Von der Balduinstraße in den Graben
Helenas Eltern Michel Demuth (* 28.10.1788 St. Wendel) und Maria Katharina Creuz (* 06.11.1791 Oberlinxweiler) heiraten am 15.02.1808 in St. Wendel, beide noch minderjährig. Ein naheliegender Grund für die „frühe“ Heirat mag gewesen sein, daß sie schwanger ist, aber das erste ihrer sieben gemeinsamen Kinder - die Tochter Barbara - kommt erst am 3. Juli 1809 zur Welt, also fast 17 Monate später. Das schließt eine Schwangerschaft der Mutter nicht aus, wenn diese in einer Fehlgeburt endet, die - sofern nicht im letzten „Monat“ - nicht als Totgeburt standesamtlich oder kirchlich aufgezeichnet wird. Eine Totgeburt ist nicht vermeldet.
Ein möglicher Grund mag gewesen sein, daß Michael als verheirateter Mann nicht mehr von den Franzosen zum Militärdienst eingezogen werden konnte, aber dann hätte bei der Heirat eine behördliche Einverständniserklärung vorliegen müssen - schade, daß unsere Heiratsnebenakten dieser Zeit nicht mehr existieren. Auch in den Konskriptionslisten im hiesigen Stadtarchiv (Bestände B und C) ist er nicht auffindbar.
Der Ehevertrag
Was wir noch haben, ist z.B. der Ehevertrag, der von Michaels Eltern und der verwitweten Mutter der Braut geschlossen wurde. Das Original ist in französischer Sprache verfaßt, weshalb ich Frau Dr. Stitz sehr dankbar bin, daß sie meine äußerst holprige Erstübersetzung in sinnvolle Worte und Wörter umgesetzt hat. Der Text ist auch so schon schwer genug zu verstehen.[1]
„Anwesend waren
Henry Demuth, Schankwirt und Bäcker, und seine Ehefrau Elisabeth Maldener, die er hierzu ermächtigt, wohnhaft in St. Wendel, für sich und im Namen ihres minderjährigen, bei ihnen wohnenden Sohnes Michel Demuth, Bäcker, zu diesem Zweck anwesend und mit seiner Zustimmung, einerseits
und Barbara Spaniol, Witwe von Peter Creutz, wohnhaft in Oberlinxweiler, Kanton St. Wendel, für sich und im Namen ihrer minderjährigen, bei ihnen wohnenden Tochter Marie Catherine Creuz, zu diesem Zweck anwesend und mit ihrer Zustimmung, andererseits;“
[Bedingungen für die vorgeschlagene Ehe zwischen Michel Demuth und Marie Catharine Creuz]
„Bezüglich der genannten Ehe machen hiermit der zukünftige Bräutigam und die zukünftige Ehefrau, die beide von ihren Eltern dabei gebührend unterstützt und zu diesem Zweck ermächtigt werden, einander und dem, der von beiden den anderen überlebt, durch diesen Vertrag (…) ein Geschenk unter Lebenden, bestehend aus allen beweglichen und unbeweglichen, erworbenen und eigenen Vermögensgegenständen, die sich am Tage nach seinem Tod im Besitz dessen befinden, der als Erster von ihnen stirbt, damit der überlebende Ehegatte alle in dieser Schenkung einbegriffenen Güter zu Lebenszeiten genießen kann. Diese Schenkung zum Nießbrauch aller Möbel und Gebäude ist dem Fall der Auflösung der Ehe mit Kindern aus der genannten Ehe untergeordnet und erfährt folgende Einschränkungen:
1) Wenn eines der genannten Kinder heiraten oder getrennt wirtschaften möchte, ist der überlebende Nutznießer verpflichtet, ihm alle Eigentumsrechte an der Hälfte aller beweglichen und unbeweglichen Sachen zu übergeben, die es von ihrem verstorbenen Vater oder ihrer verstorbenen Mutter geerbt hat. Der Genuß der anderen Hälfte steht ihm bis zu seinem Tod zu.
2) Wenn die Frau den zukünftigen Ehemann überlebt und sie eine zweite Verbindung eingeht, verliert sie nur den Genuß des Teils des Hauses, das dem verstorbenen Gatten gehört, und dieses nur nach dem Zeitpunkt, wenn eines ihrer Kinder aus der besagten Ehe geheiratet oder ihren eigenen Hausstand dauerhaft eingerichtet hat. Den Nießbrauch von anderen unbeweglichen und beweglichen Gütern wird sie im Fall einer zweiten Ehe behalten, wie es oben gesagt ist - mit der Einschränkung von N. 1.
3) Wenn die zukünftige Ehe ohne Kinder oder Nachkommen aufgelöst ist, hat der Überlebende der zukünftigen Ehegatten keinen Nießbrauch des Eigentums, das dem zuerst Verstorbenen gehört. Aber statt diesem Nießbrauch, der dem Überlebenden im Falle von Kindern gegeben wird, machen die zukünftigen Ehegatten durch diesen Vertrag einander und dem Überlebenden von ihnen eine Schenkung inter vivos [unter Lebenden], in der bestmöglichen Form in Höhe von 400 Gulden oder 870,95 Franken an den Überlebenden von den Gütern des zuerst Sterbenden und zahlbar durch die Erben des zuerst Sterbenden innerhalb einer Frist von einem Tag nach dem Tag seines Todes, damit der Überlebende mit allen Besetzrechten darüber verfügen kann.
4) Es wurde vereinbart, dass das Geld, das die zukünftige Gattin einbringen wird, in ein mögliches Rechtsgeschäft eingebracht wird, das der Vater und die Mutter des künftigen Gatten mit den genannten künftigen Ehegatten unternehmen werden, um den daraus erwachsenden Gewinn untereinander zu teilen - die eine Hälfte für die Eltern des künftigen Paars und die andere für die künftigen Ehegatten. Aber sie tragen den gleichen Anteil an einem möglichen Verlust, unter der Bedingung, dass Eltern des zukünftigen Gatten die gleiche Summe wie die zukünftige Gattin zur Verfügung stellen und anlegen.
5) Die zukünftigen Ehegatten werden bei den Eltern des zukünftigen Gatten wohnen, wo sie zum Wohle der Wirtschaft des Eltern des zukünftigen Gatten arbeiten werden, oder sie werden zum in ihrer eigenen Wirtschaft arbeiten, falls sie dies für besser erachten.
6) Die genannten Eltern des künftigen Gatten haben schließlich, zu Gunsten der Ehe, die ihr Sohn mit der Marie Catherine Creutz schließen wird, hiermit ihrem genannten Sohn, dem künftigen Gatten, den Vorrang vor jedem anderen ihrer Kinder auf die Hälfte des Hauses und der Nebengebäude eingeräumt, die sie derzeit in der Gemeinde St. Wendel in der Obergasse neben Balthasar Packé besitzen und bewohnen. Eine Hälfte des Hauses und der Nebengebäude wird ihm bei der Teilung ihrer Güter, die sie zu Lebzeiten vornehmen werden, zugeschrieben und zwar zu dem Preis, den sie dafür dann ansetzen.“
Die Bedingungen 2 und 3 sind nicht eingetreten; über das Rechtsgeschäft aus 4 wissen wir nicht einmal, ob es überhaupt initiiert worden ist; ähnlich ist es mit 6. 5 kommt auch nicht zum Tragen, wie wir gleich sehen werden. Auf die Grundbedingung (das Geschenk unter Lebenden) und die Einschränkung 1 komme ich später noch zurück.
In der Balduinstraße
Schon im Jahr der Heirat erwirbt das Paar das Haus in der oberen Balduinstraße (Flur 6 Nr. 310) - ungefähr im Bereich des Teils des heutigen Hauses „Balduinstraße“ (Friseursalon Bernhard), der links neben der Haupteingangstreppe liegt. Geboren ist Michel ziemlich genau gegenüber in einem Teil der heutigen Bäckerei Lerner, das damals noch ein eigenständiges Gebäude war (Flur 6 Nr. 362). Er erlernt das Bäckerhandwerk, aber als Gewerbetreibender selbstständig ist Michel Demuth vermutlich nie gewesen.
Die Situation in der Balduinstraße hat sich in den letzten 170 Jahren völlig verändert. Auf dem Urhandriß von 1843 ist ein fixer Punkt das Gebäude 531 ganz rechts (heute Bäckerei Thelen). Die drei Häuser links daneben (324-323-322) stehen heute nicht mehr (heute freie Fläche). Auf der freien Fläche zwischen 322 und 311, auf 311 und 310 steht heute Friseursalon Bernhard. Michel Demuths Haus war # 310 (das 2te von links), 1843 das Wohnhaus von Johann Josef Knoll, der linke Teil des Friseursalons.
Die Gewerbetabelle von 1819[2] nennt sechs Mitglieder des Demuth-Clans als Gewerbetreibende. Außer dem Namen und der Art des Gewerbes werden die Steuerklasse und der Mietwert des Betriebsgebäudes in Francs angegeben; ich habe - soweit möglich - die Geburts- und Sterbejahre hinzugefügt.
Name | Lebenszeit | Gewerbe | Steuer- | Mietwert |
Adam | 1766-1829 | Gastwirth | 3 | 100 |
Margaretha Demuth |
| Weinschenk | 5 | 20 |
Johann Demuth |
| Weinschenk | 5 | 20 |
Wendel Demuth | 1789-1858 | Tuchmacher | 5 | 110 |
Adam | 1782-1856 | Bäcker | 5 | 100 |
Jacob | 1783-1843 | Bäcker | 5 | 20 |
Michel Demuth arbeitet entweder bei seinem Cousin fünften Grades, dem Bäcker Adam Demuth, der seine Bäckerei ab 1818 am Fruchtmarkt betreibt[3] (später Konditorei Kern, heute der Teil des sog. „Cusanushauses“ rechterhand der Pfarrbücherei) oder bei seinem Cousin ersten Grades, dem Bäcker Jakob Demuth, dessen Bäckerei zwei Häuser oberhalb von Adam Demuths Bäckerei liegt (heute die rechte Hälfte des Teils des Cusanushauses am Kirchgäßchen).
Hier oben in der Balduinstraße kommen die ersten vier Kinder des Ehepaars Demuth zur Welt:
Barbara Demuth * 03.07.1809 + 21.09.1834
Sie heiratet 1833 den Maurer Wenceslaus Fehr aus St. Wendel (1810-1862) und stirbt kurz nach der Geburt ihres ersten Kindes im Kindbett. Ihr Sohn Johann überlebt sie nur um sieben Monate (+ 08.05.1835).
Anna Katharina Demuth * 03.02.1812 + 16.03.1814.
Katharina Demuth * 09.02.1815.
Peter Demuth * 28.10.1817.
Auffällig ist die Zeitspanne von zwei, meistens drei Jahren, die zwischen den einzelnen Geburten liegt. So sinnvoll sie ist für die Gesundheit der Ehefrau, so eher ungewöhnlich ist sie im Vergleich zu anderen Familien mit dieser Kinderzahl. Ob das Planung war - etwa aufgrund der finanziellen Verhältnisse? Über die Ursache, warum zwischen einzelnen Geburten oft Jahre lagen, gibt es eingehende Untersuchungen.
Dr. Helmut Priewer aus Anhausen hat darüber geforscht:
Gezielte Familienplanung durch Verzicht auf Geschlechtsverkehr (GV) oder Anwendung "alternativer" Methoden ist nicht auszuschließen (darüber wird, bisher ohne abschließendem Ergebnis, kontrovers diskutiert), wird aber hier wohl nicht vorliegen. Die Sache läuft zwar auch auf Planung hinaus, aber etwas anders. Die Intergenetischen Intervalle (Abstände zwischen den einzelnen Geburten) liegen hier immer ungefähr zwischen 31 und 38 Monate. Dies spricht eindeutig für ein konstantes Stillverhalten der Mutter (falls zwischendurch nicht noch Totgeburten aufgetreten sind), obwohl bei Katholiken seltener gestillt wurde als bei Protestanten. Frauen werden ohne Konzeptionsschutz bei normaler GV-Frequenz alle 9 Monate schwanger und gebären daher alle 18 Monate ein Kind. Durch Stillen (bei der armen Bevölkerung eher gegeben, da es Milchersatznahrung, z.B. Kuhmilch, nicht kostenlos gab) entsteht ein Konzeptionsschutz. Dieser hält bei regelmäßigem Stillen ungefähr 12 bis 18 Monate. Und das ist exakt der Geburtenabstand.[4]
Der größte Abstand bei den Geburten liegt zwischen Peter (28.10.1817) und Helena (30.12.1820) mit 3 Jahren, 2 Monaten, 3 Tagen. Dazwischen fällt der Umzug aus der Balduinstraße in den Graben.
Das Haus im Graben
Was seinerzeit Michel Demuth dazu bewogen haben mag, im Dezember 1818 aus der Balduinstraße in den Graben zu ziehen, ist und bleibt unbekannt. Die gesunde Luft kann es nicht sein; denn die Grabenstraße verläuft auf dem ehemaligen Schloßgraben, den früher einmal der Todbach speiste. Das bedeutet, daß diese Ecke der Stadt auf ehemals sumpfigem Gelände steht. St. Wendel zeigt hier seine mehr ländliche Seite, und es gibt im Verhältnis zur übrigen Stadt die meisten Misthaufen und Dunggruben.
Das Haus im Graben, das heute die Nummer 10 trägt, bestand ursprünglich aus zwei Gebäuden, die im eingangs genannten Stadtplan die Nummern 346 (links) und 347 (rechts) trugen. Die älteste Erwähnung beider Gebäude haben wir im Jahre 1787, als im Kurfürstentum Trier, zu dem St. Wendel damals gehört, das Brandversicherungskataster eingeführt wird.[5]
rechts
Nr. 347 gehört Nikolaus Servatius (+ 1782) und seiner Ehefrau Katharina Sircker (+ 1793), deren Tochter Anna Maria Servatius (1760-1829) und ihr Ehemann Karl Nikolaus Gottfried Karlinowski (ca. 1750- nach 1834) nach dem Tod der Mutter das „Haus samt Stall“ erben - und eine Grundschuld von 42 Rheinischen Gulden zugunsten des Bürgerhospitals von St. Wendel.[6] Wie viele seiner Nachbarn ist Karlinowski, der nach eigenen Angaben aus „Adlich-Brielensdorf in Preußisch Schlesien“ stammt,[7] Ackersmann und Tagelöhner. Im Laufe der Zeit belasten sie sich mit weiteren Schulden, bis sie im Jahre 1817 aufgefordert werden, sich diesbezüglich zu erklären und eine weitere Grundschuld auf das Haus einzutragen: 200 Gulden zugunsten der „unmündigen Kindern Johann und Marianna Wilhelm, Waisen des zu St. Wendel verstorbenen Johann Wilhelm“.[8] Doch die Situation wird nicht besser.
Ab 1831 wachsen ihnen die Schulden über den Kopf, und Notmaßnahmen müssen her. Karlinowski ist mittlerweile ins Fuhrmannsgeschäft eingestiegen, das er zusammen mit seinem Sohn Nikolaus betreibt. Etliche Versteigerungen werden durchgeführt: vier Grundstücke, die immerhin über 170 Gulden (fl) erbringen[9]; 16 Stück Mobiliar (dazu zählt grundsätzlich alles, was nicht fest mit der Erde verbunden ist) für insgesamt 211 fl, z.B. ein junges Pferd, das immerhin 131 fl bringt, und ein ganzer Wagen für 49 fl.[10] Grundstücke werden auf Zeit verpachtet, was im Jahr 30 fl bringt.[11]
Aber das reicht immer noch nicht. Jetzt steigt ihnen die katholische Pfarrkirche von St. Wendel, bei denen sie noch ausstehende Zinsen für gepachtete Grundstücke offen haben, aufs Dach, und wieder wird das Haus belastet[12]. Am 3. Januar 1834 schließlich verkaufen die beiden ihr „zweistöckiges Wohnhaus in der Grabengasse“ an den Schuhmacher Johann Peter Stupp und seine Ehefrau Josefine Boßle und wandern im Sommer nach Amerika aus, wo sie sich im amerikanischen Bundesstaat New York, nicht weit der Stadt Dansville, niederlassen. In diesen Ort Dansville wandert - wie wir noch sehen werden - sechs Jahre später Helena Demuths Bruder Peter aus.
Die Familie Stupp wohnt nicht lange im Haus; sie verkaufen es im November 1839 an Wendel Enkrich[13] (1767-1853) und seine Ehefrau Katharina Noss (1768-1850). In deren Familie bleibt es über zwei Generationen hinweg - erst erbt es seine Tochter Katharina Enkrich (1802-ca. 1887), Witwe von Peter Jung (1795-1846), dann deren Tochter Maria (* 1827) und ihr Ehemann Johann Matthias Schlemmer (* 1826). Letztere verkaufen es 1887 an den Wagner Wendel Scheffler aus St. Wendel.[14]
links
Auch der linke Teil des Hauses (er ist größer als der rechte) findet seine Ersterwähnung im Brandversicherungskataster von 1787. Dort trägt das Haus die Nummer 15 ½, Eigentümer und Bewohner ist die Familie des Schuhmachers Johannes Riefer (1738-1787). Das Haus hat - wie das rechte - einen (vermutlich hinten) angebauten Stall und einen Wiederherstellungswert von 50 fl. Es hat zwei Stockwerke, und das Dach ist mit Ziegeln gedeckt (weil die Betreiber des kurtrierischen Brandversicherungsinstituts einen Risikozuschlag von 50 % des Wiederherstellungswerts auf den Versicherungsbeitrag und damit die Versicherungsprämie schlagen würden).
Johann Riefer ist zum dritten Mal verheiratet; seine beiden ersten Ehefrauen Anna Maria Christ (1740-1783) und Elisabeth Haab (1750-1784) sind gestorben, Elisabeth Haab nach nur sechs Wochen Ehe. Seine dritte Ehefrau Katharina Kreuz (1754-1826) wird ihn um 39 Jahre überleben.
Das Wohnhaus geht - vermutlich bei ihrer Heirat 1791 - an seine Tochter Katharina Riefer (1767-1818) aus seiner ersten Ehe und seinen Schwiegersohn Nikolaus Servatius (1758-1816) über. Der Name „Servatius“ kommt Ihnen bekannt vor? Er ist ein Sohn von Nikolaus Servatius und seiner Ehefrau Katharina Sircker, die den rechten Teil des Doppelhauses besitzt.
Im Dezember 1818 - kurz bevor Michel Demuth in den Graben zieht - ist Nikolaus Servatius’ Ehefrau Katharina nach zwei Jahren Witwenstand - einen Monat tot. Sie starb am 19. November. Ihre acht Kinder - vier davon noch minderjährig - wollen möglichst schnell das Haus verkaufen. Denn wie sollen sich acht Kinder ein relativ kleines, unteilbares Haus teilen? Nun, indem sie es gegen eine teilbare Sache eintauschen - gegen Geld: Sie lassen es versteigern.
Dies geschieht auf Heiligabend 1818 auch hier in Form einer präparatorischen, eine Woche später - an Silvester - gefolgt von der definitiven Versteigerung. [15]
Ein entsprechender Hinweis findet sich im „Amts- und Intelligenzblatt des Fürstenthums Lichtenberg“ vom 12. Dezember 1818,[16] in dem Notar Hen die Versteigerung anzeigt:
„In Gemäsheit eines Familienrath’s Beschlusses vom 10ten Dieses, durch Urtheil des Herzogl. Landes Gerichts vom 11. dieses gehörig remolegirt, wird Donnerstag den 24ten Dieses Nachmittags um zwey Uhr auf der Schreibstube des Unterschriebenen hierzu commitirten Notars, zur präporatorischen Versteigerung eines, von der Verlassenschaft des Nicolas Servatius und seiner eben verstorbenen Ehefrau Katharina Riefer herrührigen, zu St. Wendel im Graben neben Gottfried Carlinowsky gelegenen Hauses, mit Scheuer und Stallung unter annehmbaren Bedingungen geschritten werden.“
Wie schon anfangs erwähnt, fehlen Hens Notariatsakten der 2ten Hälfte des Jahres 1818, aber sein Jahresregister ist vorhanden. Dort finden sich die Einträge:
Akt 550, 24. Dezember, Preparatorische HausVersteigerung
Durch Elisabetha Servatius und Miterben an Michel Demuth
alle von St. Wendel
Preis 860 Thaler
Nr. 557, 31. Dez., Definitive HausVersteigerung
durch Elisabetha Servatius und Miterben von St. Wendel
an Michel Demuth alle von da
Haus St. Wendel 860 Thaler
Unten im Graben kommen drei weitere Kinder zur Welt:
=> Helena am 30. Dezember 1820.
=> Elisabeth am 22. Juli 1823 und schließlich
=> Maria Katharina am 13. April 1826. Sie wird nur 14 Monate alt
und stirbt am 26. Juni 1827.
<= Auf der vorigen Seite sehen wir Helenas Geburtseintrag:
Anheute den ein und dreisigsten des Monats Dezember, Tausend acht Hundert zwanzig, um zehn Uhr des VorMittags, erschiene vor uns Civilstandsbeamten der Bürgermeisterei von St: Wendel Kanton von St: Wendel, der Michel Demuth, dreisig Jahr alt, von Profession ein Bekers wohnhaft zu St: Wendel, welcher uns erklärte, daß ein Kind weiblichen Geschlechts zu St: Wendel den heutigen Tag des Monats Dezember um ein Uhr des vorMittags gebohren worden, von Catharina Creutz, Ehefrau wohnhaft zu St: Wendel von Profession nichts und erzeugt von ihm Deklaranten von Profession ein Becker wohnhaft zu St: Wendel welchem Kind die Vornamen Helena gegeben werden sollen.
Ueber welche Erklärung, die geschehen ist, in Beyseyn der beiden Zeugen Johann Franz Mannuisse sieben und fünfzig Jahr alt, von Profession ein Gerichtsschreiber wohnhaft zu St: Wendel und Johann Auer, acht und zwanzig Jahr alt, von Profession ein Polizeidiener wohnhaft zu St: Wendel gegenwärtiger Ackt errichtet, und nach geschehener Vorlesung von uns, dem anzeigenten Theil und den Zeugen unterschrieben worden ist. Mannuisse
Geschehen zu St: Wendel, Jahr und Tag wie oben. der Adjunkt
N. Demuth
Michel Demuth Auer
[„Geschloßen, …“ bezieht sich auf das Gesamtregister, weil es der letzte Akt des Jahres war]
Bei fast allen Kindern wird der Beruf des Vaters mit „Bäcker“[17] angegeben. Bei den ersten beiden steht noch die französische Bezeichnung „boulanger“, bei der dritten Tochter Katharina ist er „Becker“ und bei Peter „Becker und Ackersmann“.
Auch nach dem Umzug in den Graben wird er „Beker“ genannt, bei Elisabeth 1823 in der heutigen Schreibweise „Bäcker“. Am 13. April 1826 ist er dann nur noch „Taglöhner“, und am 17. Mai des gleichen Jahres ist er tot. Das läßt m.E. den Schluß zu, daß es mit seiner Gesundheit nicht zum besten bestellt war, weshalb er den Bäckerberuf aufgeben mußte. Leider gibt der Sterbeeintrag keinen Hinweis auf die Todesursache.
Nach dem Tod des Vaters
Der Tod des Vaters als einzigem Ernährer stürzt die Familie - Mutter, Sohn und fünf Töchter - ins tiefste Elend. Die Witwe arbeitet als Taglöhnerin, was ihr mehr schlecht als recht gelingt.
„Ein Tagelöhner, auch Taglöhner, früher Tagner, ist jemand, der kein festes Arbeitsverhältnis hat, sondern seine Arbeitskraft immer wieder bei neuen Arbeitgebern kurzfristig anbietet. Der Name kommt daher, dass die Tagelöhner nur tageweise beschäftigt werden. Mit Tagelöhnerei verbindet sich über die Jahrhunderte hinweg auch ein Arbeitsverhältnis, das lediglich ein Leben „von der Hand in den Mund“ ermöglicht.
Tagelöhner gehörten in der Regel zur landlosen Bevölkerung und kamen somit bereits aus ärmlichen Verhältnissen. Sie gingen außerdem in der Regel keinem bestimmten Beruf nach oder konnten keinen Beruf mehr ausüben. Deshalb waren sie gezwungen, alle möglichen körperlichen Hilfs-, Gelegenheits- und Saisonarbeiten anzunehmen, insbesondere auch Arbeiten, die unter dem Niveau des zunftmäßigen Handwerks lagen. Dazu zählten u.a. Straßenarbeiter.
Außerdem verdingten sich angelernte Arbeiter, die keine eigentliche fachliche Berufsausbildung besaßen, als Tagelöhner. Unter den Tagelöhnern befanden sich auch gelernte Handwerker, die sich aus den verschiedensten Gründen nicht oder nicht mehr in ihrem Beruf behaupten konnten.
Von den Verdiensten konnte man allerdings eher schlecht als recht leben. Tagelöhner standen somit weit unten in der gesellschaftlichen Schichtung. Vielfach mussten auch die Ehefrauen als Tagelöhnerinnen oder mit Heimarbeit hinzuverdienen. Bis zur Einführung der allgemeinen Schulpflicht galt dies auch für die Kinder der Tagelöhnerfamilien.
Vielfach war die Arbeitsanforderung an die Eltern so hoch und der Verdienst so gering, dass es keine andere Lösung für dieses Problem gab.
Somit schwankte die Teilnahme der Kinder am Unterricht auch in Abhängigkeit von der Arbeit, die bei ihren Eltern anfiel. Doch schon vor Einführung der Schulpflicht wurden lokale Ortsschulen nur bedingt von den Kindern der Tagelöhner besucht. Insbesondere die Ausgaben für das Schulgeld oder für Bücher konnten die Eltern vielfach nicht noch zusätzlich tragen.
Zwar bestand die Möglichkeit örtlicher Behörden, Kinder armer Eltern zum Schulbesuch zu zwingen, doch mussten die Kosten dann von den Amtspersonen bezahlt werden, was diese scheuten. So überließen es die Behörden vielfach dem Lehrer, Anzeige zu erstatten.
Die Notwendigkeit, den Eltern bei der Arbeit helfen zu müssen, gleichzeitig aber auch keine regelmäßige Schulausbildung zu erhalten, hatten zur Folge, dass Tagelöhnerkinder später wenige Möglichkeiten besaßen, gesellschaftlich aufzusteigen und einen gesicherten Lebensunterhalt zu führen. Viele konnten vor Einführung der allgemeinen Schulpflicht weder richtig lesen noch schreiben. In einigen Gebieten Deutschlands, in denen die Landwirtschaft nicht genügend Arbeit bot oder die Erbschaftsverhältnisse für eine große Zahl an grundbesitzlosen Menschen sorgten, versah auch die männliche Bevölkerung vielfach Heimarbeiten.“[18]
In der Schule
Tatsächlich treffen die Bemerkungen über die Teilnahme der Kinder am Schulunterricht gerade auf die Familie Demuth zu, deren Kinder die damalige „Bürgerschule“ besuchten.
Bürgerschule und Lyzeum
In St. Wendel existierte sehr früh eine allgemeine Schulpflicht für Kinder zwischen 6 und 13 Jahren. Schon zu Zeiten der französischen Besatzung, in der Übergangszeit und den ersten Jahren des Fürstenthums Lichtenberg hatte die Stadtverwaltung versucht, in den Räumen der ehemaligen Magdalenenkapelle eine höhere Schule einzurichten, was aber aus finanziellen Gründen nicht funktionierte.[19]
Im Herbst 1820 wurde diese von den Lehrern Johann Schué und Philipp Sauer als Privatschule eingerichtet. Das Dekret des Herzogs vom 12. September 1824 wurde die Grundlage für die Einrichtung einer „gelehrten Schule (…), worauf die erforderlichen Vorkenntnisse des akademischen Unterrichts in gewöhnlichem Maße erworben werden könnten.“ Damit wurde die bestehende Stadtschule (Elementar- und Volksschule) und die Privatschule zum sog. Lyzeum vereinigt. Dieses hatte fünf Klassen: Quinta (die niedrigste), Quarta, Tertia, Sekunda und Prima (die höchste).
In Quinta begann der erste Elementarunterricht mit Kindern im Alter von 6 oder 7 Jahren. Mädchen und Jungen wurden getrennt unterrichtet. Zahl der Wochenstunden: 30.
In der Quarta blieb es bei 30 Wochenstunden und getrennter Unterrichtung. „Mit Quarta schließt sich die Bürgerschule. Aus ihr treten die Mädchen und diejenigen Knaben, die sich nicht für eine höhere Bildung bestimmen, im 13ten oder 14ten Jahre ins bürgerliche Leben." Aus den Altersangaben wird klar, daß Quinta und Quarta nicht wie heutzutage in den Gymnasien Klassenstufen im Sinne direkt aufeinanderfolgender Jahre waren, sondern jeweils mehrere Jahre umschlossen.
Das Schulgeld mußte jeder Schüler jährlich in monatlichen Raten an die Gemeinde-Kasse von St. Wendel zahlen; in der Quinta und Quarta betrug es 1 - 3 rheinische Gulden.[20] Bei armen Kindern, deren Eltern das Schulgeld nicht aufbringen konnten, wurde es von der Hospitalkasse übernommen. Auch Schulversäumnisse wurden geahndet: Die Eltern aller Kinder mußten pro Versäumnistag eine Geldstrafe zahlen. Im Monat Juni 1826 mußten in Quarta 19 und in Quinta 22 Kinder für (unentschuldigte) Schulversäumnisse mit je 3 Kreuzern bestraft werden.
Der eigentliche Gymnasialunterricht begann erst in der Sekunda. Er erstreckte sich auf Lateinisch, Griechisch, Französisch, Mathematik, Geschichte, Geographie und Naturkunde.
Im Jahre 1826 wurde die Stadtschule um eine Klasse vermehrt. Letztere wurde einem eigenen Leiter unterstellt, sodaß ab jetzt die drei oberen Klassen als Lyzeum und Gelehrtenschule und die drei anderen als Bürgerschule bestanden.
Fräulein Hofmanns private Mädchenschule
Nach Einrichtung des Lyzeums, das ausschließlich Jungen vorbehalten war, bat am 1. Juni 1831 eine nicht aus St. Wendel stammende Erzieherin, Fräulein Caroline Hofmann, die Landesregierung um die Erlaubnis, in der Stadt ein Institut errichten zu dürfen, in dem junge Mädchen von ihr selbst in weiblichen Handarbeiten, und von noch näher zu bestimmenden Professoren des Lyzeums in Deutsch und Rechnen, Geographie und Naturgeschichte unterrichtet würden.[21] Die Landesregierung verlangte darauf einen Schulplan, den Fräulein Hofmann am 9. Juli 1831 einreichte. Hofmann beabsichtigte, täglich 7 Stunden lang die Mädchen mit weiblichen Arbeiten zu beschäftigen, während die Herren Roos und Kirchrath vom Lyzeum täglich 2 Stunden wissenschaftlichen Unterricht geben sollten. Auch ein französischer Unterricht war beabsichtigt. Die Regierung verlangte daraufhin von der Stadt eine Begutachtung dieser Frage. Dort tat sich aber nichts, worauf Fräulein Hofmann den Betrieb ihrer Schule ohne Genehmigung aufnahm. Erst am 2. Januar 1833 reagierte die Regierung darauf und verlangte kurzfristig den Schulplan und den Nachweis der Lehrbefähigung der beschäftigten Personen. Die Stadtverwaltung erklärte am 12. Februar 1833, der Unterricht der Fräulein Hofmann entspräche den Wünschen vieler Eltern und dass es sich sehr gut einrichten ließe, dass die Mädchen neben der städtischen Schule die Anstalt der Fräulein Hofmann besuchten. Ende Februar verfügte die Regierung, dass entweder Hofmann nachweist, dass ihr Lehrpersonal die nötige Lehrbefähigung besitzt, oder dass sie nur der Schulpflicht entwachsene Mädchen unterrichte und somit keine Schulversäumnisse entständen. Daraufhin wurde ein Zeugnis für einen Schullehrkandidaten eingereicht und es dem Ermessen der Behörde überlassen, ob die Mädchen vom Besuch der öffentlichen Schule zu entschuldigen seien. Die Regierung will keine Angliederung an die allgemeine Mädchenschule, sie bleibt bei ihrer Ansicht, dass die Anstalt nur als Privatschule angesehen werden könne. Endlich wurde am 15. Juli 1833 die Schule unter Bedingungen genehmigt. Hofmann wurde aufgegeben, sich einer Staatsprüfung zu unterziehen, über deren gutes Ergebnis der Schulinspektor Hallauer am 29. Dezember 1833 berichtet. Wie lange die Privatschule bestand, lässt sich nicht ermitteln. Vermutlich wurde sie geschlossen, als die Coburger St. Wendel verließen.
Helenas Fehlzeiten
In der Akte über die Hofmann’sche Schule findet sich ein Bericht der katholischen Schulinspektion über „den verschlimmerten Zustand der Schule von Quarta in St. Wendel“, zu der auch Helena Demuth gehörte.
„Aus dem mündlichen Berichte der Lehrerin Fichter von St. Wendel und der hier beigegebenen Versäumnißliste der Mädchen auf Quarta vom verflossenen Monate November [1832] hat die unterzeichnete Stelle die traurige Überzeugung genommen, daß diese Schule im verflossenen Monate sehr nachlässig, von vielen schulpflichtigen Kindern gar nicht besucht wurde.“
Drei Monate später schreibt Fräulein Hofmann in einem Bericht, in dem sie für ihre neue Schule wirbt, über die „in hiesiger Stadt (…) von Kindern überfüllten, und vielleicht nicht allen Wünschen entsprechenden Mädchenschule“.
Seite 15 der erwähnten Versäumnisliste vom November 1832:
Namen der Kinder | d. Eltern | Versäum- | Entschuldigungen | |
|
|
|
|
|
Moritz Elisabeth | Joseph | 1 | ½ | Kind hüten |
Caspar | Joh. Volz | 1 | ½ | Kind hüten |
Alsfasser | Johann | 1 |
| Laub trag. |
Erhart Margreth | Niklas | 4 |
|
|
Haßdenteufel | Adrian | 15 | ½ |
|
Deutscher | Joseph | 2 |
|
|
Riefer Katharina | Witt. | 2 |
| krank |
Demuth Helena | Witt. | 4 |
| Die Mutt. im Taglohn |
Klein Emilie | Ludwig | 10 |
|
|
Greif Johanna | Michel | 2 |
| krank |
Pfeifer Maria | Georg | 1 |
| krank |
Scherhammer Maria | Joseph | 3 |
| krank |
Onowatzky Amalie | Ernst | 3 |
| die Mutt. verreist |
Pfeifer Rosina | Heinrich | 2 | ½ | Wasch. |
Bergmüller Amalie | Gregor | 2 |
| Wasch. |
Keller Maria | Jakob | 3 | ½ | Kind hut. |
Becker Maria | Peter | 1 |
|
|
Conrad Louise | Friedrich | 1 | ½ | verreist |
Hallauer Maria | Niklas | 1 |
| Kind hut. |
Scherhammer Barbara | Joseph | 3 |
| Laub trag. |
Welter Gertraudis | Joh. | 2 | ½ | Wasch. |
Keller Elisabeth | Peter | 1 |
| krank. |
Darunter findet sich auch der Namen „Helena Demuth“, Tochter der Witwe Michel Demuth, die ganze vier Versäumnistage aufzuweisen hat. Unter „Entschuldigungen“ steht der Vermerk, „Die Mutt[er ist] im Taglohn“ tätig“, d.h., das Kind muß zuhause bleiben, weil die Mutter außerhalb ihrer Tagelöhnertätigkeit nachgeht.
Warum das Kind dann nicht trotzdem in die Schule gehen kann? Nun, ich vermute, daß sie auf ihre Schwester Elisabeth aufpassen muß. Zwar wird „Kind hüten“ mehr als einmal als Fehlgrund angegeben, aber Helenas Schwester ist geistig schwerstbehindert (siehe Kapitel „Elisabeth“).
Helena Demuth ist im Dezember 1832 zwölf Jahre alt geworden und wohnt noch in St. Wendel, woran sich so schnell auch nichts ändern soll. Auf die höhere Schule von Fräulein Hofmann, die mit dem Ende des Fürstenthums Lichtenberg wieder einging, kommt sie nicht.
Obwohl im o.a. Bericht der Schulinspektion von „schulpflichtigen“ Kindern gesprochen wird, wird sie nicht die einzige aus der Familie gewesen sein, die zur Schule geschickt wird; auf jeden Fall ist sie die einzige, die in den Versäumnislisten auftaucht: Ihre Schwestern Barbara und Katharina sind 1832 mit 23 und 17 Jahren für den Schulbesuch wohl schon zu alt, und Elisabeth kann keine Schule besuchen. Ihr älterer Bruder Peter ist 1832 15 Jahre alt. In einer Liste der Eltern der Schüler aus dem Jahre 1830[22] werden bei „Demuth Wittwe von Michel“ zwei Schulkinder angezeigt, vermutlich Helena und ihr Bruder Peter. Ihre jüngste Schwester Anna Maria ist da noch nicht auf der Welt.
Die Archivarin Magdalene Grothusmann vom hiesigen Stadtarchiv hat mich freundlicherweise auf eine Akte der hiesigen Schulkasse aufmerksam gemacht[23].
Darin findet sich die „Schulliste der Stadt St. Wendel vom 1. Oktober 1833 bis 1. Oktober 1834“. 195 Erziehungsberechtigte werden genannt, die 326 Kinder zur Schule schicken. Die meisten sind in der Lage, ihr Schulgeld zu zahlen, aber 28 Erziehungsberechtigte mit 48 Kindern werden als „arm“ bezeichnet, was bedeutet, daß sie ihr Schulgeld nicht aufbringen können:
No | Namen der Eltern | Anzahl der Kinder | Bemerkung |
5 | Alsfasser Jakob, Tagl | 2 | arm |
19 | Bernhardt Jakob, Wittib | 1 | arm |
27 | Blum Waise | 1 | arm |
33 | Demuth Michel Wittib | 1 | arm |
40 | Ducro Wendel | 2 | arm |
54 | Gertung Elisabeth | 1 | arm |
60 | Gerber Franz Wittib | 1 | arm |
62 | Greif Johann, Leinenweber | 1 | arm |
71 | Hallauer Nikolaus, Waise | 1 | arm |
77 | Horten Johann Nikl. | 2 | arm |
82 | Jochem Peter | 3 | arm |
84 | Jung Wittib Straßsch. | 3 | arm |
87 | Klein Johann | 2 | arm |
107 | Lieb Pet. Wittib (Regbt) | 1 | arm |
108 | Lieb Wendel | 4 | arm |
113 | Loch Johann | 2 | arm |
114 | Lithardt Johann | 4 | arm |
122 | Monz Wendel | 2 | arm |
123 | Michels Peter | 2 | arm |
125 | Marschall Anton | 1 | arm |
136 | Recktenwald, Mosers Lief. | 1 | arm |
137 | Riefer Johann Wittib | 2 | arm |
140 | Riefer Niklas jun. | 2 | arm |
144 | Rectenwald Johann, Schuster | 2 | arm |
156 | Schmitt Jakob Waise | 1 | arm |
157 | Schwendler Peter | 1 | arm |
160 | Sirker Wittib | 1 | arm |
182 | Wagner Pet. Wittib | 1 | arm |
Auf Position No 33 finden wir die Wittib von Michel Demuth, die ein Kind auf der Schule hat, ein Schulgeld von 48 Kreuzern bezahlen muß, aber „arm“ ist.
