Vor den Ruinen Deutschlands
Ein Aufruf zur geschichtlichen Selbstbesinnung
von Franz Albert Kramer
Historisch-Politischer Verlag, 1946
Es ist wie ein Erwachen aus einem bösen Traum.
Betäubt stehen wir vor den Ereignissen, die über uns niedergebrochen sind. Von einem Schmerz befallen, der schon brennt, aber noch nicht wirklich begreifen kann ...
Die Ahnung von der Einmaligkeit, der Unwiederbringlichkeit des Verlorenen ist jäh und scharf. Unser Bruder und Freund, unser Sohn oder Mann oder Vater ist gegangen und nicht wiedergekommen. Unsere Frau, unsere Kinder sind in Kellern verschüttet worden. Unsere Häuser sind zerstört, die Stätte unseres Wirkens ist dahin, die Straßen und Städte unserer Vorfahren nur noch Erinnerung. Seit dem Dreißigjährigen Krieg, seit dem Schwarzen Tod ist kein solches Unheil durch die deutschen Lande gegangen.
Bedrückender, auf wühlender, würgender noch wirkt das Bewußtsein, für diese Lawine von Blut und Elend, die über uns und über Europa niedergegangen ist, verantwortlich gemacht zu werden. Als Ausgangspunkt dieser Katastrophe zu gelten, die mit ihren Ausmaßen ohne Vergleich in der Geschichte steht. Von Abscheu und Verachtung umgeben zu sein.
Zu Recht oder zu Unrecht?
Hat unser Dasein noch einen Sinn, oder sind wir jetzt am Ende? Bleibt uns, die uns der Feuerstoß, der Flammenwerfer, der Phosphor, der Hunger und die Seuche verschont haben, jetzt nur noch ein stilles Erlöschen? Sollten wir unsern Kindern wünschen, daß sie nie geboren wären?
An diesen Fragen muß jeder zerbrechen, der keine Antwort auf sie findet. Sie gehen bis in die Tiefe unserer Seele, und nichts wäre folgenschwerer, als ihnen ausweichen zu wollen. Wir wissen jetzt, welche dämonischen Zerrbilder aus Blindheit, Selbsttäuschung und Lüge entstehen, und wohin Ressentiments und Verkrampfung führen.
In dieser Lage, die uns zwischen Leben und Tod gestellt hat, wird der größte Mut von uns gefordert, der von uns gefordert werden kann, der Mut zur Wahrheit. Zur eindeutigen, klaren, harten Wahrheit, von der wir Menschen nicht immer wissen, wohin sie uns führt, aber welche die einzige Richtschnur menschlichen Lebens bilden kann, das wert sein will, gelebt zu werden. Ihr zu folgen stellt den höchsten Heroismus dar, und kein vorgefaßtes Urteil sog', uns zu teuer sein, um nicht auf ihrem Altare geopfert zu werden.
In der Wahrheit heißt in der Wirklichkeit leben, die so gesehen wird, wie sie ist.
Wer war Hitler? Wie ist er zur Macht gekommen? Wohin hat er uns geführt? Was ist unter ihm geschehen? Was war hierbei für uns Schicksal, was war Schuld? Welche Wege sind jetzt noch offen?
Die folgende Darstellung möchte die Beantwortung dieser Fragen über Wahn und Willkür erheben. Sie wünscht den deutschen Stämmen, deren Zweites und Drittes Reich so schnell zusammengebrochen sind, die ersten und wesentlichen Elemente zu einer geschichtlichen Selbstbesinnung zu geben. Es erscheint um so dringlicher, dem deutschen Volk diesen Dienst zu leisten, als es heute in eine äußerste Gefährdung seiner Existenz geraten ist, die ihm neue Irrtümer nicht mehr gestattet.
Der Autor glaubt die Wahrheit des nachfolgend gegebenen Bildes in allen wesentlichen Zügen vor seinem Gewissen versichern zu können. Möge die Schrift dazu beitragen, daß die Deutschen, die ein totales Staatssystem bis zum totalen Zusammenbruch auskosten mußten, echte Erkenntnis aus dieser furchtbaren Erfahrung gewinnen, um zu den wirklichen, dauernden Grundlagen ihres Lebens zurückfinden zu können.
Koblenz, im August 1945.
Adolf Hitler
Wer solchen Stammbaum hat,
der forscht nach seinem Blut.
Sophokles, Oedipus.
Am 20. April 1889 wird Adolf Hitler in Braunau am Inn geboren. Im Gasthaus „Zum Pommern".
Sein Vater, Alois Schicklgruber, ist ein Schustergeselle, der seinem Handwerk keinen Geschmack abgewinnen konnte und deshalb als Militäranwärter in den unteren Zolldienst eingetreten ist. Nach zwei bereits recht absonderlichen Ehen hat er in dritter Ehe seine um 23 Jahre jüngere Pflegetochter Klara Pölzl geheiratet, mit der er zudem noch verwandt ist. Diese dritte Frau, Adolfs Mutter, läßt später Zeichen schwerer Neurose erkennen, ihre Schwester Johanna gilt als nicht ganz normal.
Die Abstammung des Vaters ist nicht eindeutig. Er wurde in den Registern zunächst als ein uneheliches Kind der zweiundvierzigjährigen Maria Anna Schicklgruber, Bauernmagd in Strones, geführt, deren Namen er bis zu seinem vierzigsten Lebensjahr getragen hat. Ob die Legitimierung, die dann aus Erbschaftsgründen erfolgte, das tatsächliche Vaterschaftsverhältnis wiedergibt, ist nicht mehr festzustellen.
Der angebliche Großvater, der Müllergeselle Johann Georg Hitler, ist mehrfach für Jahrzehnte auf der Wanderschaft verschollen gewesen. Er hat erst mit 84 Jahren den damaligen Zollamtsoffizial Alois Schicklgruber als seinen vorehelichen Sohn anerkannt, um dann ebenso spurlos wieder zu verschwinden. Die weiteren Vorfahren, die sich mit wechselnder Schreibweise Hüttler, Hütler oder Hiedler nannten, waren Kleinhäusler im niederösterreichischen Waldviertel gewesen, das als Inzuchtgebiet bekannt ist.
In beiden elterlichen Familien sind Lungenleiden zuhause. Drei von den vier Geschwistern Adolfs sterben: der Bruder Gustav mit zwei Jahren, die Schwester Ida mit zwei Jahren, der Bruder Edmund mit sechs Jahren; nur die jüngere Schwester Paula bleibt am Leben. Außerdem sind noch zwei Halbgeschwister aus der zweiten Ehe des Vaters vorhanden: der Kellner Alois, der in Österreich zweimal wegen Diebstahls in den Kerker geht, bevor er in Deutschland wegen Bigamie verurteilt wird. Die Halbschwester Angela verheiratet sich in Linz, wo sie die Mutter jener Angela Raubal wird, die später das düsterste Kapitel im privaten Leben ihres Onkels bedeuten soll, bis eine Pistolenkugel sie zum Schweigen bringt.
Schon über der ersten Jugend Adolf Hitlers liegen also drohende Schatten. Es ist nicht ersichtlich, wann seine Abstammung, sein blutsmäßiges Erbe ihm zum Problem geworden, ja als sein Schicksal erschienen sein mag. In seinen Erinnerungen, an denen nichts so interessant ist wie die Lücken, geht er schweigend darüber hinweg. Seine Gespielen, seine Schulkameraden, die Nachbarn und Verwandten dürfen ihn jedoch schon in entsprechender Form über die Geschichte seiner Familie aufgeklärt haben, soweit er diese nicht selbst miterlebte.
Der kleine „Ade" ist sechs Jahre alt, als sein Vater sich endgültig zum Spazierengehen entschließt und mit 58 Jahren in den Ruhestand tritt. Er hat diesen also eigentlich nie tätig gesehen. Ade ist sieben Jahre alt, als der Tod, der ihn seltsam überspringt, nun auch das dritte seiner Geschwister holt. Er ist elf Jahre, als sein einziger Halbbruder die erste Freiheitsstrafe antritt, dreizehn Jahre, als dieser zum zweiten Male verurteilt wird. Sollte er hier nicht schon das Empfinden gehabt haben, „schlechter Rasse" zu sein ...?
Sein Bildungsgang ist nicht weniger fragwürdig. Als er mit elf Jahren auf die Realschule von Linz kommt, muß er gleich die erste Klasse zweimal durchmachen. Er absolviert überhaupt nur die ersten drei Klassen. Im Deutschen hat er mehrfach „nichtgenügend"; von Interesse sind für ihn lediglich neueste Geschichte, Zeichnen und Turnen. Im Französischen, wo er gleichfalls oft „nichtgenügend" ist, dürfte er bis zu den unregelmäßigen Verben gediehen sein. Vom Englischen hat er nie ein Wort gelernt, vom Lateinischen oder Griechischen gar nicht zu reden. In Mathematik hat er ebenfalls häufig „nicht genügend". Aus der vierten Klasse, die er auf der Realschule in Steyr besucht, geht er plötzlich ab, nachdem sein Vater, der pensionierte Oberoffizial, inzwischen gestorben ist.
Seine Entwicklung scheint ohne jeden geistigen Glanz, ohne jede gefühlsmäßige Wärme, ohne jede sittliche Erhebung verlaufen zu sein. In seinen Erinnerungen ist mit keinem Wort von Märchen, vom „Schatzkästlein" eines Hebel, von der „Guten Einkehr" eines Richter, von den christlichen Unterweisungen einer Mutter die Rede. Von des deutschen Knaben Wunderhorn, aus dem deutsche Jugend zu leben pflegt, scheint nicht das geringste über ihn gekommen zu sein. Er scheint Stifter und Raabe, Storm und Reuter nicht gelesen zu haben, von Scott und Dickens ganz zu schweigen. Hat er jemals den Sprachklang eines Hölderlin oder Mörike im Ohr gehabt? Ist ihm je ein Gedanke, Goethes nachgegangen? Er wird in allen seinen Reden und Schriften nie ein Zitat aus der deutschen Literatur bringen.
Die einzige literarische Erinnerung, die ihn beim Gedenken seiner Jugend überfällt, ist ein zweibändiges illustriertes Prachtwerk aus dem Kriege 1870/71. Das einzige, was er von der Schule behalten hat, ist die Geschichte des neudeutschen Reiches. Nur Bismarck, Moltke und Wagner faszinieren ihn.
Diese Oberflächlichkeit und Erfolglosigkeit seines Bildungsganges ist die zweite bedeutungsvolle Tatsache, die ihm nachgeht. Er wird stets der ehemalige Quar taner bleiben, der Bildung zeigen muß. Er geht sofort auf Stelzen, sobald dieser Empfindungskomplex rege wird. „Ich hatte eine gepflegte Sprache, und mein Wesen war zurückhaltend", bemerkt er. Während ein Dichter wie Matthias Claudius schlicht von einem „guten, alten Mann" spricht, der ihm jedoch „mehr" gewesen sei, wird Adolf Hitler seinen Vater mit Vorliebe „den alten Herrn" nennen. Als Gefreiter, der etwas Stimmungsmache unter seinen Kameraden betreiben soll, wird er sich „Bildungsoffizier" nennen. Er wird später in nichtverstandenen Fremdwörtern schwelgen. Er wird vom „progressiven Fortschritt" sprechen, vorn „zentralen Mittelpunkt". Er wird jeden Satz überladen und übersteigern. Nahezu alle seine Bilder werden schief sein. Die „Faust des Schicksals" wird ihm „das Auge öffnen". Seine Reden,' seine Bücher werden ihm nicht geschwollen genug, seine geschichtlichen Perspektiven nicht gewaltig genug sein können. Er überblickt „alle Zeiten". Um so schärfer werden hingegen seine Ausfälle gegen die „sogenannte Bildung" der anderen sein.
Nach dem Abgang von der Schule, den er im Herbst 1905 beschließt und vollzieht, scheint er einige Jahre in Linz seiner verwitweten Mutter kurzerhand auf der Tasche gelegen zu haben. Anhaltspunkte für irgendeine Tätigkeit liegen nicht vor. Er dürfte herumgebummelt, geträumt und halbdutzendweise Sahnehörnchen und Mohrenköpfe verschlungen haben, wie es seine Leidenschaft geblieben ist. Der Ausdruck „Muttersöhnchen", den er für sich selbst gebraucht, wird für diese Epoche seine besondere Berechtigung haben. In ihr sind vermutlich auch die Vermögensreste weggeschmolzen, die der Vater aus seiner ersten Ehe sowie einer späteren Erbschaft gerettet hatte. Zeitweilig scheint Adolf jetzt auch selbst von Lungentuberkulose ergriffen zu sein. Der jüdische Hausarzt der Familie behandelt ihn.
Im Jahre 1907 entschließt er sich, nach Wien zu gehen, um dort Aufnahme in die Malakademie zu finden. Bei der Polizei meldet der ehemalige Quartaner sich als „Student" an. Aber auch hier wieder ein Mißerfolg nach dem anderen! Bei der ersten Prüfung, der er sich im Oktober 1907 unterzieht, fällt er durch. Seine Probezeichnungen werden als „ungenügend" bezeichnet. Beim zweiten Versuch, den er im Herbst 1908 anstellt, werden schon die von ihm eingereichten Zeichnungen derart abfällig beurteilt, daß er zum eigentlichen Probezeichnen gar nicht erst zugelassen wird. Diese beiden Fehlschläge, von denen er in seinen Erinnerungen den einen unerwähnt läßt, während er den anderen stark abmildert, machen seinen Bemühungen, wenigstens eine Art Fachbildung zu erlangen, ein schnelles und gründliches Ende. Er verbringt wieder einige Monate bei seiner schwerkranken Mutter, bis ihr Leben und ihre Witwenpension am 21. Dezember 1908 erlöschen.
Dieser Tag stellt ein geschichtliches Datum dar, weil er den neunzehnjährigen Adolf Hitler, der nichts kann und nichts mehr hat, endgültig aus der bürgerlichen Bahn wirft. Der Arbeitsscheue dritter Generation macht zwar einige Anläufe, am Bahnhof Koffer zu tragen, Teppiche zu klopfen, Schnee zu schippen und anderen Gelegenheitserwerb zu finden, aber Anstrengungen dieser Art liegen ihm nicht sehr. Die Bauplätze, auf denen er vorübergehend tätig gewesen sein will, dürften nur ein kurzes Zwischenspiel bedeutet haben. Nachdem er auf Bänken und unter Brücken übernachtet hat - er hat nach eigenem Geständnis in dieser Zeit auch gebettelt -, findet er im November 1909 im Wiener Obdachlosen-Asyl Meidling Aufnahme, wo er zunächst entlaust wird. Er lebt von der Armensuppe des Klosters in der Gumpendorferstraße.
Zum Jahresende 1910 landet er im Männerheim Brigittenau, wo er auf Betreiben seines Asylgenossen Hanisch dazu übergeht, Ansichtspostkarten und kleine Aquarelle anzufertigen, die dieser auf der Straße und in den Häusern für ihn kolportiert. Sofort nennt der nicht zugelassene Zeichenschüler sich „Kunstmaler". Er gibt sich als Boheme mit flaumigem Backenbart, schwarzem Hut und abgewetztem schwarzen Gehrock, den sein jüdischer Asylgenosse Neumann ihm geschenkt hat. Aber auch hier kann er nur unter dem unmittelbarsten Druck der Not zur Ausübung seiner Ansichtskarten-Kunstmalerei gebracht werden.
Am liebsten brütet er stundenlang vor sich hin.
Der große Hasser
In den Vorkriegsjahren, unmittelbar vor der allgemeinen Erschütterung Europas, erlebt Wien seinen Spätsommer. Die Stadt der Doppelmonarchie faßt noch einmal in letzter Schönheit zusammen, was sie an Glanz und Licht zu bieten hat.
In ihr können Augen und Ohren, die apollinisch sind, zu jeder Stunde ihre Freuden finden. In dieser bunten Fülle, im verschwenderischen Reichtum dieses Lebens braucht kein Neunzehnjähriger einsam zu bleiben und zu darben. Er braucht vor allem nicht bitter zu werden.
Ein Zwanzigjähriger, ein Einundzwanzigjähriger sollte sich hier behaupten können, ohne Schul- und Fachkenntnisse, ohne mütterliche Witwenpension. Und wenn schon gedarbt und gehungert werden muß, nun ja, welcher Dichter, Maler oder Musiker hat hier nicht zeitweilig gehungert? Es gibt auch ein grcßherziges Entbehren. Die Kantilenen eines Mozart haben darüber nichts von ihrem Schmelz verloren. Das Appassionato eines Beethoven hat ihn nicht vom eleusischen Fest ferngehalten, und was wäre Schubert ohne seine Gelöstheit im stillen Schmerz? Wenn Grillparzer und Stifter hier so tief erschüttert wurden, so gerade- deshalb, weil sie in die Z u - kunf t sahen, die nach den Worten Grillparzers "von der Humanität durch die Nationalität zur Bestialität" führen sollte. Haben sie im Geist marschierende SS-Kolonnen erblickt ...?
Die eigentümliche Kälte und Abgeschlossenheit seiner Natur lassen Adolf Hitler jedoch durch die Straßen Wiens gehen, als wenn es Lemberg wäre. In seinen Erinnerungen ist kaum ein Wort aufmerksamer Beobachtung, jugendlicher Bewunderung zu finden. Er ist der Isolierte, der nur mit sich beschäftigt ist. Er kann nur für sich selbst lachen und weinen. Er wird auch später nie einen Kameraden, einen Freund, eine Braut, eine Ehefrau und Kinder haben.
Aber hält er sich deshalb nun abseits? Geht er einmal wirklich in die Einsamkeit? Zieht er sich etwa in eine stille Mansarde zurück, oder geht er für einige Monate aufs Land? O nein, er kann auch das Alleinsein nicht ertragen. Er hat die Menschen nötig, um sich an ihnen reiben und stoßen zu können. Es hält ihn in der Großstadt fest, es zieht ihn in ihre Asyle, zu den Gescheiterten und Obdachlosen. Er sucht und findet seine Erlebnisse vier Jahre, vier lange Jahre in Schmutz und Elend.
Das ist eine Wahl, in der sich seine Persönlichkeit entfaltet! Er hat bisher schon alles an sich vorübergleiten lassen, was ihn erheben könnte. Von nun an wird er sich nicht mehr wegwenden, wenn ihn etwas zu demütigen und zu verletzen droht. Er wird sogar einen geheimen Drang entwickeln, gequält und geschunden zu werden. Er wird mit vollem Atem die Erniedrigung in sich einziehen, er wird seine Lungen mit Bitterkeit füllen, er wird Ressentiments in sich aufspeichern. Er, der bisher nur schwach und leer, verzärtelt und träge war, will nach dem geheimsten Gesetz dieses Lebens finster und böse werden ...
Ein später psycho-physischer Reifeprozeß, in dessen Anormalität er wohlweislich keinen Einblick gibt. Das Bild des Menschen wird jedoch für ihn stets besudelt bleiben: seine Beziehung zu ihnen wird zwischen aktiver und passiver Qual schwanken, und jede Frau, der er nähertritt, wird zurückprallen.
Die Dämonen haben ihn gepackt! In seinem Fall ist der Krampf von unheimlicher Stärke, ohne Hemmung und Gegenwehr. Er bezieht - in dem Drange, diesen persönlichen Konflikt ins Kollektive zu steigern - jetzt auch eine politische Kampfposition. Sie liegt zwischen Männerheim und Ghetto; diese werden zum positiven und zum negativen Pol seines Lebens. Im Männerheim findet er die einzige Stätte, wo er noch den Mann guter Herkunft, den Starken, den Gebildeten spielen kann. Er soll einen illegitimen Vater, eine neurotische Mutter, einen vagabundierenden Großvater haben? Hier hat man noch ganz andere Vorfahren! Der Halbbruder Vorstrafen wegen Diebstahls und Bigamie? Nicht der Rede wert! Er soll kränklich und schwach sein? Hier sind andere noch früher und sehr viel gründlicher gescheitert! Im Männerheim kann der Begründer des Dritten Reiches endlich das falsche Herrenbewußtsein entfalten, nach dem es den Minderwertigen gelüstet, und jenen Führungsanspruch entwickeln, der ihn zum Totengräber seiner Generation machen soll.
Seine Insassen sind die ersten Zuhörer Ades. Hier fragt den Quartaner niemand nach Zeugnissen. Hier kann er seine Fremdwörter gebrauchen, wie er will. Hier lernt er reden. Hier findet er seine großen rethorischen Mittel: kein Argument, sondern Angriff; keine Folgerung, sondern Wiederholung; kein Beweis, sondern Stimmstärke. Er sieht, daß nicht die kleine, sondern die große, die phantastische Unwahrheit geglaubt wird. Er erfährt, daß ein Rausch sich wie mit physischer Gewalt auf unkritische Zuhörer überträgt. Hier lernt er zu bellen und zu schäumen, bis die Augen glasig sind und die Haare ihm naß in die Stirn hängen. Hier lernt er den Appell an eine im Grunde unendlich verachtete Masse.
Der Einäugige wird zum Tribun der Blinden, zu einem Bettlerkönig, zu einem modernen Roi des Gueux!
Aber ein Adolf Hitler hat nicht nur Gefolgschaft, sondern vor allem auch Gegner nötig. Diese findet er im Ghetto. In seinem Lebenskreis sind die Juden die einzigen, die er lachen und widersprechen sieht. Das zeichnet sie. Adolf Hitler hat nichts gegen sie gehabt, solange sie' ihm dienlich waren. Der jüdische Hausarzt der Familie in Linz hat von Wien noch „dankbar ergebenste" Kartengrüße erhalten. Der jüdische Asylgenosse Neumann, der ihm Kleider schenkt, ist „einer der anständigsten Menschen". Er debattiert im Asyl noch stundenlang mit Juden, er spricht sich ihretwegen „die Zunge wund und die Kehle heiser". Aber von jenem rätselvollen, dunklen, nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt an, wo er bösartig geworden ist, wird er keine Kränkung mehr vergessen. Er wird jedes Lächeln, jede abfällige Bemerkung, jede Verletzung mit gesammelter Aufmerksamkeit registrieren, um nach Jahren oder Jahrzehnten die bitterste, furchtbarste, erbarmungsloseste Vergeltung zu üben.
Der Minderwertige, der Anormale scheint gerade das Gelächter als eine so tödliche Bedrohung zu empfinden, daß er sich hierdurch vor die Alternative Selbstmord oder Mord gestellt fühlt.
Angesichts dieser zunehmenden Verkrampfung sollte man den Einflüssen. die andere auf die Entwicklung seiner Theorien ausgeübt haben, keine allzu große Bedeutung beimessen. Gewiß, der Nationalismus eines Schönerer hat Adolf Hitler die Begriffe gegeben, mit denen er seine persönliche Haltung als Kollektiv-Egoismus, als Kollektiv-Verachtung und als Kollektiv-Haß formulieren kann. Der Antisemitismus eines Lueger, der im Grunde geschichtstheologisch bestimmt war - ein getaufter Jude war für ihn kein Jude mehr -, hat ihm einige weitere Formeln geliefert, die er mit neuem Inhalt füllen wird. Aber ein Adolf Hitler hört doch nur, was er hören will. Er sucht nach Ausdrucksmöglichkeiten für das, was in ihm gärt und kocht.
Da er selbst eine mythische Gestalt werden will, der Jung-Siegfried aus dem Männerheim, muß er auch mythische Gegenspieler haben: die Schwarzen, Lahmen, Schiefen. Diese müssen satanisch sein, wenn sie hemmungslos gehaßt werden sollen. Die anderen Nationen, als „Gemisch", genügen ihm hierzu bei weitem nicht. Seine „Rasse" muß eine diabolische „Gegenrasse" haben. Er läßt daher - unter den „terribles simplificateurs" der Weltgeschichte der Schrecklichste -aus den jüdisch-proletarischen Elendsgestalten, mit denen er sich im Ghetto gestritten und gezankt hat, die Bösen schlechthin werden. Er wird sie von nun an in jeder Verkleidung erkennen, ob sie als Kapitalisten oder Marxisten auftreten. Er wird ihre Hand in der „schwarzen Schmach am Rhein", im Locarno-Pakt, im Dawes-Plan, im Völkerbund entdecken. Alles kann er auf ihn zurückführen, überall weiß er ihn zu enthüllen: den Loki, den „ewigen Spaltpilz der Menschheit", den „Weltjuden".
Nach drei Jahrzehnten wird er den Beweis führen, daß seine Drohungen gegen die „anderen", das „Gemisch", vor allem die „Gegenrasse", den Ernst des Wahnsinns gehabt haben. Zum ersten Male wird er hierbei auch das Trauma preisgeben, das er durch die Gegenrasse und die Gegen?Menschheit erlitten hat: „Es gibt vielleicht noch hier und dort Leute, die da lachen", wird er mit aussetzendem Atem vor dem Reichstag sagen, „bald werden sie nicht mehr lachen ..."
Seine Rache ist so unheimlich, so jenseits alles normalen Denkens und Empfindens, daß niemand sie sich vorzustellen vermag, bis sie sich schreckSelich vollzieht.
Die Etappe als Norm
Nachdem Adolf Hitler vier Jahre Hochschule im Männer-heim hinter sich hat, geht der Vierundzwanzigjährige im Mai 1913 nach München.
Auch die frische, kräftige Atmosphäre dieser Stadt scheint ihm keine Entspannung zu bringen. Er ist Einzelgänger wie immer. Da er sein Zimmer bald nicht mehr bezahlen kann, schläft er über ein Jahr auf dem Sofa eines Landsmannes. Er malt einige Reklame-Plakate. Sein geistiger Mittelpunkt ist die Bierschwemme des Hofbräuhauses, wo er auf seine Nachbarn einredet.
Inzwischen spielt sich ein kleines Intermezzo ab. Am 5. Februar 1914 wird Adolf Hitler in Salzburg gemustert. Sein Drang zum Heeresdienst ist bisher nicht eben groß gewesen. Er ist weder 1910 noch 1911 zur Musterung erschienen. In der Stellungsliste wird er zunächst als „illegal", 1913 als „uneruierbar" bezeichnet. Im Jahre 1914 scheint ihn das K. u. K. Konsulat in München, von dem er wahrscheinlich Ausweispapiere benötigte, zur „Nachgestellung" nach Salzburg geschickt zu haben. Der ärztliche Befund lautet: „Zum Waffen-und Hilfsdienst unfähig, zu schwach." Eine weitere Fähigkeit ist Adolf Hitler abgesprochen - wie hätte es auch anders sein können ...?
Im August 1914 tritt dann die große Wendung ein. In der allgemeinen Stimmung dieser Tage sieht Adolf Hitler die Bestätigung und Rechtfertigung alles dessen, was er bisher gedacht und gesagt hat. Er ist der Scharfblickende gewesen. Er hat früher und gründlicher als andere gesehen, wohin die mangelnde Selbstbehauptung des Deutschtums führen mußte. In jeder Tageszeitung findet er seine Worte von der „welschen Tücke", dem „britischen Neid", der „serbischen Niedertracht' jetzt wieder. Im Kriege kann der Selbstsüchtige, der Mißtrauische, der Hassende sich als sozialen Idealtyp erleben und ausgeben.
Der Asylinsasse, der Gescheiterte darf jetzt ein Immediatgesuch an die bayrische Krone richten. Diese erteilt dem österreichischen Staatsangehörigen im Laufe von 24 Stunden die Bewilligung, in ein bayrisches Regiment einzutreten. Adolf Hitler ist deutscher Kriegsfreiwilliger geworden. Seine körperliche Schwäche ist ihm wegattestiert, seine mangelnde Schul-und Fachbildung spielt keine Rolle mehr, seine Vergangenheit kennt niemand. An jedem Gasthaustisch macht man ihm achtungsvoll Platz. Junge Mädchen bringen ihm belegte Brötchen und Schokolade; sie stecken ihm Blumen ins Gewehr.
An die Stelle des Männerheims ist die Kaserne getreten. Der Aufstieg ist für einen Adolf Hitler sehr fühlbar: er hat morgens wieder seinen Kaffee, am Mittag und am Abend ein kräftiges Essen, einen Rock und einen Mantel und besohlte Stiefel, alle zehn Tage einige Maschonld und für die Nacht endlich wieder ein Bett. Die Armee ist an die Stelle seiner Mutter getreten. Er wird ihr nahezu sechs Jahre, in einem tieferen Sinne sogar für immer treu bleiben.
In den nationalen Rausch Adolf Hitlers sollen keine Zweifel gesetzt sein. Er scheint für einige Monate Bewegungskrieg nach Frankreich hinein ausgereicht zu haben. Niemand hat Adolf Hitler zwar in Flandern beim Sturm auf Ypern gesehen, und seine Darstellung stimmt mit jener der Regimentsgeschichte keineswegs überein. So läßt er die stürmenden Freiwilligen ein anderes Lied singen, als sie tatsächlich gesungen haben. Aber es ist nachträglich nicht mehr festzustellen, ob er diese Tage etwa fußkrank auf einem Wagen gesessen oder im Revier verbracht hat. An einer Reihe von Gefechten hat er vom November 1914 an vermutlich teilgenommen. Die Legende von besonderen Heldentaten ist jedoch erst später entstanden.
Im Sommer 1915 hat er genug vom Krieg gesehen. Die welsche Tücke, der britische Neid haben jetzt offenbar an Anziehungskraft verloren. Er kommt nicht etwa auf den Gedanken, sich zu einem Stoßtrupp zu melden, sich am Maschinengewehr oder als Handgranatenwerfer ausbilden zu lassen oder gar Stoßtruppführer zu werden. Er wird weder zum Unteroffizier noch zum Vizefeldwebel noch zum Offizierstellvertreter befördert. Die Front sieht ihn seit 1915 so wenig wieder, wie sie ihn von 1939 bis 1945 sehen wird. Seine Aufgaben liegen nicht vorne. Sie sind größer, sie liegen hinten. Er wird Meldegänger im Regimentsstab.
Seine Kompanie scheint kein großes Gewicht auf ihn gelegt zu haben. Sein Kompanieführer, der zAdolfwenigen Menschen gehört, die ihn durchschaut haben, erklärt: „Diesen Hysteriker mache ich niemals zum Unteroffizier." Für seine Kameraden ist er der „spinnete Hund". In der Kompanie des aus Freiwilligen und Reservisten gemischten 16. ReserveInfanterie-Regimentes steht nämlich echtes Volk. Hier leben Akademiker, Bauern, Handwerker, Arbeiter nach guter bayrischer Tradition noch ohne betonte Standesunterschiede miteinander. Da kann ein Adolf Hitler nur als Fremdkörper empfunden und ausgeschieden werden.
Im Graben liegen die Kompanien. Im Abstand einiger Kilometer, im allgemeinen schen außerhalb des regelmäßigen Artillerie-Beschusses, liegt der Bataillonsstab. Eine beträchtliche Anzahl von Kilometern weiter zurück, in einem netten Landhaus oder einem kleinen Schlößchen, liegt der Regimentsstab, nur noch durch gelegentliche Feuerüberfälle der schweren Artillerie oder durch Flieger zu erreichen. Die Regimentsordonnanzen haben, wenn der Kommandeur nicht gerade einmal auf den ausgefallenen Gedanken kommt, einen Graben-abschnitt zu inspizieren, nur den Meldegang von der Regimentsschreibstube zu den Bataillonsschreibstuben, zu den Ortskommandanturen, zum Revier des Regimentsarztes. Das heißt blühende Etappe. Wer hier einmal gelandet ist, dem wird die Regelmäßigkeit seiner Tage und die Ruhe seiner Nächte nicht leicht mehr gestört. An die Stelle der Mannschaftsverpflegung tritt die Offiziersverpflegung, wenn die Regimentsordonnanz auch im Kasino aushilft. Hierbei kommen dem Gefreiten Hitler sogar seine bescheidenen Zeichenkünste wieder zustatten. Er darf für das Liebesmahl die Menu-Karten herstellen. Hier ist in der Tat gut sein ...
Die politische Entwicklung eines Adolf Hitler, die vom Männerheim über die Kaserne geführt hat, kann ihre Fortsetzung nur in der Etappe finden. Das ist von zwingender
Folgerichtigkeit. Seine erste Amtsstube muß eine Regimentsschreibstube sein! In diesem Milieu, das von älteren Gefreiten, Sergeanten und Feldwebeln bestimmt ist, sieht er die Handhabung einer Autorität, die sich nicht als natürlich und sicher empfindet, sondern die sich dem „gemeinen Mann" gegenüber stets neu behaupten muß. Hier sieht er, wie so etwas gemacht wird. Der Gefreite Hitler, der als Asylinsasse vor den Behörden selbst sein Hütchen gedreht und sein Sprüchlein gestammelt hat, kann, wenn auch nur im Range eines Amtsboten, mit seiner Meldetasche zum ersten Male in seinem Leben Amtsschranken durchschreiten. Er sieht jetzt von der anderen Seite, wie manche Gesichter sich auflockern, wenn man sie barsch anfährt und schlecht behandelt. Er wird es sich merken.
Es ist jedoch nicht nur die Menschenbehandlung, für die Adolf Hitler in der Regimentsschreibstube eingehende und fruchtbare Studien machen kann. Er gewinnt hier auch wertvollste Einblicke in die militärische Bef ehlstech?
n i k. Ein Anruf oder ein Zettel, und schon setzen die Bataillone sich hierhin oder dorthin in Marsch. Das Befehlen ist gar nicht so mühsam, wenn der Gehorsam mit disziplinarischen Mitteln absolut sichergestellt ist. Man benötigt nur etwas Papier, man braucht nur an einem zentralen Schreibtisch zu sitzen. Dieser Anschauungsunterricht wird in den Ortskommandanturen, wo der Gefreite Hitler gleichfalls viele Stunden verbringt, eindrucksvoll ergänzt. Er sieht hier, wie die militärische Befehlstechnik sich auf alle Zweige der Zivilverwaltung über trag en läßt. Ihre Probleme erfahren durch sie eine ungeheure Vereinfachung. Ein Gutschein, und es gibt keine Geld- und Währungsschwierigkeiten mehr. Ein Beschlagnahmungsbefehl, und alle Eigentumsverhältnisse sind geklärt. Arbeitskräfte werden „herangezogen", Betriebe werden „verlegt", Bevölkerungen werden „verschoben". Alles ist klar, einfach und leicht durchführbar, wenn man Stahlhelme und Bajonette auftauchen läßt und die Bevölkerung in den Formen behandelt, in denen man die Bevölkerung eines besetzten Gebietes eben behandeln kann.
Hier geht dem Gefreiten des Weltkrieges ein großes, ein gewaltiges Licht auf: er hat die Etappe als soziale Norm entdeckt! ...
Und nun seine Auszeichnungen, seine Verwundungen? Ach, die Legende ist bei näherem Zusehen schnell entblättert. Er hat im Oktober 1916 einen Granatsplitter erhalten, einer der wenigen Fälle, in denen Angehörige des Regimentsstabs verwundet wurden. Der erste Kommandeur des Regiments, Oberst List, der sofort zu Beginn des Krieges fiel, ist der einzige Gefallene seines Stabes geblieben. Im Bilde Adolf Hitlers. des Kriegspropagandisten von hinten, ist lediglich das Eiserne Kreuz I. Klasse und die Erblindung durch Gas überraschend. Hier beginnen denn auch sofort die Unsicherheit und der Zweifel. Er ist angeblich am 14. Oktober 1918 durch Gasbeschuß „gefechtsunfähig" geworden. Im Garnisonlazarett Pasewalk will er als „blinder Krüppel" in den Novembertagen um Deutschland geweint und den mystischen Auftrag zu seiner Errettung erhalten haben. Wenige Tage nach dem Waffenstillstand ist es jedoch mit Blindheit und Krüppel vorbei. Am 16. November, also nur vier Wochen nach der Erblindung durch ein so furchtbares Gas wie das Gelbkreuz wird er vom Garnisonlazarett Pasewalk als geheilt entlassen. Eine ungewöhnlich schnelle, eine überraschend glückliche, eine termingerechte Heilung.
Die Möglichkeit eines glatten Schwindels ist keineswegs ausgeschlossen. Ein Gefreiter kann kämpfen und fallen, so wie Millionen seiner Kameraden. Der Gefreite des Weltkrieges muß heimkommen, sonst wird er's nie! Nun kann in diesen Wochen, wo die Westfront ins Wanken gerät, nicht einmal mehr die Etappe volle Sicherheit gewährleisten. Der einzige noch offene Weg, dieses Leben der Mitwelt unter allen Umständen zu erhalten, führt über das Feldlazarett in das Garnisonlazarett. Andere Beurteiler nehmen eine vorübergehende Störung des Sehvermögens durch Angsthysterie an. Das Regiment hat zunächst an eine tatsächliche Erblindung Hitlers geglaubt. Man scheint ihm nach Pasewalk geschrieben und das Eiserne Kreuz I. Klasse in Aussicht gestellt zu haben, das im Falle schwerer Verwundungen ausnahmslos verliehen wurde. Ist diese Annahme durch einen ärztlichen Bericht richtiggestellt worden? Jedenfalls scheint er das Eiserne Kreuz I. Klasse erst auf eigenen Antrag im Jahre 1919 erhalten zu haben, wo es durch die Demobilmachungsstellen oft in bedenkenlosester Form nachverliehen wurde.
Nach dem Waffenstillstand beginnt die Demobilmachung. Jeder deutsche Soldat ist bestrebt, möglichst bald in die Heimat entlassen zu werden. Hier warten Vater und Mutter, Frau und Kinder, Freunde und Nachbarn auf ihn. Hier wünscht er einen neuen Wirkungskreis, eine neue Aufgabe zu finden. Wo hat ein Adolf Hitler seine Hoimat? Wenn es nicht ein Wiener Asyl sein soll, muß es die Münchener Kaserne sein. Wenn er nicht brotlos sein will, muß er zunächst Soldat bleiben, jedenfalls das, was er unter Soldat versteht. Er geht vom Garnisonlazarett Pasewalk zum Ersatzbataillon seines Regiments nach München zurück.
Adolf Hitler steht wieder vor dem Nichts. Aber mit einem großen, einem wesentlichen Unterschied: in seiner Lage sind heute Hunderttausende. In der Demobilmachungskrise Deutschlands, die nie völlig überwunden werden wird, eröffnet sich für ihn ein großes, ein weites Feld. Der propagandistisch erfahrene, von dunklen Fanatismen getriebene, moralisch nicht gehemmte Arbeitslose von Beruf und Neigung kann zum Demagogen des deutschen Unheils werden.
Der falsche Prophet
Ein Ungeziefer ruht
In Staub und trocknem Schlamme, Verborgen, wie die Flamme
In leichter Asche tut.
Ein Regen, Windeshauch
Erweckt das schlimme Leben,
Und aus dem Nichts erheben
Sich Seuchen, Glut und Rauch.
Aus dunkler Höhle fährt
Ein Schächer, um zu schweifen.
Nach Beuteln möcht er greifen
Und findet bessern Wert.
Er findet einen Streit
Um nichts, ein irres Wissen,
Ein Banner, das zerrissen,
Ein Volk in Blödigkeit.
Er findet, wo er geht,
Die Leere düdürftigereiten.
Da kann er schamlos schreiten,
Nun wird er ein Prophet!
Auf einen Kehricht stellt
Er seine Schelmenfüße
Und zischelt seine Grüße
In die verblüffte Welt.
