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19. Jahrhundert -> 1842 Die Preußische Eherechts-Reform

Die Preußische Eherechts-Reform.

„Die Gesetzgebungen müssen die Möglichkeit der Auflösung der Ehe aufs Höchste erschweren, und das Recht der Sittlichkeit gegen das Belieben aufrecht erhalten.“
Hegels Philosophie des Rechts.

Berlin. Druck und Verlag von G. Reimer. 1842.

Vorwort.

Der Entwurf des neuen Preußischen Ehescheidungs-Gesetzes ist aus den ersten Stadien seiner Berathung, also zu einer zur öffentlichen Mittheilung noch nicht geeigneten Zeit, in die Zeitungen übergegangen, und, wie sich erwarten ließ, der Gegenstand vielfacher Angriffe geworden, die nicht immer erkennen ließen, daß ihnen wirkliche Kenntniß und Prüfung des Entwurfs zum Grunde läge. Die nachstehenden Aufsähe sind bestimmt, das Publicum über diesen wichtigen Gegenstand zu orientiren. Den ersten derselben hat die Nr. 313. der Staats-Zeitung bereits mitgetheilt. Zu dem zweiten hat man die Motive benutzen können, mit welchen das Ministerium für die Gesetz-Revision den Entwurf vorgelegt hat. Zur bequemeren Uebersicht ist hinter den beiden Aufsätzen der Entwurf selbst nochmals abgedruckt worden, so wie ihn mehrere öffentliche Blätter bereits verbreitet haben.

I.
Die Preussischen Gesetze über die Ehescheidung.
(Abdruck aus der Allgemeinen Preuß. Staats-Zeitung. 1842. Nr. 313.)
In Folge der Kirchen-Reformation wurde in den Staaten, die sich zu ihr bekannten, die Möglichkeit einer vollständigen Auflösung des Ehebandes anerkannt. Jedoch blieb diese Möglichkeit in enge Gränzen eingeschlossen, und sowohl nach den Gesetzen der einzelnen Länder, als nach der Praxis, wurde von dieser neu eingeführten Freiheit ein sehr mäßiger Gebrauch gemacht. In Deutschland ließ diese Strenge allmälig nach, und die allgemeinen Veränderungen, die in den Lebens-Ansichten, von der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts an, immer mehr Raum gewannen, mußten so natürlich auch auf den erweiterten Gebrauch jener Freiheit Einfluß erlangen, daß man die Einwirkung derselben fast noch stärker erwarten möchte, als sie sich in der That gezeigt hat.
Die Preußischen Staaten befanden sich hierin mit den übrigen Deutschen Ländern des protestantischen Bekenntnisses lange Zeit in ganz gleicher Lage; allein in neuerer Zeit hat sich hier der Zustand in bedeutender Weise verändert. Der unbefangene Beobachter kann nicht verkennen, daß in dem größten Theil der Preußischen Staaten die Scheidungen leichter zu bewirken sind und häufiger vorkommen, als in anderen Ländern, und daß daselbst die gerichtliche Behandlung der Ehesachen weniger als anderwärts den Eins druck des Ernstes und der Würde hervorbringt, welcher als Anerkennung der Wichtigkeit des ehelichen Verhältnisses so sehr dazu geeignet ist, die gute Sitte im Leben der Familie zu unterstützen.
Durch die Betrachtung der mit diesem Zustand verbundenen großen Uebel ist die Preußische Regierung, dem Vernehmen nach, schon vor acht Jahren zu dem Entschluß gekommen, die Gesetze über die Ehescheidung einer Revision zu unterwerfen; dieses Vorhaben hat neuerlich die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen, und es dürfte nicht ohne Interesse seyn, die Gesichtspunkte zu erwagen, die bei einem solchen Unternehmen als leitend anzusehen seyn möchten.
Folgende Gedanken liegen nicht nur sehr nahe, sondern sie sind auch hin und wieder laut geworden. ,,Unser gegenwärtiger Zustand,“ sagt man, ,,ist auf dem Wege natürlicher Entwickelung durch die Sitte herbeigeführt worden, und das Gesetz hat ihm blos äußere Anerkennung gewährt. Man kann ihn, von verschiedenen sittlichen Standpunkten aus, loben oder tadeln, aber man muß ihn an erkennen als vorhanden und als auf innerer Nothwendigkeit beruhend. Jeder Versuch, ihn durch Gesche zu ändern, muß entweder fruchtlos bleiben oder, so weit er einwirkt, verderblich werden. Denn das Wesen der Ehe beruht auf Freiheit; die Wirkung des Zwanges wird also niemals eine gute Ehe seyn, sondern ein gehässiges, unwürdiges, der wahren Ehe völlig entgegengesetztes Verhältniß."
Es wird für den gegenwärtigen Zweck genügen, die Grundlage dieser vielleicht nicht wenig verbreiteten Ansicht durch Thatsachen zu widerlegen. Wenn jener Zustand aus unserer gegenwärtigen Kulturstufe durch natürliche Entwickelung entstanden ist, so muß er gleichzeitig überall erscheinen, wo dieselbe Nationalität, ein ähnliches Kulturverhältniß und besonders auch dasselbe kirchliche Bekenntniß zu finden ist. Hierüber mag die Erfahrung entscheiden, und es soll dabei zunächst die Zahl der in verschiedenen Gegenden vorkommenden Scheidungen verglichen werden. Nicht als ob diese Zahl an sich das einzige oder das wichtigste Moment wäre; denn neben seltenen Ehescheidungen kann die Ehe auf mancherlei andere Weise entweiht werden, welches ja auch in katholischen Ländern durch die völlige Versagung der Scheidung nicht verhindert wird. Dennoch ist die in einem Lande vorkommende übermäßige Zahl der Ehescheidungen als sicheres Kennzeichen eines krankhaften Zustandes zu betrachten, und sie ist zugleich dasjenige Kennzeichen, welches am leichtesten und sichersten Jedem vor Augen gestellt werden kann, und dessen Anerkennung von vorgefaßten Meinungen vorzugsweise unabhängig ist.
Im Gerichtssprengel des Kammergerichts zu Berlin, welcher etwas über eine Million Einwohner umfaßt, find im Durchschnitt der drei Jahre 1838-1840 rechtskräftig geschieden worden: 570 Ehen, mithin jährlich 57 Ehen auf 100,000 Einwohner. Allerdings ist darin die große Hauptstadt mit inbegriffen, worin der Sitten-Zustand in der Masse sich stets nachtheiliger als anderwärts gestaltet. Allein in den Sprengeln der Ober Landesgerichte von Frankfurt, Magdeburg, Königsberg, Stettin, worin jenes eigenthümliche Element fehlt, fallen doch auch in demselben Zeitraum 30, 35, 34 und 36 jährliche Scheidungen auf 100,000 Einwohner.
Vergleicht man damit den Zustand der Preußischen Rhein-Provinz, so findet es sich, daß im Durchschnitt der Jahre 1838-1840 auf 3,5 Millionen Einwohner nur 24 Ehen in jedem Jahre rechtskräftig geschieden worden sind, also jährlich Eine auf 100,000 Einwohner. Allerdings gehört der größte Theil jener Bevölkerung der katholischen Kirche an; allein 600,000 Einwohner sind daselbst Protestanten, und wenn man die vorgekommenen Scheidungen auch auf diese allein vertheilt, so kommen doch nur vier Scheidungen auf 100,000 Einwohner. In derselben Zeit sind in dem Sprengel des Ober-Appellationsgerichts zu Greifswald (Neu-Vorpommern), worin gemeines Recht und gemeiner Prozeß besteht, 16 rechtskräftige Scheidungen auf 100,000 Einwohner jährlich erfolgt.
Eine ähnliche Bewandniß, wie mit den zuletzt genannten Theilen des Preußischen Staates, hat es mit den nicht zum Preußischen Staate gehörenden Deutschen Ländern von überwiegend protestantischer Bevölkerung, wie sich an folgenden Beispielen ergeben wird.
Im Königreich Sachsen werden die Ehesachen in erster Instanz von den Appellationsgerichten entschieden. Nach sicheren Nachrichten gehören zu den zwei Appellationsgerichten von Leipzig und Zwickau etwa 900,000 Einwohner. Hier wurden im Durchschnitt der fünf Jahre von 1836 bis 1840 jährlich 169 Ehen geschieden, also 18 Scheidungen auf 100,000 Einwohner in erster Instanz ausgesprochen. Diese Zahl muß aber noch bedeutend vermindert werden, indem ohne Zweifel angenommen werden kann, daß ein Theil jener Urtheile in zweiter Instanz reformirt wurde, also nicht rechtskräftig geworden ist.
In Kurhessen sind im Jahre 1835: 24, im Jahre 1841: 23 Ehescheidungen vorgekommen, welche sich auf eine Bevölkerung von 6-700,000 protestantischen Einwohnern vertheilen. Hiernach kommen jährlich noch nicht 4 Scheidungen auf 100,000 Einwohner.

In den hier zusammengestellten Ländern also erscheinen die Ehescheidungen in auffallend geringerer Zahl als in den Alt-Preußischen Provinzen. Dennoch wird Niemand einen merklichen Unterschied des Sitten-Zustandes und der Kultur-Verhältnisse behaupten können. Das religiöse Bekenntniß ist dasselbe, und die gleiche Einwirkung des Zeitgeistes auf die Länder beider hier zusammengestellter Klassen wird Jeder zugeben, mag er nun diese Einwirkung, je nach seinem Standpunkte, loben oder tadeln. Auch ist durchaus keine Spur vorhanden, daß in den genannten Ländern, worin die Ehescheidungen so viel seltener sind, in diesem Zustand ein Druck, eine Entziehung billiger, wünschenswerther Freiheit empfunden würde; ein Bedürfniß, diesen Zustand zu verändern, hat sich daselbst von keiner Seite kund gegeben.
Untersucht man nun die Ursachen, aus welchen der nachtheiligere Zustand der Alt-Preußischen Provinzen zu erklären ist, so sind dieselben weder zweifelhaft, noch schwer zu entdecken. Sie liegen lediglich in Gesetzen und Gerichtsformen, in Maßregeln der Regierung, also in Thatsachen, die mit dem inneren Bedürfniß und dem Kulturzustand Nichts gemein haben, in Beziehung auf diesen vielmehr als ganz zufällige und äußerliche Momente an zusehen sind.
Die älteste und wichtigste unter diesen Thatsachen ist die Preußische neuere Gesetzgebung über die Scheidungsgründe. Schon das Edikt vom 17. November 1782 dehnte diese Gründe weiter aus, als es jemals in einem Gesetz dieses oder irgend eines anderen protestantischen Landes geschehen war. Die wichtigsten hier eingeführten neuen Gründe sind: der unversöhnliche, aus erheblichen Gründen entstandene Haß (§. 11. 12.), und die gegenseitige Einwilligung bei solchen Ehen, die mehrere Jahre kinderlos geblieben waren (§. 17). Das Allgemeine Landrecht (1794) ist auf diesem Wege noch etwas weiter fortgeschritten, und die Praxis der Gerichte ist in die Richtung dieser beiden Gesetze so bereitwillig eingegangen, und hat sie auf so freie Weise zur Anwendung gebracht, daß seitdem die Zahl der Ehescheidungen auf eine in anderen protestantischen Ländern unbekannte Weise zugenommen hat. Zu dieser großen Förderung durch die Praxis hat aber besonders die zweite Thatsache beigetragen, die hier als neue Maßregel der Regierung anzugeben ist.

