, der seine Stimme gegen Deutschland abgegeben hat."

Der Betroffene zog darauf gegen 19 1/2 Uhr mit seinem aus etwa 30-35 SA-Männern bestehenden Trupp zum katholischen Pfarrhaus und machte diesen mit den zu rufenden Worten bekannt. Dem entsprechend kam es vor dem Pfarrhaus zum Geschrei, und in dessen Verlauf wurden an demselben Ort mehrere Fensterscheiben mit Steinen eingeworfen; inwieweit sich an dieser Sachbeschädigung die SA-Männer, insbesondere der Betroffene, beteiligt haben, konnte nicht festgestellt werden, da auch andere Personen sich dort befanden, die die Steine geworfen haben können, und wegen der herrschenden Dunkelheit die Täter, soweit sich dies ermitteln ließ, nicht bekannt wurden. Von dort begaben sich der Betroffene und wenigstens ein Teil seiner SA-Männer ihnen die in der Nähe befindliche Wirtschaft. Nach ungefähr 3 Stunden kam August Schmidt auch dort hin und erklärte dem Betroffenen, sie müssen nochmals zum Pfarrhaus, damit der Pfarrer verhaftet werden könne. Der Betroffene begab sich darauf gegen 23 - 24 Uhr mit seinen Leuten erneut zum Pfarrhaus, wo sich eine ähnliche Szene abspiele wie vorher. Zum "persönlichen Schutz" des Pfarrers erfolgte darauf seine fest Name Deutschlandjäger und zwar vermutlich auf Veranlassung des damaligen, inzwischen verstorbenen, Amtsbürgermeisters Rüther und des Oberlandjägers Aßmus. Als der Pfarrer von seiner Wohnung zu dem Auto geführt wurde, das ihn wegbrachte, bildete die SA Spalier, um "zu verfügen, dass die Volkswut sich gegen ihn richte". Nach wenigen Tagen wurde der Pfarrer nach Vernehmung durch die Gestapo aus der "Schutzhaft" entlassen.

Der Betroffene hat im wesentlichen folgendes vorgebracht:
Die Aktion gegen den Pfarrer sei von der Behörde ausgegangen, was schon daraus hervorgehe, dass der Amtsbürgermeister Rüther und der Oberlandjäger Aßmus zugegen gewesen seien. Von der Anordnung des Obergruppenleiters Schmidt, vor das Pfarrhaus zu ziehen und dort einen Sprechchor zu bilden, sei er überrumpelt worden. Die Tragweite eines solchen Vorgehens sei ihm zu dieser Zeit nicht zum Bewusstsein gekommen. Er selbst habe keine Steine gegen das Pfarrhaus geworfen und auch keinen Befehl dazu gegeben. Inwieweit überhaupt SA-Männer sich am Steinewerfen beteiligt hätten, könne er nicht sagen, da es dunkel gewesen sei. Es hätten sich auch viele Zivilpersonen vor dem Pfarrhaus eingefunden, von denen vielleicht Steine geworfen worden seien, und er persönlich habe nichts gegen den Pfarrer gehabt und sei auch nicht aus der Kirche ausgetreten.

Die in der Hauptversammlung als Zeugen vernommen Joseph Andres, der als SA- Angehöriger an der Aktion gegen den Pfarrer teilnahm, und August Schmidt, der damalige kommissarische Ortsgruppenleiter und Ortsbürgermeister von Bliesen, haben im Wesentlichen die Einlassung des Betroffenen bestätigt, wenn auch Schmidt aus begreiflichen Gründen bei seiner Vernehmung sehr zurückhaltend war und seine Verantwortung zu verkleinern suchte. Der pensionierte Eisenbahner Peter Meier, ebenfalls in Bliesen, der während der Nazizeit der NSDAP ablehnend gegenüber stand, hat bekundet, er habe sich sehr gewundert, daß man den Betroffenen zum SA- Führer gemacht habe, da er ein Mann ohne eigene Meinung sei; nach dem Vorgang am Pfarrhaus habe sein Sohn, der in der Nacht aus dem Bett geholt worden sei, um an der zweiten Aktion teilzunehmen, aus Verärgerung hierüber den SA-Dienst nicht mehr mitgemacht; nach einiger Zeit seien der Betroffene und Andres an ihn herangetreten mit der Aufforderung, die von der SA unentgeltlich gelieferten Stiefel zurückzugeben; bei dieser Gelegenheit habe er - Zeuge - mit seiner Meinung über den Nationalsozialismus nicht zurückgehalten und heftige Ausdrücke gegen ihn gebraucht; der Betroffene habe jedoch deshalb nichts gegen ihn unternommen; auch später nicht, als er zweimal wieder sich sehr abfällig über die Partei geäußert habe. Ebenso haben der pensionierte Bergmann Karl Recktenwald als Zeuge und Jakob Biegel in seiner "eidesstattlichen Erklärung" dem Betroffenen bestätigt, dass er sie trotz ihrer nazifeindlichen Äußerungen, wie bekannt geworden sei, nicht zur Anzeige gebracht habe. Pfarrer Alt und Bürgermeister Wagner in Bliesen sowie der frühere Bliesener Pfarrer Weiler, gegen den sich seinerzeit die Aktion richtete, sind für den Betroffenen, weil er ein Opfer der Verführung geworden sei und nur auf Befehl gehandelt habe. (...)