Gehüllt in Niedertracht
Gleich wie in einer Wolke,
Ein Lügner vor dem Volke,
Ragt er bald groß an Macht,
Mit seiner Helfer Zahl,
Die hoch und niedrig stehend,
Gelegenheit erspähend,
Sich bieten seiner Wahl.
Sie teilen aus sein Wort,
Wie einst die Gottesboten
Getan mit den fünf Broten,
Das klecket fort und fort!
Erst log allein der Hund,
Nun lügen ihrer tausend,
Und wie ein Sturm erbrausend,
So wuchert jetzt sein Pfund!
Hoch schießt empor die Saat,
Verwandelt sind die Lande,
Die Menge lebt in Schande
Und lacht der Schofeltat!
Jetzt hat sich auch erwahrt,
Was erstlich war erfunden:
Die Guten sind verschwunden,
Die Schlechten stehn geschart!
Wenn einstmals diese Not
Lang wie ein Eis gebrochen,
Dann wird davon gesprochen
Wie von dem schwarzen Tod.
Und einen Strohmann bau'n
Die Kinder auf der Heide,
Zu brennen Lust aus Leide
Und Licht aus altem Grau'n.
Gottfried Keller.
Der Aufstieg einer Partei
Mit dem November 1918 beginnt eine anhaltende, tief-gehende Krise. Der Krieg ist im Grunde nur abgebrochen worden, die Revolution eigentlich nur eine Ermüdung und ein Zerfall gewesen. Die parlamentarischen Parteien sehen sich plötzlich vor Aufgaben gestellt, mit denen niemand sie bisher befaßt hatte. Der neue Staat muß sich mühsam und verwirrt einen Weg suchen.
An einigen Punkten wird in diesen Jahren immer wieder gekämpft. In Berlin, in München, in Hamburg, in Sachsen, im Ruhrgebiet werden innenpolitische Entscheidungen mit Maschinengewehren, Geschützen und Minenwerfern ausgetragen, wobei die äußerste Rechte und die äußerste Linke einander. nach Kräften dabei helfen, eine Festigung der jungen parlamentarischen Demokratie zu erschweren. Im Osten wird gleichzeitig noch um die neuen Landesgrenzen gerungen.
Sehen wir unseren Jung-Siegfried aus dem Männerheim nun bei der Garde-Kavallerie-Schützendivision im Kampf gegen die Spartakisten? Im Baltikum gegen die Rote Armee Trotzkis? In Schlesien beim Sturm auf den Annaberg? In Sachsen gegen Max Höltz fechten? Mit dem Freikorps Epp in das Ruhrgebiet einrücken? Nach seinen Ansichten und Überzeugungen hätte er doch dorthin gehört, zumal er im Garnisonlazarett Pasewalk mit der Errettung Deutschlands beauftragt sein will. Aber nein, wir sehen ihn nicht einmal mit seinem Regiment an den Kämpfen um München teilnehmen. Er kann das Schießen nicht vertragen, er bleibt auch jetzt in der Etappe.
Der Drachentöter hat sich in das Lager Traunstein geschoben, wo die Luft rein, die Nacht ruhig und die Verpflegung schon wieder recht befriedigend ist. Hier meldet der Gefreite Hitler sich zu einem Lehrgang, der ihn endlich auf das Feld bringt, auf das er gehört: halb Propaganda , halb Polizei. Er wird das, was man in Österreich einen Vigilanten, in Deutschland etwas gröber einen Spitzel nennt. Er hält sich in den Stuben der Kaserne auf, bringt politische Erörterungen unter seinen Kameraden in Gang und meldet auf der Schreibstube, was sie gesagt haben. Mit dem Geist der Front, mit Kameradschaft hat das nicht gerade viel zu tun.
Sobald andere am 2. Mai 1919 den Einzug in München erkämpft haben, ist er jedoch wieder Held und Rächer. Er gehört einer Kommission an, welche die Haltung der Angehörigen seines Regiments während der Rätezeit untersucht. Später wird er mit politischen Aufklärungsvorträgen in den Kasernen beauftragt. Nach Anweisung des Hauptmanns Mayr, Nachrichten-Offizier der Reichswehr-Division, muß er weiterhin politische Versammlungen besuchen, um schriftlich über ihren Verlauf zu berichten. In dieser Zeit erhält er offenbar auch das EK I nachverliehen, das ihm zur Erscheinung eines Frontsoldaten verhelfen soll. Der Zufall will es. daß er im Hinterzimmer des Sterneckerbräus hierbei in eine frühere Sondergruppe der „Vaterlandspartei" gerät, die sich jetzt „Deutsche Arbeiterpartei" nennt. In der Diskussion gelingt es ihm, einen so starken Eindruck auf diese kleinen, hilflosen Leute zu machen, daß er sofort in den Ausschuß gewählt und bald mit der gesamten Propaganda betraut wird.
Jetzt ist Adolf Hitler endlich in seinem Element. Er enthüllt sich als Demagoge von Format. Seine Reden entwickeln sich mit erstaunlicher Schnelligkeit vom Bierstuben- in den Bräusaal-Stil, sie wachsen vom Bräusaal- ins Zirkus-Format. Er spielt auf den Tribünen nicht nur den Besessenen, er i s t der Besessene, wenn er wie ein Schizophrener auch alle seine Wirkungen zu belauern und zu berechnen weiß. Er kann seinen Dämon zügeln und von der Kette lassen, wie er will. In wenigen Monaten wird er zu einem Volksverführer, wie ihn die deutsche Geschichte noch nicht gesehen hat. Die einzige Vergleichsmöglichkeit, die sie liefert, ist die Schwarmgeisterei der „Wiedertäufer", die gleichfalls in Laster und Verbrechen unterging.
Einige entgleiste Intellektuelle bemühen sich, seiner Viertelsbildung noch einige Fremdwörter und Wahnvorstellungen beizufügen. In der Fledermaus-Bar sitzt er mit dem stets betrunkenen Dietrich Eckart zusammen, dessen Kernsätze lauten: „Politik ist das dümmste Geschäft der Welt. Das Pack muß nur Angst in die Hosen kriegen." Der baltische Student Alfred Rosenberg weiß die einfachsten Dinge nicht, aber er hat etwas Gobineau und H. S. Chamberlain gelesen, wenn es natürlich auch zu keinem Examen langt. Der erfolglose Erfinder Feder murmelt ihm etwas von Freiluftgeld und Zinsknechtschaft zu. Alles das genügt, um die 25 Punkte des „Unabänderlichen Programms" vom Dezember 1919 zustande zu bringen. Bei seiner Abfassung unterläuft diesen Entwurzelten, die weder Blut noch Boden haben, bezeichnenderweise das Pech, die Landwirtschaft völlig zu vergessen. Adolf Hitler will die Partei sogar die „Sozialrevolutionäre Partei" nennen. An dieser Absicht, die seine späteren Erfolge unmöglich gemacht hätte, wird er leider von Dietrich Eckart gehindert. Die Wahl fällt statt dessen auf den allumfassenden, jeder Auslegung fähigen Namen einer „Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei". Eigenes Gewächs ist auch dieser nicht, er wird von den Sudetendeutschen übernommen.
Im April 1920 wagt der Gefreite Adolf Hitler den Schritt, sich von Strohsack, Spind und Kochgeschirr der Kaserne zu trennen, die ihm seit nahezu sechs Jahren Heimat und Zuflucht gewesen ist. Er geht dazu über, den Offizier a. D. und Staatsmann zu spielen. In dieser Zeit trägt er einen kurzen Spitzbart und hält seine Reden in einem geschenkten blauen Jackett oder einem schwarzen Gehrock. Als er in der „Eisernen Faust" den Hauptmann Ernst Röhm kennengelernt hat, der ihn den Generälen von Epp, von Lossow und später sogar Ludendorff vorstellt, dienert er bald nach allen Seiten: „Haben Exzellenz" hier, „wünschen Exzellenz" dort; „ganz im Sinne Ewr. Exzellenz!" In der Bemühung, sich seiner neuen Umgebung anzupassen, übertreibt er wie immer. Vom Kronprinzen Ruprecht, den die Münchener kurzweg ihren „Kinni" nennen, spricht er als von „Seiner Majestät", von dem verstorbenen König Ludwig als von „Seiner Majestät hochseligem Vater".
In Bayern ist seit dem März 1920 eine sehr verworrene Lage entstanden. Auf die von der Schwabinger Bohème ausgerufene Räte-Republik, die in diesem bäuerlich-bürgerlichen Lande keinerlei Widerhall finden konnte, ist eine Reaktion gefolgt, in der mehrere Richtungen wirr durcheinander laufen. Herr von Kahr, der während des Kapp-Putsches die Zügel ergriffen hat, strebt unsicher und zögernd die Restauration des Hauses Wittelsbach an. Entlassene preußische Offiziere, die sich in größerer Anzahl hierhin gerettet haben, sind tatkräftig dabei, von Bayern aus die Wiederherstellung der HohenzollernMonarchie in Preußen und im Reich zu betreiben. Der „Deutsch-Völkische Schutz- und Trutzbund" wirbt für nordische Bräuche, Neuheidentum, Rachekrieg und zinslose Wirtschaft. Adolf Hitler, der jedem verspricht, was er hören will, gilt als der gemeinsame „Trommler" dieser Bewegungen. Hauptmann Rühm, im Stabe der Reichswehrdivision, stellt Querverbindungen unter den zahlreichen Wehrverbänden her, wobei er Hitler gleichzeitig eine kleine Privatarmee organisiert. Er wird sich als der treueste Gefolgsmann und uneigennützigste Förderer erweisen, den Hitler je gefunden hat.
In diesem Durcheinander parallelgeschalteter, im Grunde jedoch gegenläufiger Bestrebungen entsteht nach Abbruch des Ruhrkampfes eine Panik, wer als erster einen Staatsstreich unternehmen und die anderen damit vor seinen Wagen spannen werde. Als Kahr am Abend des 8. November 1923 im Bürgerbräukeller sprechen will, verliert Adolf Hitler die Nerven, kleidet sich feierlich in seinen schwarzen Gehrock, stürzt in die Versammlung, schießt mit einer Pistole in die Decke, um sich Gehör zu verschaffen, erklärt die nationale Revolution für ausgebrochen, fuchtelt vor Kahr, Lossow und Seißer mit der Pistole umher, läßt Ludendorff kommen, ernennt eine Reichsregierung und versichert, daß der kommende Tag ihn „entweder als Sieger oder tot" sehen werde. Die kitschigste Staatsstreich-Szene, die je gestellt wurde ...
Es ist der Schock seines Lebens, daß der Spuk in den Morgenstunden des 9. November verflogen ist. Hitler hat sich mit Ludendorff an die Spitze eines Demonstrationszuges gestellt, in der sicheren Erwartung, daß man auf den „größten Feldherrn aller Zeiten", unter dem er damals noch Ludendorff verstand, nicht schießen werde. Als die Landespolizei an der Feldherrnhalle ihre Pflicht tut, geht Ludendorff, dem kein Gegner die persönliche Tapferkeit absprechen kann, aufrecht weiter. Unser Führer und Held wirft sich hingegen mit einer Plötzlichkeit zu Boden, daß er sich das Schultergelenk auskugelt, weil er seinen Arm in den seines Nachbarn ScheubnerRichter geschoben hatte. Er kriecht, während sich Scheubner-Richter und 15 andere Gefolgsleute in ihrem Blute wälzen, lautlos nach hinten, springt in seinen Wagen und fährt still davon. In seinem Leben wird er nicht wieder freiwillig und mit Bewußtsein vor geladene Gewehre, in den Bereich einer gegnerischen Waffe treten.
In dem Landhaus Hanfstängels am Staffelsee versteckt, wartet er die Folgen dieses Tages ab, der ihn weder als Sieger noch tot, sondern nur als Flüchtling sah. Der bayrische Justizminister Gürtner, der mit dem Polizeipräsidenten Pöhner und dem Oberamtmann Frick schon immer die Hand über ihn gehalten hat, gibt ihm leider Gelegenheit, seine Staatsstreich-Komödie in einem großen, mit vollem Ernst durchgeführten politischen Prozeß zu rechtfertigen. Sofort wird Adolf Hitler wieder zum Ankläger und Rächer. Er beschuldigt den Staat, die Zeugen, die Polizei, die Juden, ausländische Mächte. An Mut ist ihm niemand gewachsen, sobald keine Gefahr für seine Person vorhanden ist.
Für jeden aufmerksamen Beobachter scheidet er jedoch endgültig aus den Reihen der ehrenhaften, ernstzunehmenden politischen Erscheinungen aus. Der Generalstaatskommissar von Kahr hat in seinem Plakat von „Trug und Wortbruch ehrgeiziger Gesellen" gesprochen, wofür er den 73 Jahre alten Herrn noch 10 Jahre später in Fetzen reißen lassen wird. Der Kommandeur der Reichswehrdivision, General von Lossow, legt ihn gleichfalls auf den Bruch seines mehrfach gegebenen Ehrenwortes fest. Ein Augenzeuge, Graf Soden, berichtet, daß Hitler am Abend des 8. November den „Eindruck eines völlig Irrsinnigen" gemacht habe. In seinem Bericht gibt Professor Max von Gruber von der Universität München ein ärztliches Gutachten, das geradezu eine Enthüllung ist: „Zum ersten Male sah ich Hitler in der Nähe. Gesicht und Kopf schlechte Rasse, Mischling. Niedere, fliehende Stirn ... Gesichtsausdruck nicht eines in voller Selbstbeherrschung Gebietenden, sondern eines wahnwitzig Erregten ... Zum Schluß der Ausdruck beglückten Selbstgefühls ..."
Adolf Hitler wird zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt, von denen er nur neun Monate tatsächlich verbüßt. Die Legende macht aus dieser Gefangenschaft in Landsberg schnell ein Martyrium. Eine bekannte Aufnahme zeigt ihn an einem vergitterten Fenster, den seelenvollen Blick ins Weite gerichtet. Die Wirklichkeit sieht jedoch, wie immer bei Adolf Hitler, wesentlich anders aus. Er erhält Blumen, Bananen und Schokolade zugesandt, so viel er will. Er bewohnt zwei Zimmer, kann seine Zeit nach Belieben verbringen, frei mit den übrigen Festungsinsassen verkehren und ungehindert Besuche empfangen. In ständiger Fühlung mit dem Erfinder der Geopolitik, dem Generalmajor a. D. Professor Haushofer und dessen Assistenten Rudolf Heß, schreibt er während dieser Monate an seinem Buch „Mein Kampf", dem große Teile allerdings unter Mithilfe des österreichischen Schriftstellers Stolzing-Czerny erst später beigefügt werden.
In dem Lebenslauf, den Adolf Hitler in diesem Buche von sich zeichnet, sind nahezu alle konkreten Angaben falsch, sogar die Jahreszahlen. Aus seinem Privatleben ist sorgfältig fortgelassen, was Einblick in die Schwäche und Krankhaftigkeit seiner Anlagen hätte geben können. In seine Jugendjahre legt er statt dessen politische Gedanken und Erwägungen, die er zum großen Teil erst später gehabt haben kann. Dennoch hätte das Buch „Mein Kampf" eine Warnung sein können, wenn es wirklich gelesen worden wäre. In diesem krausen Wirrwarr von Banalitäten, Irrtümern und Bosheiten, die in einem schauerlichen Deutsch geschrieben sind, blitzt zuweilen ein „génie du mal" auf, das die höchste Aufmerksamkeit aller verdient hätte, die mit dem öffentlichen Wchl betraut waren. Es ist ohne Vorbild, was Adolf Hitler über die Phänomene der modernen Masse zu sagen weiß. Er hat Erkenntnisse, die von luziferischer Hellsicht sind, wenn er von diesen Entwurzelten unserer Zeit spricht. Auch die Starrheit seines verkrampften Willens hätte mit aller Deutlichkeit entnommen werden können. Seit Jahrhunderten hat niemand die Menschen so glühend gehaßt und verachtet, ist niemand so kalt zu ihrer Knechtung entschlossen gewesen.
Adolf Hitler hat im Grund alles vorausgesagt, was er tun werde. Jedes zweite Wort in seinem Munde heißt „fanatisch" und „brutal". Er will „mit rücksichtsloser Entschlossenheit brechen ... niederwerfen ...zerschmettern ..." Er lehnt die Wahrheit und das Recht, jeden „Objektivitätsfimmel" ab. Eine humane Moral ist ihm „widerlich". Er empfiehlt seinen Propagandisten das Schlagwort, die möglichst niedrige Einschätzung der Zuhörer, die große, ständig wiederholte Lüge: den rücksichtslosen Angriff auf die Widersacher, in dem „zu allen Zeiten der Beweis des eigenen Rechtes" gesehen werde. Im Mittelpunkt seiner Erwägungen steht immer wieder die „Bedeutung des körperlichen Terrors dem Einzelnen, der Masse gegenüber". Er hält ihn für das entscheidende Mittel der politischen Auseinandersetzung, den „Terror auf der Arbeitsstätte, in der Fabrik, im Versammlungslokal und anläßlich der Massenkundgebung", der „immer von Erfolg begleitet" sein werde, solange ihm nicht ein gleich großer Terror entgegentrete. Er kann es nicht klar genug herausheben: „Jenes Mittel, das die Vernunft am leichtesten besiegt, der Terror, die Gewalt." Kann man die Konzentrationslager der deutschen Zukunft schärfer zeichnen? Und die zum Angriff vorgesehenen Länder werden sogar namentlich aufgezählt, mit der ausdrücklichen Feststellung, daß es sich um "Eroberung", „Ausrottung" und „Weltherrschaft" handeln werde.
Es wird zum Verhängnis, daß dies Buch nicht beachtet wird. Es genießt den Schutz der Unlesbarkeit. Nur die Anhänger Hitlers buchstabieren an den Worten und Sätzen des Meisters herum, um das gleißend böse Licht dieser neuen Heilslehre ganz in sich aufzunehmen. Wer jedoch noch eine Beziehung zur deutschen Sprache hat, legt es nach einigen Sätzen befremdet wieder aus der Hand. Das Ausland wird sich später mit bequemen Übersetzungen begnügen, die das jeweils Wichtige nicht enthalten.
Rauhe Kämpfer
In den Jahren 1924 bis 1930 kann ein Adolf Hitler nur am Rande der Politik leben.
Es ist der jungen parlamentarischen Demokratie gelungen, in den Lebenskreis der europäischen Völker zurückzukehren. Deutschland hat als anerkannte Großmacht einen ständigen Sitz im Völkerbundsrat erhalten. Die Besetzung des Rheinlandes ist unsichtbar gemacht und wird schrittweise zurückgezogen. Die Reparationsschulden sind ihres politischen Charakters entkleidet und werden mehrfach gekürzt. Der Aufstieg Deutschlands findet im Ausland nur allzu großen Kredit.
Die deutschen Gefallenen werden gleich denen der alliierten Mächte geehrt. Deutsche Studenten und Dozenten sind wieder an den Hochschulen Frankreichs, Englands und der Vereinigten Staaten anzutreffen. Deutsche Besucher finden wieder offene Türen. In den angelsächsischen Ländern wird es Mode, Deutschland zu bereisen und die Schnelligkeit und Kraft des deutschen Wiederaufstiegs zu bewundern. Die Welt ist bereit, die Jahre 1914/18 als Jahre allgemeiner Verirrung gelten zu lassen.
Wer liest in dieser Zeit schon ein Skandalblatt wie den „Völkischen Beobachter" oder gar ein so barbarisch-primitives Machwerk wie den „Kampf" ...?
Aber das Schicksal will es, daß auch diese Jahre, die Adolf Hitler wieder im Schatten verbringen muß, eine Etappe auf seinem Wege zur Macht werden. Als er im Dezember 1924 aus der Festungshaft entlassen wird, sind alle jene aus der NSDAP und den Wehrverbänden fortgegangen, die sich nur in den Nachkriegswirren dorthin verirrt hatten. Er sieht sich zurückgeworfen auf das eigentliche und echte Milieu seiner Partei: die nicht vorübergehend, sondern die dauernd Gescheiterten! Die Arbeitsunlustigen, die Unfähigen, die Minderwertigen, die Vorbestraften! Jene, die selbst in diesem allgemeinen Aufstieg nicht den Weg in bürgerliche Berufe finden können oder wollen! Jetzt ist die Spreu endgültig vom Weizen geschieden, jetzt hat sich die Sekte rein zusammengefunden, deren Führer, deren Abgott er werden kann.
Es ist wie ein Fatum im Sinne der Alten, ein Knoten, der sich mit unheimlicher Folgerichtigkeit schürzt. Alles, auch seine Irrtümer und Niederlagen schlagen Hitler letzten Endes zum Vorteil aus. Als er im Januar 1925 seine politische Tätigkeit wieder aufnimmt, steht er unter Bewährungsfrist und Redeverbot. Die einzige Möglichkeit, die ihm für die nächsten Jahre bleibt, ist also der Wiederaufbau seiner Partei im Stillen, in geschlossenen Versammlungen. Kein raffiniertes Kalkül hätte ihn seinen Weg so sicher führen können, wie es die Nachwirkungen seines Prozesses taten. Er ist förmlich zu einem politischen Doppelleben verurteilt. Die einzige Strafe, die ihn wirklich erledigt hätte, nämlich die schlichte Ausweisung als lästiger Ausländer, ist ihm durch seinen Gönner, den Justizminister Gürtner, leider erspart geblieben.
Also was tut Hitler? Er gibt den Behörden die von ihnen verlangten Zusicherungen und gestaltet seine Partei systematisch zu einer Organisation der politischen Unterwelt aus. Die Neugründung der NSDAP, die er am 27. Februar 1925 vornimmt, sichert ihm die bedingungslose Befehls, gewalt eines Bandenführers. Es gibt seinen Anordnungen gegenüber kein persönliches Gewissen mehr, keine Familien-treue, keine Rechtsverpflichtungen in Staat und Gesellschaft. Entweder blinde Gefolgschaft oder Parteijustiz. Der gefährlichste Gedanke unserer Zeit, der „Führer-Gedanke", ist geboren, der die Abdankung der Person vor einem willkürlich gewählten, an kein Amt und kein Gesetz, kein Recht und keine Sitte gebundenen Häuptling enthält. Das ist, im Rückschritt um Jahrtausende, wieder die Horde, die über die Steppen streift.
Die SA wird zum Kern seiner neuen Organisation, die negative Auslese des deutschen Volkes beginnt. Die Bilder jener Jahre zeigen die Kümmerlinge mit leeren Gesichtern, die bei ihm geblieben sind. Er steckt diese Schlagetots in neue Uniformen, gibt ihnen Sterne und Litzen, bekleidet sie mit fiktiven Rängen. Er bildet Trupps und Gruppen, Stürme und Standarten und Brigaden. Er ernennt sie zu „politischen Soldaten". zur ,Elite der Nation", die ihr Recht in sich, das heißt in ihren Fäusten tragen, denn was hätten sie sonst? Sie müssen ihm eine Leibwache stellen, mit Musik und Fahnen in seine Säle einmarschieren und die Zwischenrufer hinausprügeln. Sein Gehilfe für die SA ist der Hauptmann a. D. Göring, für die SS der Geflügelzüchter und Düngemittelvertreter Himmler.
Diese Umgebung übt eine deutliche Rückwirkung auf Hitler aus. Er läßt die Maske des aktiven Offiziers a. D. und Staatsmannes. die er vor dem Putsch von 1923 getragen hat, wieder fallen. Der Knebelbart und der schwarze Gehrock verschwinden. In diesem Kreise gibt er sich wieder als der, der er ist. Er zeigt jetzt wieder offen seine Ressentiments gegenüber der sozialen Oberschicht. verbunden mit einem barschen Führungsanspruch gegenüber der sozialen Unterschicht. Er gewinnt seine natürliche Sprache wieder, seitdem er von seinem mißglückten Ausflug zu den besseren Herrschaften zurück ist. Adolf Hitler drechselt jetzt keine Sätze mehr mit „Exzellenz", "Majestät" und "hochselig", sondern spricht wieder, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Er wir d zum größten Schimpfer seiner Zeit. Seine Mitmenschen sind: "Taugenichtse, Tagediebe, Strauchdiebe, Strolche, Gesindel, Schieber, Feiglinge, Jämmerlinge, Krüppel, Schurken, Lumpen. Hornvieh, blöde Nichtskönner, Schwätzer, Tröpfe, Hohlköpfe, Dummköpfe, politische Dreikäsehochs, nichtsnutzige Parteilumpen, parlamentarische Medizinmänner, Parlamentswanzen, bezahlte Skribenten, hergelaufene Zeitungslümmel, die größten Idioten aller Zeiten, dreckige Hunde, verworfenes Pack ..."
Das Bewußtsein öffentlich zur Schau gestellter Feigheit, das ihm seit dem 9. November 1923 offenbar nachgeht, läßt ihn brutaler als je werden. Schon als Knabe hat er unter seinen Klassengenossen als Tierquäler gegolten. Jetzt hat er stets eine Nilpferdpeitsche zur Hand, mit der er von Zeit zu Zeit in den Hundezwinger geht. Auch seine Umgebung, soweit sie ihm hörig ist, ohrfeigt und prügelt er zuweilen. Unter dem Schutz seiner Leibwache tanzt er verzückt auf der Tribüne herum, wenn einige Zwischenrufer Anlaß zu einer „Saalschlacht" geben. Er lacht und strahlt über die Arbeit der Fäuste, der Bierseidel, der Schlagringe und Stuhlbeine. Er weiß hinterher genau, wie jeder einzelne seiner „rauhen Kämpfer" sich gehalten, wer von ihnen den besten Jagdhieb appliziert hat. Das sind für ihn die Augenblicke des Glücks, der Befriedigung, der Entspannung.
In einem eigentümlichen Verhältnis der Verbundenheit steht er zu dem wegen Sittlichkeitsvergehens aus dem Schuldienst entlassenen Lehrer Streicher, in dessen Qualkellern später Knaben sterben werden. Sein „Stürmer", dessen pornographische Ausgestaltung ihn zu einem internationalen Skandal macht, ist das eigentliche Leibblatt Hitlers, das er nach eigenem Eingeständnis „von A bis Z liest", während er von Zeit zu Zeit aus dem Pralinentütchen nascht, das er stets in der Tasche trägt. An Röhm und seiner homosexuellen Clique wird er trotz aller Enthüllungen festhalten, bis sie ihm politisch unbequem wird. Für die SA und die Amtswalter der Partei führt er eine braune Schmutzfarbe ein, die völlig außerhalb der deutschen Uniform-Tradition liegt, und wie sie noch an keiner Truppe der Welt bekannt geworden ist.
Aber Adolf Hitler kennt die Sentimentalität der deutschen Seele. Er möchte nicht nur Barbar und Gottesgeißel, er möchte auch der weiße Ritter, der eine Tor sein. In Anwesenheit von Besuchern tätschelt er kleinen Knaben die Wange, nimmt von jungen Mädchen Blumen entgegen, blickt sehnsuchtsvoll in die Berge und füttert junge Rehe. An mehreren Stellen hat er „Mütter" sitzen, denen er sich verehrungsvoll naht. In sichtbarer Ergriffenheit lauscht er den großen Traum-Opern der Nation. Im Bedarfsfalle kann er jederzeit weinen. Diese Anwandlungen sind wohl nicht alle vorgetäuscht. Er hat die Begabung eines schlechten Komödianten zum Kitsch. Wo wollte man da im Einzelfall sagen, was echt, was unecht ist? Wahrscheinlich alles und nichts.
Das Leben, das er in diesen Jahren führt, hat aber auch noch eine andere Seite. Die Reichswehr hat ihm vor dem Putsch von 1923 zum Besitz des „Völkischen Beobachters" verholfen. In dem Verlag Franz Eher, den sein früherer Regimentsfeldwebel Max Amann für ihn verwaltet, ist auch das Buch „Mein Kampf" erschienen. Die SA, die SS, die Parteimitglieder werden nun zwangsweise zu Abonnenten und Käufern gemacht. Sie haben oft monatelang keine andere Aufgabe, als weitere Bezieher und Käufer zu werben. So erklärt es sich denn, daß Adolf Hitler sich eine Neunzimmerwohnung -in München, ein Landhaus auf dem Obersalzberg und die jeweils neuesten Automodelle halten kann. Der „Völkische Beobachter" zahlt seinen Mitarbeitern monatelang keine Honorare, der ,Kampf" wird mit seinen zwölf Mark zum teuersten Buch seiner Art, der Verlag Eher wird zum unsozialsten Unternehmen Deutschlands, aber der Führer hat - jedenfalls für seine Person - keine Geldsorgen mehr. Wenn er einmal Reichskanzler ist, wird sein Buch sogar auf Staatskosten allen Bibliotheken, allen Neuvermählten geschenkt werden müssen. Er wird allein an diesem Objekt zum mehrfachen Million ä r werden. Für seine Reden nimmt er hohe Honorare. Es gibt einmal eine böse Viertelstunde für Streicher, weil dieser ihm namens der Ortsgruppe Nürnberg nach einer Versammlung nur einen Umschlag mit 500, nicht mit 1000 Mark überreicht. Es kann deshalb nicht wundernehmen, wenn Hitler gelegentlich auch Anwandlungen zeigt, sich mit dieser recht behaglich gewordenen Existenz zufrieden zu geben. Er erklärt einmal: „Ich möchte ja nur, daß die Bewegung steht, und daß ich mein Auskommen als Chef des ,Völkischen Beobachters' habe".
Der Parteitag in Weimar, der im Juli 1926 stattfindet, ist das erste größere Ereignis nach der Neugründung der Partei. Eine rechtsstehende Regierung hat öffentliche Kundgebungen und einen Umzug gestattet. Adolf Hitler kann etwa 5000 Mann an sich vorbeiziehen lassen. Er grüßt sie mit erhobenem Arm, denn er hat inzwischen von Mussolini den „Deutschen Gruß" übernommen, so wie dieser später den preußischen Stechschritt als „Passo Romano" von den Nationalsozialisten übernehmen wird. Es tritt sehr in Erscheinung, daß seine Gefolgschaft zum größten Teil aus Minderjährigen besteht. Die langsame Ausdehnung, welche die Partei nunmehr wieder gewinnt, vollzieht sich im wesentlichen unter den Fünfzehn- bis Achtzehnjährigen. Er kann im Grunde nur anderen nationalen Verbänden ihren Nachwuchs wegnehmen. Als Organisation der Erwachsenen, als parlamentarische Partei geht die NSDAP ständig zurück. Im Jahre des Ruhrkrieges, der auch den Höhepunkt der Inflation brachte, waren die Vereinigten Völkischen vorübergehend auf 32 Mandate gekommen. Ein halbes Jahr später, nach der Stabilisierung der Währung, sind sie auf 24 Mandate gefallen. Im Mai 1928 gibt es nur noch 12 nationalsozialistische Abgeordnete im Reichstag. Die für die NSDAP abgegebenen Stimmen sind von zwei Millionen auf 900 000, dann auf 200 000 gefallen.
Die einzige fühlbare Erweiterung, die sich in der Folge allerdings als entscheidend erweisen wird, erfährt die Partei noch in Norddeutschland. Es ist den Brüdern Strasser hier gelungen, in der Schicht der unteren und mittleren Beamten, bei den durch die Inflation verarmten Hausbesitzern und Handwerkern, unter den nichtorganisierten Angestellten und Arbeitern Fuß zu fassen. Es erweist sich, daß diese Schicht in den Großstädten und Industriebezirken Preußens und Sachsens sehr viel zahlreicher ist, und daß sie sehr viel leichter nationalistisch entflammt werden kann als in Süddeutschland.
Es stellt in keiner Weise einen Bruch im Leben Hitlers dar, sondern vielmehr eine folgerichtige Weiterführung seines politischen Werdeganges, wenn er die Bewegung jetzt völlig auf Norddeutschland umschaltet. Das politische Jugenderlebnis Hitlers ist Preußen und dessen Entwicklung zum groß-preußischen Reich gewesen. Das illustrierte Prachtwerk, das seine einzige literarische Kindheitserinnerung ausmacht, war dem Krieg von 1870/71 gewidmet. Die erste Diskussionsrede, die er im Sterneckerbräu in München gehalten hat, galt der großpreußischen Reichstradition. Dies ist auch die Grundlage, die er mit Ludendorff, Röhm, Göring, dem Völkischen Schutz- und Trutzbund, den Vereinigten Vaterländischen Verbänden gemeinsam hatte. Schon zum Kapp-Putsch ist er 1920 mit Röhm nach Berlin geflogen, wo er seit jener Zeit immer wieder zu geheimnisvollen Besprechungen auftaucht, und wo er auch seine ersten gesellschaftlichen Erfolge erringt.
Preußen ist sein eigentlicher politischer Boden gewesen. Was ihn nach Bayern zieht, sind die Luft, die Berge, die größere Ungezwungenheit des Lebensstils, Herkunft und Gewohnheit. Auf dem Obersalzberg und in München hat er sich inzwischen auch eine Art häuslichen Glücks aufgebaut. Im Jahre 1921 war ihm wieder die Existenz seiner Familie in den Sinn gekommen, die neun Jahre überhaupt nicht gewußt hatte, ob Ade noch am Leben war. Mit seiner Stiefschwester Paula Raubal, die er 1923 zu sich genommen hat, um sich den Haushalt von ihr führen zu lassen, ist deren Tochter Angela in sein Haus gekommen. Das fünfzehnjährige Mädchen sieht zunächst mit Bewunderung und Verehrung zu ihrem „Onkel Alf" empor. Aus dieser Beziehung Onkel-Nichte wird jedoch bald eine andere, sodaß schwere seelische Störungen bei Angela Raubal auftreten. Das arme Mädchen, das Hitler von seiner schlimmsten Seite erlebt, nennt ihn Dritten gegenüber „einen grauslichen Kerl". Sie macht verzweifelte Versuche, von ihm loszukommen. Er hält sie durch Drohungen und Verbot unerbittlich fest, ja sperrt sie zeitweilig ein.
Diese Beziehung wird sich zur Katastrophe entwickeln, sobald er öfter abwesend sein muß. Vor einer Abfahrt nach Hamburg verweigert er ihr zum letzten Male die Erlaubnis, nach Wien zurückzukehren. Er befürchtet offenbar Enthüllungen, die seine Laufbahn endgültig beendet hätten. Seine Nichte besteht auf ihrem Entschluß und bereitet für den folgenden Morgen ihre Abreise vor. In der Nacht zum 18. September 1931 wird sie jedoch durch eine Pistolenkugel unbekannter Herkunft zum Schweigen gebracht.
Adolf Hitler erklärt nach seiner Rückkehr, daß offensichtlich Selbstmord vorliege, und Herr Gürtner schließt die Akten. Von diesem Zeitpunkt an ist Hitler von seinen letzten Hemmungen befreit.
Der Zugriff zur Macht
Die kaum gefestigte deutsche Republik wird mit dem Jahre 1930 in ihre zweite, schwere Krise geworfen.
Im Oktober 1929 sind die amerikanischen Börsen ins Rutschen gekommen. Die Erschütterung geht bald durch alle Länder. Führende Banken krachen, Kredite und Anleihen werden gekündigt, Außenstände eingefordert. Der Absatz stockt, Arbeiter werden entlassen, es entstehen Heere von Erwerbslosen. Die „ewige Prosperität" ist vorüber ...
Der Konjunkturumschlag trifft kaum ein Land so schwer wie Deutschland, das sich gerade im Aufstieg, in der Erholung befindet. Das Reich, die Länder, die Gemeinden, die Landwirtschaft, die industriellen Unternehmungen erweisen sich als mit hohen Schulden belastet. Diese sind zum Teil politischer Herkunft; zum Teil waren sie als Anlauf- und Umstellungskredite völlig gerechtfertigt. Aber zahlreiche Gemeinden, landwirtschaftliche und industrielle Großbetriebe, sogar private Haushaltungen hatten der Anleihe- und Schuldenwirtschaft auch Geschmack abgewonnen. Die Absatzstockungen, die Steuererhöhungen, die Gehalts- und Lohnkürzungen, die Entlassungen wirken sich daher in ihrer vollen Schwere aus.
In diesen Krisenjahren spielt sich eine „nationale Revolution" ab, die zum eigentlichen Wendepunkt des deutschen Schicksals werden soll.
In der Deutschnationalen Volkspartei hat das aristokratisch-konservative Element, wie es noch durch einen Grafen Westarp vertreten wurde, die Führung vollends aus den Händen verloren. Mit dem Geheimrat Hugenberg haben die Alldeutschen, der Reichslandbund, die Schwerindustrie die Zügel übernommen. In ihren Klubs hat sich der Geist eines Justizrat Claß, eines Oberfinanzrat Bang, der „Vaterlandspartei" unseligen Angedenkens durchgesetzt. Herrschaft gleich Besitz, Macht gleich Geschäft! Ein Krieg muß Bergwerke und Erzgruben en-bringen, eine Beteiligung an der Regierung muß zu einer „Westhilfe" oder „Osthilfe" führen, zu Sanierungen und Ablösungen, zu Rüstungsaufträgen und Zöllen. Das Schöne am Staate ist, daß er auch einen Haushalt, eine Kasse hat. Das Lieblingswort des Januschauers lautet: „Da sprach der alte Pelikan: Nun, Kinder, laßt mich auch mal ran ..."
Dieser deutschnationale Interessenverband hat seine Sachwalter, seine Verbindungen und Querverbindungen. In der Armee, in allen Ministerien, in nahezu allen Gruppen und Verbänden der Rechten ist er vertreten. Seine neuen Parlamentarier bringen aus der Stellung des Industrie-Syndikus, aus der sie hervorgegangen sind, auch eine neue Technik in ihre politische Tätigkeit mit. Hier weiß man zu locken und zu drohen: hier wird mit Mandaten und Aufsichtsratsposten gewinkt, hier wird mit Anstellungen und Kündigungen gearbeitet. Aus der geschäftlichen Erfahrung weiß man auch, was „Werbung" bedeutet, und wie man so etwas macht. Da werden unter der Hand Agenturen und Zeitungskonzerne, Filmgesellschaften und Lichtspielhäuser aufgekauft. Dieser politische Amoralismus der Deutschnationalen vom Schlage Hugenbergs wird Hitler die Bahn frei machen. Der Nihilismus der Spitze wird den späteren Nihilismus der Massen ermöglichen.
Die erste Gelegenheit eines Zusammenspiels der nationalen mit der nationalsozialistischen Revolution ergibt sich mit dem Youngplan. Dieser ist im Sommer 1929 von der Pariser Sachverständigen-Konferenz entworfen und im Herbst 1929 von der Haager Konferenz angenommen worden. Er bringt die völlige Räumung des Rheinlandes und eine weitere Herabsetzung der Reparationsverpflichtungen. Der Reichsbankpräsident Schacht, Herr Vögler vom Stahlverein sowie der Geschäftsführer des Reichsverbandes der deutschen Industrie Geheimrat Kastl haben zunächst alles getan, um in seiner Gestaltung den Interessen der Schwerindustrie Rechnung zu tragen. Dann entziehen sie sich der Verantwortlichkeit, indem sie eine deinagogische Opposition gegen seine Ratifizierung entfesseln. Der Geheimrat Hugenberg leitet ein Volksbegehren gegen sie ein. Da der kurzsichtige Kruppdirektor zwar Agenturen, Zeitungen und Filme, aber keine organisierten Massen hinter sich hat, schließt er ein Bündnis mit dem „Stahlhelm", der unter Führung des Selterswasser-Fabrikanten Seldte steht, und den Nationalsozialisten. Er hält sich für den Hecht in diesem Karpfenteich.