Vor etwa vierzig Jahren nämlich hatten sich bei dem Geheimen Ober-Tribunal in Berlin die Geschäfte so angehäuft, daß sie nicht mehr erledigt werden konnten. Durch eine Verordnung vom 13. März 1803 wurden daher viele Revisionssachen vom Tribunal an die Ober-Landesgerichte verwiesen, welche dadurch einen Zuwachs an Arbeit erhielten. Um nun diese wieder zu erleichtern, wurden im §. 7. derselben Verordnung die Ehesachen, welche stets in erster Instanz von den Ober-Gerichten zu entscheiden gewesen waren, diesen abgenommen und an die Untergerichte verwiesen, wenn denselben (wie gewöhnlich) der Beklagte oder der Ehemann persönlich unterworfen sey. Diese Veränderung hatte die wichtigsten Folgen, die durchaus nicht in der Absicht derselben gelegen hatten. Die Ehesachen kamen dadurch großentheils in die Hände von Einzelrichtern, überhaupt aber auf gleiche Linie mit vielen ganz geringfügigen Sachen, und durch beide Umstände verlor die Behandlung derselben den Ernst und die Würde, die ihnen vorzugsweise angemessen ist. Zugleich war die geringere Zuverlässigkeit vieler Untergerichte hier verderblicher, als in anderen Sachen, worin meist die höhere Instanz für ungehörige Erkenntnisse Abhülfe gewähren kann. Denn wenn in Ehesachen beide Ehegatten über eine Gesetzwidrige Scheidung einverstanden waren und der Richter ihren Anträgen Gehör gab, so wurde stets das Urtheil erster Instanz rechtskräftig, weil Niemand vorhanden war, der durch ein eingelegtes Rechtsmittel die Rechtskraft des Gesetzwidrigen Urtheils gehindert hätte.
Endlich war im Preußischen Staat, wie anderwärts, der Ehebruch von jeher als Verbrechen behandelt und bestraft worden, und noch das allgemeine Landrecht hatte diesen Grundsatz festgehalten. Die spätere Praxis aber, anerkannt und unterstützt durch ein Ministerial-Reskript, machte die öffentliche Strafe des Ehebruchs abhängig von dem Antrag des unschuldigen Ehegatten, und forderte zugleich, daß dieser Antrag vor dem rechtskräftigen Scheidungs-Urtheil gemacht seyn müsse. Die Folge dieser kombinirten Bedingung war, daß die Strafe des Ehebruchs fast gänzlich außer Gebrauch kam, und daraus ging für die Menge der sehr nachtheilige Eindruck hervor, als sey in der Gesetzgebung, in Folge fortschreitender Bildung, die Ueberzeugung herrschend geworden, daß der Ehebruch nicht ferner als eine strafbare Handlung zu betrachten sey.
Aus den hier zusammengestellten Thatsachen also, welche größtentheils in Regierungs-Handlungen bestehen, in verschiedene Zeiten fallen und von einander ganz unabhängig sind, ist die auffallende Verschiedenheit zu erklären, welche oben zwischen den durch die Preußischen Gesetze beherrschten Provinzen und anderen Deutschen Ländern in und außer der Preußischen Monarchie nachgewiesen worden ist. In der Preußischen Rhein-Provinz nämlich besteht das Rheinische Gesetzbuch, in Neu-Vorpommern, so wie im Königreich Sachsen und in Kurhessen, das gemeine Deutsche Recht. Hier und dort findet sich weder die große Ausdehnung der Scheidungsgründe, wie im Allgemeinen Landrecht, noch die Behandlung der Ehesachen durch Untergerichte, insbesondere durch einzeln stehende Richter, noch endlich die faktische Straflosigkeit des Ehebruchs.
Wenn nun jetzt, seit einer Reihe von Jahren, die Preußische Regierung auf eine Revision der Scheidungsgesetze bedacht ist, so kann dabei ohne allen Zweifel nur die Absicht vorausgesetzt werden, die ganz äußerliche und zufällige Einwirkung auf den Zustand der Ehen zu beseitigen, die hier durch neuere positive Gesetze und gerichtliche Einrichtungen eingetreten war, und dadurch in die Bahn natürlicher Entwickelung zurückzukehren, deren wahre Beschaffenheit aus der Vergleichung der oben zusammengestellten anderen Länder erkennbar ist.
Allerdings wäre es ein unfruchtbarer Gedanke, durch strenge Gesetze gute Ehen erzwingen zu wollen, da der wahre Werth der Ehe nur auf der Freiheit sittlicher Gesinnung beruhen kann. Wie aber dennoch das Gesetz bald heilsam, bald störend auf die Ehen einwirken kann, wird aus folgender Erwägung hervorgehen. Wenn man die Scheidungen betrachtet, welche jetzt bei uns zugelassen werden, aber bei einer ernsten Revision des Gesetzes etwa nicht ferner zu gestatten seyn möchten, so könnte man vielleicht annehmen, daß die große Mehrzahl derselben aus so mächtigen Leidenschaften hervorgehen, welche nur durch einen ungewöhnlichen Grad sittlicher Kraft überwunden werden können, wovon der im Allg. Landrecht gebrauchte unrichtige Ausdruck der unüberwindlichen Abneigung zu verstehen ist. In der That aber verhält es sich ganz anders. Die meisten Scheidungen entstehen auf die Weise, daß Ehegatten auch schon den leichteren Unwandlungen von Rohheit und Selbstsucht, böser Lust oder Ausschweifung nachgeben, die in diesem Anfang durch einen sehr mäßigen Grad von Selbstbeherrschung bekämpft werden können und erst durch fortgesetzte Uebung eine verderbliche Macht über den Menschen erlangen. In der Zwischenzeit nun, worin die böse Neigung fortschreitet, aber noch nicht die entschiedene Herrschaft gewonnen hat, ist der Inhalt der Ehegesetze von großer Bedeutung. Steht den Ehegatten ein ernstes Gesetz mit angemessener Beschränkung der Scheidung und mit Strafen für Frevel an der Ehe vor Augen, so wird der Gedanke an dieses Gesetz in vielen Fällen dahin führen, daß sie sich selbst die mäßige Gewalt anthun, die zum Schuß des unschuldigen Theils und zur Herstellung des ehelichen Friedens völlig hinreicht. Wissen sie dagegen, daß das Gesetz den Scheidungen wenig Hindernisse entgegensetzt, und daß daneben der Frevel an der Ehe so gut als ungestraft bleibt, so werden sie es unterlassen, selbst jene mäßige Gewalt gegen die eigene böse Neigung zu üben, und die Ehe wird untergehen, nicht weil sie an sich untergehen mußte, sondern weil das Gesetz unterlassen hat, diejenige Nachhülfe zu gewähren, die nur von ihm ausgehen konnte.
Die hier aufgestellte Behauptung über die Veranlassung der meisten Ehescheidungen wird Jeder als wahr anerkennen, der die Erfahrungen der Gerichte unbefangen zu Rathe ziehen will. Wer nun von diesem Standpunkt aus auf die oben zusammengestellten Zahlen-Verhältnisse zurückblickt, wird es erklärlich finden, warum in den außer dem Bereich des Allg. Landrechts liegenden, übrigens ganz ähnlichen Ländern eine verhältnißmäßätzig so viel kleinere Zahl von Ehescheidungen vorkommt, und daß daselbst dennoch dieser Zustand als Druck oder Härte nicht empfunden wird.
Welche Mittel zu dem hier angedeuteten Zweck zu wählen seyn mögen, kann im Allgemeinen kaum zweifelhaft seyn. Es ist das Recht der Ehescheidung wieder demjenigen Zustand näher zu bringen, worin es in Preußen vor der erwähnten neueren Gesetzgebung war und in anderen Deutschen Ländern noch jetzt ist. Da aber hier seit 60 Jahren die Gewohnheit eines anderen Zustandes geherrscht hat, so ist jede übertriebene Strenge, sowohl in der Beschränkung der Scheidungen, als in den einzuführenden Strafen mit doppelter Sorgfalt zu vermeiden
[In allen neuern Gesetzgebungen sind auf den Ehebruch nicht nur überhaupt Strafen, sondern auch insbesondere Freiheitsstrafen festgesetzt. So im Preußischen Landrecht (II. 20. §. 1062. ff.), in den Französischen Gesetzen (Code civil 298, code pénal 337, 338), im Oesterreichischen, Bayerischen, Niederländischen, Hannoverschen, Hessischen, Sächsischen Gesetz. Die Dauer der Freiheitsstrafe variirt in diesen Gesetzen, das Französische geht bis auf zwei Jahre. Besonders räthlich scheint es, hierin dem richterlichen Ermessen einen hinreichenden Spielraum zu lassen, und dieses ist mehr oder weniger in allen hier erwähnten Gesetzen geschehen.]