Der Betroffene kann sich zu seiner Rechtfertigung nicht darauf berufen, er habe nur den Befehl des Ortsgruppenleiters Schmidt ausgeführt. Es kann zugegeben werden, dass dieser wie er und der Betroffene übereinstimmend behauptet haben, an sich zu Befehls Erteilung an den örtlichen SA Führer berechtigt war. Dieses Recht ging aber nach der Angabe des Zeugen, SA Obersturmführer Jost, des Vorgesetzten des Betroffenen im SA Dienst, nicht so weit die Regierung von strafbaren Handlungen zu verlangen. Wenn der Betroffene irrigerweise annahm, sein einzig strafbares Tun werde dadurch gerechtfertigt, dass er nur in Ausführung eines Befehls handelte, so befand er sich in einem seine Verantwortlichkeit nicht ausschließenden Rechtsirrtum. Auch die Anwesenheit des Amtsbürgermeisters Rüther und des Oberlandjägers Aßmus bei der Aktion ändert hieran nichts, auch dann nicht, wenn sie unberechtigterweise dieselbe veranlasst haben. Der Einwand des Betroffenen, er sei durch die Anordnung des Ortsgruppenleiters überrumpelt worden und habe deshalb keine Zeit zur Überlegung gehabt, konnte allenfalls für den 1. Teil der Aktion als richtig angenommen werden, nicht aber für den 2. Teil derselben; dieser fand geraume Zeit - etwa 2-3 Stunden - nach dem ersten statt, es blieb demnach dem Betroffenen genügend Zeit, über das Unerlaubte seines Tuns und dessen Folgen nachzudenken und sich und seine Leute einem weiteren Missbrauch ihrer Gehorsamspflicht zu entziehen, indem er nach dem 1. Teil den Dienst an diesem Abend für beendet erklärte und sich nachhause begab. Stattdessen besuchte er mit seinen Leuten wie nach einer vollbrachten Heldentat die Wirtschaft und nahm dort den weiteren Befehl des Schmidt entgegen, nochmals zum Pfarrhaus zu gehen, damit der Pfarrer verhaftet werden könne. Jetzt spätestens wusste er also, was mit der Aktion bezweckt wurde: die gesetzwidrige Festnahme des Pfarrers.

Der Betroffene kann sich auch nicht etwa auf Notstand berufen, denn bei Ausführung der Befehle konnte ihm, da sie zur Begehung von Straftaten aufforderten, nach der eigenen Angabe seines SA-Vorgesetzten Jost der Ortsgruppenleiter zu derartigen Befehlen aber nicht berechtigt war, kein besonderes Nachteil entstehen.