Mit dem gleichen Betrag taucht sie bei den „Nachweisen über die unbeibringlichen Schulgelder der Stadt St. Wendel pro 1833/34“ auf. Die Bemerkung dort lautet „unzahlfähig“.
Dazu kommt später noch ein Betrag von 1 Gulden 39 Kreuzer, der mit der gleichen Bemerkung in die Liste der „unbeibringlichen Schulversäumnißstrafen pro 1834/34“ verbannt wird, die im März 1835 durch den Rechtsnachfolger des Fürstentums Lichtenberg, die Preußische Regierung, aufgestellt wird[24]: „unzahlfähig“.
„Nachweise der unbeibringlichen Schulversäumnißstrafen pro 1833/34 (vom Monat May und Juny“
Nr | Namen der Debenten | Namen der | Schulstrafen | Bemerkungen |
1 | Auer Johann | Carl, Adolph und Catharina | 1-24 | erlassen lt Decret v 9.12.1834 |
2 | Tholey | Catharina | 0-39 | desgl. vom 10 November 1834 |
3 | Demuth Michel Witwe | Helena | 1-39 | Ist unzahlfähig |
4 | Greif Joh., Leinenweber | Maria | 0-12 | desgl. |
5 | Hahn Wendel, Tagl. | Elisabetha u Catharina | 0-42 | desgl. |
6 | Horthen Joh. Nick. Tagl. | Elisabetha | 1-3 | desgl. |
7 | Jochem | Peter | 1-27 | desgl. |
8 | Jung Joh. Wittib | Elisabetha | 0-30 | desgl. |
9 | Lauer Michel | Anton und | 1-36 | desgl. |
10 | Monz Johann | Johann | 0-30 | desgl. |
11 | Monz | Wendel | 0-24 | desgl. |
12 | Schwendler Peter | Catharina | 0-36 | desgl. |
13 | Wilhelm Mathias | Barbara | 1-33 | desgl. |
14 | Zawar Anton Witwe | Philipp | 0-6 | desgl. |
| Summa |
| 13-06 |
|
Bewahrheitet durch die Königl: Preussische Oberbürgermeisterei und Schulkaße.
St. Wendel den 1 März 1835
JS Stephan
Dreizehn Gulden sechs Kreuzer unbeibringliche Schulversäumnißkosten werden hiermit zur Niederschlagung genehmiget und sind von der Schulkasse unter dem Titel „Erlösse“ ausgeblich zu verrechnen. St. Wendel den 31ten März 1835.
Königl: Preussische Regierung“
Grund für diese große Summe sind die 25 ganzen und 19 halben Tage, die ihre Tochter Helena in den Monaten Mai bis Juni 1834 in der Schule fehlte.
Im Herzoglich Sachsen= Coburgischen Amts= und Intelligenz= Blatt Nr. 5 vom 4. März 1826 wurden die „Disciplinar=Gesetze für das Lyceum zu St. Wendel“ veröffentlicht, in deren 38 Paragraphen 6 Teilbereiche geregelt wurden - vom Schulein- und -austritt über Belohnungen und Strafen und natürlich die Ferien auch das Verhalten der Schüler („Ordnung“) während und außerhalb der Schulzeit.[25]
Im § 7, dem ersten Paragraphen der „Ordnung während der Schulzeit“, lesen wir über die Tage, an denen die „Lectionen“ gehalten werden sollen:
„Die Lectionen werden im Sommer Vormittags von 7-10, im Winter von 8-11, Nachmittags regelmäßig von 2-4 Uhr gehalten, mit Ausnahme des Mittewochs und Sonnabends, an welchen die Nachmittagsstunden ausfallen.“
Ich nehme mir also einen Kalender mit den Monaten Mai und Juni des Jahres 1834, streiche die Sonntage (4, 11, 18, 25 im Mai und 1, 8, 15, 22, 29 im Juni) aus und markiere die Tage, die sie laut der Versäumnisliste ganz oder halb fehlte.
Dabei stelle ich fest, daß es außer sonntags keinen nicht schulpflichtigen Feiertag gab (am 29. Mai, Fronleichnam, zum Beispiel fehlt Helena einen 1 Tag).
Da lt. „Disciplinar“-Ordnung mittwochs und samstags nur halbtägig Unterricht war, ergibt sich das Bild, daß Helena Demuth bis zum 21. Mai sporadisch fehlte, aber ab dem 22. Mai bis Ende Juni fast ganz.
Doch lassen Sie uns zunächst einmal die Statistik betrachten:[26]
Mai 1834
Sonn-tag | Mon-tag | Diens-tag | Mittwoch | Donners-tag | Frei-tag | Sams-tag |
|
|
|
| 1 | 2 | 3 |
4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 |
11 | 12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 |
18 | 19 | 20 | 21 | 22 | 23 | 24 |
25 | 26 | 27 | 28 | 29 | 30 | 31 |
Juni 1834
Sonntag | Montag | Dienstag | Mittwoch | Donnerstag | Freitag | Samstag |
1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 |
8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 |
15 | 16 | 17 | 18 | 19 | 20 | 21 |
22 | 23 | 24 | 25 | 26 | 27 | 28 |
29 | 30 |
|
|
|
|
|
da = anwesend
1 bzw. 1/2 = Fehlzeiten in Tagen
Gründe, die als ausreichend für ein Fernbleiben vom Unterricht angesehen wurden, sofern eine Entschuldigung seitens der Eltern vorlag:[27]
Arbeiten:
Arzney holen er habe zu Hause bleiben müssen
Feldarbeit Gartenarbeit
Handlangen Hausarbeit
Haush. Abhaltung Heumachen
Holzholen Holztragen
Kartoffelsetzen Kindhalten
Mist tragen Nähen
Schlachten helfen Schweinetreiben
seinen Bruder begleiten Suppe auf den Hof tragen
Tabakspinnen Verrichtung
Viele Arbeit Wäsche hüten
Waschen
Krankheiten:
Augenweh die Mutter krank
der Vater krank hat den bösen Grind am Kopfe
Husten Krankheit
selbst krank Sterbfall
weher Zahn wehes Knie
Sonstiges:
Auf der Kindtauf
In der Kirche
Mit der Mutter nach Sarbrücken
Nach Amerika
Verreist
Marlene Ambrosi schreibt in ihrem 2018 erschienen Buch „Helena Demuth - Die treue Seele im Hause Marx & Engels“ auf Seite 12: „Im Mai und Juni 1834 lässt sich der Fehlzeitenliste der Mädchenschule entnehmen, dass sie dem Unterricht unentschuldigt fernblieb. Der Grund dürfte gewesen sein, dass sie bereits als Kindermädchen in Trier arbeitete.“
Nur ist Helena weder im Mai noch im Juni ständig von der Schule entfernt geblieben. Bis zum 22. Mai war sie an 12 Tagen ganz oder zumindest teilweise anwesend. Dann fehlt sie vier Wochen ganz, kommt einen halben Tag und fehlt wieder für den Rest des Monats.
So froh wir sein können, daß uns diese Belege aus der Schulkasse überhaupt vorliegen, so schade ist es, daß es sie nur für diese beiden Monate gibt und weder für die Jahre davor noch danach.
Die Geschichte vom „Kindermädchen in Trier“ stammt aus einem Brief von Eleonore Marx, einer der Töchter von Karl und Jenny Marx, an Wilhelm Liebknecht vom 12. März 1896:
„Helen war 8 oder 9, als sie nicht zu meiner Großmutter, sondern zu einer anderen Familie in Trier geschickt wurde, um auf ein Baby aufzupassen. Das arme kleine Mädchen musste ein schweres Kind herumtragen und die halbe Nacht seine Wiege schaukeln, obwohl sie selbst schmerzlich der Ruhe bedurfte. Schließlich wurde es selbst für ein stoisches Kind unerträglich — und Helen, stets das zarteste aller Wesen zu anderen, war ihr Leben lang sich selbst gegenüber ein Stoiker —, und dann nahm sie meine Großmutter. Sie musste damals (glaube ich) 11 oder 12 gewesen sein."[28]
Es fällt mir schwer, die Äußerungen Eleonores ernst zu nehmen, wenn sie über Ereignisse „berichtet“, die 1896 schon mehr als 50 Jahre zurückliegen und von denen sie nichts aus eigener Erfahrung, sondern nur aus zweiter oder gar dritter Hand wissen kann, da sie erst 1855 geboren wurde; leider gibt sie nicht bekannt, wer ihr das erzählt hat, und 1896 lebt auch niemand mehr, der es aus erster Hand erfahren haben kann.
Ich frage mich, was an der Geschichte überhaupt stimmt oder ob da der Wunsch der Vater des Gedankens war, denn nichts davon ist belegbar. Wackelig wird es dann auch noch, wenn sich die Verfasserin des Briefes im gleichen Brief etwas später bezüglich des Alters selbst widerspricht: „Als kleines Kind von 8-9 Jahren kam Lenchen zu meiner Großmutter von Westphalen und sie wuchs mit Mohr, Mütterchen und Edgar von Westphalen auf".
Was aber bisher die Forschung nicht davon abgehalten hat, die Briefe mehr oder minder für bare Münze zu nehmen und anhand ihrer den Geschichtsverlauf festzulegen.
Wie wir noch sehen werden, war es damals nicht so ganz einfach, von St. Wendel nach Trier zu kommen[29]; die Postkutsche war teuer, und zu Fuß war man gut drei Tage unterwegs - bei einer täglichen Marschleistung von 25 Kilometern. Und wie wahrscheinlich ist es, daß ein 12-jähriges Mädchen, das in Trier als Dienstmagd arbeitet, mal so auf die Schnelle den Weg nach St. Wendel zurücklegt, wozu sie hin und zurück fast eine Woche unterwegs ist, und dann nichts besseres zu tun hat, als sich einen halben Tag in der Schule blicken zu lassen.
Dazu kommt, daß Helena im Mai 1835 in St. Wendel gefirmt wurde, was dazu führt, daß fast abenteuerliche Konstruktionen erstellt werden, damit die Kindermädchen-Geschichte dort irgendwie hineinpaßt. So kommt z.B. Marlene Ambrosi zu dem Schluß, daß „Helena im Mai 1835 zu ihrer Firmung nach St. Wendel reiste und anschließend ihre neue Stelle bei von Westphalens antrat.“ Ich kann mich an meine Firmung erinnern und weiß noch, daß dieser - wie bei der Kommunion auch - ein recht intensiver Firmunterricht vorausging, dessen Teilnahme Pflicht und die Voraussetzung war, überhaupt an der Firmung teilnehmen zu können. Das war vor 180 Jahren im erzkatholischen St. Wendel sicher noch viel extremer der Fall. Von dem, was ich über Pastor Creins gelesen habe, kann ich mir nicht vorstellen, daß er da mitgespielt hätte. Und wie sollte das überhaupt funktionieren - morgens arbeiten, mittags schnell mal nach St. Wendel zum Firmunterricht und abends wieder zurück nach Trier?
Das haut hinten und vorne nicht hin.
Tatsächlich kennen wir die Gründe nicht, warum Helena diese immensen Fehlzeiten in der Schule entwickelt hat.
Es mag an ihren Eltern gelegen haben. Ihre älteste Schwester Barbara (1809-1834) fehlt zwischen September 1818 und sporadisch immer wieder für ganze Wochen; der katholische Pfarrer Feilen, der die Aufsicht über die Versäumnisse führt, meldet diese der sachsen-coburgischen Schulbehörde wöchentlich:
„20. 7ber 1818: No. 9 [Karl Zwick], 13 [Friedrich Eschrich], 39 [Nikolaus Weber Wittib], 40 [Michel Tholey der alte], 46 [Franz Gunther], 47 [Michel Demuth]haben ihre Kinder die letzte Woche gänzlich aus der Schule behalten.“ [30]
Der Name Barbara, Michel Demuths Tochter, ist außerordentlich oft dabei. Interessant, daß die Versäumnisse ein paar Monate vor dem Umzug in den Graben beginnen.
Aber wie war das bei den anderen Kindern, die mit Helena zur Schule gingen. Hier die Fehlzeiten ihrer Mitschülerinnen im Mai: [31]
Schülerin | Vater o. Mutter | Fehltage | |
ganz | halb | ||
Angel Maria | Johann | 3 | 1 |
Bach Barbara | Conrad | 8 | 1 |
Becker Maria | Peter | 1 | 0 |
Bergmüller Anna | Gregor | 3 | 0 |
Blickle Katharina | Peter | 0 | 2 |
Bouqué Helene | Franz | 4 | 3 |
Breininger Maria | Nikolaus | 3 | 0 |
Deutscher Barbara | Witwe | 2 | 0 |
Diehl Maria | Witwe | 2 | 5 |
Dukro Maria | Peter | 1 | 4 |
Gand Rosalie | Witwe | 3 | 2 |
Gunther Elisabeth | Nikolaus | 11 | 7 |
Greif Johanna | Michel | 1 | 1 |
Greif Maria | Adam | 3 | 1 |
Hahn Elisabeth | Wendel | 4 | 5 |
Hallauer Helena | Witwe | 2 | 2 |
Hallauer Kath | Heinrich | 1 | 2 |
Heidacker Wilhl. | Carl | 1 | 0 |
Horden Barbara | Joseph | 2 | 4 |
Jochem Katharina | Witwe | 9 | 5 |
Kappler Katharina | Johann | 3 | 3 |
Kaspar Constanze | Joh. Volz | 6 | 4 |
Keller Elisabeth | Peter | 1 | 0 |
Keller Maria | Jakob | 17 | 3 |
Kirsch Helena | Johann | 1 | 1 |
Kirsch Maria | Johann | 14 | 2 |
Klein Emilie | Louis | 1 | 2 |
König Maria | Johann | 3 | 1 |
Kost Elisabeth | Katharina | 3 | 0 |
Kullmann Julie | Louis | 0 | 2 |
Laur Karolina | Joseph | 6 | 1 |
Marschall Maria | Jacob | 12 | 3 |
Münster Elisabeth | Nikl. | 4 | 6 |
Ost Elisabeth | Philipp | 0 | 2 |
Petri Maria | Anton | 6 | 3 |
Pfeifer Maria | Georg | 1 | 5 |
Pfeifer Rosina | Heinrich | 1 | 0 |
Psotta Katharina | Christ. | 7 | 4 |
Psotta Thekla | Christ | 13 | 4 |
Recktenwald Johanna |
| 0 | 2 |
Rödel Fanni | Witt | 3 | 0 |
Scherhammer Maria | Josef | 2 | 1 |
Schiffer Gertrud | Nikl | 4 | 2 |
Simon Laura | Johann | 4 | 4 |
Tholey Katharina | Michel | 11 | 2 |
Volz Helena | Wendel Nik. | 3 | 2 |
Waldecker Maria | Peter | 2 | 1 |
Wilhelm Barbara | Mathias | 5 | 2 |
Zawar Louise | Franz | 6 | 2 |
Die Mädchenschule im Pferdestall
1832 kam es in Deutschland zu Unruhen, die im sog. Hambacher Fest gipfelten. In St. Wendel kam es zu Protesten gegen die Verwaltung durch die koburgische Regierungsbeamten, die kurz davor stand, in Handgreiflichkeiten auszuarten. Zu denen, die das Hambacher Fest teilnahmen, gehörten neben dem Notar Hen die Führung des Lyzeums, was dazu führte, daß im August 1832 die Lyzeallehrer Schué, Juch und Sauer abgesetzt und die höheren Klassen geschlossen wurden; das Gebäude, die Magdalenenkapelle, wurde in eine Kaserne umgewandelt. Die Bürgerschule blieb zwar bestehen, mußte aber ebenfalls das Gebäude verlassen.
Im November 1832 wandte sich der Vorsitzende der Herzoglichen Katholischen Schulinspektion des Cantons St. Wendel, Wilhelm Hallauer, an die Landesregierung und meldete, „dass der Schul Saal, worin er früher seine Schule gehalten, so wie auch jener der Mädchenschule von Quarta gegenwärtig als Kaserne benutzt werden; ohne dass ihm und der Lehrerin Fichter andere Lokale zur Fortsetzung ihres Unterrichtes angewiesen seien.“ Eigentlich ist die Landesregierung nicht die richtige Stelle, auch, weil es einen Dienstweg gibt. „Da es aber der Herzoglichen Oberbürgermeisterei schwer, vielleicht gar unmöglich sein dürfte, ohne besondere Mitwirkung hoch Preislicher Herzoglicher Regierung die nötigen Schullokale für oben genannte Klassen herzustellen, so bin ich so frei, mich sogleich an Hochpreisliche Herzogliche Regierung selbst zu wenden, und um befriedigende Erledigung dieses Geschäftes unterthänigst zu bitten.“
Am 5. November fand man die vorläufige Lösung, „1, dass jene [Schulklasse] von Bergmüller und Jörg in dem Lokal des letzteren und 2, jene der Lehrerin Fichter im Hospitalgebäude Unterricht erhalten sollen. Beide Lokale sind aber so klein, dass der Unterricht nur abwechselnd stattfinden kann.“
Wo Jörg sein Lokal hatte (eine Kneipe war sicher damit nicht gemeint), habe ich nicht ermitteln können.
Für die Jungen wurde das Provisorium schon zwei Tage später über den Haufen geworfen, und man quartierte sie „im herzoglichen Schlossgebäude, und zwar in den beiden aneinander grenzenden Zimmern der 1. Etage linkerhand“, also unten am Schloßplatz im ehemaligen Rathaus 1. Auch dort blieben sie nicht lange. Im Januar 1833 wurden die „Hintergebäude des Schlosses“ ihr neues Zuhause, während die Mädchen vorerst weiter im Hospital blieben. Wo diese Hintergebäude standen, ist nicht sicher, auf jedenfalls nahe des Rathauses am Schloßplatz - von den Coburgern euphemistisch „Schloßgebäude“ genannt. Wie wir später sehen werden, können es nicht die Gebäude sein, die rechts des Rathauses zur Straße hin standen. Am 11. Januar 1833 meldete Lehrer Bergmüller: „Das Lokal zur Schule im Regierungsgebäude ist eingerichtet und bezogen. Es fehlt aber noch ein richtiger und dringend notwendiger Gegenstand - ein Abtritt.“ Dem Übelstand wurde sogleich abgeholfen.
Drei Wochen später wurde bekannt, daß die Mädchen aus dem Hospital aus- und in ebenfalls in das Hintergebäude umziehen sollten - in den gleichen Raum, den auch die Jungen benutzten.
Das führte zu erheblichen Protesten - seitens der Lehrer, vor allem auch der Eltern. Letztere wollten nicht, daß ihre Kinder im Winter „im kältesten Monat des Jahres“ in ein Gebäude „außerhalb der Stadt“ gehen sollten. Das letzte klingt heute seltsam, aber das besagte Rathaus, erst recht die „Hintergebäude“ rechts daneben, und der ganze Schloßplatz bildeten bis Mitte des 19ten Jahrhunderts die Südgrenze St. Wendels.
Der Unterricht wurde von 7 Uhr morgens bis 6 Uhr abends so aufgeteilt, daß „die Knaben morgens von 7 Uhr bis 9½ Uhr, die Mädchen von 9½ bis 12:00 Uhr, nachmittags die Knaben von 12½ bis 3, die Mädchen dann von 3 bis 5½ einstweilen Schule haben, bis später die längere Tage es erlauben werden, für jede Klasse noch 1 Stunde zuzusetzen.“
Der Schulinspektion wäre es natürlich lieber gewesen, diese Änderung wie geplant erst am 1. Februar umsetzen zu müssen, „weil, wenn beide Schulen in dem nämlichen Saal abwechselnd sollten gehalten werden, wenigstens von 7:00 Uhr morgens bis halb 6:00 Uhr abends Unterricht erteilt werden müsste, was im Januar bei Tage nicht geschehen kann, einzelne ganze helle Tage zu Ende des Monates vielleicht ausgenommen.“
Der Umzug fand statt, die Schüler zogen ein und wechselten sich im genannten Rhythmus ab. Die Tage bis zur Sommersonnenwende und danach bis zum September waren kein Problem, weil es morgens früh hell wurde und abends lange hell blieb. Doch Anfang September gab es schon wieder Anfragen besorgter Eltern, die sich überlegten, ihre Kinder „bei stürmischer Witterung und zur Nachtzeit den weiten, für Kinder dann gefährlichen Weg nach der Schule gehen zu lassen.“
Der Stadtbauinspektor Fladt legte am 15. September 1833 dar, wo man seiner Meinung nach die Mädchenschule unterbringen könnte:
„Zum Gebrauche eines Schulsaales für die Mädchenschule zu St. Wendel findet sich in hiesiger Stadt kein passendes Lokal. Wenn es nicht gegen alles Dekorum [lat. = das, was sich ziemt] wäre, so ließe sich aus dem Pferdestall am Schlossgebäude ein sehr zweckmäßiger und geräumiger Schulsaal für 150 Kinder herstellen. Der Anschlag für diese Herstellung beträgt 200 Gulden 36 Kreuzer und könnte in 4-5 Wochen ausgeführt werden.“
Natürlich war Fladt klar, daß sein Pferdestall-Konzept keine Chance hatte - eine Mädchenschule im Pferdestall, die Idee verstieß wirklich gegen alles, was sich geziemt.
Deshalb schlug er eine Alternative vor: „Die Unannehmlichkeiten abrechnend, findet sich in dem hiesigen Schlossgebäude diverse Lokalitäten und zwar in den Zimmern des unteren Stocks links am Eingang. Von dem jetzigen kleinen Vorzimmer müsste eine Tür in das daneben liegende Zimmer gebrochen werden. Dieses und das Eckzimmer bilden die neue Stube, zwischen welchem die Wand herauszunehmen ist. Die erforderlichen Vorkehrungen lassen sich ohne Nachteil des Gebäudes treffen. Herstellungskosten betragen im höchsten Fall 30 Gulden ohne Tafel und Bänke und kann in 8 Tagen hergestellt sein.“
Ich versuche gerade, mir seinen weit aufgerissenen Mund vorzustellen, als die Landesregierung am 27. September auf seinen Vorschlag einging: den Umbau des Stallgebäudes zu einem Schulsaal für die Mädchen.
Am 12. Oktober legte er seinen Plan vor, den wir auf der nächsten Seite sehen.
Entgegen der Projektbeschreibung war der Saal aber nicht nur für die Mädchen, sondern auch für die Jungen bestimmt. Am 3. November 1833 waren die Umbaumaßnahmen fertig, die aber dann erheblich teurer kamen als vorveranschlagt; ja, das war die gute alte Zeit, in der man noch überschwenglich mit Geld und Material um sich warf - da sind wir heute viel vor- und umsichtiger J.
Was weiter geschah an Weinen und Klagen der Mädchen und Jungen, der Eltern und Lehrer, des Oberbürgermeisters und der Herzoglichen Regierung, davon schweigt die Akte. Aber der geneigte Leser mag erkannt haben, unter welch harten Umständen Lenchen Demuth ihre Schulzeit in St. Wendel verbrachte.
Dienstboten in Trier im Jahre 1833
Im Stadtarchiv Trier liegt eine Akte aus dem Jahre 1833, die sich mit der Anfertigung einer neuen Gesindeordnung befaßt. Sie enthält außerdem eine Liste der 952 registrierten Dienstboten, die in diesem Jahr in Trier Dienst tun. Sie werden mit Namen, Stellung, Geburtsort sowie ihrer Dienstherrschaft sowie Hausnummer angegeben.[32]
Ich habe die Liste grob analysiert:
Frauen
Anzahl
Haushälterin 13
Kammermädchen 7
Kinderfrau 1
Kindermädchen 11
Kindermagd 2
Köchin 102
Ladenmädchen 47
Magd 662
Seugamme 9
Wärterin 1
Gesamt 861
Männer
Anzahl
Armee 2
Bedienter 18
Gärtner 7
Kellner 3
Knecht 37
Koch 1
Kutscher 14
Postillon 8
Wagenmeister 1
Gesamt 91
Die meisten stammen aus Trier und Umgebung (z.B. Alterich, Andernach, Becond, Berncastel, Bingel, Bollendorf, Bollingen, Borg, Cleve, Clüsserath, Cochem, Dudeldorf, Echternach, Ehrenbreitstein, Eitelsbach, Eupen, Gutenthal, Hermeskeil, Hetzrath, Hillesheim, Kell, Kürenz, Lutzerath, Manderscheid, Mans, Medard, Mehren, Mettendorf, Morsch, Mürlenbach, Neuerburg, Neumagen, Pfalzel, Prüm, Ruver, Saarburg, Steinheim, Trier, Trittenheim, Wallendorf, Wetzlar, Zell und andere).
Helena Demuth findet sich nicht auf dieser Liste, auch nicht ihre Schwester Katharina. Dafür kommen von den 94 Dienstboten aus dem Bereich des heutigen Saarlandes 17 aus St. Wendel (Xaver Kraus, laut Liste in „St. Wendel“ geboren, stammt aus Urexweiler).
Johanna Blum, * 06.04.1811, (lfd.Nr. 407),
Magd bei Ignaz Gaube, Regimentsarzt in 811 Böhmergasse
Elisabeth Duckero, * 14.03.1812, (lfd.Nr. 616),
Magd bei Franz Nalbach, Schreiner, in 166 Weberbach
Johanna Eichler, * 02.03.1806, (lfd.Nr. 274),
Magd bei Wilhelm Hammer, Distilateur, in 425 Brodstraße
Maria Emmel, * 01.10.1806, (lfd.Nr. 4),
Köchin bei Josias Polch, Regierungsoberbuchhalter, in 1066 Simeonsstraße
Franz Kergen, ggf. Franz Karcher, * 01.11.1817, (lfd.Nr. 740),
Knecht bei Peter Hess, Metzger, in 377 Neustraße
Helena Kirsten, (lfd.Nr. 365),
Köchin bei, Friedrich Scherr, Buchdrucker, in 758 Fleischstraße
[Den Nachnamen „Kirsten“ gab es in St. Wendel damals nicht, und Familie „Kyrè“ hat keine Tochter namens „Helena“]
Xaver Kraus, * 12.10.1809 Urexweiler (lfd.Nr. 260),
Knecht bei Kochs Wittib in 431 Brodstraße
Margarethe Krebsbach, * 04.05.1810, (lfd.Nr. 658),
Magd bei Johann Adam Baden, Küfer, in 223 Hosenstraße
Catharina Lithardt, * 06.10.1805, (lfd.Nr. 817),
Köchin bei Michel Tobias, Regierungs- und Medizinalrat in 698 Krahnenstraße
Elisabeth Lithardt, * 11.11.1813, (lfd.Nr. 688),
Magd bei Peter Scheid, Tabakfabrikant, in 281 Neustraße
Gertrud Marschall, * 16.03.1809, (lfd.Nr. 137),
Ladenmädchen bei Johann Wilhelm Maret, Conditor, in 136 Weberbach
Maria Reot, (lfd.Nr. 836),
Magd bei Mathias Baden, Kaufmann u. Wirt, in 527 Brückenstraße
[ggf. Riotte, aber in der Familie gibt es keine passende „Maria“]
Catharina Wassenich, * 06.06.1801, (lfd.Nr. 484),
Ladenmädchen bei Witwe Ramboux in 818 Fleischstraße
Barbara Weber, * 30.04.1812, (lfd.Nr. 825),
Magd bei Franz Josef Christ, Gutsbesitzer in 510 Nagelstraße
Maria Weber, (lfd.Nr. 643),
Magd bei Peter Gracher, Bäcker und Wirt, in 202 Breitenstein
Rosina Zangerle, * 30.11.1807, (lfd.Nr. 27),
Köchin bei Carl Zieburtz, Major, in 1080 Simeonsstraße
Elisabeth Zawar, * 10.04.1806, (lfd.Nr. 163),
Magd bei Johann Hisgen, „Ldg.-Rat“, in 79 Grabenstraße
Ein Familienname ist dabei, der durchaus Helenas Nachname sein könnte:
Eintrag Nr. 865 nennt Maria Dèmont, die aus Saarbrücken stammt und als Köchin bei J.M. Grach in 596 Brückenstraße als Köchin arbeitet.
Bei Familie von Westphalen in der Neustraße ist Angela Steinbach aus Zurlauben als Köchin tätig (Eintrag Nr. 757). Sonst beschäftigt die Familie keine Dienstboten.
Ganz unten
Die Umstände haben ihrer Mutter die Erziehung sicher nicht leicht gemacht. Sie hat 1830 vier minderjährige Kinder zu versorgen, drei davon Mädchen, die ohne fachliche Ausbildung nicht mehr machen können als sie selber. Im Tagelohn arbeiten, von dem, was morgens angeboten wird und sie ergattern können. Ihr Sohn Peter erlernt wie sein Vater das Bäckerhandwerk und findet vermutlich ebenfalls bei einem seiner Verwandten Arbeit.
Die zweitjüngste Tochter Elisabeth ist geistig schwerstbehindert. Ab 1847 kommen Anfragen aus Berlin nach den „in der Bürgermeisterei St. Wendel am Schlusses des Jahres 1847 vorhandenen Irren[33], welche in keiner Heilanstalt untergebracht sind oder untergebracht waren“. Diese Personen sollten jährlich gemeldet werden. „Da sonst keine Irren mehr vorhanden“, wird stets nur Elisabeth Demuth genannt: „Diese Person ist ganz irrig, und muß stets unter Aufsicht sein.“ Der Eintrag ein Jahr später lautet ähnlich: „Diese Person leidet sehr an Irrtum und muß stets unter Aufsicht sein.“
Doch schon 20 Jahre früher hat sich die coburgische Regierung mit dem Thema „in Betreff der taubstummen Kinder“ beschäftigt. Das hat sicherlich mit den Anstrengungen von Michael Venus zu tun, des Direktors der Wiener Taubstummenschule, der 1826 in Wien das „Methodenbuch oder Anleitung zum Unterricht der Taubstummen“, verfaßt hat. Unter seiner Leitung sind in Wien zahlreiche Lehrer ausgebildet worden, die später auch anderswo entsprechende Institute gründeten.[34]
Die Herzogliche Oberbürgermeisterei St. Wendel berichtet am 10. Dezember 1827:[35]
„Elisabetha Demuth, Tochter des Michel Demuth und der Catharina Creuz, von hier, 4 1/3 Jahr alt. Man konnte noch nicht entscheiden, ob dieses Kind wirkliche Verstandeskräfte besitze, oder an ihm sich solche entwickeln lassen: es ist sprachlos und nur unordentlichen Töne stößt sie anhaltend vor; selbst mit dem Zurufe des Namens vermag man seine Aufmerksamkeit nicht anzuregen, daher man nicht weiß, ob ihm das Gehör ganz mangelt, oder nur als Folge dessen, daß es keine Begriffe hat, sich dasselbe nicht äußert. Dieser Zustand sey dem Kinde angeboren.“
Die Witwe Demuth erhält eine Unterstützung durch die hiesige Armenkasse[36]. Als im Rahmen der Finanzierung dieser Kasse am 7. September 1833 eine Liste mit der „Bezeichnung jener armen Leuthen hiesiger Stadt, welche wöchentlich eine Unterstützung bekommen sollen“, aufgestellt wird, steht sie an fünfter Stelle:
„Michel Demuths Witwe, hat noch einige unerzogene Kinder, wovon eines nicht recht bei Verstand ist.“ Sie erhält aus der Armenkasse wöchentlich 18 Kreuzer.
Hört sich wenig an. Ist das viel?
Eine Antwort auf diese Frage mag die Ausgabe Nr. 3 des „Wochenblatt für die Kreise St. Wendel und Ottweiler und die umliegende Gegend“ vom 13. Juli 1836 geben, auf dessen letzter Seite der Kaiserslauterner Fruchtpreis vom 5. Juli angezeigt ist. Danach kosten z. B. 6 Pfund Schwarzbrot 11 Kreuzer, 6 Pfund Ochsenfleisch 9 Kreuzer und die gleiche Menge Kuhfleisch 8 Kreuzer.
Neben dem Geld aus der Armenkasse wird die Witwe Demuth sicher auch Unterstützung durch die beiden anderen caritativen Einrichtungen der damaligen Zeit erfahren haben - der Sebastianusbruderschaft und dem Bürgerhospital, die beide seit dem 15ten Jahrhundert existieren. Doch gibt es dazu keine Unterlagen, bei der Bruderschaft aufgrund ihrer Maxime, in Verschwiegenheit zu agieren, beim Hospital aufgrund nicht mehr vorhandener Unterlagen aus der Zeit - das vorhandene Beschlußbuch endet im Sommer 1819..
Im Jahre 1834 verlassen die Coburger nach 18 Jahren St. Wendel, und das Fürstentum Lichtenberg wird an Preußen verkauft und damit aufgelöst. Leider geht uns damit eine vortreffliche Aktenlage verloren, die sich aus drei Archiven ergänzt hat: dem Stadtarchiv St. Wendel, dem Landesarchiv in Saarbrücken und dem Staatsarchiv in Coburg. Mit der Zugehörigkeit zu Preußen wird St. Wendel dem Regierungsbezirk Trier zugeteilt, so daß Reisen nach Trier nicht mehr genehmigungspflichtig sind und es deshalb dafür auch keine Unterlagen gibt.
Elisabeth Demuth ist Zeit ihres Lebens unter Aufsicht gewesen. Das drücken alle Unterlagen, die mit ihr zu tun haben, ganz besonders aus.
Ein Gedanke, nicht beleg-, aber nachvollziehbar: Im Kapitel „In der Schule“ haben wir die Fehlzeiten Lenchens gesehen, die in anderen Monaten ähnlich ausgesehen haben mögen. Wo sie herrühren, ist unbekannt. Vielleicht mußte sie arbeiten, aber vielleicht auch in der Zeit auf ihre Schwester aufpassen, während die Mutter arbeitete.
Im Jahr darauf gibt es im Hause Demuth im Graben eine Veränderung. Maria Katharina Creuz, die nach 18 Jahren Ehe im Mai 1826 ihren Mann verloren hat, wird nach acht Jahren wieder schwanger und bringt am 27. Juni 1836 in St. Wendel im Graben ihre jüngste Tochter zur Welt, der sie den Namen „Anna Maria“ gibt. Da ihr Mann tot ist und nicht der Vater des Kindes gewesen sein kann, erhält das Kind nicht den Nachnamen „Demuth“, sondern den Mädchennamen seiner Mutter: „Creuz“. Den Namen des leiblichen Vaters hat ihre Mutter nie preisgegeben. Zwei ihrer Töchter werden es ihr später gleich tun - Katharina und Helena.
No. 44 Geburts=Akt
Ober Bürgermeistei St: Wendel, Kreis St: Wendel, Friedensgerichts=Bezirk St: Wendel. Vom acht und zwanzigsten des Monats Juni im Jahre ein tausend acht hundert fünf und dreißig, Vor=Mittags um zehn Uhr. Geburts=Akt von Anna Maria Creuz, geboren den sieben und zwanzigsten Juni ein tausend acht hundert fünf und dreißig, um neun Uhr Vormittags zu St: Wendel von Cathrina Creuz, Wittwe von Michel Demuth, ohne Gewerbe, in St: Wendel wohnhaft. Der Vater des Kindes ist unbekannt.
Bei keinem der Kinder wird je der Vater bekanntgegeben.
Peters Anteil am väterlichen Erbe
Ein Jahr zuvor ist der einzige Sohn der Demuths, Peter, nach Amerika ausgewandert. Am 16. Februar 1840 verkauft er seine Anteile an der von seinem Vater hinterlassenen Mobiliarschaft sowie an der väterlichen Hälfte des Wohnhauses für 40 Thaler an seine Mutter[37] und wandert in die USA aus, wo er sich in Dansville im amerikanischen Bundesstaat New York niederläßt. 1844 heiratet er Anna Staub aus Tholey, die ihm sechs Kinder schenkt. 1855 arbeitet er als Küfer und 1880 in der örtlichen Papiermühle. Er stirbt am 13. März 1889 in Dansville.[38]
Seltsam an dem Verkauf vom Februar 1840 sind die Anteile Peters am Erbe seines Vaters. Sie werden in Notar Hens Akt wie folgt deklariert:
Peter Demuth verkauft an seine Mutter
1. seinen Antheil = 1/4 an der gesamten durch seinen Vater nachgelassenen Mobiliarschaft
2. seinen Antheil = 1/4 an der väterlichen Hälfte des elterlichen Wohnhauses mit Stall, Hofgering und Dunggrube zu St. Wendel im Graben neben Herrn Wendel Eschrich und Michel Kohler gelegen.
„alles so wie es sich befindet, wie es der Verkäufer von seinem verlebten Vater ererbt hat ohne Ausnahm noch Vorbehalt.“
Tatsächlich sind im Februar 1840 sechs Familienmitglieder an der Hinterlassenschaft Michel Demuths (beim Haus eine Hälfte) erbberechtigt:
=> Maria Katharina Demuth, geb. Creuz, die Witwe
=> Wenceslaus Fehr, Witwer von Barbara Demuth
=> Katharina Demuth
=> Peter Demuth
=> Helena Demuth
=> Elisabeth Demuth
Es sind sechs Personen, also erhält jeder 1/6 der Hälfte.
Ursprünglich war ich der Ansicht, zu den Übergängen, z.B. des Hauses von den Eltern an die Erben, fehlten jegliche Unterlagen, weil es schon nach dem Tode Michels 1826 rechtliche Schritte gegeben haben muß, über die wir nichts wissen. Durch Kenntnis des Ehevertrags von 1808 hat sich das ein bißchen relativiert. Leider nicht ganz.
Als Michel Demuth 1826 stirbt, sind alle seine sechs noch lebenden Kinder minderjährig. Das heißt, nach geltendem Gesetz, basierend auf dem französischen Code Civil, erhalten alle Kinder rechtliche Vormunde, um ihre Interessen z.B. im Fall einer zweiten Heirat ihrer Mutter oder bei einem Verkauf des Hauses oder Teile des Vermögens durch die Mutter gegen die Mutter verteidigen zu können.
Das kann so geregelt werden, daß die Mutter selbst als Hauptvormund ihrer minderjährigen Kinder und eine Person aus dem Kreis der nahen Verwandtschaft als Zweit- oder Nebenvormund eingesetzt wird; das muß hier auch geschehen sein. Um zu verhindern, daß im Fall einer zweiten Heirat der überlebende Elternteil die Kinder übers Ohr haut, wird oft durch den Notar eine Inventarisierung des Vermögens des Verstorbenen angefertigt, beinhaltend alles Vermögen in Form von Sachen und Geld, aber auch Forderungen und Verbindlichkeiten an Dritte. Das trifft hier teilweise zu, als die Witwe 1835 ein weiteres Kind auf die Welt bringt. Das Inventar kann auch der Entscheidung gedient haben, ob ein Erbe ggf. ausgeschlagen wurde, z.B. weil die Schulden einfach zu hoch waren. Im Falle Michel Demuth ist davon nichts bekannt (wobei alle verfügbaren Akten der o.a. drei Archive ausgewertet wurden). Da der Sohn Peter 1840 Anteile seines Erbes verkauft, muß eine Erbschaftsregelung vorgelegen haben, die ihren Weg in amtliche Unterlagen gefunden haben muß, da es u.a. um das Wohnhaus im Graben ging. Es ist im Notariat St. Wendel nichts zu finden, weder in den vorhandenen Akten noch im jahrübergreifenden Register.
Im Ehevertrag von 1808, den wir bereits kennen, ist geregelt, daß nach Michaels Tod die Witwe Demuth Alleineigentümerin des gesamten Hauses wird - eine Hälfte gehört ihr sowieso, die andere erhält sie jetzt durch das „Geschenk unter Lebenden“ ihres verstorbenen Ehemanns.