Auch ist es nicht der Grad äußerer Strenge, wovon ein besserer Zustand erwartet werden darf, sondern die Anerkennung der Würde und Wichtigkeit der Ehe, die in dem Ernst eines gewährten Schutzes überhaupt enthalten ist. Wenn aber dieser Ernst zugleich mild erscheint, so darf dafür auch die Zustimmung wohlgesinnter Menschen erwartet werden, die für den guten Erfolg in einer Angelegenheit, wie diese, von großer Wichtigkeit ist. Wo es gelingt, fehlerhafte Gesetze über die Ehescheidungen zu verbessern, da werden dadurch allerdings nicht gute Ehen hervorgebracht werden, welches nur die Frucht einer auf religiöser Ueberzeugung ruhenden sittlichen Gesinnung seyn kann. Wohl aber werden häufig vorkommende Hindernisse des ehelichen Friedens abgewehrt werden, und wenn durch diese Abwehr für jene positive Veredlung des Familienlebens ein freierer Raum gewonnen und gesichert wird, so wird die Gesetzgebung dasjenige gethan haben, wozu sie berufen ist.
II.
Prüfung des Entwurfs eines neuen Ehescheidungs-Gesetzes.
Der Aufsatz zu I. stellt das jetzige Ehescheidungs-Wesen im Preußischen Staate in Vergleich mit andern deutschen evangelischen Ländern dar und zeigt, welchen Antheil die Gesetzgebung an diesem Zustande hat, und weshalb und in wiefern er eine Reform im Wege der Gesetzgebung erfordert. Der gegenwärtige soll den zu diesem Zwecke vorbereiteten Gesetz Entwurf, welcher unter III. abgedruckt ist, durchgehen und prüfen. Der hochwichtige Gegenstand desselben erregt mit Recht die allgemeine Theilnahme, und es ist zu wünschen, daß die öffentliche Meinung nach allen Seiten hin darüber aufgeklärt werde.
Dem Entwurfe liegt der Gedanke zum Grunde, daß die beabsichtigte Reform sich auf Abstellung der schlimmsten Mängel des jetzigen Zustandes des Eherechts der unter der Herrschaft des Alg. Land -Rechts stehenden Provinzen zu beschränken habe, ohne ein System des Eherechts aufzustellen. Dieß soll vielmehr der wissenschaftlichen Entwicklung anheim gegeben werden, welche zur Lösung dieser schwierigen Aufgabe noch vieler Vorarbeiten bedarf.
„Die Wissenschaft" - so sprechen sich die Motive des Entwurfs hierüber aus - hat hier nicht bloß den Sinn der betreffenden Aussprüche der heiligen Schrift oder die Zustände und das Recht der Vorzeit auszumitteln und darzustellen. Ihre Aufgabe ist größer und tiefer, feiner und geistiger. Das Leben, die praktischen Bedürfnisse der Gegenwart, ihre Entwickelungen hat sie aufzufassen, und an jene ewigen, so wie an die geschichtlichen Quellen des Eherechts anzuknüpfen. Starrer Dogmatismus oder rücksichtsloses Zurückschrauben der Gegenwart in die Vergangenheit wäre keine Reform, man würde dadurch nicht helfen, sondern schaden, die Zeit würde wieder abschütteln, was sie nicht tragen kann. Durch die Gerichte, besonders aber auch durch die Geistlichkeit, muß das neue Gesetz in das Leben übergehen, durch Aufsicht der höchsten Staatsbehörden, nach Befinden durch fernere Legislation muß es entwickelt, seine Vollziehung geleitet, vor Abwegen bewahrt, gegen Mißverstand geschützt werden. Hierzu ist die Thätigkeit, die auf Ueberzeugung und guten Willen gegründete Mitwirkung vieler Behörden, vieler Männer erforderlich, die aus der Praxis nur das bisherige Recht kennen und von dessen Geiste durchdrungen sind. Der Gesetzgeber hat, wie der Erzieher und der Arzt, ein lebendes Wesen, einen Organismus den Staat, die Kirche vor sich, worauf er wirken soll, keine rohe Materie. Nicht bloß was in abstracto das Beste, sondern mehr noch, was diesem Organismus zuträglich, was ihm zuzumuthen ist, hat er zu prüfen."
Die nähere Anwendung dieser Grundsäge auf die Eherechts-Reform machen die Motive in folgender Weise:
Es ist nicht zu verkennen, und ein gutes Zeichen der Zeit, daß die Sitte seit den Freiheitskriegen an Ernst und Zucht in Beziehung auf die Ehe zunimmt, wenigstens gewiß in den gebildeten Ständen. Wenn nun die neue Verordnung auf diese erstarkende bessere Sitte sich stützend, im Bewußtseyn der Schranken der Macht der Obrigkeit und mit schonender Berücksichtigung des kirchlichen und sittlichen Zustandes des Landes sich mit Abstellung der ärgsten Gebrechen begnügt, so ist von ihr ein mächtiger moralischer Impuls zu hoffen. Dieser wird um so weiter und kräftiger wirken, je mehr alle ehrenwerthe Elemente der öffentlichen Meinung die Maaßregel begünstigen und unterstützen. Und dieß ist zu hoffen, wenn man sich möglichst auf das Unbedenkliche beschränkt, auf das, was durch Erfahrung und Authorität getragen wird, Extreme aber, über welche auch die Meinung der Besseren sich leicht spalten, neue Einfälle und Härten vermeidet. Die Eherechtsreform muß von einer inneren sittlichen Macht getragen werden, und diese ist im gemäßigten und milden Ernste, der dem Geiste traut und Raum läßt, nicht aber im starren Rigorismus, der Alles von rücksichtslosem Zwange und harten Strafen erwartet. Nicht auf die Länge des Schrittes kommt es an, den man thun will, sondern auf die Richtung, nach welcher, auf die Festigkeit, mit welcher man ihn thut. Die Aufgabe der Gesetzgebung ist, auf diesem zarten geistigen Gebiete, stark durch die Wahrheit, auf der sie steht, der guten Sitte und dem Glauben mahnend und leitend zu Hülfe zu kommen und die Ehe dadurch zu heben, daß ihre Heiligkeit in den Gemüthern der Menschen hergestellt wird. Die Mittel aber, diese Aufgabe zu lösen, sind würdige Formen des Eheprozesses, Abhängigkeit der Scheidung von wichtigen Gründen und schonende Rüge der Frevel gegen die Ehe, mehr bestimmt, die Ehe zu schützen und den Ernst der Obrigkeit zu bewahren, als den Frevlern die verdiente Strafe aufzuerlegen, welche in ihrem vollen Umfange dem höheren Richter anheim zu geben ist. Dabei darf über dem Bestreben, die Ehe aufrecht zu halten, der andre wichtige Gesichtspunkt nicht vergessen werden, dem unschuldigen Ehegatten, der von dem andern durch Mißbrauch des Ehebandes gequält und unterdrückt wird, Rechtsschuß zu gewähren. Endlich ist auch die Sorge für die Würde der Ehe nicht so weit auszudehnen, daß dadurch die billigen Ansprüche individueller Freiheit beeinträchtigt werden, ins dem jede Uebertreibung dieser Art das edle Verhältniß der Ehe zu einer gehässigen Zwangsanstalt herabwürdigt. Diese sehr zu beachtende Rücksicht auf individuelle Freiheit hat das bisherige laxe Eherecht fast allein im Auge gehabt, und es hat dieselbe so einseitig verfolgt, daß daraus Erschlaffung des Ehebandes und leichtsinnige Scheidungen hervorgegangen find. Allein solcher Mißbrauch darf nicht dazu verleiten, die Wahrheit und Wichtigkeit zu verkennen, die auch diesem Gesichtspunkte zugeschrieben werfen muß."
Diese in den Motiven des Entwurfs ausgesprochene Grundsäge scheinen die erhobenen Anklagen finsterer rigoristischer reactionärer Tendenzen eben nicht zu bestätigen. Es wird nun darauf ankommen, ob der Entwurf diesen Grundsätzen treu geblieben ist, und wie er sie ins Leben treten lassen will.
Die wesentlichen Bestimmungen desselben lassen sich nach folgenden schon in der oben mitgetheilten Stelle der Motive angedeuteten Haupt-Gesichtspunkten ordnen:
I. Würdige Form des Verfahrens.
II. Beschränkung der Scheidungsgründe.
III. Strafen der Frevel gegen die Ehe.
I. In Beziehung auf das Verfahren (§. 1. und 2.) ist die Hauptbestimmung des Entwurfs die Herstellung der Obergerichts-Competenz für Ehesachen. Wie dieselbe im Jahre 1803 aufgehoben worden, bloß um das Geheime Ober-Tribunal und die Obergerichte von zu vielen Geschäften zu befreien, ist bereits in dem Aufsatze zu I. dargestellt worden. Grade an die Untergerichtscompetenz haben die schlimmsten Mißbrauche der Praxis sich angeschlossen. Durch die Herstellung der Obergerichtscompetenz würde unser Eherecht sich in dieser wichtigen Beziehung nur dem des übrigen evangelischen Deutschlands und dem unsrer eigenen Algemeinen Gerichts-Ordnung wieder anschließen. Wie verschieden man auch über größere oder geringere Strenge des Eherechts denken möge, niemand, dem die Ehe am Herzen liegt, kann wollen, daß die Ehesachen anders als in ernsten würdigen Formen behandelt, daß sie den großentheils aus Einzelrichtern bestehenden Untergerichten überlassen werden. In England ist zu einer Ehescheidung eine Parlaments Acte erforderlich.
In Beziehung auf den Sühneversuch schlägt der Entwurf (§. 3.) vor, dem Pfarrer mehr Freiheit zu lassen, als er jetzt hat, wo er von dem Ehegerichte deshalb requirirt wird und in einem Termine dieses wichtige Geschäft abmacht. Er soll nach dem Entwurfe den Ort, die Zeit und die Art desselben zu bestimmen haben, wie sich von selbst versteht, unter Aufsicht seiner vorgesetzten Behörde. Ein bloßer Mißverstand ist es, wenn man gemeint hat, es solle dadurch dem Pfarrer irgend eine Art von Entscheidung über die Statthaftigkeit der Ehescheidungsklage oder ein Recht dieselbe willkührlich zu verzögern eingeräumt werden. Fernerer Erwägung unterliegt die wichtige Frage, ob nicht die Sühne, statt wie jezt und wie auch nach dem Entwurfe nach der Klage, vor derselben versucht werden solle, um den seelsorgerischen Ermahnungen dadurch mehr Eingang zu verschaffen, daß sie statt finden, ehe die Gemüther der Ehegatten durch den entscheidenden Schritt der Anstellung der Klage einander noch mehr entfremdet sind. Diese Bestimmung ist von vielen Geistlichen gewünscht worden. Sie ist auch in dem Oesterreichischen Gesetzbuche von 1811 §. 104 u. 107. und in der Herzoglich Sachsen-Altenburgischen Eheordnung vom 13ten Mai 1837 §. 243. enthalten, einem der neuesten Ehegesetze des evangelischen Deutschlands, welches deshalb zu Vergleichungen besonders geeignet ist, so wie auch in dem Königl. Sächs. Gesetze vom 28sten Januar 1835 §. 56.