Das Begehren gegen den Youngplan, das unter die Devise „Young-Deutschland, erwache!" gestellt wird, geht zu Bruch. Die große Mehrheit des deutschen Volkes ist Demagogien dieser Art noch nicht zugänglich. Als der einzige Gewinner erweist sich Adolf Hitler, der mit ihm wieder in den Stand zurückversetzt ist, den er vor seinem Staatsstreich vom 9. November 1923 gehabt hat. Er ist von den Rechtsparteien wieder als Koalitionspartner angenommen worden! Er darf wieder den gemeinsamen Trommler der nationalen Sache spielen! Er ist von seinen Partnern wieder zur politischen Oberwelt emporgezogen worden. Diese übersehen, daß er diesmal eine eigene, durchgebildete Organisation hinter sich hat, und daß unter Extremisten der Extremste das letzte Wort behalten muß. Schon bei den nächsten Wahlen, am 14. September 1930, wird er einen gewaltigen Fischzug unter den Anhängern der ihm verbündeten Parteien machen. Die Anzahl der nationalsozialistischen Reichstagsmandate wird von 12 auf 104 hinaufschnellen, die Zahl der abgegebenen Stimmen auf mehr als sechs Millionen anschwellen. Hierbei wird Hitler allerdings auch von dem Umstand Nutzen ziehen, daß viele der Halbwüchsigen, die er vor Jahren in der SA und SS gesammelt hat, inzwischen in das wahlfähige Alter gerückt sind. Vor allem werden es jedoch die Erwerbslosen sein, aus deren Reihen er wachsenden Zustrom erhält.
Nach dem Fehlschlag seines Begehrens gegen den Young-plan gibt der Geheimrat Hugenberg zunächst die Parole aus: Mehr Macht dem Reichspräsidenten! In Besprechungen, die mit dem Staatssekretär Meißner, Herrn von Oldenburg-Januschau, General von Schleicher u. a. stattfinden, wird eine Abfolge von Präsidialkabinetten entworfen, durch die das politische Schwergewicht immer mehr auf den Staatschef verlagert und das Parlament schrittweise entrechtet werden soll. Allerdings darf die wirtschaftliche Krise keinen vorzeitigen Abschluß finden, wenn tnan die Zügel wieder fest in die Hand nehmen, gewaltige Rüstungsaufträge erzielen, die Steuerlasten verschieben und die Zölle erhöhen will. Die Armee, der Reichslandbund, die Schwerindustrie entschließen sich daher, in der schwersten Krise ihres Landes auf Baisse zu spekuliere n. Hugenberg gesteht diese ungeheuerliche Tatsache in einer unvorsichtigen, viel zu wenig beachteten Wendung ein, in der er bemerkt, alle müßten „eine Zeitlang als Proletarier leben".
Im Frühjahr 1930 wird Dr. Brüning dazu berufen, das Präsidialkabinett Nr. 1 zu bilden. Der neue Reichskanzler, eine persönlich sehr achtenswerte Erscheinung, glaubt einem „Kabinett der Frontkämpfer" vorzustehen, das die Rechtsparteien wieder an den Staat heranführen will. Er weiß nichts von den Besprechungen, die seiner Berufung vorausgegangen sind. Er bemerkt nicht, daß sein Kabinett nur dazu dienen soll, Regierung und Parlament auseinanderzuspielen. Er erkennt nicht, daß die Notverordnungen, die man ihm nahelegt, weniger einen Notstand beheben als eine neue Form autoritativer Regierungserlasse einführen sollen. Er sieht nicht, daß die Deflationspolitik, die ihm von seinen Beratern empfohlen wird, die Krise zunächst einem Katastrophenpunkt zutreiben soll. Die ganze Reichweite seines tragischen Irrtums wird deutlich, als er im Sommer 1932 die außenpolitischen Früchte seiner Bemühungen mit dem verzweifelten Hinweis zu retten sucht, daß er „nur noch hundert Meter vor dem Ziel" stehe. Ein Appell, der doch nur das Signal zu seinem sofortigen Sturz sein konnte.
Die deutschnationale Nebenregierung will eine nationale Revolution herbeiführen, keine Stabilisierung des neuen Staates. Sie hat noch für mehrere Jahre außenpolitische Krisen, wirtschaftliche Spannungen, soziale Erschütterungen nötig. Die Aufhebung der restlichen Reparationsverpflichtungen darf kein Erfolg der Demokratie werden. Die Aufrüstung darf nicht auf dem Verhandlungswege vereinbart, sondern sie muß ertrotzt werden. Die Wiederbelebung der Wirtschaft darf nicht zu früh einsetzen, und sie darf nicht auf dem Wege einer erneuten Steigerung des internationalen Austausches erfolgen, sondern sie muß auf der Grundlage der „Autarkie" gesucht werden. Andernfalls - ja was würde andernfalls aus Herrn Hugenberg und den hinter ihm stehenden Interessengruppen werden - ? Die parlamentarische Demokratie wäre endgültig gefestigt, die Rechtsparteien eine Koalitionsgruppe wie die Mitte und die Linke auch. Die Aufrüstung wäre für absehbare Zeit auf 250 000 Mann begrenzt, so daß die Armee nur beschränkte Ausdehnungsmöglichkeiten (und Beförderungsgelegenheiten) erhielte. Die Rüstungsaufträge der Schwerindustrie würden weder sehr dringlich noch von ungemessener Höhe sein. Neue Anleihe- und Handelsverträge würden in Aussicht stehen. Die Wiederbelebung würde also weniger den ostelbischen Getreide- und Rübenfabriken als der bäuerlichen Landwirtschaft zugute kommen. Es wäre die mittlere und kleine verarbeitende Industrie, es wäre das Gewerbe und der Handel, es wäre die große Menge der Angestellten und Arbeiter, die den eigentlichen Vorteil von ihr hätten ...
Die Nebenregierung sieht den Augenblick gekommen, wo sie erneut eingreifen muß. Im Oktober 1931 hat Hugenberg das Bündnis der Deutschnationalen mit dem „Stahlhelm" und dem Nationalsozialismus, das aus Anlaß des Youngbegehrens zustande gekommen war, in eine feste Form gebracht. Er hat mit freundlicher Beihilfe von Herrn Schacht die „Harzburger Front" geschmiedet. Adolf Hitler wollte sich zunächst seine Bewegungsfreiheit sichern, aber der Hinweis, daß sonst einige Anweisungen aus dem „Ruhrschatz" ausbleiben könnten, veranlaßt ihn zu einer kühlen Teilnahme. In der Wohnung des Generals von Schleicher, wo Hitler am 8. Mai 1932 mit dem Obersten von Hindenburg und dem Staatssekretär Meißner zusammenkommt, wird er nachdrücklicher auf das hingewiesen, was man von ihm erwartet. Er gibt wieder einmal sein Wort. Am 30. Mai, wenige Tage nach seinem letzten Appell, kann Dr. Brüning dann als „Agrarbolschewist" entlassen werden, weil er nicht lebensfähige Rittergüter wieder mit Bauern besiedeln wollte. Reichspräsident von Hindenburg beruft das Präsidialkabinett Nr. 2, an dessen Spitze der Herrenreiter von Papen gestellt wird.
An die Stelle des „Kabinetts der Frontkämpfer" tritt nunmehr das „Kabinett der Barone". Seine Angehörigen entstammen zum Teil dem alten Landadel. Zum größeren Teil verdanken sie jedoch, wie Herr von Papen selbst, ihre politische Karriere dem Geld eines Schwiegervaters oder ihren Beziehungen zur Schwerindustrie. In den Ministerien gehen zahlreiche Personalveränderungen vor sich, die im „Herrenklub" vereinbart sind. Die ersten größeren Rüstungsaufträge, neue Hilfsmaßnahmen für die ostdeutsche Landwirtschaft kommen heraus. Am 20. Juli 1932 erfolgt der „Preußenschlag" des Herrn von Papen, der die preußische Landesregierung BraunSevering kurzerhand ihrer Ämter enthebt, um als Reichskommissar die Zügel selbst in die Hand zu nehmen. Jetzt wird auch in Preußen eine sehr ungenierte Personalpolitik betrieben. Alle diese Vorgänge sind jedoch so sichtbar und unverhüllt, daß diese Präsidialregierung im luftleeren Raum hängen bleibt. Sie findet keinerlei Widerhall im Volk.
Adolf Hitler ist gleichfalls sehr gereizt. Die Deutschnationalen lassen klar erkennen, daß sie die politische Führung ganz und ungeteilt für sich beanspruchen, während die Nationalsozialisten weiterhin nur das Trommeln besorgen sollen. Das Angebot Papens, das Postministerium zu übernehmen, hat Hitler entrüstet zurückgewiesen, um statt dessen auf baldigen Neuwahlen zu bestehen.
In diesem Wahlkampf des Sommers 1932 laufen die nationale und die nationalsozialistische Revolution schon sehr fühlbar auseinander. Adolf Hitler, der sich in seiner Grundspekulation gefährdet sieht - die Führung innerhalb des nationalen Blocks zu erhalten und über diesen zur Macht aufzusteigen - setzt sich "mit allen Kräften ein, um neue gewaltige Wahlerfolge zu erringen. Er kennt keine Schwäche, keine Müdigkeit, keine Trägheit, keine Unentschlossenheit mehr. Er rast im Flugzeug, im Auto durch Deutschland. Es gelingt ihm, die eigene Hysterie auf die Großstadtmassen, die geistig und sozial Entwurzelten zu übertragen. Die Menge, die zu vielen Tausenden versammelt ist, muß drei, vier, sechs, acht Stunden auf das Erscheinen dessen warten, der ihr verheißen ist. Gewaltige Spruchbänder prägen das Schlagwort „Deutschland, erwache!" in die Gehirne. Militärmärsche hämmern, Fahnen wallen. Erst wenn die Luft zum Ersticken ist, die Atmosphäre mit Spannungen geladen, die Nerven am Ende sind, dann kommt er. Mit einem Schlage erlöschen die Lichter. Nur einzelne Scheinwerfer suchen tastend in einer Gruppe ordensgeschmückter Uniformen. Da tritt langsam ein „schlichtes braunes Hemd" hervor, das nur mit dem „Ehrenzeichen des Frontkämpfertums" geschmückt ist. Der einfache Mann, aus dem Schoße des Volkes selbst hervorgegangen, ohne Namen, Bildung und Stand, aber geleitet von Stimmen, die ihn gerufen haben, überwältigt von der Größe seiner Aufgabe, der Ausersehene, der Auserwählte. Und dann redet, ruft, schreit und brüllt diese falsche Jungfrau von Orléans, dieser Unheilige ein, zwei drei Stunden auf seine Zuhörer ein. Er appelliert an alle schlechten Eigenschaften, an das Begehren, an den Haß, an die Verachtung.
Mit den Reichstagswahlen vom 31. Juli 1932 erreicht Hitler den größten Erfolg, den er - in freier Wahl - jemals erreichen soll. Es gelingt ihm, in einer großen Einheit des Protestes, der Auflehnung alles zusammenzufassen, was enttäuscht, gereizt, verbittert zwischen den Parteien hin- und her-wandert oder an Wahlen gar nicht mehr teilnimmt. Wenn der verarmte Adelige, der verkrachte Bankier und Industrielle, der überschuldete Gutsbesitzer, der entwurzelte Intellektuelle, der einkommenslose Hausbesitzer, der erwerbslose Angestellte und Arbeiter ihre Stimme jetzt für die NSDAP abgeben, so stellt das keine Gemeinsamkeit der Anschauungen und der Willensrichtung, sondern nur der Negation dar. Die Herkunft dieser Wählermassen aus der wirtschaftlichen Krise, aus der sozialen Erbitterung ist eindeutig. Am 14. September 1930, als es gut 3 Millionen Arbeitslose in Deutschland gab, hat die NSDAP 104 Mandate erhalten. Am 31. Juli 1932, wo die Zahl der Erwerbslosen bei 7 Millionen liegt, erfährt die NSDAP genau die gleiche Vermehrung, nämlich eine reichliche Verdoppelung. Ihre Mandatsziffer schnellt von 104 auf 230, ihre Stimmenziffer von 6,5 auf 13,7 Millionen hinauf.
Es fällt den Deutschnationalen, die schon über den Wahlkampf Hitlers befremdet waren, nicht leicht, sich über das Ausmaß des Erfolges zu freuen, den ihr Partner errungen hat. Sie halten jedoch um so fester an der Harzburger Koalition fest, der er sich einzufügen habe.
Als der Führer der NSDAP jetzt den Anspruch stellt, auf Grund der parlamentarischen Gepflogenheiten mit dem Auftrag zur Kabinettsbildung betraut zu werden, weil er die stärkste Partei vertrete, wird ihm dieser Standpunkt außerparlamentarisch sehr klar gemacht. Reichspräsident von Hindenburg empfängt ihn kurz im Stehen, stößt mit dem Krückstock auf und erinnert ihn brüsk an die Zusage, das Präsidialkabinett von Papen unterstützen zu wollen. Der Augenblick ist einer der enttäuschendsten im Leben Hitlers. Auf dem Höhepunkt seiner Wahlerfolge sieht er den Aufstieg zur Macht wieder völlig in Frage gestellt, und zwar gerade durch seine Koalitionspartner. die alle wirklichen Machtpositionen kühl und gelassen blockieren, mit dem Hinweis, daß er weiterhin ihren Zutreiber zu spielen habe. Durch diese Haltung des Präsidenten. der Barone und der Industriellen fühlt Hitler sich so gekränkt und verletzt. daß er sich dazu hinreißen läßt, Hindenburg öffentlich an sein Alter von 85 Jahren zu erinnern. Er fühlt sich wieder so auf das Milieu seiner Herkunft, auf seine ..rauhen Kämpfer" zurückgeworfen, daß er an die Mörder von Po t empa, die den kommunistischen Arbeiter Pietrzuch in seiner Wohnung überfallen und erschlagen haben, ein Telegramm schickt, in dem er sie als „Kameraden" anspricht, mit denen er sich in „unbegrenzter Treue verbunden" fühle. Ihre Befreiung sei „eine Angelegenheit der nationalsozialistischen Ehre ..."
Die Auseinandersetzung zwischen der nationalen und der nationalsozialistischen Revolution ist diesmal von äußerster Schärfe. Beim Zusammentritt des neugewählten Reichstages im August spielt sich zwischen dem Reichskanzler von Papen und dem Reichstagspräsidenten Göring ein Zusammenstoß ab, als dessen Folge der Reichstag sofort wieder aufgelöst werden muß. Die Neuwahl vom 6. November 1932 bestätigt jedoch, daß Hitler seinen Höhepunkt tatsächlich überschritten hat. Die NSDAP beginnt zu verlieren. Sie verliert in zunehmendem Tempo. Bei den Reichstagswahlen sind es zunächst zwei Millionen Stimmen, die wieder wegbrechen. Vier Wochen später, wo Landtagswahlen in Thüringen stattfinden, ist es schon nahezu die Hälfte der Stimmen, die wegfallen. Das ist ein Sturmzeichen. Die Gläubiger, die bisher bereitwillig gewartet haben, präsentieren ihre Wechsel. Zahlreiche „Braune Häuser". stehen vor der Versteigerung. Die „Feldzeugmeisterei" kann keine Uniformen und Stahlruten mehr liefern. Das Erscheinen des „Völkischen Beobachters" ist in Frage gestellt. Es erweist sich. daß die Partei 12 Millionen Mark Schulden hat. In seinem Tagebuch hält Goebbels die Panik dieser Wochen mit dem ihm eigenen Zynismus fest. Der NSDAP droht das Schicksal, in einer Flut von Betrugs-, Wechselfälschungs- und Konkursprozessen unterzugehen ...
"Da greift die Nebenregierung wieder ein. Im Interesse der Harzburger Koalition muß die NSDAP gerettet werden. Wenn man auch die Diva Hitler, die zu anspruchsvoll und unberechenbar geworden ist, lieber heute als morgen los würde, so darf doch die Organisation nicht wegfallen, mit der er Millionen von Wählerstimmen zusammengebracht hat.
Am 2. Dezember 1932 wird das Präsidialkabinett Nr. 3 unter dem General Kurt von Schleicher gebildet. Der Kabinettstürzer der Republik. der Generalstabschef der nationalen Revolution. soll jetzt die Operation durchführen, die sich inzwischen als unvermeidlich erwiesen hat: Hitler zu isolieren und auszuschalten, die NSDAP unter eine andere Führung zu bringen und fester in die Harzburger Koalition einzufügen. Wer könnte mit dem Gefreiten besser fertig werden als der General, der die Akten über ihn besitzt! Der genau weiß, wie es mit den militärischen Dienstleistungen Adolf Hitlers wirklich bestellt gewesen ist. seiner Gasvergiftung, seinem EK 1, den Aufträgen und Bezügen während der ersten Nachkriegsjahre, gewissen Zuwendungen aus ausländischer Quelle usw. Es ist bezeichnend für die Stellung der Reichswehr als Staat im Staate, daß sie bisher keinem Reichskanzler Einblick in diese Akten gegeben hat, die als "militärisches Geheimnis" behandelt wurden. Jetzt sollen sie eine Waffe in der Hand von Schleichers werden. (Sie werden in seiner Hand sogar zu einer tödlichen Waffe werden, nämlich für Herrn von Schleicher selbst. Nach seiner Ermordung werden sie endgültig aus dem Reichswehrministerium verschwinden, während der General von Blomberg Generalfeldmarschall wird.)
Wenn die graue Eminenz des Reichswehrministeriums in den Dezembertagen des Jahres 1932 selbst an die Spitze der Reichsregierung tritt, so ist dieser Zeitpunkt sorgfältig berechnet. Herr von Schleicher ist der bestinformierte Mann dieser Jahre, da er den militärischen Nachrichtendienst des Reichswehrministeriums in der Hauptsache auf die deutsche Innenpolitik umgeschaltet hat. So wie die Vorzimmer Brünings und Papens mit seinen Rittmeistern und Hauptleuten durchsetzt waren, so hat er auch seine Offiziere in der engsten Umgebung des Reichspräsidenten. Er weiß auf Grund militärärztlicher Meldungen besser als jeder andere, daß die Tage des 85jährigen sich jetzt schnell ihrem Ende zuneigen. Kann es für jemanden, der sein Nachfolger werden will, eine bessere Ausgangsstellung hierzu geben als die tatsächliche, wenn auch zunächst vorläufige Übernahme seiner Amtsgeschäfte? Es ist im Denken eines Schleicher selbstverständlich, daß auf die Uniform auch wieder Uniform zu folgen hat, und daß der „greise Feldmarschall des Weltkrieges" in der Abfolge der Generationen jetzt durch einen Repräsentanten der Reichswehr-Generalität abgelöst werden muß. Aus der Stellung des Reichspräsidenten würde dann eine Regentschaft werden, und später einmal - Regenten pflegen, wie der Fall Ungarns gezeigt hat, es allerdings dann nicht mehr so eilig zu haben - die Restauration der früheren Dynastie folgen können .. .
Für die Präsidentschaftswahl hat man allerdings noch einmal eine große, starke, aus allen politischen Richtungen, aus allen Ständen zusammengesetzte Mehrheit nötig, die man im Bedarfsfalle als Konsens der Nation zu den folgenden legislativen Akten auslegen kann. Aus diesem Grunde genügt es nicht, die Harzburger Koalition aufrecht zu halten. Sie muß noch nach links verbreitert werden, wozu sich bei den Gewerkschaften unter Leipart gewisse Möglichkeiten abzeichnen. Also erklärt man sich zum „sozialen General", und alle Positionen sind bezogen, die der nationalen Revolution unter General von Schleicher - auf dem Papier - den Erfolg sichern. Aber der Büro-General hat das Handeln verlernt. Er "markiert" nur noch auf der Karte, statt wirkliche Schlachten zu liefern. Er setzt Hitler, der einem Schleicher (wegen der Akten) nicht öffentlich entgegentreten kann, so schachmatt, daß dieser bald völlig am Ende seiner Nerven ist und bei jeder Gelegenheit in Tränen ausbricht. Alle Vorbereitungen zu seiner Ablösung durch den „Reichsorganisationsleiter" Gregor Strasser sind getroffen, aber - da säumt und zögert Schleicher, bis Strasser sich enttäuscht und verärgert zurückzieht.
Die eigentliche Gefahr hat Schleicher jedoch in seinem Rücken gelassen. Es ist sein Freund, Rivale und intimer Gegner von Papen, den er für einige Monate zum Kanzler gemacht hatte. Er hat diesen früheren Militärattaché, der seine Aktenmappen liegen ließ, nie recht ernst genommen. Er betrachtet ihn als eine Art Adjutanten und Ordonnanzoffizier, als "galopin", wie das Wortspiel im Regiment lautete, ohne seinen hemmungslosen Ehrgeiz und seine gewissenlose Neigung zur Intrige richtig einzuschätzen. Er hat Papen nach seinem Sturze sogar gestattet, die Amtswohnung im Reichskanzlerpalais weiter zu' benutzen, wo er unmittelbarer Nachbar des Reichspräsidenten ist, obschon dessen Tafelrunde das eigentliche Machtzentrum Deutschlands darstellt. Papen, der ausgedehnte Beziehungen in Adels- und Militärkreisen unterhält, hört, sieht und wittert bald genug, um die Absichten und Berechnungen Schleichers zu durchschauen. Er bläst sie dem Obersten Oskar von Hindenburg zu, der in seinen schwachen Stunden selbst Ambitionen auf die Nachfolge seines Vaters hat. Er bringt den Staatssekretär Meißner mit dem Hinweis auf, daß Schleicher sich nur mit Militärs umgeben werde. Dem alten Herrn stellt er die taktisch gemeinten Linkstendenzen Schleichers als ernst hin.
In dieser Lage trägt Papen nicht einmal Bedenken, wieder eine Beziehung zu Hitler zu suchen. Der frühere Chef des „Kabinetts der Barone" trifft am 4. Januar 1933 heimlich im Hause des Bankiers von Schröder in Köln ein, um dort dem „Kameraden" der Potempa-Mörder die Hand zu schütteln. Er verschafft Hitler zunächst wieder Geld, so daß dieser seine Gauleiter und Amtswalter aufs neue in die Hand bekommt. Die Führerstellung Hitlers in der NSDAP, die Schleicher schon weitgehend erschüttert hatte, ist damit wieder hergestellt. Außerdem übernimmt er die Finanzierung des Wahlkampfes der NSDAP in Lippe, wo Hitler mit einem neuen Anstieg seiner Stimmen um 20 Prozent einen kleinen Erfolg erzielen kann, der dem Reichspräsidenten als symptomatisch für den Fehlgriff Schleichers hingestellt wird. General von Schleicher wird durch seinen militärischen Nachrichtendienst von der Begegnung Papens mit Hitler sowie von den Ränken im Präsidentenpalais schnell genug unterrichtet, aber er begeht nun Fehler über Fehler. Als Papen den Aufenthalt in Köln mit seinem Offiziersehrenwort bestreitet, hält Schleicher ihm Lichtbild er vor, die ihn beim Verlassen des Hauses von Schröder zeigen, und beantragt seine Ausstoßung aus der Vereinigung ehemaliger Generalstabsoffiziere. Er stellt Papen damit einen sehr gefährlichen Termin. Dieser muß jetzt handeln, bevor er cum infamia aus der Schlieffen-Vereinigung ausgestoßen sein wird. Außerdem sucht Schleicher die Umgebung des Reichspräsidenten zu warnen, indem er einiges aus dem Osthilfe-Skandal verlauten läßt. Aber auch in diesem Falle zeigt er seine Batterien nur, ohne ein sofortiges Wirkungsfeuer zu eröffnen. Seine Gegenspieler wissen die Zeit, die ihnen gelassen ist, besser zu nützen. Schleicher wird zum „Agrarbolschewisten" gestempelt, den Hindenburg am 28. Januar entläßt, indem er ihm die Genehmigung zur Reichstagsauflösung verweigert. Herr von Schleicher ist nach 60 Tagen Regierungstätigkeit zur Strecke gebracht. Die „nationale Revolution" ist an der Rivalität Papens mit Schleicher endgültig gescheitert .. .
Von diesem Augenblick an erfolgen nur noch Improvisationen. Die Nebenregierung, die seit drei Jahren die Geschicke Deutschlands geleitet hat, ist gesprengt. Das Reichspräsidentenpalais will anders als die Armee, die Armee will anders als der Reichslandbund, der Reichslandbund hat die Fühlung mit der Schwerindustrie verloren. Es gibt keinen geschlossenen Interessenverband mehr. Die Hauptforderung Hitlers, daß er jetzt selbst Reichskanzler werde, begegnet kaum noch einem Einspruch. Die Deutschnationalen wünschen zwar Papen als Kanzler, Hitler als Vizekanzler. Aber Papen hat sich in Köln gebunden. Er tritt nachdrücklich für Hitler ein, während er sich selbst - wie er meint, vorübergehend - auf die Stellung des Vizekanzlers und Reichskommissars für Preußen bescheidet. Herr von Neurath, der Außenminister nach dem Herzen Hugenbergs, führt sein Amt in selbstsicherer Beschränktheit weiter. Innenminister wird Frick. Für das Reichswehrministerium muß man nach dem Sturze Schleichers allerdings auf einen Außenseiter zurückgreifen, den General von Blomberg, der sich jetzt als Nationalsozialist enthüllt, nachdem er früher als Demokrat gegolten hatte. Der Instinkt der Deutschnationalen reicht gerade noch so weit, daß sie sich ihre unmittelbarste Interessenzone sichern, nämlich alle Wirtschaftsministerien. An dieser Zusammensetzung des Kabinetts soll, wie Hitler diesmal mit seinem ganz großen Ehrenwort versichert, nichts geändert werden, wie auch die künftigen Wahlen ausfallen mögen. Er gibt Hindenburg ferner noch feierliche Zusicherungen bezüglich einer Restauration der Dynastie, von denen später noch die Rede sein wird.
Am 30. Januar 1933 wird das Präsidialkabinett Nr. 4, das letzte seines Zeichens, unter Adolf Hitler als Reichskanzler gebildet. Es nennt sich das „Kabinett der nationalen Konzentration". Schon am Abend des gleichen Tages zeigt sich, wie der Führer der NSDAP mit den Marionetten zu spielen versteht, die ihn hier umgeben. Er hat an sich nur ein Präsidialkabinett gebildet wie Brüning, Papen und Schleicher auch, mit Eidesleistung auf die Weimarer Verfassung. Mit einem der großen Theaterstreiche, in denen er Meister ist, geht er dann jedoch seinen Koalitionspartnern durch, bevor diese auch nur merken, was im Gange ist. Er setzt einen „Tag der nationalen Erhebung" in Szene, aus dem die Legende später sogar einen Tag der Machtergreifung machen wird. Ein gewaltiger Fackelzug der SA geht durch die Wilhelmstraße. An einem Fenster der Reichskanzlei steht Hindenburg, der sich über die Lichter und die Märsche freut und das Zweite Reich wiedererstanden glaubt. An einem anderen Fenster steht der Wortbrüchige, der Meineidige, der Mordbube, der jetzt, wo er die Bahn endgültig frei weiß, seine zuckenden Glieder kaum noch beherrschen kann.
Er ahnt als einziger, was dieser Tag in der Geschichte des deutschen Volkes und Europas bedeuten wird.
Erschlichene Legalität
Adolf Hitler hat die Macht ergriffen. Er wird jetzt die Legalität erschleichen .
Seit dem Rückschlag vom 6. November 1932 ist er Neuwahlen, soweit es möglich war, aus dem Wege gegangen. Er, der Wahlfreudige, der das Geheimnis entdeckt hatte, wie man die Parlamentswahlen zur Erschütterung einer parlamentarischen Demokratie verwenden kann - indem man sie nämlich mit einer wirtschaftlich-sozialen Krise synchronisiert und immer schneller wiederholt -, er wußte seit diesem Zeitpunkt genau, daß seine Aussichten nunmehr im Schwinden waren. Seine Verluste waren in Sachsen. wo Gemeindewahlen stattgefunden hatten, inzwischen zu 50 vom Hundert gediehen.
Aber jetzt, wo Papen ihm die Staatsgewalt und die Staatskasse in die Hände gespielt hat, wird er Wahlen und Abstimmungen vorzunehmen wissen, die nach Wunsch und Bedarf ausfallen .. .
Am 4. Februar 1933 läßt er durch Hindenburg ein Dekret „Zum Schutz des deutschen Volkes" unterzeichnen, mit dem er dieses deutsche Volk zunächst einmal zum Verstummen bringt. Das Erscheinen der Tageszeitungen, die Abhaltung von Versammlungen wird völlig vom Ermessen der Behörden ab?
hängig gemacht.
Als preußischer Innenminister gibt Göring am 22. Februar den berühmten „Schießerlaß" an die ihm unterstellten Polizeibehörden heraus, mit dem er die SA und die SS zu Herren der Straße macht. Bei jedem Wortwechsel, bei jedem Krawall sind diese als die Angegriffenen zu betrachten und mit allen Mitteln zu schützen. Er fordert die Polizei ausdrücklich zum sofortigen, unbedenklichen Gebrauch der Schußwaffe auf. In dem Erlaß heißt es: „Polizeibeamte, die in Ausübung dieser Pflichten von der Schußwaffe Gebrauch machen, werden, ohne Rücksicht auf die Folgen des Schußwaffengebrauchs, von mir gedeckt; wer hingegen in falscher Rücksichtnahme versagt, hat dienststrafrechtlich die Folgen zu gewärtigen."
Am gleichen Tage schafft Göring auch noch eine Hilfspolizei, zu der die SA und die SS 80 Prozent, der „Stahlhelm" 20 Prozent stellen. Ausgerüstet wird diese Hilfspolizei mit Dienstpistole und Gummiknüppel. Eine erste Terrorwelle geht durch das Land. In jeder Stadt, in jedem Dorf erfolgen Festnahmen, Haussuchungen, Verhaftungen. Auf den SA-Wachen beginnt man zu prügeln und zu schinden. Die Öffentlichkeit, die sich über diese Vorgänge heftig erregt, wird über die grundsätzliche Bedeutung dieser Brutalitäten hinweggetäuscht, indem man beruhigende Zusicherungen abgibt. Deutsche Männer und Frauen hätten nichts zu fürchten, auch unter den Sozialdemokraten nicht. Selbst die „anständigen Juden" werden zu diesem Zeitpunkt noch des Schutzes ihrer Person und ihres Eigentums versichert. Es handle sich lediglich um die Abwehr eines „bolschewistischen Staatsstreiches". Da die Öffentlichkeit das eigentümliche Verhältnis von Liebe und Haß kennt, mit der die SA und die „Rotfront" in den vergangenen Jahren um die gleiche Anhängerschaft rivalisiert, gemeinsame parlamentarische Schlachten gegen die Weimarer Demokratie ausgekämpft und gleichzeitig einen erbitterten Privatkrieg unter sich ausgetragen haben, so lassen sich viele in die bequeme Illusion wiegen, es handle sich hier um einen Sonderfall, um eine Art Bruderhaß, um einen Parteienstreit, der mit dem Staate und seinen Institutionen, mit Recht und Unrecht noch nicht viel zu tun habe.
Hitler gibt vor, nicht selbst einen Staatsstreich zu wollen, o nein, sondern dem Staatsstreich anderer zuvorkommen zu müssen. Eine Haussuchung im Karl-LiebknechtHaus erbringt „hundert Zentner hochverräterischen Materials", das „binnen kurzem" bekanntgegeben werden soll, aber nie veröffentlicht werden wird. Am Abend des 27. Februar steht dann plötzlich der Reichstag in Flammen! Hitler, Göring, Goebbels sind sofort an der Brandstätte. Ein Führerblick, und Hitler weiß, wer die Täter sind, welcher Art ihre Beweggründe waren, und was jetzt getan werden muß. „Das ist ein von Gott gegebenes Zeichen", erklärt er. Ein Zeichen jedenfalls, auf das man gewartet hatte. Am Tage nach der Machtergreifung hatte Goebbels in sein Tagebuch geschrieben, daß der bolschewistische Revolutionsversuch zunächst einmal „aufflammen" müsse. Nun ist er tatsächlich „aufgeflammt", und alle Texte für die neuen Verordnungen, alle Listen für die Verhaftungen liegen denn auch fertig.
Am folgenden Tage, am 28. Februar 1933, unterzeichnet Hindenburg ein Dekret „Zum Schutz von Volk und Staat", das den einzelnen Deutschen rechtlos macht. Seine wichtigste Bestimmung lautet: „Die Artikel 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 der Verfassung des Deutschen Reiches werden bis auf weiteres außer Kraft gesetzt. Es sind daher Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechtes, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Haussuchungen und Beschlagnahmen sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonstigen gesetzlichen Grenzen zulässig."
Diese Aufhebung der Grundrechte aller Deutschen, die in der Verfassung ausdrücklich festgelegt sind, erfolgt 5 Tage vor den Wahlen. Nun spielt alles prächtig ineinander. Die NSDAP, die seit dem Amtsantritt Hitlers in Geld schwimmt, kann eine unbegrenzte Anzahl von Flugblättern und Broschüren loslassen. Die Tageszeitungen der gegnerischen Parteien hingegen dürfen nicht erscheinen oder sind unter Zensur gestellt. Ihre Flugblätter werden durch die SA beschlagnahmt, ihre Wahlversammlungen verboten oder gesprengt. Die Beschuldigung, an der Reichstagsbrandstiftung mitgewirkt zu haben, wird vorübergehend auch auf die So-. zialdemokraten ausgedehnt, damit man ihre besten Wahlredner und Verbandsführer verhaften kann. Am Wahltage selbst, dem 5. März 1933, dürfen nur Werber der Harzburger Parteien vor den Wahlräumen stehen. An zahlreichen Orten werden Unregelmäßigkeiten beim Wahlvorgang beobachtet. Eine große Anzahl österreichischer Nationalsozialisten kommt mit Wahlscheinen über die bayrische Grenze, um an den Wahlen teilzunehmen, oft an mehreren Orten. Die Wahlergebnisse werden nie die vorgeschriebene Kontrolle und Legitimierung erfahren - und dennoch.
Die letzte Abstimmung des deutschen Volkes, die noch eine entfernte Ähnlichkeit mit gesetzmäßigen Wahlen hat, ist für Hitler keineswegs günstig! Es ist der NSDAP zwar mit Hilfe aller dieser Mittel gelungen, 17 Millionen Stimmen zu erzielen. Die Höchstziffer vom 31. Juli 1932 ist damit erneut um 3 Millionen überboten. Aber es ist bezeichnend, daß diese Erhöhung in der Hauptsache wieder auf die Heranziehung von „Nichtwählern" zurückgeht. Die Beteiligung ist nämlich gleichfalls um 3 Millionen größer gewesen; man hat Gebrechliche und Greise in Wagen an die Urnen geholt, Kranke und Sterbende auf Bahren herangeschleppt. Dieser Aufwand findet in dem Ergebnis jedoch keine Rechtfertigung: die NSDAP hat 288 von 647 Mandaten erlangt. In dieser Wahl, welche die tatsächlich schon hergestellte Diktatur Hitlers plebiszitieren sollte, haben sich nur 44 Prozent der Wähler hinter ihn gestellt. Erst die Mandate der Deutschnationalen bringen die Harzburger Koalition überhaupt auf eine knappe Mehrheit von 52 Prozent. Die großen gegnerischen Parteien haben ausgesprochen gut abgeschnitten. Die Zentrumspartei hat noch 2 Mandate gewonnen, die Sozialdemokratische Partei nur 1 Mandat verloren. Auch die Kommunisten haben trotz schärfster Behinderung 80 Prozent ihrer Stimmen behauptet.
Angesichts dieser Ergebnisse sieht sich Hitler gezwungen, die Legalität sehr viel stärker zu verletzen, als er vorgesehen hatte. Er muß aus 44 Prozent beziehungsweise 52 Prozent gewaltsam eine Zweidrittel-Mehrheit machen, wenn er die Hemmungen überrennen will, die gerade zu dem Zwecke in die Verfassung eingebaut worden sind, Änderungen des Staatsgrundgesetzes durch zufällige, vorübergehende, manipulierte Mehrheiten zu verhindern.
Zum Ausgangspunkt seines Manövers nimmt er den Reichspräsidenten und die Deutschnationalen. Er bringt sie in eine rauschhafte nationale Stimmung, die sie alle Gesetzwidrigkeiten nicht nur dulden, sondern aktiv an ihnen mitwirken läßt. Inder Garnisonskirche zu Potsdam holt er sich am 21. März 1933 die großpreußische Weihe, indem er sich als den Erben Friedrichs II. und Bismarcks erklärt. Er tritt mit dem Generalfeldmarschall an die „Bahre unseres größten Königs". Er beschwört die Kaiserproklamation von Versailles herauf, die Aera Wilhelms II. und den „größten Krieg aller Zeiten", um dem Reichspräsidenten dann feierlich dafür zu danken, daß er die Fortführung dieser geschichtlichen Linie ermöglicht habe. „Diesem jungen Deutschland haben Sie, Herr Generalfeldmarschall, am 30. Januar 1933 in großherziigem Entschluß die Führung des Reiches anvertraut ... Dank Ihrem Verstehen, Herr Reichspräsident, ist die Vermählung vollzogen zwischen den Symbolen der alten Größe und der neuen Kraft ..." Es ist eine furchtbare geschichtliche Bedeutung, die über dieser Szene liegt, wenn ihr tödlicher Ernst, auch von den meisten noch nicht verstanden wird.
Mit der Entgegennahme dieser Erklärung, durch die er zum „Schirmherrn über die neue Erhebung unseres Volkes" ernannt ist, hat der Reichspräsident sich jeder politischen Möglichkeit begeben, den kommenden Ereignissen noch Einhalt zu gebieten. Diese erreichen ihren Höhepunkt am 23. März, wo der neugewählte Reichstag in der Kroll-Oper zusammentritt. Die einzige Aufgabe, die Hitler ihm noch stellt, ist die Annahme eines Gesetzes „zur Behebung der Not von Volk und Reich", durch das die Reichsregierung zum Erlaß von Reichsgesetzen ermächtigt wird, sogar wenn sie verfassungsändernden Inhaltes sind. Hitler versteift sich darauf, dieses Ermächtigungsgesetz, das die geltende Staatsverfassung in ihrem Kerne aufhebt, indem es nämlich die legislative Gewalt auf die Exekutive überträgt, in Beobachtung aller parlamentarischen Spielregeln durchzubringen. Er will „legal" in die Illegalität eintreten. Wenn die Volksvertretung beseitigt werden soll, dann soll sie sich - immerhin erkennt er diesen Eingriff als „verfassungsändernd" an - mit Zweidrittel-Mehrheit selbst ausschalten. Nun stehen hinter dem Ermächtigungsgesetz, das von den Nationalsozialisten und den Deutschnationalen eingebracht ist, nur 52 Prozent der Abgeordneten. Wenn Hitler aus diesen eine Zweidrittel-Mehrheit machen will, so muß er einmal die bürgerlichen Mittel- und Linksparteien zur Zustimmung bewegen, zweitens die Anwesenheit einer größeren Anzahl oppositioneller Abgeordneter hinter treiben (ohne jedoch die Anwesenheit von zwei Dritteln der gewählten Abgeordneten zu gefährden, wodurch das Haus beschlußunfähig würde).
