Fahrten und Abenteuer zu Land und zur See
von Christian Beck
Achte verbesserte und vermehrte Auflage
erschienen 1886 in Christian Becks Selbstverlag
Dresden, Lindenaustraße Nr. 39.
Christian Beck, geboren 1828 im thüringischen Wipperode, erlernte bei einem Onkel in Dresden das Schmiedehandwerk und wanderte in den 1840ern nach Amerika aus. Er streifte quer durch die vereinigten Staaten und übte allerlei Berufe aus, bevor er Anfang der Fünfziger auf einem Walfänger anheuerte. Auf diesen Seelenverkäufer machte er die Reise um die Welt und ging auf Hawaii an Bord. Zurück in den Staaten erkannte er endlich, dass die so genannte Neue Welt nichts für ihn war. Er kehrte nach Deutschland zurück und verfasste nach einiger Zeit seine Memoiren, die er in Buchform veröffentlichte. Das Werk erschienen bis 1916 in 12 Auflagen und ist heute nur noch antiquarisch zu erhalten.
Die am prächtigsten ausgestattete Auflage war die achte, erschienen 1886. Sie enthält vier Illustrationen, fünf Stahlstiche, Christian Becks Porträts sowie eine Weltkarte auf der alle seine Reisen eingezeichnet sind. Außerdem hat er diese Auflage ein etwas längeres Nachwort beigefügt, worin er seine Gedanken über die Deutschen im In- und Ausland niedergeschrieben hat. Als ehemaliger Schmiedegeselle liegen ihm die Verhältnisse der deutschen Arbeiter ganz besonders am Herzen.
Zum Inhaltsverzeichniß
Vorwort
1. Kapitel.
Geburt und Kindheit. - Lehrjahre. - Antritt der Wanderschaft. - Von Dresden über Halle nach Berlin. - Verlorene Felleisen. -
2. Kapitel
Schluss der Geschichte von den verlorenen Felleisen. - Von Magdeburg nach Hamburg. - Lebhafte Eindrücke der Seestadt. - Nach Wismar. - Nachricht vom Tode der Mutter. - Reise in Pommern. - Krankheit. - Heimkehr. - Nach dem Rhein. - Ein Brief aus Amerika und seine Wirkung. - Vom reinen nach Sachsen. - Lebensgefahr. - Heimkehr. - Nach Bremen und Bremerhaven.
3. Kapitel.
Schwierigkeiten der Überfahrt nach Amerika. ? Schiff Oneko und seine Passagiere. - Schiffsleben. - Eine dänische Fregatte. - Im Kanal. - Bei der westindischen Insel Abaco. - Ein badender Passagier. - Einfahrt in den Mississippi. - Ankunft in New Orleans. - Der gesuchte Oheim. - New Orleans. - Aufenthalt daselbst.
4. Kapitel.
Reise nach Louisville. - Der Mississippi. - Louisville. - Das Goldfieber. - Der Oheim wird gefunden und geht wieder verloren. - Umsatteln. - Eine Meistersfrau. - Methodisten. - Kirchen und Sektenwesen. - Bruch zwischen Meister und Lehrling. ? Präsident Taylor in Louisville. - Feierlichkeiten und Unglücksfall. - Und auf das Wiedersehen.
5. Kapitel.
Reise nach Cincinnati. - Die ?Königin des Westens? . - Schweineschlachten. - Täuschung. - Rückkehr nach New Orleans. - Ein Feuermann fällt über Bord. - Ein Mississippi Dampfer in die Luft gesprengt. - Backwoods Plantage. - Bereitung des Zuckers. - Das Zuckerrohr und seine Behandlung. - Natur des Bodens. - Jagdvergnügen. - Leben der Sklaven. - Zuneigung der Schwarzen für Deutsche. Racenabscheu der weißen Bevölkerung vor den Negern. - Eine tragische Geschichte. - Freie Arbeiter auf der Backwood?s Plantage. - Die Herrschaft und der Verwalter. - Eine flüchtige Sklaven.
6. Kapitel.
Reisen nach Louisville. - Schwefelholzfabrikation. - Lockungen zur Erlernung der Schumacherei. - Musikalische Studien. - Rückkehr nach New Orleans. - Auf einer Zuckerpflanzung. - Brand des St. Charles=Hotels in New Orleans. - Nach Texas. - Ein badischer Offizier. - Galveston. - Deutscher Auswanderer. - Indianola. - Reise ins Innere. - San Antonio. - Auf einer Farm. ? Kolonie Castroville. - Die Feinde der Kolonisten. - Texas Rangers. - Indianer Überfall. - Erzeugnisse von Obertexas. - Ein Kolonistenhaus. - Klapperschlangen. - Ein deutscher Prediger. - Rückkehr nach New Orleans.
7. Kapitel.
Auf Dornford?s Plantage. . - Projekt einer Reise nach Kalifornien. -Chagres. - Reise auf dem Chagresfluß. - Ein junges Ehepaar. - Konflikt mit der spanischen Behörde. - Hohe Preise auf der Landenge. - Fußwanderung durch den Urwald. - Eine unerwartete Begegnung. - Schlechte Nachrichten über Panama. - In Gorgona. - Rückfahrt. - Arbeit an der Panama Eisenbahn. - Nach Aspinwall. - Reise nach New York. - Todesfall auf dem Schiffe.
8. Kapitel.
Ankunft in New York. - Im Cityhospital. - In Harlem. - Neuer Fieberanfall und verzweifelte Lage. - Im Emigrantenhospital auf Staaten-Island. - Vergebliche Meldung zur Marine Dienst. - Die Lage des einzelnen bei Unglücksfällen. - Eine verhängnisvolle Anzeige. - Meldung und Annahme bei einem Wallfischfahrer. - Nach New Bedford. - Ein Landsmann und Gefährte. - Ausrüstung zur Fahrt. - Abreise nach New Bedford. - Die Bemalung des Schiffes Tammaroo. - Die Bezahlung der Mannschaft. - Nach den Azoren. - Ein Wrack. - Insel Bravo. - Sankt Helena. - Tristan de Acunha. - Nach dem indischen Ozean. - Feuer auf dem Schiff. - Unzufriedenheit der Mannschaft. - Ein Hai harpuniert.
9. Kapitel.
Eine Wallfischergeschichte. ? There she blows! . - Die Erledigung des Walfisches. - Seine Ausbeutung. - Einschneidung und Auskochen. - Fischbein. - Natur des Walfisches. - Seine Größe und Schnelligkeit. - Seine Harmlosigkeit. - Der Kachalot. - Der grönländische Wallfisch. ? Der Finnfisch. - Krankheiten des Wallfisches. - Ambra. - Delphin. - Meerschwein. ?Narwhal.
10. Kapitel.
Natürliche Feinde des Wallfisches. - Derselbe ist leicht zu töten. - Beispiel von seiner Lebenszähigkeit. - Gefährlichkeit des Walfischfanges. - Die Schiffe Essex, Ann Alexander und Waterloo. - Unfall der Bootsleute von der Tammaroo. - Fall eines portugiesischen Matrosen. ? Die Tammaroo verlässt den Walfischgrund. - Ein Todesfall. - Durch die Bass-Straße nach Neuseeland. - Desertionspläne. - Neuseeland. - Im Hafen von Monganui. - Dersertionen von der Tammaroo. - Die Insel Karatonga.
11. Kapitel.
Missstimmung unter der Mannschaft. -Plumpsackspielen. - Die Fidschi-Inseln. - Ein Sturm. - Das Beringsmeer. - Der dritte Steuermann. - Kreuzen vor der Beringstraße. - Landsleute im Meere von Kamtschatka. - Ausrottung des Wallfisches. - Meuterei. - Der Kapitän beschließt, den Fischgrund zu verlassen. - Trauriges Schicksal des Schiffes Citizen. - Active und Resolute. - Das Totenschiff. - Und Annehmlichkeiten des Klimas. - Peter und Paul Hafen.
12. Kapitel.
Die Sandwich=Inseln. - Honolulu. - Im Marinehospital. - Arglist des Kapitäns Nell. Eine rettende Engel. - Ein deutscher Leidensgefährte. - Ein Landsmann und sein Schicksal. - Ruhestellung und Sturz eines preußischen Offiziers.
13. Kapitel.
Stößer= und Marquenamt. - Niederlegung des Stößerdienstes. - Häuser und Gärten der fremden Kaufleute. - Der ?Schweinskopf? . - Wasserleitung. - Taropflanzungen. - Errichtung von Mühlen und Fabriken. ? Sailor?s Home. - Die Eingeborenen. - Ihre Vergnügungen.