Im Jahre 1833 greift die Einschränkung 1 des Ehevertrages, als ihre Tochter Barbara den Maurer Wenceslaus Fehr aus St. Wendel heiratet:
1) Wenn eines der genannten Kinder heiraten oder getrennt wirtschaften möchte, ist der überlebende Nutznießer verpflichtet, ihm alle Eigentumsrechte an der Hälfte aller beweglichen und unbeweglichen Sachen zu übergeben, die es von ihrem verstorbenen Vater oder ihrer verstorbenen Mutter geerbt hat.
Das heißt: Barbara erhält ½ dessen, was ihr vom Erbe ihres Vaters zusteht. Und das hat Vorrang vor der Übertragung der väterlichen Hälfte des Hauses an die Mutter.
Im Zuge von Peters Verkauf hat die Witwe Demuth am gleichen Tag - 16. Februar 1840 - bei dem Ackerer Johann Georg Schulz (Vater des Cousins von Michel Demuth, von dem er 1808 das Haus in der Balduinstraße kaufte) ein Darlehen von 60 Talern aufgenommen und „als Sicherheit ihre fünf Achtel an dem Wohnhaus mit Stall, Hofgering und Dunggrube zu St. Wendel im Graben neben Herrn Wendel Eschrich und Michel Kohler gelegen“ [39] gegeben, d.h. sie hat auf das Haus resp. ihre 5/8 eine Grundschuld eintragen lassen. Das Geld braucht sie vermutlich, um ihren Sohn bezahlen zu könen - wo sollte sie - die von der „Stütze“ und ihrem geringen Vermögen lebt - 40 Taler herbekommen?
Die fünf Achtel passen also schon, das ist die Hälfte des Hauses, das ihr per Gesetz sowieso gehört, und das eine Viertel, das sie von ihrem Sohn gekauft hat. Aber normalerweise hat sie an der Hälfte des Hauses, die ihrem Ehemann gehört hat, ebenfalls einen Anteil, d.h. eigentlich hätte diese Hälfte an die überlebenden sechs Familienmitglieder aufgeteilt werden müssen, also sechs Sechstel. Dann hätten aber ihrem Sohn Michel nicht ¼, sondern 1/6 gehört.
Klarer wird es, wenn wir Katharinas Anteil am Haus berücksichtigen: Sie besitzt ¼ der väterlichen Hälfte (= 1/8tel des Hauses). Es sieht wirklich so aus, als ob die Mutter beim Erbe nicht berücksichtigt wurde oder ihren Anteil zur Verfügung stellte.
Aber einer fehlt immer noch. Vier Kinder werden es nur, wenn wir z.B. die jüngste rausnehmen. Aber ich kenne keine Regelung, die Kinder mit geistiger Behinderung von einem Erbe disqualifiziert, im Gegenteil, eher werden sie besonders geschützt.
Eine letzte Möglichkeit wäre noch, daß eines der anderen Kinder seinen Anteil am Haus an die Geschwister verkauft hätte. Leider findet sich auch dazu kein Beleg.
Die 5/8 der Witwe am Haus reichen dem Darlehensgeber als Sicherheit wohl nicht aus, weshalb auch ihre Tochter Katharina eingespannt wird:
„Dann ist erschienen die Tochter der Schuldnerin, Catharina Demuth, ledig und ohne Gewerb, aber Grosjährig und im Besitze ihrer Rechte in St. Wendel wohnhaft, dermalen in Trier dienend und hat erklärt, daß sie sich für die Rückzahlung der hierdurch durch ihre Mutter Contrahirten Schuld an Hauptsumme und Accessorien als Bürgin anstelle und zu mehrerer Sicherheit das von ihrem verlebten Vater ererbte ein Achtel an dem vorbeschriebenen elterlichen Hause und Zubehör hiermit sponaliter verpfände und verhypothezire.
Worüber dieser Akt errichtet wurde zu St. Wendel auf der Schreibstube des unterzeichneten Notaers am sechszehnten Februar achtzehnhundert und vierzig in Gegenwart von Johann Andreas Psotta, Färber, und Joseph König, Schumacher, beide in St. Wendel wohnhaft, gekannte und erbetene Zeugen, welche nach geschehener Vorlesung mit den Comparenten und uns Notaer unterschrieben haben, die Schuldnerin ausbenommen, welche erklärte, Schreibensunerfahren zu sein und ihr + Handzeichen gemacht hat. “
Von St. Wendel nach Trier
Katharina dient also am 16. Februar 1840 in Trier.
Bei wem, bleibt unbekannt, ebenso wie lange sie schon dort ist. Aber 14 Tage zuvor ist Lichtmeß gewesen, der im katholischen St. Wendel als Feiertag begangen wurde und bei allen Dienstboten der letzte Tag im Arbeitsjahr war. Am nächsten Tag - St. Blasius - fängt das neue Arbeitsjahr an.
Der 16. Februar 1840 ist ein Sonntag. Vermutlich ist Katharinas notwendige Anwesenheit der Grund, daß der Notar Hen am Sonntag die Verträge aufsetzt und unterzeichnen läßt. Damit bleibt Katharina Zeit bis zum nächsten Morgen, nach Trier zurückzukehren. Um dorthin zu kommen, hat sie vermutlich die Schnellpost Saarbrücken - St. Wendel - Kirn-Kreuznach bis Birkenfeld genommen.
Die Schnellpostlinie geht um vier Uhr morgens ab Saarbrücken und ist laut Plan um 10:35 Uhr in Birkenfeld. Hier hat sie Anschluß nach Trier. Ein Teil der Linie - die Etappe Ottweiler-Wolfersweiler - wird von Posthalter Cetto aus St. Wendel bedient. [40]
Steigt man in St. Wendel zu, dann fährt die Kutsche über den Gudesberg - der heutigen Landstraße folgend - über Baltersweiler und streift Hofeld am Fuße des Schloßbergs. Von dort führt die „Chaussee von St. Wendel nach Birkenfeld“, wie sie auf der Karte von Tranchot-Müffling genannt wird, entlang des Verlaufs der heutigen Bundesstraße 41 durch Gehweiler nach Wolfersweiler. Dort steigt der Fahrgast um in die Kutsche des Posthalters Emmerich, in der er über Nohfelden an der Nahe entlang nach Neubrücken transportiert wird. Dort biegen Chaussee und Kutsche nahe dem heutigen Kinozentrum „Movietown“ nach Norden ab, um Birkenfeld zu erreichen.
Hier heißt es wieder umsteigen in die Linie Trier-Birkenfeld, die verkehrt an jeweils montags, mittwochs und sonnabends ab 11:30 Uhr Birkenfeld verläßt und abends um 18 Uhr Trier erreicht.
Aber welche Strecke hat sie ab Birkenfeld genommen?
Bestimmt nicht die extreme Steigung nördlich von Birkenfeld hinauf in den Hochwald des Hunsrücks. Die Strecke nach Morbach hat vor 30 Jahren meinem alten VW Käfer durch die extreme Steigung alles abverlangt, und der Käfer wurde von 34 Pferden gezogen bzw. gedrückt. Nach Westen über Brücken und dann das Tal hoch nach Abenteuer geht auch nicht, weil sich die Straße dahinter irgendwo im Wald verliert. Also fahren wir erst einmal nach Westen - über Brücken - Traunen - Achtelsbach - Eisen nach Nonnweiler - und von dort auf der Chaussee nach Norden nach Hermeskeil.
Von Hermeskeil aus gehen zwei Chausseen weiter. Eine direkt nach Norden bis Malborn, aber aus der befestigten Chaussee wird dort eine einfache Straße. Und eine nach Nordwest über Höfchen und zwischen Reinsfeld und Hinzert hindurch durch den Wald über die „hohe Wurzel“ bei Reinsfeld. Diese Route führt über Farschweiler und Thomm nach Kenn und schließlich an der Mosel entlang nach Trier. Herr Google sagt, die Strecke sei knapp 94 Kilometer lang.
Das ist ziemlich genau die Strecke, die im letzten Teil ab Hermeskeil der Linienbus R200 der Deutschen Bahn nimmt. Gestern, Samstag, 5ter Mai 2018, habe ich die Strecke ebenfalls unternommen, als ich zum 200ten Geburtstag auf diesem Weg von Karl Marx von St. Wendel nach Trier unterwegs war. Ich nahm den Zug von St. Wendel nach Türkismühle und von dort den Bus. Ich war - trotzdem der Bus zahlreiche Schlenker unternahm, um seine einzelnen Haltepunkte anzusteuern - für die 81 Kilometer insgesamt allerdings nur 1 Stunde 40 Minuten unterwegs.
Was der ganze Spaß gekostet hat? Nun, der Fahrpreis beträgt 8 Silbergroschen pro preußische Meile (1 preußische Meile = 7,53248 km). Damit kostete die einfache Tour nach Trier damals - lassen Sie mich rechnen - 93,6 km geteilt durch die preußische Meile gibt 12,426 preußische Meilen, das mal 8 Silbergroschen = 99,4 Silbergroschen. Nach der Neueinteilung der Taler und Groschen durch König Friedrich Wilhelm II. vom 30. September 1821[41] hat 1 Taler 30 Silbergroschen bzw. 360 Pfennige, also kostete diese lange Kutschfahrt - einfach, also nur „hin“ - 3 Taler 9 Silbergroschen 4 Pfennige.
Auch hier die Frage: Ist das viel? Auch diese kann ich „nur“ mit einem Vergleich beantworten.
1824 hat der Maurer Franz Schubmehl aus Alsfassen bei dem jüdischen Handelsmann Salomon Weiler aus Ottweiler für 44 Gulden eine Kuh gekauft, wofür sein Bruder Peter Schubmehl aus Breiten gebürgt hat. Diese Schuld ist bis zum 24. April 1837 auf die Summe von 49 Talern 2 Silbergroschen 6 Pfennige an Hauptsumme, Zinsen und Kosten herangewachsen.[42]
Wenn ich einen Zinssatz von 5 Prozent ansetze (das war der übliche Satz, wie ich ihn aus den Notariatsakten jener Zeit kenne) und die Kosten mit 1 Taler ansetze, dann läßt sich das Anfangskapital aus der Zinseszinsformel errechnen. Au weia, ist die Höhere Handelsschule lange her:[43]
Kn = Ko x (1 + p/100) hoch n, wobei:
Kn = Endkapital = 44+2/30+6/12
Ko = Anfangskapital
p = Zinssatz (in Prozent) = 5
n = Laufzeit (meist Jahre) = ca. 13
dann ist Ko = Kn / (1 + p/100)hoch n
=> Ko = 44+2/30+6/12 / (1+5/100) hoch 13
=> Ko = 299/60 / 1,88564914232 = 26,0652944 Taler
Sie können gern die Stellen hinter dem Komma in Silbergroschen und Pfennige umrechnen, das spar ich mir.
Aber für 26 Taler hat Schubmehl 1824 eine Kuh gekauft, und fast 4 Taler mußten Helena und Katharina jeweils für eine einfache Fahrt nach Trier bezahlen - ich kann mir nicht vorstellen, daß die beiden oft nach Hause gefahren sind.
Zwei Schwestern in Trier
In Trier sind wir angekommen, aber wo haben die beiden dort gewohnt? Und wenn wir gerade dabei sind: Wann haben sie wo dort gewohnt?
Unser erster Blick geht in die Einwohnerverzeichnisse, die leider nur lückenhaft vorhanden sind. Manche liegen gedruckt, manche nur handschriftlich vor. Auf 1818 folgt 1838; darin sind nur die Haushaltsvorstände genannt, zu denen die jungen Frauen sicher nicht gehören.
Die nicht gedruckten, d.h. handschriftlichen Einwohneraufnahmen basieren auf Volkszählungen, in etwa vergleichbar mit den englischen und amerikanischen Volkszählungen, die dort „Census“ genannt werden und alle zehn Jahre stattfinden. Sie beinhalten eine laufende Nummer, die Hausnummer, den Namen, den beruflichen Status, das Alter und die Religion. Sie sind nicht alphabetisch geordnet, sondern nach Hausnummern und Straßen. Nun sind die damaligen Hausnummern nicht mit unseren heutigen vergleichbar, wo Häuser Straßen zugeordnet werden und die Hausnummer pro Straße von vorne zu zählen anfängt. Stattdessen werden die Häuser von Anfang bis zum Ende durchgezählt und die Straßen dann zugeordnet. So kann es vorkommen, daß eine Straße beim Hausnummernblock 500 bis 650 und später nochmal beim Block 1560 bis 1650 erscheint.
Tobias Teyke, Stadtarchiv Trier, hat mich in einer frühen Phase meiner Recherchen auf eine Suche des ehemaligen Trierer Stadtarchivleiters Richard Laufner aus dem Jahre 1962 hingewiesen, der anläßlich einer Anfrage mit ähnlicher Fragestellung im Stadtarchiv die vorhandenen nicht gedruckten Einwohnerregister nach Helena Demuth durchforstet und festgestellt hatte, daß sie im Verzeichnis von 1840 in „625 Brückenstraße“ erscheint - als Dienstmagd der Familie von Westphalen, Jennys Eltern[44].
Ich habe diesen Eintrag nachvollzogen und bin nach ein paar Orientierungsschwierigkeiten auf den Eintrag gestoßen:
1. Johann Ludwig von Westphalen, Geheim Rath, 71, e.
2. Caroline geb. Heipel, Ehefrau von Westphalen, 61, e.
3. Fräul. Jenny von Westphalen, Tochter, 24, e.
4. Fräul. Christine Heipel, Schwester der Fr. v Westphalen, 54, e.
5. Anna Gertrud Beck, Dienstmagd, 25, k.
6. Helena Demuth, dto, 20, k.
[e = evangelisch, k = katholisch)
Aber dann habe ich große Augen bekommen, als ich Helenas Schwester Katharina in der gleichen Straße fand:
Im dortigen Haushalt „663 Brückenstraße“ wohnen 7 Personen:
1. Johann Friedrich Müller, Seifensieder, 33, e.
2. Elisabeth geb. Nusbaum, Ehefr. des p. Müller, 27, k.
3. Peter Müller, Sohn, 6 ½, k.
4. Jakob Lauterborn, Seifensiedergeselle, 30, k.
5. Jakob Friederici, Seifensiedergeselle, 24, k.
6. Friedrich Siemon, Lehrling, 17, e.
7. Cathrina Demuth, Dienstmagd, 24, k.
Natürlich hat mich die Neugier gepackt, und ich fragte mich, wo denn diese Häuser stehen und wie sie heute aussehen.
Seit 1840 haben sich die Straßennamen geändert. Die Brükkenstraße beginnt nicht weit von der namensgebenden alten Römerbrücke „unten“ an der Mosel und führt in nordöstlicher Richtung bis zu einer Straßenkreuzung, an der fünf Straßen zusammentreffen - Johannis-, Metzel, Stresemann-, Fleisch- und eben die Brückenstraße (1840 waren es nur vier Straßen, die Stresemannstraße hinüber zum Viehmarkt gab es noch lange nicht). Allerdings wurde die Brückenstraße in ihrem größeren Verlauf nach Triers bekanntestem Sohn von der Mosel in „Karl-Marx-Straße“ umbenannt - bis zur Einmündung der Jüdemer Straße, damit Karl Marx’ Geburtshaus nicht in der Karl-Marx-Straße liegt. „Das wäre doch des Guten ein gutes Stück zuviel“, erklärte mir eine Mitarbeiterin des Karl-Marx-Hauses.
Die Häuserzählung in der Brückenstraße beginnt an der vorgenannten „Kreuzung“ ungefähr mit der Hausnummer „518“ auf der nördlichen Seite und endet an der Mosel mit der Nummer „612“, das war das „Brücker Thor“, das direkt auf die Moselbrücke führte. Auf der anderen Straßenseite zählt man die Nummern wieder hoch, so daß sich der Reigen gegenüber von „518“ an der Einmündung der Johannisstraße mit „668“ schließt. Das Anwesen „625 Brückenstraße“ lag damit ziemlich weit die Straße hinab nicht so sehr weit von der Mosel entfernt.
Ist etwas verwirrend, das stimmt.
Die Familie von Westphalen kam 1816 nach Trier und wohnte dort bis 1837 im Haus „389 Neustraße“ (heute 83) in Miete[45]. Aus der Neustraße zog sie in die Brückenstraße 625, wo wir sie 1840 u.a. zusammen mit ihrer Dienstmagd Helena Demuth schon gefunden haben. Zwei Jahre später - 1842 - haben sie die Straßenseite gewechselt in das Anwesen „602“, wo am 3. März das Familienoberhaupt Ludwig von Westphalen starb.
Nicht lange danach verzog die Witwe von Westphalen nach Kreuznach, wo im Juni 1843 ihre Tochter Jenny Karl Marx heiratete, worauf die beiden im Oktober des gleichen Jahres ihre Odysee durch Europa antraten, die am Ende der Dekade in London endete.
Bei dem Umzug nach Kreuznach war Helena Demuth nicht mehr dabei, sondern wieder in St. Wendel.
Das Wohnhaus „625 Brückenstraße“, in dem Familie von Westphalen und Helena Demuth 1840 wohnten, existiert schon viele Jahre nicht mehr. An seiner Stelle stehen heute ein Teil der Firmengebäude eines ortsansässigen Autohändlers
(Karl-Marx-Straße 62-64).
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Im Herbst 1843 hielt es die Witwe von Westphalen nicht mehr in Kreuznach, und sie kehrte mit ihrem Sohn Edgar (Referendar, 28, e.) und ihrer Magd Maria Ensch (24, k.) nach Trier zurück, wo sie zunächst in 625B Brückenstraße wohnen und um 1846 im Haus „663A Brückenstraße“ wohnten.
In den Plan der Stadt Trier aus der Zeit um 1845[46] habe ich mir erlaubt, die schräg durch das Blatt laufende Falz zu retuschieren und die im Original fehlenden Hausnummern 659 bis 663a einzutragen. Damit war das Haus 663A ein schmales Haus unmittelbar links des heutigen Karl-Marx-Hauses war, das damals die Nummer 664 trug.[47]
Ich nehme an, das ist Ihnen aufgefallen. „663A“ ist das gleiche Haus, in dem sechs Jahre zuvor der Seifensieder Johann Friedrich Müller mit Frau, Sohn, zwei Gesellen, einem Lehrling und einer Dienstmagd wohnte.
Die Dienstmagd hieß Katharina Demuth - Helenas Schwester.
1846 wohnen hier:
No 663
358. Müller Ferdinand, Seifensieder, 40, e.
A.
359. Müller Elisabeth geb. Nusbaum, Ehefrau ad 1, 33, k.
360. Müller Peter, Sohn ad 1, 12, k.
361. Nusbaum Maria, ohne Stand, 25, k.
362. Fiderici Jakob, Geselle, 29, k.
B.
363. Wesphalen Karolin. Wittib, 69, e.
364. Wesphalen Edgar, Sohn, Referendar, 28, e.
365. Ensch Maria, Magd, 24, e.
Das bringt uns auf die Frage, ab wann Helena und Katharina Demuth in Trier dienten.
Über den Aufenthalt der beiden Schwestern in Trier im Jahre 1840 wissen wir zuverlässig nur aus dem Notariatsakt in St. Wendel[48] und dem Trierer Einwohnerregister. Für die Zeit davor gibt es keine primären Quellen.
Im nächsten nach 1840 vorhandenen Einwohnerverzeichnis der Stadt Trier aus dem Jahr 1846 wohnen beide Schwestern - Helena und Katharina - nicht mehr in Trier.
Jenny Marx schreibt später:[49] „Im April [1846] hatte meine Mutter mir ihr eignes bewährtes Mädchen zur Hilfe nach Brüssel geschickt. Mit ihr und dem vierzehnmonatlichen Jennychen reiste ich abermals zu der geliebten Mutter. Ich blieb 6 Wochen bei ihr und traf 2 Wochen vor Lauras Geburt wieder in unsrer kleinen Kolonie ein.“ Leider gibt sie weder an, wer das „bewährte Mädchen“ war noch ob sie Jenny in die Kolonie begleitet hat.
Im Dezember 1843 wohnt Helena bei ihrer Mutter in St. Wendel, wie wir im nächsten Kapitel lesen werden; d.h. im Dezember 1843 arbeitet sie nicht als Dienstmädchen in Trier.
Wie lange schon nicht mehr, wissen wir nicht. Vermutlich haben die Marxens in Brüssel angefragt, ob Frau von Westphalen jemanden wüßte, den sie engagieren könnten. Frau von Westphalen hatte 1846 eine eigene Dienstmagd, aber die brauchte sie selber. Vielleicht hat sie sich an Helene aus dem Dienstjahr 1840 erinnert und deren Reise nach Belgien organisiert. Jede Menge „vielleicht“s, aber nichts, wo man die Hand drauf legen könnte.
Bei mir entsteht so langsam der Eindruck, daß Katharina - 5 Jahre älter als Helena - bereits einige Zeit vor Helena in Trier als Dienstmagd gearbeitet und später veranlaßt hat, daß ihre kleine Schwester ebenfalls dort eine Anstellung fand - in einem anderen Haus ein Stück weiter die Straße runter. Leider auch nichts weiter als eine bauchgefühlte Vermutung.
Katharina wohnt 1846 ebenfalls nicht mehr in Trier, sondern wieder in St. Wendel. Und zwar spätestens seit Frühjahr/Sommer 1841. Ihre älteste Tochter kommt im Oktober dieses Jahres in St. Wendel zur Welt, gefolgt im Februar 1844 von einem Sohn, der aber nur zehn Monate alt wird. Im August 1846 wird sie erneut schwanger werden - die Zwillinge Jakob und Josef kommen im Mai 1847 ebenfalls unehelich zur Welt.
Wer der Vater oder die Väter ihrer vier Kinder ist/sind, ist ebenfalls unbekannt. Was gut möglich sein, aber nicht bewiesen werden kann - der Leser möge mir noch eine Spekulation verzeihen, aber bei der Erforschung des Lebens der Familie Marx und ihrer Freunde sind Spekulationen immer an der Tagesordnung gewesen - früher und heute. Wo die Fakten nicht passen, werden sie mit einem Konjunktiv passend gemacht -, nochmal: was gut möglich sein, aber nicht bewiesen werden kann, ist, daß Katharina im Januar 1841 in Trier von ihrem Dienstherrn oder einem seiner Angestellten (oder von einem nicht zur Familie gehörigen Mann) geschwängert wurde. Sobald die Schwangerschaft bekannt, weil sichtbar wurde, ist sie entlassen worden und nach St. Wendel zurückgekehrt, wo sie ihr Kind auf die Welt brachte.
Die Entlassung war übliche Praxis, der intime Verkehr eines Arbeitgebers mit einer Angestellten, ob auf dem Lande oder in der Stadt, ebenso; es wurde nicht drüber gesprochen - aber es wurden Konsequenzen gezogen, wenn eine Schwangerschaft offensichtlich wurde. Dann traf es die Frau - sie wurde entlassen und mußte schauen, wie sie damit umging.
Am 3. Juni 1888 schreibt Friedrich Engels an Laura Lafargue in Frankreich über „die Revolution in unserem Haushalt, die ich seit mehr als einem Jahr herbeizuführen versuche, ist endlich vollbracht. Gestern abend ging Annie, nachdem ich ihr gekündigt habe, und wir haben jetzt ein anderes Mädchen. Nim [Helena Demuth] wird endlich nicht mehr arbeiten müssen, als sie wirklich möchte, und wird morgens ausschlafen können.“ [50]
Am 30. Juli des gleichen Jahres setzt er hinzu: „Ich komme mit dem Mädchen ganz gut aus, nur sind ihre Süßspeisen nicht so, wie sie eigentlich sein sollten; sie bereitet einen wundervoll lederartigen Teig und gleicht bei ihrem Eierrahm andere Mängel dadurch aus, daß sie genausoviel Bittermandelessenz wie Zucker hinzufügt - dem habe ich jedoch ein Ende gemacht. Das Mädchen ist schon in Ordnung, nur muß sie etwas mehr durch Nim eingearbeitet werden; für länger als drei Wochen mehr oder weniger selbständigen Wirtschaftens ist sie noch nicht geeignet, da sie eine Menge Ansichten aus dem East End Logierhaus importiert, wo sie „ladyships" [feine Damen] bediente. Doch da sie sich hauptsächlich auf das Kochen beschränken, wird Nim sie ihr schnell abgewöhnen, und im großen und ganzen habe ich keinen Grund zur Klage, wenn auch manchmal zum Lachen.“[51]
Ein gutes Jahr später schmeißt er das neue Mädchen - Ellen - wieder raus - aber nicht wegen ihres Essens. Ein Auszug aus seinem Brief an Laura am 27. August 1889:
„Du hattest Deine Erlebnisse mit Seraphine, Nim hatte ihres mit Ellen. Was erfahrene Leute seit langem bei Ellen vermutet haben, wurde eines Morgens vom Doktor als ein seit sechs Monaten auf dem Weg Befindliches gemeldet, und zwar auf dem Weg, auf dem alles Fleisch in die Welt kommt, und sie mußte deshalb weggehen - einen Monat, bevor wir hierherkamen. Wenn wir zurückkommen, werden wir eine Neue einstellen - vielleicht eine Schlechtere.“[52]
Er schreibt das ohne ein schlechtes Gewissen ob des Rauswurfs wegen der Schwangerschaft trotz der Schwangerschaft. Es wurde halt so gehandhabt.
Ich wüßte gerne, was „Nim“ dazu gesagt hat.
Nächtlicher Unfug
Bisher ist man davon ausgegangen, daß Helena Demuth weder lesen noch schreiben konnte. Dabei wird ihr Schulbesuch zwar zur Kenntnis genommen, aber ignoriert. Auch der Umstand, daß sie nach dem Tod von Karl Marx Friedrich Engels geholfen hat, Marxens Erbe zu sichten und dabei den zweiten Band von „Das Kapital“ entdeckte, hat niemanden daran zweifeln lassen, daß sie Analphabetin war; aber vielleicht lief das auch so, daß sie im Marx’chen Chaos wußte, wo die wichtigen Papiere lagen, auf zwei besonders große Packen zeigte und Friedrich Engels fragte, ob er mal dort nachschauen könnte. Dazu muß man nicht lesen können.
Aber auch andere kleine Hinweise werden gern ignoriert, z.B. den in einem Brief, den Engels am 10. November 1888 an Louise Kautsky in Wien, nachdem diese ihm zuvor geschrieben hatte, daß ihr Ehemann sich von ihr getrennt hatte[53]. Engels schreibt u.a.: „Die Nachricht, die Ede bereits Nimmie mitgeteilt hatte, traf uns alle wie ein Blitz aus heiterm Himmel. Aber als ich Ihren Brief gelesen, da stand mir erst recht der Verstand still. Sie wissen, solange ich Sie kenne, habe ich Sie stets hoch und höher geachtet und stets lieb und lieber gehabt. Was aber ist das alles gegen die Bewunderung, die Ihr heroischer und unaussprechlich großherziger Brief erweckt - nicht nur bei mir, sondern bei allen, die ihn gelesen, Nim, Tussy, Schorlemmer?“ „Nimmie“ und „Nim“ sind Spitznamen für Helena Demuth. - Ach so, ich verstehe, das hat er nicht so gemeint, er dachte an Tussy und Schorlemmer und daß einer von ihnen es Helena vorgelesen hat. Kann ja nicht anders sein. Ist klar.
Als Beweis für Helenas „Schreibensunerfahrenheit“, wie ein solcher Lapsus in Notariatsakten jener Zeit mehr oder minder euphemistisch ausgedrückt zu werden pflegte, werden die einzigen beiden Schriftstücke genommen, die von ihr „beschrieben“ wurden, zwei „Unterschriften“ - eine auf dem Sterbeeintrag ihrer Schwester Marianne (Anna Maria) 1862 in London, die andere unter ihrem eigenen Testament 14 Tage vor ihrem Tod 1890 in London. In beiden Fällen hat sie ein Kreuz dorthin gesetzt, wo man ihre Unterschrift erwartet hätte. Im zweiten Fall war es nach eigenen Angaben ihre Schwäche, die es ihr unmöglich machte, selbst zu unterschreiben, im ersten Fall - tja, warum hat sie dort ein Kreuz gesetzt? Das wird für immer ihr Geheimnis bleiben.
Heute haben wir zwei Belege, daß sie sehr wohl schreiben konnte. Der erste stammt aus dem Jahre 1843:
Am frühen Morgen des 18. Dezember 1843 wird der St. Wendeler Polizeidiener Johann Auer informiert, daß es in der Nacht unten in der Grabengasse zu einer Ruhestörung gekommen sei, bei Fensterscheiben der Häuser der Witwe Demuth und Maria Monz zertrümmert wurden.[54] Als Auer vor Ort eintrifft, ist der Glaser Monz schon dabei, im Auftrag des Schieferdeckers Sirker die zerschlagenen Fenster zu reparieren bzw. zu ersetzen. Im Hause Monz findet Auer eins der Tatwerkzeuge,einen schweren Ziegelstein. Er erfährt, daß am späten Abend gegen halb zwölf der genannte Sirker zusammen mit dem Schneider Peter Riefer die Scheiben am Demuth’schen Haus eingeschlagen und später zusammen mit dem Kammacher Johann Kaisling die Scheiben am Monz’schen Haus eingeworfen habe. Zurück im Rathaus erstattet er dem Bürgermeister Conrad Bericht, der Zeugen und Beschuldigte sofort vorlädt und verhört.
Als erster ist der Schieferdecker Anton Sirker an der Reihe, der einerseits beschuldigt wird, andererseits den Glaser beauftragt hat, den Schaden zu reparieren. Dubios. Der Bürgermeister weiß inzwischen vom Nachtwächter Pfeiffer, daß dieser den Sirker „auf der Dungstätte des Georg Reinebach in betrunkenem Zustand“ angetroffen hatte. Sirker sagt aus:
„Ich befand mich gestern in Gesellschaft mehrerer jungen Leute im Wirthshause des Joseph Auer [in der Brühlstraße] dahier. Gegen halb acht Uhr des Abends begab ich mich nach Hause zum Nachtessen, kehrte aber gegen halb neun Uhr in das Wirthshaus des Auer wieder zurück, da mir die Gesellschaft gefallen hat. Kurz nach meiner Rückkunft in das besagte Wirthshaus sagte mir der junge Friedrich Auer, Bruder des Gastwirths, der sich in der Gesellschaft junger Leute befand, ei, du hast schöne Sachen gemacht, du hast Fenster eingeschlagen, worauf ich lachend erwiederte, weil ich glaubte, es sollte dies eine scherzhafte Aeußerung sein, ja, das ist auch wahr. Durch die muntere Gesellschaft animirt trank ich wohl etwas mehr wie ich hätte trinken sollen und kam dadurch in einen sehr trunkenen, bewußtlosen Zustand, in welchem ich durch den Peter Riefer aus dem Auerschen Wirthshause fort gebracht wurde. Was später mit mir vorgefallen ist, weis ich nicht, kann jedoch mit Bestimmtheit angeben, daß ich keine Fenstern eingeschlagen habe, umso mehr als ich früher, wie mir die Beschuldigung gemacht wurde, in einem nüchternen Zustande mich befand und gut wußte, was ich that. Sonst weis ich in der Sache nichts weiter zu sagen.“
Die Aussage des Schneiders Peter Riefer noch konfuser.
„Ich war gestern allerdings auch in dem Wirthshaus des Josef Auer und habe mit der Gesellschaft, in welcher sich auch der Anton Sirker befand, namentlich mit dem Blechschläger Johann Schadt und dem Joseph Träger, Müller, letzterer zu Felsenmühle wohnhaft, einige Flaschen Wein getrunken; auch bin ich mit dem Anton Sirker aus dem Auerschen Hause fortgegangen, und habe nirgends Fenstern eingeschlagen, muß aber vermuten, daß es von dem Sirker geschehen ist, indem derselbe, wie wir den Graben hinauf giengen und an die Wohnung der Witwe Demuth kamen, wo wir in der Wohnstube meines Bruders, der dort in Miete wohnt, Licht erblickten, und als ich äußerte, daß hier Licht sei, der Sirker, damit wir nicht auf der Stelle aufgehalten würden, mich fortzuschaffen suchte, wobei ich meine Kappe verlor.
Als ich nun nach meiner Kappe suchte, kam mein Bruder an das Fenster. Ich bückte mich, damit derselbe mich nicht sehen sollte, weil ich nicht wünschte, daß er es wisse, daß ich so spät noch auf der Straße war. Sirker hatte mich während dem vom Hause der Witwe Demuth fortgezogen. Da ich aber meine Kappe nicht im Stich lassen wollte, so gieng ich wieder nach dem Hause zurück, obgleich Sirker mit Anstrengung mich abzuhalten versuchte. Da ich noch Licht in meines Bruders Wohnung sah, so gienge ich in das Haus, um die Leute zu bitten, mir zu leuchten, um meine Kappe auffinden zu können. Hier traf ich nun den Nachtwächter Pfeiffer, der auf meine Bitte erwiderte, „ah hah! Jetzt haben wir ihn“. Ich wußte nicht, was dies bedeuten solle, hörte aber später, nach dem ich zu meinem Bruder gegangen und hier die Mädchen im Hause hinzugekommen waren, daß unten im Hause der Witwe Demuth die Fenster eingeschlagen worden seien, wobei die Mädchen sich dann auch äußerten, sie kennten den Thäter und ich sollte nur ruhig sein. Sonst weiß ich in der Sache nichts zu erinnern. Hat nach Vorlesung genehmigt und unterschrieben.“
Maria Monz, die im Hause nebenan wohnte, weiß nicht viel:
„Aufgrund der vorliegenden Anzeige erschien auf ergangener Vorladung die Maria Monz, ledig, Näherin zu St: Wendel und erklärte, in Betreff der gestern Nacht bei ihrer Wohnung für die Thatsache durch Einschlagung der Fenstern; sie wiße nicht, wer die Fenstern an ihrem Wohnzimmer eingeschlagen habe; die That seie innerhalb zwölf Uhr des Nachts verübt worden; als dies geschah, seie sie sogleich mit großem Schrecken aus ihrem Zimmer zu den Hausbewohnern, sie zu bitten, mit ihr die Thäter zu entdecken, allein dieselben seien fortgewesen; auch habe sie Niemanden im Verdacht, vielmehr könne sie keinen Verdacht auf Jemandenangeben.“
Der Nachtwächter wird nicht vernommen, statt dessen eine Bewohnerin des Demuth’schen Hauses, deren Aussage ein klares Bild des Geschehenen gibt:
„Hiernächst erschien auf ergangene Vorladung die Helena Demuth, ledigen Standes, Tochter von der Witwe Demuth in St: Wendel und erklärt in Betreff der Gestern Nacht an ihrem Wohnhause verübten Thatsache durch Einschlagung von zwei Fenstern an ihrem Hause wie folgt:
Gestern Abend um ohngefähr 9 Uhr 15 Minuten, habe ich meine jüngste Schwester Maria nach einem Bäckerhause hier begleitet; als wir bald darauf zurück nach Hause giengen, ergriff auf einmal ohnweit unseres Hauses mich jemand am Arm, und sagte, Gott sei Dank, daß ich dich mal habe; auf meine Frage, was er wolle, antwortete er, du brauchst dich nicht zu fürchten, nahm aber zur nemlichen Zeit ein großes Bierglas aus der Tasche und schmiß es vor mir nieder, und in diesem Augenblick näherten sich mehrere junge Leute, wo ich Gelegenheit fand, nach Hause ruhig zu gehen. Dieser junge Mensch, Anton Sirker, gieng mir nach und warf einen Stein nach mir, der mich aber nicht traf.
Ohngefähr eine viertel Stunde hernach, als ich schon zu Bette lag, kam Jemand an unser Haus und klopfte am Fenster; meine Schwester Catherina fragte, wer da sei, worauf die Person antwortete "ich!", wir - ich und meine Schwester - erkannten an der Stimme, daß es Anton Sirker von hier war.
Gegen zwölf Uhr des Mitternachts kam wieder Jemand an unser Fenster und klopfte; auf Befragen, wer da sei, antwortete er „Anton Sirker"; wenn ihm in zwei Minuten nicht aufgemacht wird, so schlage er die Fenstern ein. Meine Schwester sagte, nein, es wird nicht aufgemacht, du kannst nach Hause gehen. Hierauf schlug sogleich der Sirker die Fenstern ein und gieng danach eine Strecke vom Hause weiter, worauf wir sahen, daß er auf die Seite gieng und jemand noch bei ihm war. Bald hierauf erschien der Nachtwächter Pfeiffer. Wir riefen ihm zu und sagten ihm, daß die Fenstern an unserem Hause eingeschlagen worden seien und zwar durch gedachten Sirker. Zu der Zeit, als wir dem Nachtwächter Pfeiffer den Vorfall erzählten, erschien der Peter Riefer, Schneider von hier, und suchte seine Kappe, sagte dabei, daß der Sirker ihm dieselbe weggenommen hätte, und fand sich auch wirklich die Kappe des Riefer vor unserer Thüre auf dem Mist.
Nach Vorlesung erklärte die Vorgeladene, daß sie nicht weiter zu erinnern wisse und hat genehmigt und unterschrieben wie oben.“
Anton Sircker (auch Siercker) kam ebenfalls 1820 zur Welt - tatsächlich ist er nur acht Monate älter als Helena. Er ist der älteste Sohn des Tuchmachers Wendel Sircker (1773-1826) und seiner Ehefrau Maria Elisabeth Riotte (1785-1847). Sein Elterhaus lag südlich der katholischen Pfarrkirche[55]. Somit stand das Demuth’sche Haus im Graben auf halbem Wege zwischen Sircker und dem Gasthaus Auer, und Sircker kam auf dem Nachhauseweg hier vorbei. Er und und Helena Demuth kennen sich sicherlich. Katharina Sircker (1725-1793), eine Schwester seines Großvaters Johann Sircker (geb. 1726), war mit Nikolaus Servatius (1720-1782) verheiratet; ihnen gehörte das übernächste Haus rechts neben den Demuths - dort, wo die Grabenstraße sich Richtung Osten den Berg hinan Richtung Pfarrkirche wendet und 1843 Maria Monz wohnt, deren Fensterscheiben ebenfalls zerschlagen worden sind. Nikolaus Servatius’ Sohn Nikolaus (1758-1816) und Schwiegertochter Katharina geb. Riefer (1767-1818) haben im Jahre 1818 das Wohnhaus im Graben an Michel Demuth verkauft.
Nach dem Tod seiner Mutter läßt Anton Sircker seine Mobilien versteigern (Immobilien besitzt er wohl nicht) und verläßt St. Wendel für immer.
Der Schneider Peter Riefer wird uns noch ein paar mal begegnen. Er ist eins von elf Kindern des Schneiders Johann Riefer (1773-1815) und seiner Ehefrau Anna Barbara Burg (1778-1844), deren Haus ebenfalls im Graben steht. 1843 gehört es Johann Monz und Barbara Riefer bzw. Barbaras Geschwistern, die es 1844 an ihre Schwester Helena Riefer und Wilhelm Eckert verkaufen.
Riefers Elternhaus liegt im Geviert zwischen zwischen Luisenstraße, Am Zwinger, Grabenstraße und der Verbindung zwischen den letzten beiden und ist heute vollständig bebaut. 1843 gibt es hier sechs Häuser, angeordnet wie ein umgekehrtes T, dessen oberes Ende an der Brühlstraße sitzt, etwa dort, wo die Häuser Brühlstraße 43 und 45 zusammenstoßen, aber im Bereich des Hauses 43. Das Riefersche Haus stand mittendrin.