Also hält er eine seiner Roßtäuscher-Reden! Er spielt den Rechtlichen, Maßvollen, Einsichtigen, Gutwilligen. Er spart nicht mit falschen Erklärungen und Zusicherungen. „Die Regierung wird von dem Ermächtigungsgesetz nur insoweit Gebrauch machen, als die Durchführung lebensnotwendiger Maßnahmen das erfordert. Es ist weder die Existenz des Reichstages noch des Reichsrates bedroht. Der Bestand der Länder wird nicht beseitigt. Die Rechte der Kirchen werden nicht geschmälert. Die Regierung bietet den Parteien die Möglichkeit einer guten Fortentwicklung und einer sich daraus in der Zukunft anbahnenden Verständigung." Er will die Ermächtigung nicht für seine Person, sondern nur für das Kabinett, also eine Koalitionsregierung, deren Zusammensetzung er mit seinem Ehrenwort als unveränderlich bekräftigt hat. Er verspricht ferner die Bildung eines ständigen Arbeitsausschusses, in dem alle die Regierung unterstützenden Parteien vertreten sein sollen.
Von diesen Worten wird sich in Kürze natürlich jedes einzelne als Lüge erweisen. Hitler wird die Ermächtigung auf sich persönlich beziehen, nicht auf das Kabinett, dessen Zusammensetzung in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten fortlaufende Veränderungen erfahren wird. Hitler wird im Laufe von drei Monaten zum Ein-Partei-System übergehen, nachdem er sogar die Deutschnationale Volkspartei zur Auflösung gezwungen hat, von den bürgerlichen Mittel- und Linksparteien sowie der Sozialdemokratischen Partei ganz zu schweigen. Das Wort Reichstag wird damit jeden Sinn verlieren; er wird zu einer Versammlung ernannter nationalsozialistischer Parteibeamter werden. Der zugesagte Arbeitsausschuß wird nie zusammentreten, und wenn Hitler bei anderer Gelegenheit gesagt hatte: „Gib mir nur 4 Jahre Zeit und dann, deutsches Volk, komm und richte mich", so wird er diesen Termin gleichfalls so lange hinauszuschieben wissen, bis Gott selbst ihn richtet.
Die Fraktionen der bürgerlichen Oppositionsparteien halten sich gegenüber diesen unwahren, im Grunde leicht zu durchschauenden und widerspruchsvollen Zusicherungen leider sehr viel weniger gut, als sich ihre Wählerschaft im Land gehalten hatte. Die Zentrumsfraktion stimmt mit wenigen Ausnahmen dem Ermächtigungsgesetz zu, da sie eine Reihe wesentlicher Bedenken als durch die Erklärungen des Kanzlers gemildert betrachte. Die bürgerlichen Splitterparteien schließen sich dieser Haltung an. Die sozialdemokratische Fraktion, deren Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz die Regierung gar nicht wollte, bringt wenigstens ihre nationale Gesinnung zum Ausdruck, anstatt kurzerhand die Sitzung zu verlassen, womit die Abstimmung unmöglich geworden wäre, weil die Anwesenheitsziffer nicht ausgereicht hätte: Auf der äußersten Linken sind nämlich etwa 100 Sitze leer. Die 81 kommunistischen Abgeordneten und rund 20 sozialdemokratische Parlamentarier sind durch Fahndungsbefehl, Festnahme, Schutzhaft oder ähnliche polizeiliche Mittel von der Sitzung ferngehalten. Die Mehrheitsverhältnisse der Reichstagssitzung sind damit völlig verschoben. Jetzt erweist sich auch, weshalb Hitler die Kommunistische Partei, die er als des Hochverrats überführt bezeichnet hatte, nicht schon v o r den Wahlen aufgelöst und verboten hat. In diesem Falle wären ihre Stimmen und Mandate der sozialdemokratischen Nachbarpartei zugewandert. Dadurch, daß er sie jedoch zunächst wählen ließ, dann aber am Betreten des Reichstagsgebäudes verhinderte, hat er mehr als 6 Millionen Wählerstimmen in das Nichts, ins Leere abgeleitet.
So wird einem Catilina die Legalität zugesprochen! Kein Cicero tritt gegen ihn auf, um die Gültigkeit der Wahlen in Zweifel zu ziehen, die Rechtswidrigkeit der Festnahme von Abgeordneten klarzustellen, die formelle und materielle Rechtswidrigkeit des Ermächtigungsgesetzes darzulegen, den Reichspräsidenten vor seiner Unterzeichnung zu warnen, die Länder auf ihre Bedrohung hinzuweisen, an den Staatsgerichtshof als den Hüter der Verfassung zu appellieren, das Volk gegen die Beseitigung seiner Vertreter aufzurufen. In diesem Stadium wäre die nationalsozialistische Revolution vielleicht an diesen Hindernissen nicht mehr gescheitert, aber der Bruch der Legalität wäre offensichtlicher, der Untergang der parlamentarischen Institutionen wäre würdiger gewesen.
Die Ansicht Hitlers, daß der „persönliche Terror" das wirkungsvollste Instrument der Innenpolitik darstelle, wird jetzt voll in die Tat umgesetzt. In allen Dörfern und Städten Deutschlands erfolgt nunmehr die offene Jagd auf die Gegner. Es gibt keinen Schutz der Person oder des Eigentums mehr. In einem Stile, wie ihn selbst das Polizeiregime einiger deutscher Territorialstaaten des 18. Jahrhunderts nicht gekannt hat, werden deutsche Staatsangehörige ohne richterlichen Haftbefehl, ohne Erhebung einer Anklage, ohne gerichtliches Urteil aus ihren Wohnungen gezerrt, in Konzentrationslager verschleppt. In den Gefängnissen und Konzentrationslagern tobt sich ein Sadismus aus, wie ihn die deutsche Geschichte nur einmal gezeigt hatte: bei den Landsknechtshaufen des Dreißigjährigen Krieges. Es genügt der SA und der SS nicht, ihre Gegner willkürlich in Haft zu nehmen, sie zu Tode zu trampeln oder zum Selbstmord zu zwingen. Sie gefallen sich darin, das Äußerste an Erniedrigung über diese wehrlosen Geschöpfe zu bringen, was eine schmutzige Phantasie nur zu ersinnen vermag.
Das deutsche Gemüt ist von diesen Vorgängen, soweit sie zu seiner Kenntnis gelangen, entsetzt. Es ist s o entsetzt, daß es an die Ausschreitungen einzelner, örtlicher Gewalthaber glaubt. „Wenn das der Führer wüßte", so sagen die Bürger, ohne zu bedenken, daß es in einer Tyrannei nur der Geist des Tyrannen ist, der sich in seinen Werkzeugen äußern kann. Hitler weiß diese Dinge nicht nur, er hat sie nicht nur angeordnet, sondern er delektiert sich an ihnen! Er läßt sich eingehende Berichte und Lichtbilder vorlegen, wobei er vermutlich nur bedauert, daß er den Schein wahren muß. Am liebsten würde er wohl selbst die geliebte Nilpferdpeitsche geschwungen haben.
Am 1. und 7. April 1933 hat Hitler die Länder gleichgeschaltet, über die er Reichsstatthalter einsetzt. Am 8. April hat er das Gesetz zur „Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" erlassen, mit dem er eine große Anzahl politisch Andersdenkender als „Parteibuchbeamte" aus ihren Ämtern entfernt, um sie in verzehnfachter und verhundertfachter Anzahl durch Inhaber des richtigen Parteibuches zu ersetzen. Gleichzeitig entfernt er mit diesem Gesetz die jüdischen Beamten, soweit diese nicht Kriegsteilnehmer oder schon 20 Jahre im Amt sind. Den jüdischen Ärzten werden die Krankenkassen, den jüdischen Anwälten die Zulassungen entzogen, den jüdischen Journalisten wird die Übernahme auf die Schriftleiterliste verweigert. Die jüdischen Geschäfte sind einem eintägigen „Abwehr"-Boykott unterzogen. Göring hat unterdessen mit dem Geheimen Staatspolizeiamt das Instrument geschaffen, mit dem der Terror systematisiert werden kann. Nachdem die Parteien, die Gewerkschaften, alle Standes- und Jugendorganisationen übernommen oder aufgelöst sind, setzt in der Behandlung der politischen Gegner allerdings eine Unterscheidung ein. Die Funktionäre der bürgerlichen Mittel- und Linksparteien, der Sozialdemokratischen Partei, der Kommunistischen Partei werden unerbittlich verfolgt, soweit sie an ihren Überzeugungen festhalten. Ihre Gefolgschaft sucht man jedoch zu gewinnen. Dieser Bemühung bleibt der Erfolg versagt, soweit es sich um die weltanschaulich geschlossenen oder politisch durchgebildeten Kerngruppen handelt. Unter ihren Mitläufern erfolgen jedoch zahlreiche Übertritte, die zum Teil taktisch, zum großen Teil aber auch grundsätzlich gemeint sind.
Eine ernste moralische Krise erlebt das Regime im Sommer 1934. Ein Hauch der Krankheit und des Verbrechens, die mit Hitler zur Macht gelangt sind, weht das deutsche Volk an, als ihm die Vorgänge vom 3 0. Juni bekannt werden. Die Ermordung Röhms, der als der eigentliche Freund Hitlers gilt, liegt jenseits der Grenze dessen, was die deutsche Öffentlichkeit an Kälte und Treulosigkeit erträgt. Im Januar des gleichen Jahres hat Hitler seinem „lieben Ernst" noch in herzlicher Freundschaft für seine „unvergänglichen Dienste" gedankt und ihm versichert, wie sehr er „dem Schicksal dankbar sei, einen solchen Mann als Freund und Kampfgenossen bezeichnen zu dürfen". In seiner Reichstagsrede vom 13. Juli, also noch kein halbes Jahr später, erklärt er hingegen über Röhm und seinen Kreis: „Ihr Leben war so schlecht geworden wie das Leben derjenigen, die wir im Jahre 1933 überwunden und abgelöst haben. Das Auftreten dieser Männer hat es mir unmöglich gemacht, sie bei mir einzuladen oder das Haus des Stabschefs in Berlin auch nur einmal zu betreten." Die Begründung, daß diese Ermordungen wegen Homosexualität erfolgt seien, findet nirgendwo Glauben. Wie Röhm, Heines und die anderen SA-Führer lebten, war seit Jahren Gegenstand von Enthüllungen und Prozessen. Hitler, dem jede moralische Entartung seiner Gefolgsleute nicht nur gleichgültig ist, sondern der sie geradezu wünscht und begünstigt, um sie dadurch fester an sein Schicksal zu binden, hat bisher alle gegen Röhm erhobenen Beschwerden zurückgewiesen. Jetzt will er ihn aus diesem Grunde ermordet haben? Oder wegen eines Aufstandsversuches, wegen einer „Verbindung mit einer auswärtigen Macht"? Und was haben der frühere Generalstaatskommissar von Kahr, den die SS mit Spaten erschlägt, was haben der General von Schloicher und seine Frau, der General von Bredow, der Vorsitzende der Katholischen Aktion Ministerialdirektor Klausener, der Oberregierungsrat von Bose, der Rechtsanwalt Jung, Gregor Strasser und zahlreiche andere mit Röhm und der SA zu tun gehabt?
Ein zweiter und - schwererer - Potempa-Fall! Hitler hat sich diesmal nicht als Kamerad und Gesinnungsgenosse von Mördern, sondern selbst als Mörder enthüllt, dessen Rache wie im Falle Kahr noch nach einem Jahrzehnt ihre Befriedigung sucht, und der vor keiner Mordserie zurückschreckt. Zahlreiche Deutsche stehen im Begriffe, zu erkennen, welchen Mächten sie sich überantwortet haben. In diesem Augenblick wäre es dem Reichspräsidenten, der Armee, den Herren Papen, Neurath, Schacht, Meißner usw. noch ein leichtes gewesen, die Diktatur wieder abzuschütteln. Aber die Armee ist gerade der Ausgangspunkt dieser Aktion gewesen! Sie hatte aus Rivalitätsgründen die Ausschaltung Röhms und der SA verlangt, wenn sie wohl auch nicht an Mord und Totschlag gedacht hatte. Immerhin nimmt sie keinerlei Anstoß daran. Reichspräsident von Hindenburg, dessen Kanzler und langjähriger Mitarbeiter General von Schleicher gewesen ist, sendet ein Danktelegramm an Hitler, in dem er diesem seinen „tiefempfundenen Dank und aufrichtige Anerkennung" ausspricht. Der Reichswehrminister General von Blomberg sieht in den Vorgängen nur ein „entschlossenes und mutiges Handeln". Die Reichsregierung und der sogenannte Reichstag beschließen, daß die Maßnahmen „als Staatsnotwehr rechtens" gewesen seien. Der Reichsjustizminister Gürtner setzt dem hinzu: „nicht nur Recht, sondern staatsmännische Pflicht". Mit diesen Worten haben der Reichspräsident, der Reichswehrminister, die Reichsregierung in ihrer Gesamtheit und der sogenannte Reichstag die Vorgänge, die Hunderte von Deutschen ohne Anklage, Gerichtsverfahren und Urteil das Leben gekostet haben, auf ihre eigene Rechnung übernommeh. Das deutsche Volk ist erneut über seine aufdämmernde Erkenntnis hinweggetäuscht worden.
Der „oberste Gerichtsherr" des deutschen Volkes, dessen Hände noch blutig sind, spart nicht mit Gegenleistungen. In seiner Reichstagsrede vom 13. Juli nennt er den Reichswehrminister „einen Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle". General von Blomberg habe „die Armee aus innerstem Herzen versöhnt mit den Revolutionären von einst und verbunden mit der Staatsführung von heute". Hitler wird General von Blomberg bald zum Generalfeldmarschall ernennen und ihn zum Leiter der Wiederaufrüstung des deutschen Heeres bestellen. Er nimmt bei dieser Gelegenheit vor allem jedoch die Anerkennung vor, deretwegen die Armee auf der Beseitigung Röhms und der SA bestanden hatte: „Es gibt im Staate nur einen Waffenträger: die Wehrmacht ..." Dies ist das Monopol, das die Wehrmacht mit dem Blute des 30. Juni erkauft hat, und das sie später mit Strömen von Blut bezahlen muß. Denn der Satz Hitlers hat noch einen Nachsatz: „und nur einen Träger des politischen Willens: das ist die Nationalsozialistische Partei ..." Indem sie der einzige Waffenträger wurde, hat sie sich diesem politischen Willen unterworfen - mit allen Folgen, die das für sie und das deutsche Volk haben wird ...
Welcher Art mögen nun die Beweggründe gewesen sein, die Hitler dazu veranlaßt haben, in dieser Weise rund um sich herum zu morden? Er hat sich seiner Raserei keineswegs unkontrolliert überlassen. Sie ist mit Stichwort und Termin, mit Panzerwagen und Listen vorbereitet gewesen. Der Rausch Hitlers bricht immer zur rechten Zeit durch. Er führt in diesem Falle zu der besonders peinlichen Szene, daß Hitler mit seiner Nilpferdpeitsche nach Wiessee hinausfährt, um sie (wohlgeschützt durch SS) einigen seiner bisherigen Kameraden wie dem Grafen Spreti selbst durch das Gesicht zu schlagen. Er wollte offenbar mit eigenen Augen das Erbleichen seiner Opfer, bei einigen auch ihr Blut sehen. Schon diese Art des Eingreifens deutet darauf hin, daß die eigentlichen Beweggründe persönlicher, intimer Natur gewesen sein müssen. Wenn jemand die kleinen Anfänge Hitlers und der NSDAP kannte, so war es Röhm, der den Demagogen in ihm entdeckt, ihm die ersten Geldbezüge vermittelt, seine Sturmabteilungen aufgebaut und später die Beziehung zum Reichswehrministerium hergestellt hatte. Ist diese Erinnerung Hitler inzwischen unerträglich geworden, ist seine Dankbarkeit in Haß umgeschlagen? Oder sollte Röhm einen politischen Druck zu Gunsten der SA versucht haben, indem er mit Enthüllungen drohte? Dieser Mann mußte entweder blind ergeben bleiben oder zum ewigen Schweigen gebracht werden. Der frühere Organisationsleiter der Partei, Gregor Strasser, konnte gleichfalls mit seiner Kenntnis früherer Dinge recht unbequem werden. Im Besitze noch gefährlicherer Kenntnisse war General von Schleicher, der die Militärakten Hitlers besessen hatte und Aufzeichnungen hierüber in jenem Schreibtisch aufbewahrte, vor dem er mit seiner Frau erschossen wurde.
Die gemeinsame Linie, die über die Hauptopfer des 30. Juni läuft, ist die des Wissens um entscheidende Vorgänge aus der Vergangenheit Hitlers. Hitler hat sich seiner Mitwisser und Mittäter entledigt, soweit diese ihm aus der Kontrolle geraten waren, wobei Beweggründe wie Rache, Einschüchterung der übrigen, allgemeiner Terror sicherlich noch hinzugekommen sind.
Als die Stellungnahme des Reichspräsidenten, der Armee, der Reichsregierung, des Reichstages bekannt wird, schlägt die verhältnismäßig weitgehende Bereitschaft der Bevölkerung zum Handeln in eine allgemeine Lähmung um. Der blasse Schrecken geht mit seiner niederdrückenden, erstarrenden Wirkung über Deutschland. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit wird noch verstärkt, als der Mord am 25. Juli über die Grenze nach dem benachbarten Österreich hinübergreift, wo der kleine. tapfere Bundeskanzler Dollfuß den Kugeln österreichischer Nationalsozialisten zum Opfer fällt. Wenn Hitler, wie er es nach mißlungenen Streichen stets zu tun pflegt, auch jede Verantwortung abstreitet, so durchschaut die deutsche Öffentlichkeit die Wahrheit doch genau. Sie braucht nicht erst bis zur Besetzung Österreichs im Jahre 1938 zu warten, wo die Täter Planetta und Holzweber plötzlich als Helden-Verbrecher anerkannt werden, um den Zusammenhang zwischen deutschem und österreichischem Nationalsozialismus zu begreifen. Die deutsche Opposition empfindet dumpf ächzend: wenn Hitler jetzt schon fremde Regierungschefs töten darf, wo wird die Macht seiner Horde einmal eine Grenze finden? ?
Mit einem sehr gewandten Schachzug schickt Hitler seinen Vizekanzler Papen als außerordentlichen Botschafter nach Wien, um die Einmischung seiner Beauftragten in eine „interne österreichische Angelegenheit" vergessen zu machen und die deutsch-österreichischen Beziehungen „wieder in normale und freundschaftliche Bahnen zu leiten". Er wird damit auch den zweiten Mann los, dem er für seinen Aufstieg zu Dank verpflichtet ist, womit er gleichzeitig sein „unveränderliches" Kabinett wieder um einen Grad mehr in nationalsozialistischer Richtung vereinheitlicht. Auf der anderen Seite nimmt Herr von Papen, dem am 30. Juni seine Sekretäre und Mitarbeiter fortgeschossen sind, offensichtlich die Gelegenheit gern wahr, die Landesgrenzen hinter sich zu bringen.
In weiterer, schicksalhafter Verkettung der Umstände legt sich Reichspräsident von Hindenburg wenige Tage später zum Sterben nieder. Er schließt eine Woche nach der Ermordung des Bundeskanzlers Dollfuß die Augen, vier Wochen nach der Ermordung des Hauptmanns Röhm, der Generäle von Schleicher, von Bredow und anderer. Wenn er als Generalfeldmarschall a. D. in Hannover gestorben wäre, im immerhin gesegneten Alter von 77 Jahren, so würde die Republik im Jahre 1925 einen Republikaner als Reichspräsidenten erhalten haben. Wenn Hindenburg, wie Schleicher berechnet hatte, im Winter 1932/33 gestorben wäre, im Alter von 85 Jahren, so würde der General, nicht der Gefreite, sein Nachfolger gewesen sein. Wenn Hindenburg jetzt hingegen sein Leben noch einige Jahre länger gefristet haben würde, so wäre noch ein Ansatzpunkt erhalten gewesen, von dem aus eine neue Wendung hätte herbeigeführt werden können. Allerdings hatten sich Hindenburg, die Armee, die Deutschnationalen schon so sehr in die Illegalität verstrickt, daß dies nur noch in Richtung auf eine Militärdiktatur möglich gewesen wäre. Das Hinscheiden Hindenburgs in diesem Augenblick, der unter den Schatten des 30. Juni und 25. Juli steht, beseitigt die letzten Reste des bisherigen Machtzentrums. Es bringt Hitler das höchste Staatsamt, die Totalität der Gewalt, die unbestrittene Verfügung über alle Machtmittel seines Reiches und Volkes.
Der Abenteurer Hitler hat mit der ganzen Sicherheit seiner Instinkte erkannt, welche Gelegenheit zur Amtsanmaßung, Testamentsfälschung und Erbschleicherei sich mit dem Ableben Hindenburgs bieten werde. Als der Reichspräsident in den Morgenstunden des 2. August 1934 stirbt, ist Adolf Hitler schon seit 12 Stunden zu seinem Nachfolger ernannt. Durch wen -? Nun, durch ihn selbst! Am Vorabend hat er schnell und heimlich durch sein Kabinett folgendes Gesetz beschließen lassen: „Das Amt des Reichspräsidenten wird mit dem des Reichskanzlers vereinigt. Infolgedessen gehen die bisherigen Befugnisse des Reichspräsidenten auf den Führer und Reichskanzler Adolf Hitler über. Dieses Gesetz tritt mit Wirkung von dem Zeitpunkt des Ablebens von Reichspräsident von Hindenburg in Kraft." Dieses Gesetz überschreitet sogar den Rahmen des sogenannten Ermächtigungsgesetzes, das die Stellung und die Rechte des Reichspräsidenten ausdrücklich unberührt ließ.
Das Zusammenspiel mit General von Blomberg ist so hervorragend, daß die Armee in allen Garnisonen des Reichsgebietes zur Eidesleistung auf das neue Staatsoberhaupt antreten kann, bevor die sterblichen Überreste des bisherigen auch nur erkaltet sind. Schon um 12 Uhr liegt eine DNB-Meldung vor, nach welcher die Eidesleistung der Wehrmacht mit folgender Formel vollzogen ist: „Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, Oberbefehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen." Die Willkür, die bei Abnahme dieses Eides geherrscht hat, ist eine vollkommene. Nach dem geltenden Recht gibt es einen Fahneneid, der auf die Verfassung abgelegt wird. Eine Eidesleistung auf eine Person, die Zusicherung unbedingten, weder rechtlich noch zeitlich eingeschränkten Gehorsams widerspricht allen Grundsätzen des geltenden Verfassungsrechtes. Wenn General von Blomberg seinen Soldaten diesen Eid abverlangt, so täuscht dieser „Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle" sie hierbei völlig über ihre Rechte und Pflichten. Er legt damit allerdings auch eindeutig die Tatsache fest, daß es die Armee, die Generalität ist, die Hitler zum Reichspräsidenten, zu ihrem Oberbefehlshaber gemacht hat. Kein Einspruch, kein Widerstand wird aus ihren Reihen laut. Kein General, kein Offizier hat es vorgezogen, eher seinen Abschied zu nehmen als diesen Eid zu schwören.
Nun das Testament! In den ersten Tagen ist ein Testament überhaupt nicht vorhanden, obschon in den Stunden der Agonie Hindenburgs das Gut Neudeck militärisch gesichert werden mußte, um das Eindringen der Polizeibataillone Görings zu verhindern, die sich des angekündigten „politischen Testamentes" Hindenburgs an das deutsche Volk versichern wollten. Dann wird zwar ein persönliches Testament gefunden, das als Familiendokument betrachtet und nicht veröffentlicht werden soll. Das politische Testament bleibt jedoch verschwunden. obschon der Staatssekretär Dr. Meißner "fieberhaft" sucht. Die amtliche Feststellung heißt zwei Wochen lang: Es gibt kein politisches Testament! Aber siehe da. vier Tage vor dem Plebiszit vom 20. August, mit dem das deutsche Volk seinen Beifall zu der von Hitler längst vollzogenen Selbsternennung spenden soll, ist das Testament dann doch da. "Im Auftrage des Obersten a. D. v. Hindenburg" ist Herr von Papen mit dem Dokument plötzlich in Berchtesgaden eingetroffen. Es wird nie jemandem gezeigt, es wird nie im Faksimile veröffentlicht werden. Ein Text, welcher der Presse übergeben wird, ist sehr unbestimmt gehalten. Er nennt Hitler als Reichskanzler, aber nicht als den vorgesehenen Nachfolger. Diese Lücke füllt der Oberst Oskar von Hindenburg noch am Abend des 18. August aus, indem er im Rundfunk erklärt: „Mein nunmehr verewigter Vater selbst hat in Adolf Hitler seinen unmittelbaren Nachfolger als Oberhaupt des Deutschen Reiches gesehen".
Was ist die Wahrheit? Die Worte dieses Testamentes sind vermutlich echt, ihr Sinn ist gefälscht. Wenn es völlig neu geschrieben wäre, wenn es Zusätze von der Hand Hitlers enthielte, so würde es diesen klar und deutlich als Nachfolger vorschlagen. Hingegen sprechen alle Anzeichen dafür, daß es sinnentstellende Lücken enthält. Der erste Teil, in dem ein Rückblick auf die Vergangenheit gegeben wird, stellt eine einzige Empfehlung der monarchistischen Staatsform dar, während es gerade im zweiten Teil, wo von der Zukunft die Rede ist, darüber schweigt. Sollte Hindenburg nicht noch einmal darauf hingewiesen haben, daß er - so grotesk dieser Irrtum auch gewesen ist - in der „nationalen Konzentration" vom 30. Januar 1933 nur eine Vorstufe zur Restauration gesehen hat? Außerdem sagt der Oberst von Hindenburg, c1-213 der Reichspräsident in Hitler seinen unmittelbar en Nachfolger gesehen habe. Welche weiteren Nachfolger hat er also vorgesehen und genannt ...?
Herr von Papen, der als Botschafter über zahlreiche Kurier-Gelegenheiten verfügte, dürfte das Original des Testamentes zunächst nach Wien in Sicherheit gebracht haben. Vielleicht steht die spätere Erschießung einer zweiten Garnitur Sekretäre, des Freiherrn von Ketteler und des Herrn von Tschirschky, damit in Zusammenhang. In den beiden Wochen vom 2. bis 16. August scheint nun lebhaft darüber verhandelt worden zu sein, ob dieses Testament unterschlagen, mit Zusätzen oder durch Abstriche verfälscht werden soll. Die Herren Staatssekretär Meißner, Oberst Oskar von Hindenburg, Papen und einige andere sind mit der Verantwortung belastet, an dieser Fälschung mitgewirkt, sie begünstigt oder geduldet zu haben. Oskar von Hindenburg bezieht dafür den Preis, in den besten Jahren als Generalmajor pensioniert und im Besitz der drei Güter belassen zu werden, die Reichspräsident von Hindenburg im Laufe seiner Amtszeit „geschenkt" erhalten hat. Herr von Papen hat mit dem in das Ausland verbrachten Dokument einen geheimnisvollen Talisman erhalten, der sein Leben zehn Jahre lang schützt und ihm Stellung und Einkommen sichert. Wenn die Gestapo ihn warnen will, veranstaltet sie ein Scheibenschießen auf seine Umgebung. Er selbst ist kugelsicher geworden.
Mit dem Plebiszit vom 20. August, bei dem immerhin 5 Millionen Wähler mit Nein stimmen oder ungültige Scheine abgeben, hat Hitler jedoch endgültig den Schein von Legalität gewonnen, mit dem er seine Macht noch ein Jahrzehnt lang behaupten wird. Er ist Führer, Staatschef, Regierungschef , Oberster Befehlshaber geworden, ohne festgelegte amtliche Verpflichtungen und mit unbeschränkten Vollmachten. Jeder Soldat, das heißt in Kürze, jeder Deutsche muß sich eidlich verpflichten, ihm „unbedingten Gehorsam zu leisten" und für ihn „jederzeit sein Leben einzusetzen".
Dieser Eid wird ihnen nicht geschenkt werden.
Vom Zweiten zum Dritten Reich
In der Person Adolf Hitlers ist der Nationalsozialismus vorgebildet gewesen. Ob man ihn als Führer seiner Gefolgschaft, ob man ihn als ihr Medium auffassen will: ohne die Anziehungskraft seines „génie du mal" wäre die Sammlung aller Gescheiterten, Verkrampften und Erbosten zu einer politischen Bewegung nicht möglich gewesen.
Nur in diesem Manne konnte der Nationalsozialismus zur Macht aufsteigen, die Legalität erschleichen, eine lähmende Schreckwirkung gewinnen. Es bedurfte hierzu einer derartigen Verschlagenheit des Charakters, einer derartigen Starrheit des Willens, einer derartigen Kälte, ja Grausamkeit gegenüber fremdem Leid.
An dieser Entwicklung haben gewiß auch die Personen und Parteien, die seine Gegenspieler waren oder sein sollten, ihren Anteil und ihre Verantwortlichkeit. Aus ihrem Fluß sind ferner die wirtschaftlich-sozialen Konjunkturen, die Hitler immer wieder neuen Auftrieb gegeben haben, nicht wegzudenken, wenn man die Vorgänge so komplex sehen will, wie sie in Wirklichkeit waren ...
Die Frage ist jedoch noch offen: Was ist die eigentliche politische Kraft gewesen, die einen Adolf Hitler vom Asyl zum Gipfel der Macht emporgetragen hat? Welche Strömung war so stark und umfassend, daß die nationale und die nationalsozialistische Revolution in ihr wohl Wirbel bildeten, aber sich nicht mehr voneinander scheiden ließen? Welche Stauung war imstande, in wenigen Monaten die Dämme wegzureißen, an denen 14 Jahre gebaut worden war?
Es gibt nur eine Erklärung, die imstande ist, alle Erscheinungen der Nachkriegszeit in eine Linie zu rücken' und- die neue Katastrophe Deutschlands wirklich verständlich zu machen. Sie lautet: Das zweite, großpreußische Reich Bismarcks hat 1918 nicht abgedankt, sondern unter der Oberfläche der republikanischen Demokratie fortgelebt und im dritten, großdeutschen Reich Adolf Hitlers seiner letzten Entfaltung zugestrebt! ?
Die junge Republik, die aus dem Waffenstillstand des Jahres 1918 hervorgegangen war, hat ihre Grundlage bis zu ihrem Ende im Parlament, nie in der Verwaltung gehabt. Ihr standen zunächst nur einige Abgeordnete, Anwälte, Journalisten, Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre zur Verfügung, mit denen sie die ersten Kabinette bilden, die Oberpräsidien und Regierungspräsidien notdürftig besetzen konnten. Sie hatte jedoch keine Offiziere und Beamten, um in der Armee, in den Behörden Ablösungen größeren Umfanges vorzunehmen. Im Kriegsministerium saßen weiterhin die Angehörigen der alten preußischen Adelsfamilien, die in den Kadettenkorps, in ihren Regimentern und im Großen Generalstab eine zu scharfe Ausprägung erfahren hatten, als daß sie unter dem Kommando des „Sattlermeisters" Ebert, unter der Fahne „Schwarz-Rot-Mostrich" anders gedacht hätten als früher. Im Auswärtigen Amt, in den übrigen Reichsministerien blieben die Alten Herren eines Hohen Kösener SC und Reserveoffiziere „guter" Regimenter. Die mittlere Beamtenschaft bestand aus den früheren „Civil-Supernumeraren", die unteren Beamten waren in der Regel altgediente Soldaten. Dieser Staatsapparat war so festgefügt, der Zugang zu allen Ämtern so monopolisiert gewesen, daß man die Verwaltung notgedrungen übernehmen mußte, wie sie war, zumal der Staat sich durch die Aufstandsbewegungen der äußersten Rechten und Linken, den Währungszerfall und die sozialen Krisen schwerstem Druck ausgesetzt sah. Republikanische Offiziere, demokratische Beamte gab es in Preußen-Deutschland überhaupt nicht. Es wurde jedoch in zahlreichen Verwaltungszweigen versäumt, die Ablösungen später nachzuholen. Die Inhaber dieser Ämter dienten der Republik, in deren Eid und Sold sie getreten waren, mit einer sehr zweifelhaften Loyalität. Ihre Gesetze und Verordnungen wurden höchst eigenmächtig ausgelegt, Außenseiter sehr bald wieder weggedrängt, junger Nachwuchs nur in dem Maße zugelassen, in dem er den Anschauungen der Vergangenheit entsprach. Ihr instinktsicheres Bestreben ging dahin, die frühere Unabhängigkeit der Exe- kutive von der Legislative wiederherzustellen.
Die von dem Führer der Deutschnationalen, Hugenberg, im Jahre 1925 betriebene Wahl des Generalfeldmarschalls von Hindenburg zum Reichspräsidenten führte einen beträchtlichen Schritt auf diesem Wege weiter. Sie bedeutete die feierliche Anerkennung der Tatsache, daß es eher eine Vorbedingung als ein Hindernis zur Bekleidung höchster republikanischer Staatsämter sei, schon im beseitigten kaiserlichen Regime maßgebliche Stellungen innegehabt zu haben. Außerdem war für die Armee, die Beamtenschaft mit ihm wieder ein Staatsoberhaupt alten Stils gegeben, das über dem Staate und seiner Verfassung stand, und dem sie sich in persönlicher Gefolgschaftstreue verpflichtet fühlten. Die Spekulation Hugenbergs auf die Hindenburg-Legende, die gewaltige Statur, das weiße Haar, den schweren Baß, die breite Ordensschnalle erwies sich als unheimlich geschickt. Die Enthüllungen des Generals Hoffmann und anderer über die wirkliche militärische Rolle Hindenburgs im Kriege waren schnell vergessen, der Vorwurf Ludendorffs über ein gebrochenes Ehrenwort desgleichen. Die Feststellung seines letzten Generalquartiermeisters Gröner: „Worauf Sie sich verlassen können, das ist die Untreue des alten Herrn", wurde nicht gehört. Das Idol der Kriegsjahre, der „Sieger von Tannenberg'',wurde gerade von den politisch Ahnungslosen, die leider stets die große Mehrheit des deutschen Volkes ausgemacht haben, wieder mit Begeisterung begrüßt. In den Krisenjahren konnte Hugenberg, der mit seinen Agenturen, seinen Zeitungs- und Filmkonzernen die Symbole und Institutionen der Republik inzwischen nach Kräften herabgesetzt hatte, daher mit großem Erfolg die Parole: „Mehr Macht dem Reichspräsidenten!" ausgeben. Es genügte dann, einen ständigen Staatsnotstand anzunehmen und dem hierfür vorgesehenen Artikel 48 der Reichs? verfassung (mit seinen Bestimmungen über das Notverordnungsrecht) eine unbeschränkte Auslegung zu geben, und die Herrschaft der Exekutive war wieder hergestellt. Die gesetzgebende Körperschaft, der Reichstag, war wieder zu einem Scheingebilde geworden.
Diese Entwicklung mußte für die junge Republik um so folgenschwerer sein, als in der Person ihres zweiten Reichspräsidenten ein grundsätzlicher Gegner an ihre Spitze getreten war. In seinen Erinnerungen hatte Hindenburg 1919 der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß einstmals wieder „jener Fels aus dem Meer des völkischen Lebens auftauchen werde, auf dem vor fast einem halben Jahrhundert die Zukunft des Vaterlandes begründet worden sei: das deutsche Kaisertum". Im Gegensatz zu einer Loyalitätserklärung, die er vor seiner Wahl abgegeben hatte, und im Widerspruch zu seinem Amtseid hat dieser höchste Diener der Republik kein anderes Ziel im Auge gehabt, als die Republik möglichst bald wieder zu beseitigen. In seinem „Politischen Testament" hat Hindenburg im Rückblick auf das Jahr 1925 später selbst geschrieben: „Dabei war mir bewußt, daß das Staatsgrundgesetz und die Regierungsform, welche sich die Nation in der Stunde großer Not und innerer Schwäche gegeben, nicht den wahren Bedürfnissen und Eigenschaften unseres Volkes entspreche. Die Stunde mußte reifen, wo diese Erkenntnis Allgemeingut wurde." Er hat nach seinen eigenen Worten nur gewartet, „bis diese Stunde anbrach..."
Diese Worte sind wie wenig andere geeignet, Licht auf die nationale „Revolution von oben" zu werfen, die dem nationalsozialistischen „Aufstand von unten" erst seine Möglichkeiten gegeben hat. Es wäre dem 77jährigen Generalfeldmarschall von Hindenburg selbstverständlich unbenommen gewesen, in seinen Gefühlen und Erinnerungen bis an sein Lebensende der Hohenzollerndynastie und dem Zweiten Reich anzuhangen. Die Republik war so großzügig, die geschlagenen Führer eines gestürzten Regimes weiterhin im Glanze ihrer Waffen, Ehrenzeichen und Uniformen paradieren zu lassen und sie selbst dann noch mit großen Ruhegehältern zu bedenken, wenn sie bei ihren zahlreichen Gedenktagen, Regimentsfeiern und Kriegervereinsfesten nichts anderes taten, als die Gegenwart herabzusetzen und die Vergangenheit zu preisen. Im Munde eines Hindenburg ist die Dolchstoß-Legende allerdings besonders peinlich. Die militärische Katastrophe des Jahres 1918 war niemandem aus eigener Anschauung so unmittelbar bekannt wie gerade diesem Manne, der zu ihren Hauptakteuren gehört hatte. Es war schließlich Hindenburg selbst gewesen, der als damaliger Chef der Obersten Heeresleitung im August die sofortige Bitte um Waffenstillstand verlangt, im November auf die Abdankung und den Grenzübertritt Kaiser Wilhelms II. gedrungen, in den Wintermonaten die geschlagenen Heere in die Heimat zurückgeführt hatte. Wenn man dieses Kriegsende überhaupt als Schwäche auffassen will - in Wirklichkeit war es die notwendige Folge eines politisch und militärisch sinnlosen Krieges - so war sie zum guten Teil seine höchstpersönliche eigene Schwäche gewesen. Es verrät weder Vornehmheit noch Sauberkeit des Denkens, sie nachträglich dem nachfolgenden Regime anzuhängen. Zu den unlautersten Handlungen der neueren deutschen Geschichte gehört es jedoch, daß Hindenburg das ihm angebotene Amt eines Präsidenten der Republik nicht abgelehnt, sondern - mit dem Wunsch im Herzen, diese Ausgeburt nationaler Schwäche möglichst bald wieder beseitigt zu sehen - die Schwurfinger auf ihre Verfassung gelegt hat.
