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20. Jahrhundert -> 1908-1950 Adam Dallinger, Monteur und Kreischauffeur -> Der Kreis erhielt einen kirschroten Mercedes.

Sankt Wendler Volkszeitung, 30.12.1958.

Verfasser: Helmut Brill

 

Der Kreis erhielt einen kirschroten Mercedes.

 

Gespenstisches Geschehen auf der Landstraße: da schreitet ein vornehmer Herr mit der Petroleumslampe im Nebel. Hinter ihm taucht im 6–Kilometer–Tempo ein Benz auf. Der Herr, der mit der Lampe auf der Straße schritt, war Landrat von Aschoff, und hinter ihm fuhr Adam Dallinger den ersten Kreiswagen, ein kirschrot lackiertes 18/28 PS Landaulett- Fahrzeug, das 40 Zentner wog, vier Gänge mit Kulissenschaltung und eine Höchstgeschwindigkeit von 75 Kilometern hatte. Der Landrat ging vor dem Fahrzeu herg, weil das damals bei Nebel nicht anders zu machen war, denn der Benz hatte Karbidbeleuchtung und als Begrenzungslampen Petroleumsfunzeln.

 

Damals … das war vor 50 Jahren, da gab es in St. Wendel drei Autos … welch köstliche Zeit! (Heute - 1958 - passieren in der Stadt wenigstens drei Unfälle am Tag, und viele 100 Autos sind da). Dr. Schuppmehl besaß einen Gaggenau, Dr. Scholly einen NAG und Herr Wassenich einen Rupp-Apolda, einen Piccolo- Kleinwagen mit Luftkühlung, dem es an jedem Berg zu heiß wurde.

 

Die Eingesessenen kennen die Geschichte: Als Herr Wassenich nach Wehrschweiler fuhr, begegnete ihm der Briefträger. Herr Wassenich wollte ihn mitnehmen, doch der Briefträger meinte: Nä, nä, eich kann net mitfahre, eich muss ä Telegramm zuschdelle ... Und tatsächlich: Wenig später überholte der Telegrammbote das Auto am Berg. Es wollte nicht weiter.

 

Heute auf den Tag sind es 50 Jahre, da der von der Kreisverwaltung St. Wendel bei den Benzwerken gekaufte Mercedes von dem Monteur–Chauffeur Adam Dallinger nach St. Wendel überführt wurde. Herr Dallinger, der auch heute noch als 75-jähriger hinter dem Steuer sitzt und die Kurven mit jugendlichem Schwung nimmt, hat uns ein Stündlein aus dem Lebensbuch eines Monteur–Chauffeurs erzählt, das vor über sechs Jahrzehnten begann und vor genau fünf Jahrzehnten in St. Wendel seinen Anfang nahm. Er selbst erzählt nachfolgend ein wenig davon.

 

„Der damalige Kreis St. Wendel mit seinen beinahe 100 Gemeinden und Gehöften hatte eine Länge von 60 Kilometern. Es war der erste Kreis des Regierungsbezirks Trier, dessen Kreistag die Beschaffung eines Dienstwagens beschloss. Um nach Grumbach oder Offenbach am Glan zu kommen, musste man entweder über Neunkirchen – Homburg – Altenglan oder über Oberstein – Kirn – Odernheim – Staudernheim-Meisenheim-Lauterecken die Bahn benutzen. Daher ging natürlich zur Erledigung von Dienstgeschäften innerhalb des Kreises sehr viel Zeit verloren. Die nicht an der Bahn liegenden Gemeinden konnten nur zu Fuß und zum geringen Teil mit der bespannten Landpost erreicht werden. Durch das Auto war es erst möglich, die Dienstgeschäften schneller zu erledigen und die laufenden Bauarbeiten ständig zu kontrollieren.

 

Für die Körung wurden zum Beispiel per Pferd über 14 Tage benötigt. Mit dem Sechsitzer- Pkw waren es nur mehr viereinhalb Tage. In einem Tag wurden bis zu 24 Gemeinden besucht.

