Kurtrierische Ansiedler im Banat.
verfaßt von Max Müller, Wadern, nicht lange nach 1922.
Am 15. August 1922 feierte die Stadt Pergamos im Banate ein großes Heimatfest und lud dazu auch eine Anzahl Behörden unserer Heimat ein.
Das kam so. Pergamos hat eine rein deutsche Bevölkerung, und zwar kamen die ersten Ansiedler vor nunmehr zweihundert Jahren aus dem kurtrierischen Lande. Diesen Kolonisten folgten bald andere aus unserer Heimat; so entstand da an der Marosch, nahe dem holz- und salzreichen Siebenbürger Gebiete, eine kurtrierische Stadt, die heute über 7000 Einwohner zählt und in Mundart, Sitten und Gebräuchen ihrer alten Heimat treu geblieben ist.
Inmitten einer fremden Umgebung hat hier deutscher Fleiß eine blühende Landwirtschaft und ein reiches Gewerbe geschaffen. Das alles war vor zweihundert Jahren, als unsere ersten Landsleute im Banate ihre Hütten errichteten, ganz anders. Die Türkenherrschaft hatte das einst fruchtbare Land veröden lassen. An die Stelle reicher Weizen- und Maisfelder, wertvoller Weinberge, waren Moräste, Sümpfe und Buchwald getreten. In den von ihren ungarischen Bewohnern verlassenen Ortschaften hatten sich wenige (raizische) Hirten niedergelassen, die mit ihren Schafherden die üppige Weide nützten. Auch im ehedem volkreichen ungarischen Dorfe Pergamos saßen (raizische) Schafzüchter, die dort einige elende Lehmhütten bewohnten.
Durch Prinz Lugen, den edlen Ritter, wurde das Banat den Türken wieder entrissen und kam im Jahre 1718 an Österreich-Ungarn zurück. Als ersten Statthalter hatte der Eroberer den General Grafen von Mercy bestellt. Seine vornehmste Sorge war es, wieder Menschen nach dem Banale zu bringen, und zwar richtete er sein Augenmerk auf die Gewinnung deutscher Siedler. Zwei Werber - Franz Craußen und Johann Franz Falk - suchten solche in den armen Gebirgsgegenden des Hochwaldes, Hunsrücks und Westrichs.
Diese Landschaften hatten durch die entsetzlichen Kriege des 17. Jahrhunderts und durch fortgesetzte Mißernten schwer gelitten. Der verwilderte, ohnehin karge Boden vermochte die verarmten Bewohner nicht mehr zu ernähren, Handel und Wandel lagen gänzlich darnieder. So gelang es den lockenden Verheißungen der Werber leicht, bald über hundert Familien zusammenzubringen, die, von harter Not getrieben, ihr Glück im Banate versuchen wollen. Besonders aus der Gegend von St. Wendel und Tholey gingen zahlreiche Auswanderer nach dem Ostlande. Ihre Fahrhabe auf Wagen verladen, zogen die Leute mit Weib und Kind bis Regensburg. Dort bestiegen sie Schiffe, die sie zunächst nach Wien brachten. In der Kaiserstadt erhielt jeder Angeworbene, vom ältesten Greise bis zum Säuglinge, einen blanken Reichstaler, und dann ging es bis Szegedin. Hier erwartete ein Beamter die Ankömmlinge und brachte sie auf Wagen in das Banat.
Die ersten deutschen Ansiedler wurden hauptsächlich in dem verlassenen Dorfe Pergamos und in seiner Nachbarschaft untergebracht. Die Regierung gab ihnen nicht nur Baustellen und Ackerland, sondern auch zinslose Darlehen und Steuerfreiheit auf eine Reihe von Jahren. Auch sorgte sie für die religiösen und geistigen Bedürfnisse, indem sie Kirchen und Schulen gründete und Geistliche und Lehrer berief.
Trotz dieser Fürsorge war der Anfang für unsere ausgewanderten Landsleute müheschwer. Sie wohnten in elenden, schilfbedeckten Erdhütten, und es galt, in harter, entsagungsvoller Arbeit die Moräste trocken zu legen und den Boden urbar zu machen. Zu alledem gesellten sich heftige Sumpffieber, Mißernten und häufige Überflutungen. Italiener und Spanier, die auch als Kolonisten in das Banat gekommen waren, kehrten bald entmutigt heim. Aber die Deutschen hielten aus, bis der Erfolg ihren Fleiß und ihre Arbeit lohnte.
Kaum aber zeigten sich die ersten Früchte ihrer jahrelangen Mühe, da brachen 1738, mit walachischen Räubern vereint, wieder die Türken sengend und mordend in das Banat und verkauften die gefangenen deutschen Ansiedler in die Sklaverei. Doch auch dieser Schlag vermochte nicht, den Mut und das Vertrauen auf eine bessere Zukunft zu zerstören, und dank des Schweißes der Stirn und der Hand ging es vorwärts. Die Flußläufe der Marosch und Aranka wurden geregelt, die Sümpfe trocken gelegt.