Aus einem vierfachen Grund mußte deshalb der Betroffene in die Kategorie der Schuldigen eingestuft werden. Die Frage, ob auf grund der Bestimmungen in 8 Titel 6 I 1 oder Art. 11 4 der Rechtsanordnung das Vorliegen mildernder, die Einreihung in eine niedrigere Gruppe rechtfertigender Umstände zu bejahen ist, mußte, auch wenn der Betroffene sonst zu Klagen keine Veranlassung gab, verneint werden und zwar mit Rücksicht darauf, dass er ohne weiteres den 2. Teil der Aktion mitmachte, trotzdem er beim 1. Teile desselben selbst wahrgenommen hatte, wie niederträchtig man dabei vorging und jetzt nicht mehr in Zweifel darüber sein konnte, dass man einen Grund suchte, um den Pfarrer wegen seiner aufrechten, den Nazis verhassten Haltung bei der Abstimmung zu verhaften. Bei dieser Sachlage war auch kein Anlass gegeben, die nach Art. 17 der Rechtsanordnung in dem angefochtenen Spruch ausgesprochenen Sühnemaßnahmen, soweit dies überhaupt möglich ist, zu Gunsten des Betroffenen abzuändern.

Unter Bestätigung der früheren Entscheidung nach Art. 15 bat deshalb die Berufung zurückzuweisen. Auch die Kosten der Berufungsinstanz gehen zulasten des Betroffenen (...)

Gezeichnet Dr. Baltes
gezeichnet Fries

(60)
Jakob Biegel, Bliesen Nummer 117
Bliesen, den 30. Januar 1949

An die Bereinigungs-Spruchkammer Saarbrücken zwecks Vorlage bei der Verhandlung des Schön Alois aus Bliesen am 1. Februar 1949.

Eidesstattliche Erklärung.
Durch dieses mein Schreiben bestätige ich die Richtigkeit der Angaben, welche in dem Berufungsschreiben angeführt sind.
Trotzdem ich in meinem Lokale oft und bei zahlreichen anderen Gelegenheiten gegen das Hitler Regime aufgetreten bin, hat Schön als SA Führer nichts gegen mich unternommen, sondern mehr noch in vielen Fällen zur Seite gestanden.
Nach meinem Ermessen hatte die Bevölkerung zu Schön stets noch volles Vertrauen gehabt und dasselbe ist auch nicht enttäuscht worden.

Biegel Jakob.

(61)
Protokoll der Sitzung vom 1. Februar 1949. [...]
Berufungs- Spruchkammer Saarbrücken, Aktenzeichen I.Spr. 172/48. (…)
Hierauf gab der Vorsitzende einen Bericht über das Sachverhältnis sowie den wesentlichen Inhalt der Akten. Er verlas das Urteil der 1. Instanz nebst Begründung.

Der Betroffene wurde gefragt, ob er etwas hierauf erwidern wolle. [Schön wiederholt einmal mehr den Vorgang am Pfarrhaus.]

2.) Die Zeugen wurden sodann einzeln aufgerufen und in Abwesenheit der später Anzuhörenden wie folgt vernommen:

1. Zeuge: Josef Andres
Ich heiße Josef Andres, 50 Jahre alt, zur Zeit Versicherungsvertreter im Bliesen. Ich war in der Zeit, als die Ausschreitungen gegen den Pfarrer Weiler stattfanden, Scharführer in der SA in Bliesen. Unsere Einheit sollte eigentlich an diesem Tage zu einer Besichtigung nach Furschweiler. Als wir an das Pfarrhaus kamen, das auf dem Wege von unserem Appellplatz nach Furschweiler lag, hielt uns jedoch der Gendarmeriekreisführer Ltn. Assmussen zurück und teilte uns zum Absperrdienst ein; denn dort hatte sich eine Menge Zivilisten eingefunden. Unser Einheitsführer Schön hatte uns unterwegs vom Antreteplatz, der circa 500 Meter vom Pfarrhaus entfernt liegt, zu diesem nur gesagt, dass wir nicht nach Furschweiler gingen, sondern im Ort bleiben würden. Schön hatte uns nicht gesagt, dass wir am Pfarrhaus einen Sprechchor bilden sollten.

Der Betroffene erklärte hierauf: Ich habe sofort nach dem Abmarsch zum Pfarrhaus meiner Einheit gesagt, dass sie dort in einem Sprechchor eingesetzt würden.