14. Kapitel.
Rückkehr zum Schmiedegeschäft. - Ein deutscher Tierarzt in Honolulu. - Deutsche Seemanns Leiden. - Unfug im amerikanischen Marinehospital. - Erzählung der Flucht von einem Walfischfahrer. - Grausame Behandlung eines deutschen Seemannes. - Die Feier des 4. Juli in Honolulu. - Prosperieren des Tierarztes. - Ein unerwartetes Wiedersehen. - Nachricht von Neuseeland.
15. Kapitel.
?Mississippi? . - Zwei deutsche Seeleute als Sennen. - Ein Eskimomädchen. - Übersiedlung nach der Nordseite der Insel. - Ein ein geborener Missionar. - Wohnung und Nahrung der Insulaner. - Ein Mormonenapostel. - Rückkehr nach Honolulu. - Leichenbegängnis des Königs Kamehameha III. - Eine glückliche Ehe. - Abschied vom Inselreiche.
16. Kapitel.
Abfahrt von Honolulu. - Erscheinung Neptuns. - Otahaiti. - Die Insel Robinsons. - Ankunft in Valparaiso. - Ein weiblicher Arzt. - Im Hospitale. - Ein Erdbeben. - Eintritt in eine Schiffsschmiede. - Valparaiso. - Klima und Produkte des Landes. - Eine ketzerische Lokomotive wird geweiht. - Deutsche an Siedler in Chile. - Explosion eines Kriegsschiffes.
17. Kapitel.
Gedanke an die Heimkehr. - Drei Reiserouten. - Abreise von Valparaiso. - Callao. - Seevögel in der Bai. - Aasgeier in den Straßen. - Ein gefährliches Insekt. - Klimatische und religiöse Verhältnisse. - Die Guanoinseln. - Ein Ausflug nach Lima. - Trauerkunde aus Honolulu.
18. Kapitel.
An Bord des Jon Milton. - Sturm am Cap Hor ritterliche. - Martinique. - In St. Thomas. - Das verlassene Schiff. - Abschied von St. Thomas. - Nach Porto Rico. - Vor St. Juan. - Eine Hinrichtung. - Sankt Juan und seine Umgebung.
19. Kapitel.
Abreise nach Nordamerika. - Ein glücklich vermiedener Zusammenstoß. - Ankunft in New York. - Ein Besuch in der Rosenstraße. - Im Spitale. - Wanderungen in den Hafen. - Spaziergänger hatten in der Stadt. - Die Einwanderer und ihre Schutz.
20. Kapitel.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer. - Leben deutscher Arbeiterfamilien. - Sonntagsfreuden. - Junger Handwerker. ? In Boardinghäusern. - Turner und Sänger.
21 . Kapitel.
Anstellung auf dem ?Fulton? . - Abreise von New York. - Abschiedsbetrachtungen. - Wer soll nach Amerika gehen? - Leben und Treiben auf einem transatlantischen Dampfer. - Feuerordnung. - Ein Passagier von Bedeutung. ? In Southampton. - Ankunft in Havre de Grace. - Passverlegenheit. - In Paris. - In Forbach. - Heimkehr.
Schlusskapitel.
In der Heimath. - Ein Brief aus Amerika.
Nachwort zur führten Auflage.
Beilagen.
Nachtrag zu achten Auflage.
Rückblicke und Vergleiche
Zwanzigstes Kapitel.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer. - Leben deutscher Arbeiterfamilien. - Sonntags Freuden. - Junger Handwerker. ? In Boardinghäusern. - Turner und Sänger.
Die Bevölkerung von New York kann nicht, wie diejenige europäischer Städte, in eine producirende und consumirende eingeteilt werden. Obwohl das faule Dhronensgeschlecht der Rentiers auch dort seine Vertreter hat, so ist deren Zahl doch verhältnismäßig gering, indem selbst der reichste Mann es in der Regel nicht verschmäht, noch zu arbeiten. Wollte man den Grund dieser nimmer rastenden Tätigkeit, die des Zwanges der Notwendigkeit doch entbehrt, in gemeiner niederer Habsucht und Geldmacherei allein suchen, so würde man dem Lande und seinen Bewohnern unfehlbar unrecht tun. Zahlreiche Beispiele edler großartiger Freigebigkeit für Durchführung patriotischer und wohltätiger Zwecke einerseits und die Entfaltung eines oft unsinnigen Luxus, wie das Hervortreten einer immensen Geldverschwendung andererseits, machen diese oft bezichtigte Gelbsucht der Amerikaner zweifelhaft. Was selbst den amerikanischen Krösus in die Nähe der Arbeit erstellt, ist einfach ein ihm innewohnendes und dringendes Bedürfnis nach lohnender Beschäftigung und nach Erwerb. Die Gewinnung des Geldes durch seine Spekulationen und Arbeit ist ihm Freude, nicht der Besitz des Mammon. Diese Eigenschaft des amerikanischen Kapitalisten befördert natürlich den Handel und Industrie des Landes ganz ungemein; sie bildet einen wesentlichen Grund zum Aufschwunge desselben. Indem der Kapitalist mit bedeutenden Mitteln arbeitet, um bedeutende Erfolge zu erzielen, verschafft er zugleich hunderten von Arbeitskräften lohnt und Gewinn.
Beliebte man also eine allgemeine Einteilung der Gesellschaft, wie sie in Europa jetzt noch als producirende und consumirende sich herausstellen würde, so könnte man in Amerika eigentlich nur von einer arbeitnehmenden und arbeitgebenden (und natürlich selbst arbeitenden) reden. Amerika ist bis jetzt noch das Land der Arbeit und der Arbeiter. Es gibt nur einen Stand, eben den der Arbeiter. Mag der Arbeiter zu seiner Arbeit 100 fremde Hände brauchen oder blos seine zwei eigenen, das Ziel des Erwerbers und Gewinnes ist gemeinsam. Aus diesem Verhältnis entsteht eine gewisse Gleichheit der Menschen, die sich darin vornehmlich zeigt, dass der Reiche und Arbeitgeber seine Arbeiten sich äußerlich ganz gleichstellt und mit einer gewissen Ängstlichkeit vermeidet, dem arbeitenden Publikum gegenüber seine Schätze zur Schau zu tragen. Der europäische, namentlich der deutsche Arbeiter fühlt sich durch diese Rücksichtnahme sehr angenehm berührt. Man sucht diese Erscheinung zuweilen als eine Folge der amerikanischen Staatsform darzustellen, indem man von republikanischer Gleichheit und Einfachheit spricht; mir scheint sie dennoch mehr ein Resultat der gesellschaftlichen Zustände zu sein, die ungetrübt aus dem Grundsatz der Allgemeinheit und Notwendigkeit menschlicher Arbeit erwachsen sind.
Die ängstliche Sorge der Reichen, in ihrem Verhalten und in der äußeren Erscheinung ein gewisses Maß einzuhalten, welches die allgemeine Gleichheitslinie nicht überschreitet, zeigt sich auch in ihren Wohnungen. Der fünffache Millionär gewohnt ein Backsteinhaus, nicht breiter, nicht höher, nicht tiefer, als es der Mittelmann für sechs bis achthundert Dollars miethet. Die aristokratischen Viertel in den westlichen Avenues unterscheiden sich von plebejischen Straßen nur durch größere Stille und Reinlichkeit, nicht durch Pracht der Gebäude. Die wirklichen Paläste sind stets für öffentliche Zwecke errichtet, als Kirchen, Hotels, Theater, Bibliotheken, Akademien und andere. Die innere Einrichtung der Wohnungen der großen Kaufleute und Fabrikanten soll freilich, was Wirklichkeit und Glanz vertritt, diese Geldfürsten reichlich für den äußeren Zwang einer am Ende unnatürlichen Gleichstellung entschädigen. Ich habe kein Urteil darüber, da ich nie das Innere eines solchen Hauses gesehen habe; die Türe desselben ist fortwährend verschlossen.