Die Republik ist also schon im Jahre 1925 an der Spitze verraten worden. Es bildete sich sofort wieder eine Art Oberster Heeresleitung, eine Art Kaiserlichen Hauptquartiers um den Marschall, wenn auch zunächst unter Wahrung des republikanischen Dekorums. Der Oberst Oskar von Hindenburg wurde seinem Vater als Adjutant beigegeben, während es wohl richtiger gewesen wäre, von einem Chef des Militärkabinetts zu sprechen. Der Staatssekretär Meißner hätte zutreffender Chef des Zivilkabinetts genannt werden sollen. Das Reichswehrministerium trat zugleich in den Mittelpunkt des politischen Geschehens. General von Schleicher, mit dem Sohne Hindenburgs vom gleichen Garde-Regiment her eng befreundet, wurde zum Chef eines „Ministeramtes im Reichswehrministerium" ernannt. In dieser Zentrale des Reichswehrministeriums lebte nichts Geringeres als die berüchtigte „Politische Abteilung" des Großen Generalstabes wieder auf, die Hindenburg und Ludendorff im Jahre 1917 geschaffen hatten. Unter dem Marschall war es mit der Autonomie, welche die Reichswehr in der Republik gefordert und durchgesetzt hatte, nicht mehr getan. An ihre Stelle trat die Tendenz, die Staatsgeschäfte in ihrer Gesamtheit zu beeinflussen. Die „Erwartungen", die den Reichspräsidenten von Hindenburg im Jahre 1925 bewegten, standen auf folgender Grundlage: „Symbol und fester Halt für diesen Aufbau mußte die Hüterin des Staates, die Reichswehr sein." Also nicht nur Staat im Staat, sondern auch Promotor und Träger des staatlichen Regimes als solchem, seine Hüterin schlechthin! Eine militaristische Staatsauffassung, wie sie reiner nicht gedacht werden konnte. Ein neues „Hindenburg-Programm", wie es schon im Jahre 1917 zu wachsenden Eingriffen der Obersten Heeresleitung in die allgemeine Staatsleitung geführt hatte, mit Entlassung von Reichskanzlern, Auswechselung von Kabinetten, Erzeugungsplänen für die Landwirtschaft und Industrie, Propaganda- und Pressestellen, vaterländischem Unterricht für Heer und Volk, allgemeiner Arbeitspflicht und Rationierungssystemen für den zivilen Verbrauch .
Diese Entwicklung führte in den Krisenjahren, die mit dem Oktober 1929 begonnen hatten, zur Reihe jener Präsidialkabinette, die mit der halbparlamentarischen Regierung Brünings begannen, plangemäß über Papen zu Schleicher führten, um mit einer höchst gefährlichen Improvisation bei Hitler zu endigen. Schon für die Berufung Brünings war es entscheidend, daß er im Kriege Offizier gewesen war, wenn auch nur in der Reserve, und als Verehrer des Marschalls sowie der preußisch-deutschen Reichstradition galt. Er wurde gehalten, bis er im Jahre 1932 die zweite Wahl Hindenburgs durchgeführt hatte. Nach seiner Entlassung konnte jedoch niemand mehr Reichskanzler werden, der sich nicht mit Wort und Handschlag ausdrücklich auf die Wiederherstellung des Kaisertums unter den Hohenzollern verpflichtet hatte. Erst nachdem diese „Interpretation" im Sinne der brandenburgisch-preußischen Geschichte klargestellt war, wurde es ihm gestattet, den Amtseid auf die republikanische Reichsverfassung abzulegen. Das neue Herrschaftssystem sollte nach der Absicht der Herren von Papen, von Schleicher usw. in dynastischem Gewande die Standesherrschaft des Adels und des Militärs wiederherstellen, neben welche diesmal noch die Schwerindustriellen und die hohe Bürokratie treten sollten. Man wollte bis vor das Jahr 1850 zurückgehen, um endlich wieder „klare Verhältnisse" zu schaffen, wie Chamisso sie schon in seinem „Nachtwächterlied" gezeichnet hatte: „Hört, ihr Herrn, so soll es werden: Gott im Himmel, wir auf Erden, und der König absolut, wenn er unsern Willen tut." Im Jahre 1932 wurde vorübergehend erwogen, die Monarchie auf dem Wege über eine Militärdiktatur wiederherzustellen. Dieser offene Staatsstreich hätte jedoch im Inland wie im Ausland starke Widerstände wachgerufen, so daß man bei dem ursprünglichen Plan blieb, zunächst die Aufrüstung noch etwas weiterzuführen, und den Vorgang ferner mit dem Schein einer Volksbewegung zu umgeben. Die der Harzburger Koalition angeschlossenen Organisationen, insbesondere der „Stahlhelm" und die NSDAP, sollten im gegebenen Zeitpunkt die Demonstranten stellen, die in der künstlich hochgetriebenen Krise die Errichtung eines „sozialen Kaisertums" als letzte Rettung verlangten. Sie sollten die neue Thronbesteigung der Hohenzollern mit Applaus, Jubel und Rührung umgeben. Der Konflikt zwischen Papen und Schleicher entstand, abgesehen von dem Ehrgeiz und der Eitelkeit Papens, nur darüber, daß Papen mit Hitler die rechte Mehrheit der NSDAP heranziehen wollte, während Schleicher mit Strasser die linke Mehrheit dieser Partei hinter sich bringen wollte, um so auch noch die Freien Gewerkschaften und damit einen Teil der Sozialdemokratie gewinnen zu können. Der letzte Plan war an sich sehr viel klüger, großzügiger und zynischer.
In diesem Staatskomplott hat der alte Generalfeldmarschall selbst die führende Rolle gespielt. Da er in seinem Denken sehr beschränkt war, so standen die Anschauungen und Vorstellungen, die er sich in seiner Jugend einmal gebildet hatte, um so unverrückbarer fest. Dieser eigentümliche Präsident der Republik hätte alle Aussicht gehabt, daß sein Staatsstreich gelungen wäre, wenn er nicht seinen Generalstabschef Schleicher genau so rücksichtslos hätte fallen lassen, wie er früher Ludendorff und andere fallen gelassen hatte, um auf den wendigeren Papen hineinzufallen. Dieser wußte ihm den „böhmischen Gefreiten" jetzt als bewährten Anhänger des Hauses Hohenzollern hinzustellen, während Schleicher unter dem Einfluß von Strasser und Leipart zum „Agrarbolschewisten" geworden sei. In der Tat hat Hitler am 29. Januar in Gegenwart Papens dem Reichspräsidenten feierlich geschworen, daß er nach besten Kräften an der Wiedereinsetzung der Hohenzollern-Dynastie mitwirken werde. Dieses Gelöbnis bildete die eigentliche, letzte Voraussetzung zu seiner Berufung als Reichskanzler. Der Danziger Senatspräsident Rauschning, der diesen Vorgängen aus nächster Nähe beigewohnt hat, bestätigt nachdrücklich, daß Hitler mehrfach bindende Zusagen über die Wiedereinführung der Monarchie gemacht habe. Dies ist die Grundlage gewesen, auf der das „Kabinett der nationalen Konzentration" zustande gekommen ist. Als Hindenburg am Abend des 30. Januar den Fackelzug abnahm, und als er am 21. März in der Garnisonkirche von Potsdam mit Papen und Hitler an die Bahre „unseres größten Königs" trat, glaubte er die Republik der Schwäche beseitigt und die Wiederkehr des zweiten Kaiserreiches gesichert zu haben.
In der Erklärung, die Hitler zwei Tage später vor dem Reichstag abgab, hat er im Namen der Reichsregierung dies Gelöbnis noch einmal bestätigt. Nach einem Hinweis auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, denen die erste Sorge gelten müsse, bemerkte er: „Die nationale Regierung sieht daher die Frage einer monarchistischen Restauration, nur aus dem Grunde des Vorhandenseins dieser Zustände, zur Zeit als indiskutabel an." Diese Wendung mußte den Wissenden als Erneuerung und Bekräftigung seiner Zusagen erscheinen, die nur deshalb etwas unbestimmt gehalten sei, damit die große Menge ihre Tragweite nicht vorzeitig erkenne. Die Öffentlichkeit hingegen ging, wie Hitler richtig berechnet hatte, über diese Bemerkung als eine im Grunde billige Abspeisung der Deutschnationalen Volkspartei hinweg. Es ist jedoch kein Zweifel, daß die Hohenzollern-Dynastie gleichfalls davon überzeugt war, ihre Restauration stehe bevor. Der Kronprinz, dessen Sohn unter General von Seeckt schon vor Jahren an den Manövern der Reichswehr teilgenommen hatte, hat große Zuwendungen an die NSDAP gemacht. Der Kaiser, die Kaiserin und zahlreiche ihrer Getreuen haben die Partei jahrelang unterstützt. Als Prinz August Wilhelm bei einem SA-Krawall in Königsberg von der Schutzpolizei Prügel mit dem Gummiknüppel bezogen hatte, schrieb ihm Wilhelm II. aus Doorn: „Du darfst stolz sein, daß Du zum Märtyrer dieser großen Volksbewegung werden durftest." Da der Hohenzollern-Aar seinen Stolz bisher nicht gerade auf diesem Felde gesucht hatte, konnte der Chef der Dynastie nur die Zukunft seines Hauses im Auge haben, wenn er es über sich gewann, die NSDAP als große Volksbewegung anzuerkennen.
Der Reichspräsident, der Reichswehrminister, die deutschnationalen Kabinettsmitglieder würden Hitler auch wohl nicht zu den Heldentaten des 30. Juni 1934 beglückwünscht haben, wenn sie sich nicht im Komplott mit ihm geglaubt, ja als die eigentlichen Nutznießer betrachtet hätten. Die Vorgänge erschienen ihnen im Grunde als eine Bewährung Hitlers, der mit der SA die unmittelbare Rivalin der Armee, den Anziehungspunkt aller unkontrollierbaren Kräfte, die erklärten Gegner einer Restauration ausgeschaltet habe. Andernfalls wäre es in diesem Zeitpunkt noch verhältnismäßig leicht für sie gewesen, Hitler wieder zu beseitigen. Das „Kabinett der nationalen Konzentration" war ein Präsidialkabinett wie andere vor ihm. Eine Anordnung des Reichspräsidenten hätte genügt, um ihm seinen Auftrag wieder zu nehmen und die vollziehende Gewalt auf die militärischen Kommandeure übergehen zu lassen. Auch das Ermächtigungsgesetz wäre kein Hindernis gewesen, da das so oft angerufene Notstandsrecht in jedem Falle beim Staatschef, nicht beim Regierungschef lag. Der braune Spuk wäre in 24 Stunden zerstoben gewesen. Aber sind die Herren, die zunächst so erstaunlich gelassen blieben, in den nächsten Wochen nicht doch von dem allgemeinen Entsetzen ergriffen worden, das durch Deutschland und die Welt ging? Ist das Bild der Erschlagenen, vor allem die Gestalt des von ihm so schmählich preisgegebenen Generals von Schleicher nicht doch dem alten Marschall nach Neudeck nachgegangen? Hat ihn auf seinem Sterbebett nicht doch die Ahnung angeweht, daß er seinen Amtseid vergeblich gebogen und gebrochen habe? Er hielt es jedenfalls 24 Stunden vor seinem Ableben für notwendig, sich von Hitler ein letztes Mal die Meinhand darauf geben zu lassen, daß er die Wiederaufrichtung des zweiten Kaiserreiches nach Kräften fördern werde. Seine Umgebung scheint von der Befürchtung, daß sie die betrogenen Betrüger sein könnten, erst dann wirklich befallen worden zu sein, als Hitler schon vor dem Tode Hindenburgs die Nachfolge usurpierte, die Armee in wenigen Stunden auf seine Person vereidigen ließ, und das Gezerre um das Testament begann, bei dem sie sich nur noch kleine persönliche Vorteile sichern konnte.
Es ist auf den ersten Blick überraschend, daß die Geheimgeschichte der Jahre 1925 bis 1934 nicht bei dieser Gelegenheit an die Öffentlichkeit gelangt ist. Bei näherer Prüfung wird diese Tatsache jedoch leicht verständlich. Die Herren Oskar von Hindenburg, von Papen, Meißner, Hugenberg, von Neurath usw. hatten den Wortlaut und erst recht den Sinn der geltenden Verfassung, auf die sie mit mehrfachen Eiden festgelegt waren, schon gröblich verletzt, als Hitler noch der Führer einer überschuldeten, vor dem Zusammenbruch stehenden Partei war. Sie hatten ein Komplott gegen den neuen deutschen Staat eingeleitet, das erst die Voraussetzungen zu den weiteren Ereignissen geschaffen hat. Wenn es mit ihrem Appell an das deutsche Volk gelungen wäre, die national= sozialistische Diktatur jetzt nrch abzuschütteln, so hätten sie sich zunächst selbst bezichtigen müssen. Die Republik, wieder in ihre Rechte eingesetzt, würde die „nationalen" Hochverräter diesmal schonungslos zur Verantwortung gezogen und ihre Anhänger endlich aus den amtlichen Stellungen entfernt haben. Alles, was seit der ersten Wahl Hindenburgs in mühsamen Etappen gewonnen war, wäre
/ damit weggefallen. Darüber hinaus wären aber auch noch jene Positionen verlorengegangen, die man 1918 zu retten verstanden hatte. Diese Reinigung hätte das wirkliche Ende des Zweiten Reiches bedeutet, die Republik hätte endgültig eine eigene, geschlossene Verwaltung gehabt. Anderseits klammerten sich diese Kreise immer noch an die Illusion, Hitler in einem späteren Zeitpunkt, etwa nach Durchführung der Aufrüstung, vielleicht doch noch ihrerseits über den Löffel barbieren zu können.
Es gibt noch einen Grund, der den beiden Hindenburgs, dem Großgrundbesitz, der Schwerindustrie während dieser entscheidenden Jahre den Mund geschlossen hat. Es ist ein recht peinlicher Grund: sie hatten alle sehr kräftig „genommen". Der kaiserliche Generalfeldmarschall a. 0. von Hindenburg hatte in Hannover nur ein allerdings sehr hohes Ruhegehalt, das ihm die Republik in Gnaden bewilligt hatte, ohne daß er, wie bei seiner ersten Pensionierung unter Wilhelm II., seine "körperliche und geistige Behinderung durch eine Kopfverletzung" geltend machen mußte, um eine Zusatzrente zu erhalten. Als er Reichspräsident wurde, ließ er sich bald ein erstes größeres Geschenk machen. Es wurde ihm zwar als ,Nationalgeschenk" übergeben. die Sammlung wurde 1927 formell durch den ..Bund der Frontsoldaten" durchgeführt, und man verkleidete die finanzielle Bedeutung dieser Gabe, indem man den früheren Besitz der Familie Hindenburg, das Gut Neudeck in Ostpreußen, als Gegenstand wählte. In Wirklichkeit waren es natürlich die Rüstungsindustriellen gewesen, welche die hohen Beträge aufgebracht hatten. Hat Neudeck nun die Bezahlung dafür dargestellt, daß Hindenburg sich nach dem Wunsche des deutschnationalen Interessenverbandes, der andernfalls keinen aussichtsreichen Kandidaten gehabt hätte, zur Übernahme der Präsidentschaft bereit erklärt hatte? Der Vorschlag, durch Sammlung die Mittel zum Kauf von Neudeck aufzubringen, ist von dem persönlichen Freunde Hindenburgs und eifrigsten Mitgliedes des Wahlkomitees, Herrn von Oldenburg-Januschau ausgegangen, dem vielfach die listige Absicht zugeschrieben wurde, Hindenburg an die Interessen der ostpreußischen Landwirtschaft zu binden. Diese Erklärung ist nicht recht überzeugend, weil schon zahlreiche Möglichkeiten der persönlichen Einflußnahme auf den alten Herrn bestanden, und die Besetzung des Reichsernährungsministeriums keineswegs dem Zufall überlassen worden war. Es könnte sehr wohl umgekehrt gewesen sein, daß Hindenburg schon hinter dem Vorschlag des Januschauers stand. An der eigenen Initiative Hindenburgs ist jedoch kaum zu zweifeln, als er einige Jahre später erneut eine Sammlungsliste für sich herumgehen ließ. Diese zweite Kollekte, die sehr diskret erfolgte, wurde damit begründet, daß Hindenburg als Reichspräsident sich nicht gut aus den Mitteln der staatlichen Osthilfe bedienen könne, wofür er „entschädigt" werden !Nüsse. Die Rüstungsindustriellen werden diese Entschädigung, die zeitlich mit dem Bau der Panzerkreuzer und anderen großen Aufträgen zusammenfielen, wohl auf das Konto Provisionen gebucht haben. Der dritte, bedenklichste Fall ist der, daß Hindenburg nach der Machtergreifung den früheren Leutnant Göring, der als Flieger im Weltkrieg vorzeitig zum Hauptmann befördert und dann verabschiedet war, entgegen jeder militärischen Tradition unvermittelt zum General der Infanterie ernannte, während Göring in seiner Eigenschaft als preußischer Ministerpräsident dem Reichspräsidenten zwei neue „Ehren-gaben" darbrachte, nämlich die Staatsdomäne Langenau sowie den gewaltigen Staatsforst Reußenwald, die mit Neudeck gemeinsame Grenzen hatten. Nachdem Hindenburg schon das Nationalgeschenk Neudeck nicht auf seinen, sondern auf den Namen seines Sohnes hatte eintragen lassen, um die spätere Erbschaftssteuer zu vermeiden, ließ er jetzt den gesamten, riesigen Komplex „für ewige Zeiten steuerfrei" erklären ...
Es ist also nicht ganz unverständlich, daß der Reichspräsident 1932 die Enthüllungen über die Osthilfe wie die Pest scheute; daß keine Einflüsterung solche Wirkungen bei ihm erzielte wie die, daß jemand die großen Güter Ostelbiens wieder zu bäuerlichen Ansiedlungen aufteilen wolle, somit „Agrarbolschewist" sei; daß eine moralische Absetzung vom Nationalsozialismus nicht mehr möglich war, seitdem dieser 1933 Einsicht in die amtlichen Akten erhalten hatte. Der pensionierte Generalfeldmarschall hatte sich als Reichspräsident immerhin zum ewig steuerfreien Besitz von drei Gütern verholfen, von denen zwei unmittelbares Staatseigentum gewesen waren. Der „Hindenburg-Skandal" hätte jeden Barmat-, jeden Kutisker-Skandal weithinter sich gelassen. Ähnliche Hemmungen lagen bei nahezu dem gesamten ostpreußischen Adel, bei fast allen ostpreußischen Großgrundbesitzern vor. Der Januschauer, Freund und Vertrauter Hindenburgs, hatte aus den staatlichen Mitteln, die „zur Entschuldung der notleidenden Landwirtschaft" bereitgestellt waren, seine runden 621 000 Mark erhalten, mit denen er sich zu seinen drei Rittergütern noch ein viertes hinzugekauft hatte. Auch die Kaiserin Hermine, eine der reichsten Frauen Deutschlands, hatte sich als notleidende Landwirtschaft präsentiert. In zahlreichen Fällen waren Viererzüge und Autos gekauft, in anderen Fällen Reisen an die Riviera unternommen worden. An die mittleren und kleinen Bauern hatten die Herren dabei sehr wenig gedacht. Im Jahre 1932 hatten 722 Großgrundbesitzer 60 Millionen, 12 000 bäuerliche Besitzer 69 Millionen Mark erhalten. Insgesamt hat die Stützung des ostelbischen Großgrundbesitzes Milliarden gekostet, da gleichzeitig noch gewaltige Getreidezölle zu seinen Gunsten getragen, große Ankäufe von Kartoffelsprit zu volkswirtschaftlich sinnlosen Stützungspreisen vorgenommen und äußerst erhebliche Steuernachlässe gewährt wurden.
Die Schwerindustrie ihrerseits hatte gleichfalls schon schwer genommen. Die Inflation war ihr eine Gelegenheit gewesen, ihre eigenen Aktien zurückzukaufen und beträchtliche Beteiligungen hinzu zu erwerben. Für diesen recht gewinnbringenden „Ruhrkampf", der die Mark im Jahre 1923 von 18 000 auf 4,2 Billionen fallen ließ, erhielt sie 1924 eine „Entschädigung" von 700 Millionen Goldmark zugesprochen, während der deutsche Mittelstand vernichtet blieb. In den Krisenjahren nach 1929 wurden große Konzerne wie der „Stahlverein" dann erneut mit Hunderten von Millionen saniert. Das eigentliche Geschäft sollte jedoch erst noch kommen. In der Erkenntnis, daß die überdimensionierte Schwerindustrie nur durch ein ganz anderes Ausmaß von Rüstungsaufträgen zu retten sei als Hindenburg ihr bisher verschafft hatte, setzte sie dann in wachsendem Maße auf den Nationalsozialismus. Die Industrie von „Kohle und Eisen" mußte - zum Unterschied von der Finanz, dem Handel, der kleinen und mittleren, verarbeitenden Industrie- außenpolitische Spannungen haben, die so krisenhaft zugespitzt werden konnten, daß sie wenigstens bis zum unmittelbaren Kriegsrisiko gingen, wenn aus den Millionen-Aufträgen endlich wieder Milliarden-Aufträge werden sollten. Die NSDAP, die mit den übrigen nationalen Verbänden früher schon aus dem „Ruhrschatz" mitbedacht worden war, erhielt jetzt regelrechte Umlagen auf die Förderung. Nach der entscheidenden Besprechung Papens mit Hitler, die am 4. Januar 1933 im Hause des Herrn von Schröder in Köln stattfand, deckten die Herren Springorum und Vögler ihre Schulden ab. Ob Hindenburg oder Hitler, ob zurück zum Zweiten oder vorwärts ins Dritte Reich: wenn nur Panzerplatten gewalzt, Geschützrohre gegossen und Granaten gedreht werden konnten! Wenn von irgendeiner Seite kein Widerstand gegen den außen- und innenpolitischen Kurs zu erwarten war, der „Massenaufträge bei gleichbleibendem Gehalts- und Lohnniveau" zur Folge haben sollte, dann von seiten jener schwerindustriellen Mammutgebilde, die seit ihrer Gründung entweder mit Rüstungen Riesengewinne erzielt haben oder sich am Rande des Konkurses bewegten.
Die hohen Offiziere, die hohen Beamten sind auf den gleichen sanften Wegen von der nationalen in die nationalsozialistische Revolution hinübergeglitten. Einige von ihnen waren Mittäter, andere Mitwisser um das Staatskomplott des Reichspräsidenten-Palais gewesen, so daß sie den Rechtsboden schon verlassen hatten. Manche von ihnen besaßen Güter oder größere industrielle Beteiligungen, so daß sie selbst Nutznießer der Zuwendungen gewesen waren. Viele von ihnen waren mit dem Großgrundbesitz, der Schwerindustrie verschwägert und versippt. Auf der anderen Seite winkten ihnen außerordentliche Möglichkeiten, wenn die Armee, der gesamte Staatsapparat jene Aufblähung erfuhr, wie sie der Nationalsozialismus in Aussicht stellte: Die Offiziere konnten mit schnellen Beförderungen rechnen, dem Kommando über große Verbände, hervorragender technischer Ausrüstung, vielleicht einem neuen Kriegsabenteuer, vielleicht glänzenden Siegen und Eroberungen. Die hohe preußisch deutsche Bürokratie konnte auf jene schrankenlose Exekutivgewalt hoffen, nach der es sie gelüstete, und auf eine Ausweitung ihrer Dienststellen ins Ungemessene. Sowohl die Offiziere wie die Beamten überließen sich diesen Versuchungen natürlich nur mit dem stillen Vorbehalt, daß es der Bendlerstraße und der Wilhelmstraße nach einiger Zeit doch wieder gelingen werde, die Zügel fest in die eigene Hand zu nehmen. Eine völlige Verkennung der Tatsache, daß im Wettlauf der Rechtlosigkeit stets der Bedenkenloseste Sieger bleiben muß!
So kam es denn, wie es kommen mußte. Nach einiger Zeit nahm auch Mackensen Pferde, Autos und die Domäne Brüssow als „Ehrengaben" entgegen, worauf er den „Stahlhelm" auflösungsreif fand. Die Generäle der neuen Wehrmacht ließen sich von dem Gefreiten zu Generalobersten und Generalfeldmarschällen ernennen, Kreuze mit Eichenlaub und Schwertern verleihen,
Wagen und Güter schenken, zum Neujahrstag gelegentlich einen Umschlag mit 200 000 Mark in die Hand drücken. Die hohen Ministerialbeamten erhielten, wenn sie sich in Gunst zu setzen wußten, Wohnungsgelder, Aufwandsentschädigungen und „Leistungszulagen", die das Mehrfache ihrer normalen Gehälter ausmachten. In anderen Fällen wurden mehrere Staatsämter übernommen, zu denen oft noch ein Parteiamt hinzukam, so daß auch hier eine Vervielfachung des Einkommens vorlag. Alles das geschah in grotesker Anpassung an die amtliche Rangordnung; auch die Kassen wurden nach Dienstgrad und Altersstufe geplündert. In der Provinz bildeten sich um die Gauleiter Amtsstellen, welche die Zentralverwaltungen an Korruption oft noch übertrafen. Gleichzeitig wurden von der großen Menge der Beamtenschaft die größten Leistungen verlangt, und die graue Masse der Staatsuntertanen stärkstem Druck unterworfen, um in Form von Abgaben, Beiträgen, Zeichnungslisten, Straßensammlungen, „eisernem Sparen" usw. das Äußerste abzupressen, was ihnen nur abgepreßt werden konnte.
Es ist eine einzige Kette gedanklicher Fehler politischer Ränke, immer wiederholter Wort- und Rechtsbrüche, blinder Jagd nach dem eigenen Vorteil, die Deutschland - mit, ach, wie weichen und fließenden Übergängen - ins Dritte Reich hinübergeführt haben.
Lastendes Erbe
„Ich habe oft einen bitteren Schmerz empfunden bei dem Gedanken an das deutsche Volk, das so achtbar im einzelnen und so miserabel im ganzen ist."
Goethe.
Das Bild dieses Abgleitens ist so erschütternd, daß sich die Frage aufdrängt: wie sind die Anschauungen vom Staat, vorn Recht, von der Gesellschaft beschaffen gewesen, die derartig leichte, bruchlose Übergänge überhaupt möglich machten? Auf welcher geistigen Grundlage haben sich diese Entartungen vollziehen können? An welche Vorstellungen konnte der Nationalsozialismus anknüpfen, um die Zustimmung zu nächst einer Minderheit, dann leider einer wachsenden Mehrheit des deutschen Volkes zu gewinnen . ..?
Es ist immer wieder Brandenburg-Preußen, das als Ausgangspunkt genommen werden muß, wenn man den Gang der neueren deutschen Geschichte wirklich verstehen will. Jene Gebiete von Sand und Sumpf, die als letzte besiedelt, am spätesten christianisiert, am schnellsten wieder säkularisiert, zum Vorbild des modernen Militärstaates schlechthin werden sollten. Auf ihrem Boden, wo eine dünne deutsche Oberschicht, mit eingeborenen Stammesfürsten gemischt, über abgesprengte slawische Völkerschaften gebot, konnten sich Herrschafts- und Besitzverhältnisse entwickeln, die der Entfaltung militärischer Macht ebenso dienlich waren, wie sie alle Ansätze geistigen Lebens, bürgerlicher Kultur immer wieder schnell verdorren ließen.
An der römischen Geschichte hat Preußen überhaupt nicht, an der mittelalterlichen Geschichte und am Humanismus, die
den Formen abendländischen Denkens und Lebens ihre eigentliche Ausprägung gegeben haben, nur in den letzten Ausläufern teilgenommen. Die lutherische Reformation, das calvinische Bekenntnis wurden hier weitgehend in den Dienst des Hauses Hohenzollern gestellt, und der Einfachheit halber später durch Königliche Kabinettsordre kurzerhand vereinigt. Die Aufklärung, das Barock, der Klassizismus, die Romantik haben ihre Wellen hierhin geschlagen, doch weder in der Dichtung noch in den bildenden Künsten eigene Gestaltungen hervorgebracht; der Pietismus sammelte, wie überall, nur die „Stillen im Lande" hinter sich. Die Universitäten lebten von fremdem Zuzug. Immanuel Kant, der nur als Philosoph einer erkenntnisblinden Pflicht begriffen wurde, war vermutlich schottischer Abstammung. Der eigentliche Begründer der preußischen Staats- und Geschichtsphilosophie, Hegel, war Schwabe; der Prophet Preußens, Fichte, kam aus der Lausitz; sein großer Historiker, Treitschke, war Sachse. Seine staatmännischen Organisatoren waren der Hesse Freiherr vom Stein und der Hannoveraner Freiherr von Hardenberg, die beide mit größter Skepsis an ihre Aufgabe herangingen, und deren Wirken nur ein kurzes liberales Zwischenspiel in der preußischen Geschichte einleiten konnte.
Sogar auf seinem ureigensten Gebiete, dem militärischen, mußte es die eigentlichen Begabungen aus anderen Ländern und Diensten heranziehen, so Blücher aus der schwedischen Armee, Scharnhorst aus dem hannoverschen Heer, Gneisenau aus dem österreichischen und ansbachischen Dienst, Moltke aus Dänemark. Hingegen hat Preußen Subalternoffiziere und Unteroffiziere hervorgebracht, die ihresgleichen suchten. Die Soldaten wurden in härtester Manneszucht gehalten. Wenn es auch im 19. Jahrhundert keine Stockschläge und keine Spießruten mehr gab, so mußte die Disziplin nach einem Worte Yorks von Wartenberg doch „scharf wie gehacktes Eisen" sein. Der leitende Grundsatz für die Ausbildung war der, daß der Soldat „den Vorgesetzten in seinem Rücken mehr fürchten müsse als den Gegner vor sich".
Der Kampf Potsdams gegen Wien, insbesondere der Erste und Zweite Schlesische Krieg Friedrichs II. gegen Maria Theresia, hat erheblich zur Schwächung des alten Deutschen Reiches beigetragen. Im 19. Jahrhundert hat Preußen dann eine föderative gesamtdeutsche Lösung verhindert, indem es den Deutschen Bund sprengte. Die eigentliche Katastrophe der deutschen Geschichte stellt es jedoch dar, daß dieser Grenzstaat dann dazu überging, die west- und süddeutschen Länder seinem Willen zu unterwerfen und zu einem neuen Gebilde zu vereinigen, das man das großpreußische Reich hätte nennen sollen. Durch seine Gründung hat Bismarck, der Kanzler von Blut und Eisen, das Lebensgesetz Preußens, nämlich Krieg und Eroberung, auf Deutschland übertragen, mit allen Folgen, die dieser Vorgang im 20. Jahrhundert zeitigen sollte.
Die Expansion Preußens in Deutschland hat durch die neudeutsche Geschichtsschreibung eine so einseitige, lückenhafte Darstellung erfahren, daß die Bedeutung dieser Vorgänge dem Bewußtsein der nachfolgenden deutschen Generationen bald wieder entfallen ist, von dem kurzen Gedächtnis des übrigen Europa ganz zu schweigen. Wer weiß heute noch, daß die ersten Besitzungen, die dem Hause Hohenzollern in Westdeutschland durch sehr verwickelte und umstrittene Erbschaftsansprüche zugefallen sind (Cleve, Mark und Ravensberg), unter eigenem Landesrecht standen, das ihnen hätte belassen werden müssen? Wer außerhalb des Rheinlandes und Westfalens denkt noch daran, daß der größere Teil dieser alten, freien, reichsunmittelbaren Gebiete erst seit 1815 an Preußen angeschlossen worden ist, mit dem sie weder stammesmäßig noch geschichtlich das geringste zu tun hatten, ja von dem sie damals auch geographisch noch völlig getrennt waren? Wer außerhalb Schleswig-Holsteins, Hannovers, Hessen-Nassaus empfindet es noch, daß diese Länder 1864/66 einfach überfallen und eingesteckt worden sind? Wer außerhalb Frankfurts hat überhaupt erfahren, in welcher Art die alte Freie Reichsstadt durch die preußische Armee behandelt worden ist, als sie 1866 „erobert" worden war? Die 50 000 Einwohner, die Frankfurt damals zählte, erhielten unter anderem Kontributionen von 31 Millionen Gulden mit der Drohung der Plünderung auferlegt, so daß der Bürgermeister Fellner sich verzweifelt das Leben nahm. Es ist lange Zeit ein Geheimnis der Archive geblieben, daß Bismarck den Welfen-Fonds, den er aus dem beschlagnahmten Vermögen des Königs von Hannover gebildet hatte, unter anderem dazu verwendet hat, dem geisteskranken König Ludwig von Bayern seine Bauschulden zu bezahlen, um so seine Zustimmung zur Gründung des Zweiten Reiches zu gewinnen. Wie vieles ist heute noch aus der Geschichte dieses „Reptilien-Fonds" unbekannt, der von Bismarck dann systematisch dazu verwendet wurde, sich überall Kreaturen zu kaufen. Das Gesetz, nach dem das Zweite Reich angetreten ist, heißt Krieg und Annexion, Terror und Bestechung ...
In der Gestaltung der inneren Struktur, die er seinem Reiche gab, ist Bismarck in mancher Hinsicht noch über das Vorbild Preußens hinausgegangen. Die Kaiserkrone wurde zu einer in den Lüften schwebenden Autorität, im Grunde nicht mehr von Gottes Gnaden, aber auch nicht von Gnaden der Bundesfürsten, die praktisch Untergebene geworden waren, und gewiß nicht vom Willen des Volkes abgeleitet. An nichts gebunden, zu nichts verpflichtet, war sie im wesentlichen nur dazu bestimmt, die staatlichen Exekutivorgane mit Glanz und Schimmer zu übergießen. An der Spitze der Exekutive, im Besitz der gesamten tatsächlichen Macht - er, der Hüne mit der Fistelstimme, der hysterische Rücksichtslose, der nur sich selbst kannte! Der Souverän war an die Gegenzeichnung seines Reichskanzlers gebunden, aber die Reichsregierung vom Vertrauen des Reichstages unabhängig. Innerhalb der Reichsregierung gab es einen Reichskanzler, aber neben ihm keine Minister; unter ihm durften als Inhaber der einzelnen Ressorts nur Staatssekretäre amten. Das Staatsgrundgesetz, erst recht die Einzelgesetze, banden nach seiner Auffassung nicht die Staatsführung, sondern nur die Untertanen. Da die Verfassung „gewährt" war, konnte sie jederzeit widerrufen werden, wie schon die preußische von 1848, die Wilhelm I. noch im Alter von 87 Jahren als „hundsföttische Constitution" bezeichnete. Es war urpreußisches Gedankenerbe, wenn Bismarck einen Staatsstreich von oben als stets legal bezeichnete. Das parlamentarische Scheingebilde, das mit Rücksicht auf die süddeutschen Länder und das Ausland eingeführt worden war, hatte eigentlich nur das Recht der Haushaltsbewilligung; wenn es diese Bewilligung jedoch ablehnte, ging es genau so gut ohne diese. Jeder Konflikt mit dem Reichstag stellte eine willkommene Gelegenheit dar, ihn vor der Öffentlichkeit herunter-zusetzen und verächtlich zu machen. Die Devise Bismarcks war: „Krone und Heer, und nieder mit der Schwatzbude!" Die einzige Absicht, die ihn bei Einführung des Reichstages geleitet hatte, war nach seinem eigenen zynischen Eingeständnis die, „den Parlamentarismus durch den Parlamentarismus zu stürze n". Wenn er dem Reichstag das "freieste Wahlrecht der Welt" gab, so nur deshalb, weil er ihm keinerlei Einfluß und Macht zubilligte. Der Reichstag ist von seiner Gründung an zum Versagen erzogen worden!
Mit dem dynamischen, dämonischen Genie seines ersten Kanzlers ist die Politik des neudeutschen Reiches sofort auf den Boden moralischer Grundsatzlosigkeit gestellt worden. Bismarck hatte weder eine Beziehung zur Wahrheit noch zum Recht noch zur Treue. Er hat den eigenen wie die fremden Monarchen, die Minister und die Generäle, die Gesandten und die Führer aller Parteien belogen. Auf die Freundschaften, die er Nachbarstaaten zeigte, folgte der Überfall. In junkerlicher Tradition hat Herr von Bismarck nicht die geringsten Bedenken getragen, vom Krieg kräftig für seine eigene Person und für seine Familie zu profitieren. Nachdem der Krieg von 1864 ihm die Erhebung in den Grafenstand eingetragen hatte, ließ er sich nach dem Kriege von 1866 eine Schenkung von 1 200 000 Mark aus der Staatskasse bewilligen, mit denen er die Herrschaft Varzin erwarb. Nach dem Kriege von 1870/71 ließ er sich in den Fürstenstand erheben und den unermeßlichen "Sachsenwald" schenken. Moltke erhielt damals eine Dotation von 900 000 Mark, zahlreiche andere Generäle 300 000 Mark; die Soldaten, welche die eigentlichen Blutopfer gebracht hatten, nichts. Ein Ehrensold für die Kriegsteilnehmer von 1870/71 wurde noch 1910 von der Regierung als finanziell untragbar abgelehnt. Die Spekulationsgewinne, die Bismarck im Zusammenwirken mit dem Bankier von Bleichröder aus seinen amtlichen Kenntnissen gezogen hat, sind in ihrem vollen Umfang nie aufgedeckt worden. Dieses Bild wird abgerundet durch die bekannte Tatsache, daß der Gründer des Zweiten Reiches seine Steuern nicht zu bezahlen, sondern die Fiskalbeamten aus dem Hause zu werfen pflegte, bis sie nicht mehr wiederzukommen wagten. In ungenierter Standespolitik hat Bismarck jene gewaltigen Getreidezölle zugunsten des ostdeutschen Großgrundbesitzes eingeführt, durch welche die innerdeutschen Getreidepreise später auf das Dreifache des Weltmarktniveaus gebracht werden sollten. Diese ungeheuerliche Belastung der allgemeinen Lebenshaltung, die keineswegs im Interesse der bäuerlichen Landwirtschaft lag, ist stets mit dem Mobilmachungsfall begründet worden, obwohl es auf der Hand lag, daß diese Getreidepolitik die Ernährung des deutschen Volkes in Kriegszeiten niemals sicherstellen konnte. Die westdeutsche Schwerindustrie, an welcher der König, Bismarck und der größte Teil des begüterten Adels Beteiligungen erwarben, wurde durch seine Schutzzoll-Politik zu jener sprunghaften, übermäßigen Ausdehnung gebracht, die das nächste halbe Jahrhundert vor schwerste soziale Probleme stellen sollte.
In seiner vielbewunderten Außenpolitik hat Bismarck es zwar brillant verstanden, „mit 5 Kugeln zu spielen". Dieses Bild, das er wohl nicht zufällig aus dem Artistenleben genommen hat, deutet schon die Vorläufigkeit, die Oberflächlichkeit seiner Erfolge an. Im Grunde hat er bereits mit dem Abdrängen Österreichs auf den Balkan die Kriegsursache für 1914 gelegt, so wie er mit dem Krieg von 1870/71 die Mächtegruppierungen des Weltkrieges bestimmt hat. Der berühmte Rückversicherungsvertrag mit dem zaristischen Rußland konnte nicht von Dauer sein, weil er in Widerspruch zu den sonstigen Bündnisverhältnissen stand. Es ist keineswegs überraschend, wenn Bismarck den "cauchemar des coalitions" hatte. In seinem ganzen Wirken zeigte sich ein Mangel an geistigem Gleichgewicht, der auch zu den bekannten gemütsmäßigen Zusammenbrüchen führte. Theodor Fontane nannte ihn einen „Heulhuber", so wie man einen seiner Nachfolger später den „Teppichbeißer" nannte. Am stärksten enthüllte sich die subjektive Willkür, die egoistische Gewaltmäßigkeit seines Charakters in seinem letzten Lebensjahrzehnt, als er in Auflehnung und Trotz gegen seine Entlassung plötzlich den Republikaner und Demokraten spielte, das Reich auflösen und sein ganzes Werk wieder zerschlagen wollte. Auch in dieser Reaktion ein Vorläufer jenes Mannes, der dem deutschen Volke „keine Träne nachweinen" wollte, wenn es unter der ihm auferlegten Bürde auf der Strecke bliebe .. .
