Vorwort
Also, ein bißchen mulmig war mir schon, als ich vor ein paar Wochen zum ersten Mal hinüber zum Kurzplatz ging, um auch mal "in medias res", also zur Sache zu gehen. Meine Schwiegereltern hatten mir zum Geburtstag einen Gutschein für vier Wochen Golfen mit Tasche und Trainer geschenkt, den ich Anfang April einzulösen begann. Nachdem ich dann ein paar mal auf der Driving Range (sprich: Draiving Räinsch, engl. für Schlagtrainings-Bahn) in der Abschlagzone den Boden kräftig umgewühlt hatte und mir Clive Jenkins mit seiner Engelsgeduld in vier mal zwanzig Minuten zumindest ein anfängliches Gefühl gegeben hatte für die grobe Richtung, in die der Ball fliegen sollte, und die Methode, wie ich ihn dazu bringen sollte, dorthin zu fliegen, da nahm ich allen meinen Mut zusammen, hing mir den Bag (sprich: bääg, engl. für Tasche) über die Schulter und marschierte zum ersten Par (spricht sich mit langem "a"). Ich hatte Glück, es war sonst niemand in Sichtweite (nun ja, vielleicht hatte auch jeder Glück, der nicht da war), ich piekte am Tee (sprich: Tieh, engl. für Abschlagszone) das Tee (sprich: Tieh, engl. für das kleine Holzstäbchen, auf dem der Ball beim ersten Abschlag sitzt) in den Boden, setzte den Ball drauf, holte tief Luft, visierte an und ließ den Ball fliegen, d.h. beim dritten Versuch traf ich ihn auch. Irgendwann nach so fünf bis sieben Kontakten landete der Ball am anderen Ende der Bahn auch im Loch. Ich sammelte alle Schläger ein, packte mein Bag, überquerte den Rundweg und stieg den kurzen Hang hinauf zum zweiten Tee, dessen Fairway (sprich: Fährwäi, engl. für die Bahn zwischen Tee und Green (sprich: griehn, engl. für die Fläche, in der sich das Loch befindet, in das der Ball hineinmuß)). Da stand ich nun auf dem Tee, der Ball wartete auf meine Aktion, als ich den Fairway hinunterschaute und mich in Zeit und Raum verlor.
Rechts neben mir - vor der Hecke - waren früher jahrhundertelang die Leute zwischen St. Wendel und Tholey unterwegs gewesen und hatten Halt gemacht, um am St. Annen-Brunnen auf der anderen Straßenseite (heute der Fairway vom 3. Tee) ein Schluck Wasser zu trinken oder in der Kapelle da links unterhalb der Bäume die heilige Anna zu bitten, für sie ein gutes Wort einzulegen, oder ein Wort mit dem Klausner zu reden, der noch ein paar Meter unterhalb in der Eremitage hauste. Oder um den Jahrmarkt zu besuchen, der einmal im Jahr im Juli hier gehalten wurde, oberhalb der Kapelle, nicht weit von meinem jetzigen Standpunkt entfernt. Doch was mir ein so richtig mulmiges Gefühl in den Bauch trug, war die Tatsache, daß ich gleich - natürlich nur, sofern der Ball überhaupt in diese Richtung flog - unten am Green über den alten, längst vergessenen Friedhof laufen würde, der bis vor knapp 200 Jahren noch in Betrieb war. Dort, wo wir vor 15 Jahren noch jede Menge Knochen gefunden hatten, sehr zum Ärger der Betreiber der Umbaumaßnahme, als sie für die Franzosen das alte Munitionsdepot abrissen und es hinauf auf den Hügel verlegten, dort wo zur Zeit das neue Clubhaus des Golfplatzes gebaut wird.
Immer, wenn ich in den letzten paar Jahren über den Rundweg spazierte und der Vorbereitungen für die Anlage des Golfplatzes gewahr wurde, hatte ich mir schon überlegt, ob ich nicht vorschlagen sollte, diesem Green, das hierher kommen sollte, den Namen Friedhofsgrün zu geben, oder - international gesprochen und in Anlehnung an eine strategisch wichtige Hügellinie auf dem Schlachtfeld von Gettysburgh während des amerikanischen Bürgerkrieges, die zwar nichts mit dem St. Wendeler Golfplatz zu tun hat, deren Name sich aber zumindest so ähnlich anhört - "Cemetery Green" (sprich: Semmeterri Griehn, engl. für Friedhofs-Grün) zu geben. Das hört sich im ersten Moment natürlich schaurig an, hat aber - denke ich - einen gewissen Reiz, weil eben schaurig.
Der Ball flog beim ersten Versuch, traf nicht links in die Fichten und nicht rechts in die Hecken oder gar in den St. Annenbach dahinter, der von Cetto's Weiher kommend parallel zum Fairway unter der Straße hindurch an "Schilze Baamgaade" vorbei durch die Gemarkung "Breschbach" unterhalb der B-41 fließt, wo er früher - d.h. vor 400 Jahren - einen Weiher bildete, kurz darauf zwei Mühlen bediente, selber nach der Gemarkung "Breschbach" genannt wird und unterhalb des Hütherhofes in den Johannisbach mündet. Nein, er - der Ball - flog bis dicht vors Green, aber das half auch nicht viel, da ich mit der Zielgenauigkeit noch so meine Huddel habe und deshalb mit dem Putter (nein, kein Vogel; wird gesprochen wie geschrieben; engl. put = stoßen; ein besonderes Eisen für kurze Schläge, um den Ball auf kurze Distanz ins Loch zu kriegen) noch nicht so firm bin. Allerdings war ich dann mit dem Ball und dem Putter und dem verdammten Loch so zu gange, daß ich all meinen Bammel vergaß und mich aufs Spiel konzentrierte. Nur beim Verlassen der Bahn fiel's mir wieder ein, als ich über den vorgegebenen Pfad mitten durch den Friedhof zum Rundweg marschierte - zum nächsten Tee oberhalb des ehemaligen Weihers.
Alsfassen, 22. Juni 2005