Der Zeuge Andres erklärte weiter: Wir wurden am Pfarrhaus zunächst zum Absperrdienst eingesetzt, dann wurde auch gerufen. Was gerufen wurde, weiß ich nicht mehr. Ich weiß auch nicht, ob mit Steinen beworfen wurde und ob Schaufensterscheiben dabei zertrümmert wurden. Soviel ich mich erinnern kann, waren am Pfarrhause Fensterläden angebracht. Ich selbst stand circa 10-15 Meter vom Haus entfernt. Zwischen der 1. und 2. Ausschreitung hielt sich unsere Einheit in der nebenangelegen Gaststätte Kunz auf, bis uns Schön aufforderte, nochmal mit zum Pfarrhaus zu gehen. Auch beim 2. Mal hat er uns nicht gesagt, was wir machen sollen. Die Zivilisten standen immer noch vor dem Haus, unter anderem Assmussen und der Amtsbürgermeister.

2. Zeuge: Johann Jost
Ich heiße Johann Jost, 50 Jahre alt, Eisenbahnbeamter in Furschweiler.
Ich war während dieser Affäre gegen den Pfarrer Weiler in Bliesen SA Sturmführer in Furschweiler und zuständig für Bliesen. Mit der Aktion selbst habe ich nichts zu tun; ich war auch nicht dabei anwesend. Ich kann mich nur noch erinnern, dass wir an diesem Tage in Furschweiler eine Besichtigung der SA durch einen höheren SA-Führer hatten und auf den Trupp Bliesen warteten. Ungefähr 20 Minuten vor der festgesetzten Zeit erhielt ich einen Anruf von dem Ortsgruppenleiter Schmidt in Bliesen, wodurch dieser mir mitteilte, dass der Truppe Bliesen an der Besichtigung nicht teilnehmen könne, weil er zu einem örtlichen Einsatz benötigt würde. Ich frug Schmidt, was denn los wäre und um was für einen Einsatz es sich handele, worauf er mir zur Antwort gab, er könne mir dies am Telefon nicht mitteilen, ich würde es noch näher durch einen Boten erfahren.

Der Zeuge Jost erklärte dann auf Befragen: Der Hoheitsträger der Partei, in diesem Falle also der Ortsgruppenleiter, hatte Befehlsgewalt über die SA, wenn sie gebraucht wurde. Die SA war ihm zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Natürlich konnte aber auch der Ortsgruppenleiter nicht die SA Männer zu einer strafbaren Handlung zwingen. Ich hätte einen solchen Befehl nicht ausgeführt. Der Bürgermeister hatte keine Befehlsgewalt über die SA.

3. Zeuge: August Schmidt
Ich heiße August Schmidt, 53 Jahre alt, Schmiedemeister in Bliesen.
Ich war in der Zeit, als die Ausschreitungen gegen den Pfarrer Weiler in Bliesen stattfanden, zwar noch Ortsbürgermeister und kommissarischer Ortsgruppen leider in Bliesen, wurde aber im Winterbach, wo ich arbeitete. Jedoch habe ich täglich in meiner Eigenschaft als Ortsbürgermeister in Bliesen Sprechstunden abgehalten, so auch an dem Tage der Ausschreitungen. Ich befand mich in meinem Büro, als mich der Gendarmerieleutnant Assmussen und der Amtsbürgermeister Rüther aufsuchten und mir die Mitteilung machten, dass ich da bleiben solle, und zwar sagten sie wörtlich: "Schmidt, Sie bleiben heute hier und die SA brauchen wir heute auch!" Da mir bekannt war, dass die SA zu einer Besichtigung solle, machte ich zunächst Einwendungen, doch es half nichts. Ich verständigte sodann Schön, dass er mit seinem Trupp dableiben solle, weil er benötigt werde.
Als ich von dem Tumult hörte, dachte ich mir, ich muß den Landrat verständigen, doch dieser war nicht zu erreichen. Daraufhin setzte ich mich telefonisch mit dem Kreisleiter in Verbindung, doch dieser brach das Gespräch mit der Bemerkung ab, das sei doch keine Sache für das Telefon. Er käme sofort mit seinem Wagen, ich solle ihn ein Stück entgegenkommen, worauf ich dann mit meinem Fahrrad dem Kreisleiter entgegenfuhr und ihm Bericht erstattete, was vorgefallen war.

Auf Vorbehalt erklärte der Zeuge Schmidt hierauf: Ich wusste nicht, weshalb die SA dableiben solle, es wurde mir darüber auch keine Erklärung von Assmussen oder Rüther abgegeben. Ich gebe zu, das ich die SA wie mir angeordnet zurückbehalten habe und deswegen auch mit dem SA Sturmführer Jost gesprochen habe. Ich kann mich jedoch nicht erinnern, dass ich zu dem Jost gesagt haben soll, ich könne ihn am Telefon nicht sagen, warum die SA gebraucht würde, ich würde ihm einen Boten senden. Ob die Bevölkerung gegen den Pfarrer Weiler erbost war, konnte ich nicht feststellen.