Jedenfalls von mehr Interesse ist das Leben und Treiben der Arbeiter. Obgleich sie ziemlich über die ganze Stadt verstreut wohnen und eine so genannte Gemeindestraße oft dicht auf eine anständige voll, so gelten doch im allgemeinen die westlich von Broadway gelegenen Stadtteile für fashionable und genteel, die östlichen für gemein oder wenigstens für minder vornehm. In den Straßen und fern von der Bowery und draußen in den Avenues findet man häufig ungeheure Gebäude, deren von unzähligen Kindern belagerte Türen auf eine zahlreiche Inwohnerschaft schließen lassen. Es sind dies die so genannten Arbeiterkasernen, die, auf Spekulation gebaut einer hübschen Zahl von Familien Unterkommen gewähren. Sie bestehen aus einzelnen Häusern, die oft fünf bis sechs Stockwerke und einen besonderen Eingang haben. Die innere Einrichtung ist unendlich einfach. Die Treppe, in der Mitte des Hauses aufsteigend, scheidet die Wohnungen in Forderung und hindere. In jedem Stock sind vier Zimmer und vier Kammern, letztere hängen mit je einer Stube zusammen. Auf dem Gange oder Vorsaal befindet sich eine Nische in der Mauer, wo der Wasserbedarf vermittelst der durch alle Häuser geführten Wasserleitung befriedigt wird. Küchen und Waschhäuser gibt es nicht; man kocht im Zimmer und wäscht im Zimmer oder auf dem Vorsaal. Das Meublement in der Stube pflegt einfach genug zu sein. Die erste Stelle nimmt der sehr praktisch konstruierte amerikanische Ofen ein, der zugleich zum Kochherd eingerichtet und dessen Rohr in das Kamin geleitet ist. Er gehört insofern zu den Möbeln, als ihn der Mieter beim Einzug mitbringt, um bei Verlassen des Quartiers verordnen. Ein Tisch und einige Stühle mit verschiedenen Kisten und Kasten, an den Wänden ein Spiegel und einige Bilder, darunter fast immer die Vaterstadt des Insassen, vollenden die Ausstattung eines solchen Zimmers, welches außerdem noch den Vorteil eines Wandschrank zur Aufbewahrung von Lebensmittel und Effekten bietet. Das Schlafzimmer (bed-room) ist geräumig genug, um eines jener zwei- oder dreischläfrigen Ungetüme von Bett darin aufstellen zu können. Das ist der Schauplatz der Glückseligkeit einer gewöhnlichen Arbeiterfamilie, welches sie allerdings mit zahlreichem und verschiedenartigem Ungeziefer zu teilen pflegen.
Der Mann geht nun entweder auswärts in einer Fabrik an die Arbeit, oder er ist für ein Magazin (store) zuhause beschäftigt. Erlaubt ist die Natur des Geschäfts, so hilft die Frau dem Manne zuweilen neben ihrem wirtschaftlichen arbeiten, oder sie arbeitet ebenfalls für eine Store als näheren oder Putz machen.
Die Kinder machen den Leuten im ganzen wenig Sorge. Sie besuchen die englischen öffentlichen Schulen, deren sich in jedem Distrikt in New York mehrere befinden und in denen der Unterricht, ja selbst die Schulbücher, umsonst an die Schüler gegeben werden. Wollen die Eltern ihre Kinder gar nicht in die Schule schicken, so steht ihm dies auch frei; ein Schulzwang besteht nicht im Lande der Freiheit.
Ebenso wenig fragt jemand danach, ob sie sich zu einer der vorhandenen Kirchen oder religiösen Gemeinden halten, ob sie ihre Kinder kaufen lassen oder nicht. Allerdings fühlt hin und wieder ein Missionar dem Beruf in sich, die Arbeiterfamilien aufzusuchen, Bibeln an sie auszutheilen, ihnen religiöse Vorträge zu halten und die Kinder in die Sonntagsschulen einzuladen, wo Bibel und Katechismen als Grundlage des Unterrichts dienen. Die Aufnahme eines solchen Sendlings ist natürlich nach dem Charakter und der Gesinnung der heimgesuchten Familie sehr verschieden. Verschmäht man seinen Zuspruch, so versucht er sein Heil noch ein- oder zweimal und gibt bei wiederholter gründlicher Verstocktheit die Leute seufzend auf.
Der schöne Spruch:?Tages Arbeit, Abends Gäste, saure Wochen, frohe Feste? findet zu Recht eigentlich seine Anwendung auf diese Klasse von Leuten. Zehn Stunden Arbeit den Tag über ist an und für sich kein Spaß; aber in Amerika ist es erst recht keiner. Wenn man die Arbeiter besser bezahlt als in Deutschland, so verlangt dann auch mehr von ihnen, und mancher, der hier wunderviel zu leisten glaubte, wird drüben zu seinem Schrecken gewahr, dass er weit hinter den anderen zurückbleibt. Aber je größer die Anstrengung tagsüber war, desto süßer sind die Annehmlichkeiten des Feierabends. Entweder man geht zum Bier, Mann, Frau, Kind und Kegel, eine Familie allein oder andere miteinander, denn die Landsleute aus einem Orte oder einer Gegend halten gern zusammen. Beim Glase Gerstensaft wird es dann getrieben wie im alten Vaterlande oder ?wie zu hause?. Die Männer kannegießern und politisieren ebenso klug in Amerika wie in Deutschland; die Frauen besprechen das unerschöpfliche Thema über ihre Kinder und über das, was das Leben kostet.
Und die Familien kommen zueinander. Die heimgesuchte borgt Stühle bei den Saalnachbarn zusammen, um die werten Gäste alle zum Sitzen zu bringen. Man bewirthet diese mit Thee und Cakes (gerösteten Kuchen), und infolge dieses warmen Zuflusses öffnen sich die Herzen und die Schleusen der Unterhaltung. Man führt diese in einer mit verderbten englischen Wörtern gespickten Sprache, welche dem ?grünen?Ankömmling manche Schwierigkeiten des Verständnisses bietet. Das Gespräch dreht und wendet sich um jene wichtigen Nichtigkeiten, welche die Menschen in allen Ländern am meisten beschäftigen. Einen höheren Flug nimmt dasselbe, wenn an einen der Befreundeten ein Brief aus der Heimat gelangt ist, oder wenn ein Landsmann mit Paketen, Zeitungen, Grüßen und einer Tasche voll ausführlicher Nachrichten den Boden Amerikas betreten hat. Da werden Saiten angeregt, die oft lange nicht erklungen sind, und die Liebe zur Heimat, die nie erlöschende, äußert sich in rührendster Weise.
Das sind die Arbeitstage mit ihren geistlichen Abenden und die sauren Wochen. Und nun die Frohen Feste. Da ist einmal und in erster Linie der Sonntag. In der schönen Jahreszeit unter günstigem Wetter findet eine wahre Völkerwanderung statt. Die Omnibus[se] und Karren sind dicht besetzt mit Leuten, die ungeduldig sind, die staubigen gluterfüllten Straßen New York mit den grünen dürftigen Hainen Hobokens und Staaten Islands zu vertauschen. An verschiedenen Punkten des North River und an der Batterie sowie am East-River stoßen in kurzen Zwischenräumen jene elegant und praktisch eingerichteten kleinen Dampfer ab, welche man ?Fährboote? nennt. Sie befördern Hunderte von Passagieren auf einmal nach ihren verschiedenen Landungspunkten.
Es ist wirklich eine Lust, auf einem dieser munteren Fahrzeuge an einem schönen Sommer= unter Herbsttage durch die prachtvolle Bai von New York dahin zu schwimmen. Schon durch die Szene des einsteigen ist die frohe Laune erregt worden. An dem New Yorker Landungsplatze unterhalb der Batterie hat man gegen Entrichtung von sechs Cents Einlass genommen. Man hat das Recht, in den allen der Wartesäle einzutreten; viele ziehen indessen vor, außerhalb derselben an der Anlegestelle der Ankunft des Bootes zu harren. Jetzt rauscht dieses heran und wird von Bootsleuten mit Ketten befestigt. Bevor dies doch geschehen ist, drängt die Menge der aus= und einsteigenden Passagiere herüber und hinüber, so dass oft ein ganz heilloses Gewirre entsteht. Endlich hat sich der Strom der Rückkehrenden verlaufen und der Haufe der Fortstrebenden sich über das breite Verdeck, in den Salons und den anderen Räumen des Bootes verbreitet. Die zahlreichen Omnibus[se] außerhalb laden immer frische Zufuhr aus. Der Moment der Abfahrt ist herbeigekommen; die Ketten werden los gemacht, welche das Schifflein an dem Werften festhalten; die Glocke gibt das Signal, und das Boot setzt sich langsam in Bewegung.
