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1. Die Wallfahrt zum heiligen Wendelin von Otterswiller

 

In der katholischen Liturgie ist der Festtag des hl. Wendelin der 20. Oktober, und am selben Tag findet das Fest des Heiligen bis in unsere Zeit im Wallfahrtsort von Otterswiller statt.

 

1979 gab es nur noch wenige Pilger; tatsächlich geht die Zahl der Pilger seit dem 2. Weltkrieg stark zurück.

 

"Früher war die Pilgerfahrt zum hl. Wendelin eine feierliche Angelegenheit. Noch vor 10 Jahren pilgerten viele Bauern zu der St.-Wendelin-Kapelle. Sie kamen aus Jetterswiller, Crastatt, Lochwiller, Schwenheim, Haegen, Sindelsberg, Thal, Marmoutier. Heute gibt es das nicht mehr: es sind nur noch Pilger aus Otterswiller und einige ältere Menschen aus Singrist und vom Sindelsberg" (M. Jeróme G.)

 

Die Kapelle, in der die Messe gefeiert wird, liegt inmitten von Weinbergen auf der Spitze eines Hügels genannt Ottersweilerhöhe. Dem Brauch folgend legen die Pilger Brot und Salz, Nahrungsmittel, die nach der Messe gesegnet werden, am Fuße der Statue des hl. Wendelin nieder. Die Tageslesungen, die Gebete und der Segen werden jeweils in Deutsch und Französisch gesprochen. Am Ende der Messe segnet der Priester das Salz und das Brot, nach dem ein Gebet gesprochen hat, in dem er sich an Gott, den "Herrscher aller Dinge", wendet.

 

"Gott, Schöpfer und Bewahrer aller Dinge, von Dir hängt alles ab, was im Fleisch lebt; erhöre das Gebet deiner Gläubigen und erfülle mit deinem Segen und mit der Kraft deiner unsichtbaren Hilfe diese Kreatur des Salzes durch Lob und durch die Fürsprache des hl. Wendelins, damit die Tiere von allen Krankheiten verschont bleiben und daß sie unter deinem Schutz vor dem Angriff böser Geister fliehen, solange sie von diesem Salz kosten.

 

Lieber Gott, heiliger Vater, allmächtiger Gott, du geruhst dieses Brot durch deinen Segen zu segnen, damit es zur Rettung der Seele und des Körpers der Gläubigen dient, die davon mit Vertrauen und Dankbarkeit essen. So gib acht, daß dieses Brot den Tieren, die davon essen, einen starken Schutz bietet."

 

Der Bauer erwartet Hilfe und Schutz des Heiligen und ersucht ausnahmslos seine spezifischen Heilkräfte. Es ist eine Konstante, die man anhand vieler Zeugnisse wiederfindet:

 

"Früher segnete der Priester das Vieh und die Ställe und sprach besondere Gebete in Fällen von Seuchen. Meine Frau und ich sprachen jeden Abend während der neuntägigen Andacht an den hl. Wendelin eines dieser Gebete:

 

'Wir bitten dich, o Sankt Wendelin, um dein Erbarmen, dass die Tiere, die unter schwerer Krankheit leiden, durch deine Fürbitte und Verdienste geheilt werden'.

 

Nach jedem zehnten Rosenkranz baten wir den heiligen Wendelin: "Bitt für uns, heiliger Wendelin, o mächtiger Helfer in allen Nöten. Schaue, o heiliger Wendelin, welch großes Vertrauen ich zu deiner Hilfe habe und höre mein Gebet. Habe Mitleid mit mir, der ich deines Beistandes so bedürftig bin! Dir empfehle ich mich und mein Vieh". Nach dem zehnten und letzten Rosenkranz sagten wir diesen Refrain auf:

 

"Sankt Wendelin, verlass uns nie. Schirm unsern Stall, schütz unser Vieh".

 

Die beiden obengenannten Gebete zeigen zwei deutliche Verhaltensweisen. Der Priester wendet sich an Gott, erbittet seinen Segen, und manchmal erwähnt er den hl. Wendelin und seine Fürsprache - der Pilger wendet sich direkt und ausschließlich an ihn. Den Berichten zufolge beschützt der hl. Wendelin jede Tierart, ohne einen Unterschied zu machen. Er wird vor allem für den Schutz von Pferden und Rindern herbeigerufen.

 

Einge Leute meinen, daß das Fest des hl. Wendelin früher ein Fest für die Haustiere gewesen sei und daß an diesem Tag kein Tier aus dem Stall herausgeholt wurde, um irgendeine Arbeit zu verrichten. Diesen Brauch gibt es auch in der Pilgerstätte des hl. Gall, eines bäuerlichen Heiligen, der im Nachbarort gefeiert wird.