Bald erblühten fruchtbare Breiten und üppige Weingärten dort, wo brodelnder Sumpf, Dornen und Knieholz das verwilderte Erdreich bedeckt hatten.
Was dem neu erschlossenen Kulturlande aber jetzt noch fehlte, waren fleißige Hände, um weiteres Land urbar zu machen. Da erließ die Kaiserin Maria Theresia am 7. Februar 1764 in deutschen und lothringischen Blättern einen Aufruf zur Ansiedlung. Den Kolonisten, die „die zum Ackerbau und Wißmath gedeihliche, hin und wieder auch mit Wasser und Waldungen versehene, folglich zur Bevölkerung sonders gut und anständige, genuß- und fruchtbare Gegenden" besiedeln wollten, wurde „allmöglicher Vorschub und Assistenz" versprochen. Dieser Aufruf fand freudigen Widerhall namentich im Kurtrierischen, in Lothringen und Luxemburg. Wohl an 3000 Auswanderer machten sich im Sommer auf die Reise, und neue folgten in den 70er und 80er Jahren. Zumal in der Gegend von Sankt Wendel nahm die Auswanderung einen weiten Umfang an.
Die meisten St. Wendeler ließen sich in Pergamos und seiner Nachbarschaft nieder, wo sie zahlreiche Landsleute trafen. Um ihnen dort ein Stück der alten Heimat zu schaffen, erbat sich die Kaiserin Maria Theresia eine Rippe vom Leichnam des hl. Wendelinus, die in dem Wendelsaltare zu Pergamos ihre Stätte fand. Und der dortige Straßenname Wendalinigasse mag uns vielleicht die Örtlichkeit zeigen, wo die St. Wendeler Auswanderer zuerst den Rauch ihrer Herdfeuer zu dem blauen Himmel Ungarns aufgekehrt haben.
Als Kaiser Josef 1786 durch das Banat reiste, konnte er berichten: „Von S. Niklos auf Arad ritten wir durch schöne bebaute Gegenden, welche allezeit merklich höher werden und dahero denen Überschwemmungen und Morästen gar nicht mehr unterworfen seynd. Die Dörfer sind zahlreicher und mehrstens sehr groß, gemeiniglich über 100 Häuser. Die Einwohner bestehen aus vielen Deutschen, meistens aus Trier, Luxemburg und aus dem Sauerlande. Sie sind ziemlich wohl zufrieden. Doch wollen einige ihre Kirchen größer und andere mehr Grund (Boden) haben. Sie besitzen wirklich 24 Küffel Aussaat oder Joch Erden ein jeder."
Das alles hatte in nicht ganz fünfzig Jahren deutsche Arbeitsfreudigkeit und deutsche Ausdauer zustande gebracht. Aus den erbärmlichen ehemaligen Schaffarmen waren volkreiche, blühende Gemeinden geworden, deren Bewohner durch ihre Kämpfe und Nöte mit einer unwirtlichen Natur zu handfesten, tüchtigen Menschen erstarkt waren. Und die Sorge, die diese Männer ihrem kaiserlichen Herrn vortrugen, bestand lediglich in dem Verlangen, auf geistigem und materiellem Gebiete weiter fortzukommen, sie baten um Kirchen und mehr Land.
Ungefähr in jener Zeit finden sich in den Pfarrbüchern der Stadt Pergamos auch die ersten Aufzeichnungen über die Namen der Kolonisten. Wohl mehr als 100 stammen ohne Zweifel aus unserer Heimat oder ihrer nächsten Nachbarschaft. Bei einer Reihe ist der alte Heimatort angegeben. Freilich hatte auch der schon recht oft nur eine Raststätte im Leben dieser Familien bedeutet. So kam die Familie Haubert aus Sotzweiler, Huy aus Alsweiler, Jochem, Jost, Kuhn, Stechmeyer und Zillich aus Bliesen, Junker, Thill, Wetzer und, Zimmer aus Tholey, Leblang aus Marpingen, Schledorn aus Hasborn, Stefan aus Linxweiler, Wahl aus Eppelborn. Bei vielen Einwanderern ist bloß gesagt, daß sie aus dem Trierischen seien, bei anderen ist der Herkunftsort ganz verstümmelt oder fast unverständlich wiedergegeben. So heißt es bei der Familie Zimmer, sie sei aus Paraitelan. Offenbar sagte der Kolonist in seiner Mundart, er sei aus der Parrei (Pfarrei) Tholen (Tholey). Andere Namen sind so bezeichnend für einzelne Gegenden, daß ihre Träger dorther gekommen sein müssen. Wer wollte z. B. bezweifeln, daß der erste Kaplan der Stadt Pergamos, Heinrich Cetto, aus St. Wendel stammte und daß die Wiege des Müllers Matthias Demuth und des Schullehrers Johann Schlick auch dort im Schatten des Wendelsdomes gestanden?