Zwischen seinem Deck und der Landung wird der Spalt mit jedem Augenblicke größer. Da eilte noch einige Nachzügler herbei. Mit schnellem Blicke bemessen sie die Weite des Sprungs mit dem Reste ihrer durch laufen erschöpften Kräfte. Es gibt einen raschen Entschluss: entweder Wagen oder eine Stunde warten, bis der nächste Dampfer abgebt. Wagen gewinnt, Wagen verliert. In zähem Sprung erreicht der Kühne das Verdeck und hat nun Zeit, sich zu verschnaufen. Emsig arbeitet sich das flotte Schiffchen fort. Rechts wird Hoboken sichtbar, weiter her Jersey City, links die gewaltigen Häusermassen von Brooklyn, hinten das riesige New York mit seinem dicht bewaldeten Hafen.
Rasch geht es an dem halbrunden Fort vorüber, das, auf einer kleinen Insel gelegen, bestimmt ist, den Eingang zu demselben zu verteidigen. Bald wird in der Ferne Staaten Island mit seinen Parks und Lustschlösser sichtbar. Erste Landung! Der Dampfer legt und setzt einen Teil seiner, im vollen Sinne des Wortes lebendigen Ladung, die in allem möglichen Sprachen schwatzt und scherzt, ans Land. Bei der zweiten Landung, dem reizenden Orte Stapleton, entleert sich meistens das Schifflein völlig. In hellen Haufen ziehen die Gäste heran und zerstreuen sich in den zahlreichen Wirtschaften und Biergärten. Viele bleiben hier bis zur Stunde der Rückkehr, andere machen, nachdem sie eine Stärkung zu sich genommen, Spaziergänge nach dem Silbersee und anderen hübschen Punkten der Insel, von wo sie der herrlichen Aussicht auf das Meer, auf den Narrows, das natürliche Eingangstor in die von Fahrzeugen aller Gattung belebte Bai von New York und auf diese selbst genießen.
In den Vergnügungslokalen herrscht ein Leben echter deutscher Lust. Man musiziert, man singt, trinkt und politisiert. Das Einbrechen des Abends mahnt viele ordentliche Familienväter und sorgliche Hausmütter zur Heimkehr. Schwer beladen mit Lust gesättigten Menschen stoßen die Fährboote ab. Viele Leute aber leeren den Becher der Freude bis zur Neige und taumeln wohl gar berauscht vom reichlich genossenen Sonntagsvergnügen in das letzte Boot, welches nach New York zurückgeht.
Von ähnlichem Charakter sind die Ausflüge auf die New Jersey Seite hinüber. Auch dort zwingt die Freude auf allen Wegen; Hoboken mit seinen Nachbarorten Nord- und Süd-Hoboken, das freundliche Gutenberg und die anderen kleinen Dörfer oder Ansiedlungen bieten der geräuschvollen Lustörter, wie der stillen gemütlichen Kneipen, der prachtvollen Blicke auf Stadt und Hafen von New York, wie der verschwiegenen lauschigen Plätze genug.
Der Eintritt der rauhen Jahreszeit, die meistens im November stattfindet, macht diesen Exkursionen in die Umgegend ein Ende. Nun beschränkt man sich darauf, die großartigen Wirtschaften in der Stadt selbst zu besuchen, in welcher sich ein gleich munteres Treiben zeigt. Bier und Gesang ist auch hier die Losung. Wie es hier zugeht, ist bereits oben in den Spaziergang durch die Stadt angedeutet worden.
So ist das Leben der kleinen Arbeiterfamilien in New York wie in anderen großen Städten der Union; es bietet im Ganzen kein unerfreuliches Bild. Freilich fehlen ihm auch die dunklen Partien nicht. Vor allem übt der Umstand auf das Schicksal dieser Leute einen unheilvollen Einfluss aus, dass sie unter den Schwankungen und Krisen des kommerziellen Lebens mit zu leiden haben. Bei einer solchen Calamität, wie das Jahr 1854 eine solche sah, sind eines schönen Morgens Hunderte von Familienvätern durch plötzliches Schließen der Fabriken oder teilweise Entlassung der Arbeiter ohne Beschäftigung und Brod für sich und die Ihrigen. Diese Krisen liegen zum Glück jedoch weit genug auseinander, dass die nachfolgende bessere Zeit die Änderung an sie verwischt; sie treten aber oft genug ein, um einen soliden Wohlstand bei dem kleinen Arbeiter nicht aufkommen zu lassen.
(Fußnote im Originaltext)
Wenige Monate, nachdem dies niedergeschrieben war, drang aus Amerika herüber die betreffende Kunde von der neuen furchtbaren Handelskrise und Geldnot, die ihre unheilvollen Wirkungen sofort auf Deutschland ausübte. Wahrheitsgetreue Berichte schilderten das unter den Arbeitern herrschende Elend als Vorspann: Tausende derselben wanderten brodlos und verzweifelt in den Straßen der Städte umher. Glücklich diejenigen, welche einen Sparpfennig zuzusetzen hatten! Das Jahr 1857 mit seinen zahllosen Fallistements, verkommenen Existenzen und erschreckend häufigen Selbstmorden ist ein schwarzes in der Geschichte Amerikas. Jeder tut wohl, dieser dunklen Seiten des transatlantischen Lebens eingedenk zu sein, und nicht von demnach eine Reihe guter Jahre ziemlich verbreiteten Taumel über Amerikas Freiheit und Glück fortgerissen zu werden. Wo Licht, ist auch viel Schatten, und die allgemeine Prosperität eines Landes ist wohl denkbar neben schmählichem Verderb unzähliger einzelner Existenzen. (Ende der Fußnote)
Ein anderes Übel, unter welchen viele Leute dieser Klasse, namentlich die Frauen, leiden, und durch das ein wahres Glück und ruhiges Wohlbefinden verhindert wird, ist das Heimweh. Bei all dem Thumult der großen Stadt, bei dem beständigen Kämpfen und Ringen um die Existenz schweigt gewöhnlich dies Gefühl im Tiefsten des Herzens. Aber ein leichtes Berühren von dessen Pforte, eine Kunde von daheim, eine unerwartete Begegnung öffnet sie, und die Wehmut strömten über gleich einem starken Strom, der alles Gute der Gegenwart niederreißt und nur das Heilige Bild der Vergangenheit, der verlassenen Heimat und der geschwundenen Jugend schont. Das sind arme Herzen, die nicht eher Ruhe und Glück finden, als bis sie auf der Fähre nach dem Greenwood-Kirchhof auf Long Islands übergeschüttet werden.
Soll ich meine Ansicht über die Lage der Arbeiter, besonders der Deutschen, in Amerika kurz zusammenfassen, so geht sie dahin: dass die Leute dort besser leben als hier, wenn sie auch wegen der stops (Stockungen) es zu keinem Vermögen bringen.
Über die Lage der unverheirateten Arbeiter habe ich bei der Erzählung meiner eigenen amerikanischen Schicksale schon einige Bemerkungen an geeigneter Stelle eingeschaltet; ich habe deshalb, um ein einigermaßen deutliches Bild vom Leben und Treiben der jungen Handwerkerwelt zu geben, nur noch einige charakteristische Züge zuzufügen, zu deren Anführung die Geschichte meiner Erlebnisse keine direkte Veranlassung bot.
Der unverheiratete Arbeiter ist beim gewöhnlichen Verlauf der Dinge allerdings besser daran als der Familienvater. Er ist vollkommen frei und ungebunden. Bei der bevorstehenden Freiheit des Erwerbers und des Umzuges kann er an jedem Ort sein Brod suchen, wo sich ihm eine gute Gelegenheit dazu bietet. Keine Militärpflicht hält ihn in engem Kreise gebannt, keineswegs braucht er einige schöne Jahre seines Lebens, im Verlauf deren er sich in seinem Geschäfte vervollkommnen und schönes Geld verdienen kann, also dazu verlieren. Kein Pass, kein Wandererbuch, kein Reisegeld wird ihm auf sein Streifzügen nach lohnender Beschäftigung abverlangt. Keine Endung oder Polizeibestimmung tritt ihm hemmend entgegen, wenn er Lust spüren sollte, sich in einem anderen Geschäft zu versuchen. Alle diese störenden und traurigen Verhältnisse, die einen jungen Handwerker in Deutschland unnötig das Leben fast dauern und Tausende fort nach einem freieren Wirkungskreis treiben, fehlen in Amerika.