Die ferneren Bestimmungen des Entwurfs (§. 5-7.) daß die Ehegatten, wo möglich, persönlich vor dem Ehegerichte erscheinen müssen, und daß der Scheidungsgrund durch bloßes Zugeständniß, oder Eideszuschiebung, oder Kontumaz nicht soll festgestellt wer den können, sind in der Natur der Ehe und des Eheprozesses gegründet. Sie sind im Wesentlichen dem gemeinen Eherechte, dem Code Napoléon und der französischen Jurisprudenz gemäß, und die Bestimmungen über den Beweis insbesondre unumgänglich nöthig, wenn die Ehe nicht der Willkühr der Partheien oft nur einer derselben, Preis gegeben und irgend ein System von Scheidungsgründen aufrecht gehalten werden soll. Jetzt braucht nur irgend ein erdichteter Scheidungsgrund aufgestellt und ausdrücklich oder stillschweigend, durch Ausbleiben im Termin oder Nichtannahme des darüber zugeschobenen Eides, zugestanden zu werden, so muß die Ehescheidung erfolgen. In Ehesachen kann, ihrer Natur nach, nicht das, was die Partheien zugestehn, entscheiden, sondern, wie das Oesterreichische Gesetzbuch §. 97. sich ausdrückt, „die wahre Beschaffenheit der Sache." Um diese zu erforschen, schreibt dieses Gesetzbuch die Zuziehung eines Ehevertheidigers bei jedem Ehe-Prozesse vor, eine Einrichtung, welche auch in dem Entwurfe (§. 4.) vorgeschlagen ist. Die Altenburgische Ehe-Ordnung von 1837 verordnet im §. 247. das persönliche Erscheinen der Partheien vor dem Konsistorium, und daß die Ausbleibenden zum Erscheinen durch Zwang anzuhalten seyen, und spricht im §. 250. aus, daß es bei dem Beweise des Scheidungsgrundes auf Herstellung materieller Wahrheit, dagegen auf die Angaben und Zugeständnisse der Partheien nur dann ankommt, wenn sie durch solche Umstände unterstützt werden, die es wahrscheinlich machen, daß die Angaben und Geständnisse der Wahrheit gemäß sind.
Die Bestimmung des Entwurfs (§. 5.), daß die Ehesachen vor versammeltem Collegio zu verhandeln sind, soll, in Verbindung mit dem persönlichen Erscheinen der Partheien, eine ernste der Wichtigkeit des Gegenstandes gemäße Procedur begründen, deren Einzelnheiten noch näherer Prüfung unterliegen. Diese Procedur soll es möglich machen, den Ehegerichten, wie der Entwurf (§. 7.) will, 
eine freie Beurtheilung des Beweises, unabhängig von den sonst vorgeschriebenen Beweisregeln, anzuvertrauen, ebenfalls in Uebereinstimmung mit dem gemeinen Rechte, welches, wie auch die Altenburgische Ehe-Ordnung §. 257., nach dem freien Ermessen des Ehegerichts Beweismittel zuläßt, die im gewöhnlichen Prozesse nicht gelten, namentlich Zeugnisse der Verwandten und des Hausgesindes.
Für den Fall der böslichen Verlassung schlägt der Entwurf (§. 15.) vor, gegen den abtrünnigen Theil, wenn er anwesend ist, Zwangsmittel zur Wiederherstellung des ehelichen Zusammenlebens bis zu dreimonatlichem Gefängnisse der Scheidungsklage vorangehn zu lassen, um den Collusionen und dem Mißbrauche dieses Scheidungs-Grundes zu willkührlicher Zerreißung der Ehen vorzubeugen, der jezt so häufig ist.
Auch im Königreiche Sachsen findet in diesem Falle, bevor die Ehe geschieden werden kann, Zwang zur Fortsehung der Ehe durch Geld- oder Gefängnißstrafe statt, vergl. die Bekanntmachung des Königl. Sächs. Ober-Appellations-Gerichts v. 4ten Juli 1835. Zuerst tritt daselbst eine nach den Verhältnissen zu bemessende Geldstrafe, dann deren Verdoppelung, und dann Gefängnißzwang auf vier Wochen ein; vergl. Verordnung v. 9ten April 1836. Nach der Altenburgischen Eheordnung von 1837 wird zuerst auf Fortsehung der Ehe bei Vermeidung rechtlicher Zwangsmittel erkannt, die in aufeinander folgenden Gefängnißstrafen von 2-6 Wochen bestehn. Dann tritt in der Regel erst zeitige Trennung bis auf höchstens vier Jahre ein, und dann erst ist die Ehescheidung zulässig. (§. 209. 210.)
Nach dem Entwurfe (§. 16 und 17.) soll, zwar nicht bei der böslichen Verlassung, wohl aber wenn wegen Mißhandlungen, Trunksucht und Mangels des Unterhalts der Frau, veranlaßt durch Verbrechen oder Ausschweifungen des Mannes, geklagt wird, zeitige Trennung auf ein bis zwei Jahre als Mittel der Versöhnung, und dann noch ein feierlicher Sühneversuch vor dem Konsistorio der Ehescheidung voran ehen. Dieß ist eine Erneuerung einer von der Praxis vernachläßigten Bestimmung unsers Allgemeinen Landrechts. Denn schon dieses gestattet dem Richter, wenn die Scheidung aus den minder wichtigen Gründen gesucht wird, die Publication des Urtheils ein Jahr auszusehen, die Ehegatten inzwischen getrennt leben, und dann den Sühneversuch wiederholen zu lassen §. 727--730 t. 1, II. Dasselbe bestimmt im Wesentlichen für den Fall der Sävitien die Altenburgische Ehe-Ordnung §. 223.

[Sävitien: „über das erlaubte Maß hinausgehende Züchtigung einer Ehefrau oder eines Bediensteten“, Deutsches Rechtswörterbuch, drw.hadw-bw.de/]