Der persönliche Absolutismus Wilhelms II. war durch Bismarck in jeder Hinsicht vorbereitet. Der junge Kaiser brauchte nur „sein eigener Kanzler" zu werden, und Krone und Exekutive waren im Zweiten Reich eins geworden. Das Bewußtsein unbeschränkter Herrschergewalt sprach aus jedem Wort, aus jeder Geste. Der neue Monarch erklärte sich von der Ansicht durchdrungen, daß „des Königs Wille das höchste Gesetz" sei. „Ihr sollt alle einen Willen haben, und das ist Mein Wille; es gibt nur ein Gesetz, und das ist Mein Gesetz". Auf Anraten Bismarcks hatte er es bei seiner Thronbesteigung denn auch unterlassen, einen Eid auf die Reichsverfassung abzulegen. Als Souverän fühlte er sich nicht nur über allen Gesetzen, sondern auch in seinen politischen Entscheidungen unfehlbar. „Ich bestimme den Kurs. Mein Kurs ist der richtige, und er wird weiter gesteuert." Er wollte keine Berater, sondern nur Mitarbeiter; er kannte keine loyale Opposition, die auch mahnen und warnen konnte. „Es ist in mir ein unbeugsamer Wille, den einmal als richtig erkannten Weg allem Widerstand zum Trotz unbeirrt weiterzugehen." „Ich kenne nur zwei Parteien, die für mich und die wider mich." „Wer sich mir entgegenstellt, den zerschmettere ich." „Ich werde euch herrlichen Zeiten entgegenführen." „Schwarzseher dulde ich nicht."
Die Gestalt dieses Kaisers ist von größtem Einfluß auf die politische Vorstellungswelt des neuen Deutschland gewesen. Im goldenen Adlerhelm, im schimmernden Küraß und weißen Koller der Garde-Kürassiere konnte er einem Bürgertum, dessen Geschmack schon durch die Fest- und Weihespiele eines Wagner verdorben war, wie ein Parzival oder Lohengrin erscheinen. Er weckte jene brünstige Hingabe an eine Führergestalt, in welcher der Deutsche mit dem Chor im „Lohengrin" sagen lernte: „Ich fühl' das Herze mir vergehen, schau ich den wonniglichen Mann." In seinen Worten waren nicht nur die Fanfarenstöße, das Schmetternd-Heldische, sondern auch das Sentimental-Gütige, ja das Abstumpfend-Beruhigende. Wenn er die „niederfahrende Panzerfaust" in Aussicht stellte, so sprach er stets auch von den „heiligsten Gütern", zu deren Schutz das nur geschehen könne, und bekannte gleichzeitig seine ehrliche Friedensliebe, die es nach Möglichkeit nicht so weit kommen lassen werde. Dieser Herrscher, der vor allem Mime und Redner war, hat mit seinem falschen Idealismus, seiner Kaiser- und Reich-Romantik, die ihm einen so leichten Zugang zum deutschen Gemüt verschafften, manche das gesunde Mißtrauen vergessen lassen, das sie gegenüber Bismarck und seinem Werk noch bewahrt hatten. Der „herrliche Kaiser, um den die Welt uns beneidet", hat werbend das fortgesetzt, was Bismarck drohend begonnen hatte. In der Sprunghaftigkeit seines Charakters, in seiner unberechenbaren Mischung von Unsicherheit und Ausfälligkeit hat er wie wenige dazu beigetragen, jenen unseligen neudeutschen Menschentyp zu schaffen, der sich nachträglich stets damit entschuldigen muß, „es doch gar nicht so böse gemeint" zu haben ...
In die deutsche Innenpolitik hat Wilhelm II. den neuen Stil eingeführt, daß der Souverän sich über die politische Intelligenz, über Parlament und Parteien hinweg an die Unpolitischen im Lande wandte, die nun einmal - vom Hochschulprofessor bis zum Briefträger und zum Dienstmädchen - die große Mehrzahl in Deutschland bildeten. Sein Absolutismus, der auf Rede keine Gegenrede wollte, bewarb sich unmittelbar um den Applaus der Massen. Hierzu konnte es kein besseres Mittel geben als jene Schlagworte, von denen Wilhelm II. Dutzende geprägt und in Umlauf gesetzt hat, um seine Flotten- und Kolonialpolitik zu begründen: vom „Übergang zur Weltpolitik", von der „Zukunft auf dem Wasser", vom „Platz an der Sonne". Jedes dieser Schlagworte wurde aufgegriffen und organisiert. Als die Form, in der sich die Unpolitischen am besten zusammenfassen ließen, waren inzwischen die „nichts als patriotischen, politisch völlig neutralen" Verbände entdeckt worden. Neben die Kriegervereine, den Wehrverein, den Ostmarken-Verein traten jetzt der Flottenverein und die Kolonial-Gesellschaft, die Alldeutschen und später die Vaterlandspartei (die mit einer ihrer Münchener Ortsgruppen einmal zur Keimzelle der NSDAP werden sollte). In diesen Gesellschaften, die einen alten General oder kleinen Bundesfürsten als Vorsitzenden, einen pensionierten Hauptmann als Geschäftsführer hatten, während die Rüstungsindustrie es sich zur Ehre machte, ihnen alle finanziellen Sorgen abzunehmen, entwickelte sich jener billige, geräuschvolle, ausfällige Vulgärpatriotismus, welcher der Jahrhundertwende das Gesicht gab. In diesen Verbänden, die als die Interpreten der eigentlichen Intentionen des Kaisers und Anwälte der von ihm angekündigten „herrlichen Zeiten" auftraten, erwuchsen Organe der öffentlichen Meinung, die - ihrerseits jeder Kontrolle und jeder Verantwortlichkeit entrückt - das Parlament, die Parteien, die Zeitungen, die Zeitschriften- und Buchverlage unter ihren Druck zu bringen wußten. Von Interessenten im Hintergrund geschickt gelenkt - es gab bald kein Jahr mehr ohne neue Heeres- und Flottenvorlage -, haben sie in entscheidendem Maße dazu beigetragen, den Kaiser und seine Regierung auf ihrem ohnehin abschüssigen Wege vorwärts zu treiben. Sie erwiesen sich in eine Kriegserwartung verstrickt, die den General Grafen von Häseler im Jahre 1893 dazu gebracht hatte, seinen Truppen im Elsaß zu erklären: „Es ist notwendig, daß unsere Zivilisation ihren Tempel auf Bergen von Leichen, auf einem Ozean von Tränen und auf dem Röcheln von unzähligen Sterbenden errichtet."
Welche Auseinandersetzungen müssen mit ihnen hinter der Kulisse stattgefunden haben, wenn der Reichskanzler von Bethmann-Hollweg am 30. Mai 1913 vor dem Reichstag erklärte: „Der Nationalismus ist der ärgste Feind unserer gesamten Politik, und jede Maßregel, die bezweckt, diesem Nationalismus sein Handwerk zu erschweren, befördert das Wohl des Landes und des Reiches." Es war dem Kaiser und dem vorsichtigen, zurückhaltenden Bethmann-Hollweg, den er nach der Bülow-Krise von 1908 gewählt hatte, jedoch nicht mehr möglich, die Geister wieder zu bannen, die man seit 50 Jahren gerufen hatte. Der preußische Militarismus hatte seine Ausweitung zum neudeutschen Nationalismus erfahren, der von Seemacht, kolonialer Ausdehnung, Weltherrschaft träumte. An der Spitze der Kriegspartei stand der Kronprinz, dessen Lieblingswort „Immer feste druff" war. Die Armee war in diesem Chor mit General von Bernhardi und Oberstleutnant Frobenius vertreten; sie forderten einen Angriffskrieg in West und Ost, um „den rechten Augenblick nicht zu verpassen". Die Flotte hatte einen Grafen Bernstorff, der in seinem „Volldampf voraus", „'ran an den Feind" die Bilder eines deutsch-englischen Entscheidungskrieges um die Seeherrschaft entwarf. Ein Maximilian Harden in seiner „Zukunft", ein Paul Rohrbach in seinem „Der deutsche Gedanke in der Welt" traten unverhüllt für Krieg und Eroberung ein. Dies sei „der eigentliche Sinn der deutschen Einigung, daß sie zur Teilnahme am Wettbewerb um die Weltherrschaft führe". In Hunderttausenden von Broschüren, in Millionen von Heeres-, Flotten- und Kolonialkalendern, durch nahezu alle Tageszeitungen wurden diese Gedankengänge in ein Volk geworfen, das durch seine Hochschulprofessoren, Oberlehrer und Volksschullehrer eines politisch-kritischen Denkens längst entwöhnt war, um nur noch nationale Räusche zu erleben, die sich an geschichtlichen Mythen entzündeten. So konnte es geschehen, daß in den ersten Augusttagen des Jahres 1914 der Kaiser von der Ahnung erschüttert wurde, daß alles verloren sei, der Reichskanzler gramvoll und gebeugt an seinem Schreibtisch saß, der Generalstabschef in Tränen ausbrach, während sich in den Straßen jene Explosion irregeleiteter Begeisterung abspielte, die alle Grenzen von Vernunft, Maß und Ziel weit hinter sich ließ.
Die Armee hat im Krieg ihre Erfolge, erst recht aber ihre Mißerfolge zum Anlaß genommen, um ihren Befehlsbereich ständig auszudehnen. Nach der Erstarrung der Fronten zum Stellungskrieg wurden Gebiete, die ganze Länder umfaßten, als Etappe organisiert. In Belgien, einem großen Teile Frankreichs, in Westrußland und Rumänien entstand jene militärisch geführte Zivilverwaltung, in deren Schreibstuben wir den Meldegänger Gefr. Hitler auftauchen sahen, der hier seine elementarsten staatsmännischen und administrativen Einsichten gewann. In Anwendung des hier Gelernten hat die Oberste Heeresleitung sich seit Frühjahr 1917 daran gemacht, in zunehmendem Maße auch die Heimat als Etappe zu organisieren. Während der französische Ministerpräsident Clémenceau schon die militärische Kriegführung für eine „zu ernste Sache" hielt, um sie allein den Generälen überlassen zu können, griff die deutsche Armee immer stärker in den Zuständigkeitsbereich der zivilen Verwaltung über. Auf ihre „Empfehlungen" hin wurden Reichskanzler und Minister ausgewechselt, außenpolitische Entscheidungen von größter Tragweite getroffen. Die Produktion der gesamten deutschen Wirtschaft wurde von ihr unter Kontrolle genommen, von der Granate bis zur Steckrübe. Auch der Einsatz aller Arbeitskräfte, die Verteilung aller Lebensmittel wurden von ihr überwacht. Es wurde sogar „Stimmung" befohlen. Das Gehirn Ludendorffs gebar den Gedanken eines Propagandaministeriums, der allerdings nicht mehr voll zur Ausführung gelangte. Unter dem Doppelgespann Hindenburg -Ludendorff wurde Deutschland zu einer einzigen, wenn auch nicht gerade blühenden Etappe. Die preußisch-neudeutsche Armee hatte sich endlich zum Gedanken der Totalität durchgerungen: die Armee nicht nur an der Spitze, eigentlicher Sinn und höchster Zweck des Staates, unabhängig von Regierung und Volksvertretung, sondern jetzt auch alle übrigen Lebensbereiche kontrollierend.
Ihren Gipfel erreichte die Anmaßung der OHL, als sie im Herbst 1918 einen - Regimewechsel anordnete! Nach Erschöpfung aller militärischen Möglichkeiten, im Angesicht des unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruchs wünschte sie jetzt den sofortigen Übergang zu dem bisher so hartnäckig bekämpften parlamentarischen Regime unter Einschluß der Sozialdemokraten, um es zum Träger der Verantwortung machen zu können. Die „Revolution" von 1913 ist nie über die Tatsache hinweggekommen, daß sie zunächst von Hindenburg angeordnet war, wenn die Generäle dann allerdings auch die Feststellung machen mußten, daß sie vorübergehend etwas abrutschte und außer Kontrolle geriet. Als der geschlagene kaiserliche Marschall die Armee in die Heimat zurückgeführt hatte, konnte er noch in aller Ruhe seine Nachfolger auswählen und das militärische Kommando an sie übergeben. Von Seeckt bis Schleicher, ja bis Brauchitsch und Bock ist kaum jemand in den führenden Kommandos der Reichswehr gewesen, der nicht vor dem Kriege in einem der feudalen Garderegimenter gestanden hätte, und der nicht während des ersten Weltkrieges in der OHL oder einem der hohen Kommandostäbe tätig gewesen wäre. Diese Identität der Personen läßt es nicht verwunderlich erscheinen, daß die Reichswehr zu einer einzigen „Traditionskompanie" wurde.
Die Armee beschränkte sich jedoch keineswegs darauf, zu einem Staat im Staate zu werden, neben sich eine Schwarze Reichswehr zu organisieren, geheime Waffenlager anzulegen, in Rußland Flieger- und Panzeroffiziere auszubilden, sondern organisierte und finanzierte auch politische Verbände. (Hier war uns der Gefr. Hitler, aus dem Westen noch gerade rechtzeitig als „blinder Krüppel" heimgekehrt, erneut begegnet: im Propaganda- und Nachrichtendienst der Reichswehr, dann von ihr in die Verbände geschickt.) Die „Wehrverbände", die „Vaterländischen Verbände" wurden von der Armee unter ihren Schutz genommen, zum Teil sogar unter das militärische Geheimnis gestellt, weil mit ihnen Vereinbarungen für den Mobilmachungsfall getroffen waren. So erhielt auch die SA durch Vermittlung Röhms Waffen und Übungsplätze angewiesen, und der Reichswehrminister Gröner stürzte über ihrer vorübergehenden Auflösung, weil er damit „die Wehrkraft des Reiches" geschmälert hatte.
In der Republik haben einige Männer sich angestrengt bemüht, das deutsche Schicksal zu wenden. Ihre Bemühungen mußten jedoch an der Oberfläche bleiben, weil sie - im Banne einheitsstaatlichen Denkens - dem abstrakten Bild einer Formal-Demokratie nachjagten. Die geistige Kraft, die moralische Stärke des deutschen Volkes hat jedoch immer in seinen Stämmen und Ländern gelegen. In seinem Westen und Süden, wo altfreie Bauern eigenen Rechtes wohnten, und wo altfreie Bürger in ihren Städten und Städte-Bünden einen hervorragenden Beitrag zur Entwicklung kommunaler Selbstverwaltungsrechte geleistet haben! Im Vorspruch zum Staatsgrundgesetz von Weimar war zwar ausdrücklich festgestellt worden, daß das deutsche Volk, „einig in seinen Stämmen", sich diese Verfassung gegeben habe. In ihr waren ferner Möglichkeiten vorgesehen, allen jenen Gebieten, die Preußen sich gewaltsam angeeignet hatte, ihre Landesautonomie wiederzugeben. Eine klare Wahl zwischen der Bundestradition und der Reichstradition, mit der nun einmal die Entscheidung über das Schicksal Deutschlands fällt, war in Weimar allerdings nicht getroffen worden. Die deutschen Parteien haben in der weiteren Nachkriegszeit leider nie versucht, von diesen immerhin offengehaltenen Möglichkeiten zur Aufgliederung des Reiches Gebrauch zu machen. Die preußischen Konservativen waren seit Bismarck zu „Deutschnationalen" geworden, die Liberalen zu National-Liberalen, das an sich als föderalistische Oppositionspartei gegründete Zentrum zu einer christlich-demokratischen Reichspartei; die Sozialdemokraten hatten in ihre politischen Vorstellungen zu viel von preußischer Organisation, von zentralistischem Schaltwerk aufgenommen; die äußerste Linke, die selbst totalitär dachte, erwies sich als Gegenspieler, der seinem Gegner faktisch die besten Dienste leistet. Die sehr bemerkenswerten Ansätze, die in den ersten Nachkriegsjahren an den west- und süddeutschen Universitäten, in den westdeutschen Stadtverwaltungen und süddeutschen Landesparlamenten zu beobachten waren, kamen infolgedessen nicht zur politischen Auswirkung. Die Reichskanzler und Reichsminister, die Reichstags- und preußischen Landtagsabgeordneten wurden, sobald sie nach Berlin kamen, in den gewaltigen Apparat eingesogen, der doch nur von der Bendlerstraße und der Wilhelmstraße gesteuert wurde, wenn er auch für einige Jahre lebhaft demokratisch klappern durfte.
Es ist unheimlich, wie schnell der Na t i onalismus auf der Grundlage des neudeutschen Einheitsstaates seine Stellungen wiedergewinnen konnte. In den gleichen Personen, mit den gleichen Schlagworten, in nur flüchtig umbenannten Verbänden, von den gleichen Kreisen finanziert, gestützt und geschoben, war er in wenigen Jahren wieder da. Allerdings war den Ludendorff, Reventlow, Kube, Claß inzwischen eine andere Generation als Gefolgschaft zugewachsen, die den Krieg und die Niederlage, Stellungs- und Vermögensverlust hinter sich hatte. Wenn dieser Nationalismus 1914/18 von der Vorstellung geleitet war, seine in Preußen-Deutschland schon gefestigte Herrschaft nur noch ausdehnen zu müssen, so stand er jetzt unter der Erkenntnis, im Innern einen Aufstand vornehmen, nach außen eine Herausforderung auf Leben und Tod ergehen lassen zu müssen. Niemand hat die kalte Entschlossenheit, die innere Gereiztheit, den düsteren Fatalismus, die geographische Grenzenlosigkeit dieses Entschlusses so scharf zum Ausdruck gebracht wie 0 s - w ald Spengle r, der einen neuen Cäsar, eine neue Elite von Prätorianern, die man züchten und erziehen müsse, harte Herrschaft und blinden Gehorsam forderte, nachdem er die christlich-humane Tradition des Abendlandes durch seine „Kultur-Morphologie" völlig relativiert hatte. „Wir brauchen eine Erziehung zu preußischer Haltung, wie sie 1870 und 1914 da war, und wie sie im Grunde unserer Seelen als beständige Möglichkeit schläft." Ein Moeller van den Bruck steuerte den Mythos vom „Dritten Reich" bei, ein Ernst Jünger die Forderung nach der „totalen Mobilmachung", die nur noch Soldaten und Arbeiter kennen dürfe. Ein Ferdinand Fried (Zimmermann) erklärte „das Ende des Kapitalismus" für gekommen. Die „Tat" forderte einen wirtschaftlichen Großraum im Südosten, ein Haushof er im Osten, ein Hans Grimm den „Lebensraum" in aller Welt. In Dutzenden von Nuancen spielte dieser Geist des Aufstandes, eines nochmaligen Appells an das Schicksal über einen Nickisch zu Hitler und Rosenberg, von dort in ständiger Wechselwirkung zu den kommunistischen Intellektuellen. Der Faschismus, der Bolschewismus wurden als Beleg dafür genommen, daß die totalitären Staaten tatsächlich im Begriff ständen, die Demokratien zu erledigen.
Es sind zwei Richtungen, die sich innerhalb aller dieser nationalistischen Strömungen deutlich abzeichnen. Die eine wollte einen militärischen Putsch, eine neue Standesherrschaft im Stile Bismarcks, die offene Entrechtung der „Allzuvielen". Die andere strebte einem Absolutismus zu, der wie der Wilhelms II. populär zu sein wünschte. Wenn man sich die Tradition Preußens und des Zweiten Reiches gegenwärtig hält, so muß man beiden das Zugeständnis machen, daß sie ihre Linie fortgeführt haben. Es konnte also im Grunde keineswegs wundernehmen, daß die Hindenburg, Schleicher, Papen, Neurath, Schacht einen Staatsstreich von oben als „legal" ansahen, einen Schwur auf eine „hundsföttische Constitution" nicht ernster nahmen als die preußischen Könige vor ihnen und in junkerlichem Selbstbewußtsein am Staate kräftig verdienen wollten. Es konnte jedoch noch weniger überraschen, daß sich ein neuer Wilhelminismus durchsetzte, als das Schleichersche Konzept durch Papen verdorben war, und Hitler die Möglichkeit erhielt, in allgemeinen Wahlen die Unpolitischen an die Urne zu holen. Wenn dieser Jung-Siegfried aus dem Männerheim dann als „Führer und Reichskanzler" die Stellung des Staatsoberhauptes mit der des Regierungschefs vereinigte, so tat er nur das, was Wilhelm II. tatsächlich schon vor ihm getan hatte. Wenn er seinen Willen zum allgemeinen Willen, zum höchsten Staatsgesetz erklärte, so folgte er auch darin seinem kaiserlichen Vorgänger. Wo Souveräne keine Verfassung achteten, keine Gewaltenteilung kannten, die Parlamente als „Schwatzbuden" behandelten, die man durch „einen Leutnant mit zehn Mann" nach Hause schicken konnte - wie hätte ein Usurpator und Verbrecher da Hemmungen haben sollen . . .?
Essindeinheitliche,durchgehendeEntwicklungslinien, die von 1850 zum Zweiten, später zum Dritten Reich geführt haben. Sie sind der preußisch-neudeutschen Reichstradition inhärent. Diese wird - ob in aristokratischer, ob in bürgerlicher oder proletarischer Form - stets zum Zentralismus, zur absoluten Herrschaft im Innern, zur imperialistischen Expansion nach außen streben. Dieses Erbe ist eine tödliche Last. Es gibt als Alternative zu einem drohenden Vierten Reich nur eines: im Rückgriff auf die vor - bismarckische Zeit die deutschen Stämme und Länder wiederherzustellen, in ihrer natürlichen und geschichtlichen Ordnung, um sie in vernunftgemäßer Fortentwicklung zu einem neuen Bund oder zu Bünden zu vereinigen, die wieder ein Bestandteil Europas sein können.
Der wiederaufgenommene Weltkrieg
„Preußen wird unbedauert und ohne Nachruhm untergehen, und man wird es für ein Glück halten, daß eine Macht, die durch ihren Ehrgeiz anfangs Europa erschüttert, nachher durch ihr Tripotieren beunruhigt, die keine Pflicht weder gegen sich noch gegen den europäischen Staatenbund erfüllt hat, zu sein aufhöre."
Freiherr vom Stein.
Das Lebensgesetz Preußens ist der Krieg.
Preußen ist kein Land, sondern eine Armee im Zustand halber oder ganzer Mobilmachung.
Nach den Kriegen von 1864, 1866, 1870/71, die Bismarck zur Begründung der Vorherrschaft Preupens in Deutschland geführt hatte, ist dieses Lebensgesetz sofort auf das neue Reich übergegangen. Es folgten neue Heeresvermehrungen in den Jahren 1874, 1886, 1888, 1890, 1893, 1897, 1899, 1902, 1905, 1911, 1912, 1913, wobei Deutschland den anderen europäischen Mächten jeweils vorausging, nicht etwa ihnen folgte.
Auf den Krieg von 1914/18 konnten, wenn diese großpreußisch-neudeutsche Linie nicht abreißen sollte, nur neue Rüstungen, neue Kriege folgen. Der Nationalismus, der seit 1925 in Deutschland wieder kräftig zur Macht strebte, hat in allen seinen Spielarten diese Tatsache „mannhaft ins Auge gefaßt". Der Weltkrieg, der 1918 abgebrochen war, sollte wieder aufgenommen werden. Es sollte noch einmal um die Entscheidung in Europa gewürfelt werden.
Die „nationale Erhebung" von 1933 ist von allen Beteiligten unter diesem Gesichtspunkt gesehen worden. „Das war preußisch durch und durch, wie der Aufbruch von 1914, der in einem Augenblick die Seelen verwandelte", schrieb Oswald Spengler. „Es war ein Versprechen künftiger Siege, die in schweren Kämpfen erstritten werden müssen ... Es ist eine Aufgabe voll ungeheurer Gefahren, und sie liegt nicht im Innern Deutschlands, sondern draußen, in der Welt der Kriege und Katastrophen ... Wir stehen vielleicht schon dicht vor dem zweiten Weltkrieg ..."
Im Aufstieg Hitlers, dieses etappengeborenen „Führers und Reichskanzlers" ist der zweite Weltkrieg stets der leitende Gedanke gewesen. In seinem Buche, in seinen früheren Reden ist das klar ausgesprochen: bis zur „Brechung der Ketten von Versailles"; bis zur „endgültigen, aktiven Abrechnung mit Frankreich"; bis zur Ausdehnung der Reichs-grenzen über die von 1914 hinaus, da diese als „Augenblicks-grenzen eines in keiner Weise abgeschlossenen Ringens" zu gelten hätten; bis zur „Bodenpolitik der Zukunft", wobei „in erster Linie an Rußland und die ihm untertanen Randstaaten" gedacht werden müsse; bis zu jenem Tage, an dem der Staat, „der sich der Pflege seiner besten rassischen Elemente widmet, zum Herrn der Erde werden muß". In einer seiner Lästerungen hat er hierbei Gott, ausgerechnet unter Appell an seine Gerechtigkeit, zum Schwerthelfer angerufen: „Allmächtiger Gott, segne dereinst unsere Waffen; sei so gerecht, wie du immer warst . . ."
Wenn dies die Absichten und 'Entschlüsse sind, die ein Hitler in seinem Korporalsherzen trägt, wie sind dann die Worte, die er an Europa richtet - ? In der ersten Erklärung, die er am 23. März 1933 vor dem Reichstag abgibt, heißt es: „Es ist der aufrichtige Wunsch der nationalen Regierung, von einer Vergrößerung des deutschen Heeres und einer Vermehrung unserer Waffen absehen zu können. Die nationale Regierung ist geneigt, jedem Volke die Hand zu einer aufrichtigen Verständigung zu reichen. Die nationale Regierung ist auch gewillt, mit der Sowjetregierung beiderseitig nutzbringende Beziehungen zu pflegen. Eine vertrauensvolle Verständigung zwischen den Völkern ist auch die Voraussetzung für die Be seitigung der allgemeinen Wirtschaftskrise. Zehn Jahre einer friedlichen und aufrichtigen Verständigung zwischen den Völkern werden für die Wohlfahrt aller Nationen nützlicher sein, als eine dreißig Jahre lange Verrennung in die Begriffe von Siegern und Besiegten, die endlich verschwinden müssen."
Am gleichen Tage beginnt die eigentliche, die große Aufrüstung. Die Reichswehr erhöht die Einstellungen unter der Hand beträchtlich. In getarnter Form wird ein Reichsluftfahrtministerium geschaffen. Die Laboratorien beginnen, neue Flugzeugtypen und Flugmotore zu entwerfen. Die Rüstungswerke stellen sich auf den Bau von Geschützen und Tanks in größeren Serien um. Im „Arbeitsdienst" durchlaufen die ersten Jahrgänge eine Vorschulung für den Heeresdienst. Als die Abrüstungskonferenz Einwendungen gegen die Aufstellung der Hilfspolizei erhebt - von den anderen Vorgängen weiß sie noch nichts -, schwört Hitler am 17. Mai aufs neue: „Es seien armselige Ausreden und Ausflüchte, wenn man behaupte, Deutschland habe die Verträge nicht erfüllt oder gar wieder aufgerüstet. Die SA und der Stahlhelm` seien ohne jede militärische Ausrüstung; ohne jede militärische Ausbildung; ohne jede finanzielle Unterstützung seitens des Reiches. Deutschland sei bereit, jedem feierlichen Nichtangriffspakt beizutreten. Es denke nicht an einen Angriff, sondern nur an seine Sicherheit."
Da die Abrüstungskonferenz an ihren Einwendungen festhält, benutzt Hitler die Gelegenheit, am 14. Oktober 1933 den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund zu erklären. Er fängt die politische Wirkung dieses Schrittes mit der Zusicherung ab, daß Deutschland nach Rückgabe des Saargebietes keine territorialen Forderungen mehr zu stellen haben werde. Dieses Versprechen wird zur Saar-Abstimmung, die am 13. Januar 1935 stattfindet, wiederholt.
Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht erfolgt am 16. März 1935. Das Saargebiet ist seit zwei Wochen wieder in deutsche Verwaltung zurückgegeben und die tatsächliche Aufrüstung inzwischen genügend weit vorgeschritten, um als Warnung vor wirklichen Gegenmaßnahmen dienen zu können. In einem neuen Schwur heißt es: „In dieser Stunde erneuert die deutsche Regierung vor dem deutschen Volke und vor der ganzen Welt die Versicherung ihrer Entschlossenheit, über die Wahrung der deutschen Ehre und der Freiheit des Reiches nie hinauszugehen und insbesondere in der nationalen deutschen Aufrüstung kein Instrument kriegerischer Angriffe als vielmehr ausschließlich der Verteidigung und damit der Erhaltung des Friedens bilden zu wollen."
Die Armee, die Preußen groß und Deutschland klein gemacht hat, steht jedenfalls wieder mit 12 Armeekorps und 36 Divisionen da. Ani 21. Mai 1935 wird die Dauer der amtlichen Dienstzeit für alle drei Wehrmachtsteile auf ein Jahr festgesetzt. Am gleichen Tage erklärt Hitler im Reichstag: „Die deutsche Regierung hat das Ausmaß des Aufbaues der deutschen Wehrmacht bekanntgegeben. Sie wird davon unter keinen Umständen abgehen." Diese Zusicherung wird 15 Monate gehalten! Am 24. August 1936 erläßt Hitler eine Verordnung: „Die Dauer der aktiven Dienstzeit wird auf zwei Jahre festgesetzt."
Am 7. März 1936 greift Hitler in die territorialen Bestimmungen des Versailler Vertrages über. Er läßt deutsche Truppen mit Fahnen und klingendem Spiel in die entmilitarisierte Zone des Rheinlandes einrücken. Der Bluff gelingt. Es sind, wie nachträglich bekannt wird, nur zwei Bataillone gewesen, die nicht eine einzige Patrone bei sich führten, und die strengen Befehl hatten, sich sofort zurückzuziehen, wenn sie auf Widerstand stießen. Dieser Handstreich, der entgegen dem Ratschlag aller Generäle und Minister unternommen wurde, gehört zu den gewagtesten Handlungen Hitlers. Er trägt ihm in den Kreisen der deutschen Diplomatie und Armee den Ruf eines „einzigartigen Einfühlungsvermögens", einer „glücklichen Hand" ein; in der Bevölkerung wird er als Bestätigung der „nachtwandlerischen Sicherheit" empfunden. Am 9. November des gleichen Jahres wird Hitler selbst gestehen, daß er „95 Prozent Wahrscheinlichkeit des Mißlingens und 5 Prozent des Gelingens" gehabt habe. Einem Spieler wie Hitler genügt das jedoch völlig, da er sich an das Schicksal des Staates, an die Zukunft seines Volkes als Usurpator nicht wirklich gebunden fühlt.
Der Einmarsch in das Rheinland ist von größter außenpolitischer Tragweite. Er macht die territorialen Bestimmungen des Versailler Vertrages gegenstandslos. Er bricht ferner den Locarno-Pakt der vier Großmächte, durch den die deutschfranzösische Grenze garantiert war. Er legt außerdem den Grund zum deutsch-italienischen Bündnis. Der Genfer Völkerbund hat mit ihm seinen Todesstoß erhalten, da die Durchführung des Sanktionsverfahrens, das wegen des Abessinien-Krieges gegen Italien eingeleitet war, jetzt unmöglich wurde. Faschismus und Nationalsozialismus haben einander gefunden. Wenn Hitler im Jahre 1931 Mussolini das höchste Ehrenprädikat verliehen hatte, das er jemandem verleihen konnte, indem er damals schrieb: „Preußentum ist kein geographischer, sondern ein sittlicher . Begriff: Mussolini ist Preuße!", so hatte die nationalsozialistische Propaganda in Österreich, insbesondere die Ermordung des Bundeskanzlers Dollfuß, inzwischen doch Spannungen geschaffen, die Mussolini vorübergehend wieder in das Lager der Westmächte getrieben hatten. Im Laufe der gemeinsamen Intervention im spanischen Bürgerkrieg werden sie jetzt schnell zu Freunden und Alliierten werden. Mit welchen Hintergedanken auf Seiten Hitlers, ergibt sich aus seiner früheren Bemerkung: „Ein Bündnis, dessen Ziel nicht die Absicht zu einem Kriege umfaßt, ist sinn-und wertlos "
Im Frühjahr 1938 wird diese neue Freundschaft allerdings auf eine harte Probe gestellt. Hitler läßt die nationalsozialistische Propaganda in Ö s t er r eich auf einen neuen Höhepunkt treiben, mit Zwischenfällen und Zusammenstößen. Am 12. Februar bestellt er den Bundeskanzler Schuschnigg nach Berchtesgaden, um ihn anzubrüllen, ihn zu beschimpfen und ihm wegen seiner Gegenmaßnahmen mit Vergeltung zu drohen. Als Schuschnigg seine Stellung durch eine Volksabstimmung stärken will, kommt Hitler dieser Abstimmung am 12. März 1938 mit seinem Einmarsch zuvor. In einer Wendung, die allmählich schon stereotyp wirkt, erklärt er zur Beruhigung der übrigen Nachbarstaaten, daß Deutschland „jetzt keine weiteren territorialen Ansprüche stellen werde". An die Adresse der Tschechoslowakei, deren Interessen am unmittelbarsten berührt sind, richtet er folgende Bemerkung: „Es ist der ernsthafteste Wunsch der Reichsregierung, die deutsch-tschechischen Beziehungen zu bessern." Die öffentliche Meinung Europas steht noch so im Banne der nachbismarckisehen Geschichtsdarstellungen, daß sie den Einmarsch in Österreich im Grunde als einen unvermeidlichen Bestandteil der „deutschen Einigung" ansieht. Es ist schon zur Regel geworden: Preußen darf an sich bringen, was deutscher Zunge ist! ...
Hiermit ist auch schon die moralische Anerkennung für den nächsten Anspruch gewonnen. Er richtet sich auf das Sudetenland. Die sudetendeutsche Heimatbewegung hat bisher nur die Forderung auf Selbstverwaltung innerhalb der Tschechoslowakei gestellt, die Hitler als „rein inner-tschechische Angelegenheit" anerkannt hat. Wenige Wochen nach dem Einmarsch in Österreich gibt es in der Tschechoslowakei jedoch gleichfalls „Zwischenfälle". Die Berliner Blätter stellen fest, daß „Tausende deutscher Volksgenossen" bedroht seien. Die tschechische Regierung, die diese Sprache nicht mißversteht, nimmt eine Mobilmachung vor, die Hitler zu einer Änderung seines Terminkalenders zwingt. Er läßt die Zwischenfälle und die Propaganda etwas einschlafen, gibt jedoch am 28. Mai der Wehrmacht den Befehl, schrittweise bis zum 1. Oktober zu mobilisieren und einen Aufmarsch an der tschechischen Grenze vorzunehmen. Gleichzeitig ordnet er unter Hinweis auf den französisch-russischen Pakt, den er mit dem Einmarsch zuwege gebracht hatte, den Bau des Westwalles an, der allein bis zum Jahre 1939 seine 9 Milliarden Mark verschlingen sollte. Die Septemberkrise wird programmgemäß dann mit einer Rede Hitlers auf dem Nürnberger Parteitag eröffnet, in der er sich außerstande erklärt, die „Vergewaltigung des Sudetenlandes" länger zu dulden. Gleichzeitig setzen die Zwischenfälle sowie die Polemik wieder mit aller Schärfe ein. Der britische Premierminister Chamberlain begibt sich am 15. September nach dem Obersalzberg, um in persönlicher Besprechung eine Kompromißmöglichkeit ausfindig zu machen.
Er kennt seinen Partner noch nicht. Als er am 22. September nach Godesberg fliegt, erklärt Hitler seine eigene Denkschrift, die inzwischen von der britischen und französischen Regierung angenommen worden ist, als „nicht mehr ausreichend". Er droht mit dem Krieg, wenn die Abtretung der vorwiegend deutschsprachigen Gebiete nicht bis zum 1. Oktober erfolgt sei. Anderseits schwört er, daß die Ansprüche Deutschlands sich auf diese Gebiete beschränken würden, und keinerlei Bedrohung der Tschechoslowakei als solcher vorliege. In einem Schreiben, das Hitler am 27. September an den ihm grollenden Chamberlain richtet, bezieht er sich auf seine Sportpalast-Rede vom Vortage, „in der ich eindeutig erklärt habe, daß ich jeden Zugriff auf das tschechoslowakische Gebiet ablehne, und daß ich unter den von mir angegebenen Voraussetzungen sogar bereit bin, für den Restbestand der Tschechoslowakei eine förmliche Garantie zu übernehmen. Von einer Bedrohung der Unabhängigkeit der Tschechoslowakei kann also nicht im entferntesten die Rede sein". Auf Grund dieser erneuten, bindenden Zusicherung tritt am 29. September in München dann die Vierer-Konferenz zusammen, die der tschechoslowakischen Regierung die Abtretung der von Deutschland beanspruchten Gebiete empfiehlt. Hitler erklärt, „in Europa keine weiteren territorialen Ansprüche mehr zu haben", und Chamberlain kehrt mit der Überzeugung, „peace for our time, Frieden für unsere Tage" gewonnen zu haben, in sein Land zurück.
Hitler hat in wenigen Monaten einen Einmarsch, eine Probe-Mobilmachung, eine Besetzung vornehmen können. Sie haben ihm insgesamt 10 Millionen neuer Untertanen eingebracht. Aber - er ist um seinen ersten kleinen Krieg, seinen Lokalkrieg, seinen Übungskrieg gebracht worden! Das wurmt ihn; mehr noch, er erkennt in diesem Vorgang eine Gefahr. Chamberlain, der „alte Mann mit dem Regenschirm", hat in München Kundgebungen erhalten, wie Hitler sie nur noch in Parteiversammlungen erwarten kann. Daladier, selbst Mussolini sind als Friedensstifter warm begrüßt worden. Diese Stimmung ist so allgemein, so elementar, daß Hitler ihr Rechnung tragen muß, indem er öffentlich erklärt, daß „wir einer langen Friedensperiode entgegengehen". Insgeheim ergreift er jedoch kräftige Gegenmaßnahmen. Vor den Leitartiklern der führenden deutschen Blätter, die er nach München bestellt, erklärt er: „Es wird die höchste Zeit, daß Sie diese Friedensplatte jetzt wieder vom Grammophon herunternehmen. Das Volk wird uns ja knieweich." Als Chamberlain vor dem Unterhaus erklärt, daß England „nicht länger die einzige ungerüstete Nation Europas" bleiben könne, setzt plötzlich eine kräftige Kampagne gegen England ein, in der seine neuen Rüstungen als „mit dem Geiste von München unvereinbar" hingestellt werden, ungeachtet der Tatsache, daß Hitler für Deutschland gerade „die gewaltigste Rüstung, welche die Welt je gesehen hat", behauptet hat. Einige Zwischenfälle in der Tschechoslowakei werden zum Anlaß genommen, die fortdauernde Deutschfeindlichkeit der Tschechen zu behaupten. Ein Attentat, das ein junger jüdischer Flüchtling namens Grynspan auf einen willkürlich herausgegriffenen Legationssekretär der deutschen Botschaft in Paris verübt hat, gibt den Vorwand zu einer neuen Pogromwelle. Die Judenverfolgungen werden diesmal mit einer so offenen Brutalität vorgenommen, daß die Regierung der Vereinigten Staaten ihren Berliner Botschafter zurückruft. Die Rüstungsproduktion wird im Laufe des Winters erheblich gesteigert. Nach Berechnungen von sachkundiger Seite sind in der deutschen Wirtschaft jetzt 60 Prozent der Menschen, der Maschinen, des Materials für die Kriegsrüstung bestimmt.
