Glatteis im Sommer
ein Reisebericht über die Rallye während der Rallye
verfaßt im Juli 2003
Mit meinem Arbeitsplatz hab ichs gut getroffen. Von Alsfassen (wir wohnen in der Alsfassener Straße zwischen Falkenbösch und Gäßchen) bis rauf zur Koordination vom Globus sinds grad mal fünf Minuten - außer natürlich bei Glatteis, aber da geht nirgends etwas. Aber vorige Woche, da hatten wir Glatteis - im Sommer.
Unsere Einfahrt ist recht eng und steil, ich muß dort langsam runterfahren und unten an der Hecke gut aufpassen, sonst fährt mich einer der von Bliesen her wie immer viel zu schnell fahrenden Autofahrer platt. Fuffzig ist erlaubt, okay. Aber wissen die auch, daß 50 die Höchst- und nicht die Richt- oder gar Mindestgeschwindigkeit ist? Mein Nachbar hat mir mal gesagt, ich solle doch die Polizei mal einladen, sich in unsere Hecke zu setzen, die könnten dort richtig Geld verdienen...
Ich stehe immer noch an der Hecke, denn es läßt mich heute morgen einfach keiner raus. Da, eine Art Lücke, ersten Gang rein und raus. Richtung Stadtmitte. Am Alsfassener Brunnen vorbei und der Metzgerei Neumer ... ziemlich viel Verkehr heut morgen, Auto an Auto, Stoßstange an Stoßstange. Vor der Kirche wird’s mir zu dicht. Wie wird das erst vorn am Tholeyerberg, die stehn dann wieder bis Bäckerei Wagner ... Vor der Kirche drehe ich auf dem Bushalteplatz und fahre in Gegenrichtung. Also über die B41, das geht genauso schnell, sind nur zwei Kilometer mehr. Als ich beim "Henni" (Lernersch Wirtschaft) und der Conatex in die lange Gerade biege und die lange Schlange Autos sehe, fällts mir wie Schuppen von den Haaren. Heut ist Dienstag, und heut probieren sie doch die Rallye aus. Irgendwas vom ADAC, was viel Lärm, viel Gestank und vor allem Verkehrschaos bedeutet.
Wie fahr ich denn da am Besten? Weil - die KOO liegt genau auf der anderen Seite der Blockade. Also ists mit der B-41 ab Alsfassen auch Essig, die gurken hier alle durch, weil sie dort runter mußten. Okay, Saarbrücker Straße hoch, Gründchen quer und die Straße vorn beim Zeyer links. Falkenbösch und Danziger Straße. Am Fußballplatz runter in die Pitschwiese und hinauf in die Birkenstraße. Als ich oben am Hallenbad rauskomme, stehn dort schon die Grünweißen und winken mich nach links. Exkrement, hier oben ist die B-41-Zufahrt zu. Also den Tholeyerberg hinunter. Vorm Globus-Markt biege ich rechts in den Wirthembösch und zuckele in gemäßigtem Tempo durch den Globus-Parkplatz runter ins Baumarktgelände. Und dort dann rechts. Da steht einer in Orange oder Gelb mitten auf der Fahrbahn, etwas genervt, aber nett. Er erklärt mir, daß ich höchstens bis McDonalds komme, dann ist Feierabend. Weil die Zufahrt hier auch zu ist. "Sie können ja nix dafür", sag ich ihm, "aber wer hat sich denn den Schwachsinn ausgesucht? Testfahren fürs Wochenenende in der Hauptverkehrszeit, von halb acht bis halb zehn? Wo alle Pendler unterwegs sind zur Arbeit. Tolles Timing." Er seufzt resigniert, denn den Spruch hat er wohl schon den ganzen Morgen gehört und nicht immer so nett, wie ich ihn aussprach. Er entschuldigt sich, was kann er sonst tun, und tut mir auch sofort leid. Ich fahre weiter zum Parkplatz vorm Aldi, wo tatsächlich ein paar Leute rumstehen, um Testrennen zu gucken. Um neun Uhr morgens. Und da erhasche ich auch einen Blick auf eines der Objekte der Begierde, irgendwas blau-metallisches, umgebautes, das von durchn Kreisel huscht und über die Schwelle hinein in die Rennstrecke. Sorry, aber das gemein, wieso darf der schnell, wo ich sonst höchstens mal etwas schneller als langsam darf? Will man dadurch ein Zeichen setzen nach dem Motto "es geht auch anders, aber nur für die Privilegierten", also die die dürfen, aber natürlich nicht ihr? Nun, es wird eindrucksvoll demonstriert und prägst sich relativ unauslöschlich in unser Hirn ein, jedenfalls in das all derer, die wie ich wieder umdrehen, durch den Kreisel an der Fausenmühle zu dem an der Polizei und dann in die Schlachthofstraße fahren, an der Bundeswehr vorbeikriechen und sich durch Oberlinxweiler hindurchquetschen, um nach einer guten Stunde entnervender Gurkerei auf Arbeit anzukommen, um sich dann noch eine gute Stunde lang bei geöffnetem Fenster die Heulerei und das Reifenquietschen anhören zu dürfen.