Die eigentümliche Natur des Verhältnisses, welches zwischen Arbeiter und Prinzipal besteht und auf welches ich bereits hingedeutet habe, sowie das Gefühl seiner allgemein anerkannten wichtigen Stellung in der Gesellschaft, geben dem jungen Handwerker ein ungemeines Selbstvertrauen. Er weiß oder ahnt wenigstens, dass er mit dem Bauer und Kaufmann die eigentlichen Stützen des Staates bildet; er weiß, dass er in dieser Eigenschaft wohlbegründeten Anspruch auf Anerkennung hat. Dass freilich dieser Anspruch häufig genug nicht mit der gehörigen Bescheidenheit erhoben wird, die umso mehr am Platze wäre, da niemand in Amerika dem Arbeiter seine Würde rauben will; dass die Arbeit der Hand sich oft vermisst, sich über die Arbeit des Geistes zu stellen, weil sie häufiger besser bezahlt wird; dass materieller Besitz dies wagt, über Kultur und Bildung triumphieren zu wollen - das sind Übelstände, die sich nicht ableiten lassen. Aber ist am Ende das Übel nicht kleiner und erträglicher, wenn der Arbeiter statt im Vollgefühl seiner Kraft und seines Wertes die Grenzen seines Wirkens überschreitet, in dem er die Faust über den Kopf stellen will, ein Fehler, der seine Bestrafung schon in sich selbst trägt, als wenn er durch allerhand Fesseln und Ketten, welche er sich zum guten Teil selbst angelegt, niedergedrückt wird, demütig unverdrossen seine engen eingegrenzten Pfade wandelt, sich zum Ärger und dem Gemeinwesen zum Schaden?
Ich habe oben bemerkt, dass der unverheiratete Arbeiter beim gewöhnlichen Verlauf der Dinge besser daran sei, als der verheiratete; bei plötzlich eintretenden Unglücksfällen, als Erkrankungen und Arbeitsstockungen, ist aber, so sonderbar so klingen mag, gerade das Gegenteil der Fall. Ich habe schon früher bei Gelegenheit meines ersten Besuchs in New York dieses Umstandes Erwähnung getan und ihn zu bekunden gesucht. Der Hauptgrund dieser eigentümlichen Erscheinung liegt in der schönen und gewiss unrichtigen Ansicht der Amerikaner: dass vor allem der Brodlos und kranke Familienvater der Unterstützung bedürfe, während sich der einzelne Mann schon leichter selbst forthelfen oder herausarbeiten könne. Das hat nun freilich für den Letzteren seine Schwierigkeiten, denn wo er in Zeiten allgemeiner Calamität auch anklopfe, in den meisten Fällen wird ihm der Ehemann den Rang ablaufen. Dann freilich gehen die Sparpfennige, zu deren Schaffung ein junger ordentlicher Mann da wohl Gelegenheit hat, wenn er seine Einnahmen und Ausgaben in ähnliches Verhältnis bringt, ohne Rettung darauf. Ich selbst habe diese unangenehme Erfahrung machen müssen.
Dass der Arbeiter bei seinem Prinzipale (auf amerikanisch Boss) Kost und Logis habe, ist im Allgemeinen nicht üblich, wenn auch vereinzelte Fälle vorkommen. In der Regel mietet sich der Gehilfe in einem seiner Werkstelle (Shop) nahe gelegenen Boarding= oder Kosthaus ein, wo er für 3-5 Dollars wöchentlich Schlafstelle und volle Begünstigung hat. Kann er kein für ihn passendes Haus in der Nähe seines Arbeitsvertrages finden, so nimmt er in einem ferner liegenden halben Board, das heißt, er schläft und nimmt Frühstück und AbendBrod hier ein und sucht sich sein Mittagessen wo anders. Es gibt auch vornehme Boardinghäuser, und es wohnen in denselben viele Ehepaare. Jedoch muss ich bemerken, dass deutsche Frauen sich nur selten zur Benutzung einer derartigen Anstalt entschließen, die begreiflicherweise jedes Familienleben im Keim erstickt. Obgleich die Boardinghäuser für Arbeiter alle Bedürfnisse eines jungen Mannes befriedigen, indem die meisten zugleich Gast- und Trinkwirthschaften haben, so lässt sich doch keineswegs behaupten, dass der Aufenthalt in ihnen behaglich und gemütlich sei. Schon der Umstand, dass man mit irgendeinem weltfremden Menschen in einem Bette oder wenigstens in einer Kammer schlafen muss, ist störend. Allerdings trifft dieses Schicksal den Gesellen in Deutschland auch, dort aber ist das Verhältnis ein anderes. Einmal nimmt hierzulande ein Meister keinen Arbeiter in sein Haus auf, der sich nicht als einen gesunden und ordentlichen Menschen legitimiert, und dann leben doch nur Leute eines Gewerbes in so engem Vereine zusammen, was doch immerhin eine Gewährschaft des Wohlverhaltens in den gesicherten und geordneten allgemeinen Verhältnissen bietet. In Amerika fehlt eine solche Garantie ganz. Dort heißt es: Look out! Sieh dich vor! Trau, schau, wem? Kisten und Koffer muss man fein verschlossen halten, sein Geld wohl verwahren. Freilich hilft oft alle Vorsicht nichts; vor einem richtigen Leben ist kein Schloss zu fest. Und der Herr Wirth hilft einem wohl selbst vom Eigenthume, wie meine eigene Geschichte lehrt. Es soll mit dem gesagten kein Vorwurf gegen die zahllosen, über ganz Amerika verbreiteten Häuser geschleudert werden; ich selbst habe mich in mehreren nach den Umständen ganz leidlich befunden, aber Vorsicht, ja selbst Misstrauen sind überall in Amerika am Platze.
Über das Werktagsleben junger Arbeiter habe ich nichts besonderes weiter zu bemerken, da das bereits über das Verhältnis der verheirateten Arbeiter Gesagte zum guten Teil auch auf ihn Anwendung findet. Des Vereinswesens jedoch, welches in den Vereinigten Staaten so sehr in Blüte steht und so großartige Resultate erzeugt, sei mit einigen Worten Erwähnung getan, insoweit es sich auf den Arbeiterstand bezieht. Die meisten der zahllosen Arbeitervereine und öffentlichen und geheimen Verbrüderungen haben den Zweck, ihren Mitgliedern das Leben zu verschönern, seine Übel zu mindern und dem Tod seine Schrecken zu nehmen, das heißt sie haben entweder eine gesellschaftliche Tendenz oder sie verfolgen wohltätige Zwecke durch Unterstützung Kranker und der Witwen und Waisen ihrer Mitglieder. Wenn diese Gesellschaften irgendwo am Platze sind, so sind sie es in Amerika, wo die Staatsbürger sich um das Wohl und Wehe des Einzelnen bei weitem nicht in dem Maße bekümmern, als dies hier zu Lande geschieht. Es möchte deshalb jedem Arbeiter, der nach einer Stadt Amerikas übersiedeln will, zu raten sein, sich baldmöglichst einer solchen Loge oder Verbrüderung anzuschließen, mag er nun verheiratet oder ledig sein. Im ersteren Falle schafft er, wann ihm selbst etwas Menschliches begegnet, seiner Familie eine, wenn auch kleine, Gewähr der Existenz; ein unverheirateter Mensch gewinnt als ?Maurer? oder ?sonderbarer Bruder? eine Menge von Bekannten, die Anteil an ihm nehmen und in den Zeiten der Not mit stützen und halten.
Hier soll nur von zwei Vereinen rein gesellschaftlichen Charakters die Rede sein, weil dieselben eine bedeutende Rolle im amerikanischen Leben spielen: es sind dies die Gesang= und die Turnvereine. In New York bestehen, wie in anderen Städten, von Ersterem mehrere, die nach den Staaten zu gewissen Bunden vereinigt sind; es gibt einen nördlichen, südlichen und westlichen. Jedes Jahr pflegt jeder Bund abwechselnd in einer Stadt seines Territoriums an deutsche Sängerfest abzuhalten. Das sind dann Tage der Freude und des Genusses nicht nur für die deutsche Bevölkerung, sondern auch der Amerikaner und Irländer lauschen mit Staunen und Wonne den wunderbaren Waisen deutscher Lieder. Aller Groll der verschiedenen Nationalitäten schmilzt hin in der Glut der Gesangeskunst, und für kurze Zeit wird der schöne Wahlspruch: ?Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit? zum wahren Spruch.