Zum Frühjahr 1939 ist eine neue Aktion angesetzt. Die Tschechoslowakei, für die Hitler noch vor wenigen Monaten förmliche Garantien angeboten hat, soll jetzt „fertiggemacht" werden. Als Ansatzpunkt dient der Gegensatz, der zwischen Tschechen und Slowaken entstanden ist. Am 11. März wird der Führer der slowakischen Partei, Tiso, nach Berlin bestellt, wo er Hitler um Schutz für die slowakische Minderheit bitten muß. Am 12. März werden die Marschbefehle an die Truppenverbände gegeben, die schon seit Wochen zusammengezogen worden sind. Am 14. März erklärt die Slowakei ihre Unabhängigkeit. In der Nacht vom 14. auf den 15. März wird der Präsident Hacha, der mit dem Außenminister Chwalkowsky nach Berlin gekommen ist, durch die Drohung, Prag in Schutt und Asche zu legen, so mürbe gemacht, daß er ein Dokument unterzeichnet, mit dem er „das Schicksal des tschechischen Volkes und Landes vertrauensvoll in die Hand des Führers des Deutschen Reiches legt". Er muß eine Anweisung an die tschechischen Truppen erlassen, einem Einmarsch keinen Widerstand entgegenzusetzen. Am 15. März rücken die deutschen Truppen kampflos in die Tschechoslowakei ein. Ein bekanntes Bild zeigt Hitler, wie er am Abend dieses Tages mit einem eigentümlich verkniffenen Gesicht von der Prager Burg auf die goldene Stadt der hundert Türme hinunterblickt. Am 16. März wird durch einen Erlaß das „Protektorat" über Böhmen und Mäh r en errichtet, das zunächst durch den früheren Außenminister von Neurath wahrgenommen werden soll. Am gleichen Tage bittet die Slowakei gleichfalls um den Schutz des Reiches, der ihr nicht versagt bleibt. In wenigen Tagen hat Hitler 35 Divisionen ausgeschaltet, die einen „Dorn in seiner Flanke" bildeten, wenn er im Westen oder Osten in Verwicklungen geraten wäre. Er hat 1582 Flugzeuge, 501 Flakgeschütze, 2175 leichte und schwere Geschütze, 785 Minenwerfer, 469 Panzer, 43 876 Maschinengewehre, 1 Million Gewehre, über 3 Millionen Schuß Artillerie-Munition, über 1 Milliarde Schuß Infanterie-Munition erbeutet, eine für die damaligen Rüstungsverhältnisse gewaltige Menge an Kriegsmaterial. Er hat mit den Skoda-Werken ferner eine sehr leistungsfähige Rüstungsindustrie hinzugewonnen, und die erste fremde Nationalität bedingungslos seinem Willen unterworfen ...
Der Eindruck dieses offenen, schnöden Rechtsbruches ist ungeheuer. Im Auswärtigen Amt, im Kriegsministerium sieht man in diesen Tagen aneinander vorbei. Die Staatssekretäre und Generäle wissen, daß ihr Herr und Meister aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, mit dessen Anrufung Deutschland die ständig fortschreitende Revision des Versailler Vertrages betrieben hatte, jetzt eine Farce gemacht hat. Die wenigen Kreise, die noch zu denken gewohnt sind, empfinden schweren Herzens, daß jetzt der Punkt überschritten ist, an dem sich das innerdeutsche zum europäischen Drama ausweiten muß. Die Wirkung dieser Vorgänge auf das Ausland ist noch sehr viel stärker. Man schämt sich, ihnen untätig zusehen zu müssen, und man erkennt zum ersten Male die volle Unmittelbarkeit der Gefahr, in der man selbst schwebt. Der britische Botschafter Nevile Henderson, der bisher unbegreiflich blind gegenüber dem Nationalsozialismus gewesen war, stellt in einem Bericht an das Foreign Office jetzt selbst fest, daß Hitler „die Totenkopf- und Knochen-Flagge des Seeräubers gehißt und sich als eine nicht aufzuhaltende Gefahr für Europas Frieden und Freiheit entpuppt habe".
Aber eines ist ihm erneut versagt geblieben: der bewaffnete Konflikt. Die öffentliche Meinung Europas war seit München so alarmiert, die moralische Festlegung der Pariser und Londoner Kabinette auf das neue tschechoslowakische Statut noch so unmittelbar gegenwärtig, daß in diesem Augenblick kein Blut fließen durfte, wenn die Westmächte nicht schon jetzt zum Äußersten getrieben werden sollten. Das große Erlebnis, nach dem es ihn gelüstete: als ehemaliger Gefreiter über Millionenheere zu gebieten, an seine Hakenkreuzfahnen den Schlachtenlorbeer zu heften und so in die Reihe der Napoleoniden aufzusteigen, war erneut vor ihm zurückgewichen. Er wollte jedoch den Krieg, zunächst den isolierten Krieg, den mit erdrückender Übermacht geführten Krieg, einen Krieg sicherer Erfolge, um Armee und Volk über die Nachwirkungen von 1918 hinwegzubringen, bevor er sie einige Jahre später in den Kampf um die Vorherrschaft in Europa, um den „neuen Boden" im Osten, um die „Weltherrschaft" hineinführte.
Im Frühjahr 1939 wird der Krieg gegen Polen beschlossen. Für die Mobilmachung und den Aufmarsch wird der 25. August als Stichtag festgelegt. Es wird schon bekanntgegeben, daß der fünfundzwanzigste Jahrestag der Tannenberg-Schlacht, der auf den 27. August fällt, mit einem großen militärischen Schauspiel der Wehrmacht begangen werden soll, um die für den Sommer vorgesehenen Truppenverschiebungen nach Ostpreußen zu erklären. Der Ansatzpunkt ist diesmal die Danzig- und die Korridor- Frage. In einem milden Präludium werden im März die ersten Forderungen angemeldet: Abstimmung in Danzig, ein Korridor durch den Korridor. Die Methode Hitlers ist jetzt jedoch zur Genüge bekannt. Warschau mobilisiert einige Divisionen, Frankreich bekräftigt sein Bündnis mit Polen, und Großbritannien gibt am 31. März eine Garantie-Erklärung für die polnische Unabhängigkeit ab. In der Reichstagsrede Hitlers vom 28. April werden die Ansprüche leicht gesteigert, um bei dieser Gelegenheit den zehnjährigen Freundschafts- und Nichtangriffspakt kündigen zu können, den Deutschland mit Polen im Jahre 1934 geschlossen hat. Von diesem Zeitpunkt an bleiben die Ansprüche, die Hitler gegenüber Polen angemeldet hat, ein halbes Jahr in der Schwebe. Die Stunde ist noch nicht gekommen. Hingegen geht das Schachspiel um die Konstellation der Großmächte weiter. In seinem Größenwahn hat Hitler aus dem Entgegenkommen, das Frankreich und Großbritannien in München gezeigt haben,
108 völlig falsche Schlüsse gezogen. In der Annahme, daß diese beiden Länder als Demokratien dekadent und schwach geworden seien, wird er durch den eitlen und törichten Ribbentrop, in dem er seinen „kühnen Außenminister" entdeckt hat, immer wieder bestärkt. Hingegen mißt er der Haltung der Sowjetunion eine ausschlaggebende Bedeutung bei.
Im April nehmen Frankreich und Großbritannien Fühlung mit Mokau, um dieses gleichfalls zu einer Garantierung Polens zu veranlassen. Die Besprechungen sind nicht sehr erfolgreich, da die Sowjetunion Stützpunkte in den baltischen Ländern verlangt. In der Reichshauptstadt zeigt Hitler hingegen dem neuen Sowjetbotschafter ein sehr freundliches Gesicht. Er scheint Anfang Mai zu geheimen Parallelverhandlungen mit Moskau gelangt zu sein. Am 22. Mai wird das deutsch-italienische Freundschaftsverhältnis zu einem förmlichen militärischen Bündnis erweitert. Die militärischen Vorbereitungen werden jetzt in größerem Umfange aufgenommen. Eine wachsende Anzahl von Jahrgängen wird zu Sommerübungen einberufen. Hitler inspiziert mit Ribbentrop Ende Juli den Riegel, den er mit dem Westwall gegen jede militärische Intervention von dieser Seite errichtet zu haben glaubt. Frankreich nimmt zur Warnung jetzt gleichfalls Einberufungen vor. Großbritannien, das am 27. April die allgemeine Dienstpflicht eingeführt hat, zum ersten Mal in seiner Geschichte in Friedenszeiten, läßt seine Flotte demonstrative Übungen veranstalten. Am 11. August wird eine französische und eine britische Militärmission nach Moskau entsandt, um die ins Stocken geratenen Verhandlungen auf neuer Grundlage wieder flottzumachen. Am 21. August platzt dann die Bombe: es wird bekanntgegeben, daß Deutschland und die Sowjetunion sich inzwischen über einen Nichtangriffspakt verständigt haben, der am 23. August durch. Herrn von Ribbentrop in Moskau unterzeichnet wird. Mit einem Schlage rücken die Meldungen über die Zwischenfälle in Danzig, an der Korridor-Grenze auf die erste Seite der Tageszeitungen. Im Rundfunk beginnt die Kampagne gegen den Terror, dem die deutschen Volksgenossen in Polen ausgesetzt seien.
In einer Reihe von Besprechungen, persönlichen Schreiben, förmlichen Noten wird Hitler von Frankreich, England, den Vereinigten Staaten, der päpstlichen Kurie noch einmal gewarnt und beschworen. Er scheint jedoch mit jener Blindheit geschlagen zu sein, die den Höhe- und Wendepunkt seines Schicksalsweges ankündigt. Der Abgrund ruft ihn.
In einer Besprechung mit dem britischen Botschafter bemerkt er am 23. August: „Ich ziehe den Krieg im Alter von fünfzig Jahren dem im Alter von fünfundfünfzig oder gar sechzig Jahren vor." Am 26. August werden die Flugplätze zu Sperrzonen erklärt, am 27. August die Lebensmittelkarten eingeführt. In einer neuen Intervention bemühen sich Frankreich und Großbritannien noch einmal, direkte deut sch-p oln sehe Verhandlungen über das herbeizuführen, worum es angeblich doch geht, nämlich die Danzig- und die Korridor-Frage. Die Aussichten, auf dem Verhandlungswege die bisher vorgebrachten Forderungen durchzusetzen, sind denkbar günstig. Danzig ist von den Westmächten praktisch längst abgeschrieben, den Korridor verwünschen sie als eine der unglücklichsten Halbheiten, die in Versailles zuwege gebracht worden sind. Aber wenn Hitler etwas nicht will, dann sind es politische Verhandlungen, dann sind es sachliche Zugeständnisse. Als der britische Botschafter Henderson am 29. August dringend darum bittet, endlich in konkreter Form zu erfahren, welche Ansprüche die Reichsregierung an Polen stelle, schnurrt Ribbentrop ihm mit größter Schnelligkeit die Liste herunter, lehnt eine Einsichtnahme oder gar die Aushändigung des Schriftstückes jedoch ab. Erst nachdem die in ihm genannte Frist zur Entsendung eines Generalbevollmächtigten verstrichen, der Konfliktsgrund also gesichert ist, wird der angebliche Text dieses vorgelesenen Schriftstückes veröffentlicht. Die bescheidenen Forderungen, auf die man jetzt nicht mehr festgelegt werden kann, dienen nunmehr dazu, die Ansprüche Hitlers als maßvoll, die Haltung Polens und der Westmächte als frevelhaft hinzustellen.
In den frühen Morgenstunden des 1. Septembers 1939 werden ohne Kriegserklärung die Bahnhöfe der polnischen Städte, die Brücken und Überlandstraßen bombardier t. Die deutschen Truppen überschreiten die Grenze. Die Westmächte halten jedoch noch für drei Tage die Möglichkeit einer Beilegung des Konfliktes offen. In einer Note vom
2. September bestehen sie auf der Einstellung der Feindseligkeiten und der Räumung des schon besetzten Gebietes. Eine Intervention Italiens, das einen Waffenstillstand und eine Konferenz der Ministerpräsidenten vorschlägt, sollte Hitler die Möglichkeit verschaffen, an den Grenzen von 1914 stehen zu bleiben. Aber was bedeuten diese „Augenblicksgrenzen eines in keiner Weise abgeschlossenen Ringens" einem Geiste, der Jahrtausende gestalten will? Er winkt ab. Am 3. September wiederholen Frankreich und Großbritannien ihre Forderungen in ultimativer Form. Um 11 Uhr tritt der Kriegszustand mit Großbritannien, um 5 Uhr nachmittags der Kriegszustand mit Frankreich ein. Die Blindheit Hitlers, die Torheit der NSDAP geht so weit, auch jetzt noch anzunehmen, daß es sich um eine Geste dieser beiden Mächte handle. Sie glauben, nach einer schnellen Niederwerfung Polens zu Vereinbarungen mit ihnen gelangen zu können. Was wissen sie von gegebenem Wort, von Ehre und Vertragstreue?
Das deutsche Volk sieht sich am 3. September mit dumpfem Staunen in einen neuen Krieg mit den Großmächten verstrickt. In seinen einsichtigeren Vertretern fühlt es jedoch: es mußte so kommen. Wenn der erste Weltkrieg in seiner eigentlichen Bedeutung nie begriffen worden war - wenn sogar seine einfachen äußeren Tatsachen entstellt und verfälscht worden waren - wenn eine neue Generation in noch schrankenloserem Staatskult herangezogen worden war - ja, wo in aller Welt hätte das denn anders hinführen sollen als zu einer zweiten, noch schrecklicheren Katastrophe -?
Der erste Weltkrieg ist 1918, wie sich jetzt furchtbar erweist, nur abgebrochen worden, nicht beendigt gewesen. Er hat 1939 eine Wiederaufnahme erfahren, der ihn seinem eigentlichen Höhepunkte erst zuführen sollte. Es handelt sich um einen einheitlichen geschichtlichen Vorgang, einen neuen Dreißigjährigen Krieg, der von 1914 mit einigen politischen Zwischenphasen bis 1945 gedauert hat. Er wird von nicht geringerer Bedeutung in der Geschichte Europas sein.
Ein Kriegslied
's ist Krieg! 's ist Krieg! 0 Gottes Engel wehre,
Und rede du darein!
's ist leider Krieg - und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!
Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß
Die Geister der Erschlagenen zu mir kämen
Und vor mir weinten, was?
Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten und mir fluchten
In ihrer Todesnot?
Wenn tausend, tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?
Wenn Hunger, böse Seuch' und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?
Was hülf mir Kron und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
's ist leider Krieg - und ich begehre,
Nicht schuld daran zu sein!
Matthias Claudius
Dieses „Kriegslied", wie es schöner und würdiger in keiner anderen Sprache geschrieben wurde, durfte in deutschen Schulen nicht gelehrt werden.
112
Ein Land nach dem andern
Der Angriff auf Polen, der mit einer gewaltigen Anzahl von Flugzeugen und Panzern vorgenommen wird, führt zu schnellen Erfolgen, obwohl die polnische Armee erbitterten Widerstand leistet. Es entsteht eine Art Kriegsstimmung in Deutschland. Die Siegesfanfaren übertönen das Bombardement der Stadt Warschau, das Europa schon mit dunklen Ahnungen über die Zukunft des Luftkrieges erfüllt.
Im Frühjahr 1940 erfolgt der Einmarsch in Dänemark und der Angriff auf Norwegen, in peinlichem Zusammenwirken der deutschen Gesandtschaften mit einheimischen Verrätern. Einige Wochen später hat die Stunde Hollands, Belgiens und Luxemburgs geschlagen. Es erweist sich, daß diese Überfälle gleichfalls von langer Hand vorbereitet sind. Deutsche, die das Gastrecht dieser neutralen und befreundeten Länder genossen, sind zu Späherdiensten jeder Art herangezogen worden. Deutsche Fallschirmjäger, deutsche Agenten werden jetzt, zum Teil in der Kleidung von einheimischen Soldaten, von Briefträgern, Kaminkehrern, ja von Geistlichen eingesetzt. Die Stadt Rotterdam wird bombardiert, weil die holländische Armee die Kapitulation verweigert. In einer halben Stunde sterben 30 000 Menschen. Die belgischen Landstraßen, die mit fliehender Zivilbevölkerung bedeckt sind, werden von deutschen Flugzeugen rücksichtslos mit Bordwaffen beschossen.
Der Feldzug gegen Frankreich wird gleichfalls durch die Flugzeuge und Panzer entschieden. Der Blitzkrieg im Westen gibt den ersten Einblick in das wirkliche Ausmaß der deutschen Rüstungen. Aber auch die „innere" Front Frankreichs ist nicht vergessen worden, so daß der Widerstand bald zusammenbricht. Die deutschen Siegesfanfaren, die durch den Äther klingen, nehmen kein Ende mehr. In diesen Monaten entwickelt sich leider eine wirkliche Kriegsstimmung im deutschen Volk. Es glaubt ein neues 1870/71 zu erleben. Hitler ist für viele nicht mehr der Parteiführer, der Usurpator, sondern der Führer der Nation zu einem neuen Reiche „der Macht und Herrlichkeit". Sie stellen nicht mehr die Frage nach Recht oder Unrecht. Sie -sehen die leichten Siege; von den Völkerrechtsverletzungen, von den Brutalitäten und Verbrechen dringt wenig zu ihnen. Zahlreiche Deutsche gehen gedankenlos darüber hinweg, daß Hitler, der sie selbst knechtet, anderen, militärisch unterworfenen Völkern die Schrecken der Gestapo, der Konzentrationslager, der Marterungen und Erschießungen gewiß nicht ersparen wird. Das nationalsozialistische Gift hat nie eine so breite Wirkung gehabt, wie in diesem Halbjahr des Siegesrausches.
In einer großen Reichstagssitzung ernennt der Gefreite, der jetzt endlich Feldherr geworden ist, einen Reichsmarschall, ein halbes Dutzend Marschälle, ein Dutzend Generalobersten, Hunderte von Generälen. Er streut Eiserne Kreuze in alle Windrichtungen aus. In einer großartigen Geste schlägt er Großbritannien (bis auf weiteres) Frieden vor, mit dem Angebot (das als solches schon schrecken mußte), sein Empire garantieren zu wollen. Im Herbst findet die „Luftschlacht um England" statt, die Göring von einem Befehlsstand an der Kanalküste leitet, und die den Auftakt zu seiner Invasion bilden soll. In todesmutigem Einsatz schlagen einige Hundert englische Jagdflieger die Tageseinflüge der deutschen Luftwaffe zurück, womit die Kriegsentscheidung im Grunde schon gefallen ist. Das englische „Marne-Wunder" ist da, denn für das nur schwach gerüstete, doch über größte Hilfsquellen verfügende Großbritannien heißt Zeit gewonnen, alles gewonnen. In blinder Wut befiehlt Hitler die nächtliche Bombardierung Londons.
Die deutsche Luftwaffe setzt jetzt fort, was sie während des spanischen Bürgerkrieges in Guernica begonnen, in Warschau stark gesteigert, in Rotterdam auf seinen bisherigen Höhepunkt gebracht hatte: die Bombardierung von Großstädten. Die deutsche Kriegspropaganda gibt ihren Gegnern ein furchtbares Belastungsmaterial in die Hand, wenn der Sender Bremen im September 1940 die Bombardierung Londons mit folgenden Worten ankündigt: „Tausende von todbringenden Flugzeugen werden auf London niederstoßen. Die große, stolze Themse-Stadt wird zum flammenden Hochofen werden. Unzählige Menschen werden sich in den Flammen krümmen und winden. Wenn die deutschen Truppen in die frühere Hauptstadt des Empire einmarschieren, wird es in den Ruinen der Straßen still sein. Vielleicht mutet diese Beschreibung sensationell an, doch können die überlebenden von Warschau und Rotterdam beweisen, daß sie stimmt." alle Tageszeitungen sind auf diesen Ton gestimmt, wie Hitler ihn mit seinem verhängnisvollen Satze selbst angegeben hat: „Ich werde ihre Städte ausradieren." Die Kriegsberichterstatter, die in Flugzeugen über London kreuzen, um die Einschläge der Bomben zu schildern, ahnen wohl nicht, daß diese Bomben einmal hundertfach über deutsche Städte niedergehen werden. Die Schilderung der „Hölle unter uns" wäre andernfalls gewiß weniger emphatisch ausgefallen.
Das Frühjahr 1941 bringt den Einfall in Jugoslawen, mit dem Hitler in einem Freundschafts- und Nichtangriffspakt steht. Im Anschluß daran wird Griechenland niedergeworfen, das inzwischen von dem faschistischen Italien angefallen worden war. Ungarn, Bulgarien, Rumänien schließen sich den Achsenmächten an.
Am 21. Juni erfolgt der Angriff auf die Sowjetunion, der zum offenen Wendepunkt des Krieges führen soll. Dieser Einfall ist gleichfalls unprovoziert. Der am 23. August 1939 abgeschlossene deutsch-russische Nichtangriffspakt, der von Hitler als „definitiv und endgültig" bezeichnet worden war, ist von der Sowjetunion nicht verletzt worden. Die Rote Armee, die inzwischen Stützpunkte in den baltischen Ländern besetzt hatte, war in Polen nur bis an die vereinbarte Demarkationslinie vorgerückt. Berlin und Moskau hatten nach Abschluß des Polen-Feldzuges am 28. September eine gemeinsame Erklärung erlassen, in der sie eine Fortsetzung des Krieges als sinnlos bezeichnet und die Westmächte zum Friedensschluß aufgefordert hatten. Die Sowjetunion hatte seitdem große Mengen Getreide und Erdöl an Deutschland geliefert; eine weitere, beträchtliche Erhöhung dieser Lieferungen war in Aussicht gestellt worden. Wenn die deutsche Kriegs- und Rüstungswirtschaft bisher so glatt und reibungslos verlaufen war, so gerade wegen dieser Lieferungen. Der Ablauf der militärischen Ereignisse bestätigt, daß im Sommer 1941 keinerlei Truppenkonzentrationen an der russischen Westgrenze vorgenommen sind, die über den Rahmen von Vorsichtsmaßnahmen hinausgehen, wenn die Beziehung der beiden Mächte auch auf die Dauer als unsicher erscheinen mochte. Daher können zunächst raumgreifende Erfolge erzielt werden, die ein völlig falsches Bild von den wirklichen Kräfteverhältnissen hervorrufen. Hitler erklärt: „Ich spreche das erst heute aus, weil ich es erst heute aussprechen kann, daß dieser Gegner niedergeworfen ist und sich nie wieder erheben wird." Aber in wenigen Wochen zeigt sich jetzt auch hier die Grenze, die Hitler gezogen ist. Seine Soldaten können nach Leningrad hineinsehen, nach Moskau hineinsehen, im folgenden Sommer die Wolga gerade erreichen, den höchsten Gipfel des Kaukasus eben bezwingen, so wie sie in Afrika gerade bis vor die Tore Alexandriens gelangen sollten, um dann - jene Rückwärtsbewegung antreten zu müssen, die man zwei Jahre lang als „elastische Verteidigung" bezeichnet, bis sie 1945 in den offenen Zusammenbruch übergehen.
Am 7. Dezember 1941 hat Japan, das mit Deutschland und Italien im Dreier-Pakt stand, die Vereinigten St aaten angegriffen. Es hat ohne Kriegserklärung das Pacific-Geschwader der amerikanischen Flotte in Pearl Harbour schwer bombardiert. Der europäische Krieg weitet sich zum neuen Weltkrieg aus. Die Vereinigten Staaten, die Großbritannien bisher schon durch Lieferungen unterstützt hatten, werfen jetzt in unvergleichlichem Rüstungstempo das gewaltige Gewicht ihres militärischen und industriellen Potentials in die Waagschale. Der U-Boot-Krieg, auf den schon der „alte Klabautermann" Tirpitz im ersten Weltkrieg so falsche Erwartungen gesetzt hatte, erweist sich erneut als Versager. Die Westmächte können 1943 in Afrika landen, nach Sizilien übersetzen, das faschistische Regime in Italien wegfegen. Sie können die deutschen Städte, die deutsche Rüstungsindustrie in Schutt und Asche legen. Sie können 1944 den Atlantikwall durchbrechen, als wenn er nicht vorhanden wäre. Sie können in Frankreich landen, wo Hitler den „stets betrunkenen, militärischen Idioten" Glück gewünscht hatte, wenn es ihnen gelinge, „auch nur 9 Stunden an Land zu bleiben". Sie können unter dem Jubel der Bevölkerung die „neue Ordnung Europas" wieder umstoßen, die besetzten Länder wieder befreien, um 1945 dann den Westwall zu durchbrechen und in den Kern der deutschen Länder vorzustoßen, während gleichzeitig die Rote Armee von Osten her eindringt.
Der Gefreite, der den Staatsmann und Feldherrn spielen wollte - der den ersten Weltkrieg wiederholen wollte, aber diesmal ohne Fehler -, der sich nur darüber beklagte, daß ihm ein Gegenspieler fehle, der seiner würdig sei - dieser Prophet eines neuen, tausendjährigen Reiches enthüllt sich jetzt als der blutigste Dilettant, den die Weltgeschichte je gesehen ha t. Er konnte Kriege anzetteln, er konnte Flugzeuge und Panzer vorschicken, er konnte eine Division nach der andern einsetzen, solange er die absolute Überlegenheit an Menschen und Material besaß, und der militärische und industrielle Apparat hinter ihm mit gewohnter Tüchtigkeit arbeitete. Seitdem seine Gegner stärker sind als er, fällt ihm jedoch nichts mehr ein. Er ist bald so vollständig am Ende seines kläglichen Lateins angelangt, daß er nicht die geringste militärische oder politische Reaktion mehr zuwege bringt. In immer schnellerer Folge wechselt er seine Generäle und Marschälle aus, um nur noch jenen Wunderwaffen nachzujagen, mit denen er das Schicksal noch in zwölfter Stunde wenden will' Aber kein „Samiel, hilf!", keine Teufelsbeschwörung in seiner Wolfsschlucht von Berchtesgaden nutzt ihm. Er hat mit seinen „Höllenhunden", mit seinen übrigen „Vergeltungswaffen" keinen anderen Erfolg, als den Abscheu der Welt noch zu steigern. Es drängt ihn offenbar jedoch, wie ein Herostrates zum größten Frevler seiner Zeit zu werden, um seinen Namen wenigstens auf diese Weise in die Geschichte einzuzeichnen. Er will mit beispiellosen Schrecken untergehen ...
Dieser Erfolg bleibt ihm nicht versagt. Die deutschen Dörfer und Städte werden den Blutzoll nie vergessen, den sie für den Aufstieg und das Ende dieses Usurpators entrichten mußten. Es sind Millionen deutscher Soldaten gefallen, an der Maas oder der Schelde, im Apennin oder in den Pyrenäen, im Dämmer der Vor-Arktis, in den Steppen Rußlands, in den Wüsten Afrikas. Andere sind von ihren Fahrten „gegen Engel-. land" nicht zurückgekehrt. Wie viele Mütter haben ihre Söhne verloren, wieviel Witwen und Waisen sind zurückgeblieben! Millionen deutscher Soldaten sind in Gefangenschaft geraten, Millionen von Ostdeutschen sind von einer Stelle zur andern verschoben worden, bis sie irgendwo untergingen. Eine unvorstellbare Summe menschlichen Leides ist durch Hitler über uns gekommen. Das Nationalvermögen eines ganzen Volkes, die Arbeit von Generationen ist durch ihn verschleudert und vertan worden. Hitler hat sich gerühmt, allein bis zum Jahre 1939 mehr als 150 Milliarden Mark für Rüstungen ausgegeben zu haben. Dieser Betrag muß bis zum Ende auf das Vielfache gestiegen sein. Dazu kommen die furchtbaren Zerstörungen, so daß uns außer dem nackten Leben, Erinnerungen und Trümmern kaum noch etwas geblieben ist. Und was sollen erst jene Nachbarvölker sagen, über die Hitler wie ein Timur der Lahme hereingebrochen ist, um sich auch bei ihnen als „Herr über Seele und Körper" aufzuwerfen, um Schädelpyramiden in ihren Ländern zu errichten, um zu sengen und zu morden?
So hebt die preußisch-neudeutsche Tradition sich selbst auf. Der Staatsgott Hegels, der nur „Eisen wachsen ließ", hat sich als der Moloch erwiesen, der seine eigenen Kinder verschlingt. Der „Zwingherr zur Deutschheit", nach dem ein Fichte verlangte, hat sich als der größte Zerstörer alles Deutschen enthüllt. Der geisteskranke Nietzsche, der seiner Generation den Wunschtraum vom Übermenschen, vom Mann der Tat vorträumte, ist als falscher Prophet entlarvt, wenn er voraussagte, daß wir jetzt in das klassische Z eitalter des Krieges getreten seien: „auf das alle kommenden Jahrtausende als auf ein Stück Vollkommenheit mit Neid und Ehrfurcht zurückblicken werden". Diese Kriegsideologie ist an der furchtbaren Wirklichkeit dieses Krieges jetzt endgültig zerbrochen. Und wenn von der Forderung Ludendorffs, das Christentum zu beseitigen, weil es der „Mobilmachung" im Wege sei und die „Totalität" sprenge, nach Hitler noch etwas übrig geblieben ist, so kann es nur die Empfehlung sein, das Gegenteil von dem zu denken und zu tun, was dieses Paar gedacht und getan hat.
Es ist in der Tat eine echte Alternative, die hier gestellt ist.
Greuel ohne Zahl
Der Krieg, den Hitler vom Zaun gebrochen hat, ist schon als solcher ein furchtbarer Frevel gewesen. Er mußte - neben dem eigenen Lande - auch den anderen Ländern und Völkern ungeheure Schäden an Gut und Blut zufügen, wie immer Sieg oder Niederlage ausfallen mochten.
Die kleinen Länder haben in der Tat Hunderttausende, die größeren Länder Millionen an Gefallenen zu beklagen. Zahlreiche Städte sind zerstört, ganze Landstriche verwüstet worden. Der Krieg hat sie das Gold und die Devisen ihrer Nationalbanken, alle Rohstoffe, alle Warenlager gekostet, die vorhanden waren. Die Mangellage, die 6 Jahre nationalsozialistischen Regimes in Deutschland hatte entstehen lassen, wirkte sich dahin aus, daß die deutschen Truppen sich wie Heuschreckenschwärme in die besetzten Gebiete ergossen. Es fand ein „Kahlfraß" statt, der mit den sieben Plagen Ägyptens verglichen werden muß.
Es ist jedoch ein ganz anderer Gesichtspunkt, unter dem dieser Krieg im Gedächtnis der besetzten Länder fortleben wird. Im Gefolge der deutschen Divisionen erschien die deutsche Polizei, ob sie sich nun Feldgendarmerie, Sicherheitsdienst, Geheime Staatspolizei oder SS nannte, um eine Willkür- und Schreckensherrschaft in der Etappe aufzurichten. Wer Hitler war, wes Geistes Kinder seine Spießgesellen waren, was der Nationalsozialismus im Grunde wollte, läßt sich an keiner Stelle so klar, empörend und erschütternd erkennen, wie an dieser „Schwarzen Schmach", die über Europa dahingegangen ist. „Wir müssen grausam sein", hat Hitler seiner Gefolgschaft selbst gesagt. „Wir müssen das gute Gewissen zur Grausamkeit wiedergewinnen." Sie hat es gewonnen ...
Da ist zunächst die Festnahme und Erschießung von Geiseln, wie sie in Dänemark, Norwegen, Holland, Belgien, Luxemburg, Frankreich, den Balkanländern und später auch Italien geübt wurde. Es widerspricht jedoch dem elementarsten Naturrecht - dem Recht, das nach Goethe „mit uns geboren ist" -, wenn Menschen für Taten verantwortlich gemacht werden, mit denen sie nichts zu tun haben. Es stellte aber auch eine flagrante Verletzung völkerrechtlicher Bestimmungen dar, es ist glatter Mord gewesen, wenn Zehntausende auf diese Weise in Kellern und Hinterhöfen getötet worden sind.
Die Einzelerschießungen von Geiseln sind bald durch Strafmaßnahmen abgelöst worden, die sich gegen ganze Ortschaften richteten. Da ist der Fall Lidice, der für Wochen und Monate das Entsetzen der Welt gebildet hat. Der Stellvertreter des Reichsprotektors von Böhmen und Mähren, der SS-General Heydrich, ist wegen der Marterung und Ermordung von Tschechen, die er angeordnet hatte, in seinem Wagen erschossen worden. Die Täter scheinen sich auf ihrer Flucht vorübergehend in dem Dorfe Lidice aufgehalten zu haben. Dieses Dorf wird von SS umstellt, die Einwohner werden einschließlich aller Frauen und Kinder niedergeschossen, die Häuser in Brand gesetzt und dem Erdboden gleichgemacht.
In dem französischen Dorfe Oradour-sur-Glane erscheinen am 10. Juni 1944 einige SS-Wagen. Die Männer des Dorfes müssen sich in einigen Scheunen versammeln, während die Frauen aufgefordert werden, sich mit ihren Kindern nach der Kirche zu begeben, wo sie eingeschlossen werden. Die Männer werden in Gruppen von 20 Mann erschossen. In der Kirche wird Gas entwickelt und die Kirche mit dem Dorf dann in Brand gesteckt. Von der Bevölkerung, die sich auf 800 Personen beläuft, entkommen zehn. Unter den Toten befinden sich die beiden Geistlichen des Dorfes, die in der Kirche zu Füßen des Altares gestorben sind. Eine amtliche deutsche Stelle erklärt auf die entsetzte Frage des Präfekten, was die Beweggründe zu dieser Maßnahme gewesen seien: „Es war leider ein Irrtum. Die Expedition sollte nicht gegen das Dorf Oradour?sur-Glane, sondern gegen das Dorf Oradour-sur-Vayres geführt werden."
Im Osten, wo man freien Raum schaffen will, werden Völker verdrängt und ausgerottet, wie es seit der Völkerwanderung, seit der Christianisierung Europas nicht mehr vorgekommen ist. Zunächst in Polen, dem Hitler seinen ersten Freundschafts- und Nichtangriffspakt verdankt. Er hat ihm das Schicksal eines Helotenvolkes zugedacht. In erster Linie sucht er daher jene Schichten zu beseitigen, die als die eigentlichen Träger des moralischen Widerstandes, der nationalen Tradition, der polnischen Kultur gelten. In zahlreichen Diözesen werden mehr als 90 Prozent des Klerus getötet oder deportiert. Die Seminare werden geschlossen, der Gottesdienst auf jede Weise erschwert. Zahlreiche Universitätsprofessoren, Studienräte, Lehrer, Ärzte, fast alle Anwälte, Schriftsteller, Journalisten verschwinden. Aus dem westlichen Polen, das sofort germanisiert werden soll, werden auch die Bauern deportiert. Die Krankenhäuser, die Irrenanstalten werden ihrer Insassen entledigt. Es soll nur noch polnische Land- und Industriearbeiter geben.
Ein grauenvolles Schicksal ist den Juden beschieden. Seit der Zerstörung Jerusalems, nach dem messianischen Aufstand unter Hadrian, ist dem Volke Israel nicht so Furchtbares widerfahren. Die Synagogen werden geschändet, die Juden in Warschau, Lublin und anderen Städten zu großen Ghettos zusammengefaßt. Die Behandlung ist zunächst erträglich, bis die Absonderung völlig durchgeführt ist. Hierauf werden die ärztliche Betreuung, die Verpflegung auf ein Mindestmaß herabgesetzt, während eine harte Arbeitspflicht eingeführt wird. Es werden neben einer mageren Suppe, die täglich zweimal verabfolgt wird, nur 2 Kilo Brot im Monat geliefert; der Tageslohn von 3 Zloty für 12 Stunden Arbeit muß an die SS-Kasse abgeführt werden. Die begüterten Ghetto-Insassen sind auf diese Weise gezwungen, nacheinander alles abzugeben, was sie an Schmuckstücken, Wertsachen, Reiseschecks, Banknoten noch besitzen; die ärmeren veräußern ihre Mäntel, ihre Gebrauchsgegenstände, ihren letzten Hausrat. Nachdem auf diese Weise alles aus ihnen herausgepreßt ist, sinkt auch die Arbeitsleistung schnell ab. Die Entkräftung, die Verelendung ist so allgemein, daß Hunger und Typhus eine furchtbare Ernte halten. Die Ghettos sind nur noch eine Last. Am 15. März 1942 beginnt die unmittelbare Ausrottung. Es ist zunächst das Ghetto von Lublin, das geräumt wird. In ihm befinden sich viele Juden aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei. Unter Leitung des SS-Führers Globoznik, dem der SS-Major Dolff aus dem Konzentrationslager Dachau zur Seite steht, werden nach und nach rund 300 000 Menschen deportiert. Am 21. Juli 1942 kommt das Ghetto von Warschau an die Reihe, wo zeitweilig 500 000 Menschen zusammengepfercht sind.
Keine Phantasie reicht aus, um sich die Höllenszenen auszumalen, die sich hier während der nächsten Wochen und Monate abspielen. Am 21. Juli erscheint die Anordnung der Ghetto-Verwaltung, daß „alle Juden ohne Unterschied des Alters oder Geschlechtes in den Osten deportiert werden müssen". Es sollen zunächst 5000 Mann täglich abtransportiert werden, später mehr. Die SS-Führer geben ihr „Offiziersehrenwort", daß den Abtransportierten keine Gefahr drohe. Es werden Prämien an Brot und Marmelade für jene ausgesetzt, die sich freiwillig zur „Arbeitsleistung im Osten" melden. Die Insassen des Ghettos kennen jedoch ihre Henker allmählich. Es entwickelt sich eine Panik, die alle Erscheinungsformen der Hysterie und des Wahnsinns aufweist, von den Ausbrüchen wilder Verzweiflung bis zu stumpfer Ergebenheit. Die SSMänner dringen in die Häuser ein, um wahllos Personen herauszuschleppen, bis die jeweilige Tagesratiön erreicht ist. Männern werden die Frauen weggerissen, Müttern die Kinder. Wer sich widersetzt, wer stehen bleibt, wer sich am Fenster zeigt, wird niedergeschossen. Mit Peitschen, Knüppeln und Kolben werden die so gebildeten Elendszüge zum Bahnhof getrieben. Je 150 Menschen werden in einen Güterwagen gepreßt, wo sie so dicht stehen, daß die Sterbenden und Toten nicht niedergleiten können. Auf die Köpfe werden ihnen oft noch Kinder geworfen, die vor Angst von Sinnen sind.
Nach einem halben Jahr sind noch 40 000 Menschen im Ghetto von Warschau, wo einmal 500 000 waren. Diese kleine Anzahl entschließt sich plötzlich zu einem aussichtslose n, verzweifelten Widerstand. Auf die SS?Männer, die in die Häuser eindringen, wird heißes Wasser oder kochender Teer gegossen, werden Ziegelsteine geschleudert. Die geheime polnische Widerstandsbewegung hat einige Schußwaffen und Lebensmittel in das Ghetto geschmuggelt. Die Lebensmittellager, die sich im Ghetto befinden, werden in eigene Verwaltung genommen. Die SS muß jetzt mit Panzerwagen und Geschützen in die Straßen eindringen, sie muß Haus für Haus erobern, um ihre Opfer herauszuholen. Am 18. April 1943 werden mehrere SS-Divisionen zum Sturm auf den Kern des Ghettos eingesetzt. Die Straßen sind durch die Häusertrümmer so schwer passierbar geworden, daß der Sturm abgeschlagen wird. Eine Woche lang werden nunmehr Flugzeuge und schwere Artillerie eingesetzt, bis die letzten 10 000 Mann niedergemacht sind.