Warum Peter Riefer mit Sircker durch den Graben Richtung Oberstadt wankte - vermutlich weil er völlig betrunken war und sich mitschleppen ließ. Er gab an, sein Bruder wohne bei Demuths im Erdgeschoß in Mietes. Das war entweder der Schneider Nikolaus Riefer (1799-1853), der als Sackträger arbeitete, oder der Schuster Josef Riefer (1808-1883). Letzterer war mit Elisabeth Fehr verheiratet und deren Bruder Wenceslaus Fehr (1810-1862) mit Barbara Demuth (1809-1834), der ältesten Tochter von Michel Demuth und Anna Katharina Creuz: sie war Helenas älteste Schwester.
Elisabeth
Daß sich Helena in der zweiten Hälfte der 1840er Jahre nicht mehr in St. Wendel aufhielt, zeigen Unterlagen, die ihre jüngere Schwester Schwester Elisabeth betreffen. Neben den Bemerkungen über ihren Geisteszustand wird auch die desolate finanzielle Situation der betreuenden Personen beschrieben. Am 10. Januar 1848 heißt es für das Jahr 1847:
„Ihre Mutter, die Witwe Michel Demuth, ist sehr arm. Dieselbe hat noch die älteste Tochter mit 2 unehelichen Kindern bei sich, eine andere Tochter in Trier in Dienst und ein Sohn in Amerika.“
Nach dem Tod ihrer Mutter am 11.07.1848 in St. Wendel übernimmt ihre ältere Schwester Katharina Elisabeths Obhut. Bürgermeister Carl Wilhelm Rechlin schreibt am 24ten September 1848:
„Diese Person leidet sehr an Irrtum und muß stets unter Aufsicht sein. Der Aufnahme derselben in eine Anstalt wäre jetzt um so mehr zu erhoffen, als deren Mutter, die Wittib Michel Demuth vor einigen Wochen verstorben ist. Die Irre hält sich gegenwärtig bei ihrer ältesten Schwester auf, welche ohne diese noch 2 uneheliche Kinder bei sich hat und in den ärmesten Verhältnissen lebt.“ [56]
Am 1ten April 1850 wird von gleicher Stelle ausgeführt:[57]
„Die genannte Person ist ganz irre und muß deshalb fortwährend beaufsichtigt werden. Die Eltern derselben sind beide gestorben und hält sich selbige bei ihrer Schwester Namens Catherina Demuth auf. Die Letztgenannte hat ohne diese Irre noch drei uneheliche Kinder zu ernähren und ist dieselbe, weil sie sonst kein Vermögen besitzt und sie die erwähnte Irre beaufsichtigen muß, größter Armuth unterworfen. Die p. Demuth hat noch eine Schwester, welche zu Trier in Diensten ist und einen Bruder in America. Dieselbe erhält aus dem Landarmenhause 10 Groschen und aus der Armencasse 5 Groschen [pro Woche] und wird sonst noch hin und wieder unterstützt.“ Es folgt noch ein „Zusatz: Die Schwester der Irren, von welcher selbige unterhalten wird, hat nicht das geringste Vermögen und muß selbige sich nebst der Irren und ihren Kindern blos von ihrer Grundarbeit im Taglohn ernähren und ist deßhalb dem größen Elende Preiß gegeben.“
Katharina Demuth hat jeweils im Abstand von drei Jahren vier Kinder - eine Tochter, einen Sohn, dann Zwillinge - zur Welt gebracht:
1. Elisabeth * 18.10.1841 St. Wendel + 01.05.1912
2. Josef * 04.02.1844 St. Wendel + 14.12.1844
3. Jakob * 10.05.1847 St. Wendel + 08.07.1892
4. Josef * 10.05.1847 St. Wendel + 15.08.1877
Von Elisabeth wissen wir zunächst, daß Peter Riefer, der spätere Ehemann ihrer Mutter, ihr (vermutlich gesetzlich bestellter) Vormund ist und sie ab 19. März 1855 für kurze Zeit in der Tabakspinnerei des Peter Schaadt in St. Wendel arbeitet, zusammen mit fünf anderen jungen Leuten, wie sie gerade 14 Jahre alt:[58]
Magdalena Feller, T.v. Nikolaus Feller, * 05.02.1840,
Barbara Bernhard, T.v. Jakob Bernhard, *16.12.1840
Maria Montz, T.v. Michel Montz, * 03.11.1841
diese drei aus St. Wendel.
Wendel Jung, S.v. Johann Jung aus Breiten, * 10.10.1841
Kathrina Ballof, T.v. Peter Ballof aus Urweiler, * 05.08.1841
Später verläßt sie St. Wendel und zieht nach Saarbrücken, wo sie bis 1865 als Dienstmagd arbeitet. Als sie 1865 den Bergmann Mathias Hauck aus Dudweiler heiraten will, verweigert ihre Mutter die Zustimmung, ohne die die Heirat per Gesetz nicht möglich ist. Aber der Gesetzgeber hat Heiratswilligen eine Hintertür gelassen: Er oder sie muß über einen Notar einen sog. Ehrerbietigkeitsakt leisten. Da sucht der Notar die verweigernden Eltern auf, legt die Position seiner Mandantin dar und bittet inständig um die Zusage. Wenn die Eltern weiterhin verweigern, darf trotzdem geheiratet werden. In diesem Falle bleibt ihre Mutter Katharina Demuth, Ehefrau des Schneidermeisters Peter Riefer, aus Gründen, die sie nicht angeben will, bei der Ablehnung.[59]
Worauf Elisabeth im Februar 1866 den Hauck heiratet.
Elisabeth wird in einem Brief genannt, den Karl Marxens Tochter Laura am Samstag, 5. August 1854, an ihre Schwester Jenny in Trier schickt: „Und mein liebes Mumchen, Helen [Demuth] läßt fragen, ob Du bei ihrer Schwester [Katharina Riefer] nachfragen kannst, ob die fünf Thaler, die sie Lieschen [Elisabeth Demuth] geschickt hat, angekommen sind.“
Hieraus entsteht eine Frage, die ich nicht beantworten kann: Was hat Helena Demuth im Haushalt Marx verdient?
Die geistig behinderte Elisabeth - Helenas Schwester - stirbt am 12. Februar 1852 in St. Wendel. Am 14. September gleichen Jahres heiratet Katharina den schon aus der „Nächtlicher-Unfug“-Geschichte bekannten Peter Riefer. Fast scheint es, als habe Riefer nur auf Elisabeths Tod gewartet. Es mag so aussehen, als ob Katharina für ihn „ein schlechtes Geschäft“ sei - sie hat drei uneheliche, minderjährige Kinder und lebt wie ihre Mutter in überaus ärmlichen Verhältnissen, aber sie hat etwas, was Riefer nicht hat: Sie ist Miteigentümerin eines Wohnhauses in der St. Wendeler Innenstadt. Insofern also keine so „schlechte Partie“.
Für Riefer ist es bereits die zweite Ehe, nachdem seine erste Ehefrau Margarethe Rauber (geb. 1817) am 28. November 1851 unter Zurücklassung zweier Kinder (von ursprünglich sechs) im Kindbett gestorben ist. Katharina schenkt ihm drei weitere Söhne, von denen aber nur der älteste, Adolf Riefer (1853-1910) überlebt. Sie selbst stirbt am 9. September 1873 in St. Wendel.
Riefer heiratet anderthalb Jahre später zum dritten Mal; mit der fast zwanzig Jahre jüngeren Katharina Feller aus St. Wendel, die ihre 13 Jahre alte, uneheliche Tochter Maria Feller (geb. 1861) mit in die Ehe bringt, hat er noch zwei weitere Töchter, Elisabeth (1875-1953) und Anna Maria (1878-1969).
Zwischen 1820 und 1849
Obwohl sie vor nicht mal 200 Jahren geboren wurde - historisch gesehen quasi vorgestern - ist es erstaunlich, wie schlecht sich belegen läßt, wann Helena sich genau wo aufgehalten hat. „Belegen“, d.h. mit offiziellen Dokumenten belegbar. D.h. daß ich bei den folgenden Ausführungen die Briefe aus dem Marx’schen Umfeld weglasse:
1820: Geboren in St. Wendel „im Graben“
1832: Volksschule in St. Wendel (bis Juni 1834)
1835: Firmung in der katholischen Pfarrkirche St. Wendel.
1840: Helena und Katharina in Trier als Dienstmägde tätig.
1841 (Oktober): Katharina wohnt in St. Wendel und bleibt dort.
1842: Frau von Westphalen zieht ohne Helena nach Kreuznach.
1843 (Herbst): Frau von Westphalen kehrt mit Sohn Edgar und Magd Maria Ensch nach Trier zurück, Helena ist nicht dabei.
1843 (Dezember): Helena wohnt in St. Wendel im Graben.
1846: Weder Helena noch Katharina wohnen in Trier.
19.09.1849: Helena Demuth erreicht London.
Der vermißte Reisepaß
Aus den Akten über Elisabeth haben wir erfahren, daß Helena sich 1847 und 1850 in Trier in Diensten befindet. Das stimmt mit den Briefen der Familie Marx nicht überein, dort steht, daß sie schon Ende 1846 in Brüssel bei der Familie Marx gewesen ist.
Richard Laufner hat vor vielen Jahren auch die im Stadtarchiv Trier vorhandenen Paßregister von 1842-46 erfolglos durchforstet[60]. Nun war Brüssel wie London Ausland, und Helena Demuth hätte niemals ohne gültigen Paß in eins der Länder ausreisen dürfen oder können - weder von Trier aus noch von St. Wendel.
Stimmt doch so, oder?
Trotzdem gibt es bis 1863 keine Dokumente dieser Art für Helena Demuth.
Die Frage ist, ob ein Dienstmädchen aus St. Wendel, das an einem anderen Ort des gleichen Regierungsbezirks anstellig wurde, sich in diesem Ort anmelden mußte oder ob es seinen „ersten Wohnsitz“ in seinem Herkunftsort behalten durfte.
Dazu finden wir im Stadtarchiv St. Wendel ein Dokument ähnlicher Thematik:
Im September 1841 beantragt der Schreiner Johann Schommer aus Blaidt, Bürgermeisterei Andernach, Kreis Mayen, Regierungsbezirk Koblenz, der 1840 als Bürger in Trier aufgenommen wurde, bei der Trierer Oberbürgermeisterei seine Entlassung als Trierer Bürger, weil er seinen Wohnsitz nach St. Wendel verlegt hat.[61]
Derlei Schriftverkehr liegt uns zu den Geschwistern Demuth nicht vor; das mag daran liegen, daß er - auf welche Art auch immer - verlorengegangen ist. Oder daran, daß er nie existierte.
Geregelt sind Angelegenheiten dieser Art in Preußen im Allgemeinen Paß=Edikt für die Preußische Monarchie vom 22. Juni 1817[62]. In dessen drittem Teil lesen wir über die „Bestimmungen zu Reisen innerhalb Unserer Staaten“:
§.12. Zu Reisen im Innern Unseres Reichs soll der Inländer eines Polizeipasses nicht bedürfen, sondern ohne denselben frei und ungehindert reisen dürfen, jedoch schuldig sein, auf Verlangen der Polizeibehörde und derjenigen Offizianten, welchen die Aufrechterhaltung der Sicherheitspolizei obliegt, entweder durch die §.13. gedachten Legitimationskarten, oder durch Atteste, Brieffschafften und andere Dokumente, durch Zeugnisse, oder durch sonstige glaubwürdige Mittel, als unverdächtig sich zu legitimieren, widrigenfalls selber alle diejenigen Unannehmlichkeiten sich selbst zuzuschreiben hat, die aus der Handhabung der Polizeigesetze für ihn entstehen dürften
Unklar bleibt, ob die Freiheit der inländischen Reisen die Ummeldepflicht aufhebt.
Noch vor den Reisen innerhalb der preußischen Staaten sind die „Bestimmungen für Reisen aus Unsern Staaten ins Ausland“ geregelt.
Die Notwendigkeit eines Reisepasses geht klar aus § 7 hervor:
„§.7. Niemand, ohne Unterschied zwischen Inländern und Fremden, soll ohne einen Auslandspaß zu Wasser oder zu Lande auf irgend eine Art aus Unsern Staaten in das Ausland reisen.
§.8. Ausgenommen von dieser Vorschrift sind nur die in §.2. angeführten Individuen und Militairpersonen, welche auf Kommando gehen, so wie alle diejenigen, die mit vorschriftsmäßigen Pässen in Unsern Staaten angekommen sind, zur Rückreise aus denselben, in sofern der Eingangspaß auch auf letztere lautet, noch nicht abgelaufen und von der Polizeibehörde des inländischen Bestimmungs= oder Aufenthaltsorts zur Rückreise visirt ist.“
Die Ausnahmen sind also im Paragraphen 2 geregelt, in dessen Punkt 7 wir dann auch das Gesuchte finden:
„§.2. Hiervon sind jedoch ausgenommen:
1) Regierende Fürsten und Mitglieder ihres Hauses, für sich und ihr Gefolge;
2) Unsere aus dem Auslande in das Inland zurückkehrenden Unterthanen, insoweit sie mit einem vorschriftsmäßigen Ausgangspasse versehen waren;
3) Die Bewohner der an Unseren Staaten zunächst gränzenden auswärtigen Städte und anderen Ortschaften, insofern sie nicht weiter als in diesseitige Gränzörter reisen und als unverdächtig bekannt sind, oder sich legitimiren können;
4) Handwerker, welche mit einem nach Vorschrift des deshalb zu erlassenden Edikts eingerichteten, unverdächtigen Wanderbuche, oder, wenn sie aus Staaten kommen, wo keine Wanderbücher eingeführt sind, mit vorschriftsmäßigen Pässen versehen sind;
5) Die Schiffsmannschaft bei See= und Stromreisen nach den Bestimmungen des §.5;
6) Diejenigen, welche zur Verfolgung von Verbrechern abgesandt, und durch gerichtliche Certifikate, oder andere öffentliche Papiere, dazu legitimirt sind;
7) Ehefrauen, welche mit ihren Männern, und Kinder, welche mit ihren Eltern, oder einem derselben reisen, und annoch unter väterlicher Gewalt stehen; Pflegebefohlne, die bis zum zurückgelegten 14 Jahre ihren Vormund auf der Reise begleiten, und all diejenigen, die in des Reisenden Lohn, Brod und Gefolge sich befinden, in sofern diese Personen in den Paß resp. des Ehemannes, der Eltern, des Vormundes und der Dienstherrschaft namentlich mit aufgenommen, und bei Paßinhabern geringeren Standes, oder die nicht unter der Passausstellenden Behörde stehen, im Passe signalisirt sind.“
Daraus folgt, daß Helena nie allein gereist ist, denn dazu hätte sie eines Reisepasses bedurft, sondern immer mit einer Begleitperson, nämlich ihrer Dienstherrschaft.
Daraus folgt, daß sie im April 1845 nicht alleine nach Brüssel gereist sein kann - obwohl Jenny das in ihren Erinnerungen behauptet – weil sie nicht allein reisen durfte. Sie wäre nie über die Grenze gekommen. Mit der Frau von Westphalen kann sie die Reise nicht unternommen haben, denn sie ist nie nach Brüssel gereist. Erst als Jenny Marx im Februar 1846 zu ihrer kranken Mutter nach Trier reiste, kann sie Helena auf der Rückreise - eingetragen in ihrem Reisepaß - mitgenommen haben.
Sie reiste
=> 1845 oder 1846 mit irgendjemand (Jenny?) nach Brüssel
=> März 1848 mit Marxens nach Paris
=> Juni 1848 mit Marxens nach Köln
=> Juni 1849 mit Jenny nach Trier
=> Juli 1849 mit Marxens wieder nach Paris
=> September 1849 mit Jenny nach London.
So sieht es tatsächlich aus, wenn man sich die gesetzlichen Regelungen betrachtet. Die Frage ist, ob diese ganzen schönen Gesetze auch so schön umgesetzt wurden.
Legitimationen aller Art, also auch Reisepässe und unsere Personalausweise, dienen nur einem Zweck: der Kontrolle der Menschen durch die Obrigkeit. Fremde Ausweise werden kontrolliert, um sicher zu stellen, daß niemand, den man nicht will, einreisen kann oder, wenn er schon da ist, wieder ausweisen zu können. Fliegen Sie mal heutzutage über Frankreich in die USA, dann werden Sie sehen, was ich meine. Ein peinlicher Fragebogen, den Sie ausfüllen und bezahlen müssen, und ein Reisepaß, strenge Kontrollen an allen Grenzen - aus Deutschland raus, nach Frankreich rein, aus Frankreich raus, in die USA rein. Reisepaß zeigen, Bordkarte zeigen, bis auf die Strümpfe ausziehen, sich völlig darlegen, dabei immer höflich lächelnd. Dreimal. Auf der Hinreise. Und dreimal auf der Rückreise.
Unerwünschte Personen sind solche, die immer dann den Mund aufmachen, wenn man es gar nicht hören will, und natürlich arme Leute, die versorgt werden müssen.
„Die Französische Revolution entzog allgemein dem bisherigen standesorientierten und dezentralen System der Migrationskontrolle den Boden. Galt bisher vor allem der Arme als bedrohlich, so kam nun der Konterrevolutionär hinzu, wobei spätestens 1793 alle Ausländer pauschal unter Verdacht gerieten. Wenn jedes Mitglied der Nation verpflichtet war, deren Mission aktiv zu vertreten, wie es die Mobilisierung aller nationalen Ressourcen in den Revolutionskriegen vorsah, so war umgekehrt jeder verdächtig, der nicht zur Nation gehörte. Die Folge dieser Überlegung war ein rigides, zentralisiertes System der Migrationskontrolle durch offizielle Identifikationspapiere.“
Ähnliche Kontrollsysteme wurden bald von anderen Staaten eingeführt. In Großbritannien bestand seit 1793 eine Ausweispflicht für unlängst eingereiste Ausländer; die USA folgten 1798. (…)
Da Pässe in der Regel nur für eine einzelne Reise galten, bedurfte dem Text der Gesetze und Verordnungen zufolge fortan jede Bewegung über längere Distanzen einer Genehmigung, die ohne Angabe von Gründen verweigert und unterwegs jederzeit widerrufen werden konnte, indem etwa Beamte den Zielort auf einem Pass veränderten oder Reisende anwiesen, an ihren Heimatort zurückzukehren. Eine pauschale Mobilitätsgenehmigung war nur für wandernde Gesellen vorgesehen.
Mit dem Ende der Napoleonischen Kriege und der ideologischen Entspannung in Europa seit dem Wiener Kongress wurde die Passpflicht überhaupt in Frage gestellt.Die USA schafften die Ausweispflicht bereits 1802 ab, Großbritannien folgte nach einer seit 1826 dauernden Übergangsfrist 1836. Dort mussten künftig nur potenziell Bedürftige in der Lage sein, zu dokumentieren, wo sie Anspruch auf Armenversorgung hatten; Reisen – auch grenzüberschreitende Reisen – mussten nicht mehr vor Beginn genehmigt werden. In Deutschland (wie auch im übrigen Kontinentaleuropa) blieb die Passpflicht dagegen bestehen.[63]
Durch die weiterhin notwendig erscheinende Kontrolle sollte verhindert werden, daß sich Menschen zusammenfinden konnten, wie man sie aus den Anfangszeiten der französischen Revolution kannte, quasi „Wehret den Anfängen“.
So gab es bis 1817 zwar jede Menge Gesetze und Verordnungen zum Thema, aber keine umfassende, vor allem einheitliche Paßregelung. Das preußische Passgesetz von 1817 machte klar, daß der Staat quasi ein Monopol auf die Kontrolle zum einen der Wanderungen (ein und aus und hin und her“), zum anderen der Identität der Menschen im Land besaß. Allerdings mußten die im Inland Preußens gültigen Pässe nicht unbedingt von preußischen Behörden ausgefertigt worden sein - „Dokumente ausländischer Behörden wurden ebenfalls als gültige Reisepapiere anerkannt.“[64]
Systematisch kontrolliert wurde nur an festen Punkten wie Poststationen, Häfen, später an Grenzbahnhöfen, aber auch an Übernachtungsorten wie z.B. Gasthäusern.
„Mit dem Ende der 1850er Jahre wurde deutlich, dass das Passsystem mit anderen Zielen staatlicher Politik nicht vereinbar war. Aus britischer Perspektive erschien das Passwesen bereits im frühen 19. Jahrhundert als merkwürdiges Überbleibsel, das den sichtbarsten Kontrast zwischen britischer Freiheit und kontinentaleuropäischem Despotismus darstellte.“
Im Laufe der 1850er schafften die meisten Staaten West- und Nordeuropas die Visumspflicht ab. Preußen ging damit für britische Reisende 1851 voran, der Höhepunkt der Reform lag aber in den späten 1850er und 1860er Jahren.[65]
Mit der Reform von 1843 hatte die preußische Regierung versucht, die preußische Wirtschaft von den Fesseln einer durch lokale Motive bestimmten Mobilitätsbeschränkung zu befreien, indem sie allen ehrbaren, arbeitsfähigen preußischen Untertanen das Recht erteilte, sich an jedem Ort innerhalb des preußischen Staates niederzulassen. Diese Regelung konnte ihre Wirkung nur dann entfalten, wenn lokale Pass- und Polizeibehörden das Recht verloren, diese Freizügigkeit durch eine restriktive Politik bei der Ausgabe von Papieren zu unterlaufen.[66]
Das Ende der regelmäßigen Passkontrollen in den 1860er Jahren blieb nicht auf Preußen beschränkt, sondern betraf alle Länder Mittel- und Westeuropas. Es veränderte zugleich die Funktion von Pässen. Sie galten fortan nicht mehr in erster Linie als Genehmigung einer Reise, sondern dokumentierten vor allem die Zugehörigkeit zu einem Staat. Zugleich entfiel die Notwendigkeit (und die Praxis), dass Staaten Pässe für Personen ausstellen, die nicht zugleich ihre Staatsangehörigen waren.[67]
Was bedeutete das nun für Helena und ihre Dienstherrschaft?
Bis zur Ausreise nach England waren alle preußischen Gesetze voll in Kraft, und sie mußten sich wohl daran halten, sonst wäre die Ausreise z.B. nach Brüssel nicht möglich gewesen.
Die Ausweise der Schwestern 1859 und 1863 fallen schon in die Zeit, in der die regelmäßigen Kontrollen nach und nach eingestellt wurden. Nach und nach.
Jedoch mahlen nicht nur Gottes Mühlen langsam, sondern auch die Verwaltung braucht ihre Zeit, auf Änderungen zu reagieren.
Landrat Engelmanns Anweisung über die Ausstellung von Reise- und Wanderpässen an Bürgermeister Rechlin datiert auf den 12. Februar 1854, und es scheint nicht so, als ob Engelmann von den Lockerungen schon viel gehört hat oder sie wirklich ernst nimmt, wenn er über seine darauf folgenden Anweisungen schreibt:
„Die öfters unvollständig mir vorgelegt werdenden, von den Herren Bürgermeistern formirten Anträge um Ausfertigung von Reise- und Wanderpässen veranlaßten mich, die nachfolgende Zusammenstellung der sämtlichen zu einem vollständigen Antrage im Sinne der bestehenden Bestimmungen bedurften Erfordernisse anzufertigen.
Es ist dies nur eine kurze Wiederholung der in dem Paß=Edikt vom 12. Juni 1817 über die Ertheilung von Pässen an Personen der niedern Stände schon enthaltenen Bestimmungen unter Beifügung der später ergangenen Reskripte höherer Behörden, welche jedoch beinahe blos das Verbot des Reisens nach verschiedenen Ländern und in auswärtigen Staaten zum Ziele haben.“[68]
Das aufgrund der Verfügung angelegte Paßjournal reicht von 1854 bis ins Jahr 1899, aber für die Zeit nach den 1860ern ist wohl anzunehmen, daß Reisepässe auf Antrag ausgestellt wurden, wenn die Reisenden sie haben wollten.
Für die Reise zurück aus England hat Helena keine mehr gebraucht.
Nach London
Helena erreicht am 19. September 1849 zusammen mit Jenny Marx auf der „Albion“ von Frankreich aus den Londoner Hafen.[69]
„Eine Liste mit Ausländern
Ich, der Unterschriebene, Segelmeister der Albion, auf dem Weg von Boulogne in den Hafen von London, erkläre hierdurch in Übereinstimmung mit den Bestimmungen eines Parlamentsgesetzes, verabschiedet im 6ten Akt unter König Wilhelm IV., Capitel 11 (Registration of Aliens Act 1836), daß das folgende - nach meinem besten Wissen - eine vollständige und wahrheitsgemäße Aufstellung aller Ausländer ist, die jetzt an Bord meines besagten Schiff oder Fahrzeuges sich befinden oder schon von Bord gegangen sind, die ihre Namen, Ränge, Berufe und Beschreibungen enthält.“
Name und Vorname Beruf Geburtsland
Giguet Musicien Paris
JoW. Diacomidie étudoler Grèce
Auguste Chesy Bazentin
Jenny Marx Paris
h. Deluth Domestic Bologne
Jenny Marx finden wir in der zweitletzten Zeile, darunter „h Deluth, Domestic, Bologne“.
Wo das „l“ herkommt? Zunächst dachte ich, daß der Segelmeister des Schiffes die Liste zusammengestellt und den Namen aufgrund der Aussprache falsch geschrieben hat.
Aber wie sich unschwer erkennen läßt, stehen fünf Namen auf der Liste - in fünf verschiedenen Handschriften. Hat Helena den Eintrag selbst vorgenommen? Dagegen spricht das seltsame „h“, das wie ein „W“ aussieht, und das „l“ in der Namensmitte. Die ersten vier - inkl. Jenny Marx - haben wohl selbst eingetragen, aber Helenas Eintrag ähnelt durchaus ein wenig dem Eintrag des Segelmeisters gleich zu Anfang der Liste. Obwohl er dort „Boulogne“ mit „u“ schreibt und unten nicht mehr. Ich würde mich gern irren, und Helena hat die Zeile selbst geschrieben. Wie später ihre Schwester es tat.
Warum als „Geburtsland“ Bologne eingetragen ist? Weil sie dort an Bord gingen. Wichtiger ist das Wort „domestic“. Denn damit war Helena vermutlich im Reisepaß ihrer Dienstherrin, Jenny Marx, eingetragen.
Die gesetzliche Basis für diese Liste[70]:
„Der Master jedes Fahrzeuges, das aus dem Auslande kommt, soll sofort bei seiner Ankunft dem höchsten Zollbeamte schriftlich melden, ob sich nach seinem besten Wissen Ausländer an Bord dieses Fahrzeuges befinden oder ob nach seiner Kenntnis irgendein Ausländer von diesem Fahrzeug an Land gelangt sei; und soll in besagter Erklärung die Anzahl der Ausländer (sofern vorhanden) an Bord dieses Fahrzeuges oder schon an Land gegangener angeben sowie ihre Namen, Ränge, Berufe und Beschreibungen, soweit er davon weiß; und wenn sich der Master eines solchen Fahrzeuges weigern sollte, eine solche Erklärung abzugeben oder eine falsche abgibt, soll er eine Strafe von 20 Pfund bezahlen und 10 Pfund für jeden Ausländer, der sich bei der Ankuft an Bord befand oder schon an Land gegangen ist und die der Master mit Absicht geweigert hat zu erklären; und wenn der Master sich weigert, die Strafe zu bezahlen, so soll der höchste Zollbeamte das Fahrzeug beschlagnahmen, bis die Strafe bezahlt ist.“
Karl Marx ist drei Wochen vorher - am 27 Aug 1849 - auf der „City of Boulogne“ vom französischen Boulogne nach England gereist. Auch sein Schiff hat die Reise von Boulogne aus angetragen.
Helenas Halbschwester Anna Maria Creuz, genannt „Marianne“, läßt sich acht Jahre später in St. Wendel einen Paß ausstellen, um in London in England als Magd in Dienst zu treten.[71] Das muß sie, weil sie alleine reist.
64|28.4.1857|Maria Kreutz|Magd|a/b St. Wendel|22
London tritt dort in d(en) Dienst“
Diese Formulierung kommt nicht von ungefähr, sie ist die Voraussetzung für eine Dienstbotin, überhaupt einen Reisepaß zu erhalten. Das läßt sich nachlesen in der Anweisung des Landrats Engelmann an Bürgermeister Rechlin vom 12. Februar 1854 über die Ausstellung von Reise- und Wanderpässen[72]. In den Paragraphen 13 und 16 ist geregelt, was Dienstboten zu beachten haben:
„13, Personen, die von anderen abhängig sind (: Dienstboten, Kinder unter väterlicher oder vormundschaftlicher Gewalt, geringere königliche Officianten, gemeine Soldaten :) bedürfen deren Genehmigung und haben daher diese das Gesuch mit den Antragstellern zu unterzeichnen.
„16, Zum Arbeitssuchen werden keine Pässe ertheilt, sondern blos, um an einem bestimmten Ort in Arbeit zu treten.“
Am 3. Mai 1857 - schon fünf Tage später - überquert Anna Maria Creuz an Bord des Seglers „Sir Edward Banks“ von Calais aus - den Kanal und betritt in London englischen Boden.
Christian and Surnames Quality Native Country.
Prenoms et Noms Profession Pays de Naissance.
Name & Vorname Beschäftigung Vaterland.
van Goteghem Cordonnier Pay-Bas
Alphonse Méglond Cuisinier Lith
Louise Zutes Couturière Calais
Adele Brullé Couturière Calais
Irma F. Rivand nule Corbeill
Edouard Meyer Compositor Strasbourg
Maria Kreutz Magd St: Wendel
Jane Gosset Jane Gosset Paris
F. Cordier Dame de Suisse
Compagnie
Bert Schmid ---deg-- Suisse
Marcel Dieudonné Fosset Negegotiant Paris[73]
1851-1861-1871-1881 - die britischen Volkszählungen
Die beste Quelle für Helenas Aufenthalt 1851 in London im Haus der Familie Marx ist der britische Census (Volkszählung), hier zunächst der von 1851[74].
Pfarrei St. Ann
City of Westminster
1. Nummer der Liste der Hausbesitzer
2. Name der Straße oder des Platzes und Name oder Nummer des Hauses
3. Name und Vorname jeder Person, die sich in der Nacht auf den 30. März 1851 im Haus aufhielt
4. Bezug zum Familienvorstand
5. Familienstand
6. Alter
7. Rang, erlernter oder ausgeübter Beruf
8. wo geboren
9. ob blind, taub oder dumm („dumb“)
1. 58
2. 28 Deanstreet
3. Charles Mark,
4. Familienvorstand (Kopf)
5. verh.
6. 32
7. Doktor (Philosoph)
8. Preußen
Jenny Mark, Ehefrau, verh., 30, Preußen
Jenny C. Mark, Tochter, 6, Schüler (bei ihm), Frankreich
Henry E. Mark, Sohn, 4, Schüler (bei ihm), Belgien
Jenny L. Mark, Tochter, 5, Schüler (bei ihm), Belgien
Jenny E. Mark, Tochter, 1, Hospital St. Anna
Helena Demuth, Dienerin, ledig, 27, Hausdienerin, Preußen
Elisabeth Moss, Krankenschwester, verwitwet, 46, Krankenschwester, Hospital
Elisabeth Moss wurde geboren 1805 in Sheerness, Zivilgemeinde Bethnal Green, London. Die Witwe hat einen Sohn namens Edward, geb. 1847 in Bethnal Green, Middlesex, London; sie wohnt 1881 in der Hope Street, Bethnal Green, London und arbeitet als Wäschemanglerin. [75]
Dem zweiten Beleg für Helenas Aufenthalt in London im Jahre 1851 sei ein eigenes Kapitel gewidmet, siehe „Frederick“.
Auch 10 Jahre später - im Census von 1861 - ist Helena genannt:[76]
Die gesamte Familie Karl Marx trägt hier den Namen „Mara“, und unter diesem Nachnamen ist Helena als Köchin ebenfalls aufgeführt. Ihre Halbschwester Anna Maria Creuz fungiert als „House maid“ und trägt den Namen „Maria Krew“, was in etwa der englischen Aussprache des Wortes „Creuz“ entspricht.
Die nachgenannten Häuser befinden sich innerhalb der Grenzen der Zivilgemeinde St Pancras, Parlamentsbezirk Marplebone, Kirchenbezirk Holy Trinity
1. (laufende) Nummer der Liste der Hausbesitzer
2. Name der Straße oder des Platzes und Name oder Nummer des Hauses
3. Ist das Haus bewohnt oder unbewohnt
4. Name und Vorname jeder Person
5. Bezug zum Familienvorstand
6. Familienstand
7. Alter
8. Rang, erlernter oder ausgeübter Beruf
9. wo geboren
10. ob blind, taub oder dumm („dumb“)
1. 162
2. 9 Grafton Terrace
3. bewohnt
4. Karl Mara
5. Familienvorstand
6. verheiratet
7. 42
8. Dr. der Philosophie, Schriftsteller
9. Preußen
Jenny Mara, Ehefrau, verheiratet, 42, Preußen
Jenny Mara, Tochter, ledig, 16, Schüler, Paris, Frankreich
Laura Mara, Tochter, ledig, 15, Schüler, Brüssel, Belgien
Eleonora Mara, Tochter, ledig, 6, Schüler, London
Helena Mara, Dienerin, ledig, 38, Köchin, Preußen
Marian Krew, Dienerin, ledig, 25, Hausmagd, Preußen
Marian Krew ist Helenas Schwester Anna Maria Kreuz.
Im Jahre 1871 wohnt die Familie Marx in der Maitland Park Road. Aus dem Census des Jahres erfahren wir, daß Helena Demuth aus St. Wendel in Preussen stammt:[77]
Die nachgenannten Häuser befinden sich innerhalb des Kirchenbezirks St. Andrews.
1. (laufende) Nummer der Liste der Hausbesitzer
2. Name der Straße oder des Platzes und Name oder Nummer des
Hauses
3. Ist das Haus bewohnt oder unbewohnt
4. Name und Vorname jeder Person
5. Bezug zum Familienvorstand
5. Familienstand
7. Alter
8. Rang, erlernter oder ausgeübter Beruf
9. wo geboren
10. ob 1. taub oder dumm , 2. blind, 3. unfruchtbar oder ein Idiot,
4. wahnsinnig
1. 139
2. 1. Maitland Park Road
3. bewohnt
4. Karl Marx
5. Familienvorstand
6. verheiratet
7. 52
8. Dr. Phil, Schriftsteller (politisch)
9. Trèves, Preußen
Jenny Marx, Ehefrau, verheiratet, 56, Salzwedel, Preußen
Jenny Marx, Tochter, ledig, 25, Paris, Frankreich
Eleonora Marx, Tochter, ledig, 16, Schüler, London
Helena Demuth, Dienerin, ledig, 46, allgemeine Dienerin, St. Wendel, Preußen
Census von 1871
Im Census von 1881 ist die Familie Marx und ihre Haushälterin zum letzten Mal genannt, weil weder Karl noch Jenny noch Helena den nächsten Census erleben werden: [78]
Die nachgenannten Häuser befinden sich innerhalb der Zivilgemeinde St. Pancreas, des Parlamentsbezirks Marplebone, des Kirchenbezirks St. Silas.
1. (laufende) Nummer der Liste der Hausbesitzer
2. Name der Straße oder des Platzes und Name oder Nummer des Hauses
3. Ist das Haus bewohnt oder unbewohnt
4. Name und Vorname jeder Person
5. Bezug zum Familienvorstand
5. Familienstand
7. Alter
8. Rang, erlernter oder ausgeübter Beruf
9. wo geboren
10. ob 1. taub oder dumm , 2. blind, 3. unfruchtbar oder ein Idiot, 4. wahnsinnig
1. 272
2. 41 Maitland Park Road
3. bewohnt
4. Karl Marx
5. Familienvorstand
6. verheiratet
7. 62
8. Schriftsteller (Politische Ökonomie)
9. Deutschland
Jenny Marx, Ehefrau, verheiratet, 66, Salzwedel, Deutschland
Eleonor Marx, Tochter, ledig, 26, St. Pancreas
Helena Demuth, Dienerin, ledig, 46, allgemeine Dienerin, Deutschland
Anna Maria „Marianne“ Kreuz
Anna Maria Creuz stirbt am 23. Dezember 1862 im Alter von 27 Jahren in London.
Am darauffolgenden Tag, dem Heiligabend, schreibt Karl Marx einen Brief an Friedrich Engels:
„(…) Nun aber das größte Pech. Marianne (Lenchens Schwester), die Allen schon vor einem Jahr an Herzkrankheit kuriert, fing am Tage der Abreise meiner Frau an, unwohl zu werden. Dienstag abend, 2 Stunden vor der Ankunft meiner Frau, war sie tot. Ich übernahm mit Lenchen zusammen während der sieben Tage die Krankenwartung. Allen had misgivings from the first day [hatte vom ersten Tag an Befürchtungen]. Sonnabend 2 Uhr ist das Begräbnis, wo ich 7 + 1/2 £ auf einem Brett dem undertaker [dem Bestattungsunternehmer] zahlen muß. Dies muß also beschafft werden. Es ist dies ein schöner Christspektakel für die armen Kinder.“[79]
Nr. 307
(Sterbedatum) 23. Dezember 1862
9 Grafton Terrace
Mary Kreuz, weiblich, 26 Jahre alt
Hausangestellte
Herzkrankheit, Überlastung der Lunge
X Das Zeichen von Helen Demuth, beim Tod anwesend,
9 Grafton Terrace, Kentish Town
(Vermerk:) beglaubigt
(ausgestellt am) 26.12.1862 durch Edward Hacker, Registrar[80]
Das ganze Dokument ist in der gleichen Handschrift verfaßt, wohl der von Herrn Hacker. Es handelt sich um eine Abschrift der originalen Sterbemeldung.
Bisher wurde angenommen, daß Helena weder lesen noch schreiben konnte - u.a. weil sie hier mit einem „x“ unterzeichnet hat. Man könnte spekulieren, ob dieses „x“ wirklich eine - ihre - „Unterschrift“ ist oder nur der Hinweis des Registrars, daß im Original an dieser Stelle ihre Unterschrift steht. Nun, das ist nicht der Fall. Hätte sie mit ihrem Namen unterschrieben, hätte der Registrar ihren Namen kopiert.[81]
Leider ist es nicht mehr möglich, eine Abbildung des Originaleintrags aus England zu erhalten. Ich habe es versucht.[82]
Der deutsche Schriftsteller Volker Elis Pilgrim versteigt sich in seinem Buch „Jenny, Helene, Marianne: Die drei Frauen von Karl Marx“ in die phantasiereiche Vermutung, Anna Maria sei nicht an Herz- und Lungenschwäche gestorben, sondern wie ihre Schwester Helena von Karl Marx geschwängert worden und im vierten Monat an einer mißlungenen Abtreibung gestorben. Belegen kann er nichts, aber Papier ist geduldig.
Frederick
Am 1. August 1851 wird im Geburtsregister des Unterdistriktes St. Anne, Westminster, im County of Middlesex, London registriert, daß Helena Demuth am 23. Juni 1851 einen Jungen zur Welt brachte, der die Namen Henry Frederick erhielt. Der Name des Vaters ist im Eintrag nicht genannt und wird von Helena auch niemals angegeben oder auch nur angesprochen. Damit folgte sie neben ihrer Schwester Katharina dem Beispiel ihrer Mutter bei der Geburt ihrer jüngsten Tochter Anna Maria Creuz.
Über die Vaterschaft ist seit dem Tod Friedrich Engels’ viel spekuliert, diskutiert und geschrieben worden. Die Reaktionen der Leute gehen von „erstaunt“ über „schockiert“ bis „hämisch“, fokussieren aber auf Karl Marx.