Viel Lärm um ... Nichts?
Und doch war dies erst des Chaos erster Teil. Noch besser wird es am Freitagnachmittag ab vier, denn dann hier ist wieder alles dicht, und ich komme nicht nachhause. Fast.
Schalten wir also gedanklich ein paar Tage weiter und freuen uns auf die Rückfahrt nachhause, nach einer langen, harten und erschöpfenden Arbeitswoche.
Auf unserem Parkplatz an der KOO tummeln sich auf Campingstühlen ein paar Gestalten in gelb mit lustigen Mützen, und das Gerücht geht um, daß man sein Auto nur noch abholen kann, wenn man seine Stechkarte dabei hat. Die Gestalten bleiben, das Gerücht ist natürlich nur ne Gummiente.
Um kurz nach fünf schlurfe ich zu meinem Auto und freue mich auf die Kühle unseres Hauses und den Feierabend und das ruhige Wochenende. Und kaum sitze ich in dem temporären Backofen, da fällt mir ein, daß mir auch heute wieder eine Odysee bevorsteht. Aber diesmal fahr ich andersrum, und zwar über Winterbach.
Vom Parkplatz runter und nach rechts. He, ich hab Vorfahrt, verflucht noch mal, ich komme von rechts. Das begreifen die hier nie, was - Kennzeichen Xyz - ah, nicht aus St. Wendel, ja dannnnnn..... Über die "Huwwel" - das ist dort, wo den Straßenbauern beim Straßenbauen das Geld, die Lust oder die Zuständigkeit ausging - hinauf zu Kreuzung, dort an der Fresenius rechts und vorm BMW-Händler wieder links. Hier wird’s langsam voll. Überall Einweiser und Leute mit Rucksack, die zu Fuß der Rennstrecke entgegeneilen. He Leute, ich will nur hier durch, dann lass' ich euch in Ruhe. Hinterm Saarphotocolor rechts in die Kaserne, am Kuhn links Richtung Kreises. Gegenüber dem ehemaligen Kino steht ein Mannschaftswagen der Polizei, dort rekeln sich ein Uniformierte und tanken Ruhe vor dem großen, zu erwartenden Sturm. Genießt es, Jungs, bald geht’s rund. Durch den Kreisel 1 in den Hamburger-Kreisel. Dort steht links im Kreisel eine Schlange, weil der Typ da vorn im schwarzen Mercedes es nicht auf die Reihe kriegt, daß er nicht bis vorn an die Absperrung fahren darf, sondern 200 Meter zu Fuß gehen muß. So weit .... Ich ernte erstaunte Gesichter, als ich den Kreisel gen Winterbach verlasse. Wo will der denn hin, gibt’s da ggf. auch ein Rennen, vielleicht sollten wir ...
Massenhaft dicke, schnelle, bunte Autos, die mir ab Harschbergerhof entgegenkommen, ein Motorradfahrer fährt Slalom, mal auf seiner, mal auf meiner Seite. Dahinter leuchtet das Sonnenblumenfeld hell in der Sonne, 50 Cent pro Blume fürs Selberpflücken. Sorry, meine Schönen, ich kann nicht anhalten, der Wagen, der rollt. Als ich durch Winterbach kutschiere, sitzen die Leute auf ihren Haustürschwellen und schauen sich ihre private - und kostenfreie - Rallye an, die Fahrzeugkolonnen, die durch ihren Ort rollen. An der Kreuzung vor der Kirche gibt’s ne menschlich Ampelanlage.
"Hellbraun (kann auch grün sein)" = "stehenbleiben",
"kein vor dem Auto stehender Polizist" = "weiterfahren".