II. Der zweite Hauptgegenstand des Entwurfs ist die im §. 9. vorgeschlagene Beschränkung der Scheidungsgründe durch Wegfall vor zehnen, die jezt anerkannt werden. Es scheint dieß eine große Zahl zu seyn, doch wird es weniger darauf, als auf die practische Wichtigkeit der aufgehobenen Scheidungsgründe ankommen. Der wichtigste ist die gegenseitige Einwilligung, auf deren Grund nach dem jetzigen Rechte kinderlose Ehen getrennt werden können. Dieser Scheidungsgrund ist dem gemeinen Rechte und allen älteren, so wie den meisten neuern deutschen Ehe-Ordnungen fremd. Der Codé Napoléon erkennt ihn, ohne Einschränkung auf kinderlose Ehen, zwar an, allein er bindet ihn an so viele Förmlichkeiten, daß er fast ganz unpractisch ist und in der Preußischen RheinProvinz bei einer Bevölkerung von zwei bis drei Millionen Einwohnern nur etwa alle zwei Jahre Eine Ehescheidung aus diesem Grunde statt finden soll, während beim Stadtgericht in Berlin allein im Jahre 1841 62 Ehen auf den Grund gegenseitiger Einwilligung geschieden worden sind. Er streitet wider das innerste Wesen der Ehe und ist mit einem ernsten würdigen Eheprozesse unverträglich. Es ist bei diesem Scheidungsgrunde auch zu erwägen, daß es besonders dem Manne, der seine Ehe auflösen will, meist leicht seyn wird, die Einwilligung der Frau zu erzwingen, wenn er seinen Willen bestimmt ausspricht, und ihr vorhalten kann, daß es nur noch ihrer Einwilligung bedarf, um die Scheidung zu Stande zu bringen. Er kann sie dann so behandeln, daß ihr die Versagung der Einwilligung fast unmöglich wird. Zu solchen Freveln` enthält die Zulassung dieses Scheidungsgrundes den stärksten Anreiz. Der Scheidungsgrund der unüberwindlichen Abneigung, dessen Aufhebung der Entwurf ebenfalls vorschlägt, führt sogar gradezu zur einseitigen willkührlichen Auflösung der Ehe. Er ist schon im Allg. Land-Rechte als Scheidungsgrund nicht eigentlich anerkannt, sondern nur nachgelassen und hat alle Autoritäten gegen sich.
Soll aber die Ehe nicht willkührlich auflöslich seyn, so hat auch die Aufhebung derjenigen Scheidungsgründe vorgeschlagen werden müssen, hinter welche sich die gegenseitige Einwilligung leicht verstecken kann, dahin gehört der bloß verdächtige Umgang, wenn nähmlich ein Ehegatte zwar des Ehebruchs nicht be schuldigt werden kann, aber doch einen Umgang fortsetzt, den der andre Theil ihm auf den Grund eines obwaltenden Verdachts gerichtlich hat untersagen lassen, und der Mangel des Nachweises unbescholtenen Wandels, wenn nämlich eine Frau, die ihren Mann verlassen hatte, zwar zurückkehrt, aber über ihren bisherigen Wandel glaubhafte Zeugnisse beizubringen unterläßt. Diese Scheidungsgründe sind, so viel bekannt, allen Gesetzgebungen fremd, auch bei uns wenig practisch, aber sie würden, nach Beseitigung der gegenseitigen Einwilligung als Scheidungsgrundes, durch Collusionen der Partheien leicht an deren Stelle treten.
Versagung der ehelichen Pflicht ferner ist ein Scheidungsgrund, den das gemeine Recht zwar anerkennt, aber nur in Verbindung mit Zwangsmitteln zur Leistung derselben. Noch die Königl. Sächsische Verordnung vom 9ten April 1836 verordnet zur Erzwingung der Leistung der ehelichen Pflicht Geldstrafe im Falle der Erfolglosigkeit, Verdoppelung derselben und endlich Gefängnißzwang bis zur Dauer von vier Wochen. Der Entwurf hat Bedenken getragen, solche Bestimmungen aufzunehmen. Ohne diesen Zwang aber würde der Scheidungsgrund der Versagung der ehelichen Pflicht zur willkührlichen Auflösung der Ehe führen, da die Partheien ihn nach ihrer Willkühr fingiren oder herbeiführen können. Das Oesterreichische Gesetzbuch und der Code Napoléon wissen nichts von demselben; in Uebereinstimmung mit diesen Gesetzbüchern schlägt der Entwurf seine Aufhebung vor.
Unvermögen und körperliche Gebrechen sollen nach dem Entwurfe ebenfalls kein Scheidungsgrund mehr seyn. Dagegen haben sich mehrere öffentliche Stimmen erhoben, aber nur aus Mißverstand. Sie haben nicht unterschieden zwischen der Ungültigkeit und der Scheidung der Ehe. Unvermögen und körperliche Gebrechen, die dem Unvermögen gleich zu achten, machen die Ehe ungültig, wenn sie bei einem der Ehegatten bei Eingehung der Ehe vorhanden gewesen und von ihm dem andern verschwiegen worden sind, weil dieß einen die Ehe entkräftenden Irrthum begründet (impotentia antecedens). Diese Ungültigkeit kann der andre Theil geltend machen und gerichtlich aussprechen lassen. Dieß sind Rechtssätze, welche selbst die Römisch-Katholische Kirche anerkennt, obgleich sie die Ehescheidung gänzlich verwirft. Hierin hat der Entwurf nichts geändert. Ganz verschieden aber von dieser Ungültigkeit ist die Scheidung, welche eine gültige Ehe voraussetzt. Diese, die Scheidung, soll nach dem Entwurfe dadurch nicht begründet werden, daß Unvermögen und körperliche Gebrechen in der Ehe eintreten (impotentia superveniens). Das bloße Alter der Ehegatten bringt. nach dem Laufe der Natur Unvermögen und körperliche Gebrechen in jeder Ehe hervor, die nicht früher durch den Tod getrennt wird. Aber weder ein solches natürliches Unvermögen, noch Unglücksfälle, welche Unvermögen bewirken, sind hinlängliche Gründe das Eheband aufzulösen, das eben unter solchen Umständen seine Festigkeit bewähren soll. Ist das Unvermögen dagegen verschuldet, so kommt es darauf an, ob die Verschuldungen, z. B. Ausschweifungen, einen Scheidungsgrund ausmachen. Dieß sind die Vorschläge des Entwurfs, welche mit dem gemeinen Rechte übereinstimmen. Auch der Code Napoléon weiß nichts von der impotentia superveniens als einem Scheidungsgrunde.
Während ferner der Entwurf lebens- oder gesundheitsgefährliche Beleidigungen als Scheidungsgründe nicht aufhebt, schlägt er vor, als solche Beleidigungen, die nicht lebens- oder gesundheitsgefährlich find, Unverträglichkeit und Zanksucht nicht gelten zu lassen. Endlich will er unordentliche Lebensart, Verschwendung, und Mangel an Unterhalt der Frau als Scheidungsgründe aufheben, mit Ausnahme der beharrlichen Trunksucht, und des Falles, wenn der Mann durch Verbrechen oder Ausschweifungen sich außer Stand gesetzt hat, der Frau ihren Unterhalt zu gewähren.
Es sind dieß im Ganzen dieselben Bestimmungen, nach welchen die mildere gemeinrechtliche Praxis verfuhr, und welche der Code Napoléon mit den vielfacher Deutung fähigen Worten excès, sévices ou injures graves ausdrückt. Wie hier die Grenze zu ziehn, wo solche Excesse anfangen sollen Scheidungsgründe zu werden, darüber ist Einstimmigkeit der Meinungen schwerlich zu erwarten, da es sich von einem Mehr und Minder handelt. Die Vorschläge des Entwurfs werden in dieser Hinsicht fortgesetzter sorgfältiger Prüfung unterworfen werden. Wie aber auch die Bestimmungen mögen gefaßt werden, Vieles wird immer dem vernünftigen Ermessen des Ehegerichts in dem einzelnen Falle überlassen bleiben müssen, und, ein ernstes würdiges Verfahren vorausgesetzt, auch ohne Gefahr überlassen werden können.
Die Altenburgische Eheordnung von 1837 erkennt unordentliche Lebensart, Verschwendung und Trunksucht als Scheidungsgründe überhaupt nicht an, und Gewaltthätigkeiten, Mißhandlungen und Drohungen nur dann, wenn sie eine beträchtliche und bleibende Beschädigung der Gesundheit besorgen lassen, oder wenn sie, trotz wiederholter Bestrafung, beharrlich fortgesetzt werden und die Gesundheit des unschuldigen Ehegatten, wegen des erneuerten Aergers und Kummers, benachtheiligen (§. 218 — 223.).
Der Entwurf läßt also als Scheidungsgründe hauptsächlich stehn:
Ehebruch, bösliche Verlassung, Nachstellungen nach dem Leben und lebens- und gesundheitsgefährliche Mißhandlungen, Verbrechen, beharrliche Trunksucht, Unfähigkeit des Mannes die Frau zu ernähren, wenn er sie durch Verbrechen oder Ausschweifungen veranlaßt hat, unheilbare Raserei und Wahnsinn, und außerdem einige minder practische, welche hier übergangen werden.
Diese Darlegung wird genügen, den Leser in den Stand zu sehen, zu beurtheilen, ob dem Entwurfe der Vorwurf des Rigorismus in Beziehung auf die Beschränkung der Scheidungsgründe mit Recht gemacht wird.
Sie ergiebt, daß er im Ganzen nicht strenger ist als das gemeine Recht in seiner milderen Auffassung, als die deutschen Gesetzgebungen, die derselben gefolgt sind, und als der Code Napoléon, welcher, außer der durch Förmlichkeiten fast unpractisch gemachten gegenseitigen Einwilligung, nur Ehebruch - und auch diesen nur mit Beschränkungen, Excesse, Sävitien, schwere Injurien und infamirende Strafen als Scheidungsgründe gelten läßt, Frankreichs nicht zu gedenken, wo es seit 1816 gar keine, und Englands, wo es seit dem Mittel-Alter so gut als gar keine Ehescheidungen giebt.
III. Von den Strafen der Frevel gegen die Ehe, welche der Entwurf (§. 10—14.) vorschlägt, find die des Ehebruchs ganz dieselben, welche schon das Allgemeine Landrecht §. 1062-1064. tit. 20. II. vorschreibt, nämlich sechswöchentliches bis einjähriges Gefängniß oder Zuchthaus, je nachdem der männliche, der weibliche, oder beide Theile verheirathet waren.
Diese Strafen sollen auch nach dem Entwurfe, eben so wie nach dem Allgemeinen Landrechte, nur eintreten, wenn durch den Ehebruch eine Ehe geschieden wird.
Das Ministerial-Rescript vom 1sten Juli 1801 hat zur Bestrafung des Ehebruchs außerdem noch den Antrag des andern Ehegatten erfordert und dadurch die Strafen des Ehebruchs fast ganz unpractisch gemacht. Nur dieses Ministerial-Rescript will der Entwurf beseitigen, und das mit die Bestimmungen des Landrechts, die von einem solchen Antrage, als Bedingung dieser Strafen, nichts sagen, wieder herstellen.
Außerdem schlägt der Entwurf, wie es die Gerechtigkeit erfordert, die Ausdehnung dieser Strafen auf den andern Ehebrecher, den Komplizen des schuldigen Gatten, aus.
Es ist bekannt, daß das gemeine Recht weiter geht und den Ehebruch unabhängig von der Scheidung an bei den Ehebrechern bestraft. So auch das Königl. Sächsische Gesetz v. Sten Februar 1834 §. 23., welches nur die Anzeige des durch den Ehebruch verlegten Ehegatten erfordert.
Der Entwurf will das Criminal-Verfahren wegen Ehebruchs der Scheidungsklage vorangehn lassen, so daß diese erst zulässig sey, wenn die Criminal-Untersuchung schon statt gefunden hat. Auch diese Bestimmung findet sich in dem eben allegirten Sächsischen Gesetze, und eine besondre Königl. Sächs. Verordnung v. 6ten December 1834, so wie ein späteres Gesetz vom 3ten April 1838 sprechen aus, daß der verletzte Theil zwar das Criminal-Verfahren hemmen könne, wenn er den Ehebruch verzeiht, dann aber auch der Scheidungsklage sich begeben müsse. Dieselbe Regel gilt nach der Altenburgischen Ehe-Ordnung von 1837 §. 197.
Dieser letztere Vorschlag des Entwurfs, welcher allerdings dem Ehegericht die Entscheidung darüber entzieht, ob der Ehebruch statt gefunden, wird noch weiterer Erörterung erfordern.
So viel ist aber schon jezt klar, daß alle diese Bestimmungen über die Strafen des Ehebruchs, welche man einer übermäßigen Strenge angeklagt hat, nichts enthalten, was nicht mit dem gemeinen Rechte und mit den Gesetzgebungen benachbarter deutscher Staaten aus der neusten Zeit übereinstimmte.
Wenn der Entwurf ferner den fortgesetzten öffentliches Aergerniß erregenden Ehebruch auch ohne Antrag des andern Theils zu bestrafen vorschlägt, so ist auch dieß dem gemeinen Rechte und den Strafbestimmungen der Reichs-Polizeiordnungen gegen „öffentlichen Ehebruch“ gemäß.
Der Code penal bedroht im Art. 339. den Ehemann, der seine Concubine im gemeinschaftlichen Hause hält, mit einer Geldstrafe, und der Code civil im Art. 298. die Ehefrau, durch deren Ehebruch eine Ehe geschieden wird, mit dreimonatlicher bis zweijähriger Zuchthausstrafe. Den Komplizen der ehebrecherischen Frau trifft nach Art. 338. des Code pénal Gefängniß von derselben Dauer und außerdem eine Geldstrafe von hundert bis zweitausend Franken. Die französische Jurisprudenz nimmt an, daß wenn der Mann keinen Antrag macht, das öffentliche Ministerium auf Bestrafung der ehebrecherischen Frau antragen kann, s'il y a scandale public, ou que le mari prostitue sa femme [wenn es einen öffentlichen Skandal gibt oder der Ehemann seine Frau prostituiert]. (Maleville analyse du Code civil T. I. p. 300.)
Die allgemeine Bestimmung des Entwurfs, daß überhaupt den schuldigen Ehegatten mindestens vierzehntägiges bis dreimonatliches Gefängniß treffen soll, ist wiederum nur eine Erweiterung der Bestimmung des Allg. Landrechts §. 823. t. 1. II., welche dem schuldigen Theile dieselben Strafen androht, jedoch nur für den Fall, daß er dem andern Theile keine Geldentschädigung gewähren kann. Hiernach würden jene Freiheitsstrafen den Vermögenden nicht treffen, was der Entwurf für unvereinbar mit der Würde der Ehe und mit der Gerechtigkeit gehalten hat.
Aehnlich verhält es sich mit dem so heilsamen Verbote der Ehe zwischen Ehebrechern, deren Ehebruch eine Ehe getrennt hat. Auch dieses Verbot spricht das Allgemeine Landrecht §. 25. 1. c. und eben so der Code Napoléon Art. 298., übereinstimmend mit dem gemeinen Rechte, aus, ohne Dispensationen davon zuzulassen. Der Entwurf schlägt hier nur vor, diese später üblich gewordenen Dispensationen nicht ferner eintreten zu lassen.
Dem schuldigen Theile ist nach gemeinem Rechte die anderweitige Ehe gänzlich untersagt, die Praxis hat aber Dispensationen von diesem Verbote eingeführt. In dieser Gestalt ist dieses Verbot noch in der Altenburgischen Eheordnung von 1837 §. 265. enthalten. Der Entwurf schränkt es auf die Zeit des ehelosen Lebens des andern Theils und auch während dieser Zeit auf zwei Jahre ein,
Dieß ist wenn die minderwichtigen Einzelnheiten und einige Nebenbestimmungen übergangen werden der Inhalt des Entwurfs, dessen Prüfung genügend dargethan haben wird, daß er von den Grundsätzen der Milde und Schonung nicht abweicht, welche die Motive aussprechen, und daß er bei dem Versuche eine ernste und würdige Behandlung der Ehe herzustellen sich von allem Rigorimus frei gehalten hat.
Der Entwurf würde unserem Eherechte im Wesentlichen denselben Grad von Strenge und von Milde verschaffen, den das Eherecht des übrigen evangelischen Deutschlandes, namentlich das Sächsische, jetzt schon hat, und es überhaupt mit dem Eherechte dieser Länder in Einklang sehen. Das Verhältniß des Preußischen Staates zu dem gesammten deutschen Vaterlande, besonders zu dessen evangelischem Theile, macht auf diesem wichtigen, die gesunde National-Entwickelung bedingenden Gebiete einen solchen Einklang höchst wünschenswerth.
Zugleich würde der Entwurf den traurigen Contrast beseitigen, den unser altländisches Eherecht gegen das der Rheinproving bildet, welches von verschiedenen Grundprincipien ausgehend zu so ungleich befriedigenderen Resultaten gelangt; ein Contrast, der so groß ist, daß jezt scheidungsluftige Rheinländer am leichtesten zu einer schnellen Scheidung gelangen können, wenn sie ein vorübergehendes Domicil in den alten Landen nehmen. Unser altes Eherecht ist ein Hauptgegenstand der Vorwürfe, welche die Rheinländer den alten Landen machen. Der Entwurf würde diese beide große Theile des Preußischen Staates durch das Band der gegenseitigen Achtung ihrer Rechtszustände inniger mit einander verbinden.
Ist aber dieß der Inhalt, die Tendenz und die wahrscheinliche Wirkung des Entwurfs, was soll man dann von denjenigen halten, welche mit so ungewöhnlicher Heftigkeit denselben zu verdächtigen sich bemühen? Diese geben sich das Ansehen, als ob der Gesetzentwurf auf ganz neuen und willkührlichen Einfällen beruhte, oder höchstens in den Sitten und Einrichtungen vergangener Jahrhunderte eine Verwandtschaft fände. Viele unter ihnen sprechen wohl, indem sie in das einstimmen, was sie von andern hören, von einer Sache, die sie weder kennen, noch kennen zu lernen den ernsten Willen haben. Aber manche Stimmführer, welche wissen was sie wollen, opponiren eigentlich nicht gegen diese oder jene einzelne Bestimmung des Entwurfs, sondern überhaupt gegen die Aufrechthaltung der Ehe in ihrer ernsten und edlen Würde. Insbesondre wollen sie nicht, daß der Preußische Staat diesem großen Werke seine Kräfte widme. Sie erkennen deutlich, daß den Bestrebungen der dem Staate, der Kirche und dem Christenthume feindlichen Partheien durch nichts wirksamere Schranken gesetzt werden könnten, als dadurch, daß grade jetzt Preußen, seinem hohen Berufe gemäß, sich durch die That zu den ewigen Grundlagen aller socialen Existenz in einer Weise bekennete, welche nicht allein der Gegenwart zu statten kommen, sondern auch die künftigen Entwickelungen des deutschen Rechts und der Christlichen Sitte in ihrem innersten Wesen kräftigen würde. Als wahre Vertheidiger des Stillstandes möchten sie unser Eherecht in dem Verfalle festhalten, in welchen eine Zeit es gebracht hat, die den wahren Beruf des Staats in dieser Hinsicht aus den Augen verloren hatte. Je gemäßigter und besonnener die Maßregeln und je fester eben darum die Schritte wären, welche Preußen auf diesem Wege thäte, desto mehr würden sie ihnen zuwider seyn.
Hoffen wir, daß auch dieser Schritt, geleitet und gekräftigt durch alle ehrenwerthe Elemente der öffentlichen Meinung, auf welche, wenn sie gehörig aufgeklärt ist, mit Zuversicht gerechnet werden kann, uns jenem erhabenen Ziele näher bringen werde.
III.
Entwurf.
Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden, König von Preußen etc. etc. haben in Erwägung der Mißbräuche, welche in Behandlung der Ehesachen und der die Ehen zerrüttenden Vergehen überhand genommen, die Anerkennung der Heiligkeit der Ehe geschwächt, die Ehescheidungen aber zu sehr erleichtert und vervielfältigt haben, um eine würdigere Behandlung der Ehe, wie sie die zu mehrerem Ernst zurückkehrende Sitte fordert, vorzubereiten, und den Einwirkungen des Christenthums, von denen allein die gründliche Heilung dieser Uebel zu hoffen ist, den Weg zu bahnen, die betreffenden Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts und der Allgemeinen Gerichtsordnung prüfen lassen, und verordnen nach Anhörung Unsers Staatsraths unter Aufhebung der entgegenstehenden jetzt geltenden Bestimmungen Folgendes.

