Sr. Wohlgeboren
Herrn Professor Steininger
Jn Trier
Lieber Bruder!
Als ich den Entschluß faßte, künftigen Herbst nach Berlin zu reisen,
waren mir die Hindernisse, welche der Ausführung im Wege stehen,
nicht unbekannt. Im Gegentheile kannte ich sie alle durch meine
Freunde und durch meine langen Nachforschungen so gut, wie sie
nur jemand kennen kann. Ich rechnete indessen darauf, bald
an einer anderen Anstalt besser (?) angestellt zu werden, wie dies
bei den meisten dortigen Mathematikern und auch bei beiden
Ohmen der Fall ist; dadurch nicht so viel Zuschuß, und wenn
ich einmal als extraordinarius auch nur einige 100 Thlr Gehalt
bekäme, als dann gar keinen mehr nöthig zu haben. Ich hoffte
dabei in einen Jahre meine Subsistenz zur Noth geführet
zu haben; ich hette ein erträgliches Leben, könnte mich den
Wissenschaften widmen; meine bisherigen Mühen und
Studien weren mir nicht verloren; und ich müßte dann doch
mit der zeit ordinarius werden. Ich leugne nicht, daß ich dabei
selbst an die Errichtung der école polythechnique gedacht habe,
welches meinem Unternehmen nur günstig sein konnte.
Du bist sehr dagegen. Auch Kortüm (?) ist es. Er schrieb mir Ostern
und rieth mit so lange in meiner jetzigen Stellung zu warten,
bis ich eine bequeme und einträglichere erhalten würde. Er
meint, aus der bisherigen Nichterfüllung meiner Wünsche nicht zu
schließen, daß sie niemals erfüllt würden. Schöne Worte! Hätte
ich statt meiner 30 Stunden nur die Hälfte, so wollte ich wohl noch
einige Jahre zusehen; aber so ist das Maas voll. Und überdies, ist
mir denn dabei gedient, aus meinem Gymnasiallehrer-Posten in
einen anderen zu kommen? Direktor werde ich nie, denn sonst
wäre ich es schon. Zwei Philologen, welche noch mit mir studirt
haben, wenn sie auch ein oder anderthalb Jahr früher fertig waren,
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und die gewiß nicht diese Zeugnisse aufzuweisen wie ich,
und die sich auch während dem gewiß nicht so geplagt haben
wie ich, sie sind es schon. Für ein Gymnasium bin ich noch
nicht einmal in Vorschlag gewesen. Und auf eine höhere Bürger-
schule warten? Das ist allzu gewagt. Der Mathematiker und
der Katholik steht mir immer noch im Wege, und die Wahrschein-
lichkeit, fast die Gewißheit ist dafür, daß ich noch eine ziemliche
Reihe von Jahren hier oder wenigstens an einem anderen Gymnasium
als Lehrer bin. Also geändert muß werden.
Daß ich mich am besten stehe als Jurist, wenn ich einmal mein
Ziel erreicht habe, das habe ich nie bezweifelt. In jedem Falle
sei es als Professor an Universität, oder als praktischer Jurist.
Aber daß ich dadurch Verzicht leiste, muß ich allen Nutzen
meiner bisherigen Studien, daß mir meine viele Zeit und meine
vielen Mühen gänzlich verloren sein sollen, daß ich die dreißiger
wieder zubringen soll wie die zwanziger, mit bloßem Vorbereiten
zur eigentlichen selbständigen Wirksamkeit - - das allein
das trieb mich zur Professur in der Mathematik, oder zum
Wegziehen. Inzwischen ich habe micht jetzt an die Gedanken
schon so ziemlich gewöhnt, ich habe mich schon so ziemlich drein
gegeben; ich werde denn wahrscheinlich Jurist werden.
Ich habe das Reglement, was im April für die Vorbereitung der
rheinischen Juristen im Amtsblatte erschienen ist, gelesen. Darin
wird ein juristisches trierrium academicum auf einer deutschen
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Universität verlangt, wovon uns der Justizminister dispensiren
kann. Alsdann gehen noch mindestens 1 ½ Jahre hin, bis man
Friedensrichter werden, und mindestens 2 Jahre, bis man Advokat
werden kann. Wenn ich daher annehme, daß ich auch ein
Jahr von tricerium academicum geschenkt bekomme, so habe ich
doch mindestens 4 Jahre nothwendig, bis ich Advokat werden kann.
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Immer eine schöne Zeit, besonders da man als dann auch noch
nicht sogleich im Verdienst ist. Gürster, Feller, Mitwy etc hatten
im Herbste noch gar nichts verdient. Sauer, der schon einige
Jahre angestellt ist, muß noch sein Auskommen nicht haben.
Warum Schaak, der doch eine gute Praxis hat, die Rathsstelle
zu 900 Thr vorgezogen hat?
Wie denn auch immer sei, ich bin so ziemlich mit dem Gedanken
vertraut, Jurist zu werden. Ich sehe jeden Tag meiner Ent-
lassung entgegen, und werde mich dann bestimmt entscheiden.
Sobald dieselbe angekommen ist, werde ich dir gleich schreiben.
Bis dahin lebe recht wohl. Das beikommende Paquet, sei so
gut, an meine Schwester abzugeben. Ich grüße euch alle recht
herzlich.
Dein ergebenster Bruder
P.J. Steininger
Essen am 25. Mai 1832.