Läufer, Wellness und alte Karten
oder: wie man in der St. Wendeler Kaserne den Tag pflücken kann
ein Erlebnisbericht, verfaßt im September 2003
Als ich vorige Woche hörte, daß das St. Wendeler Katasteramt am Sonntag, 21. September 2003, ebenfalls Tag der Offenen Tür hat, beschloß ich, dort mal wieder vorbeizuschauen. Mein Freund Werner und ich wanderen also am Sonntagmorgen von Alsfassen aus den Falkenbösch und die Danziger Straße hinauf, unterqueren die B-41 und durchqueren das ehemalige Kasernengelände. Menschenmäßig ist noch nicht viel los hier oben, es ist ja erst gegen halb elf. Aber im Bruch'schen Pferdehof tummeln sich schon etliche Vierbeiner, und als wir an den vielen abgestellten Anhängern vorbeischlendern, steigt uns gleich der typische Pferdegeruch in die Nase. Voraus steht das große Tausend-Mann-Zelt, das die Stadt dem LTF Winterbach zur Verfügung gestellt hat. Hoppla, jetzt wird’s etwas durcheinander. Also, mal sehen, was heute hier so abgeht: Der LTF Winterbach veranstaltet heute seinen jährlichen, herbstlichen Staffellauf rund um den Bouillon-Weg herum. Die Skater-(sprich: Sgäida, das sind die modernen Nachfolger der altmodischen Rollschuhe)-Bahn wird eröffnet. Thomas Bruch führt eine Stutenschau durch. Das Katasteramt hat Tag der Offenen Tür. Das Carpe-Diem hat geöffnet. Der Wellness-Club hat noch eine Woche bis zur Eröffnung. Und zusätzlich gibt’s unten in der Stadt noch einen verkaufsoffenen Sonntag plus eine Moden-Schau am Dom. In St. Wendel ist wieder richtig viel los. Aber wir bleiben in diesem Artikel hier auf dem Tholeyerberg.
LTF Winterbach
Im Zelt ist es relativ kühl und relativ leer, die Kuchentheke (LTF Winterbach) ist gut gefüllt. Also legen wir ein zweites Frühstück mit Kaffee und Kuchen ein (haben Sie den Sprudelkuchen mit Schokoladenguß probiert? Den hab ich selbst gebacken). Die Mädels hinterm Tresen lassen die Finger fliegen, schnell stehen zwei Tassen Kaffee da, und das Stück Kuchen ist auch nicht grad als klein zu bezeichnen. Und schmeckt vorzüglich. Das hat auch St. Wendels Bürgermeister erkannt, der sich gleich drauf den Kaffee schmecken läßt. Vorn vorm Zelt erfahren wir, daß die Resonanz für den Staffellauf recht gut ist, vor allem die Walker-Gruppen sind dieses Jahr sehr stark. Eine Gruppe wird gleich eintreffen, die wollen wir doch nicht stören. Also ziehen wir los in Richtung Pferdeschau (sorry, aber fürs Skatern hab ich nichts übrig, seit ich als kleiner Junge mal beim Rollschuhfahren heftigst auf den Hintern gefallen bin). Auch die Pferde werden vergeblich auf uns warten, denn unser beider Interesse an den Hottehü's ist nicht so stark ausgeprägt, daß wir je 2 Euro Eintritt dafür bezahlen würden. Also wenden wir uns dem eigentlichen Objekt unserer Begierde zu, dem Katasteramt.
Katasteramt
Die haben sich vor der Tür was Originelles einfallen lassen; sie messen mit einer Visiereinrichtung mit eingebautem Photoapparat die Größe ihrer Besucher und drucken das Ergebnis auch gleich aus. Mit dem Fahrstuhl fahren wir in den 2. Stock, wo wir uns nach rechts wenden. Am Ende des Flurs gibt es einen virtuellen 3-D-Rundflug über die Stadt St. Wendel. Dazu hat man Computer und Beamer aufgebaut und projiziert das Bild auf eine Leinwand. Der St. Wendeler Ortsvorsteher Kurt Wiese, Mitarbeiter des Amtes, führt eine Computer-Animation durch, zusammengestellt aus Luftbildern und einem sog. "digitalen Höhenmodell". Bei letzterem werden die vorhandenen Höhenlinien von den Landkarten als Zahlenwerte in den Computer übertragen, der sie bei der Darstellung auf dem Bildschirm in eine drei-dimensionale Landschaft verwandelt. Die Luftbilder runden dabei das Bild ab und zeigen die Landschaft in etwa so, wie man sie aus einem tieffliegenden Flugzeug sehen würde. Mit diesem Trickfilm fliegt uns Wiese zweimal über die Stadt und ihre umliegenden Orte. Eine sehr eindrucksvolle Demonstration für die Potentiale des Katasteramtes. Draußen im Flur entdecke ich an der Wand eine sehr interessante Karte des nördlichen Saarlandes aus dem Jahre 1937. Eigenartig, Tholey gehörte damals nicht zu St. Wendel. Am anderen Ende des Flurs liegt das Archiv des Katasteramtes. Herr Köbele hat dort interessante Objekte ausgelegt. Zwei lange Stangen präsentieren die früheren Werkzeuge der Vermessung, dazu kann man Einblick nehmen in die ältesten Kartenwerke wie z.B. den Urhandriß von 1843. Wenn man die Nummer der Flur weiß, in der sein Haus steht, kann man dort sehen, wer hier vor 160 Jahren wohnte (Alsfassen z.B. ist Flur 22; die Bahnhofstraße Flur 5). Herr Köbele gibt uns bereitwillig Auskunft und erklärt viele Begriffe aus seiner Arbeit. Als uns von trigonometrischen Punkten und Polygonen die Ohren klingeln, bedanken wir uns und gehen zurück ins große Zelt.