Die sozialistische deutsche Politikerin, Friedensaktivistin und Frauenrechtlerin Clara Zetkin (1857-1933) schreibt im Februar 1929 an Dawid Borissowitsch Rjasanow (1870-1938), von 1920 bis 1930 Leiter des Marx-Engels-Instituts in Moskau und erster Herausgeber vieler zuvor ungedruckter Werke von Karl Marx und Friedrich Engels über den nachträglichen Umgang mit Helenas Schwangerschaft und warum zu Lebzeiten Marxens so gut wie nie über die Herkunft des Kindes gesprochen wurde:
„Marx habe nie Anspruch darauf gemacht, für einen Musterknaben zu gelten. Bei der großen Liebe und Verehrung für Frau Marx und der Rücksicht auf ihre sehr bürgerliche, unfreie Einstellung in sexuellen Dingen - siehe ihr Verhalten zu Engels' Gefährtin[83] - sei es verständlich, daß die beiden Freunde gelogen und das Geheimnis sorgsam gehütet hätten. Was ich jedoch nicht begreife und unverzeihlich finde, das ist die grobe Vernachlässigung des Kindes, das ohne Erziehung und guten Unterricht unter Fremden aufwuchs.“[84]
Die Publizistin Louise Ronsberger-Kautsky (1864-1944), die 1917 einen Teil der „Gesammelten Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels 1852-1862“ aus dem Englischen ins Deutsche übersetzte, schreibt am 2. September 1898 an den sozialistischen Politiker und Publizisten Ferdinand August Bebel (1840-1913), daß „Frau Marx einmal ihrem Mann von London durchbrannte und nach Deutschland ging und daß Marx und seine Frau für lange Jahre nicht zusammen schliefen.“[85]
Nun, zumindest der erste Teil bezieht sich auf eine Reise Jennys nach Holland, wo sie im August 1850 bei einem reichen Verwandten um Geld bettelt, eine Maßnahme, die in der Familie euphemistisch „Raubzug“ genannt wurde. Sie ist wohl ein paar Wochen unterwegs, und in diese Zeit fällt auch das rechnerisch ermittelte Datum der Zeugung Fredericks.
Die zweite Aussage bezieht sich wohl auf die Zeitspanne zwischen dem 5ten und 6ten Kind von Karl und Jenny Marx:
Jenny Caroline * 01.05.1844 + 11.01.1883
Jenny Laura * 29.09.1845 + 26.11.1911
Charles Louis Henri Edgar * 03.02.1847 + 06.04.1855
Heinrich Edward Guy * 05.11.1849 + 19.11.1850
Jenny Eveline Francis * 28.03.1851 + 14.04.1852
Jenny Julia Eleanor * 16.01.1855 + 31.03.1898
Kind */+ 06.07.1857
Die Intervalle zwischen den Geburten sind 14, 17, 33, 15, 46 und 31 Monate. Der 46-Monats-Intervall folgt augenscheinlich Helenas Schwangerschaft und der Geburt ihres Sohnes Frederick, eine nachvollziehbare Reaktion Jennys auf das „Fremdgehen“ ihres Ehemannes.
Was meinen Sie, wie ist hoch die Chance, daß eine 31-jährige Frau beim ersten Geschlechtsverkehr schwanger wird.
Dr. Helmut Priewer aus Anhausen hat dazu diese Antwort gegeben: „Die Wahrscheinlichkeit einer Konzeption ohne Verhütung nach einmaligem Geschlechtsverkehr zwischen einem heterosexuellen Paar liegt bei ungefähr 3 %. Eine Frau, die ohne Kontrazeptiva sexuell aktiv ist, würde etwa nach 9 Monaten schwanger und nach 18 Monaten gebären[86]. In der Soziobiologie ist aber bekannt, das Frauen um die Zeit des Eisprungs sexuell besonders aktiv und einem Geschlechtsverkehr gegenüber aufgeschlossen sind. Bei einer hochemotionalen Beziehung, die hier wahrscheinlich vorlag, kann die Frau den Eisprung auch zum Zeitpunkt des Geschlechtsverkehrs auslösen. Das geschieht alles unbewußt, allerdings mit dem bewußten Ziel der Fortpflanzung. Ist ein sehr vernünftiger Mechanismus.“
Also kann es durchaus sein, daß Helena „gleich beim ersten Mal“ schwanger wurde, aber die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß es nicht das erste und nicht das einzige Mal war, daß die beiden miteinander schliefen. Also war Frederick ein „Unfall“?
Eine Interpretation der etwas anderen Art bietet der Bildhauer Kurt Tassotti mit seiner Bronzestatue einer lebensgroßen, hochschwangeren Lenchen Demuth, die er 2012 der Stadt St. Wendel verkauft hat. Sie steht in der oberen Balduinstraße, wo 2012 noch Lenchens Geburtshaus angenommen wurde. Die Statue hat seit ihrer Aufstellung resp. Einweihung am 10. Mai 2012 schon für heftige, sehr kontroverse Diskussionen und Leserbriefe gesorgt.
Der Künstler hat über seine Konzeption seinerzeit in der Pressemitteilung der Stadt verlautbaren lassen: „Durch die Auseinandersetzung mit der Person Lenchen Demuth kam ich ihr nahe. Ich stelle sie als werdende Mutter dar und damit unterstreiche ich ihre eigenständige starke Persönlichkeit, trotz ihrer selbstlosen Art gegenüber Marx. Die Bronzeplastik ist eine Hommage an Lenchen Demuth“.[87]
Während der Einweihung sagte er u.a., er habe bei dieser Auseinandersetzung mit Lenchen Demuth bei ihr einen „geheimen Mutterwunsch“ entdeckt. In der Realität hat sich dieser „geheime Mutterwunsch“ dadurch geäußert, daß das Baby unmittelbar nach der Geburt aus dem Haus geschafft und in einer Pflegefamilie untergebracht wurde, bei der der Junge unter dem Nachnamen „Lewis“ aufwuchs.
Heinrich Gemkow und Rolf Hecker schreiben[88], daß die Übergabe Fredericks an Pflegeeltern kurz nach seiner Geburt nicht nur aus finanziellen Gründen oder wegen der katastrophalen Wohnverhältnisse in Karl Marx' Haus geschah, „sondern auch aus durch die Herkunft seiner Frau bedingten ‚Standesrücksichten’. Der Junge wuchs bei einer Familie Lewis auf, deren Namen er bis zu seiner Heirat trug. Er erlernte den Beruf eines Maschinenschlossers, arbeitete in verschiedenen Berufen dieser Branche und war als aktives Gewerkschaftsmitglied tätig.“
Ich habe versucht, diese Familie Lewis ausfindig zu machen, z.B. über die Volkszählung von 1861. Davon ausgehend, daß sie in London wohnten, gibt es nur einen Henry Lewis, auf den die Beschreibung ansatzweise passen könnte. Der ist 1851 geboren und 1861 Schüler in einer Schule (?) in 16 Bartholomew Road, St. Pancreas, London. Wenn er das ist. Anders gesagt: die Geschichte über diese Familie Lewis läßt sich nicht nachvollziehen. Auch nicht, wann Frederick den Namen „Demuth“ angenommen hat. Im Census von 1871 konnte ich ihn zunächst weder unter Lewis noch Demuth finden.
Meine Kollegin Sandi Hewlett (APG), hat ihn im Census von 1871 ausfindig gemacht - zusammen mit den anderen Mitgliedern der Familie Lewis:
Eintrag 294
Wohnort: 29 Tower Street, St. Giles, London
Ann Lewis, Witwe, 67, Möbelhändlerin, geb. in Durham, England
Ihre Kinder geb. in „St James Westminster, Middlesex County“:
William Lewis, ledig, 37, Träger (Porter) in einem Auktionshaus
Frederick Lewis, ledig, 20, Waffenschmied (Gun-smith)
Catherine Lewis, ledig, 14, Schülerin[89]
Auf eine Anfrage erhielt Heinz Monz aus Trier ein Schreiben der Britischen Botschaft in Bonn vom 20. Februar 1970[90], in dem ihm Wilhelm Cohn (1902-1975), von 1960 - 1974 Rechtsberater der britischen Botschaft, die Verfahrensweise der bei uns üblichen Adoption im viktorianischen England erläuterte. Danach war im britischen Recht der Übergang elterlicher Rechte und Pflichten für ein Kind an eine dritte Person unbekannt. Ein Verwandter oder auch ein Fremder konnte sich an die Stelle der Eltern setzen (in loco parentis) aber damit sind keine rechtlichen Beziehungen entstanden noch konnten diese an Dritte in Bezug auf das Kind verliehen werden. Dazu kam es erst 1926. D.h. daß es im Englischen eine Adoption in unserem Sinne nicht gab. Kinder konnten in Pflege, aber nicht zur Adoption freigegeben werden.
Wieso hieß Frederick aber dann Lewis? Einen Sinn ergibt das nicht; eine Antwort habe ich auch nicht.
Im Census von 1881 habe ich Fredericks nach wirklich stundenlangem Suchen mit allen möglichen Varianten unter „Frederick Dumath“ gefunden: [91]
Fredericks Nachname läßt sich mit etwas Wohlwollen „Demuth“ lesen, aber bei seiner Frau steht „Dumath“. Sein Beruf wird mit „Gun Machinist“ angegeben, also „Waffenschlosser“. Sein Alter „29“ ist nicht durchgestrichen, sondern abgehakt. Seine Frau ist 27, also geboren um 1854.
Daß Helena seine Mutter ist, muß Frederick schon früher erfahren haben, denn er besucht sie schon zu Lebzeiten von Marx in ihrer Wohnung. Intensiver wird der Kontakt aber erst, als sie 1883 in die Wohnung von Friedrich Engels umzieht.
Einen endgültigen Beweis, ob Karl Marx der Vater von Frederick war, wird es nie geben, auch nicht mit der in den letzten Jahren so populär gewordenen Methode eines DNS-Vergleichs. Von Marx mag es lebende Nachkommen geben, aber Fredericks Ehe blieb kinderlos.
Putzigerweise blieb diese Frage überhaupt in der biographischen Marx-Literatur ein Dreivierteljahrhundert so gut wie unerörtert geblieben - bis Werner Blumenberg 1962 in einer Marx-Biographie erstmals das inzwischen sehr bekannt gewordene Brieffragment von Louise Freyberger-Kautsky vom 2. September 1898 (am 4. September ergänzt) an August Bebel veröffentlichte, das Marx die Vaterschaft zusprach.[92] Auch diesen Text habe ich dem schon zitierten Aufsatz der Herren Gemkow und Hecker entnommen. Hierzu muß man wissen, daß „General“ Friedrich Engels’ Spitzname war. Tussy ist Karl Marx’ jüngste Tochter Jenny Julia Eleanor (1855-1898), die den heute seltsam anmutenden Spitznamen „Tussy“ selbst gewählt hat, weil er ihr so gut gefallen hat.
„Daß Freddy Demuth Marx' Sohn ist, weiß ich von General [Engels] selbst. Tussy hat mir so zugesetzt, daß ich den Alten direkt fragte. General war sehr erstaunt, daß Tussy so hartnäckig an ihrem Glauben festhielt, und gab mir damals schon das Recht, im Falle der Notwendigkeit dem Geklatsche, daß er seinen Sohn verleugnet, entgegenzutreten. Du wirst Dich erinnern, daß ich Dir die Mitteilung schon lange vor Generals Tode machte. Daß Frederick Demuth der Sohn von Karl Marx und Helena Demuth ist, hat ferner General noch einige Tage vor seinem Tode Mr. Moore bestätigt, der hierauf zu Tussy nach Orpington fuhr und ihr es sagte. Tussy behauptete, daß General lüge und daß er stets selbst gesagt habe, er sei der Vater. Moore kam von Orpington zurück, fragte General nochmals eindringlich, aber der alte Mann blieb bei seiner Behauptung, daß Freddy der Sohn Marx' sei, und sagte zu Moore: Tussy wants to make an idol of her father (sie will ihren Vater zum Götzen machen).
Sonntag, also den Tag vor seinem Tode, hat es General der Tussy selbst auf die Schiefertafel geschrieben, und Tussy kam so erschüttert heraus, daß sie all ihren Haß gegen mich vergaß und an meinem Halse bitterlich weinte. General ermächtigte uns, (Mr. Moore, Ludwig und mich), nur dann von der Mitteilung Gebrauch zu machen, wenn er der Schäbigkeit gegen Freddy geziehen werden sollte; er sagte, er wolle seinen Namen nicht beschimpft haben, zudem wo es gar niemanden mehr nütze. Sein Eintreten für Marx hat letzteren vor einem schweren häuslichen Konflikt bewahrt. Außer uns und Mr. Moore, den Marxschen Kindern, ich glaube, Laura ahnte die Geschichte, wenn sie sie vielleicht auch nicht direkt wußte, wußten um das Vorhandensein eines Marxschen Sohnes noch Leßner und Pfänder. Leßner sagte mir noch nach der Veröffentlichung der Freddyschen Briefe: 'Der Freddy ist wohl Tussys Bruder, wir wußten wohl darum, konnten aber nie ausfindig machen, wo der Bub aufgezogen wurde.'
Freddy sieht Marx lächerlich ähnlich, und es gehörte wirklich nur blindes Vorurteil dazu, in dem direkt jüdischen Gesichte mit dem vollen blauschwarzen Haar irgendeine Ähnlichkeit mit General zu wittern. Ich habe den Marxschen Brief gesehen, den er damals an General nach Manchester schrieb, General lebte damals noch nicht in London, aber ich glaube, General hat diesen Brief und wie so viele andere Wechselbriefe vertilgt. Das ist alles, was ich über die Sache weiß; Freddy hat nie, weder von seiner Mutter noch von General, erfahren, wer sein Vater ist ...
Ich lese gerade noch mal die auf die Frage Bezug habenden Zeilen von Dir. Für Marx stand die Scheidung von seiner Frau, die furchtbar eifersüchtig war, immer vor seinen Augen; er liebte den Buben nicht, der Skandal wäre zu groß gewesen, er wagte nicht, für den Buben etwas zu tun..."
Werner Blumenberg hat bei seiner Veröffentlichung 1962 einige Passagen weggelassen, die später von Arnold Künzli aus dem Originalbrief ergänzt wurden:[93]
"Ich habe Freddy schon bei meiner ersten Anwesenheit in London kennen gelernt, die alte Nimm stellte ihn mir als ihren Liebhaber vor[94], und er kam auch regelmäßig jede Woche sie besuchen, merkwürdigerweise aber kam er nie beim Besuchstor, sondern immer durch die Küche herein, erst als ich zu General kam und er seine Besuche fortsetzte, sorgte ich dafür, daß er alle Rechte eines Besuchers hatte." … „Er wurde bei einer Mrs. Louis, ich glaube, so schreibt sich die Frau, in Kost gegeben, und er nannte sich auch nach seiner Pflegemutter, erst nach Nimms Tod nahm er den Namen Demuth an. Daß Frau Marx einmal ihrem Mann von London durchbrannte und nach Deutschland ging und daß Marx und seine Frau für lange Jahre nicht zusammen schliefen, hat Tussy sehr wohl gewußt, aber es paßte ihr nicht, den rechten Grund dafür anzugeben; sie vergötterte ihren Vater und dichtete die schönsten Legenden... Deine Louise."
Über den Grund, warum Engels erst kurz vor seinem Tod die „Wahrheit“ über Karl Marx’ Vaterschaft bekannt gemacht hat, spekulierte am 23. Oktober 1972 im „Spiegel“ der Verfasser des Artikels „Ungeliebter Sohn“:[95]
„Kleinbürgerliche Prüderie der Weltrevolutionäre, ihre panische Angst, das Proletarier-Idol könnte, würde der Fehltritt bekannt, an Glanz verlieren, und schließlich ihr eifriges Bemühen, den Propheten des Klassenkampfes als in jeder Beziehung unfehlbar darzustellen, verurteilten Marxens einzigen -- die Kinderjahre überlebenden -- Sohn zur Anonymität, zum blinden Fleck in der Geschichte des Marxismus und seines Begründers.
Engels selbst hat vermutlich alle Briefe vernichtet, die das freudige Ereignis auch nur erwähnten und sogar gegenüber der Familie die Vaterschaft übernommen. Freilich war auch er auf seinen guten Ruf bedacht gewesen: Daß Marx der Vater Frederick Demuths sei, so forderte er, müsse dann bekannt werden, wenn ihm der Vorwurf gemacht würde, er habe sich um seinen Sohn nicht gekümmert.“
Damals sprach der britische Journalist David Heisler mit Fredericks 90 Jahre altem Adoptivsohn Harry Demuth (1882-1980). Er erzählte Heisler, daß Freddy bei einer armen Fuhrmannsfamilie namens Lewis aufgewachsen sei und das Büchsenmacher-Handwerk erlernte -- vermutlich habe Friedrich Engels die Ausbildung bezahlt.
Am 26. Januar 1873 hat er in der Pfarrkirche St. Georg am Hanover Square in London die irische Gärtnerstochter Ellen Murphy geheiratet. Zu diesem Zeitpunkt wußte er auf jeden Fall schon, daß Helena Demuth seine Mutter war. Aber Gott weiß, warum er als seinen Vater "William Demuth" angab. Also wußte er, daß er nicht „Lewis“, sondern „Demuth“ hieß und damit vermutlich auch, daß Helena seine Mutter, aber auch, daß Demuth ihr Mädchenname und sie nicht verheiratet war. Sehr merkwürdig.
Auf die Frage, wieso Frederick seinen Namen von „Lewis“ in „Demuth“ ändern konnte, gibt das schon genannte Schreiben von Wilhelm Cohn an Heinz Monz von 1970 Antwort.[96] Nach Erreichen der Volljährigkeit durfte Frederick Demuth, durch Geburt britischer Staatsangehöriger, jederzeit einen anderen Namen zusätzlich zu seinem eigenen oder als Ersatz für diesen annehmen. Diese Änderung kann auf drei Arten ausgeführt werden - wobei die ersten beiden in diesem Fall eher unwahrscheinlich sind: durch einen Akt des Parlaments oder auf königlichen Erlaß.
Die dritte Möglichkeit ist ein sog. „deed poll“, der in wikipedia wie folgt erklärt wird: Ein Deed poll oder genauer Deed of change of name ist ein zum Nachweis einer Namensänderung in einigen Ländern gebräuchliches Dokument, das nicht von offizieller Stelle ausgegeben wird, sondern, sofern es den formellen Anforderungen eines Deed genügt, von dem Namensändernden selbst ausgeführt werden kann. Das englische Namensrecht, das auf dem Common Law fußt, unterliegt anders als im römisch-germanischen Rechtskreis, etwa in Deutschland, Frankreich, Spanien oder Italien, nicht besonderen öffentlich-rechtlichen Beschränkungen. In der Tat hat das englische Recht die weithin liberalsten und großzügigsten Regelungen in Bezug auf Namensänderungen. Es gibt im englischen Recht keinen bürgerlichen Namen im engeren Sinne; legal name ist der Name, der im Rechtsverkehr von einer Person tatsächlich benutzt wird. Dieser Person steht es frei, nach eigenem Willen den Namen zu ändern, wobei sie mit der Ausnahme, keine betrügerische Absicht mit der Namensänderung zu verfolgen, keinen normativen oder inhaltlichen Beschränkungen unterliegt.[97]
Ein Deed Poll bleibt immer im Besitz des Ausstellers; auch muss er nirgends registriert werden, nicht einmal beim Passport and Identity Service. In England und Wales ausgestellte Deeds Poll können (müssen aber keineswegs) gerichtlich registriert werden - im Central Office of the High Court of Justice. Dies ist ein freiwilliger Prozess und geschieht äußerst selten; es ist eher als Statussymbol denn als rechtliches Erfordernis zu sehen. Wer sein Deed Poll beim Königlichen Gerichtshof registrieren lässt, wird in der Regel einen besonderen Grund haben, z. B. weil er eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens ist oder die Namensänderung „besonders“ offiziell machen will. (…) Wird ein Deed Poll nicht angemeldet, so ist er nirgends registriert; allerdings kann, wenn gewünscht, stattdessen auch eine Nachrichtenanzeige in einer nationalen oder lokalen Zeitung aufgegeben werden.
Das britische Namensrecht ist auch in Hinsicht auf den Ehenamen vollkommen unreguliert. Einen gemeinsamen Ehenamen gibt es nicht; im Rahmen einer Hochzeitszeremonie wird auch kein Ehename entschieden. Die Ehe wird in den Namen geschlossen, die die Heiratenden zum Zeitpunkt der Eheschließung de facto trugen. Wie Deeds Poll sind Heiratsurkunden dokumentarischer Nachweis einer Namensänderung. Eine verheiratete Person kann also selber entscheiden, in welchen Situationen sie welchen Namen benutzt; die Urkunde reicht als Nachweis aus. Die Frau des ehemaligen britischen Premierministers Tony Blair (der selbst als Anthony geboren wurde) benutzt sowohl den Namen Cherie Blair als auch ihren Geburtsnamen Cherie Booth.
1873. Heirat in der Pfarrkirche der Pfarrei St. George, Hanover Square, im County Middlesex.[98]
No 497 am 26. Januar 1873
Frederick Demuth, volljährig,
ledig, Waffenschmied,
wohnhaft in der Whitehorse Street
Sohn von William Demuth,
„German“ (Deutscher)
Ellen Murphy, minderjährig[99],
ledig, ohne Beruf
wohnhaft in der Whitehorse Street
Tochter von Michael John Murphy, Gärtner
Der Pfarrer hieß J.H. Murray, die Trauzeugen Lucy Lacy und James Ridgers.
Frederick Demuth, Familienoberhaupt 38,
Ellen Demuth, Ehefrau, 37
Frederick, Sohn, 9
Heisler schreibt, daß Frederick im Arbeiterviertel Hackney eine respektable Erscheinung gewesen sei. Auf dem Weg zur Arbeit trug er stets eine Melone und sein Mittagessen in einer Arzttasche bei sich. Und er färbte sich Haar und Schnurrbart, um jünger zu erscheinen.
Fredericks Adoptivsohn Harry (der Frederick aus dem Census von 1891) erinnerte sich, daß sein Vater sehr oft seine MutterHelena besuchte, die nach 1883 Engels den Haushalt führte. "Sie saßen immer nur in der Küche. Sie war sehr nett und konnte gut kochen."
1892 brannte Ellen Demuth mit einem Berufssoldaten durch. Dabei nahm sie die damals stattliche Summe von 24 Pfund Stirling mit, die Frederick für einen Arbeiter-Wohlfahrtsverein verwaltete. Harry blieb bei seinem Adoptiv-Vater.
Das fehlende Geld brachte Frederick in Schwierigkeiten. Weil er selber den Betrag nicht ersetzen konnte, wandte er sich an Eleanor Marx, aber sie konnte ihm auch nicht helfen. Ihr Schwager Paul Lafargue gab ihm dann 50 Francs, um die geplünderte Unterstützungskasse wieder auffüllen zu können.
Nachdem ihn seine Frau verlassen hatte, begann sich Demuth für die sozialistische Bewegung zu interessieren. Laut Heisler las er Marx und Engels, wurde Kassenwart des 194. Bezirks der englischen Metallarbeiter-Gewerkschaft und gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Labour Party in Hackney.
Eines konnte aber auch Heisler nicht herausfinden, nämlich ob Frederick gewußt hatte, daß Karl Marx sein leiblicher Vater war. Gegenüber seinem Adoptivsohn Harry habe er stets behauptet, daß auch er adoptiert worden sei. Heisler vermutete, daß Frederick es nicht wußte.
Zurück nach St. Wendel.
Mir gefällt Tasottis Figur auch nicht. Es hätte bestimmt andere Möglichkeiten gegeben, sie als starke Frau im Umkreis von Karl Marx darzustellen. Sie soll mit ihm Schach gespielt und dabei oft gewonnen haben, so daß sie ab und an absichtlich verlor, damit er nicht seine gute Laune verlor. Das wäre doch eine starke Darstellung gewesen. Eine Figur mit Einkaufskorb und einem Schachspiel vor sich - und in der einen Hand das Bild von Karl Marx. Nicht so einfach zu erkennen wie mit dem dicken Bauch, aber sicher auch nicht so … reduzierend.
Ich frage mich stets, wenn ich dort oben vorbeigehe, ob sie diese Art der Darstellung wirklich verdient hat. Sie kann sich nicht wehren.
Wenn die Leute bei der Stadtführung fragen, wer das denn sei, dann erkläre ich es ihnen. Und wenn sie mich dann anschauen und fragen, ob es denn keine andere Möglichkeit als diese Darstellung gegeben hätte, dann antworte ich:
„Das ist eben Kunst.“
Helena hat von London aus sicher auch ein paar Mal ihre Heimat in St. Wendel besucht. So wie sie ihre Mutter, später die Schwestern finanziell unterstützte - in ihrem möglichen Rahmen.
1863 - „um dort in Dienst zu treten“
Von einer Reise wissen wir sicher. Helena hat sich im Sommer 1863 in St. Wendel einen Paß ausstellen lassen, um in London als Dienstmagd in Dienst zu treten.
Nummer Nr. 189
Datum 31.7.1863
Des Paß-Nachsuchers
Namen und Vornamen Demuth Helena
Stand Dienstmagd
a) Geburtsort St. Wendel
b) Wohnort St. Wendel
Alter - Jahr 41
Reiseort London
Reisezweck um dort in Dienst zu treten[100]
Über die anderen mutmaßlichen Reisen nach Deutschland lassen sich - außer aus Briefen der Familie Marx und ihrem Umfeld - keine offiziellen Nachweise finden.
Die bereits bei Marianne zitierte Quelle aus dem britischen Nationalarchiv - die „Lists of aliens arriving at English ports“ beschränkt sich auf die Jahre 1810-1811 sowie 1826-1869 (ohne 1860-1868).
Jenny Marx schreibt am 7. März 1861 an Friedrichs Engels, Helena läge seit einigen Tagen krank im Bett, aber zum Glück sei Marianne in der vorigen Woche wieder aus Deutschland zurückgekommen.
Als ich die Liste nach „1861“ und „Creuz“ (mit vielen Varianten), durchsuchte, fiel mir auf, daß es keinerlei Einträge von 1861 gab. Meine britische Kollegin Caroline Gurney wies mich darauf hin, daß nicht nur das Jahr 1861 bei der Liste mit der Ankunft von Ausländern fehlt. Es gibt keine Unterlagen zwischen 1860 und 1868. Die online-Liste wurde aus den Signaturen HO2 und HO3 im britischen Nationalarchiv zusammengestellt. Caroline hat im Archivkatalog Unterlagen für HO2 nur bis 1852 gefunden, gefolgt von HO3, das aber zwischen 1860 und 1868 eine Riesenlücke aufweist - die Unterlagen für diese Zeit haben „nicht überlebt“.
Deshalb ist es sehr schwer, die Reisen Helenas nach ihrer Ankunft in London 1849 nachzuvollziehen.
1870 - nur eine Legende?
Hartnäckig hält sich die Geschichte, daß Helena sich im Krieg 1870/71 an der Seite der Frauen um Katharine Weißgerber, besser bekannt als „Schulze Katrin“, auf den Spicherer Höhen mitten in der Schlacht um die verwundeten Soldaten kümmerte. Hartnäckig wohl deshalb, weil’s ne tolle Geschichte wäre.
Heinrich Gemkow schreibt in seinem Artikel „Helena Demuth - eine ‚treue Genossin’“[101]:
„Zumindest 1870 weilte sie wieder in ihrer Heimat. Dort überraschte sie im Juli der Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges. Als am 6. August auf den nahegelegenen Spicherer Höhen eine der ersten Schlachten des Krieges tobte, soll Helena Demuth bei der Bergung und Versorgung der Verwundeten mitgewirkt haben, was voll und ganz ihrer tatkräftigen und hilfsbereiten Natur entsprochen hätte.“
Gemkow nennt keine Quelle für seine Schilderung, doch geht sie wohl auf ein Interview zurück, das der Marx- und Demuth-Forscher Dr. Heinrich Monz (1929-2012)[102] aus Trier am 7. April 1970 mit dem 81-jährigen Jakob Demuth führte, dessen Vater Jakob der jüngere der Zwillinge war, die Katharina Demuth - Helenas Schwester - am 10. Mai 1847 in St. Wendel zur Welt brachte. Jakob Demuth erinnerte sich an Erzählungen seiner Mutter Elisabeth Riotte, die ebenfalls aus St. Wendel stammte und 1932 in Dudweiler gestorben ist, daß Helena oft nach Dudweiler kam und die Familie besuchte. Leider konnte sie nicht bei ihren Verwandten wohnen, sondern kam bei einer Witwe namens Freudenberger unter. Diese war als Marketenderin und im Pflegedienst tätig. Dr. Monz stellte sofort Recherchen an und kam über die Stadtverwaltung Dudweiler in Kontakt mit einem Herrn Baum aus Wahlschied, der erklärte, ein Verwandter von Frau Freudenberger zu sein. Er wußte zu berichten, daß die Witwe 1870 an der Front unterwegs gewesen sei.
Wenn Helena nun 1870 in Dudweiler war und des Krieges wegen nicht mehr nach England zurückkonnte, weil - ja, warum eigentlich? Wenn sie nicht durch Frankreich reisen konnte, stand ihr der Weg über Belgien oder Holland offen. Wenn sie also 1870 bei Frau Freudenberger in Dudweiler war, dann kann es gewesen sein, daß sie mit dieser an der Front oben auf den Spicherer Höhen geholfen hat, Verwundete zu pflegen. Das hätte sicher ihrer Natur entsprochen.
Im Trierer Stadtarchiv finden sich im Nachlaß Heinz Monz zwei Briefe des deutschen Historikers Herbert Friedrich Andréas (1914-1984) an den Trierer Marx-Forscher Heinz Monz. Seit 1968 war er am „Institut Universitaire de Hautes Études Internationales“ in Genf in der Schweiz angestellt, wo sich mit anderen Historikern der Erforschung des Lebens von Marx und Engels von 1844 bis 1848 widmete.[103]
Am 5. Juni 1970 schreibt Andréas an Heinz Monz:
„Lenchen als Pflegerin im dtsch-frz Kriege kommt mir etwas unwahrscheinlich vor, oder beseser gesagt, sehr unerwartet. Es gibt allerdings ähnliche Fälle, so zog die Mehrzahl der Sektion der Internationale in Zürich ebenfalls als freiwillige Samariter los. Aber Lenchen hätte das doch nur mit Zustimmung der Marxens getan, und ich habe niemals eine Spur von dieser „aufsehenerregenden“ (im Familienkreise) Abenteuertour gesehen - und es ist doch beinahe unvorstellbar, dasz ein solches einschneidendes Ereignis im Familienkreise in den Briefen an Freunde unerwähnt geblieben wäre. Kann da keine Verwechslung oder Namensähnlichkeit vorliegen? Es könnte ja z.B. eine gleichnamige Base gewesen sein.“
Falls Helena in Deutschland war - am 30. August 1870 war sie jedenfalls mit Karl Marx und Familie im englischen Ramsgate in Ferien. An diesem Tag schreibt Karl Marx in einem Brief an Friedrich Engels: „Morgen früh mit steamer nach London zurück. Erstens ist der Aufenthalt hier per 5 Mann sehr teuer, da die Engländer infolge des Kriegs alle Badeplätze überströmt haben.“ Die „5 Mann“ waren Karl Marx, seine Frau Jenny und ihre Töchter Jenny, genannt „Jennychen“, und Eleanor, die alle Welt auf ihren eigenen Wunsch hin „Tussy“ nannte, und - mehr oder minder zwangsläufig - Helena, denn Tochter Laura weilte zu diesem Zeitpunkt in Paris.[104]
Um den 10. September ist Helene auf jeden Fall wieder in London: sie besucht mit Jenny Marx sr. zusammen das neue Haus von Friedrich Engels, in das er mit Lizzy Burns einziehen will. Die beiden inspizieren u.a. die vorhandenen Tapeten.[105]
Die Geschichte hat die klassischen Eigenschaften einer Legende - etwas ist dran, wir können es fast mit Händen greifen. Leider nicht mehr.
1873 - Besuch bei ihrer Schwester
Am 1. Mai 1873 schreibt Jenny Marx an ihre Tochter Eleanor, die sich im südenglischen Badeort Brighton aufhält: „Lehnchen bekam gestern einen Brief von ihrer Schwester, die so krank ist, dass sie dringend wünscht, Helen vor ihrem Tode noch einmal zu sehn. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Helen Ende dieser Woche die Reise macht. Da nun deine Gesundheit und deine vollständige Herstellung uns so besonders am Herzen liegt und du immer den Wunsch hattest, diese deutsche Reise mit Helen zu machen, so frage ich dich, ob du dich nicht entschliessen kannst, die Reise mitzumachen. Du wärst dort am allerwenigsten genirt und könntest dir den Rhein mal ansehn und körperlich gestärkt an deine Arbeit zurückkehren.“
Anfang Juni schreibt sie dann, die Abreise verzögere sich, da Lenchen „geschwollene Backen“ habe, die sie mit warmen Breiumschlägen behandelte. Eleanor ist dann wohl doch nicht mitgefahren, denn ihre Mutter berichtet ihr, „Helen gestern Morgen glücklich über Rotterdam nach St. Wendel abgereist.“[106]
Helena setzt auf einem Schiff über den Kanal nach Rotterdam und nimmt dort vermutlich die Eisenbahn nach St. Wendel. Sie bleibt nur zwei Wochen in St. Wendel. Als ihre Schwester am 9. September in St. Wendel stirbt, ist sie schon lange wieder zurück in London.
Jenny Marx schreibt am 13. Oktober 1873 an Ernestine Liebknecht: „Apropos da fällt mir eben ein, dass ich Ihnen fast vergessen habe zu erzählen, dass Lehnchen für 14 Tage nach Deutschland zu ihrer todkranken Schwester war. Sie hat sich, wie Sie denken können, nicht sehr in ihrer Heimat gefallen, sich mit dem Schwager gezankt und von dem reichen Onkel viel Freundschaft empfangen. Sie kehrte reich beladen mit Himbeeressig, Gelee, Birnenkraut etc etc. Wir hatten während ihrer Abwesenheit keine Magd und ich war wirklich erstaunt, dass ich in der Küche, ohne alle Übung, so gut zurecht kam.“
Der Schwager, mit dem sie in Streit geriet, war Peter Riefer, aber wer war der reiche Onkel? Von den Geschwistern ihres Vaters war der letzte - Johann - am 23.12.1863 in St. Wendel gestorben. Ihre Mutter hatte nur einen Bruder - Johann Georg Kreuz -, der am 30.12.1854 in Oberlinxweiler gestorben war.
Gehen wir aber eine Generation zurück, stoßen wir auf Peter Demuth, einen Bruder von Helenas Großvater Heinrich Demuth. Dessen Tochter Helene, geb. 1802, wohnte mit ihrem Ehemann Matthias Schwickerath (1790-1874) in Friedrichsthal. Schwickeraths hatte sich im Laufe seiner Dienstzeit vom einfachen Gendarm zum Brigadier hochgedient, was in etwa dem militärischen Rang eines Obersts entspricht. Wenn man sich vorstellt, daß für einem sog „Beritt“, der in der Regel einen Landkreis umfaßte, ein Oberwachtmeister vorstand, mehrere Beritte einem Distriktoffizier und ein Brigadier mehrere Distriktoffiziere unter sich hatte, dann war ein Brigadier sicher ein gut dotierter Posten.[107] Damit hat Matthias Schwickerath gute Chancen, der „reiche Onkel“ Helenas gewesen zu sein.
Daß er zu Helena ein gutes Verhältnis hatte, mag daran gelegen sein, daß seine Ehefrau Helena große Chancen hat, die Patin „unserer“ Helena gewesen zu sein. Sie starb im Dezember 1873.
Leider beruhen die letzten beiden Abschnitte auf Spekulationen, die ich letzten Endes durch Fakten nicht belegen kann.
Aber wenn es stimmen sollte, hätten wir ein Hinweis, daß Helena mindestens einmal auf Besuch in Friedrichsthal war.
Doch leider findet sich von diesem Besuch in unseren Archiven nicht ein Hinweis. Ein neuer Paß ist nicht ausgestellt worden.
1888 - die Vollmacht aus London
Ihre letzte Reise nach St. Wendel unternahm Lenchen im Sommer 1888:
„Weiter ist bekannt, daß Helena im Sommer 1888 nach St. Wendel reiste. Am 11. Juli 1888 fuhr sie von London über Koblenz in die Heimat. Von St. Wendel aus begab sie sich Ende des Monats mit Freunden der Familie Marx nach Paris, um Marx' Tochter Laura und deren Familie zu besuchen. Man benutzte den Nachtzug und kam am 31. Juli 1888 in Paris an. Am 4. August 1888 war sie wieder in London.“ [108]
Von dieser Reise wissen wir aus verschiedenen Briefen von Friedrich Engels an an Laura Lafargue in Le Perreux-sur-Marne, nur ein paar Kilometer östlich von Paris. Helena wird meist mit ihrem in der Familie gebrauchten Spitznamen „Nim“ bezeichnet.
„London, 6. Juli1 1888
Meine liebe Laura, Heute schreibe ich geschäftlich, daher kurz und, wie ich hoffe, angenehm. Jollymeier kam gestern abend und reist nächste Woche nach Deutschland ab, wahrscheinlich am Mittwoch. Er wird nicht genügend Zeit haben, um über Paris zurückzukehren, doch sieht der jetzige Plan vor, daß Nim ihn bis Koblenz begleitet und dann nach St. Wendel reist, um ihre Freunde zu besuchen. Sie beabsichtigt, über Paris zurückzufahren, vorausgesetzt, daß Du und die Kinder dort seid. Würdest Du deshalb so gut sein und uns durch einen Brief, möglichst am Sonntag, aber spätestens am Montag, Bescheid geben, ob Du 1. zu Hause sein wirst und 2. ob die Kinder um den 26. oder 28. Juli in Asnieres sein werden?“[109]
„London, 15. Juli 1888
Meine liebe Laura, Du fragst, weshalb Schorlemmer nicht auch kommen kann, und Du hoffst, Pumps in Le Perreux zu sehen. Nun, ich befürchte, Dein Wunsch wird erfüllt und Deine Frage mehr als genug beantwortet werden. Nachdem Pumps' Junge außerordentlich schnell genesen ist, kam man am letzten Montag zu überraschenden Entschlüssen, und am Mittwoch machte sich die ganze Gesellschaft - Jollymeier, Nim und Pumps - auf den Weg nach Deutschland. Pumps zu Paulis, Nim nach St. Wendel. Und dann sollen Pumps und Schorlemmer, wie es hier vereinbart wurde, Nim aus St. Wendel abholen und alle drei nach Paris fahren, wo sie vermutlich am 29. oder 30. Juli eintreffen werden - sie werden Dir aber Bescheid geben. Nim und Schorlemmer müssen Sonnabend, den 4. August, wieder hier sein; Pumps sprach davon, von Paris nach St.-Malo und Jersey zu fahren, wohin Percy die Kinder bringen will. Wie Du es anstellen willst, die ganze Gesellschaft unterzubringen, übersteigt meine Vorstellung. Aber Nim meinte, Du würdest diese Schwierigkeiten schon meistern. Auf jeden Fall wirst Du hierfür etwas Geld nötig haben, und ich werde nicht versäumen, es Dir rechtzeitig zu schicken.“[110]
„London, 30 Juli 88
Meine liebe Laura, Ich hoffe, daß Du jetzt die Reisenden [Helene Demuth und Mary Ellen Rosher] bei Dir hast.“[111]
„4. Aug. 88
Da Montag Bank Höliday ist, wo man nichts machen kann, weil alle Läden geschlossen, und wir Dienstag von hier fortmüssen, so hab ich noch allerlei zu besorgen - muß auch um 5.40 an Charing Gross Lenchen und Pumps (die seit 7 Jahren verheiratet ist und 2 Kinder hat) auf der Rückkunft von Deutschland resp. Paris abholen und daher schließen. Auch ich freue mich ungeheuer aufs Wiedersehn.“[112]
„London, 6. Aug. 88
Meine liebe Laura,
Unsere Reisenden trafen am Sonnabend hier wohlbehalten ein, wenn auch mit einer halben Stunde Verspätung, und wie Ihr durch unsere Postkarte erfahren haben werdet, fanden Eure Johannisbeeren - sowohl die Beeren als auch der Saft, den Helen - ich meine Nim - herausgepreßt hatte, höchste und allgemeine Anerkennung. Die Begeisterung über Euren Garten ist nahezu grenzenlos, und ich glaube, daß beide, Pumps wie auch Nim, davon träumen. Trotz ihrer ziemlich stürmischen Überfahrt war keine seekrank, sie waren klug genug, sich sofort hinzulegen.“[113]
Um zu erläutern, warum diese Reise erwähnenswert ist, lassen Sie mich etwas ausholen. Sie erinnern sich, daß wir keine Unterlagen haben über den Verbleib des Hauses im Graben, nachdem Michel Demuth und seine Frau es 1818 ersteigert haben. Nach dem Tod des Vaters 1826 kommt es an die Erben, aber nicht an alle, denn weder Mutter noch eins der fünf Kinder erhalten einen Anteil der väterlichen Hälfte. Nach dem Tod der Mutter 1848 wohnt Katharina alleine im Hause; drei der anderen Kinder heiraten, sterben und/oder ziehen fort:
=> Barbara heiratet, stirbt aber schon 1834 - was mit ihrem Anteil geschieht resp. ob ihr Ehemann sich mit den Geschwistern vergleicht, ist unsicher
=> Peter Demuth verkauft 1840 seine Anteile an seine Mutter und wandert nach Amerika aus
=> Helena zieht nach London (behält aber ihren Anteil).