Der Zeuge Jost erklärte hierauf: Ich bleibe bei meiner Behauptung, dass mir Schmidt damals am Telefon gesagt hat, er könne mir das am Telefon nicht sagen, warum die SA im Ort bleiben müsse, er würde in einen Boten schicken.

Der Zeuge Schmidt erklärte hierauf: Ich bestreite das, denn ich habe mich erst entschlossen, den Landrat - und nachdem ich diesen nicht erreichen konnte - den Kreisleiter anzurufen, als mir von den Leuten gesagt wurde, dass vor der Kirche und dem Pfarrhaus Jagd (Lärm) sei. Angerufen hab ich von der Post aus.

Der Betroffene erklärte hierauf: Schmidt hat mir doch den Auftrag gegeben, den Trupp in einem Sprechchor einzusetzen, er hat jedoch auch gesagt, was gesprochen werden soll.

Der Zeuge Schmidt erklärte: Ich streite diese Vorwürfe entschieden ab, ich habe lediglich die Anordnung von Assmussen und Rüther ausgeführt.

Auf Befragen erklärte der Zeuge Schmitt weiter: Eine Anzeige gegen den Pfarrer Weiler lief bei mir nicht ein. Es war mir aber bekannt, dass Stimmen im Dorfe gegen ihn laut wurden.

Der Betroffene erklärte noch: Ich habe zu den Ausführungen des Zeugen Schmidt noch zu bemerken, dass mir der 2. Einsatz   n u r   von ihm befohlen wurde.

(63)
4. Zeuge: Peter Meier
Ich heiße Peter Meier, 64 Jahre alt, pensionierter Eisenbahner in Bliesen.
Ich selbst war kein Mitglied der NSDAP. Der Betroffene ist mir seit langem bekannt und war mir als Gesangsbruder ein guter Kamerad. Ich kenne ihn eigentlich nur von einer guten, humanen Seite; denn er ist keine geistige Kapazität, ein Mensch, der keinen eigenen Willen besitzt, der keine eigene Meinung hat und der sich stets der Mehrheit anschließt. Als ich ihn zum 1. Mal in der SA Uniform sah, war dies die größte Überraschung meines Leben, und ich sagte damals zu meinem vertrauten Freunden, jetzt haben sie das richtige Werkzeug gefunden, mit dem sie alles anstellen können. Ich zog mich aber dann nach der Rückgliederung zurück und habe mich um nichts mehr bekümmert. Die Ereignisse vor dem Bliesener Pfarrhaus kenne ich nur aus den Schilderungen meines Sohnes. Dieser war damals 18 Jahre alt und hatte sich ohne mein Wissen in seinem jugendlichen Eifer auch in die SA gemeldet, wofür er übrigens von mir fühlbar gemaßregelt wurde. Nachdem er aber nun mal drinnen war, konnte er ohne seine Existenz nicht zu gefährden nicht mehr aus ihr ausscheiden. An dem Abend, als die Ausschreitungen stattfanden, legte sich mein Sohn schon früh ins Bett.
Es mag gegen 23 Uhr, es kann auch 23 Uhr 30 gewesen sein, als er durch laute Rufe geweckt wurde. Die Männer riefen ihm zu, im Dorf würde es brennen, und die SA müsse eingesetzt werden, worauf sich mein Sohn auch schnellstens entfernte. Da aber im Dorf kein Feueralarm gegeben wurde, kam mir die Sache recht zweifelhaft vor. Es war mir bekannt, dass abends auch eine Besichtigung der SA in Furschweiler stattgefunden hat, an der aber mein Sohn nicht teilgenommen hatte, weil er noch viel Aufgaben für die Berufsschule zu erledigen hatte. Ich dachte mir daher, seine Kameraden hätten sich deswegen einen Lausbubenstreich erlaubt und hätten ihn heraus gelockt. Am nächsten Morgen erfuhr ich dann durch meinen Sohn, was vorgefallen war. Er erzählte mir, dass eine Aktion von höherer Stelle gegen den Pfarrer aufgezogen worden wäre und dass er viele Prominente aus St. Wendel gesehen hätte. Er war der Ansicht, dass die Bliesener Bevölkerung nicht dafür verantwortlich ist, den Schön hätte er auch nur im Hintergrund gesehen. Dann sagte mein Sohn wörtlich zu mir: "Vater, das war der letzte Schritt, den ich in der SA getan habe!" und trat auch wirklich nach diesem Vorfall wieder aus der SA aus.
Einige Zeit später kamen Schön und Andres in meine Wohnung und frugen, warum denn mein Sohn nicht mehr an SA Dienst teilnehme. Ich nahm diese Gelegenheit wahr, um den beiden meine Meinung zu sagen, wie ich sie auf dem Herzen hatte. Sie lenkten ein und gaben mir zu verstehen, dass sie auch keinen Zwang ausüben wollten; wenn mein Sohn nicht mehr in die SA zurückginge, dann solle ich ihnen wenigstens die Stiefel zurückgeben, die Eigentum der SA seien.
Schön und anderes hätten mir ja nun, nachdem ich ihnen derart schwere Vorwürfe wegen dem Vorfall vor dem Pfarrhaus machte, daraus einen Strick drehen können, aber sie taten es nicht.