 

Es darf hier erwähnt werden, dass das Fahrzeug damals 17.000 Goldmark gekostet hat. Der Vierzylindermotor war mit Magnet-Abreißzündung versehen und nicht etwa mit einem Anlasser. Der Motor wurde mit einer Andrehkurbel zum laufen gebracht. Das Fahrzeug hatte eine Kardan–Fuß– und eine Handbremse für die Hinterräder. Bei Reifendefekt, deren es viele durch die Hufnägel gab, musste bei jedem Wetter an Ort und Stelle montiert werden. Die Wulstreifen wurden, damit sie in den Kurven nicht aus den Felgen sprangen, mit fünf Flügelschrauben auf der Felge festgehalten. Der Luftschlauch musste mit der Handpumpe auf fünf Atü mit etwa 5000 Stößen aufgepumpt werden. Die abnehmbaren Felgen waren damals noch nicht 100prozentig. Die hatten sich im Sitz sehr leicht gelockert bei den schweren Wagen. Später gab es dann das Stepneyrad, dass an die Felge des Rades mit zwei festen und zwei verstellbaren Klauen angehängt wurde (das fünfte Rad am Wagen).

Trotzdem das Auto an Vollkommenheit viel zu wünschen übrig ließ, wurde es bis zum Mai 1922 gefahren. Es war ein sehr zuverlässiges Fahrzeug und äußerst stabil. In den 13 Jahren war es zum Überholen und Lackieren einmal in der Werkstatt, deren es damals nur sehr wenige in der Umgebung gab. Am 1. Mai 1922 wurde der Wagen durch zwei Ingenieure auf 250.000 Mark taxiert und auch zu diesem Preis abgesetzt.“

 

Wir dürfen diesen Ausführungen noch einiges hinzufügen, was wir aus der persönlichen Unterhaltung erfuhren. Bis zur Erreichung der Altersgrenze des Fahrers Dallinger im Jahr 1949 wurden von der Kreisverwaltung drei neue Autos beschafft und in Betrieb genommen.

 

Wie aus den Zeugnissen von Adam Dallinger ersichtlich ist, hat er bereits 1903 Auto gefahren. In seinem Geburtsland Baden gab es damals noch keine Führerscheine. Es waren nur die Straßenverkehrsbestimmungen maßgebend. Zunächst fuhren die Autos nur Fachleute. Wollten die Autobesitzer selbst fahren, dann wurden diese von den Beauftragten der Fabrik bzw. durch den Vertreter oder die Fahrschule in Bingen ausgebildet.

 

Unter anderem hat Dallinger vom 9. bis 17. Juni 1908 als Monteur an der Prinz- Heinrich- Zuverlässigkeits- Fahrt mit einem Benzwagen, der eine Geschwindigkeit von 140 Stundenkilometern erreichte, teilgenommen. Die Fahrt begann in Berlin. Sie ging über Stettin – Kiel – Flensburg – Hamburg – Bremen – Hannover – Münster/Westfalen – Köln - Aachen – Trier – Bernkastel-Kues – Hunsrück – Bingerbrück – Bacharach-Rheinböllen-Stromberg – Bingen – Frankfurt am Main. Bei Hamburg fand ein Flachrennen und in Bacharach ein Bergrennen statt. Über 180 Fahrzeuge waren an dieser Fahrt beteiligt, die nach ihrer Stärke eingruppiert waren. Beim Flachrennen hat das Benzfahrzeug Nr. 12, in dem Dallinger fuhr, mit über 136 Stundenkilometern Geschwindigkeit bei Gegenwind die schnellste Zeit gefahren. Beim Bergrennen fiel es leider durch Motorstörung aus.

 

Dallinger wurde 1936 von der Daimler–Benz–AG Stuttgart die goldene Mercedes–Benz–Ehrennadel und 1957 von dem Automobil – und Touringclub Sara der Verkehrs – Ehrenschild Saar in Gold mit Eichenlaub sowie die Christophorus-Plakette des MCW verliehen.

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