=> die geistig behinderte Elisabeth bleibt bis zu ihrem Tod 1852 unter Katharinas Obhut
Katharinas Viertel geht nach ihrem Tod 1873 nicht auf ihre überlebenden Kinder Elisabeth, Jakob und Josef über, denn die drei sind unehelich geboren und von der Mutter nie formell anerkannt worden - deshalb sind sie nicht erbberechtigt. Das mag unrecht und unfair erscheinen - letzteres ist es sicher, aber so lautet das Gesetz. Das ist geregelt im Code Civil im 3. Buch: „Die verschiedenen Erwerbsarten des Eigentums“ im Dritten Kapitel: „Die verschiedenen Erbfolgeordnungen“, im Sechsten Abschnitt: „Erbrechte der unehelichen Kinder, die gesetzmäßig anerkannt sind und Rechte der Eltern an dem Nachlaß dieser Kinder“ und dort im Artikel 756:
„Das Gesetz gewährt den unehelichen Kindern Rechte an den Gütern ihres verstorbenen Vaters oder ihrer verstorbenen Mutter nur, wenn sie gesetzesmäßig anerkannt sind. Die gesetzesmäßig anerkannten unehelichen Kinder sind als Erben am Nachlasse ihres verstorbenen Vaters oder ihrer verstorbenen Mutter berufen.“[114]
Deshalb wird Adolf Riefer, der einzige überlebende Sohn aus Katharinas Heirat mit Peter Riefer, nach dem Tod seiner Mutter 1873 zusammen mit seinem Vater Peter Erbe ihres Anteils am Wohnhaus im Graben.
Im Dezember 1888 bewirbt sich Riefer um die Stelle des Bahnhofswirtes in Sarrebourg. Vielleicht um den Umzug zu bewerkstelligen, vielleicht als Startkapital - jedenfalls braucht er Geld, das er nicht hat. Also beschließt er, bei der Kreisspar= und Darlehnskasse in St. Wendel ein Darlehen von 1200 Mark in bar aufzunehmen und das Wohnhaus im Graben als Sicherheit zu geben. Nun kann man nur als Sicherheit geben, was einem auch gehört. In seinem Fall ist das nicht das ganze Haus, sondern nur die Hälfte - die andere gehört seiner Tante Helena in London. Ihm und ihr gehört das Haus gemeinschaftlich.
Es kann gut sein, daß Adolf seine Tante Helena bei ihrem Besuch im Sommer schon darauf angesprochen und eine entsprechende Vereinbarung getroffen hat. Was jetzt noch fehlt, ist ihre Unterschrift. Am 4. Dezember 1888 besucht Helena in London einen öffentlichen Notar und läßt eine Vollmacht aufsetzen:[115]
„Comerford & Co., Public Notaries and translators, 7 Tokenhouse Yard, London.
Ich, Robert Homfray, James Comerford, durch Königliche Autorität gehörig zugelassener und vereidigter öffentlicher Notar in der City von London, bescheinige hiermit, daß am heutigen Tage Fraulein Helena Demüth, wohnhaft No 122 Regents Park, Road London, und von Person bekannt, vor mir erschien und die angeheftete Vollmacht in meiner Gegenwart sowie im Beisein der hinzugerufenen, mitunterzeichneten Zeugen Auguste Leopold Picaud und Gerald Fitz-Allan Bird, beide von hier, unterschrieben hat.
Zum Zeugniß dessen habe ich hierunter meinen Namen gezeichnet und mein Amtssiegel beigefügt. London, am Vierten Tage im Monat Dezember Eintausend Achthundert Acht und Achtzig.
Nota bene
Robert H. J. Comerford, Not: Pub:
Vollmacht. Ich Endes Unterschriebene Helena Demuth, Aufseherin zu London wohnend, bevollmächtige hierdurch den Adolph Riefer, Kaufmann zu St. Wendel, Rheinpreussen, Germany, wohnend, auf mein aus dem Nachlasse meiner Eltern Michel Demuth und Katharina Creuz herrührenden Wohnhause, gelegen in der Grabenstraße zu St. Wendel, neben Wendel Enkrich und Michel Kockler, soweit mein Antheil dasselben sich aus der Gemeinschaft mit meiner verstorbenen Schwester Katharina Riefer, der Mutter des gegenwärtig Bevollmächtigten, ein Kapital in der Höhe wie dasselbe dem Preis entsprechend gegeben wird, und welcher mir rechtmäßig zukommt, bei irgendeiner Casse oder bei einem Privatmann oder sonstigem Institut aufzunehmen und gültige Quittung darüber zu erteilen und in dieser Angelegenheit alle mir zustehenden Rechte auszuüben, alles für mich zu thun und vorzunehmen, was er in meinem Interese für angemessen erachtet wird und die Verhältnisse bis zur Erledigung nur immer erfordern mögen. Alles unter dem Versprechen unbedingter Genehmigung.
London, den 4ten December 1888“
Nach geschehener Vorlesung wird die Vollmacht von ihr und den beiden Zeugen unterschrieben.
Bevor sie allerdings nach Deutschland geschickt werden kann, muß noch die Echtheit der Unterschrift des Herrn Notars bestätigt werden:
„No 315. Gesehen im Kais: Deutschen General Consulte zu London zur Beglaubigung umstehener Unterschrift des Herrn Robert H. Homerfort, oeffentlichen Notars hierselbst.
London den 4 December 1888
Der Kaiserliche General Consul
In Vertretung
Eschke [?]
Viceconsul“
Weiter geht es per Post nach St. Wendel an den Notar Schneider, der sodann im Beisein des Sekretärs Peter Braun aus Breiten als Vertreter der Bank und Adolf Riefer den Darlehensvertrag aufsetzt. Darin wird vereinbart, daß Riefer „dieses Darlehnskapital bei Ablauf von drei Monaten nach einer beiden Theilen zu jeder Zeit freistehenden Aufkündigung in einer ungetheilten Summe zurückzuzahlen und deshalben bis zur Wiederablage alljährlich am letzten Dezember vom heutigen Tage an gerechnet nach dem Fuße zu fünf Prozent zu verzinsen“. Eine genaue Darlehenszeit wird nicht vereinbart.
Das Wohnhaus im Graben ist zur Zeit bei der Rheinischen Provinzial=Feuer=Societät zu 3000 Mark versichert. Unterzeichnet wird der Vertrag im Beisein der Zeugen, der St. Wendeler Kaufleute Philipp Lantz und Johann Baptist Lichtherz (1850-1929), von Riefer, dem Notar und den Zeugen.
Warum ist Helena bei Familie Marx geblieben?
Über diese Frage habe ich mir viele Gedanken gemacht, bin aber nicht wirklich zu einem Resultat gekommen.
Jochen Oltmer erklärt den Begriff der „Dienstmädchen-oder Hausarbeiterinnenwanderung“ als eine Migration im Feld der haushaltsnahen Dienstleistungen. Dabei entwickelt die Betroffene häufig enge Bindungen an die Arbeitgeberfamilie und nimmt dafür völlig ungeregelte Arbeitszeiten und prekäre Lohnverhältnisse in Kauf.[116]
Als ich die Definition las, wurde mir klar, daß sie bei Helena 100%ig zutrifft. In zahlreichen Briefen - „aktuellen“ wie solchen aus der Erinnerung - wird ihre Anhänglichkeit, ja Liebe zu den Kindern der Familie Marx geschildert, von den Umständen ihrer eigenen Schwangerschaft ganz zu schweigen. Ich nehme an, daß es das Wort „Arbeitszeit“ in seiner heutigen Bedeutung in ihrem Sprachgebrauch nicht gab. Klar wird sie geschimpft haben, bevorzugt wenn sonst niemand zuhört, und sicher wird sie auch oft ob ihrer eigenen Entscheidungen gehadert haben, aber nachdem ihre Entscheidung gefallen war, bei Marxens zu bleiben, gab es auch kein Zurück mehr nach St. Wendel.
Und - wo hätte sie dort hinsollen? Ihre Mutter und später ihre Schwestern lebten in elenden Verhältnissen, die für Katherina mit ihren drei unehelichen Kindern erst lange nach dem Tod ihrer Mutter durch den Tod ihrer Schwester Elisabeth halbwegs endeten, weil sie sich verheiraten konnte.
Da war nichts, wohin Helena hätte zurückkehren können.
Von den finanziellen Aspekten einer solchen Reise ganz zu schweigen.
Nachdem sie sich der Familie Marx angeschlossen hatte, gab es für sie kein Zurück mehr.
Religion
„Opium für das Volk“, so hat Karl Marx die Religion genannt. Dabei stammte er nicht etwa aus einem atheistischen Elternhaus - sein Vater war konvertierter Jude, und Marx heiratete seine Jenny in der lutherischen Kirche in Kreuznach (damals noch ohne „Bad“).
Aber in London habe ich auf Anhieb keine Zeichen religiöser Betätigung gefunden, etwa bei den Taufen ihrer Kinder oder deren Beerdigungen - wobei ich gestehen muß, nicht besonders intensiv danach gesucht zu haben.
Ob diese Nichtbeachtung religiöser Dinge auch auf die anderen Personen im Marx’schen Haushalt Niederschlag fand, kann nicht bewiesen, aber stark vermutet werden.
Helena Demuth stammt aus einem katholisch geprägten Elternhaus, was in St. Wendel, wo bis 1783 ausschließlich Katholiken sich niederlassen und wohnen durften, bis ins späte 20. Jahrhundert die Regel war. Mit den Beamten der koburgischen Verwaltung und ihren Familien ist ab 1816 das erste größere „Kontingent“ Protestanten nach St. Wendel gekommen, und die Wiedereinwanderung von Juden beginnt in den 1860ern nach der Angliederung der Stadt an das entstehende Eisenbahnnetz.
Getauft wird sie von Pfarrer Feilen in der katholischen Pfarrkirche mitten in St. Wendel, die damals wie heute ob ihrer Göße euphemistisch „Wendelsdom“ genannt wird.
„trigesima nata et altera renata est
141 Demuth, Helena
Filia legitima Michaelis Demuth, pistoris, et Catharinae Kreuz ex S. Wendalino, levantibus Helena Demuth, et Joanne Demuth, pistore, ambobus ex S. Wendalino.
In fidem M. Feilen, Past.“
„Geboren am 30ten und getauft am folgenden Tag.
Nr. 141
Demuth, Helena
Eheliche Tochter des Bäckers Michel Demuth und der Catharina Creuz in St. Wendel, Paten: Helena Demuth und Johann Demuth, Bäcker, beide aus St. Wendel. Dies bezeugt M. Feilen, Pastor.“[117]
Ist Ihnen die Differenz aufgefallen? Im Standesamtseintrag vom 31. steht, sie sei am heutigen Tage um 1 Uhr morgens geboren worden; im Taufeintrag wird sie am 30ten geboren und am 31ten getauft. Auf die Frage Pastor Feilens nach dem Zeitpunkt der Geburt mag geantwortet worden sein: „Die Naachd!“, die im Dezember um 16 Uhr anfängt und morgens nicht vor 9 Uhr vorbei ist. Hatte die Uhr schon Mitternacht geschlagen? ??? Da wird schnell aus „nach 12“ „vor 12“.
Ihre Paten sind - wie das bei uns heute noch so üblich ist - im nahen Verwandtenkreis zu suchen:
Ihr Pate Johann Demuth, geboren am 11. März 1803 in St. Wendel, seines Zeichens Bäcker, ist der jüngste, die Kindheit überlebende Bruder ihres Vaters Michel. Ihre Großeltern Heinrich Demuth und Elisabeth Maldener, die beide nur 56 und 59 Jahre alt wurden, hatten 14 Kinder, von denen nur 4 das Erwachsenenalter erreichten. Und von denen wurde nur einer, Helenas Pate Johann, älter als 50 Jahre.
Ihre Alterstabelle ist grausig zu lesen:
Jahre Tage
Heinrich Demuth 56 275
Elisabeth Maldener 49 32
Jakob 0 315
Heinrich 0 2
Michel 37 201
Helena 0 1
Tochter 0 0
Sohn 0 0
Tochter 0 0
Margarethe 26 113
Peter 22 177
Heinrich 11 225
Sohn 0 0
Johann 60 40
Jakob 0 1
Nikolaus 0 1
Von Helenas Patin kennen wir nur den Namen „Helena Demuth“ und daß sie in St. Wendel wohnte. Drei Frauen kommen vom Geburtsdatum her in Frage:
1. Helena Demuth, geboren am 26.10.1765 in St. Wendel
Tochter von Heinrich Demuth und Klara Keller.
Aber sie ist am 08.04.1790 in St. Wendel im Alter von 25 Jahre gestorben.
2. Helena Demuth, geboren am 18.12.1802 in St. Wendel
Eltern: Peter Demuth und Margarethe Hatz
Sie heiratete am 2. Januar 1828 in St. Wendel den Wachtmeister Matthias Schwickerath aus Saarburg. Ihre sieben Kinder kamen alle in St. Wendel auf die Welt, aber nach 1846 (da war der Ehemann schon in Pension) zog die Familie zuerst nach Bannbrück, Gemeinde Sulzbach, dann nach Friedrichshal.
2. Helena Demuth, geboren am 03.06.1807 in St. Wendel
Tochter von Wendel Demuth und Anna Maria Hallauer.
Sie heiratete (ebenfalls am 02.01.1828 in St. Wendel) den Gerber Franz Knoll aus St. Wendel (1804-1880).
Wer als Paten in Frage kommt, ist heute im sog. CIC, dem „Codex Iuris Canonici”, geregelt, dem “Kodex des kanonischen Rechts”. Die jetzige Version aus dem Jahre 1983 beruht auf dem ersten CIC überhaupt, der im Jahre 1917 in Kraft trat. Seine Wurzeln sind über 2000 Jahre alt:
Im ersten Jahrtausend bestand kein einheitliches Kirchenrecht, sondern nur die lokalen kirchenrechtlichen Regelungen der Ortskirchen, ergänzt durch die Dekrete des Papstes. Sie wurden erst im Mittelalter nach und nach in Sammlungen wie Liber Extra (1234), Liber Sextus (1298) und Clementinae (Anfang 14. Jahrhundert) zusammengefasst. Die meisten Regelungen lehnten sich an die römische Rechtsprechungspraxis des Corpus Iuris Civilis von Kaiser Justinian I. aus dem Jahr 533 an. Sie führten zur Schaffung entsprechender Gerichtsverfahren in Form der Inquisition mit kollegial arbeitenden Kirchengerichten.
Die sechs wichtigsten so entstandenen Kompilationen bildeten zusammen das Corpus Iuris Canonici und in dessen überarbeiteter Fassung von 1582 somit bis 1917 das in der katholischen Kirche geltende Kirchenrecht. Problem dieses Rechtes war, dass es stets nur dort galt, wo es promulgiert wurde. Teilweise gab es in verschiedenen Gegenden der Welt sogar Gesetze, die gegensätzlich waren. Dies änderte sich erst mit dem Erscheinen des Codex Iuris Canonici, der universelle Gültigkeit hatte.[118]
Heute muß der Pate oder die Patin, die bei uns umgangssprachlich „Padd“ und „Gòòd“ genannt werden, 16 Jahre alt (lt. CIC 1917 mind. 14 Jahre alt[119]), weder Vater noch Mutter des Täuflings, katholisch, nicht aus der Kirche ausgetreten oder einer Kirchenstrafe unterworfen sein. Und: er muß gefirmt sein. In Ausnahmefällen kann das Alter auf 14 Jahre herabgesetzt werden.[120]
In St. Wendel wurden Firmungen durch u.a. in den Jahren 1807, 1826 und 1835 vorgenommen. Beide Frauen können also zum Zeitpunkt von Lenchens Geburt 1820 noch nicht gefirmt gewesen sein, sofern dies nicht woanders als in St. Wendel geschehen ist.
Die 1807 geborene Helena, im Dezember 1820 gerade 13 Jahre alt, wurde am 3. Juni 1826 im Alter von 19 Jahren von Bischof Josef von Hommer zusammen mit ihren Geschwistern Karl Heinrich, Maria, Catharina und Anna Maria gefirmt.[121]
Bleibt noch Helena Demuth von 1803, deren Firmdatum in unserem Buch in keinem der drei Jahre vermerkt ist.
Wie ich aber schon im Kapitel „1873 - Besuch bei ihrer Schwester“ ausgeführt habe, kommt Helene Demuth, geboren 1802, in die nähere Auswahl, weil ihr Ehemann Matthias Schwickerath 1873 bei Helenas Besuch in St. Wendel der einzige noch lebende Onkel Helenas war.
Während Helena Demuths Taufe im Register der hiesigen Pfarrei bezeugt ist, fehlt ein Buch mit den Einträgen der Erstkommunion, die sie sicher im Alter von acht oder neun Jahren ebenfalls hier begangen hat. Bezeugt ist erst wieder die Firmung im Jahre 1835.
Am 28. Mai dieses Jahres werden von Weihbischof Wihelm Günther im Auftrag des Trierer Erzbischofs Joseph von Hommer in der Pfarrkirche von St. Wendel u.a. Catharina, Peter und Helena, alle drei Kinder von Michel Demuth und Catharina Creuz, gefirmt.
Aus dem Firmbuch der Pfarrei St. Wendelin (Auszug)
Nr. | Vorname | Nachname | Eltern |
163 | Maria | Keller | Jacobi et Annae Mariae Diesinger |
164 | |||
165 | Catharina | Demuth | Michaelis et Catharinae Kreuz |
166 | |||
167 | |||
168 | Johannes | Burg | Josephi et Angelae Weber |
Das ist der zweitletzte Hinweis auf Helenas Beziehung zur Religion. Weder sie noch ihre Schwester Anna Maria, genannt „Marianne“ sind in Anwesenheit eines Priesters beerdigt worden.
Auf der Website „www.deceasedonline.com“ kann man sich nach vorheriger Registrierung und gegen eine relativ geringe Gebühr von 1,50 bis 2 Britischen Pfund u.a. alle Bestattungen anschauen, die auf dem Highgate Cemetery vorgenommen wurden.
Helena Demuth kommt dort zweimal vor: zum einen die Erstbestattung kurz nach ihrem Tod, zum zweiten ihre Umbettung ins Marx’sche Familiengrab im November 1954.
Date = Bestattungsdatum
Surname = Nachname
Christian name = Vorname
Age = Alter
Con. or Uncon. = geweihte oder nicht geweihte Erde
Number = Bestattungsnummer
Square = Feld
Common or private = öffentliches oder privates Grab
1890, 5. November
Demuth, Helena, 67[122]
Nicht geweihte Erde
Nr. 24748, Feld 111
PG = = Privatgrab[123]
Auf dem Highgate Cemetery (und auf anderen englischen Friedhöfen) gab es zwei Sektionen - die geweihte Erde, die 15 der 17 acres Land einnahm, und die ungeweihte Erde (die restlichen 2 acres).
Zwei Kollegen der „Association of Professional Genealogists“, Michael J. Leclerc aus Boston, MA, und Caroline Gurney aus dem Vereinigten Königreich, haben mir davon abgeraten, voreilige Schlüsse über „geweiht“ und „nicht geweiht“ zu ziehen:
„Die Kirche von England (Church of England, kurz: C of E) ist die etablierte Kirche, d.h. in England ist sie die Staatskirche (nur in England, nicht im restlichen Vereinigten Königreich). Oberhaupt ist die Königin, und zwei Erzbischöfe plus 24 Bischöfe haben einen Sitz im britischen Oberhaus (House of the Lords). Es gibt keine Trennung zwischen Kirche und Staats. Deshalb haben englische Friedhöfe, die durch zivile Behörden verwaltet werden, eine Sektion, die durch die C of E geweiht wurde.
Die „ungeweihte“ Sektion auf Friedhöfen bezieht sich einfach nur auf den Teil des Friedhofs, der nicht durch die C of E geweiht wurde. Innerhalb der „ungeweihten“ Sektion mag es durchaus kleinere Einheiten geben, die für Bestattungen anderer religiöser Gruppen (Katholiken, Juden, Moslems usw.) vorbehalten sind. Diese Einheiten würden dann im Sinne des Glaubens dieser speziellen Gruppen geweiht werden, obwohl sie nicht unter „geweiht“ geführt werden. Dort, wo solche Einheiten nicht existieren, mögen einzelne Gräber während der Bestattung gesegnet oder auf andere Art konsekriert werden.
Deshalb kannst Du keine Vermutungen über die religiösen Ansichten einer Person anstellen, die in einer „ungeweihten Sektion“ eines öffentlichen Friedhof begraben liegt, noch darüber, ob ein Priester einer Religion die Beerdigung vorgenommen hat. Solch eine Information findet man entweder in den Aufzeichnungen einer bestimmten Beerdigung im Friedhofsregister, in den Registern einzelner religiöser Gruppen, zu denen der Verstorbenen gehörte (wenn es diese zusätzlich zum Friedhofsregister gibt) oder auf dem Grabstein, wenn er noch vorhanden ist.“
Die alte Platte des Marx’schen Familiengrabes im November 2017. Kurz nach diesem Foto, aufgenommen von Klaus Gietinger aus Saarbrücken, wurde sie restauriert.
Auch Anna Maria Kreuz fand ihre letzte Ruhestätte in nicht geweihter Erde - auf dem Friedhof St. Pancras:
Auftragsdatum 26. Dezember 1862
Registernummer 22.004
Name Mary Kreuz
Aufenthalt 9 Grafton Terrace
Wann beerdigt 27. Dezember
Alter 26 Jahre
Wer führte die Zeremonie durch J. Freeman
Consecrated or Unconsecrated Uncon.
[Geweiht oder ungeweiht ungeweiht]
Name and Address of Owner of Grave
[Name u. Anschrift des Grabeigentümers (keine Angabe)]
Day and Hour of Burial Saturday, ½ p. Three
O’Clock, P.M.
[Tag und Stunde der Beerdigung Samstag, 15.30 Uhr]
Description 3rd blan
[Beschreibung (?)]
Grave, Size 6 ft 6
[Grab, Größe 6 Fuß 6 Inches]
Depth 7 ft
[Tiefe 7 Fuß]
No 57
[No 57]
Square 10 square feet
[Fläche 10 Quadratfuß]
Name of Undertaker Mr. Jordan
[Name des Bestatters Mr. Jordan]
Adress Newberry Place
[Anschrift Newberry Place]
Die Frage stellt sich, ob Mr. Freeman, der die Beerdigung durchführte, als Priester oder „ziviler“ Bestatter agierte? Eine Antwort mag uns geben, wer da von wem an dem Tag noch bestattet wurde.
lfd Nr. | Name | Alter | Bestatter | Status |
22.001 | Archibald Webster | 1 J 8 m | J. Freeman | ungeweiht |
22.002 | Catharine Emily Wilson | 2 J 6 m | Rev. H.P. | geweiht |
22.003 | Mary Margaret Flood | 26 J | J. Freeman | ungeweiht |
22.004 | Mary Kreuz | 26 J | J. Freeman | ungeweiht |
22.005 | James Little | 55 J | J. Freeman | ungeweiht |
Zumindest bei Catherine Emily Wilson wissen wir, daß ein Priester der anglikanischen Kirche die Beerdigung vornahm. Aber ob J. Freeman Geistlicher war, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Wohl eher nicht, sonst wäre er wohl mit einem Titel genannt.
Ob nun ein Priester an den Beerdigungen teilnahm oder nicht - ich habe für Sonntag, 4. November 2018, in der Wendalinusbasilika in St. Wendel - damals noch „nur“ katholische Pfarrkirche -, in der sie getauft und gefirmt wurden, eine Messe für die beiden Schwestern bestellt.
Miscellen
Eine wahre Fundgrube an Aussagen über Helene Demuth und ihr Leben sind u.a. die Briefe Friedrich Engels, die 1979 in der Reihe „Marx - Engels - Werke“ veröffentlicht wurden. Immer wieder wird sie genannt, mal beiläufig, mal als Hauptperson einer Bemerkung, eines Geschehnisses, einer Beobachtung. Sehr oft ist es nur ein Gruß von „Nim“, wie sie oft genannt wird, oder „Lenchen“, selten mit ihrem vollen Namen. Ich bin die Bände 35 bis 37 durchgegangen und habe einiges herausgezogen, was ich hier ohne unmittelbaren Bezug zur „Handlung“ zitieren möchte. Es mag Wichtigeres geben, nun - hier ist meine Auswahl.
Allerlei
Engels an Marx in Ventnor[124]
London, 8. Jan. 1882
Morgen hören hier die Feiertage auf, Schorlemmer geht zurück nach Manchester, und die Schanzerei fängt wieder an, ich freue mich drauf, es wurde bald zuviel. Dienstag bei Lenchen, Freitag bei Pumps, gestern bei Lafargue]s, heute bei mir - und des Morgens ewiges Pilsener - , das kann nicht ewig dauern. Lenchen war und ist natürlich immer dabei, so daß sie ihre Einsamkeit nicht zu sehr spürt.
Engels an Laura Lafargue[125]
19.08.1883
Nim läßt Dir wörtlich bestellen, Du sollst „ihr Glück gut im Auge behalten, da sie es bald zu haben hofft".
[Anspielung auf einen erhofften Lotteriegewinn].
Engels an Laura Lafargue in Paris[126]
48, Marine Parade, Worthing, 06.08.1884
Nim sagt eben, sie hoffe, am 31. Juli bei der großen Ziehung in Paris ein Vermögen gewonnen zu haben. Wenn das wahr ist, dann mußt Du sofort an die Baronin de Demuth unter obiger Adresse telegraphieren, sie möchte dann nämlich mit einem großartigen Schmaus aufwarten.
Engels an Laura Lafargue in Paris[127]
London, 12. Nov. 87
Nim schneidet sich immer wieder mal mit dem einen, mal mit dem anderen Küchengerät in die Finger.
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux[128]
London, 16. April 90
Ich fürchte, ich werde keinen Deiner beiden Hunde nehmen können. Einer davon ist eine Hündin, und Nim weigert sich entschieden, wieder die Ermordung der unschuldigen Kindlein durchführen zu müssen, (…)
Engels an Wilhelm Liebknecht in Berlin[129]
London, 7.10.90
Was am „Volksblatt" zuerst zu beseitigen ist, ist der ertötend langweilige Ton, der da eingerissen ist. Das „Hamburger Echo" ist ein Weltblatt daneben, da sind nur die Leitartikel trocken, sonst herrscht ein großstädtischer, weltmännischer Ton, aber das „Volksblatt" wird größtenteils im Schlaf geschrieben, und Lenchen behauptet, die „Sankt Johann-Saarbrücker Zeitung" sei interessanter. Diesen Eindruck der Einschläferung hat das Blatt von jeher auf uns gemacht.
Klatsch
Diese Klatschgeschichte ist etwas lang und langatmig geraten, aber mir hat Lenchens Reaktion darauf so gut gefallen. Ganz cool.
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken[130]
London, 4. Juni 1887
Nun neuer Klatsch. Kaum sind wir mit der New-Yorker Exekutive einigermaßen fertig, so schreibt mir die Mutter Schack, sie könne mein Haus nicht besuchen, weil sie mit Aveling nicht zusammenkommen könne, gegen den schwerwiegende Tatsachen vorlägen, weit schwerer als die amerikanischen Anklagen etc. Auf meine Aufforderung, sie möge spezifizieren und Beweise beibringen, antwortet sie mit geheimnisvollen Insinuationen, die der ärgsten Klatschschwester würdig, lehnt alle Einzelangaben und Beweise ab, fordert mich auf, ich soll mich in London selbst über Avelings Vorleben erkundigen und verspricht ihre Beihülfe! Ich habe ihr natürlich geantwortet, ich habe keine Verpflichtung noch Lust, wenn sie etwas behaupte, dafür die Beweise beizubringen; das sei ihre Schuldigkeit, und da sie das verweigere, so sei ich ihr für ihren Entschluß, mich nicht mehr zu besuchen, sehr dankbar.
Ich belästige Dich hiermit nur, weil die Schack jedenfalls ihrer Busenfreundin Wischnewetzky ein langes und breites darüber schreiben wird und man Dich damit möglicherweise behelligt. Der ganze Klatsch geht von den Frommen aus, die wütend sind, daß Aveling als Sohn eines sehr renommierten Pfaffen (Congregationalist), der übrigens bis zu seinem neulichen Tode auf dem besten Fuß mit ihm stand, in die unrespektable Bradlaughsche Atheistenagitation eintrat, und wird jetzt von Bradlaugh & Co. mit Wollust weiterverbreitet, weil Aveling zum Sozialismus übergegangen ist. Er dreht sich um zwei Punkte, daß seine erste Frau getrennt von ihm lebt und auf ihn schimpft - sie ist ihm mit einem Pfaffen durchgegangen - und daß er den Puckel voll Schulden hat. (…) An diesen Schulden hat Aveling nun abzuzahlen, daß er schwarz wird. Er ist in Geldsachen so leicht zu prellen wie ein dreijähriges Kind, und man braucht ihn nur bei der Ehre zu fassen, so tut er mehr als man verlangt. Und wie immer werden dann diese Leute, die im Geldpunkt von einer lächerlich übertriebnen Edelmütigkeit sind, als Geldpreller verschrien. Alles das hätte die Schack von mir erfahren können, wenn sie mich einfach gefragt. Aber das war nicht, was ihr paßte. Es handelte sich um ganz was andres. Die Schack - sonst eine ganz umgängliche lustige Person - hat den Drang, à tout prix eine Rolle zu spielen. Durch Polizeischikanen wegen ihrer Polemik gegen die Sittenpolizei in unsre Partei gedrängt, hat sie in Deutschland eine Frauenagitation gemacht, die unter andern Umständen einen Zweck hätte haben können, unter dem Sozialistengesetz aber nur den Erfolg hatte, daß, wie Singer mir erzählt, sie der Partei drei Geheimbundsprozesse auf den Hals lud, indem die Weiber, sobald sie sich untereinander zankten, die Tätigkeit der Männer in der Parteiorganisation ausklatschten wo nicht denunzierten. Glücklicherweise legte ihr die Polizei auch dies Handwerk.
Jetzt kommt sie her, verkehrt fortwährend mit den frommen Bourgeoisweibern der Anti-Contagious-Diseases Acts Agitation (gegen die versuchte Einführung der staatlich konzessionierten und beaufsichtigten Hurenhäuser und für den Freihandel in Hurenfleisch, eine Sache, die an sich manches für sich hat), von denen sie all den Klatsch über Aveling etc. aufnimmt, andrerseits mit den anarchistischen Elementen der League, die ihr denselben Klatsch mit Wollust teils abhören, teils neu erzählen, und wirft sich mehr und mehr auf die Anarchisterei. Da jetzt die Krisis in der League kam, sah sie ein, daß es mit ihren sehr regelmäßigen Besuchen bei mir ein Ende nehmen müsse und suchte nach einem anständigen oder unanständigen Vorwand, um selbst abzubrechen, ehe sie abgebrochen würde. Dazu sollte Aveling herhalten, und daher der ganze Klatsch, der mir nur neue Schreiberei über Lumpereien verursacht, die meinen Augen nicht sehr nützlich sind. Und hiermit lebe wohl für heute.
F. Engels
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken[131]
London, 18. Juni 87
Schluß der Schack-Geschichte: Nachdem ich ihr für ihr Vorhaben, mich ferner nicht mehr zu besuchen, bestens gedankt, gingen Tussy und Aveling Freitag, 10. Juni, zu ihr. Sie empfing nur Tussy, die zu wissen verlangte, welche Tatsachen, und auf welche Beweise hin, sie gegen Aveling vorzubringen habe. - Antwort abermals verweigert. - Tussy erklärt ihr - Frau Kautsky war dabei - , dies sei eine Gemeinheit. - Die Schack: Das lasse ich mir von niemandem sagen. - Tussy: Dann werden Sie es sich jetzt nochmals von mir und in Gegenwart von Louise Kautsky sagen lassen, daß es eine Gemeinheit ist, wenn Sie Anklagen gegen Dritte vorbringen und nicht den Mut haben, dafür einzustehn. - Darauf riß die Schack aus ihrem eignen Schlafzimmer, wo dies stattfand, aus, und ward nicht mehr von Tussy gesehn. Ein paar Tage drauf ging sie nach Deutschland. Sie ist eine der ordinärsten Klatschschwestern, die ich je gesehn, echter preußischer Junkeradel.
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Mount Desert[132]
London, 30. Juni 87
Die Geschichten über die Schack mußt Du nicht vergessen. Die Person will wieder herkommen und partout hier eine Rolle spielen. Da ist's besser, wenn man über sie vollständig im klaren ist. Die Geschichte zwischen ihr und Wischnewetzkys hat hier bei Kautskys und Avelings großen Hurra verursacht; war wohl auch nicht ohne Einfluß auf ihre Schwenkung zu den Anarchisten, als Beweis, daß sie bei uns ausgespielt.
Liebknecht schreibt, sie habe nach Dresden die erschreckliche Neuigkeit geschrieben, Aveling habe eine frühere Frau, von der er nicht geschieden, und lebe mit Tussy, ohne mit ihr verheiratet zu sein! Das ist hier ein so großes Geheimnis, daß Aveling es jedem irgend in diesem Punkt zweifelhaften Engländer, der ihre Bekanntschaft sucht, schriftlich anzeigen, damit er nicht sagen kann, er habe es nicht gewußt und sei under false pretences empfangen worden.
Eines Tages sentimentalisierte sie dem alten Lenchen was vor, die Aveling s schienen sehr ineinander verliebt zu sein, wenn das nur immer so bliebe usw.
„Nun ja", platzte Lenchen heraus, „wenn's nicht so bleibt, dann gehn sie eben wieder auseinander, und dann ist's noch so."
Worauf die Klatschmadam verstummte - diese praktische Auffassung hatte sie von Lenchen nicht erwartet.
Theaterbesuche
Engels an Laura Lafargue in Paris[133]
London, 7.Nov. 1885
Nim ist vergnügt wie immer, wir haben gerade eine Flasche Pilsener gemeinsam geleert. Gestern abend war sie mit Pumps im Lyzeum, um „Olivia" anzusehen; sie sagt, es ist ein regelrechtes Rührstück.
[„Olivia" von William Gorman Wills, das im Lyzeum-Theater in London wiederholt Zur Aufführung gelangte. Es lehnt sich an den Roman „The Vicar of Wakefield" von Oliver Goldsmith an.]
Engels an Paul Lafargue in Paris[134]
London, den 29. Dez. 87
Nim, Jollymeier, Pumps und die Kleinen sind im Theater und sehen sich „Hans the boatman" an, ein amerikanisches Stück, in dem viele Kinder und ein großer Hund vorkommen.
Engels an Laura Lafargue in Paris[135]
London, 26. April 87
Nim ist wohlauf - war gestern abend mit Pumps im Theater - geht diese Woche wieder ins Princess's Theatre, auf Edwards Karten. Bier fließt reichlich - ich verbrauche volle 2 Flaschen am Tag und marschiere drei Meilen, an den letzten paar Sonntagen habe ich ein Glas Portwein getrunken - voilà du progrès! [das ist ein Fortschritt!].
Reisen
Marx an Engels in Bridlington Quay[136]
18. August 1881
Dear Fred,
Nach Empfang der Nachricht über Tussys Zustand beschloß ich, wo möglich noch denselben Tag abzureisen; dagegen sollte meine Frau heute abreisen mit Helen, und zwar first class1, erst nach Amiens und dort übernachten; den Tag darauf nach Boulogne und dort wenigstens einen Tag ausruhn, wenn es ihr aber gefiele, 2 oder 3 Tage; von da nach Folkestone und je nach Zustand von dort gleich nach London oder aber erst (und dies schien mir das beste) mit beliebig gewähltem späterem Zug. Es war mir natürlich peinlich, mich von ihr zu trennen; aber der real support for her is Helen, my own presence [wirkliche Beistand für sie ist Helene, meine eigene Anwesenheit] war nicht absolut nötig. Zudem zwingt meine Abreise sie, sich endlich zu entscheiden zur Trennung von Argenteuil, was bei zunehmender Schwäche doch geschehn mußte.
Zucht und Ordnung
Engels an Laura Lafargue in Paris[137]
London, 21. Mai 87
Soviel für heute - die unerbittliche Nim läutet zu Tisch.
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux[138]
London, 25. Febr. 1888
Mich deucht, ich höre eine gewisse Glocke mich zum Verzehr von - ich glaube wohl, Kalbskoteletts - rufen.
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux[139]
London, den 7. März 90
Ich wollte noch etwas über Lauras Hunde schreiben, aber es ist 5 Uhr, und da ertönt schon der neue Gong (Geschenk von Aveling) zum Essen. - Ein kleiner Konflikt zwischen zwei Pflichten, zwischen Laura und Nim, aber mein Magen schaltet sich ein und entscheidet. Nim kann mir grollen, und Laura ist weit!
Krankheiten und Tod
Engels an Laura Lafargue in Paris[140]
London, 23.11.1884
Meine liebe Laura,
Nim hatte starke Zahnschmerzen; der Zahn war gesund, wackelte aber. Gestern nahm sie eine alte, kleine Zange, die sie aus Maitland Park mitgebracht hatte, zog ihn damit heraus, belohnte ihren Mut mit einem Schluck Brandy und ist jetzt wieder ganz munter.
Engels an Laura Lafargue in Paris[141]
London, 7. Juni 1887
Nim läßt herzlich grüßen. Sie ist nach dem Winter ziemlich asthmatisch
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux[142]
London, 11. Febr. 89
Nim war in der letzten Woche etwas unpäßlich, irgendeine Art Darmstörung, doch jetzt geht es ihr wieder besser.