Der Einfluss, welchen die deutschen Sängervereine in gesellschaftlicher Beziehung auf die amerikanische Bevölkerung ausüben, ist sehr bedeutend. Dies im Verkehre des Lebens meist kalte und selbstsüchtige Menschenart ist wie bezaubert, wenn deutscher Männergesang in seiner überwältigenden Kraft ihr Ohr trifft; und achtet sie den tüchtigen deutschen Handwerker, wenn er arbeitet, so bewundert sie ihn, wenn er singt.
Weniger geliebt und von den Eingeborenen gern gesehen als die Sänger sind die Turner, deren Vereine ebenfalls durch die vereinigten Staaten zu einem großen Bunde organisiert sind und welche wie die Sänger ihre Feste zu bestimmten Zeiten abhalten. Es bereite den Amerikanern ein unangenehmes Gefühl, diese kräftigen jungen Leute mit den amerikanischen Physiognomien und der malerischen Turnertracht, die ihre Schlagfertigkeit, Waffenübung und gute militärische Disziplin schon bei mancher ernsten Rauferei getätigt haben, mit allem Pomp des Deutschthums durch die Straßen ihrer Städte ziehen zu sehen. Fehlt auch nie das Sternenbanner bei feierlichen Aufzügen, so können doch auch die Turner die geliebten schwarz?rot goldenen Farben nicht missen. Und wenn auch die Leute ängstlich alles vermeiden, was die ?amerikanischen Gefühle? verletzen könnte, so bringen sie es doch auch nicht über das Herz, ihr Vaterland zu verleugnen.
Sänger und Turner stehen zusammen und verherrlichen ihre Festigkeit und Feiertage gegenseitig. Und so sind diese beiden Vereine kräftige Wahrer deutscher Sitte und Eigentümlichkeit, die sich in ihrem universalen Wesen durch sie nicht nur erhält, sondern auch weiter Bahn bricht und befruchtend auf fremde Elemente wird. Singen und Turnen lernen gehört schon mit zur Erziehung der höheren Stände; die beiden Künste werden bald genug einen Teil des Volksunterrichtes bilden. Milde und mit dem sanften Zauber des Liedes streben die Sänger dahin, Deutschthum und Amerikanerthum zu einem Weltbürgerthum zu klären und zu mischen; schlagfertig stehen ihm die trotzigen Turner zur Abwehr bei, dass nicht das gemeine Yankeethum das edle Thun mit roher Gewaltthat störe.
Rückblicke und Vergleiche
Blicke ich nun auf die Vergangenheit zurück, so lässt sich nicht leugnen, dass nach meiner Rückkehr aus Amerika dort sowohl als auch in Deutschland im Laufe der Zeit große und mannigfache Veränderungen vorgegangen sind. Die Andeutungen in den ersten Auflagen meines bescheidenen Werkchens, dass im Schoße der vereinigten Staaten auch noch so manches Schlummer war, was zu einem gewaltsamen Ausbruch führen und sogar den Bestand der Union ernstlich gefährden könne, diese Andeutungen und Ahnungen sind seitdem in Erfüllung gegangen; die großen Gegensätze zwischen den ehemaligen Sklavenstaaten und den übrigen Staaten der Union ohne Sklaverei sind durch einen vierjährigen mörderischen und blutigen Krieg ausgeglichen worden, und dieser Krieg wurde zur Genugtuung und Freude jedes Menschenfreundes zu Gunsten der Nordstaaten entschieden, wozu ein nicht geringer Teil unserer deutschen Landsleute wesentlich mit beigetragen hat.
Die Sklaverei, der einstige schwarze Schandfleck der Union, ist beseitigt; die großen Opfer, welcher dieser Riesenkampf erfordert hat, sind bereits wieder überwunden und verschmerzt, ja was die finanziellen Opfer betrifft, so hat wohl noch kein Land der Welt nach einem solchen, ganz ungeheure Geldsummen verschlingen den Kriege sich finanziell so schnell und so glänzend wieder erholt, wie die vereinigten Staaten von Nordamerika. Die riesige Schuldenlast von damals ist bereits zum größten Teil wieder getilgt, die Kassen sind gefüllt, Millionen von Gold und Goldbarren liegen in denselben zur weiteren Tilgung der Staatsschuld und es gibt dies einen recht deutlich sprechenden Beweis, wie praktisch die Amerikaner auf finanziellem und wirtschaftlichem Gebiete sind.
Auf wirtschaftlichem Gebiete haben sich die vereinigten Staaten in den letzten zwei Dekaden geradezu riesenhaft weiter entwickelt, wozu nicht nur die Einwanderung, sondern die in bedeutender Anzahl neu geschaffenen, zum Teil sehr großartigen Verkehrswege, die Eisenbahnen, beigetragen haben. Ganze große Gebiete des fernen Westens, die früher kaum zugänglich und nur unter den größten Gefahren und Anstrengungen zu erreichen waren, sind nun durch Spanien, welche vom atlantischen bis zum Stillen Ozean reichen, der Kultur erschlossen und zugänglich gemacht worden unter diesen Bahnen nimmt die seit einiger Zeit eröffnete Noth-Pacific-Bahn, an welcher bereits eine ganze Anzahl blühende neue Ansiedlungen und empor wachsende Städte entstanden sind, eine hervorragende Stelle ein, und alles deutet darauf hin, dass dieses Land, wie kein anderes, sich noch weiter entwickeln werde und einer bedeutenden und großen Zukunft entgegen geht. Sind dies auch ganz hervorstechende, zu Gunsten der vereinigten Staaten sprechende Momente, so lässt sich doch nicht verkennen, dass auch in Deutschland im Laufe der Zeit erstaunlich große und denkwürdiger Ereignisse sich abgespielt haben, die auch unserem Vaterland ein zum Teil anderes Gepräge gegeben haben, und man kann wohl sagen, dass auch in Deutschland ein mächtiger Aufschwung stattgefunden und so manches sich zum Besseren gestaltet hat. Zunächst ging unser Vaterland geeint und mächtig aus einem Kriege hervor, der ebenso blutig wenn auch nicht so langwierig war wie der amerikanische Krieg. Dadurch wurde es eine Macht ersten Ranges und gelangte zu einem Ansehen, das auch seinen Angehörigen in allen Ländern der Erde zugute kommt und dem Deutschtum in überseeischen Ländern die gebührende Achtung verschafft, die es vor dem nie besessen hat. Die Geringschätzung, mit der man früher so häufig unserer Nation im Auslande begegnete, hat aufgehört und der Achtung und Anerkennungsplatz gemacht. Aber auch auf wirtschaftlichem Gebiete haben sich in Deutschland in den letzten Jahrzehnten bedeutende Fortschritte bemerkbar gemacht. So erfreulich dies nun aber auch alles ist, so muss es doch jedem wahren Menschenfreund und Patrioten tief betrüben, dass trotz alledem auch in Deutschland in den Bevölkerungsschichten sich zum Teil eine recht tief gehende Spaltung zeigt, die sich gerade in neuerer Zeit besonders herausgebildet hat; die schroffen Gegensätze scheinen sich zum Teil sogar immer noch scharfer und unversöhnlicher zuspitzen zu wollen. Hier sei nur auf den Gegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zwischen Kapital und Arbeitskraft hingewiesen. Diese Gegensätze sind hierbei scharfer ausgeprägt als in Amerika. Der deutsche Arbeiter ist unzufriedener und es hat sich wohl deshalb ein großer Teil derselben dem Sozialismus in die Arme geworfen, von diesem Heil und hülfe erwarten. Ich betrete hier nun zwar ein Gebiet, welches ich lieber unberührt gelassen hätte, denn es wird mir von manchen Seiten wohl nicht der Vorwurf erspart bleiben, dass ich mich ganz und rufen in einer Angelegenheit mische, welche meinen Reisen und Erlebnissen ganz ferner liege, in einer Sache, über welche er ohnehin schon so unendlich viel geschrieben worden ist. Dieser Vorwurf dürfte aber doch nicht so ganz gerechtfertigt sein, indem ich die ganze Arbeit ermisere nicht wie manche aus Schilderungen anderer, sondern vielmehr aus eigener Lebenserfahrung kennen gelernt, und den beiden Hemisphären, sowohl hier in Deutschland, wie auch drüben in Amerika selbst durch gekostet habe. Dagegen war es mir jedoch auch wiederum durch ganz eigenartige Umstände, nämlich durch Gesetz Vertrieb meines Buches in Deutschland, die vielleicht keinem anderen Arbeiter möglich in alle Schichten der Bevölkerung, ja selbst bis zu den höchsten Kreisen hin auf Zutritt zu erhalten, und die Beobachtungen und Erfahrungen, die ich hier gemacht habe, sind nicht minder einer Beachtung wert.