Der Zeuge Meier erklärte auf Befragen weiter: Vor diesem Vorfall war mir nicht bekannt gewesen, dass der Pfarrer Weiler mit "nein" abgestimmt hatte und dass er und seine Schwester die einzigen im Dorf gewesen waren, die in die Wahlzelle gegangen sind. Es war auch ausgeschlossen, dass der Bevölkerung etwas gegen den Pfarrer Weiler unternommen hätte; denn er war wohl bei den allermeisten beliebt. Ich hatte auch nie den Eindruck, dass die Bevölkerung gegen ihn aufgebracht war.
Bemerkenswert ist auch, dass nach diesem Vorfall die SA in Bliesen keinen richtigen Zusammenhalt mehr hatte. Viele schämten sich, und viele sagten sich von der SA los und traten aus. Von dem Vorfall selbst erinnere ich mich noch, dass mir mein Sohn erzählt hat, als er ans Pfarrhaus gekommen wäre, seien bereits Türen und Fenster zertrümmert gewesen, weshalb er sich sofort zur Post zurückgezogen habe. Ein Polizist hätte dann den Pfarrer aufgefordert herausgekommen, damit sie ihn vor der wütenden Bevölkerung in Schutzhaft nehmen könnten. Daraufhin hätte auch die SA eine Absperrkette bilden müssen.

5. Zeuge: Wilhelm Johann
Ich heiße Wilhelm Johann, 48 Jahre alt, Eisenbahner a.D. in Bliesen.
Ich bin ein anerkannter Antifaschist. Schön kannte genau meine Einstellung, aber er ließ mich in Ruhe und hat auch nie den Versuch gemacht, mich in die NSDAP zu bekommen. Ich bin der Ansicht, dass wenn ein fanatischer SA Führer statt Schön in Bliesen gewesen wäre, ich hätte nicht so in Frieden leben können. Es wurde aber auch nichts von anderer Seite gegen mich unternommen, und deshalb brauchte sich der Betroffene auch nicht für mich einzusetzen.

6. Zeuge: Karl Recktenwald
Ich heiße Karl Recktenwald, 45 Jahre alt, pensionierter Bergmann in Bliesen.
Ich selbst war nicht in der NSDAP und saß eines Tages in der Bahnhofswirtschaft in Bliesen, wo sich auch SA-Männer an meinen Tisch gesellten. Wir kamen miteinander ins Gespräch und berührten auch den deutschen Einmarsch in Österreich, worüber wir in Disput gerieten. Ich ließ mich schließlich hinreißen und sagte: "Hitler kann mich mal hinten herum heben!" Darauf wurden sofort Stimmen in der Wirtschaft laut, ich müsse angezeigt werden, und ich wurde aus der Wirtschaft geworfen.