§. 1.
Die den Untergerichten bisher überwiesene Gerichtsbarkeit in Prozessen, welche die Scheidung, Ungültigkeit oder Nichtigkeit einer Ehe zum Gegenstande haben, geht auf Unsere betreffende Landes-Justizkollegia oder auf die kollegialischen Obergerichte derjenigen Standesherren, welche Konsistorialrechte haben, über.

§. 2.
Wir werden auf den Vorschlag Unseres Justizministers aus Unserm Kammergerichte und aus jedem Unserer Oberlandesgerichte einen oder zwei Ehesenate, jeden von wenigstens sechs Mitgliedern, formiren, vor welche die Unsern Landes-Justizkollegiis überwiesenen Ehesachen ausschließlich gehören.
Die Appellationen gehen, wenn ein Ober-Landesgericht nur Einen Ehe-Senat hat, von diesem an den Ehesenat eines anderen Ober-Landesgerichts, jedoch mit Vor behalt der Instruktion zweiter Instanz für den Ehe-Senat, von welchem appellirt wird.
Die Bestimmung der in der zweiten Instanz kompetenten Ober-Landesgerichte bleibt vorbehalten.

§. 3.
Dem kompetenten Geistlichen bleibt es überlassen, den Ort, die Zeit und die Art des Sühnversuchs zu bestimmen, und das Ehegericht hat denselben dazu ohne seinen Antrag nicht vor sich zu laden.

§. 4.
Das Ehegericht hat bei Einleitung der Instruktion eines jeden Eheprozesses aus seinen Mitgliedern einen Vertheidiger der Ehe zu bestellen, welcher in diesem Prozesse als Richter ausscheidet, aber zu allen Erklärungen und Anträgen, die sich auf die Aufrechthaltung der Ehe beziehen, also insbesondere zur Einlegung von Rechtsmitteln in diesem Sinne legitimirt ist, bei welchen der die Scheidung, Ungültigkeits- oder Nichtigkeits-Erklärung der Ehe suchende Theil als sein Gegner zu behandeln ist.
Wenn der Vertheidiger der Ehe darauf anträgt, so ist von dem betreffenden Vormundschaftsgerichte den aus der Ehe vorhandenen Kindern ein Kurator zu bestellen, welcher, um deren Rechte und Interessen wahrzunehmen, bei dem Ehe-Prozesse zuzuziehen ist.
So lange ein solcher Kurator nicht bestellt ist, hat der Vertheidiger der Ehe die Rechte und Interessen der Kinder wahrzunehmen.

§. 5.
Diejenigen Termine in Ehesachen, in welchen mit den Parteien zu verhandeln ist, sind vor dem Ehegerichts Kollegio abzuhalten, das für dieses Geschäft mit mindestens drei Mitgliedern besetzt seyn muß.
Nur soweit das Ehegericht sich überzeugt, daß den Partheien das Erscheinen vor dem Kollegio wegen Krankheit, Armuth oder aus ähnlichen Gründen nicht anzusinnen ist, sind auch solche Verhandlungen durch Kommissarien oder durch Requisition eines andern Gerichts, wo möglich eines Ehegerichts, vorzunehmen, welches, wenn es ein Kollegium ist, dazu ebenfalls mit mindestens drei Mitgliedern beseht seyn muß.
Auch steht dem Ehegerichte frei, gerichtliche Sühneversuche, so oft es solche angemessen findet, durch Kommissarien, insbesondere durch den persönlichen Richter der Ehegatten, vornehmen zu lassen.

§. 6.
Die Ehegatten haben alle Instruktions-Termine in Ehesachen persönlich abzuwarten, und es findet deren Vertretung durch Bevollmächtigte nur in solchen Terminen statt, in welchen nicht wesentlich mit ihnen zu verhandeln ist, z. B. bei Zeugen Verhören.