Was die erstere Andeutung, die Arbeitermisere und ein Leben als Handwerker in Deutschland betrifft, so ist schon im Eingang meines Buches angedeutet, dass sich durch verwandtschaftliche Beziehung veranlasst wurde, das Schmiedehandwerk zu erlernen und zu meinem Berufe zu machen, ein Beruf welcher namentlich damals in den vierziger Jahren unter allen Handwerkern als das Aschenbrödel betrachtet werden konnte und auch so behandelt wurde. Denn während in keinem anderen Berufszweige vor 5:00 Uhr früh mit der Arbeit begonnen wurde, mussten wir Schmiede nicht nur im Sommer, sondern auch im Winter Jahre aus Jahre ein schon früh 4:00 Uhr mit der Arbeit beginnen, mit leerem Magen zwei volle Stunden lang Straf Arbeiten, erst um 6:00 Uhr gab es zwei Tassen Kaffee, aber kaum die nötige Zeit dazu, die selten mit Ruhe zu trinken; derselbe wurde in der Werkstatt nur rasch hinunter geschluckt ohne Unterbrechung der Arbeitszeit. Um 8:00 Uhr gab es frühstückt, aber ohne die bei anderen Gewerben übliche ein halbstündige Arbeitspausen; um 12:00 Uhr wurde zu Mittag gegessen, wobei aber von 1 h Arbeitskraft, wie es gegenwärtig überall üblich ist, auch nicht die Rede war. Das Mittagsmahl wurde wie alle anderen Mahlzeiten beim Meister eingenommen, es werde kaum eine Viertelstunde, und dann ging es wieder zur Arbeit, und zwar ohne Unterbrechung derselben bis abends 7:00 Uhr; von einer Vesperzeit um 4:00 Uhr, wie es bei den anderen Handwerken gebräuchlich und jetzt allgemein üblich ist, wurde bei den Schmieden abgesehen, wir arbeiteten somit täglich circa für 10 und eine halbe Stunde, und diese anstrengende, die Kräfte aufreibende Arbeit wurde in den Städten im Durchschnitt mit drei auf dem Lande mit zwei Mark bei schändlichen Arbeitslohn bezahlt. Dabei schien mein Beruf unter allen Gewerben der am meisten missachtete zu sein; ich erinnere mich noch sehr wohl eine Episode aus meinem Wanderjahren in Deutschland, wo mir von einem Herrn der besseren Stände, wer mich nach meinem Berufe fragte, wie mich geradezu verblüffende und beschämende Antwort zuteil wurde, wir Schmiede könne er keine besondere Achtung hegen. Und wenn es auch vielleicht heute noch nicht für ganz ausgeschlossen gilt, dass hin und wieder noch solche Ansichten sich geltend machen, so ist doch nicht zu verkennen, dass im allgemeinen ein Umschwung zum Besseren eingetreten ist. Die Ansicht, dass der rechtschaffene, ordentliche Arbeiter berechtigt ist, auf Achtung und auch auf ein menschenwürdiges Daseinanspruch zu haben, hat sich auch in Deutschland immer mehr Bahn gebrochen, was aus den vielfachen und mannigfaltigen Bestrebungen, sowohl die Regierungen Deutschlands, also verschiedener Privatgesellschaften, welche den Zweck verfolgen, das Los der Arbeiter zu bessern und zu heben, genügend hervorgeht. Diesen gewiss anerkennenswerten Bestrebungen sollte der Arbeiter in Deutschland nicht so gleichgültig und kühl gegenüberstehen wie dies zum Teil noch geschieht. In anderen Ländern und speziell in Amerika kümmert sich, mit Ausnahme der Deutschen Einwanderungskommission in Castle-Garden zu New York und vielleicht ähnlicher Kommissionen einiger anderer Hafenstädte, kein Mensch um den Arbeiter, und sein Los ist dort sehr häufig auch kein glänzendes, welche Erfahrung ich zur Genüge an mir selbst gemacht habe.
Die Verhältnisse in Deutschland liegen für den Arbeiter besonders gegenwärtig zwar auch nicht günstig; der stattgefunden allgemeine Überproduktion fehlt es dem Arbeiter vielfach an ausreichender Beschäftigung, die Löhne sind durch die vielen vorhandenen Arbeitskräfte immer mehr bis auf ein Minimum herab gedrückt worden, immerhin muss es aber doch als ein großer Fortschritt zum Besseren betrachtet werden, dass man sich es in Deutschland sehr angelegen sein lässt, den Arbeiter, namentlich im Alter und den Unglücksfällen vor Not und Sorge zu schützen. Ich habe nun auch bei meinem Verkehr in den verschiedensten Gesellschaftsklassen in Deutschland gefunden, dass gerade Deutschland eine große Anzahl von Männern besetzt, wie ein warmes Interesse für den Arbeiter haben, und jedenfalls gibt es solcher noch weit mehr, die gewiss gern und bereitwillig ist das Interesse des Arbeiterstandes fördern helfen würden, wenn sie nicht durch das tun und Treiben eines Teils der Arbeiter selbst hiervon abgehalten würden. Man möchte wünschen, dass unsere Arbeiter in Deutschland doch endlich einmal selbst denken lernen und einmal ernstlich erwecken möchten, was ausführbar und was nicht ausführbar ist. Denn darüber haben wohl die wenigsten von denen, welche sich der extremen Arbeiterpartei angeschlossen haben, jemals nachgedacht. Die Ideen, welche von dieser Partei gehegt werden, sind weder in Deutschland, noch in irgend einem anderen Land der Welt, und unter keiner Regierungsform durchführbar, und alle diejenigen, welche auf die Erfüllung dieser Ideen warten, wird noch sehr lange und doch vergebens warten. Indessen viel könnte der Arbeiter selbst zur Besserung seiner Lage beitragen, wenn er sich den amerikanischen Arbeiter zum Muster nehmen wollte; dieser verfolgt vor allem rastlos und mit großer Energie das Ziel, sich ein eigenes, wohnliches Heim zu gründen unselbstständig kalt zu erringen; er vermeide dabei alle unnötigen Ausgaben, alle unnötige Zeitvergeudung; Zeit ist in Amerika Geld, mehr wie in einem anderen Lande der Welt; da gibt es keinen blauen Montag, der Sonntag ist ein Teil der wirtschaftlichen Ruhr, wären bei uns in Deutschland der Arbeiter, namentlich der Jugendliche, unverheiratete Arbeiter glaubt, sich an diesem Tage hinsichtlich der Vergnügungen für die ganze Woche entschädigen zu müssen. Ein ernstes Streben, sich ein seinem Stande und seinen Verhältnissen entsprechendes Heim zu gründen, vermisst man leider nur zu häufig. Dazu kommt noch, dass eine große Anzahl unserer jungen Leute sich viel zu früh, und noch bevor die nötigen Mittel zur Erhaltung einer Familie vorhanden sind, verheiratet; vermehrt sich nun die Familien kurzer Zeit, so ist das Elend fertig. Jahr häufig hat sich der Arbeiter in der kurzen Zeit seiner Ausbildung auch nicht einmal die nötigen Fachkenntnisse erworben, und wenn er nun gar vielleicht aus der Arbeit entlassen wird oder nur bei geringem Lohnarbeit findet, so wird dadurch seine Lager nur noch mehr verschlimmert. Alles dies könnte aber zum Teil wenigstens vermieden werden, wenn namentlich unsere jungen Handwerker sich dazu entschließen könnten, Berufs ihrer weiteren Ausbildung und Vervollkommnung einige Jahre nach dem Auslande zu gehen. Ich habe hier nicht gerade Amerika im Auge, das immerhin für jeden deutschen Handwerk eine sehr gute Schule ist und sein würde; wir haben Länder in Europa, die uns viel näher liegen, durch deren Besuch zum Zweck weitere Ausbildung sich gleichfalls ein gutes Resultat erreichen lassen würde: außerdem sind die Löhne in diesen Ländern zumeist höhere als bei uns in Deutschland; dahin gehören, abgesehen von Frankreich und England, welche unseren deutschen Handwerkern gegenwärtig wohl weniger zu empfehlen sein dürften, Russland, namentlich Südrussland, die unteren Donau Länder, Serbien, Bulgarien, die von Österreich besetzten türkischen Landesteile der Balkan Halbinsel, auch die Türkei selbst dürfte sehr bald ein lohnendes Feld für deutsche Arbeitskräfte werden. Da, wo die Kultur, wie in den vereinigten Staaten von Amerika, bereits die höchste Stufe erklommen hat, ist es für den Deutschen häufig weit schwieriger, sich ein dauerndes, lohnendes Feld der Tätigkeit zu erringen, als in solchen Ländern, wo die Bevölkerung zum großen Teil noch indolent und erst noch einer Anregung von außen bedarf; ein Versuch in dieser Richtung würde aber gewiss für viele von guten Folgen sein; diejenigen aber, welchen es nicht gelänge, in diesen Ländern eine gute Existenz oder bleibende Heimat zu finden, oder welche mit den dortigen Verhältnissen nicht zufrieden wären, würden dann reifer an Jahren und reicher an mannigfachen Erfahrungen immer wieder nach der Heimat zurückkehren können, um sich hier eine Existenz zu gründen, wobei ihnen die vielfältigen Erfahrungen gut zustatten kommen würden.