In Pergamos war durch den Zuzug die Bevölkerung so gewachsen und das Urbar so enge geworden, daß 1796 dreißig junge Ehepaare nach Racz Szt. Peter übersiedelten. Unsere Landsleute brachten auch diesen Ort bald zu Wohlstand und Ansehen.
Anfänglich hielten die Siedler die Verbindung mit der alten Heimat aufrecht. Wiederholt kamen Ungarnfahrer nach St. Wendel zurück, um hier ihre Familienangelegenheiten zu ordnen. Ferner brachten die österreichischen Regimenter auf ihren Märschen nach den Niederlanden alljährlich Nachrichten mit. Und endlich sorgten die jungen Handwerksgesellen, die ihre zünftigen Wanderjahre mit Vorliebe in Ungarns Städten verbrachten, für die Verbindung mit der alten Heimat.
Aber die napoleonischen Kriege und die gänzliche Umgestaltung der Staaten und Verhältnisse zerrissen die Verbindungen, die kurtrierischen Siedler wurden vergessen, und erst ein Zufall brachte nach langer Zeit neue Kunde.
Im Sommer 1886 kenterte eine mit Wallfahrern besetzte Fähre auf der Theiß, sodaß zahlreiche Menschen den Tod fanden. Ein Müller Stefan Weicherding, der auf dem Strome eine Schiffsmühle besaß, aber rettete mit seinen Söhnen viele Teilnehmer vor dem sicheren Untergange. Den Namen las ein Bahnsteigschaffner gleichen Namens in Neunkirchen, wandte sich an seinen Namensvetter im fernen Ungarlande und erhielt bald die Nachricht, jene Müllersfamilie stamme wie er aus Grügelborn. Zugleich brachte der Brief eine freundliche Einladung, die Verwandten im Banate zu besuchen. Ausgerüstet mit einer funkelnagelneuen Uniform zog unser Landsmann gen Osten. Dort fand er nicht nur seine Blutsfreunde als reiche Leute vor, sondern auch zahlreiche andere Familien, die fast alle aus der Gegend von St. Wendel hergekommen waren. So war der zerrissene Faden wieder geknüpft.
Heute hat das Schicksal die deutschen Kolonistendörfer im Banate der rumänischen Herrschaft unterstellt.
Das ist einer der vier Schlüssel, die zu der alten Wendalinuslade gehörten, die heute im Stadtmuseum St. Wendel ausgestellt ist. Zugriffsrecht auf die Lade und ihren Inhalt hatten bis ins 18. Jahrhundert vier Parteien: der Trierer Erzbischof, die St. Wendeler Pfarrei, die Stadt St. Wendel und das Hospital in Kues (als Rechtsnachfolger von Nikolaus von Cues, genannt „Cusanus“). Jede Partei hatte darum einen eigenen Schlüssel, der auch nur das zugehörige Schloß der Lade öffnen konnte. Das bedeutet, daß nur alle zusammen die Lade öffnen können.
Dieser Schlüssel trägt die Nummer 3; bei einer Renovierung der Lade vor etlichen Jahren anläßlich einer Ausstellung in der Kreissparkasse St. Wendel wurde das Schloß wieder gangbar gemacht und ließ sich von diesem Schlüssel auf- und zusperren.
Der Schlüssel lag in einem vergessenen Schrank in der alten St. Wendeler Kaplanei (Kirchgäßchen-Ecke Josefstraße) und wäre sicher beim Abriß derselben verlorengegangen, wenn nicht am Tag vor dem Abriß eine Gruppe Pfadfinder das Haus durchstöbert hätten. In einer Schublade des Schranks fand Werner Hans aus Bliesen den Schlüssel und nahm ihn aus Neugierde mit. Er hat ihn mir vor seinem Tod gezeigt, und ich veranlaßte, daß er den Schlüssel dem St. Wendeler Museum im Mia-Münster-Haus überreichte, damit er in Zusammenhang mit der Lade gezeigt werden sollte. Dies ist allerdings nie geschehen.
Am Bart des Schlüssels hängt ein kleines Stück Pergament mit einer lateinischen Notiz:
de tumba Sti. Wendalini 1752
desumpta est particula. pro Regina
Hungariae cum licentia ordinarij
Aus dem Grab des hl. Wendalinus 1752
entnommen ist eine Partikel. für die ungarische Königin mit Erlaubnis des Ordinarius (d.h. des Erzbischofs).
Sub Rectore Steph: Schoenes
vide in Archivio: plura 1752
Unter Rektor Stephan Schoenes
Mehr darüber im Archiv 1752
Die Übersetzung aus dem Lateinischen nahm Frau Dr. Stitz aus St. Wendel vor.