Die Art und Weise, wie die Deportierten getötet werden, macht ein Experimentier-Stadium durch, bis sie zu jener organisatorischen und technischen Zweckmäßigkeit gelangt, die den Mord in großen Serien gestattet. Im Lager von Belzec werden die Ankommenden eine Zeitlang durch elektrischen Starkstrom getötet. In anderen Fällen werden sie zu Versuchen für die Luftwaffe und für die U-Boote benutzt. Ein anderes Tötungsverfahren besteht darin, Chlorkalk auf den Boden der Güterwagen zu streuen, so daß sich bei Feuchtigkeit Chlorgase entwickeln. Wenn diese Wagen an ihrem Bestimmungsort ankommen, enthalten sie nur noch Leichen. Ihren Höhepunkt erreicht die Tötungstechnik in den großen „Vernichtungslagern", wie sie in Maydanek bei Lublin, in Auschwitz (Polnisch-Oberschlesien) und an anderen Orten eingerichtet werden. Hier ist der Mord zur Vollkommenheit entwickelt, in ein Verfahren am laufenden Band gebracht. Die Ankommenden werden nach Männern, Frauen und Kindern getrennt, in eine „Bade-Anstalt" getrieben, wo sie in einer „Desinfektionshalle" zunächst ihre Wäsche, Kleider und Schuhe sorgfältig ablegen müssen, bevor sie in eine „Brausehalle" weiter müssen, wo Duschen und Griffe den Eindruck eines Brausebades erwecken. Wenn 2000 Personen in dem Raum eingeschlossen sind, wird Cyanogen-Gas in ihn geleitet. Von Juden, die für einige Wochen Aufschub erhalten haben, werden die Leichen dann in Ofenräume geschleppt, von wo die Asche als Düngemittel weggeschafft wird. Allein in Auschwitz werden bis zum Frühjahr 1944 rund 1 700 000 Juden getötet. Zu ihnen kommen im Laufe des Sommers noch mehrere hunderttausend ungarischer Juden, die vom 21. Mai dieses Jahres an zu 12 000 im Tag dorthin geschafft werden. Sie werden zu 60 in Lastwagen gestopft, wo sie vier Tage ohne Nahrung, Wasser oder hygienische Einrichtungen stehend zuzubringen haben. In Maydanek bei Lublin sind bis zum Sommer 1944 rund 1 500 000 Juden ermordet worden.
In der Sowjetunion, wo die Fronten beweglich und die Etappen zu weiträumig sind, müssen primitivere Methoden angewendet werden, wenn man Juden und andere Sowjetbürger in größerer Anzahl töten will. Die Phantasie der SS-Kommandeure hat deshalb zunächst einen größeren Spielraum. In einigen Fällen, zum Beispiel in Kamien Koszyrski (Ukraine) lassen diese die Juden aus der Stadt hinaustreiben, auf dem Felde lange Gräben ausheben, und zwingen eine erste Gruppe dazu, sich in regelmäßiger Reihe in diesen hineinzulegen. Dann steigt ein SS-Mann mit einer Maschinenpistole über sie her, dann muß sich eine zweite Schicht in die Gräben legen, und so fort. Nach einiger Zeit werden im Osten die fahrbaren Gaszellen eingeführt, die für die sowjetrussische Bevölkerung zum Symbol und zum Schrecken der deutschen Besatzungszeit werden. Es handelt sich um große, luftdicht geschlossene Lastwagen, die in der üblichen Weise mit Männern, Frauen und Kindern vollgestopft werden. Nach der Abfahrt werden die Auspuffgase des Motors für einige Minuten in diese Zelle geleitet, und wenn der Wagen an einem Bestattungsort anlangt, kann die Ausladung sofort beginnen. Es wird angenommen, daß in den Menschen-Schlachthäusern Polens und Rußlands insgesamt 5 Millionen Juden umgebracht worden sind.
Es ist der Geist Hitlers, der über diesen Mordlagern schwebt! Er hat als Tierquäler in der Schule begonnen. Er hat sich in den Verirrungen seiner Jugend zu Schmutz, Qual und Blut orientiert. Er hat als Antisemit blindwütig hassen gelernt. Er hat als Soldat eine Niederlage und einen Zusammenbruch erlebt, deren Notwendigkeit er nie verstanden hat. Er hat mit der ihm eigentümlichen Starrheit jede Kränkung, jede Anwandlung von Haß und Rache in sich aufbewahrt und aufgespeichert. Er ist so zu jenem Zerrbild eines Menschen geworden, der das Herz eines Sternickel, eines Harmann, eines Kürten in seiner Brust trägt.
Der Größenwahn hat diesen Zug dann ins Überdimensionale gesteigert. Er will nicht, wie andere seinesgleichen, 5. 6, 8 oder 12 Leichen an seinem Wege lassen, er denkt sich in stets wachsende Zahlenvorstellungen hinein. In den Jahren 1917 oder 1918, wo er angesichts des Gaskrieges schon die Ideenverbindung „Juden" und „Giftgas" entwickelt, mögen es noch Hunderte gewesen senil die ihm vorgeschwebt haben. Als er diesen Plan im zweiten Teil seines Buches, also acht oder neun Jahre später, schriftlich festhält, schreibt er hingegen schon: „Hätte man zu Kriegsbeginn oder während des Krieges einmal zwölf- oder fünfzehntausend dieser hebräischen Volksverderber so unter Giftgas gehalten .. ." Mit der Folgerichtigkeit des Irren oder des Verbrechers weiß er, daß es nur der Besitz absoluter staatlicher Gewalt ist, die ein Austoben im großen gestattet. Das Unglück will es, daß er auf einen Staat mit derartigen Machtkomplexen, auf ein Volk mit so wechselnder Gemütslage und einem so unsicheren politischen Instinkt gestoßen ist, um jene unselige Verbindung herbeizuführen, welche die Anzahl seiner Opfer auf insgesamt vielleicht 2 0 Millionen ansteigen läßt.
In der SS hat er eine Hierarchie des Kranken und Bösen errichtet, in der HJ hat er Schule mit ihnen gemacht. Die gemeinsamen Ausschreitungen, die „schwarzen Messen", die in einzelnen dieser Gruppen gefeiert werden, lassen einen förmlichen Kult des Satanischen erkennen, wie er nur aus der Geschichte der Sexualpathologie bekannt ist. Wer an der Intensität, mit der hier das Böse gesucht wurde, noch zweifeln wollte, würde es an seinen Früchten erkennen müssen. Was anderes als die Ausgeburt einer Höllenphantasie ist es, wenn man Menschen die Zähne ausreißt, um ihnen Nägel in den Kiefer schlagen zu können; wenn man sie in Asbest-Kammern langsam röstet; wenn man sie in Badewannen wirft, bis das Wasser in ihre Lungen gedrungen ist, um sie vom Rande des Todes dann immer wieder zurück ins Leben zu reißen; wenn man ihnen die Glieder einzeln abtrennt, um sie zur Preisgabe ihrer Familie, ihrer Freunde, ihrer Landsleute zu zwingen, bevor man ihnen auf einem Amboß den Schädel mit Schmiedehämmern zertrümmert! Alles das ist hundert- und tausendfach geschehen, die Schreckenshäuser der Gestapo haben im Westen wie im Süden und im Osten Europas gestanden.
Diese Epidemie des Quälens und Erniedrigens, des Besudelns und Tötens, die im Leben Adolf Hitlers angelegt war, und die durch die Schule des „blutigen Oberlehrers" Himmler zum wilden Entzücken seiner Finsterlinge gemacht wurde, ist in alle Länder getragen worden, die im Namen des deutschen Volkes durch die Wirkung der deutschen Waffen besetzt wurden. Mit ihr ist die furchtbare Perversion Wirklichkeit geworden, deren Herold Nietzsche war, wenn er das Bild der „prachtvollen, lüstern schweifenden blonden Bestien" entwarf, die "als frohlockende Ungeheuer in die Unschuld des Raubtiergewissens zurücktreten".
Diese menschlichen Raubtiere wagen eine Herausforderung alles Göttlichen und Humanen, wie sie der an der Ermordung Rathenaus beteiligte Ernst von Salomon schon 1930 mit den Worten proklamiert hatte: „Diese satte, widerliche Welt muß ausgerottet werden. Ausrotten, ausrotten. Es gibt ja nur noch Fratzen. Dazwischenknallen. Vernichten, kalt und systematisch. Die Erde müßte dem Satan zufallen wie, eine faule Frucht, wenn er wiederum sein Reich aufrichtet. Warum den höllischen Kontrakt nicht unterschreiben ? Feuerbrände in die Städte, straßauf, straßab, und Pestbazillen in die Brunnen. Der Gott der Rache hatte seine Würgengel. Ich melde mich zu dieser Formation. Da soll kein Blut-kreuz an den Pfosten helfen. Sprengstoff unter diesen verrotteten, stinkenden Brei, daß der Dreck bis an den Mond spritzt. Wie sich die Welt wohl ohne Menschen schickt? Ich würde durch die qualmenden Räume streifen, durch die fahlen, entvölkerten Städte, in denen der Leichenduft das letzte Leben erstickte. Ich würde die Maschinen in den toten Fabriken anstellen, daß sie sich selber zerschmettern in rasselndem Leerlauf. Zwei Züge würde ich heizen und aufeinanderprallen lassen, daß sie sich bäumen und krümmen und türmen und zerspellt die Böschung herunterrollen. Die Ozeandampfer, die Riesenschiffe, die Wunder der modernen Welt, würde ich unter Volldampf gegen die Steine der Hafenmauern jagen, bis sie ihre gleißenden Bäuche aufreißen und zischend in der aufgewühlten Flut verkochen. Glattrasiert müßte die Erde werden, bis nichts mehr steht, was Menschenhand gebaut . . ."
In seinem Sturze kann der Nationalsozialismus dann nur noch das Wort wahrmachen, das Goethe in seinem „Epimenides" an den Geist der Unterdrückung gerichtet hat:
Doch, was dem Abgrund kühn entstiegen,
Kann durch ein ehernes Geschick
Den halben Weltkreis übersiegen,
Zum Abgrund muß es doch zurück.
Unsere Schuld
Wenn wir Gericht über Hitler und sein Regime gehalten haben, so wollten wir ein Recht ausüben, das uns vor allen anderen zusteht.
Niemand ist durch Hitler so furchtbar gekränkt worden wie wir. Er hat uns belogen und betrogen, gedemütigt und geplündert, geschunden und in namenloses Elend geführt. Aber er hat uns noch mehr getan: er hat uns schuldig werden lassen.
Dieses Schicksal teilen wir mit niemandem, und es ist das bitterste von allem. Auf diesen Krieg mögen andere Völker mit Stolz und Trauer zurücksehen, wir können es nur mit Beschämung und Schmerz. Zwischen ihnen und uns liegt die Grenze von Recht zu Unrecht. Hitler hat unter Bruch aller Nichtangriffs- und Freundschaftsverträge ein Nachbarland nach dem andern überfallen, und - wir sind ihm gefolgt .. .
Es ist uns eine schwere Pflicht, diese Mitschuld zu bekennen. Hitler hat die Macht erschlichen, gewiß, und mit einem Propaganda- und Polizeisystem behauptet, wie es Europa noch nicht gesehen hat. Es wäre jedoch die Aufgabe jedes einzelnen gewesen - nicht nur seinetwegen und seiner Kinder wegen, sondern auch der Mitwelt gegenüber - sich nicht überwältigen zu lassen. Die Möglichkeit der inneren Ablehnung, der schweigenden Nichtbeteiligung an den politischen Organisationen des Regimes war immer vorhanden, wenn auch um den Preis mancher Nachteile. Aber auch zum offenen Protest wäre immer wieder Gelegenheit gewesen, wenn unsere Generäle, unsere Staatsfunktionäre, unsere Industriellen, unsere Bürger, Bauern und Arbeiter hierzu nur einen Bruchteil jenes Mutes und jener Todesverachtung aufgebracht hätten, die unser Volk stets zu zeigen pflegt, sobald es in Uniform gesteckt und an die Landesgrenzen geführt wird. Kein Widerstand hätte auch nur entfernt so viel gekostet, wie diese Gefolgschaft gekostet hat.
Wenn es nicht unsere Sache war, einem Hitler Einhalt zu gebieten, wessen Sache war es dann .. .?
Manche haben den Einsatz gewagt. Die Geschichte der deutschen Widerstandsbewegung wird einmal Blätter zeigen, die keinen Vergleich scheuen. Es hat Glaubenszeugen gegeben, die in ihrem christlichen Bekenntnis nicht vor Geißelung und Kerker, Block und Beil zurückgeschreckt sind. Ihnen gehört unsere Bewunderung und Verehrung! Es hat deutsche Männer gegeben, die zu ihren politischen Einsichten und Überzeugungen gestanden haben, um den Preis von Verbannung und Tod. Wir wollen ihrer nicht vergessen! Die große Mehrheit hat sich jedoch einer Gedankenlosigkeit überlassen, die sie von Schritt zu Schritt zu einem immer willenloseren Werkzeug der Staatsgewalt gemacht hat. Es ist eben unser Verhängnis, daß wir durch die preußische Tradition dazu gebracht sind, dem staatlichen Kommando blind zu folgen, bis in die Selbstvernichtung hinein.
Welcher Norweger, welcher Holländer wird jedoch bereit sein, diesen Hinweis auf unsere innere Problematik als ausreichende Entschuldigung für den überfall auf Länder gelten zu lassen, die uns nur Freundlichkeiten erwiesen hatten? Welcher Jude, Pole, Tscheche, Russe wird darüber die Massengräber vergessen wollen? Welcher Franzose, Engländer oder Amerikaner wird gewillt sein, noch einmal Hekatomben seiner Jugend darzubringen, um einem derartigen Amoklauf ein Ende zu machen?
Es muß klar und unmißverständlich ausgesprochen werden, weil es die einfache Wahrheit ist: soweit eine politische Kollektivität schuldig werden kann, sind wir schuldig geworden!
Einem Christen braucht nicht erst gesagt zu werden, welche Bedeutung dem Erkennen und Bekennen einer Schuld zukommt. Es ist ein Umdenken und eine Umwandlung, eine Befreiung, eine Wiedergeburt. Jeder einzelne sollte sich daher mit größtem Ernst fragen, in welchem Maße er durch Handlung oder Unterlassung zu dieser Katastrophe beigetragen hat, und er sollte sich die Antwort nicht zu leicht machen. Wir müssen bis zum Grund unseres Selbstbewußtseins gehen, wenn wir dem fortschreitenden Prozeß nationaler Selbstvergiftung ein Ende setzen wollen.
Die Stimme eines Schläulings der Bismarck-Tradition wird jedoch einwenden: „Über die Kriegsschuld des Dritten Reiches ließe sich unter vier Augen vielleicht reden. Man sollte in der Tat keine Kriege führen, die mit offenem Vertragsbruch beginnen und mit einer Niederlage endigen. Es ist jedoch etwas völlig anderes, ob wir diese Tatsache vor uns feststellen, um eine politische Lehre aus ihr zu gewinnen, oder ob wir sie öffentlich zugestehen. Wenn wir das letztere tun, so geben wir unsere ganze moralische und rechtliche Position preis. Wir erkennen damit alles an, was sich an tatsächlichen Folgen aus unserer Niederlage ergeben wird .. ."
0 diese Toren! Es gibt gegenüber der Wahrheit kein Ausweichen und kein Entrinnen. Am Wege Hitlers liegen Millionen Leichen und Hunderttausende zerstörter, niedergebrannter Städte und Dörfer. Wenn wir nicht sprechen, so werden diese Toten und diese Steine sprechen, dann aber ihre Stimme voll und ganz gegen uns erheben. Von unseren Worten hängt in keiner Weise ab, was die Welt über Hitler und seine Taten denkt; darüber ist der Spruch gefällt. Von ihnen hängt lediglich ab, was sie über uns, die Überlebenden, denken wird. Eine ehrliche Stellungnahme zu den Ereignissen, die Recht und Unrecht an ihrem Platze beläßt, kann die tatsächlichen Auswirkungen dieses Krieges und dieser Niederlage nicht mehr erschweren, ihre moralischen Folgen hingegen mildern. Sie wird der erste Nachweis dafür sein, daß die meisten von uns im tieferen Sinne wirklich „nicht wußten, was sie taten", und jetzt ernst entschlossen sind, in den Lebenskreis der Völker zurückzukehren.
Ein zweiter Einwand wird lauten: „Unsere Mitschuld soll nicht bestritten werden. Jeder anständige Deutsche hat seit dem Beginn der Judenpogrome und dem Bruch des Münchener Abkommens ein schlechtes Gewissen gehabt. Wir wußten, daß wir diesen Krieg verlieren mußten, und die Geschichte uns zum Gericht werden würde. Aber welchen Anlaß sollen wir haben, dieses Geständnis an die Adresse unserer bisherigen Gegner zu richten? Ist ihre eigene Geschichte nicht eine einzige Geschichte von Kriegen? Auf welchem Wege sind denn sie an ihre ungeheuren Besitzungen gekommen. wenn nicht durch Gewalt, nur daß sie klüger und erfolgreicher waren ...?"
Dieser Einwand kann nicht ernst genug genommen werden. In ihm tritt das falsche Geschichtsbild in Erscheinung, das unser politisches Denken und Handeln seit bald einem Jahrhundert beherrscht. Es gibt wohl kein zweites Volk, das so sehr in geschichtlichen Begriffen und Vorstellungen zu denken gewohnt ist. und dessen geschichtliche Kategorien gleichzeitig so verfehlt sind. Ohne die preußischen Lehrstühle für Staatslehre. Staatsrecht und Geschichte, zu denen im Dritten Reich dann noch die Rassenlehre und die Geopolitik kamen, wäre es nie und nimmer möglich gewesen, daß Hunderttausende von Menschen. die als einzelne oft so anständig, gescheit und tüchtig sind, sich in einem Wahn verstricken ließen, welcher sie dann zu Millionen einem modernen Dschingis-Khan auf seinen motorisierten Vernichtungszügen folgen hieß.
Es ist der großen Mehrheit des deutschen Volkes das Gefühl darüber genommen worden, daß jedes Land seine Aufgabe. sein Maß, seine Zeit hat. So war es nur natürlich, daß Rom seinen Aufstieg erlebte, als das Mittelmeer den Mittelpunkt des Weltgeschehens bildete. Es war ebenso natürlich, daß Deutschland groß und mächtig wurde, als dieser sich nach Mitteleuropa verlagerte. Seine Hansastädte konnten zu sagenhaftem Reichtum gelangen, als die Handelswege, die damals in der Hauptsache Landwege waren, von West nach Ost, von Nord nach Süd über sein Gebiet führten. Es war ebenso naheliegend, daß Portugal, Spanien und Holland die Träger und Nutznießer der großen Entdeckungen wurden. Es konnte kaum anders sein, als daß Frankreich in den Besitz Nordafrikas gelangte, und Großbritannien und die Vereinigten Staaten in den Mittelpunkt der Weltpolitik rückten, sobald der Atlantik und der Stille Ozean zu „Binnenseen" wurden.
Bismarck trägt die große Verantwortung dafür, daß die innere Struktur Deutschlands verfälscht, Preußen in Führung gebracht und die Herrschaft eines populären Absolutismus vorbereitet wurde. Er hat für seine Person jedoch noch ein instinktives Mißtrauen gegen die Flotten- und Kolonialpolitik behalten, die uns gewaltsam in das große Weltgeschehen einschalten sollte. So wenig das moderne Italien die Voraussetzungen zu einer Großmacht politik besaß, so wenig waren indessen für das neudeutsche Reich die Voraussetzungen für eine eigene, selbständige Weltmacht politik gegeben. Es hätte vermutlich ein oder mehrere Jahrhunderte allgemeinen Wohlstandes und Friedens bedeutet, wenn Deutschland sich, wie Frankreich, den angelsächsischen Weltmächten angeschlossen hätte. Der Erwerb eines mittleren Kolonialbesitzes hätte in diesem Falle keinerlei Problem dargestellt. Die britische Regierung hat bis 1912 immer wieder Anregungen und Vorschläge dieser Art gemacht. Die einzige Bedingung ging dahin, daß die deutsche Flotte ein gewisses Verhältnis zur britischen Flotte nicht überschreiten, die deutsche Kolonialpolitik nicht zu einer ständigen Herausforderung des britischen Empire führen dürfe.
Um die Jahrhundertwende waren die Kontinente und Ozeane weit offen. Es gab keine Pässe, wenn man vom zaristischen Rußland absieht; Einwanderung und Auswanderung waren ungehindert; Geld und Güter konnten ungehemmt verkehren. Im Gebiet des britischen Empire sogar ohne Zollzuschlag, denn England ist erst 1930 zögernd vom Freihandel abgegangen. Der deutsche Gelehrte, der deutsche Kaufmann, der deutsche Techniker hatten große Erfolge. Auf diesem Wege wäre es möglich gewesen, das Ansehen und den Wohlstand des Reiches zu mehren, ohne mit anderen Mächten in einen Konflikt auf Leben und Tod zu geraten. Es ist völlig unzutreffend, daß Großbritannien oder gar die Vereinigten Staaten aus „Handelsneid" Deutschland mit Krieg überzogen haben würden, denn dieses war in sehr viel höherem Maße Kunde und Verbraucher als Rivale. Eines, nur eines durfte nicht geschehen: die preußische Tradition durfte nicht auf die Außenpolitik des neuen Reiches übertragen werden. Deutschland durfte nicht unter der Devise „Blut und Eisen", es durfte nicht mit der Allüre des Welteroberers auftreten!
Die Außenpolitik Wilhelms II. war jedoch von der Vorstellung besessen, im Abstand einiger Jahrhunderte die Geschichte des britischen Empire nachholen zu müssen, so wie er diese verstand. Er glaubte, sich mit Entfaltung militärischer Machtmittel, unter ständiger Kriegsdrohung, in den außereuropäischen Besitzstand der Großmächte einschalten zu können, den er vorwiegend unter strategischen Gesichtspunkten sah. Die Entstehung und der Charakter transozeanischer Reiche ist selten so gründlich verkannt worden! Das britische Empire hat sich, wie vor ihm das portugiesische und spanische, aus Stützpunkten des Seeverkehrs und Handelsniederlassungen entwickelt. Es ist eine Sammlung von Häfen mit Hinterland. Wenn die Administration dieser Gebiete, vor allem in früheren Jahrhunderten, manchmal eine harte Hand zeigte, und die Kolonien zeitweise rücksichtslos ausgebeutet wurden, so hat es sich doch nie um einen machtmäßigen Imperialismus gehandelt. Das Gebilde war so locker, der Zusammenhalt so elastisch, daß es den Namen eines „Commonwealth of Nations" angenommen hat, dessen Mitgliedsstaaten volle Souveränität besitzen. Auch die Kronkolonien suchen Formen der Selbstverwaltung zu entwickeln.
Es ist zudem nicht dasselbe, ob etwas im 17., 18. oder 19. Jahrhundert geschieht. Wenn eine gewisse Aufteilung der überseeischen Besitzungen stattgefunden hat, an der einige Mächte teilgenommen haben, andere nicht, so sind das geschichtliche Tatsachen, die nicht immer wieder in Frage gezogen werden können. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts waren sehr ernstliche Versuche im Gange, der zunehmenden Annäherung der Kontinente durch Entwicklung eines internationalen Rechtssystems Rechnung zu tragen. Die Haager Konferenzen suchten ein Schieds- und Schiedsgerichtsverfahren zu entwickeln, auf das alle Mächte sehr große Hoffnungen setzten, wenn deutsche Gelehrte wie Mommsen es auch als einen „Druckfehler der Weltgeschichte" verspotteten. Wilhelm II. hat es dann zuwege gebracht, daß dieser Anlauf tatsächlich nicht weit führte. Er sprach damals die klassischen Worte: „Die Konferenz-Komödie mache ich mit, aber den Degen behalte ich zum Walzer an der Seite. In meiner Praxis werde ich mich für später nur auf Gott und mein gutes Schwert verlassen und berufen! Und sch ... auf die ganzen Beschlüsse! . . ."
Nach dem ersten Weltkrieg wurden die Bemühungen um eine rechtliche Festlegung des territorialen Status sofort wieder aufgenommen, ein Beweis dafür, wie notwendig sie geworden war. Mussolini und Hitler tragen die furchtbare Verantwortung dafür, das System des „Bundes der Völker", so unvollkommen dieses war, erneut gesprengt zu haben. Mussolini hat eine Flotten- und Kolonialpolitik im Stile Wilhelms II. betrieben. In seinem Falle hat der gleiche Fehler zu den gleichen Folgen geführt. Hitler ist es vorbehalten geblieben, den Fehler Wilhelms II. in die Potenz zu erheben. Er war verblendet genug, jene Expansion in Europa vornehmen zu wollen, die in Übersee gescheitert war. In Europa, wo um jedes Grenzdorf blutige Schlachten geschlagen worden sind, und wo jede Stadt mit einem Höchstmaß von geschichtlichem Selbstbewußtsein erfüllt ist, glaubte er, Völker unterwerfen, verschieben und auslöschen zu können. Der Quartaner scheint von Europa, seinen Nationen, ihren Sprachen, ihrer Geschichte wirklich so wenig gekannt zu haben, daß er hier eine Kolonialpolitik für möglich hielt, die nicht einmal in Afrika durchgeführt werden konnte *).
Seitdem die Kriege nicht mehr zwischen Dynastien, ja nicht einmal mehr zwischen Nationen geführt werden, sondern sich in regelmäßiger Wiederkehr zu Weltkriegen erweitern, wird der Versuch mit letztem Ernst wieder aufgenommen werden müssen, zu einem Rechtssystem zu gelangen, das die Weltordnung garantiert. Die Alternative hierzu ist, wie jetzt jeder begriffen haben dürfte, der Untergang der zivilisierten Welt.
*) In den alliierten Ländern wird nicht bestritten, daß auf ihrer Seite gleichfalls nur wenige die Tragweite des ersten Weltkrieges erkannt haben; daß die Zentralisierung Deutschlands mit dem Versailler Vertrag erst auf ihren Höhepunkt getrieben worden ist; daß einige alliierte Regierungen das Aufkommen des neudeutschen Nationalismus sowie des späteren Nationalsozialismus durch unzeitiges Entgegenkommen gefördert und bequeme Kompromisse mit ihm gesucht haben; daß insgesamt also auch auf ihrer Seite eine indirekte Mitschuld vorliegt. Diese Auseinandersetzung sei ihnen jedoch überlassen. Es kann sich für uns nur darum handeln, unser eigenes Gewissen zu erforschen, nicht das der andern.
Was sollen wir tun ?
Besteht nun die Möglichkeit, über diesen furchtbaren Krieg und seine entsetzlichen Greuel hinweg den Anschluß an die christlich-abendländische Kulturwelt zu behalten? Wird es zu den Nachbarvölkern wieder einmal ein ruhiges, vertrauensvolles Verhältnis geben können? Werden die Alliierten uns einen Platz in der Völkerfamilie offenhalten?
Es darf heute keine Illusionen mehr für uns geben. Hitler, der mit der blinden und zerstörerischen Gewalt einer Naturkatastrophe über Europa hinweggegangen ist, hat Reaktionen hervorgerufen, die gleichfalls zu elementarer Stärke angewachsen sind. Wer sich die Summe von Qual und Leid, Tod und Ruinen vergegenwärtigt, die Hitler in unserem Namen über die Welt gebracht hat, mußte damit rechnen, daß der Rückschlag im Verhältnis dazu liegen würde. Das deutsche Volk ist in einen Zyklon geschichtlicher Wechselwirkungen- geraten, von dem heute noch nicht zu sehen ist, in welchem Zustand er es zurücklassen wird.
Wir werden uns nicht darüber hinwegtäuschen dürfen, daß es für die Vorgänge der Jahre 1939 bis 1945 kein Vergessen gibt. Der Name Hitlers, der NSDAP, der Gestapo, der SS, der HJ werden für immer mit Schmach bedeckt bleiben. Wir werden ferner nicht übersehen dürfen, daß in den meisten Nachbarländern der Wohlstand einer Generation zerstört, nahezu jede Familie an den Rand des Unterganges gebracht worden ist. Ganze Landstriche sind verwüstet, von Menschen und Vieh und Maschinen entleert worden. Es war in seinen wesentlichen Zügen also unabwendbar, daß der endliche Sieg der Alliierten nicht nur zu einer politischen Zerschmetterung des Dritten Reiches führen, sondern für das deutsche Volk auch zu einer sozialen Katastrophe werden mußte. An dem Elend, das wir heute sehen und erleben, darf uns im Grunde nichts überraschen, wenn uns auch oft das Herz stillstehen will vor dem Leid, das Unschuldige mit den Schuldigen trifft.
In dieser Lage, die jeden einzelnen auf sich selbst zurückgeworfen, die Gesellschaft auf ihre Urformen zurückgebildet hat, sind uns Aufgaben gestellt, die von elementarer Bedeutung, wenn auch bescheidensten Umfanges sind. Die erste Aufgabe heißt Denken. Es hat mit Denkfehlern begonnen, es kann nur durch richtiges Denken überwunden werden. Dieses Denken ist immer und überall möglich, auch in Baracken und Erdhütten, selbst hungernd und frierend. Es trifft durchaus nicht zu, daß das Denken den guten Tagen vorbehalten sei. Im Gegenteil, es stellt den einzigen Weg dar, der aus Irrtum und Elend wieder hinausführt. Das Denken ist auch nicht an einen Stand gebunden. Es braucht nicht über Büchern zu geschehen. Wir haben die Vernunft in uns, und die Gegenstände unseres Denkens umgeben uns. Es drängt uns, sie zu begreifen.
Gerade die einfachen, wesentlichen Tatsachen des Lebens wollen heute neu durchdacht werden. Wer ist der Mensch? Ein Geschöpf Gottes, zum Guten berufen, trotz aller Anfechtungen und Schwächen, oder ein Wolf? Wer ist unser Nächster? Was bedeutet uns die Familie, die Gemeinde? Welche Rechte, welche Pflichten haben wir in ihr? Was ist der Staat? Ein Götze, ein Moloch, ein Despot, oder eine Organisation von Menschen, in der Menschen leben und gedeihen können? Welche Beziehung ist den Staaten untereinander angemessen? Ist der Krieg ein „erfrischendes Stahlbad" oder eine unausdenkliche Katastrophe?
Die Erkenntnisse sind in der furchtbaren Erfahrung dieser Jahre schon sehr weit vorgeschritten. Wir sind der Wahrheit, dem Erkennen der Wirklichkeit in mancher Hinsicht nie so nahe gewesen wie heute. Nun müssen wir sie zum Auf bau einer neuen öffentlichen Moral benutzen - es gibt keine doppelte -, wenn wir uns wieder zu Recht, Ordnung und Sitte zurückfinden wollen, anstatt im Chaos unterzugehen. In den Familien, im engsten Freundeskreis sind schon zahlreiche Ansatzpunkte gewonnen worden. Von den Fronten, aus den Lagern sind viele schweigend und nachdenklich heimgekehrt.
Ein elementarer geistiger Hunger hat sich ihrer bemächtigt. Sie lesen die großen Dichter und Erzähler, sie hören gute Musik. Sie erinnern sich der bleibenden Grundlagen unserer Kultur. Sie suchen allmählich wieder in Kopf und Herz und Ohr zu bekommen, was echt ist, und was nicht echt ist. Sie lernen wieder auf die Sprache der Redlichkeit achten. Diese ist klar, nicht schwülstig. Sie ist ruhig. Sie macht keine leeren Versprechungen. Sie schmeichelt nicht. Sie hetzt nicht zu Erbitterung und Haß auf.
Sammelt euch! Ihr kennt einander genau. Ihr habt im Kampf, in der Arbeit nebeneinander gestanden. Ihr habt den Aufbau der menschlichen Gesellschaft wieder da erlebt, wo er am einfachsten und unmittelbarsten ist: in der Familie, im Freundeskreis, in der Pfarrgemeinde, an der Arbeitsstätte. Dies muß auch die Grundlage zu einer Gesundung unserer politischen Verhältnisse werden, ja hiermit ist sie schon gewonnen. Von hier ist der Weg nicht mehr weit zur Selbstverwaltung in der Gemeinde, die ihrerseits die Grundlage jeder Selbstverwaltung im staatlichen Verband ist. Nehmt Verbindung mit Gleichdenkenden in den benachbarten Gemeinden und Städten auf. Wir leben - dies ist die zweite, große Erkenntnis dieser Jahre - in unseren Stämmen und Länder n. Alles, was in unserer Vergangenheit echt und groß ist, ist hier gewachsen. Nurhier können wir uns regenerieren. Nur in dieser Rückkehr zu unseren Ursprüngen, zum Einfachen, zum Bescheidenen, zum Unverlorenen können wir die Grundlage unserer Zukunft gewinnen.
Lehrt eure Kinder wieder das Wahre und Gute! Es gibt keine größere Aufgabe, als eine neue Generation aus diesem Zusammenbruch zu retten. Unter jenen, die in diesen Jahren der Bewährung früh gereift sind, sollten sich die Besten der Erziehung widmen. Kämpft um die Entfaltung jeder einzelnen Intelligenz, jedes persönlichen Charakters! Wir müssen wieder Männer von Einsicht und Festigkeit, von Vernunft und Willen haben, wenn wir über die Apathie, die Resignation, die billige Skepsis und den selbstmörderischen Nihilismus unserer Tage hinwegkommen wollen. Gedenkt hierbei der zahlreichen Waisen und der noch zahlreicheren Halbwaisen.
Helft einander, so viel ihr könnt! Jeder Bauer, der seinen Acker mit einfachsten Mitteln bestellt, jeder Handwerker, der seine Werkstatt notdürftig wieder in Gang setzt, dient nicht nur seinem eigenen Interesse, sondern auch dem Gemeinwohl. Jedes gedeckte Dach, jede geräumte Straße, jede Gartenparzelle ist ein Fortschritt auf dem Wege zur Normalisierung unseres Lebens. Habt Geduld in den Schwierigkeiten, die mit der Demobilmachung, den zahlreichen Rückwanderungen, der Reorganisation der Versorgung, den wirtschaftlichen Umstellungen notwendig verbunden sind! Auch die Siegermächte sehen sich mit der Umstellung vom Krieg auf den Frieden vor gewaltige Aufgaben gestellt, welche die Lebensmittellager und Transportmittel der Welt aufs äußerste in Anspruch nehmen. Behaltet die Zuversicht, daß nach diesen erdrückenden Monaten wieder eine Zeit kommen wird, in der das Leben erträglich ist, und daß nach einigen schweren Jahren wieder ein bescheidener Wohlstand, ein einfaches Glück möglich sein werden, wenn wir es auf dem rechten Wege suchen!
Von entscheidender Bedeutung wird es nur sein, daß wir aus den beiden Weltkriegen, in deren Mittelpunkt unser Zweites und unser Drittes Reich gestanden haben, endlich die geistigen und politischen Lehren ziehen, die sich unabweisbar aufdrängen. Der Wiederaufbau würde die Mühe nicht lohnen, wenn er wieder auf eine falsche Grundlage gestellt und die Anstrengungen in eine falsche Richtung gelenkt würden.
Im Strom der Zeit
Ein Lebensgefühl hat uns befallen, wie es unsere Landsleute nach dem Dreißigjährigen Kriege gekannt haben. Als Gryphius schrieb: „Wir sind doch nunmehr gantz, ja mehr denn gantz verheeret . . ."
Die Bevölkerung der deutschen Länder hatte damals Krieg, Feuer, Hunger und Elend jeder Art erfahren. Die Landsknechte hatten geschändet, gequält und gemordet. Kirchen, Dörfer und Städte waren niedergebrannt. In Deutschland war die Hälfte bis Zweidrittel, in einigen Gegenden Neunzehntel aller Bewohner umgekommen. Über die Äcker krochen Busch und Heide, ganze Landstriche waren verödet. An Rhein, Ems, Weser und Donau heulten wieder die Wölfe.
Nachdem die drei letzten Jahrzehnte deutscher Geschichte zu einer furchtbaren Parallele geworden sind, können wir die stille Trauer mitempfinden, mit der Paul Gerhardt damals vom Frieden bekannte:
In dir hat Gott versenket
All unser Glück und Heil;
Wer dich betrübt und kränket,
Der drückt sich selbst den Pfeil
Des Herzleids in das Herze
Und löscht aus Unverstand
Die güldne Freudenkerze
Mit seiner eignen Hand.
Er hatte damals die gleichen Bilder vor Augen, wie wir sie jetzt sehen, wenn er fortfuhr:
Das drückt uns niemand besser
In unsre Seel und Herz hinein
Als ihr zerstörten Schlösser
Und Städte voller Schutt und Stein,
Ihr vormals schönen Felder,
Mit frischer Saat bestreut,
Jetzt aber lauter Wälder,
Und dürre, wüste Heid,
Ihr Gräber voller Leichen ?
Aus jedem Wort der damaligen Zeit spricht die Anwandlung von Müdigkeit und Verzagtheit, die unsere Vorfahren angesichts der Zerstörung und des Elends oft überkommen haben mag. Wenn sie vor der Mühsal des Wiederaufbaues dennoch nicht zurückgeschreckt sind, so aus jenem inneren Antrieb, aus jener stillen Kraft heraus, die uns gerade dann zuwächst, wenn die Not am höchsten ist.
Die Mühe wird auch jetzt groß sein, und wir wissen nicht, ob ihre Früchte schnell oder langsam reifen. Aber auch wir werden nicht verzagen dürfen. Apathie und Resignation führen nicht aus dem Chaos hinaus, sie sind die passiven Erscheinungsformen des Chaos. An ihrem Ende würde der Untergang in Ermüdung und Zerfall stehen.
Anmerkung
Die Darstellung der Jugendzeit Hitlers stützt sich auf die amtlichen Feststellungen der österreichischen Orts- und Landesbehörden. Seine militärische Dienstzeit wurde an Hand der Personalpapiere sowie der Regimentsgeschichte geschildert. Alle im Wortlaut wiedergegebenen Erklärungen Hitlers sind seinem Buche „Mein Kampf", seinen öffentlichen Reden oder seinen Gesprächen mit nahen Mitarbeitern entnommen. Bei der Behandlung Hindenburgs wurden gleichfalls alle erreichbaren Unterlagen benutzt, insbesondere auch die Aufzeichnungen des Danzig er Senatspräsidenten Rauschning.. Zur Vorgeschichte des 1. Weltkrieges wurden die Aktenpublikationen der Mächte sowie die Erinnerungen der führenden Staatsmänner und Diplomaten berücksichtigt. Das gleiche trifft für die Vorgeschichte und den Verlauf des 2. Weltkrieges zu, soweit keine persönlichen Erinnerungen des Verfassers vorliegen. Im Interesse der Lesbarkeit dieses Buches ist jedoch darauf verzichtet worden, die Belegstellen und Quellen einzeln anzuführen. Der wissenschaftlich Interessierte wird sie leicht zu finden wissen.
G. M. Z. F. 0.
Visa No I. 026/H
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Autorisation No 795
de la Direction de l'Information