 

Ein anderer Brauch verbunden mit dem Fest des hl. Wendelins ist das Segnen von Brot und Salz, um den göttlichen Schutz auf Tier und Mensch zu ziehen. In der Tat wird ein Teil des gesegneten Brotes am Familientisch verzehrt, das andere Stück wird im Speicher oder irgendwo im Haus aufbewahrt.

 

Das gesegnete Salz wird unter den Tieren verteilt, sobald sie in den Stall zurückgekehrt sind, um sie vor Krankheiten, Hexerei oder Flüchen zu bewahren.

 

Zu diesem Thema erklärt M. Jeróme G.:

 

"Zur Mahlzeit ißt jedes Familienmitglied ein Stück des gesegneten Brotes, die andere Hälfte wird das ganze Jahr über auf dem Speicher aufbewahrt. Wir mischen einen Teil des gesegneten Salzes zum Futter der Tiere und bewahren den Rest für das Kalben auf, d.h. bei der Geburt eines Kalbes flößen wir ihm eine Prise gesegneten Salzes ein.

 

Der Brauch des gesegneten Brotes im Zusammenhang mit dem Fest eines heiligen Heilers findet sich wieder auf dem Sindelsberg, wo das Brot zur Feier des hl. Blasius am 3. Februar im Haus aufbewahrt wird, um den göttlichen Schutz auf sich zu ziehen.

 

Der hl. Wendelin wurde besondres inbrünstig herbeigerufen in Zeiten der Pest. So zum Beispiel bei der Rinderpest von 1871. Frau. W., geboren 1891, erinnert sich, was ihre Tanten ihr in ihrer Jugend erzählten: "1871 grassierte eine schreckliche Pest. Man durfte nicht aus dem Dorf wegen der Ansteckungsgefahr. Wenn ein Tier starb, mußte man es mit den Pferden holen, die es bis zum "Ochselechel" zogen. Um zu verhindern, daß die Leute mit ihren Tieren das Dorf verließen, paßten fünf Wächter in fünf kleinen Hütten auf, die zu diesem Zweck an den Dorfausgängen gebaut wurden.

 

Damit die Pest verschwindet, führten die Dorfbewohner eine neuntägige Andacht zu Ehren des hl. Wendelins durch und gelobten, eine Kapelle für den hl. Wendelin zu errichten an der Stelle, wo früher die alte Kapelle zusammengestürzt war. Dafür sammelten die jungen Mädchen, darunter meine Cousine, wochenland Geld in den Nachbardörfern. Sie gehen bis nach Friedolsheim, Landersheim, Hohengoeft und Saverne. Nach der Errichtung der Kapelle im Jahre 1782 kamen viele Pilger zu Pferd oder mit dem Wagen aus weit entfernten Dörfern.

 

1895 brach das Maltafieber aus. Wir verehrten den hl. Wendelin, und meine Tante betete jeden Tag zu ihm."

 

Aus allen diesen Zeugenberichten sprechen Nostalgie und Schwermut über längst vergangene Zeiten.

 

Über die Besuche des Wallfahrtsortes Otterswiller in den Jahren 1696 bis 1708 berichtet der Pastor von Haegen, Pater Weiler, der in seinem Tagebuch die Herkunft der Pilger aufschrieb und die Namen der Menschen, die hl. Messen zu Ehren des hl. Qurin von Haegen, des hl. Blasius vom Sindelsberg, des hl. Gall von St. Gall und der Jungfrau Maria von Reinacker bestellten.

 

Dank dieses Tagebuches wissen wir von den fünf Pilgerstätten und der Anzahl der Pilger, die sie besuchten, von dem Einfluß, den sie ausübten, und ihrer Anziehungskraft.

 

Aus den Daten der bestellten heiligen Messen für Otterswiller können wir ersehen, daß es sich um Pilger zum hl. Wendelin aus Gottenhouse, Garrebourg, Marmoutier, Otterswiller, Willgottheim, Monswiller, Reinhardsmunster, Haegen, Altenheim, Steinbourg, Saint-Jean-Saverne, Saverne, Lochwiller und Thalung-Phalsbourg handelte. Die Anziehungskraft dieses Wallfahrtsortes ist begrenzter als die der anderen dieser Region, wie wir später noch sehen werden.

 

Trotzdem hat der hl. Wendelin das Monopol auf Pilgerfahrten zur Heilung des Viehs, z.B. auch am Kochersberg und in der Gegend von Marmoutier, wo nur der hl. Gall bisweilen öfter angerufen wird. (...)

 

 

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