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux[143]
London, 16.Nov. 1889
Nim hat, was meine selige Frau [Lizzy Burns] „a gammy leg" [ein schlimmes Bein] nannte, Rheumatismus (der Glieder), der vom Knie zu den Hüften und wieder zurück wandert. Das ist natürlich eine sehr veränderliche Größe, leider aber nicht une quantite negligeable [eine zu vernachlässigende Größe].
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux[144]
London, 16. April 90
Nim sagt, sie könne nicht kommen, ihre Tage der Gartenarbeit seien vorbei. Sie hat Rheumatismus im Hüftgelenk - nicht sehr, doch da steckt es drin.
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux[145]
London, 19. Okt. 1890
Und schließlich war Nim die ganze Woche hindurch unpäßlich, legte sich aus eigenem Antrieb am Donnerstag ins Bett und ließ sogar einen Arzt kommen, der ihr jedoch erklärte, daß für sie kein Grund bestehe, das Bett zu hüten; sie könne zumindest einige Stunden aufstehen, was sie nun tut. Er kann noch nicht genau feststellen, was es ist. Es sind Symptome für Leberbeschwerden (Gelbsucht) vorhanden; sie hat keinen Appetit und ist schwach. Es geht ihr jedoch seit gestern abend besser, und auch ihre Stimmung hat sich gebessert. Ich hoffe, daß sie in einigen Tagen wieder wohlauf ist.
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux[146]
London, den 2. Nov. 1890
Mein lieber Lafargue,
Die arme Nim ist sehr krank. Seit einiger Zeit hatte es den Anschein, als ob bei ihr die Menstruation zurückgekehrt wäre, und vor drei Wochen hatte sie einen erheblichen Blutverlust. Dr. Read, den wir konsultiert haben, fand ihre Gesichtsfarbe sehr gelb, er konnte aber keine Spur von Galle in ihrem Urin feststellen - er vermutet einen Gebärmuttertumor, aber er hat sie nicht manuell untersucht. Dann hatte sie Schmerzen in der linken Leistengegend, nachdem Kot die Sigmoidalflexur passierte, waren sie wieder verschwunden, und ich glaubte schon, sie sei auf dem Wege der Besserung, als sich sehr heftige Schmerzen im linken Fuß einstellten. Während dieser ganzen Zeit litt sie an völliger Appetitlosigkeit, doch großem Durst (sie hat fast nur Milch und Bouillon zu sich genommen, ohne feste Nahrung). Die Schmerzen im linken Fuß wurden durch eine Thrombose der Wadenvene verursacht. Das schien den natürlichen Verlauf zu nehmen, die Schmerzen ließen nach, und heute morgen wachte sie nach einer guten Nacht - dem Aussehen nach ziemlich erholt und sogar heiter auf. Aber zwischen 11 und 12 Uhr trat plötzlich ein Wechsel ein, und Read stellte 104°F = 40 °C Temperatur fest, obwohl sie das Thermometer nur 2 Minuten im Mund gehabt hatte; sie fiel in einen Halbschlaf, ihr Bewußtsein ist getrübt, der Puls ist schnell und flatternd, entsprechend der Temperatur. Read vermutet nun, daß bei dem kachektischen Zustand ihres Blut (mehr oder weniger durch die vorangegangenen Symptome angedeutet) dasselbe gerinnt, sich zersetzt und Blutvergiftung eintritt. Heute nachmittag will er versuchen, mit Heath vom Gower-St.-Hospital zu einer Konsultation wiederzukommen.
Das ist alles, was ich Euch in diesem Augenblick schreiben kann. Wenn Heath kommt, werde ich noch das Ergebnis mitteilen. Umarmen Sie Laura von mir.
Ganz der Ihre F.E.
Konsultation mit einem Herrn Pakart, dem einzigen, den man finden konnte. Er denkt, daß eine diffuse Eiterung im Fuß vorhanden ist, die die Blutvergiftung verursacht; man hat die Art des Umschlags verändert und 4 Gran = 4/15 Gramm Chinin verordnet. Man hat, so gut es ging, den Uterus untersucht, aber bis jetzt nichts gefunden außer einer kleinen, etwas verdächtigen Stelle am Gebärmuttermund, der man jedoch „so far" [soweit] keine Bedeutung beimißt. Natürlich besteht nach wie vor die Möglichkeit einer Embolie und damit die Möglichkeit weiterer Komplikationen der Lungen oder sonstwo. Aber der gute Mann sieht den Fall „plus hopeful" [hoffnungsvoller] an als Read.
Wenn eine Veränderung eintritt, schreibe ich morgen wieder.
Nr. 371
4. November 1890
122 Regents Park Road
Helena Demuth
weiblich
67 Jahre
Haushälterin
Cancer of Bowel [Darmkrebs].
Perforative [„durchbohrend“]
Peritonitis [Bauchfellentzündung]
Beglaubigt durch G. Regod __ .
X Das Zeichen von Sarah Parker, die beim Todesfall zugegen war
St. George’s, Mews, Pancras
[beurkundet am] 5. November 1890[147]
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken[148]
5. Nov. 90
Heute habe ich Dir eine Trauernachricht zu melden. Mein gutes, liebes, treues Lenchen ist gestern nachmittag nach kurzer und meist schmerzloser Krankheit sanft eingeschlafen. Wir haben sieben glückliche Jahre hier im Hause zusammen verlebt. Wir waren die zwei Letzten von der alten Garde von vor 1848. Jetzt steh' ich wieder allein da. Wenn während langer Jahre Marx, und in diesen sieben Jahren ich, Ruhe zum Arbeiten fand, so war das wesentlich ihr Werk. Wie es jetzt mit mir werden wird, weiß ich nicht. Ihren wunderbar taktvollen Rat in Parteisachen werde ich auch schmerzlich entbehren. Grüß Deine Frau herzlich und teil es Schlüters mit. Dein F.E.
Engels an Amand Goegg in Renchen (Baden)[149]
London, 4. Dez. 90
Lieber Goegg, Besten Dank für Deine freundlichen Glückwünsche. Wir Alten werden dünn gesäet, daran hat mich auch der Tod meines lieben Lenchens wieder schmerzlich gemahnt. Nun, ein Weilchen wird's wohl noch vorhalten, und ich hoffe es noch brav zu benutzen.
Dein alter F. Engels
Der letzte Brief
Im Jahre 1984 wurde in einem Antiquariat Dr. Helmut Tenner KG in Heidelberg ein bis dahin unbekannter Brief von Friedrich Engels für satte 21.000 DM an eine bis heute der Öffentlichkeit nicht bekannte Person versteigert. Auch ist nicht öffentlich bekannt, wer seinerzeit diesen Brief an das Antiquariat gegeben hat.
Vor der Versteigerung konnte der damalige Leiter des Karl-Marx-Hauses in Trier das Original einsehen, und so erschien in der Wuppertaler Rundschau vom Donnerstag, 8. November 1984, darüber ein Artikel, verfaßt von Michael Knieriem; er dient als Grundlage dieses Kapitels.
Der Brief besteht aus einem Bogen in der Größe 22 x 17,7 Quadratcentimeter. Alle (nicht paginierten) vier Seiten in Engels Handschrift mit schwarzer Tinte. Die Faltstelle ist komplett durchgerissen und mit Tesafilm fixiert. Das Papier zeigt leichte Flecken. Die Handschrift ist klar und deutlich und gut lesbar. Der Brief ist in deutscher Sprache verfaßt:
„122 Regents Park Road N.W.
London 12 Nov. 1890.
Herrn Adolf Riefer in Saarburg i/Lothr
Ich habe Ihnen heute die traurige Mittheilung zu machen daß meine langjährige Freundin & seit sieben Jahren Hausgenossin, Ihre Tante Fräulein Helena Demuth am 4. ds Mts nach kurzer Krankheit sanft & schmerzlos gestorben ist. Wir waren seit 1845 befreundet, & als sie nach dem Tode meines Freundes Marx mir die Ehre & Freude erwies, die Leitung meines Hauswesens zu übernehmen, fingen für mich Jahre der Zufriedenheit, Ruhe & ich kann wohl sagen des häuslichen Glücks an wie sie mir seit dem Tod meiner Frau 1878 nicht mehr gegönnt gewesen. Das ist nun alles dahin und für immer. Wir haben sie am Freitag 7. Novbr. in demselben Grabe wo auch Marx & Frau Marx beerdigt sind, zur Ruhe gelegt. Mit mir & den Töchtern von Marx betrauern Tausende von Freunden aller Nationen, in den Ebenen Amerikas wie in den politischen Gefängnissen Sibiriens & in allen Ländern Europas ihren Verlust.
Die Verstorbene hat ein Testament gemacht, worin sie den Sohn einer verstorbenen Freundin den sie von klein auf sozusagen an Kindesstatt angenommen und der sich allmählig zu einem braven & tüchtigen Mechaniker herausgebildet, Frederick Lewis, zu ihrem alleinigen Erben eingesetzt hat. Derselbe hat seit längerer Zeit aus Dankbarkeit und mit ihrer Einwilligung den Namen Demuth angenommen und figurirt auch unter diesem Namen im Testament. Dasselbe ist in den Händen eines Advokaten der die gesetzlichen Formalitäten erfüllt und es im übrigen für vollkommen rechtskräftig erklärt, sodaß ich gegen Ende der Woche verpflichtet sein werde dem Erben die gesammte Erbschaft zu behändigen. Sie beläuft sich an Geld nach Abzug aller Kosten auf etwa vierzig Pfund Sterling, sodann Kleider usw von verhältnismä ßig geringem Werth.
Sollten Sie resp. andere Verwandte irgendein kleines Andenken wünschen, so belieben Sie es mir mitzutheilen, ich zweifle keinen Augenblick an der Gewährung.
Das Testament liegt abschriftlich und in Übersetzung bei.“
Was sich Engels wohl dabei gedacht hat, Riefer gegenüber Helenas Sohn Frederick, der zu diesem Zeitpunkt schon fast zwanzig Jahre nicht mehr „Lewis“ hieß, als den Sohn einer Freundin Helenas darzustellen, weiß wohl nur er selbst. Vor allem, weil aus der nachfolgenden Testamentsabschrift der Name des Erben klar hervorgeht.
Im Original folgt jetzt Engels Abschrift, die aber vom Original abweicht, so daß ich online über den Anbieter „probatesearch.service.gov.uk/Wills“ das unten gezeigte Bild des Testaments besorgt, abgeschrieben und neu übersetzt habe:
I, Helen Demuth, of 122 Regents Park Road declare
this to be my last Will. I leave all my monies effects and other property, to Frederick Lewis Demuth, of 25 Grandsen Avenue, London Lane, Hackney, and being too weak bodily to sign my name have affixed hereto my mark in the presence of the undersigned witnesses. At 122 Regents Park Road this fourth day of November Eighteen hundred and ninety, the above having been read to me and perfectly understood by me - X - Helen Demuth her mark - In the presence of Frederick Engels of 122 Regents Park Road - Edward Aveling 65 Chancery Lane - Eleanor Marx Aveling 65 Chancery Lane; Witnesse.
Affidavit of due execution filed.
On the 14th Novr. 1890 Admon with this Will annexed of the Effects of the Testatrix was granted to Frederick Lewis Demuth the Universal Legatee.
Ich Helena Demuth, von 122 Regents Park Road, erkläre daß dies mein letzter Wille ist. Ich vermache alle meine Gelder, Effekten und sonstiges Eigenthum an Frederick Lewis Demuth von 25 Gransden Avenue, London Lane, Hackney, E., und da ich körperlich zu schwach bin, meinen Namen zu unterschreiben, habe ich das Gegenwärtige mit meinem Zeichen gezeichnet, in Gegenwart der unterzeichnenden Zeugen. So geschehen 122 Regents Park Roads am 4. Novbr 1890, nachdem Obiges mir vorgelesen und von mir vollständig verstanden worden ist.
X Helen Demuth
In Anwesenheit von Friedrich Engels, 122 Regents Park Road - Edward Aveling, 65 Chancery Lane - Eleanor Marx Aveling, 65 Chancery Lane
Eidesstattliche Versicherung der fälligen Vollstreckung zu den Akten genommen.
Am 14. November 1890 wurde das Schreiben der Verwaltung über das Vermögen des Erblassers, an welches der letzte Wille angehängt wurde, dem Universalerben Frederick Lewis Demuth übergeben.
Die Sache mit der Versteigerung hat eine interessante Vorgeschichte, die ich Ihnen nicht vorenthalten will. Achim Schmitz aus St. Wendel hat mich darauf aufmerksam gemacht, als er mir drei Zeitungsartikel aus dem Jahre 1984 schickte.[150].
Danach wurde der Brief „neben anderen Stellen auch der Stadtverwaltung St. Wendel für 7000 DM angeboten“, aber es „rührte sich dort zunächst nichts. Dazu trug allerdings die Tatsache maßgeblich bei, daß der Anbieter fast nie erreichbar war. So kam es schließlich dazu, daß sich der Preis des Schreibens stark erhöhte und das Dokument“ zum Auktionshaus Dr. Tenner in Heidelberg, wo es im Versteigerungskatalog für die Auktion „Handschriften-Autographen — Wertvolle Bücher" vom 16. bis 18. Oktober 1984 mit 20.000 DM angesetzt wurde. Als das Stadtratsmitglied Hans Kirsch schriftlich im Rathaus anfragte, warum die Stadt das Schriftstück nicht erworben hätte, erwiderte Bürgermeister Klaus Bouillon: „Ich halte das Schreiben von Friedrich Engels über den letzten Willen der Helena Demuth für ein wichtiges Dokument der St. Wendeler Heimatgeschichte. Wegen des inzwischen stark erhöhten Kaufpreises (ca. 15 000-20 000 DM) wird von der Stadtverwaltung ein Ankauf des Schreibens jedoch nicht erwogen. (…) Die Stadt sehe sich in dieser Einschätzung bestätigt durch die Haltung des renommierten Friedrich-Ebert-Instituts in Trier, das nicht bereit war, diesen Betrag für ein ganzes Paket von Dokumenten samt dem Engelsbrief zu zahlen, wohl nicht zuletzt, weil der Eigentümer sich weigerte, offenzulegen, wie er in den Besitz der Dokumente gelangt sei.“
Die Zeitung berichtete, daß auch in der St. Wendel wegen des Briefes viel Aufregung herrschte. „Auch am Donnerstagsstammtisch in der ‚Heimatstube’ war von Lenchen Demuth die Rede, weil da irgendjemand behauptet hatte, Friedrich Engels habe ihr Testament geschrieben, weil sie selber des Schreibens nicht kundig gewesen wäre. Da hieb Altbürgermeister Jakob Feller auf den Putz: ‚Selbschd en de Hennergaß hadds domols keine St. Wenneler gäbb, die ned läse und schreiwe konnten. Dadd Lenchen war en London zu alt on vielleichd krank und zittrig on dodefor hat der Engels ihr Testament geschriewe." [Womit er recht hat, denn eben dieses sagt auch der Testamentstext.]
„Der ‚Geschichtsforscher’ Karl Handfest aus Völklingen hat sich intensiv mit der Sache befaßt, zumal der Auktionator Dr. Tenner im Katalog dazu anmerkt: ‚Briefe von Friedrich Engels sind von größter Seltenheit. Ein privater Brief von dieser Bedeutung konnte bisher auf keiner deutschen Nachkriegsauktion angeboten werden.’ Karl Handfest schreibt! Laut Katalog ist der am 12. November 1890 datierte, vierseitige Brief, an „Adolf Kiefer in Saarburg/Lothringen" gerichtet — dies ist falsch. Der Empfänger ist August Riefer, ein Neffe von Helena Demuth und selbst ein gebürtiger St. Wendeler.“
Leider ist da etwas durcheinander geraten. Der Empfänger heißt nicht „Adolf Kiefer“, sondern „Adolf Riefer“, und einen August Riefer gab es bei uns nie.
Der Zeitungsartikel spricht dann noch von einem Foto, das dem Konvolut beihängt. „Das Foto von Helena Demuth wird ‚als das vermutlich letzte Bildnis der Haushälterin’ angespriesen und es wird zur Erläuterung Wilhelm Liebknecht zitiert, was er 1896 über sie veröffentlichte (‚Sie konnte auch zornig werden, und die Feinde des 'Mohr' haßte sie mit grimmigen Haß.’ — Der 'Mohr', das war Karl Marx, (K. H.) Das Foto, 1890 in London aufgenommen, ist mit 500 DM angesetzt.
Übrigens kann sich jeder interessierte St. Wendeler (oder sonstwer) das Bild besorgen, sowie das Foto der Rückseite des Engelsbriefes (auf der sich das Demuth-Testament befindet): sie sind, sehr sauber, im Katalog abgedruckt, der Katalog kostet 40 DM. Noch ein Wort zu den angegebenen Preisen: das sind keine Höchstpreise, auch keine Mindestpreise, sondern „Richtpreise", die auch unter- oder überboten werden können. Da der Katalog druckfrisch vorliegt, kann man von den möglichen Interessenten (noch) nicht reden.“
Doch dann muß es höchst erstaunte Gesichter gegeben haben, denn „LENCHEN DEMUTHS Testament, von Friedrich Engels niedergeschrieben, erzielte bei der Versteigerung in Heidelberg den hohen Preis von 21 000 DM. Wer den Zuschlag erhielt, wurde bisher nicht bekannt. Mit Gebühr und Mehrwertsteuer müssen rund 25 000 DM gezahlt werden. Das Foto der Haushälterin von Karl Marx, mit 1800 DM im Katalog angesetzt, ging für 2500 DM an den Mann. Auch ein St. Wendeler Bürger hatte darauf geboten, wollte aber nicht mehr als 2000 DM ausgeben.“
Leider geben auch die Stadtratsakten dieser Zeit nicht mehr her. Das Angebot wird genannt, leider nicht, wer es gemacht hat. Auf Rückfragen antwortet der Anbieter nicht. Er erscheint der Stadtverwaltung in höchstem Maß unseriös, er gibt damit keinen Hinweis auf die Herkunft der Papiere, und auf Rückfragen gibt er nur noch einmal Antwort - als er den Preis nochmal erhöht. Also stellt die Stadtverwaltung ihre Bemühungen in der Sache ein.[151]
Trotzdem schade.
Adolf Riefer
Lassen Sie mich noch ein paar Worte über Helenas Neffen Adolf Riefer verlieren.
Näheres über seinen Werdegang erfahren wir:[152]
„Saarburg, den 14. October 1895
An die Polizeiverwaltung in St. Wendel. Die Polizeiverwaltung ersuche ich ergebenst um gefällige Auskunft über das Vorleben des dort geborenen und z.Zt. hier ansässigen Wirthes A. Riefer. Hat derselbe, solange er sich dort aufgehalten, Strafen erlitten? und ist bekannt, weswegen er seinem ursprünglichen Beruf als Lehrer nicht treu geblieben ist? Der Bürgermeister (gezeichnet) Brand.“
Die Antwort erfolgt schon am nächsten Tag:
„Dem Bürgermeister=Amt theile ich auf das gefällige Schreiben vom 14. d.Mts. No 3053 ergebenst mit, daß der dort ansässige Wirt Adolf Riefer als der Sohn eines sich nicht gerade des besten Rufs erfreuenden Schmiedes [Schneiders] hier geboren ist. Riefer widmete sich dem Lehrerberufe, trat aber als Lehrer=Assistent freiwillig, und zwar wie ich erfahren habe, weil eine zwischen Riefer und einer Lehrerin bestandene Liebelei bekannt geworden war, an diesem Berufe zurück und in ein hiesiges Manufakturwaren Geschäft ein.
Später etablirte er sich hier selbständig als Kaufmann, hatte jedoch, wie auch später mit seinem Geschäfte in Trier, wenig Erfolg, so daß er von Trier wieder nach hier zurückkehrte und hier, ohne daß jemand wußte, woher Riefer die Mittel hatte, auf großem Fuß posirte, bis er später dort eine Wirthschaft übernahm. Seine Frau soll aus einer geachteten Trierer Familie stammen.
Riefer ist, soweit hier bekannt wurde, durch Urteil des hiesigen Schöffengerichts vom 24. II. 1885 wegen Beamtenbeleidigung mit einer Geldstrafe von 15 Mark evtl. 5 Tage Gefängnis vorbestraft.
Allgemeine Achtung hat p. Riefer hier nicht erworben.
Der Bürgermeister (gez.) Friedrich“
Es war nicht leicht, die Angaben Bürgermeister Friedrichs nachzuvollziehen.
Im „Deutscher Reichsanzeiger“, online gestellt von der Universität Mannheim, lesen wir in der Ausgabe vom 26. März 1879:
„Trier. Unter Nr. 241 des hiesigen Handelsgesellschaftsregisters ist heute eingetragen worden die Handelsgesellschaft unter der Firma „Marx & Riefer“ mit ihrem Sitze in Trier, welche am 16. März dieses Jahres begonnen hat. Die Gesellschafter sind: Isidor Marx und Adolph Riefer, beide Kaufleute, wohnhaft zu Trier, von denen jeder berechtigt ist, die Gesellschaft zu vertreten.
Trier, den 17. März 1879.“
Doch die Gesellschaf hält kein halbes Jahr:
„Die zu Trier domizilirte unter der Firma „Marx & Riefer“ bestandene Handelsgesellschaft ist durch gegenseitige Uebereinkunft zwischen ihren Theilhabern Isidor Marx und Adolph Riefer, beide Kaufleute, wohnhaft zu Trier, am heutigen Tage aufgelöst worden und das Geschäft derselben mit den Aktiven und Passiven auf den Theilhaber Isidor Marx übergegangen. Die Auflösung der Gesellschaft ist demgemäß heute unter Nr. 241 des hiesigen Gesellschaftsregisters eingetragen und die Firma „Marx u. Riefer“ gelöscht worden. Trier, den 15. Oktober 1879“[153]
Aus dem Adreßbuch der Stadt Trier von 1875 erfahren wir, daß Riefer kaufmännischer Angestellter ist („Commis“) und in der Brodstraße 267 wohnt. Leider erfahren wir nicht, bei wem er arbeitet. 1879 ist er mit der gleichen Berufsbezeichnung in die Nagelstraße 34a umgezogen. Im gleichen Haus wohnt nur der Kaufmann Hubert Ausderhellen, der Bandagen vertreibt.
Am 6. Oktober 1880 heiratet Riefer in Trier, das erste Kind kommt im November 1882 in St. Wendel zur Welt. Am 9. Januar 1885 tritt der Kaufmann als Zeuge beim Notar Schneider in St. Wendel auf[154]. Am 31. März 1886 meldet er in St. Wendel sein Gewerbe um. Bis dahin hat er hier ein Geschäft für Unterwäsche betrieben, damals noch als „Weißwaare“ bezeichnet. Es scheint aber nicht so besonders gut zu laufen, weshalb er von Klasse A2 in B1 versetzt wird.[155]
Was es mit der „Liebelei“ auf sich hat, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Sie muß sich in den frühen 1870ern zugetragen haben. Riefer ist zwischen 1871 und 1875 nach Trier gezogen - im Adreßbuch Triers von 1871 ist er nicht zu finden.
Zehn Jahre später hätte sie zu einem Skandal geführt, weil sich Lehrerinnen nach preußischen Gesetz einem freiwilligen Zölibat unterstehen. 1880 wird der Lehrerinnenzölibat im Deutschen Reich per Ministererlass eingeführt. Er untersagt Lehrerinnen, zu heiraten; auf eine Missachtung folgt die Kündigung. Im Großherzogtum Baden wird der Beamtinnenzölibat 1888 eingeführt. Er entzieht einer Beamtin bei Heirat den Beamtenstatus, macht die Stelle somit kündbar; gleichzeitig erlischt der Anspruch auf Ruhegehalt. Grundlage dafür sind arbeitsmarktpolitische Aspekte und moralische Vorstellungen über die Geschlechterordnung. Ein Leben lang berufstätig zu sein, entspricht nicht der bürgerlichen Frauenrolle; der Lehrerinnenberuf dient lediglich der kurzfristigen Versorgung unverheirateter junger Frauen aus bürgerlichen Familien. Man traut Frauen nicht zu, einer Doppelbelastung durch Beruf und Familie standzuhalten, zudem gelten berufstätige Frauen als unnötige Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Der Lehrerinnenzölibat ist damit ein Instrument, mit dem durch Diskriminierung flexibel auf die jeweilige Arbeitsmarktsituation reagiert werden kann – wenn Lehrermangel besteht, so wird er gelockert; besteht dagegen ein Überangebot, können damit Lehrerinnen vom Arbeitsmarkt verdrängt werden.[156]
Adolf Riefer zieht 1888 mit seiner Familie nach Sarrebourg und übernimmt dort das Bahnhofsrestaurant.[157]
Zwei Jahre später stirbt seine Tante Helena in London, und noch einmal neun Jahre später - am 2. September 1899 - verkauft Adolf Riefer das Haus im Graben für 1300 Mark an den Wagner Wendel Scheffler aus St. Wendel und seine Ehefrau Katharina Kockler, die 12 Jahre zuvor das Nachbarhaus rechts von den Erben Johann Matthias und Maria Schlemmer erworben haben.
Im Jahre 1925 wird an der linken Seite zum Gäßchen hin ein Lagerschuppen errichtet, der 1953 durch den Kaufmann Alois Schmitt in eine Garage umgebaut wird. In den 1970ern kaufen die Brüder Clemens aus St. Wendel das völlig heruntergekommene, alte Bauernhaus und ersetzen es durch das moderne Zweckgebäude, das heute unter der Anschrift „Grabenstraße 10“ zu sehen ist.
Bei dem Verkauf 1899 tritt Adolf Riefer als alleiniger Eigentümer auf. Das Darlehen bei der Kreissparkasse ist noch teilweise vorhanden und wird mit dem Kaufpreis abgegolten:
„Im Grundbuch der Gemeinde St. Wendel ist auf den vorstehenden Kaufobjekten eine Hypothek in Höhe von 948 Mark eingetragen für die Kreisspar= und Darlehnskasse in St. Wendel auf Grund Obligation vom 17.12.1888. Diese Hypothek ist aus dem obigen Kaufpreis bezahlt worden. Wir bewilligen und beantragen deßhalb die Löschung dieser Hypothek in Grundbuch von St. Wendel unter Verzicht auf Benachrichtigung.“
Fragt sich, was beim Verkauf 1899 aus Helena Demuths Eigentum geworden ist. 1888 hat ihr das Haus doch noch zur Hälfte gehört- wieso ist jetzt Adolf Riefer der alleinige Eigentümer? Wo sind Helenas Anteile geblieben?
Wir haben Helenas Testament gelesen. Über das Eigentum an dem Wohnhaus in St. Wendel findet sich darin nichts, und es fragt sich, ob Frederick davon jemals etwas gewußt hat. Oder vielleicht hat ihn Riefer doch darüber informiert, und die beiden haben sich darüber geeinigt, und Riefer hat Frederick ausbezahlt. Oder auch nicht.
Ein Nachlaß Adolf Riefers ist nicht bekannt, und vor über dreißig Jahren schon hat sich u.a. Herr Dr. Monz sehr um die Familie und Nachkommen Riefers bemüht, die nach seinem Tod zum Teil wieder ins Saargebiet zurückkamen, für einige Zeit blieben oder für immer. Monz war auf der Suche nach Informationen über Lenchen Demuth in Form von Bildern oder Schriftstücken, die es irgendwie geschafft haben, die Zeit zu überwinden.
Es ist ihm nicht gelungen, und die Spur ist seitdem sehr kalt geworden.
Ehe der Hahn kräht
Nachdem alle Möglichkeiten erschöpft waren, alle erdenklichen Archive besucht, alle möglichen Urkunden durchgesehen, nicht einmal, sondern dreimal oder viermal, alle möglichen Leute gefragt, ist mir ganz zuletzt noch eine Institution eingefallen, die ich noch nie zuvor konsultiert habe, und von der mir jeder, der es schon versuchte, abgeraten hat: Das Grundbuchamt.
Bevor ich dieses in Saarbrücken in der Mainzer Straße aufsuchte, habe ich mich über seinen Hintergrund etwas schlau gemacht: Grundbücher sind ein mehr oder weniger vollständiges Verzeichnis aller in einem Bezirk vorhandenen Grundstücke. Dabei erhält jedes Grundstück im Grundbuch eine eigene Stelle, die als Grundbuchblatt bezeichnet wird. § 873 BGB verlangt, dass für den Grundstückskaufvertrag, zur Belastung eines Grundstücks mit einem Recht sowie zur Übertragung oder Belastung eines solchen Rechts die dingliche Einigung des Berechtigten und des anderen Teils über den Eintritt der Rechtsänderung und die Eintragung der Rechtsänderung in das Grundbuch erforderlich ist. D.h.: Grundbücher sollen die Eigentums- und Rechtsverhältnisse an Grundstücken registrieren.
In St. Wendel ist das Grundbuch im Jahre 1896 angelegt worden. Sein Vorgänger war das sog. Hypothekenamt, das u.a. auch Belastungen eines Grundstücks registrierte.
Die notwendigen Informationen finden sich im Notariatsvertrag von 1899. Dort wird das Objekt des Verkaufs beschrieben: „Flur 6 Nummer 194, St. Wendel, Hofraum mit Wohnhaus nebst allen An- und Zubehör, groß 68 Meter, eingetragen im Grundbuch von St. Wendel in Band acht unter Artikel 365.“
Herr Metzinger, Justizamtsinspektor des Grundbuchamts, hat sich meine Geschichte angehört, ist in den Keller hinabgestiegen, wo sich das Archiv des Amts befindet, und hat die Akte herausgesucht, eine überraschend dünne Mappe mit ein paar eingehefteten Blättern.
Bei der Anlegung des Grundbuchs wird Adolf Riefer als Eigentümer eingetragen.
Anfang 1897 wendet sich die Spar= und Darlehnskasse an das Grundbuchamt und fragt nach ihrer Hypothekenforderung an den Eigentümer des Grundstücks „Grabenstraße 12“. Dabei bezieht sie sich auf die Register des Hypothekenamts vom 19. Dezember 1888, als der Vorgang dort in Band 265 Nr. 98 eingeschrieben wurde. Das Grundbuchamt wendet sich zur Klärung an das „Königliche Amtsgericht III Abth. in St. Wendel“:
„Auf die (…) aufgeführten Grundstücke melde ich zu Gunsten der nebengenannten Kasse eine Hypothek an von 948 Mark Restdarlehen, verzinslich zu 4 Prozent per Jahr seit dem 1. Januar 1896, die Zinsen erfallend am 31. Dezember jeden Jahres.“
Das Amtsgericht St. Wendel schickt die Anfrage urschriftlich mit Anmerkungen zurück. Die Hypothek sei von den jetzigen Eigentümern nicht angezeigt worden und gehe zu Lasten der Witwe Schneider Peter Riefer, Katharina geb. Feller, und Eheleute Gerber Andreas Schwarz + Elisabeth geb. Riefer zu St. Wendel.
Adolfs Vater Peter Riefer hat am 1874 Katharina Feller aus St. Wendel geheiratet, die eine uneheliche Tochter namens Maria mit in die Ehe bringt, die meines Wissens nicht anerkannt wurde und somit bei der Erbverteilung außen vor bleibt. Katharina schenkt Peter zwei Töchter namens Elisabeth (spätere Ehefrau von Andreas Schwarz) und Anna Maria. Nach Peters Tod 1885 haben seine Witwe Katharina, ihre beiden Töchter und natürlich Adolf Riefer Peters Anteil geerbt.
Am 16. März 1896 wird die Witwe vom Königlichen Amtsgericht St. Wendel vorgeladen und von Assessor Meyer und Aktivar Held nach den Eigentumsverhältnissen dieser drei Grundstücke befragt:[158]
1. St. Wendel Flur 5 Nr. 684/53, Garten, oberste Lehwiese
2. St. Wendel Flur 6 Nr. 645/191, Gebäudefläche
3. St. Wendel Flur 6 Nr. 194 Hofraum
Sie gibt zunächst an, daß sie mit ihrem Ehemann in gesetzlicher freier Gütergemeinschaft verheiratet war. Die Nr. 1 habe sie vor mehr als 10 Jahren von ihren Eltern geerbt. Nr. 2 und 3 habe ihr ihr verstorbener Mann durch eigenhändiges Testament vom 6. November 1878 vermacht. Dieses Testament befände sich im Original bei den Akten des Notars Wiese. Abschrift desselben werde sie in den nächsten Wochen einreichen. Als das Testament in Abschrift vorliegt, erkennen die Beamten, daß Peter Riefer seiner Ehefrau nicht das Eigentum an den Grundstücken vermacht hat, sondern den lebenslänglichen Nießbrauch.
Am 30. März 1897 erkennen sie an, daß die Parzelle Flur 6 Nr. 194 dem Bahnhofs-Restaurator Adolf Riefer in Saarburg gehört. Im Inventar bei den Vormundschaftsakten würde diese Parzelle auch nicht weitergeführt. Sie bewilligen die Eintragung Riefers im Grundbuch.
Diese Unterlagen - das Inventar und die Vormundschaftsakten - würde ich gerne einsehen, aber bisher sind sie nirgends zu finden. Der Verbleib der Akten des Hypothekenamts St. Wendel ist unbekannt.
So muß auch Riefer gehört werden. Er erscheint am 5. April 1897 vor dem „Königlichen Amtsgericht Abt 3 St. Wendel“ und gibt im Beisein von Gerichts=Assessor Weyand“ folgende Erklärung ab:
„Den Erklärungen d. Wittwe Peter Rieferund Ehefrau Schwarz zur Verhandlung vom 30. März dieses Jahres (…) trete ich hiermit genehmigend bei und beantrage, mich als Alleineigentümer des Grundstücks Fl. 6 N. 194 im Grundbuch eingetragen.
Dieses Grundstück hatten meine Mutter Katharina eine geb. Demuth, II Ehefrau von Peter Riefer, und deren Schwester Helena Demuth von ihren Eltern geerbt. Meine Mutter ist ohne Hinterlassung eines Testaments gestorben und hat mich als einzigen gesetzlichen Erben hinterlassen. Sie hatte zwar auch drei uneheliche Kinder, welche jedoch keinerlei Ansprüche an den Nachlaß der Mutter erhoben haben. Ob dieselben anerkannt waren, weiß ich nicht.“
Bis hierhin stimmt das alles.
Aber dann: „Meine Tante Helena Demuth hat meines Wissens ebenfalls nichts letztwillig verfügt und ist von mir allein beerbt worden. Ich versichere die Richtigkeit vorstehender Angaben betreffend die Beerbung meiner Mutter und meiner Tante an Eides statt.“
Das ist gelogen. Er weiß aus Engels Brief von 1890, daß seine Tante ein Testament verfaßt hat, und aus gleicher Quelle weiß er, daß in diesem Testament seiner Tante ein Mann namens Frederick als Universalerbe seiner Tante eingesetzt worden ist. Er weiß allerdings auch, wie „groß“ die Chance ist, daß das hier in St. Wendel jemand herausfindet.
Er führt weiter aus:
„Die von der Kreisspar= und Darlehnskasse St. Wendel angemeldete Hypothek vom 948 Mk, eingeschrieben im Hypothekenregister Bd 265 N, 98 erkenne ich als zu Recht bestehend an und bewillige deren Eintragung im Grundbuch. Ich bin in gesetzlicher rheinischer Gütergemeinschaft verheiratet mit Eva geb. Hein.“
Die Hypothek wird im Hausverkauf 1899 reguliert: „Im Grundbuch der Gemeinde St. Wendel ist auf den vorstehenden Kaufobjekten eine Hypothek in Höhe von 948 Mark eingetragen für die Kreisspar= und Darlehnskasse in St. Wendel auf Grund Obligation vom 17.12.1888. Diese Hypothek ist aus dem obigen Kaufpreis bezahlt worden. Wir bewilligen und beantragen deßhalb die Löschung dieser Hypothek in Grundbuch von St. Wendel unter Verzicht auf Benachrichtigung.“[159]
Riefer schließt mit einem letzten Satz - und fast sieht es aus, als plage ihn eine Art schlechtes Gewissen, bevor er dann noch einen draufsetzt:
„Ich verbessere mich dahin, daß meine in England verstorbene Tante wahrscheinlich eine letztwillige Verfügung hinterlassen hat, deren Inhalt mir jedoch unbekannt ist.“
Niemand sieht einen Grund, ihm nicht zu glauben - nicht die Sparkasse, nicht das Grundbuchamt und nicht das Amtsgericht. Helena ist lange tot, und ihr Sohn Frederick, den sie zu Lebzeiten verleugnet hat und Friedrich Engels noch nach ihrem Tod in seinem Brief an Riefer „den Sohn einer verstorbenen Freundin den sie von klein auf sozusagen an Kindesstatt angenommen“ nannte, wird wohl nie etwas von seinem Erbe in St. Wendel erfahren haben.
Was am Ende noch bleibt
Vier Schriftstücke haben wir, auf denen sie mit eigener Hand geschrieben hat, zwei mit einem großen „X“ und zwei mit ihrem vollen Namen. Über eins der letzteren bin ich gestolpert - und über das andere eigentlich auch.
Wo aber könnte noch etwas liegen - außer dort, wo nie jemand sucht und nur der eine Chance hat, es zu finden, der weiß, was er da gerade in Händen hält?
Von Adolf Riefers Nachkommen stammt vermutlich der „letzte Brief“ und von einem seiner Stiefbrüder das Altersfoto, das Sie auf der Rückseite des Buches sehen.
Die Papiere aus den Nachlässen von Karl Marx und Friedrich Engels sind von unzähligen Menschen durchforstet worden, und sicher hätte jemand einen Fund gemeldet - wenn er ihm wichtig erschiene, wenn er seine Relevanz erkenne, wenn er ihn lesen könnte, wenn unter Stalin nicht auch Lenchens Briefe alle vernichtet wurden - viele „wenns“.
Eine Chance besteht vielleicht noch in dem, was in Helenas Testament ihre „Effecten“ genannt wurden. Sie gingen samt und sonders in die Hände ihres Sohnes Frederick über. Leider werden sie nicht näher bezeichnet - das kann alles Mögliche sein oder auch gar nicht viel.
Leider gibt Fredericks Testament auch nicht mehr her:
„Dies ist mein, Frederick Lewis Demuths, 7 Reighton Road in Clapton E5 im County von London, letzter Wille und Testament, den ich erklärt habe am 26. Tag des July im Jahre unseres Herrn 1926. Hiermit widerrufe ich alle Testamente, die ich bisher abgegeben habe.
Als meinen Testamentsvollstrecker ernenne ich Herrn James W. Hill, wohnhaft in 1 Hilsea Street, Clapton E5, und ordne an, daß all meine Schulden und die Beerdigungskosten so schnell es geht nach meinem Tod. Ich gebe und vererbe meinem Testamentsvollstrecker, Herrn James W. Hill, ein Zehntel meines persönlichen Vermögens. Ich gebe und vererbe ein Viertel meines persönlichen Vermögens an Fräulein Laura Payne, wohnhaft 7 Reighton Road in Clapton E5. An Herrn Harry Demuth, meinen Neffen, der als mein Sohn bekannt ist und in der 91 Great Dover Street in Southwark SE wohnt, übergebe und vererbe ich den Rest meines persönlichen Vermögens und meiner Effekten.
Frederick Lewis Demuth.