Der Betroffene erklärte hierauf: Ich war bei diesem Vorfall nicht zugegen, befand mich aber gerade auf dem Wege von meiner Arbeitsstätte - Bahnhof - zur Gaststätte, um noch ein Glas Bier zu trinken, denn meine Arbeitszeit war beendet, als ich gerufen wurde. Als ich die Gaststätte betreten wollte, waren verschiedene Männer gerade dabei, den Recktenwald aus der Wirtschaft zu werfen. Bei meinem Eintreten redeten sie sofort auf mich ein und erzählten mir, was vorgefallen war. Verschiedene riefen auch sofort, Recktenwald hätte sich gegen den Staat und den Führer ausgesprochen, und er müsse deswegen angezeigt werden. Darauf gab ich dem Hauptschreier, der die Anzeige forderte, zur Antwort, dass er sie machen solle, wenn er es haben wolle. Ich würde den Recktenwald besser kennen und seine Familie würde dies nicht tun.

Der Zeuge Recktenwald erklärte hierauf: So wie der Betroffene soeben den Sachverhalt geschildert hat, war es gewesen; ich konnte auch nachher wieder die Wirtschaft betreten.

3.) Der Betroffene erklärte abschließend zu seinem Vermögens- und Familienverhältnissen: Ich besitze in Gütergemeinschaft zusammen mit meiner Ehefrau ein Haus im Einheitswert von 6000 Reichsmark und außerdem 12 ar Ackerland. Meine Familie besteht aus meiner Ehefrau und 5 Kindern. Zur Zeit bin ich bei einem Unternehmer beschäftigt. Interniert war ich vom 20.12.45 bis 24.12.47.


(74)
SPD, Ortsgruppe Bliesen.
Bescheinigung.

Herr Alois Schön, geb. am 4.7.98, aus Bliesen Haus Nummer 173, stammt aus einer ehrbaren, achtbaren Familie.
Sein Vater ist als Bergmann beim Bergwerke Reden tödlich verunglückt.
Für die dem Obengenannten zur Last gelegten Vergehen hat derselbe nach meiner Auffassung genug Sühne geleistet, denn er war 2 Jahre in Internierungslager und hat letzten Endes bei der Ausführung seiner Tat nur im Auftrag gehandelt und war sich seiner Handlungsweise nicht voll bewusst.
Es wird gebeten, Gnade vor Recht walten zu lassen und auch auf die Familie von Schön bei der Beurteilung des Falles Rücksicht zu nehmen.

Hoffmann Matthias
1. Vorsitzender

(75)
Bliesen, den 24. Oktober 1949.
Katholisches Pfarramt, Alt, Pfarrer.

Bescheinigung
Herr Aloys Schön von hier wurde in der Nazizeit zum Führer der Orts-SA bestimmt und konnte als Eisenbahnbeamter kaum ablehnen, ohne sich der Gefahr der Entlassung auszusetzen. Bei dem "Sturm" aufs Pfarrhaus hat er nur Befehle ausgeführt, ohne sich Gewalttätigkeiten schuldig zu machen. Während die Befehlsgeber straffrei ausgingen bzw. heute wieder in ihrer alten Arbeit sind, war Schön 2 Jahre interniert und ist dann von der Bahn entlassen ohne Pension. Diese Strafe ist meines Erachtens zu hoch, da er in keiner Weise verantwortlich ist für die gegebenen Befehle.
Agitatorisch ist Schön nicht tätig gewesen und hat auch andere nicht geschädigt. Schön ist ein ruhiger Mann, der seiner Beschäftigung nachgeht und für seine Familie sorgt.       
Sein Gesuch um Begnadigung darf ich darum wärmstens befürworten.

(78)
Regierung des Saarlandes, Ministerium des Innern
Saarbrücken den 14. Juli 1950

An Herrn Alois Schön in Bliesen/Saar, Hausnummer 173

Beschluss.
Auf Ihr Besuch vom 6. Dezember 1949 auf Milderung der Entscheidung der Spruchkammer Saarbrücken vom 11. Mai 1948 aufgrund der Rechtsanordnung zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus ergeht nach Anhörung der Gnadenkommission aufgrund des Paragraphen 2 der Verordnung über die Ausübung des Gnadenrechts vom 2. März 1948 folgender Beschluss:

"Die folgende Einstufung als Schuldiger kommt mit Wirkung vom 1. Juli 1950 in Wegfall. Der Betroffene gilt als Minderbelasteter."

Gezeichnet Dr. Hector, Staatssekretär

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