§. 7.
Der Grund der Scheidung, Ungültigkeit oder Nichtigkeit einer Ehe kann durch bloßes Zugeständniß, sey es in dem Prozesse oder vorher erklärt, nicht bewiesen werden, wenn dasselbe durch andere Umstände nicht unterstützt ist.
Im Falle der Kontumaz des beklagten Theils ist anzunehmen, daß er diejenigen Thatsachen bestreite und diejenigen Urkunden nicht anerkenne, welche den Grund der Scheidung, Ungültigkeit oder Nichtigkeit einer Ehe darthun sollen. Die Eides-Delation findet Behufs des Beweises solcher Thatsachen nicht statt.

[Kontumaz = der Ungehorsam gegen eine gerichtliche Ladung oder der Verstoß gegen eine Anwesenheitspflicht
Delation = Aufschub]

Das Ehegericht ist jedoch befugt, zur Erforschung der Wahrheit, den beklagten Theil durch angemessene Zwangsmittel zum persönlichen Erscheinen und zur gehörigen Einlassung auf die Behauptungen des klagenden Theils an zuhalten.
Die rechtlichen Folgen des Ausbleibens des wegen böslicher Verlassung edictaliter citirten Ehegatten sind nach den bisher bestandenen Vorschriften zu beurtheilen.
Auch bewendet es bei denselben in Betreff derjenigen Thatsachen und Urkunden, welche der Klage auf Scheidung, Ungültigkeit oder Nichtigkeit einer Ehe entgegengesetzt werden.
Uebrigens hat das Ehegericht nach seiner aus dem ganzen Inbegriff der Verhandlungen und Beweismittel geschöpften. Ueberzeugung zu beurtheilen, ob und in wieweit der für die Scheidung, Ungültigkeit oder Nichtigkeit der Ehe angegebene Grund bewiesen ist.

§. 8.
Zur Regulirung des interimistici ist nicht blos das Ehegericht, sondern, nach der Wahl des provozirenden Theils, auch der persönliche Richter kompetent, wenn dieser ein anderer ist, als das Kollegium, dem die Ehegerichtsbarkeit zusteht, oder aus dem das Ehegericht formirt ist, und es finden auf das Verfahren dabei nicht die Bestimmungen der obigen §§. 4—7., sondern die bisher bestandenen Regeln Anwendung.
Dem Ehegerichte steht die Befugniß zu, die Entscheidung des persönlichen Richters in Betreff des interimistici auf eingelegten Rekurs, der alsdann zuvor dem andern Theile zur Gegenausführung mitzutheilen ist, zu ändern. Bis zu dieser Uenderung ist die Entscheidung des persönlichen Richters zu vollstrecken.

§. 9.
Folgende im Allgemeinen Landrechte anerkannte Gründe sollen künftig die Ehescheidung nicht mehr bewirken können :
1. blos verdächtiger Umgang gegen gerichtlichen Befehl (§§. 675. 676. Tit. 1. Th. II. A. L. R. [Allgemeines Landrecht]);
2. mangelnder Nachweis des unbescholtenen Wandels einer von ihrem Manne getrennt gewesenen Frau; der §. 687. Tit. 1. Th. II. A. L. R. wird hiermit außer Kraft gesetzt;
3. Versagung der ehelichen Pflicht (§§. 694. 695. ibid.);
4. Unvermögen und körperliche Gebrechen (§§. 696. 697. ibid.);
5. Beleidigungen, und solche Thätlichkeiten, die Leben oder Gesundheit nicht gefährden (§§. 700– 702. ibid.);
6. Unverträglichkeit und Zanksucht (§. 703. ibid.);
7. unordentliche Lebensart und Verschwendung (§§. 708710 ibid.), mit Ausnahme des Falles beharrlicher Trunksucht, welche auch fernerhin ein Recht auf Scheidung giebt;
8. Mangel an Unterhalt der Frau (§§. 711–713. ibid.), sofern nicht der Mann denselben zu gewähren durch Verbrechen oder Ausschweisungen sich außer Stand gesetzt hat;
9. gegenseitige Einwilligung (§. 716. ibid.);
10. heftiger und tief eingewurzelter Widerwillen (§. 718a. und b. ibid.).

§. 10.
Der Ehebruch ist im Wege des Kriminalverfahrens von dem kompetenten Kriminalgerichte zu untersuchen und zu bestrafen:
1. wenn der dadurch beleidigte Ehegatte auf Ehescheidung oder vor dem kompetenten römisch-katholischen geistlichen Gerichte auf beständige Trennung von Tisch und Bett deshalb anträgt;
2. im Falle eines fortgesetzten, öffentliches Aergerniß erregenden, ehebrecherischen Verhältnisses, und zwar in den Fällen zu 1. und 2. sowohl an dem ehebrecherischen Ehegatten, als an dem Theilnehmer des Ehebruchs;
3. an demjenigen Ehebrecher, der den von ihm began. genen Ehebruch zur Begründung eines Anspruchs gerichtlich geltend macht.
In den Fällen zu 1. und 3. soll die Verjährung der Strafe des Ehebruchs nicht anfangen, so lange noch der Antrag auf Ehescheidung oder beständige Trennung, oder ein sonstiger Anspruch auf Ehebruch gegründet werden kann.
Die durch die Scheidungs- oder Trennungsklage zu bewirkende Strafe (zu 1.) fällt gegen den schuldigen Ehegatten hinweg, wenn der andere Ehegatte, bevor die Ehe rechtskräftig geschieden oder beständig getrennt ist, den Antrag auf Ehescheidung oder Trennung zurücknimmt.

§. 11.
Das Verfahren über die Ehescheidung oder den sonst auf den Ehebruch gegründeten Anspruch ist auszusehen, bis auf das Kriminalverfahren wegen des Ehebruchs rechtskräftig erkannt ist.

§. 12.
Der Ehebruch wird an jedem der beiden Ehebrecher, wenn er von einem Ehemanne mit einer ledigen Weibsperson verübt worden, mit sechswöchentlichem bis dreimonatlichem Gefängniß, wenn er aber von einer Ehefrau mit einer ledigen Mannsperson begangen worden, mit drei-bis sechsmonatlicher Gefängniß-, Zuchthaus- oder Festungsstrafe, und, wenn beide Ehebrecher verheirathet waren, mit sechsmonatlicher bis einjähriger Gefängniß, Zuchthaus oder Festungsstrafe geahndet.

§ 13.
Auf den Grund des Ehebruchs kann nur, nachdem auf eine, wenn auch nur außerordentliche, Strafe deshalb rechtskräftig erkannt worden, die Ehe geschieden werden.
Ein solches rechtskräftiges Erkenntniß reicht zum Beweise des Ehebruchs auch für den Scheidungsprozeß aus.

§. 14.
Gegen den wegen Ehebruchs auf Ehescheidung oder Trennung in Anspruch genommenen Ehegatten ist die ihn deshalb treffende Strafe des Ehebruchs (§. 10. No. 1.) erst, nachdem seine Ehe deshalb rechtskräftig geschieden oder beständig getrennt ist, dann aber von Amtswegen zu vollstrecken.
Zu diesem Zwecke hat das Ehegericht dem betreffenden Kriminalgerichte von der eingetretenen Rechtskraft des Ehescheidungs- oder Trennungs-Urtheils Nachricht zu geben.
Die Bestrafung des Theilnehmers des Ehebruchs ist von der Fortsehung und Beendigung des Ehescheidungs- oder Trennungsprozesses unabhängig.

§. 15.
Wird wegen böslicher Verlassung geklagt, und ist der Aufenthalt des beklagten Ehegatten bekannt und erreichbar, so soll demselben zunächst die Nachfolge, Rückkehr oder Aufnahme von dem Ehegerichte binnen einer von demselben zu bestimmenden Frist unter Androhung dreimonatlicher Gefängnißstrafe aufgegeben und diese Strafe im Falle des Ungehorsams auf Antrag des klagenden Theils vollstreckt werden. Der Scheidungsprozeß kann erst eingeleitet werden, wenn diese Strafe vollstreckt, oder aber die Unmöglichkeit der Vollstreckung festgestellt, und in diesem letzteren Falle zugleich noch ein Jahr nach Ablauf der bestimmten Frist fruchtlos verstrichen ist.
Wenn der beklagte Theil das eheliche Zusammenleben, soviel an ihm ist, wiederherstellt, und dies nachweist, bevor die Ehe rechtskräftig geschieden ist, so fällt der Scheidungsgrund der böslichen Verlassung und die ihm deshalb angedrohte Strafe weg.
Behauptet der beklagte Theil, die ihm angedrohte Strafe, deren Vollstreckung der klagende Theil nachsucht, nicht verwirkt, oder dadurch, daß er, soviel an ihm ist, das eheliche Zusammenleben-wiederhergestellt habe, beseitigt zu haben, so ist auf des klagenden Theiles Antrag von dem Ehegerichte darüber im Wege des fiskalischen Untersuchungs-Prozesses zu erkennen, und die Strafe erst, wenn der beklagte Theil dazu rechtskräftig verurtheilt worden, zu vollstrecken.
Die Untersuchung und Strafvollstreckung fällt weg, sobald der klagende Theil seinen Antrag auf Vollstreckung der Strafe zurücknimmt.
Wenn die Vollstreckung der angedrohten Strafe wegen unmöglicher Vollziehung unterblieben, oder wenn deren Androhung, weil der Aufenthalt des beklagten Theils nicht bekannt oder nicht erreichbar war, nicht erfolgt und derselbe öffentlich vorgeladen worden ist, so ist, wenn in erster oder in den höheren Instanzen auf Ehescheidung erkannt wird, von dem Ehegerichte gegen den beklagten Theil zugleich auf dreimonatliche Gefängnißstrafe zu erkennen und dieselbe, nachdem die Ehe rechtskräftig geschieden ist, von Amtswegen, sobald man des Abtrünnigen habhaft werden kann, zu vollstrecken.
Nach der rechtskräftigen Ehescheidung kann die Zurücknahme des Antrags auf Strafvollstreckung von Seiten des anderen Theils dieselbe nicht mehr hindern.
Ist jedoch auf den Grund einer öffentlichen Vorladung des beklagten Theils auf Ehescheidung und Strafe rechtskräftig erkannt worden, so kann derselbe von dieser Strafe durch den Nachweis, daß er aus erheblichen und erlaubten Gründen sich entfernt habe und so lange abwesend geblieben sey, sich befreien, und es ist darüber, ob er diesen Nachweis geführt, von dem Ehegerichte im Wege des fiskalischen Untersuchungs-Prozesses zu erkennen.
Auf die Termine in den in diesem §. erwähnten fiskalischen Untersuchungs-Prozessen finden die Regeln der §§. 5. und 6. ebenfalls Anwendung.