Als der freundliche Herr vor dem fünften Auto vor mir zur Seite tritt, schwenke auch ich gen Osten ab und quetsche mich durch die engzugeparkte Straße - he, Vorsicht, ein Außenspiegel - Richtung Ortsausgang. Oben am Harschbergerhof ist einer clever und biegt zu demselben ab. Ein Ortsfremder - sieht man am Autokennzeichen - denkt sich, der weiß es wohl, und hängt sich hintendran. Gut, zwei weniger auf der Straße vorläufig. Ich zoggele weiter bis vor Bliesen und biege dann nach rechts Richtung St. Wendel. Den Hottenwald hoch, am Werk vorbei. Dann wird’s schlagartig dicht und voll (ggf. auch ohne "und"). Unten an der Auffahrt zur B-41 wird erstmal kassiert, wenn man auffahren will, was man darf, wenn man bezahlt. Ich will nicht, darf auch nicht, aber gradausfahren darf ich. Und da mich nervt, wie mich hintendran der schiebt, laß ich erst mal einen Haufen Autos raus, die von der B-41 runter wollen. Und jetzt auch dürfen.
Unter der Brücke geht’s durch. Und es wird immer langsamer. Stoßstange an Stoßstange, Abstand ein, zwei Meter, Höchstgeschwindigkeit (sorry, kann ich nicht ablesen, da unten steht nix auf meinem Tacho, lt. Anzeige müßte ich eigentlich stehen, aber ... wir rollen). Am Hütherhof überholt mich unten auf der Wiese eines der Mini-Schafe, das zu seiner Mutter läuft. Wie ich später erfahre, wird der Eigentümer morgen das Bürgertelefon anrufen, weil er der irren Autofahrer nicht mehr Herr wird, die die "Acht" zum Konversionsgelände hinaufbrettern und dabei die Pferde und Fußgänge in Panik und Gefahr versetzen. Ich weiß zwar nicht, was sie dort oben wollen, aber das wissen die wahrscheinlich selbst nicht.
Vom Hütherhof zur Saarbrücker Straße brauche ich fünf Minuten, sind ja auch fast 150 Meter. Das Rollen geht über in "Stop-and-Go" (stehen und fahren), aber mehr "stop" als "go". Irgendwo in weiter Ferne liegt die Conatex, und nach weiteren zehn Minuten kriecht sie an mir vorüber. Hier werden Rekorde aufgestellt, auf meiner Seite im "Kaum-von-der-Stelle-kommen", auf der Gegenseite im "möglichst-eng-an-den-geparkten-Autos-vorbeischlittern-ohne-bremsen-zu-müssen." Der Böff steht vor Lernersch Wirtschaft, schaut sich das Chaos an, schüttelt den Kopf und verschwindet nach drinnen.
Noch fünfzig Meter, noch neunundvierzig, noch fünfundvierzig (ja, der vor mir ist in den Falkenbösch abgebogen), ich hole nach links aus und fahre meinen Bogen nach rechts in unsere Einfahrt. So, vielen Dank, Jungs, jetzt dürft ihr allein weiter. Doch hab ich die Rechnung ohne den bekannten Wirt gemacht.
Als ich aus dem Auto falle und zum Haus gehe, zieht ein Hubschrauber dicht übers Haus weg, daß ich instinktiv in Deckung gehe. Und der Krach, zu dem ich bis vor ein paar Minuten noch beigetragen habe, klopft wie eine feste Masse gegen mein Trommelfell, unterbrochen von einzelnen Wumm-Wumm-Wumm-Schlägen, wenn einer bei offenem Fenster Techno hört.
Und wenn der Hubschrauber mal grad nicht drüberfliegt und die Boxen im Auto grad mal den Geist aufgegeben haben und die Verkehrsflut unten auf der Straße grad mal abebbt, weil vorn am Lanzenberg einer seinen Motor abwürgt, dann kehrt für kurze Moment eine fast himmlische Ruhe ein. Und dann - aber nur dann - versteht man endlich, was der Typ oben an der Rennstrecke mit seinem Megaphon von sich gibt. Und es sind diese kurzen Momente, an denen wir uns erfreuen. Bis der selbstgemachte Disc-Jockey auf die Reservelautsprecher umschaltet und der abgewürgte Motor wieder anspringt. Und dann geht es weiter, den ganzen schönen lieben Abend lang.