Unterzeichnet durch den besagten Deklaranten F L Demuth in unserer Gegenwart. Gleichzeitig haben die, die auf seine Anforderung hin anwesend waren und in gegenseitiger Anwesenheit mit unseren Namen als Zeugen unterschrieben:
Amelia James, Elmcroft Street 30, Clapton E5
Henry Hill, Grove Park Avenue 6, S Chingfort E4.“
Laura Payne ist eine Tochter von Alfred Payne (* 1865) und seiner Ehefrau Ellen Emily Watson (* 1868). Frederick wohnt 1911 bei Lauras Eltern in 54 Reighton Road in Miete (siehe Seite 167). In welcher Beziehung er zu ihr steht - als er das 1926 sein Testament macht, wohnt sie im gleichen Hause -, habe ich nicht in Erfahrung bringen können. Als er am 29. Januar 1929 in seiner Wohnung in „13 Stoke Newington Common“ stirbt, wohnt sie bei ihm und bezeugt im Sterbeeintrag seinen Tod.
Leider ist der englische Census 1921 noch nicht öffentlich zugänglich. Lauras Eltern heiraten 1888, aber weder 1891, 1901 noch 1911 kann ich Laura finden. Ihr Vater und Frederick haben 1911 den gleichen Beruf und scheinen Arbeitskollegen zu sein.
Frederick bezeichnet seinen Adoptivsohn Harry, der bisweilen auch „Frederick“ genannt wird, im Testament als seinen „Neffen, der als mein Sohn bekannt ist“. Da er selbst keine Geschwister hat, muß der Junge ein Sohn von Geschwistern seiner Ehefrau Ellen Murphy sein.
Harry heiratet 1905 die Londonerin Ellen Kennedy.[160]
No 42
25. September 1905
Harry Demuth, 23, Bachelor, Engineer, 7 Law Street - Satard Street, Sohn von Frederick Demuth, Engineer
und Ellen Kennedy, 22, Spinster, gleiche Anschrift, Tochter von John Kennedy, Fish Porter
„Married in the Parish Church according to the Rites and Ceremonies of the Established Church after Banns by me“.
=> „verheiratet in der Pfarrkirche nach den Riten und Zeremonien der Anglikanischen Kirche („established church“) nach Verkündigungen[161] durch mich.“
Trauzeugen sind Peter Kennedy und Jane Kennedy.
Aus der Ehe gehen zwei Kinder hervor, Frederick Harry und Jane. Alle vier wohnen 1949 in London, Borough of Southwark, 49 Westcott Road, S.E.17, wie in der Wählerliste des Bezirks aus dem Jahre 1949 zu sehen ist.[162]
Frederick hat 1934 Florence Lilian Abbott geheiratet, aber die Ehe wird wohl geschieden: in den Wählerverzeichnissen nach dem Zweiten Weltkrieg wohnen sie an verschiedenen Orten und Florence hat wieder ihren Mädchennamen angenommen. Frederick stirbt im März 1960 in Kent, worauf in einer Zeitung diese Anzeige erscheint:
„Wenn sich Florence Demuth (geb. Abbott), Ehefrau von Frederick Harry Demuth, mit dem sie seit dem 17. November 1935 in der St. George’s Church, Southwark, S.E.1, verheiratet war und der am 27. März 1960 in Crockenhill, Kent, gestorben ist, mit der Anwaltskanzlei T.G. Baynes & Sons, 208 Broadway, Bexleyheath, in Verbindung setzt, wird sie etwas zu ihrem Vorteil erfahren.“ [163]
Von der Tochter Jane D. Demuth weiß ich nur, daß sie 1955 einen William F E Livingstone geheiratet hat.
Ihr Vater Harry, mit dem der Reporter David Heisler 1972 sprach, ist fast 100 Jahre alt geworden. Er starb im März 1980 in Camberwell, London.
Andenken
von einem unbekannten Verfasser[164]
Ein Jahr nach dem Fall der Berliner Mauer wurde in der St. Wendeler Lokalpresse eine Diskussion um Lenchen Demuth entfacht. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob in der Oberstadt ein Platz an der Stadtmauer nach ihr benannt werden sollte. Am 31.07.1990 erschien in der Saarbrücker Zeitung dazu ein Artikel, der die Leser zu einer Stellungnahme aufforderte. In den folgenden Wochen erschien dortselbst eine Flut von Leserbriefen. Überwiegende Meinung war die Ablehnung einer Platzbenennung nach Lenchen Demuth. Die Diskussion wurde sehr emotional geführt. Einige Leserbriefe glichen Beschimpfungsreden.
„St. Wendel (wer). Eine Straße oder ein Platz, eventuell an den Resten der Stadtmauer in der Oberstadt, soll nach Lenchen Demuth benannt werden. Dieser Vorschlag liegt den örtlichen Entscheidungsgremien zwar noch nicht als Antrag vor, doch allein schon das Ansinnen sorgt für Wallung und Kopfzerbrechen: Sollen wir, sollen wir nicht?
Der Bürgermeister ist in Urlaub — von dieser Seite ist also keine Entscheidungshilfe zu erwarten. Das muß auch nicht sein. Fragen wir doch ganz einfach die Bürger(innen) selbst, was sie von der Anregung halten, Helene „Lenchen" Demuth in ihrer Geburtsstadt ein Namens-Denkmal zu setzen.
Bislang ist die Stadt recht sparsam mit Möglichkeit umgegangen, Persönlichkeiten, die besonderen Bezug zur Stadt und sich um diese verdient gemacht haben, mit der Namensgebung an Straßen und Plätzen. Dem Stadtheiligen ist ein Gymnasium und eine Straße gewidmet wie auch Nikolaus Cusanus, es gibt die Mia-Münster-Straße und das gleichnamige Kulturhaus in der Mott, es gibt die Max-Müller- und die Maler-Lauer-Straße, die Josef-Bruch-Straße und den Rezé-Platz am Kugelbrunnen.
Wer war Helene Demuth, ist ihre Bedeutung und ihr Bezug zu ihrer Vaterstadt so groß, daß man ihren Namen hier in einer Straße oder an einem Platz besonders würdigen sollte? Hierzu einige Informationen der Stadt- und Kreisbibliothek sowie des Stadtarchivs im Mia-Münster-Haus:
„Helene ‚Lenchen' Demuth wurde am 31. 12. 1820 in St. Wendel als fünftes von sieben Kindern der Eheleute Michel Demuth (1788 S+ Wendel bis 1826 St. Wendel) und Maria Catharina Creutz (1792 Oberlinxweiler bis
1848 St Wendel) geboren. Im Alter von etwa acht Jahren kam sie als Magd nach Trier. Wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes wurde sie etwa drei Jahre später in die Familie von Westpahlen aufgenommen, wo sie mit deren Kindern aufwuchs. Nach der Eheschließung der Jenny von W. mit dem jungen Karl Marx blieb sie bis zu ihrem Tod (14. 11. 1890) als Haushälterin, Erzieherin und Freundin in der Familie Marx. Sie wurde im Familiengrab in London beigesetzt
Professor H. Gemkow schreibt: Einige hundert Mal wird Helene Demuth in der Marx-Engels-Werkausgabe erwähnt, darüber hinaus an die hundert Mal in den Briefwechsel-Ausgaben aus dem Umfeld von Marx und Engels. Und selbst in den noch unveröffentlichten Korrespondenzen der Familienmitglieder wird sie häufig genannt, gegrüßt, mit Mitteilungen bedacht, wird von ihrem Ergehen berichtet oder werden Informationen von ihr weitergegeben. Etwa ein Dutzend Persönlichkeiten erwähnen sie in ihren Erinnerungen und würdigen sie mit großer Herzlichkeit Es ist überliefert, daß Lenchen Demuth regelmäßig, auch in den letzten Londoner Jahren, ihre Verwandten in St.Wendel und im Saarland besucht hat."
Wir würden gerne Ihre Meinung erfahren und laden Sie als Leser ein, uns diese mitzuteilen (bitte schriftlich und mit Adreß-Angabe). Wir stellen das Pro und das Kontra gerne zur Diskussion und können so alle miteinander den Kommunalpolitikern bei der Last der Entscheidungsfindung behilflich sein. „
Will man die Reaktionen verstehen, muß man die historischen Umstände berücksichtigen. Die Mauer war gefallen und überall zerbröckelte der Sozialismus. Allerorten war man froh, endlich das rote Gespenst des Kommunismus los zu sein. Überall im Ostblock wurden Denkmäler gestürtzt und Städte wieder um benannt. Karl-Marx-Stadt war plötzlich wieder Chemnitz. Und ausgerechnet hier in St.Wendel sollte dann ein Platz nach der Haushälterin eines roten Revolutionärs benannt werden. Das wurde von vielen Menschen so verstanden, daß man dem Sozialismus ein Denkmal setzen würde.
Damit ist der Kern der Frage angesprochen: Was ist ausschlaggebend dafür, daß jemand ein Denkmal verdient ?
Die Diskussion wurde von der Bevölkerung und auch vom St.Wendeler Ortsrat mißverstanden. Man argumentierte, als ob es darum ginge, Lenchen Demuth für ihre Verdienste in der sozialistischen Bewegung zu ehren, was m.E. völliger Unsinn ist. Zwar bedauert Friedrich Engels in einem Brief an Wilhelm Liebknecht nach dem Tode von seinem „guten, lieben, treuen Lenchen", daß er ihren „wunderbar taktvollen Rat in Parteifragen schmerzlich vermissen werde", doch muß man bedenken, daß Karl Marx der Verfasser der ideologischen Schrift „Das Kapital" ist und nicht seine Haushälterin, unser Lenchen Demuth. Warum soll also ein Platz nach dieser Frau benannt werden ?
Der Umstand, die Haushälterin von Karl Marx gewesen zu sein, ist sicherlich kein hinreichender Grund für ein Ehrenmal. Auch hat sich Lenchen Demuth keine Verdienste um ihre Vaterstadt errungen. Viel eher müßte dann der ehemalige Bürgermeister Wendel Demuth eine Ehrung erfahren, der sich während der Französischen Revolution unter Einsatz seines eigenen Lebens immer wieder für die Belange seiner Stadt einsetzte. Die Frage, welchen Ruhm Lenchen vorzuweisen habe, ist an sich schon falsch.
Vielmehr liegt die „ Größe Helene Demuths im Mitmenschlichen", wie Wener Martin es in einem Artikel zu der damaligen Dikussion in der Überschrift formulierte. Sie hat auf ein eigenes Leben völlig verzichtet und es ganz in den Dienst anderer gestellt. Sei es nun im Alltag bei der Familie Marx, wenn sie kochte, wusch, die Hausarbeit erledigte, die Kinder großzog, das Geld zusammenhielt, Gläubiger abwies- oder sogar noch während eines Heimatbesuchs, als sie sich auf den Spicherer Höhen bei Saarbrücken im Krieg gegen Frankreich als Lazarettschwester der Verwundeten und Sterbenden annahm. Betrachtet man die Persönlichkeit der Helena Demuth aus St.Wendel einmal unter diesem Aspekt, so könnte sie für viele Frauen unserer Gesellschaft stehen, die sich unter (Selbst-)ausbeutung ganz für die Familie und die Gesellschaft aufopferten. In einem Leserbrief hieß es dazu, daß so etwas alltäglich gewesen sei: „ treu gedient in ihrer Familie, das haben im vorigen Jahrhundert viele. Ja bis in unser Jahrhundert hinein gab es das noch häufig, auch noch in unserer Zeit." Aber genau das ist der springende Punkt. Lenchen Demuth steht für viele solcher Frauen und Mütter, die auf das Kostbarste des Menschen verzichteten, nämlich ein eigenes, freies Leben zu führen. Oft wird so etwas als selbstverständlich hingenommen. Ist das jedoch nicht genung eines erinnerungswürdigen Verdienstes? Ich weiß nicht, ob Begriffe wie Hilfsbereitschaft, Mitmenschlichkeit oder Demut heute noch so selbstverständlich sind, wie ehemals. Die Gesellschaft hat sich radikal verändert, was zunehmend und nicht nur von älteren Menschen beklagt wird. Wäre es da nicht gut, sich ab und zu an Werte zu erinnern, die Lenchen Demuth zeitlebens umgesetzt hat?
„Zu dieser Anfrage lautet meine Antwort: Nein, nein, nein! Ich kann keinen Grund erkennen, Frl. Demuth ein Denkmal zu setzen. Haben Sie ihre Biographie gelesen? (HNO)
„Im Artikel der SZ vom 31. Juli wurde vieles an historischen und geschichtlichen Daten zur St. Wendeler Bürgerin, Lenchen Demuth, geschrieben. Sie hat vielleicht dem falschen Herrn gedient, sonst hätte sie bestimmt schon früher in St. Wendel Ehre erfahren. Hier sollte man über die ideologischen und bürgerlichen Lager hinwegsehen und großstädtische Offenheit zeigen und nach dieser Frau einen Platz benennen. Mir würde es nichts ausmachen, auch wenn ich daran wohnen müßte. Andererseits hatten die St. Wendeler Frauen keine große Lobby, denn ihre (wenigen) Namen zieren höchstens „Plätzlein oder Sträßlein!" Wenn das keine Notlösung war/ist?“ (PAS)
„Nichts gegen Lenchen Demuth! Sie hat gewiß treu, fleißig und gewissenhaft im Hause Marx in Trier gedient. Sie lebte im „Umfeld des Glanzes" von Karl Marx. Hätte sie bei irgendjemand gedient, würden noch nicht einmal Historiker ihren Namen kennen. Aber, worin bestehen ihre „Verdienste" um ihre Geburtsstadt St. Wendel? Ein paar Grüße und Besuche genügen doch wohl dazu nicht. In der gegenwärtigen Situation des Abbaus, ja, des Verfalls des Marxismus-Leninismus in Europa sollte doch nicht ausgerechnet eine Stadt wie St. Wendel eine Person aus dem „Kernumfeld" dieser gescheiterten Ideologie ehren. Zuviel der Ehre und — absurd! Karl-Marx-Stadt in der (Noch-)DDR heißt wieder Chemnitz! Wenn eine Benennung von Straßen oder Plätzen notwendig ist, könnte man an die zwei letzten Ehrenbürger unserer Stadt denken, an Alois Selzer und Hans Klaus Schmitt.“ (HeKSt)
„Es kann nicht angehen, daß man Lenchen Demuth, nur weil ihr Dienstherr Karl Marx hieß, in solcher Weise ehren würde. Treu gedient in ‚ihrer' Familie bis ans Lebensende, das haben im vorigen Jahrhundert viele getan, ja bis in unser Jahrhundert hinein gab es das noch häufig, auch noch in unserer Zeit. Lenchen-Demuth-Straße (Platz) neben z. B. Nikolaus Cusanus oder Nikolaus Obertreis zu nennen wäre meiner Meinung nach Nonsens, dann hätte auch L. Haßdenteufel eine solche Ehre verdient, oder ihre Schwester, oder ... Eine bedeutende Straße (Platz) sollte man einem vorbehalten, der sich wirklich um unsere Stadt verdient gemacht hat und es noch weiter tut: unserem Bürgermeister Bouillon. Ich glaube nicht, daß ich in diesem Falle die einzige Kontrastimme bin, es gibt deren sicher viele, auch wenn sie sich nicht zu Wort melden." (NGB)
St. Wendel. Wenn es nach dem Willen des Ortsrates geht, wird der Platz an der Stadtmauer in der Oberstadt nicht nach der in St. Wendel geborenen Haushälterin von Karl Marx, Helene „Lenchen" Demuth benannt. Nach eingehender Diskussion, so Ortsvorsteher Hans Colling, haben sich neun Ortsratsmitglieder bei drei Enthaltungen gegen dieses Ansinnen ausgesprochen. Es gebe St. Wendeler Bürger(innen), die sich größere Verdienste um ihre Vaterstadt erworben hätten als die „Haushälterin eines Revolutionärs". Zudem passe eine solche Widmung angesichts der zahlreichen Umbenennungen an die kommunistische Vergangenheit erinnernder Plätze und Straßen im Osten nicht in die Zeit. Der St. Wendeler Ortsrat signalisierte jedoch die Bereitschaft, am Geburtshaus von Lenchen Demuth, wenn es exakt zu ermitteln ist, eine Gedenktafel anbringen zu lassen. (SZ)
„Ist Helene Demuth für St. Wendel eine erinnerungswürdige Person? Ein früherer Beitrag in dieser Beilage hat unter der Fragestellung „Coburg oder Cusanus?" damit angefangen, Anregungen und Kriterien auszuarbeiten für den Auf- und Ausbau unserer städtischen Kulturtradition und dabei für ein erneuertes Bewußtsein in der Bürgerschaft plädiert.
Denn zweifellos hat die Stadt während des nahezu vergangenen Jahrhunderts ihr kulturelles Erbe hinsichtlich personaler Traditionen nur ungenügend gepflegt, ja zum Teil sogar sträflich vernachlässigt. Das meint im Klartext nicht, daß nichts Entsprechendes getan wurde, doch eine Straßenbenennung ist zwar ein ehrender Erinnerungsakt, als echte Pflege eines kulturellen Erbes aber zu wenig.
Schon bei der Wendels-Tradition fängt das an, die heute eine erheblich modernere und damit zukunftsträchtigere Basis haben könnte. Es geht weiter über das völlig vernachlässigte Erbe des Balduin von Luxemburg, über die unterbewerteten Beziehungen zwischen der Stadt und Cusanus, weiter die Cetto-Persönlichkeiten bis hin zu den Vorkämpfern unserer heutigen Demokratie wie Nikolaus Hallauer und seinen Mitstreitern zur Zeit der Hambacher Bewegung. Letzterer wurde 1982 beim Jubiläum im Hambacher Schloß mehr gedacht als in St. Wendel selbst.
Daß es aber nicht nur dem Erbe von politisch verdienten Persönlichkeiten so ergeht, belegen Beispiele wie des Malers Lauer, des Musikers Riotte, des Autors der Stadtgeschichte, Max Müller, und schließlich aus näherer Vergangenheit das krasse Beispiel von Mia Münster. Sie hatte der Stadt ihren Nachlaß angeboten für eine kleine monatliche Rente, und die Stadt St. Wendel hat dem nicht entsprochen, obwohl allein der Marktwert des Münsterschen Nachlasses für die hiesige Region gut und gern auf über 100 000 DM geschätzt werden konnte, den ideellen Wert eines so stadtverbundenen Œuvres gar nicht mitgerechnet.
Inzwischen nun gibt es ein Mia-Münster-Haus, gleichsam aus später Einsicht und Akt der Wiedergutmachung, hoffentlich auch als Zeichen für das eingangs geforderte und erneuerte Bewußtsein im Hinblick auf die städtische Kulturtradition.
Die Stadtbücherei hatte den Vorschlag gemacht, die Kreisstadt möge einen Platz oder eine Straße nach „Lenchen Demuth” benennen, denn ihr Todestag hat sich am 4. November zum 100. Male gejährt. Begrüßenswerterweise hat die Presse daraufhin die Bürger zu einer offenen Diskussion über das Für und Wider eingeladen. Unglücklicherweise war der Aufruf über die Bedeutsamkeit von Lenchen Demuth mit deren vielfältiger Erwähnung in der Marx-Engels-Ausgabe begründet, was die Weichen für die Diskussion wahrscheinlich ungewollt in die ideologische Richtung gestellt hat. Die Diskussion hat sich demnach auch in ideologischer Pauschalverengung mit entsprechendem Ergebnis totgelaufen.
Für eine gute Entscheidungsfindung jedoch kommt es darauf an, neben dem Ziel, der in Frage kommenden Persönlichkeit wenigstens annähernd gerecht zu werden, zu prüfen, ob die Beziehungen zwischen der Stadt und der nämlichen Person eine Erinnerungspflege und Ehrung auch im Hinblick auf künftige Entwicklungsfähigkeit rechtfertigen. Wer seine Entscheidungsgrundlage nur auf die Frage beschränkt, welche Verdienste hat sich Helene Demuth um St. Wendel erworben, der kann zwar leicht die Entscheidung treffen: keine Ehrenbezeugung für sie und also auch keine Straßenbenennung. Er beweist aber damit zugleich, daß sein Blick gänzlich nach rückwärts fixiert ist und noch nicht einmal völlig objektiviert, was kaum einen zukunftsorientierten Aufbau städtischer Kulturtradition zuläßt, und das wird der Aufbruchsdynamik nicht gerecht, in der unsere Stadt sich seit Anfang der achtziger Jahre befindet.
Außerdem erweist es sich als Anmaßung gegenüber der Person von Helene Demuth, die sicherlich nie daran gedacht hat und auf keinen Fall selber veranlaßt hat, daß St. Wendel einmal eine Straße oder einen Platz nach ihr benennen sollte. Vielmehr läßt sich objektiv für jedermann feststellen, daß ihre Geburtsstadt St. Wendel sie in gnadenloser Weise während der oftmals gepriesenen Coburger Zeit auf die übliche sanfte Art exiliert hat: Sie wurde als Mädchen im Alter von 8 oder 9 Jahren wegen Armut der kinderreichen Familie in ein Dienstverhältnis nach Trier weggegeben. Aufgrund ihres Schicksals und dessen Bewältigung ist sie schließlich zu einer Weltbürgerin geworden und wurde in einem Grab beerdigt, zu dem inzwischen weit mehr Menschen aus der ganzen Welt pilgern als zum Grab unseres Stadtheiligen Wendelin. Zugegebenermaßen, wenn auch nicht um ihretwillen.
Dagegen zu Recht hat diese vertrauliche Form „Lenchen" die Baronin von Westphalen in Trier benutzt, welche offenbar ihre Tüchtigkeit erkannt und das kränkliche Mädchen aus dem ihr zu schwer erscheinenden Dienstverhältnis erlöst hat Deshalb ist Helene Demuth dann in der Familie von Westphalen sowohl als Haushaltshilfe wie auch als Freundin und Vertraute der Jenny von Westphalen, der späteren Frau von Karl Marx, weiter aufgewachsen. Später — als die junge Familie von Karl Marx bereits im Exil in Brüssel lebte und die Baronin von Westphalen erfuhr, unter welch schweren Bedingungen — schickte sie ihrer Tochter Jenny „das Beste, was sie ihr schicken konnte, ihr liebes, treues Lenchen". Diese Stelle wird oft zitiert, und daher kommt wohl auch die Übernahme der vertraulichen Namensform.
Die Situation, aus der sich dieser Text ergibt, zeigt aber deutlich auch, in welchem Bereich die Verdienste von „Lenchen" Demuth liegen, im familiären nämlich, d. h. im Mitmenschlichen. Ihre Tüchtigkeit für die Familie Marx war lange schon wirksam, bevor es eine marxistische Ideologie gab und beruhte im wesentlichen auf der Verpflichtung zum Dank gegenüber der Baronin von Westphalen und auf der Vertrautheit von Jugend an mit der Frau von Karl Marx, also der Jenny geborene von Westphalen. Deshalb schreibt auch H. F Peters in seiner Biographie „Die rote Jenny. Ein Leben mit Karl Marx" unter Bezugnahme auf die oben zitierte Stelle: Lenchen „war ein Gottesgeschenk im wahrsten Sinne des Wortes, denn ohne Lenchen hätte die Familie Marx die schweren Jahre des Exils kaum überstanden. Sie blieb ihr ganzes Leben bei ihnen, war Jennys Alter ego, machte die Hausarbeiten, kochte, buk, wusch, kämpfte gegen Gläubiger, war eine zweite Mutter für Jennys Kinder und eine zweite Frau für Karl."
Mit diesen Zeilen werden neben der Anerkennung von Helenes Tüchtigkeit natürlich auch Problembereiche angedeutet, die bisher von Leuten wie der Marx-Tochter „Tussy" möglichst unberücksichtigt bleiben sollten, denn die wollte ihren Vater als reinen Helden aufgebaut sehen. Es muß aber einem späteren Beitrag über „Lenchen" Demuth vorbehalten bleiben, weitere Informationen zu bringen und Gedanken darzulegen, die es dem Leser besser ermöglichen, sich ein Bild von ihrer Lebensleistung und auch ihrer Lebensproblematik zu machen. Hier sei nur schlagwortartig angedeutet, daß es neben der schon erwähnten „sanften" Exilierung aus der Heimat, wofür Helene Demuth durchaus als Beispiel aufbaufähig wäre, um die Frage der (Selbst-)Ausbeutung in der Familie Marx gehen kann.
Eine weit interessantere Problematik aber liegt darin, daß Helene trotz ausgewiesener und vielfach bestätigter Tüchtigkeit als (Ersatz-)Frau weder von Karl Marx noch von Friedrich Engels standesgemäß keine volle Anerkennung gefunden hat.
(Werner Martin)
Das Fräulein Demuth
Bereits zuvor habe ich Herbert Friedrich Andréas vorgestellt, mit dem Heinz Monz um 1970 in Kontakt stand. In einem leider undatierten Brief schreibt er:
„Sehr geehrter Herr Dr. Monz,
bei dem Verfasser eines Marx-Buches setze ich genügend Interesse voraus für das folgende kleine Problem, um es Ihnen vorzulegen.Unter dem Titel „Persönliches von Friedrich Engels“ druckt die Triersche „Volkswacht“ Nr. 271, II. Jahrgang 1920, einen Brief von Engels an Moorhenn, vom 9. Dez. 1890. Diesen Brief werde ich demnächst in Eckerts „Archiv“ neuveröffentlichen.“
Die beiden genannten Zeitschriften konnte ich nicht auftreiben, aber ich fand Engels Brief im Internet:[165]
„Engels, 122, Regent's Park Road, N.W.
an Mohrhenn in Barmen London, 9. Dez. 90
Werter Genosse Mohrhenn!
Ich kann nicht umhin, Ihnen meinen besten Dank zu sagen für die Mühe, die Sie sich gegeben haben mit den Photographien meines Elternhauses im Bruch. Sie haben mir ungemein Freude gemacht und mir manch tollen Jugendstreich ins Gedächtnis zurückgerufen, der sich an diese Haustreppe, an dies und jenes Zimmer oder Fenster knüpft. Das alte Fräulein Demuth hat recht, das Haus im Bruch, das zu meiner Jugendzeit die Nr. 800 trug, ist das richtige, dahinter war unser Garten, dann die Bleiche bis zum Engels-Gang, dann gegenüber die Häuser meines Großvaters Caspar und seines Bruders Benjamin Engels, in denen später meine Onkel Caspar und August wohnten. Ich glaube mich des Frl. Demuth noch dunkel zu erinnern, sie muß mich auch ein paarmal bei meinem Vetter Caspar gesehen haben, als wir beide noch jung gewesen. Sie kann Ihnen wohl auch noch das alte Stammhaus meiner Familie beschreiben, wo mein Großvater geboren wurde. Es stand oben am Ende von EngelsGang, da, wo er mit dem Bruch zusammenstößt, gegenüber von dem Weg, der nach dem Böken hinaufführt, aber damals keinen Namen hatte. Es war ein recht kleinbürgerliches, zweistöckiges Haus, zu meiner Jugendzeit unten Lagerhaus, und oben wohnten zwei Mägde meiner Großeltern, Familienpensionäre, bekannt als Drütschen und Mineken, die uns Kinder oft mit Apfelkraut auf Brot traktierten. Die Eisenbahn hat das Haus vertilgt. Daß der Bruch, so sagten wir damals schon, lange nicht so fromm ist wie früher, darüber hat mir mein Bruder Rudolf schon vor Jahren klaren Wein eingeschenkt. Er zeigte auf das Haus gegenüber, wo früher ein gewisser Ottenbruch wohnte und das ein Wirtshausschild trug: "Siehst Du, da kommen auch die Sozialdemokraten schon viel hin!" Sozialdemokraten im Bruch - das war allerdings eine kolossale Revolution gegen 50 Jahre früher. Eine noch größere würde es allerdings sein, wenn unser altes Haus eine sozialdemokratische Druckerei würde. Das aber müßten Sie sehr geschickt anfangen. Das Haus gehört jetzt meinem Bruder Hermann, wenn der es nicht wieder verkauft hat, und der würde es schwerlich dazu verkaufen, wenn er wüßte, was damit vorgenommen werden sollte. Nun, daraus wird wohl so bald nichts werden, das wäre gar zu schön. Nun leben Sie wohl. Ich komme doch noch ens na Barmen, on denn well ek Se besöken, on dann verteilen Se mek, wat dat vor Sauerreien gewesen sind onger dat Sozialistengesetz.
Aufrichtigsten Gruß. Ihr F. Engels“
Andréas fährt fort:
„Das merkwürdige an dieser Veröffentlichung ist ihr Ort. Moorhenn wird in der Einleitung bezeichnet als ein „alter und längst verstorbener Kämpe der Arbeiterbewegung im Wuppertal“, und über die weitere Herkunft des Briefes wird nichts gesagt, als dasz er „leider erst jetzt bekannt wurde.“ Weder von Moorhenn noch von dieser überraschenden Namensvetterin (oder echten Base?) Helenas weisz ich auch nur das Geringste. (…)
Es wäre auch möglich, dasz Moorhenn oder die Demuth in Trier verstorben sind und den Brief nachgelassen haben. Das Original lag 1920 vor, denn am Ende ist der Schluszabsatz faksimiliert. Das Fräulein Demuth dürfte 1890 etwa 80 Jahre alt gewesen sein, wenn sich der 70jährige ihrer aus der Jugend als Fräulein erinnert. Vielleicht war sie, wie Helena, eine Hausangestellte und kehrte am Ende des Lebens nach Trier zurück?“
Leider liegt uns Monz’ Antwort an Herrn Andréas nicht vor. Auch ich weiß von dieser Fräulein Demuth nicht das geringste. Sorry.
[1] LAS, Notar Roechling, Nr. 34 vom 15.02.1808.
[2] LAS, SaCOReg 113, Seite 5ff.
[3] LAS, Notar Eschrich, Nr. 60 vom 04.02.1818.
[4] Priewer, Sterblichkeit.
[5] Landeshauptarchiv Koblenz, 1C7441, St. Wendel, Einträge 15 und 15 1/2
[6] LAS, Notar Roechling, Nr. 65 vom 21. Frimaire 8.
[7] Pfarrarchiv St. Wendel, B28, S. 803.
[8] LAS, Notar Hen, Nr. 529 vom 13.11.1817.
[9] LAS, Notar Hen, Nr. 511 vom 29.11.1831.
[10] LAS, Notar Hen, Nr. 512 vom 29.11.1831.
[11] LAS, Notar Hen, Nr. 513 vom 29.11.1831.
[12] LAS, Notar Hen, Nr. 53 vom 20.01.1832.
[13] LAS, Notar Hen, Nr. 492 vom 29.11.1839.
[14] LAS, Notar Schneider, Nr. 7836 vom 03.03.1887.
[15] LAS, Notar Hen, Registerband.
[16] Bibliothek des Priesterseminars Trier, Wen V8, 1818.
[17] SAS, Geburtsregister des Standesamts St. Wendel.
[18]wikipedia => „Tagelöhner“.
[19] Die Angaben zum Schulwesen habe ich auf freundlichen Hinweis von Achim Schmitz im Wesentlichen Edelbluths Geschichte der St. Wendeler Schulen entnommen.
[20] LAS, SaCOReg 290, S. 369ff.
[21] LAS, SaCOReg 301.
[22] SAS, C4-01, S. 149ff.
[23] SAS, C4-33, S. 18-30.
[24] SAS, C4-33, Seite 96.
[25] LAS, SaCOReg 290, S. 369-377.
[26] SAS, C4-33, Seite 59/60 und 70/71.
[27] SAS, C4-33, Seite 35-64.
[28] Ambrosi, Demuth, S. 23.
[29] Siehe Kapitel „Von St. Wendel nach Trier“.
[30] SAS, C4-17, S. 71ff.
[31] SAS, C4-33, S. 35-64.
[32] SAT, Tb 15-578.
[33] SAS, C3-46.
[34] wikipedia => „Geschichte der Gehörlosen“.
[35] LAS, SaCOReg 297, S. 95.
[36] SAS, C3-30.
[37] LAS, Notar Hen, Nr. 122 vom 16.02.1840.
[38] St. Mary’s Roman Catholic Church in Dansville, New York. Records, 1830-1936.
[39] LAS, Notar Hen, Nr. 123 vom 16.02.1840.
[40] Freundlicher Hinweis von Edgar Schwer aus Nonnweiler.
[41] wikipedia => Silbergroschen.
[42] LAS, Notar Hen, Nr. 386 vom 06.05.1837.
[43] www.google.de, matheretter: Zinseszinsformel.
[44] SAT, Tb 15/320.
[45] Limmroth, Jenny, S. 41; Adreßbuch Trier 1837.
[46] SAT, Kt/6/115a.
[47] Limmroth, Jenny, S. 84.
[48] LAS, Notar Hen, Nr. 123 vom 16.02.1840; siehe „Peters Anteil am väterlichen Erbe“.
[49] Marx, Umrisse. Freundlicher Hinweis von Klaus Gietinger.
[50] MEW, Band 37, Seite 66.
[51] MEW, Band 37, Seite 80
[52] MEW, Band 37, Seite 264.
[53] MEW, Band 37, Seite 106.
[54] SAS, C2-18, Seite 30ff.
[55] linker Teil des heutigen Gasthauses „El Corazon“, Balduinstraße 20 (2018) => das Wohnhaus der Familie mütterlicherseits.
[56] SAS, C 3-48, Seite 37-38.
[57] SAS, C 3-48, Seite 44.
[58] SAS, C2-100, Seite 39.
[59] LAS, Notar Euler, Nr. 2526 und 2528 vom 22.11.1865.
[60] SAT, Sam 116/5.
[61] SAS, C1-73, Seite 224.
[62] Verfassung und Verwaltung, Seite 294ff.
[63] Fahrmeir, Staatliche Abgrenzungen, Seite 224-226.
[64] Ebenda, S. 226.
[65] Ebenda, S. 239.
[66] Ebenda, S. 240.
[67] Ebenda, S. 242.
[68] SAS, C2-69, Seite 60.
[69] TNA, FO 83/21-22.
[70] en.wikisource.org/wiki.
[71] SAS, C 2-69, Seite 81, Eintrag 64.
[72] SAS, C2-69 Paßregularien, Seite 60-67.
[73] TNA, FO 83/21-22.
[74] TNA, H.O. 107/1510.
[75] TNA, RG 11/211.
[76] TNA, RG 9/123.
[77] TNA, RG 10/206.
[78] TNA, RG 11/211.
[79] MEW, Band 30, Seite 303.
[80] General Register Office, Register of Death, District St. Pancras, Sub-District Kentish Town, Middlesex County, 1862.
[81] Freundlicher Hinweis von Caroline Gurney (APG), England, am 03.08.2018.
[82] Freundlicher Hinweis von James Luwagga, Registration Officer, Customer Services, London Borough of Camden, 218 Eversholt Street, London NW1 1BD, vom 10.10.2018.
[83] Mary Burns, mit der Engels seit 1845 zusammenlebte (+1863).
[84] Gemkow, Unbekannte Dokumente.
[85] Izumi, Karl Marx.
[86] Priewer, Voreheliche Konzeptionen.
[87] Pressemitteilung der Stadt St. Wendel, undatiert (April 2012).
[88] Gemkow, Unbekannte Dokumente.
[89] TNA, RG 10/206.
[90] NL Monz/III.11.
[91] TNA, RG 11/211.
[92] Blumenberg, Karl Marx, S. 115-117.
[93] Künzli, Karl Marx, S. 326/327.
[94] Das muß man nun wirklich gar nicht verstehen. Ich hoffe, er hat sie da falsch verstanden, oder sie hat ihn nur veräppelt, und er hat es nicht gemerkt.
[95] Erschienen in „DER SPIEGEL“, Ausgabe 44/1972.
[96] NL Monz/III.11.
[97] wikipedia, deed poll.
[98] General Register Office, 497/1973.
[99] Ellen wurde um 1854 geboren, war also 19 Jahre alt und damit noch minderjährig.
[100] SAS, C 2-69, Seite 87, Eintrag 189.
[101] Gemkow, Genossin.
[102] SAT, NL Monz/III.11.
[103] wikipedia, Bert_Andréas.
[104] MEW 33, Seite 19; freundl. Hinweis von Klaus Gietinger.
[105] MEW 33, Seite 679.
[106] NL Monz/III.11.
[107] wikipedia, Königlich Preußische Landgendarmerie.
[108] Monz, Demuth.
[109] MEW 37, Seite 71, Auszug.
[110] MEW 37, Seite 74, Auszug.
[111] MEW 37, Seite 80, Auszug.
[112] MEW 37, Seite 81, Auszug.
[113] MEW 37, Seite 82, Auszug.
[114] Schaeffer, Charles: Code Civil.
[115] LAS, Notar Schneider, Nr. 9491 vom 17.12.1888.
[116] Oltmer, Migration, Tabelle I.1.
[117] Das Firm- wie das Taufbuch liegen im Pfarrarchiv St. Wendel.
[118] wikipedia, CIC.
[119] CIC 1917, Liber III, Pars I, Titulus I, Caput IV, Can 766, 1.
[120] CIC 1983, Buch IV, Teil 1, Titel 1, Kapitel 4, Can 874, §1.
[121] Pfarrarchiv St. Wendel, Firmbuch, Blatt 295 v, Nr. 63.
[122] Helenas Geburtsjahr wurde meist mit 1823 oder 1824 angegeben, aber sie wurde 1820 geboren.
[123] Foto des alten Grabes => www.boeckler.de/40891_40898.htm
[124] MEW 35, Seite 14.
[125] MEW 36, Seite 50.
[126] MEW 36, Seite 193.
[127] MEW 36, Seite 713.
[128] MEW 37, Seite 386.
[129] MEW 37, Seite 481.
[130] MEW 36, Seite 665.
[131] MEW 36, Seite 674.
[132] MEW 36, Seite 680.
[133] MEW 36, Seite 380.
[134] MEW 36, Seite 735.
[135] MEW 36, Seite 645.
[136] MEW 35, Seite 26.
[137] MEW 36, Seite 659.
[138] MEW 37, Seite 34.
[139] MEW 37, Seite 362.
[140] MEW 36, Seite 242.
[141] MEW 36, Seite 668.
[142] MEW 37, Seite 151.
[143] MEW 37, Seite 309.
[144] MEW 37, Seite 386.
[145] MEW 37, Seite 483.
[146] MEW 37, Seite 496.
[147] General Register Office, Register of Death, District St. Pancras, Sub-District Regents Park, County of London, 1890.
[148] MEW 37, Seite 498.
[149] MEW 37, Seite 511.
[150] Saarbrücker Zeitung vom 20.09.1984, 01.10.1984 und 01.11.1984.
[151] Freundlicher Hinweis von Frau Grothusmann, Stadtarchiv St. Wendel, nach Sichten der Stadtratsakte.
[152] SAS, C 2-02, Seite 120 und 121.
[153] https://digi.bib.uni-mannheim.de/periodika/reichsanzeiger
[154] LAS, Notar Schneider, Nr. 6218 vom 09.01.1885.
[155] SAS, C7-187, Mappe ¼, Seite 97-99.
[156] wikipedia => „Lehrerinnenzölibat“.
[157] SAT, NL Monz/III.11.
[158] Saarländisches Grundbuchamt, Grundbuch St. Wendel.
[159] LAS, Notar Schneider Nr. 1860 vom 01.09.1899.
[160] LMA: Church of England Marriages and Banns, 1754-1932, Reference Number: p92/geo/218
[161] Die dreimalige Ankündigung, daß eine Hochzeit stattfinden soll.
[162] LMA: Electoral Registers 1832-1965, hier 1949, S. 344-345.
[163] IHGS, Canterbury, Kent, England: Andrews Collection.
[164] Zur Verfügung gestellt von Christoph Demuth, Bliesen.
[165] www.dearchiv.de.