§. 16.
Wegen lebens, oder gesundheitsgefährlicher Mißhandlungen, wegen beharrlicher Trunksucht, und wegen Mangels an Unterhalt der Frau, veranlaßt durch Verbrechen oder Ausschweifungen des Mannes, soll nicht sofort auf Ehescheidung, sondern zuvor auf ein- bis zweijährige Trennung von Tisch und Bett erkannt werden.
Während dieser Trennung besteht das Eheband mit seinen Verpflichtungen, jedoch mit Ausnahme des Zusammenlebens der Ehegatten.
Von solchen Trennungs-Urtheilen ist den betreffenden Geistlichen Nachricht zu geben, damit sie während der Trennung die Sühne zu versuchen fortfahren.
Der Mann hat der Frau, wenn sie der allein schuldige Theil ist, nothdürftigen, sonst standesmäßigen Unterhalt während der erkannten Trennung zu gewähren.
Die erkannte Trennung verpflichtet den schuldigen oder mitschuldigen Mann zur Sicherstellung des Vermögens der Frau.
In Betreff der Erziehung und Verpflegung der Kinder hat das Trennungs-Urtheil auf die Rechte der Ehegatten während der Trennung dieselbe Wirkung, wie wenn eine Ehescheidung erfolgt wäre.
Die Vermuthung, daß der Ehemann Vater der während der Ehe erzeugten Kinder sey, findet innerhalb der erkannten Trennungszeit nicht statt.
Erst nach Ablauf der erkannten Trennungszeit, jedoch nur innerhalb sechs Wochen, kann der klagende Theil auf Abfassung des Ehescheidungs-Urtheils antragen.
Sind die sechs Wochen vom Ende der Trennungszeit ohne einen solchen Antrag verlaufen, so erlöscht das Trennungs-Urtheil mit allen seinen Wirkungen, und der Scheidungsgrund, aus welchem geklagt worden, kann ferner nicht geltend gemacht werden.
Bis zum Ablauf der sechs Wochen dagegen, und, wenn innerhalb derselben auf Scheidung angetragen worden, bis zur Beendigung des Scheidungsprozesses durch Entsagung oder rechtskräftiges Erkenntniß behält das Trennungs-Urtheil alle für die erkannte Trennungsfrist oben vorgeschriebene Wirkungen.
Gegen das Trennungs-Urtheil finden dieselben Rechtsmittel, wie gegen ein Ehescheidungs-Urtheil, statt; die Vollstreckung des Trennungs-Urtheils wird aber dadurch nicht aufgehalten.

§. 17.
Bevor nach Ablauf der erkannten Trennungszeit auf Antrag des klagenden Theils das Scheidungs-Urtheil ausgesprochen werden kann, ist der Sühneversuch zu wiederholen.
Wenn der die Scheidung verlangende Ehegatte der evangelischen Konfession angehört, so ist dieser Sühneversuch vor versammeltem Konsistorio, oder, wenn das Konsistorium sich überzeugt, daß den Ehegatten, wegen Krankheit, Armuth oder aus ähnlichen Gründen das Erscheinen vor dem Konsistorio nicht anzusinnen ist, vor wenigstens drei von dem Konsistorio zu beauftragenden Geistlichen vorzunehmen.
Ist derselbe fruchtlos ausgefallen, so ist über den Antrag auf Scheidung von dem Ehegerichte zu erkennen.

§. 18.
Auf Thatsachen, welche erst nach dem ersten Erkenntnisse auf Trennung von Tisch und Bett oder auf Ehescheidung angebracht werden, kann der Antrag auf Trennung oder Ehescheidung in demselben Prozesse nicht begründet werden.

§. 19.
Jedes Urtheil auf Trennung von Tisch und Bett oder auf Scheidung muß außer den Fällen der §§. 698. und 715. Tit. 1. Th. II. U. L. R. den beklagten Theil, oder, wenn die Trennung oder Scheidung auf den Antrag beider Theile erkannt wird, beide Ehegatten für schuldig an der Trennung oder Scheidung erklären.

§. 20.
Von dem Verbote der Ehe von Personen, welche wegen Ehebruchs geschieden worden, mit den Theilnehmern des Ehebruchs, findet fernerhin keine Dispensation statt.

§. 21.
Der schuldige oder mitschuldige geschiedene Ehegatte darf nicht eher, als nachdem zwei Jahre von der Rechtskraft des Scheidungs-Urtheils abgelaufen, zur anderen Ehe schreiten, wenn nicht schon früher der andere Theil verstorben ist oder sich wieder verheirathet hat. Diese Beschränkung ist in dem Scheidungs-Urtheil auszudrücken.

§. 22.
Außer den Fällen des Ehebruchs und der böslichen Verlassung, hinsichtlich deren es bei den Bestimmungen der §§. 10-15. bewendet, hat das Gericht, welches die Scheidung ausspricht, in dem Urtheil, ohne Unterschied, ob dasselbe in erster oder in den höheren Instanzen ergeht, gegen den schuldigen Theil, oder, wenn beide schuldig sind, gegen beide Theile (§. 19.), für die Vergehungen, welche die Scheidung begründen, sofern sie nicht als von Amtswegen zu bestrafende Verbrechen ein besonderes Strafverfahren nach sich gezogen haben, Gefängnißstrafe auf vierzehn Tage bis drei Monate festzusehen. Diese Strafen hat, sobald sie rechtskräftig feststehen, das Ehegericht von Amtswegen zu vollstrecken.

§. 23.
Gegen die Erklärung eines Ehegatten für den an der Trennung oder Scheidung schuldigen oder mitschuldigen Theil oder gegen die nach §. 15. und 22. in den Scheidungs-Urtheilen festzusehenden Strafen findet die Appellation oder Revision nur in sofern statt, als sie zugleich gegen die auf die Schuld gegründete Trennung oder Scheidung statthaft ist und eingelegt wird,. und es tritt alsdann in Betreff der Rechtsmittel gegen die Trennung oder Scheidung, die Schuld und die Strafe dasselbe Verfahren und derselbe Instanzenzug ein.
Nur wenn der für schuldig oder mitschuldig erklärte Theil auch seinerseits auf Trennung oder Scheidung geklagt hatte, und in dem Erkenntnisse die Trennung oder Scheidung auch auf seinen Antrag erkannt worden ist, kann er gegen die ihm in diesem Erkenntnisse, sofern es in erster oder in zweiter Instanz ergangen, zur Last gelegte Schuld oder Strafe allein Rechtsmittel einlegen, und es findet dann derselbe Instanzenzug statt, als wenn das Rechtsmittel auch gegen die Trennung oder Scheidung gerichtet wäre.

§. 24.
So lange nicht das Ehescheidungs-Urtheil gegen alle Theile, also auch gegen den Vertheidiger der Ehe, rechtskräftig geworden ist, kann die Klage zurückgenommen werden, und es verliert alsdann das Urtheil in allen seinen Bestimmungen seine rechtliche Wirkung.

§. 25.
Auf uneheliche Schwängerung unter dem Versprechen der Ehe kann ein Anspruch auf Beilegung der Rechte einer Ehefrau und des Namens, Standes und Ranges des Schwängerers und auf Ehescheidungsstrafen nicht gegründet werden.
Die §§. 592-595. Tit. 1. Th. II. X. L. R. werden hierdurch außer Kraft gesetzt.

§. 26.
Eine Weibsperson, welche wissentlich mit einem Ehemanne Unzucht getrieben, kann auf die dadurch bewirkte Schwängerung einen Anspruch auf Abfindung nicht gründen.
8. 27.
Eine Mannsperson unter achtzehn Jahren darf auch nicht unter Vorbehalt des Widerrufs nach zurückgelegtem achtzehnten Jahre eine Ehe eingehen.

Der §. 66. des Anhangs zum Allgem. Landrechte wird hierdurch aufgehoben.

§. 28.
In der Gerichtsbarkeit und dem Verfahren der katholischen geistlichen Gerichte wird durch gegenwärtige Verordnung nichts geändert. Dieselben haben aber, wenn sie wegen Ehebruchs auf beständige Trennung von Tisch und Bett rechtskräftig erkannt haben, die Akten behufs der Bestrafung der Ehebrecher an das kompetente Kriminalgericht abzugeben.

§. 29.
Ehen geschiedener Katholiken und Ehen von Katholiken mit solchen geschiedenen Personen, deren geschiedene Ehegatten noch am Leben sind, dürfen gar nicht, und Ehen geschiedener zur evangelischen Kirche übergetretener Katholiken, so wie Ehen solcher übergetretener Katholiken mit geschiedenen Personen, deren geschiedene Ehegatten noch am Leben sind, dürfen nur nach vorgängiger von uns zu ertheilender Dispensation von evangelischen Pfarrern eingesegnet werden.

§. 30.
Im Auslande gesprochene Urtheile auf Trennung von Tisch und Bett oder auf Ehescheidung find hinsichtlich ihrer Wirkungen nicht nach Unsern Gesetzen, sondern nach den Rechten des Landes, in welchem sie ergangen sind, zu beurtheilen.

§. 31.
Gegenwärtiges Gesetz findet in den §§. 1–28. nur auf diejenigen Landestheile, wo das Allgemeine Landrecht und die Allgemeine Gerichtsordnung gelten, in den §§. 29 bis 30. aber in Unseren gesammten Staaten, Anwendung.
Eine Vermehrung der Scheidungsgründe oder Erweiterung der Befugniß des schuldigen Theils zur Wiederverheirathung soll das gegenwärtige Gesetz auch in den Landestheilen, wo die drei ersten Titel des zweiten Theils des Allgemeinen Landrechts nicht eingeführt sind, nicht bewirken.

§. 32.
Das gegenwärtige Gesetz ist auf Eheprozesse, welche vor eingetretener Gesetzeskraft desselben angebracht, und, so weit darin Strafen bestimmt werden, auf Vergehen, welche vor eingetretener Gesetzeskraft desselben begangen worden, nicht anzuwenden.
Urkundlich etc.etc.

[Originaltext: https://books.google.de/books?hl=de&output=text&id=m_hQAAAAcAAJ&q=in+allen#v=onepage&q=kontumaz&f=false]

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