Dort werkelt schon seit den frühen Morgenstunden eine Mannschaft der Freiwilligen Feuerwehr St. Wendel an einer Gulaschkanone herum. Es gibt Nudeln mit Gulasch, für drei Euro fünfzig einen großen Teller voll. Und sehr schmackhaft. Den Getränkeausschank betreiben junge Mitglieder des St. Wendeler Blau-Weiß. Das Zelt ist jetzt voller geworden, die Kuchentheke des LTF leerer. Oben auf der Bühne spielt eine Jazz-Band.
Wellness
Nach dem Essen gehen wir rüber in den Wellness-Club (Wellness ist übrigens der neu-deutsche Ausdruck für "Wohlgefühl"). Der ist außen noch die reinste Baustelle, alles ist nur halbfertig, es sieht sehr unaufgeräumt und nicht sehr einladend aus. Zwei junge Damen in blau führen Strichlisten über die Besucherzahlen ("Sind Sie schon Clubmitglied?"). Der äußere Eindruck wird durch den inneren etwas abgemildert, aber auch hier ist noch viel zu tun. Wir schauen uns zweifelnd an: ob die das bis nächste Woche fertig kriegen? Überall fehlt etwas, hier ne Ladung Putz, dort ne Lampe; nur der Kraftmaschinenpark scheint vollständig zu sein, hier ist alles, was das Herz begehren mag. Wir steigen in den ersten Stock. Und hinunter in den Keller. Gerade, als wir wieder nach oben wollen, kommt von hinten ein Mann auf uns zu und fragt, ob er helfen kann. Er führt uns um ein paar Ecken in eine große Halle, die zukünftige Sauna. Er ist der Aufgußmeister. Fachkundig zeigt er uns die einzelnen Saunen und erläutert die verschiedenen Verfahren, nach denen sie arbeiten: das Einsprühen der Sole, die Schlammsauna, die Erlebnisduschen. Er ist voller Tatendrang und freut sich auf seine neue Aufgabe. Er haucht den leeren Hallen Leben ein. Wir heißen euch hoffen, laßt uns gespannt sein. Wir steigen wieder hinauf und gehen quer über den Platz ins "Carpe Diem".
Carpe Diem
"Pflücke den Tag" heißt dieses lateinische Wort, das Horaz zugeschrieben wird. Alexander Meyer steht hinter der Rezeption und weiht uns in die Geheimnisse des Hauses ein. Ein Eventhaus nennt er es. Wieder ein neudeutsches Wort. Event (gesprochen: Ivent) ist Englisch und steht für "Ereignis" oder "Begebenheit". Ein Haus, in dem Ereignisse stattfinden, ein Haus, in das man sich begibt, um Begebenheiten beizuwohnen. Hier werden Vorträge und Seminare stattfinden, Lesungen und Konzerte, private und öffentliche Feiern. Im ersten Stock hat eine Ballettschule Platz, eine Akademie wird Kurse anbieten. Das Innere wirkt einfach, schlicht - und: es riecht gut. Der Verputz, dünn auf die Backsteinmauern aufgetragen, läßt die Steine erahnen. Man hat versucht, rechte Winkel zu vermeiden, die Ecken sind abgerundet, sogar die Innenecken. Ein ehrgeiziges Projekt. Wünschen wir dem Team alles Glück, seine Ziele zu erreichen.
Im Magen voller, in der Geldbörse leichter treten wir den Rückweg an, der hinunter führt nach Alsfassen. Es war ein interessanter verlängerter Morgen, wir haben viel gesehen und gehört und erfahren. Und sind gespannt, wie es bei unserem nächsten Besuch aussehen mag.