Es geht jetzt ein wohltuender, erfrischender Zug durch ganz Deutschland, und diesem gegenüber sollte auch der Arbeiter nicht untätig und gleichgültig bleiben; nicht durch leere, Zweckagitation wird der Arbeiter seiner Lage bessern, sondern durch praktisches und energisches Eingreifen in die gegebenen Verhältnisse.
Die gegenwärtigen Kolonialbestrebungen Deutschlands sind von einer Wichtigkeit und Tragweite, welchem allgemeinen erst nach Jahren und von kommenden Generationen richtig erkannt und genügend gewürdigt werden wird; und das ist ein Feld, wo auch der deutsche Arbeiter die Hebel ansetzen sollte, um auch seinerseits daraus entsprechende Nutzen zu ziehen. Der einzelne vermag dies allerdings nicht, wohl aber eine Vereinigung der Arbeiter zu dem ausgesprochenen Zwecke, zunächst einen Kolonialfond für Arbeiter zu gründen. Nimmt man an, dass Deutschland circa 8-10.000.000 Arbeiter besitzt, so würde von diesen, selbst wenn auch nur die Hälfte derselben einer solchen Vereinigung beitreten würde, immerhin schon in nicht allzu ferner Zeit, bei keineswegs großen Opfern seitens der Arbeiter eine hübsche Summe aufgebracht werden können, es bedürfte nur einer geeigneten Organisation, namentlich seitens der Gewerbs- und Berufsgenossenschaften; würden diese sich wieder vereinigen und enger aneinander schließen, wie es auch in anderer Hinsicht bereits geplant wird, sei es nun als Innungen, oder in anderer Form, so wird es dadurch leicht möglich werden, dass jedes Gewerbe von einem neuen Arbeit eintretenden, von auswärts kommenden Mitglieder einen kleinen Beitrag von vielleicht 50 Pfennigen abfordern könnte, ein Opfer, welches von Letzterem gewiss recht gern gebracht werden würde; erhält er doch Arbeit und zugleich Verdienst. Ich erinnere mich noch sehr wohl, wie ich in meinen Wanderjahren in Deutschland gern das Doppelte der genannten Summe gezahlt haben würde, hätte ich nur Entstellung eintreten können; ja mancher zahlt heute in Vermittlungs- und Nachweisungsbüreaus sehr häufig das 3-und vier fache dieses Betrages, ohne auch nur den eigentlichen Zweck, Stellung oder aber zu erlangen, erreichen zu können. Würden dann zugleich die in Arbeit stehenden Grüßen eines jeden Gewerbes zum Beitritt zu der genannten Vereinigung herangezogen und beim Einschreiben als Mitglied derselben für den Kolonialfond ebenfalls den Betrag von 50 Pfennigen beisteuern, so würde der Anfang zu einem Arbeiter-Kolonialfond gemacht sein, welcher noch dadurch vergrößert werden könnte dass jedes Mitglied durchschnittlich einen weiteren Beitrag von vielleicht fünf Pfennigen lieferte. Der deutsche Arbeiter würde dies gewiss nicht als Tugend empfinden, und umso mehr diesen Beitrag leisten können, als derselbe von seiten der Regierungen von allen Abgaben entlastet wird und zum Teil schon entlastet worden ist.
Aber auch von anderer Seite dürfte solche Bestrebungen Wohlwollen entgegengebracht und Unterstützung zuteil werden. Deutschland hat mehr wie ein anderes Land noch Männer, die Kopf und Herz auf dem rechten Fleck und ein warmes Interesse für den Arbeiter haben, und es ist daher durchaus nicht ausgeschlossen, dass den Arbeiter Kolonie in und Arbeiterkolonial-Vereinen auch Förderung und Unterstützung von dieser Seite zuteil werden würde. Mancher mit Glücksgütern reich gesegnet hat schon die verschiedensten Institute und Gesellschaften, welche einen humanen Zweck verfolgen, reichlich bedacht; ich habe daher die Überzeugung, dass auch die Arbeiterkolonial-Vereine sich manchen Freund und Gönner erwerben würden; nur müsste freilich auch die Gewähr dafür geboten werden, da sie zusammenfließenden Mittel nicht zu anderen Zwecken als den Beständen verwendet würden. Es würde sich daher empfehlen, dass die Verwaltung der Gelder unter die Kontrolle der städtischen Gemeinden und auch des Staates gestellt würde. Ist aber erstmals ein Fonds angelegt, so würde sich derselbe bei richtiger Organisation und guter Verwaltung sehr bald erheblich vermehren. Mithilfe dieses Fonds könnten dann zunächst in Deutschland selbst bei allen größeren Haupt-und Mittelstädten Arbeiterkolonien angelegt werden, wie die selben Jahr auch schon zum Teil in einigen Industriebezirken Deutschlands und der Schweiz bestehen. Es bedarf wohl kaum der weiteren Ausführung, dass derartige Kolonien für den Arbeiter von mannigfachen Vorteile sind. Außer gesunden, freundlichen Wohnungen, die dadurch für eine größere Anzahl Arbeiter geschaffen werden würden, besteht der selber noch darin, dass der Grundwert des Bodens mit den Jahren sie steigert; und dieses namentlich würde den Kolonien zugutekommen. Denn man kann mit Sicherheit annehmen, dass bei der stetigen und schnellen Zunahme der deutschen Bevölkerung und dem dadurch bedingten Wachstum nicht nur der Hauptstädte Deutschlands, sondern auch der Mittelstädte desselben, Grund und Boden in Zukunft noch wesentlich im werde steigern wird. Diese Beobachtung, auf die ich noch später zurückkommen werde kann man so recht deutlichen Amerika machen.
Von diesen einheimischen Mutterkolonien aus könnten dann die überseeischen Kolonien gegründet werden, welche mit den heimischen möglichst verbunden bleiben müssen; hierbei wäre nun aber vor allem eine gute und richtige Wahl der Gegend zutreffen, wo dieselben anzulegen sind. Von den neu erworbenen Gebieten, welche Deutschland in Westafrika und auf den Südseeinseln gewonnen hat, dürften vorläufig wohl wenige Strecken sich zur sofortigen Anlegung von deutschen Kolonien eignen; so wichtig eines Teils die erworbenen Gebiete in anderer Beziehung auch für uns sind, die klimatischen Verhältnisse sind nicht die günstigsten und fehlt es eben dort bis jetzt noch an allen Verkehrswegen. Es würden sie jedoch hoffentlich auch noch andere Teile der Welt auffinden lassen, wo die überschüssige deutsche Volkskraft einfällt der Tätigkeit finden und sich weiterentwickeln könnte. Leider haben wir nur keine große Auswahl mehr; diejenigen Länder, welche in thematischer Hinsicht unseren Vaterlande noch am nächsten kommen, und wo auch die sonstigen Verhältnisse soweit geregelt sind, da sie gewissermaßen eine gute Aussicht auf das fortkommen und Emporblühen von Kolonien gewähren, diese Länder sind immer noch die vereinigten Staaten von Nordamerika, namentlich die westlichsten Staaten dieses großen Reiches, sowie auch Texas, besonders das hoch gelegene ober Texas, sowie jedenfalls auch New Mexiko. Bei Gründung von Kolonien in diesen Gebieten geht die deutsche Bevölkerung allerdings dem Reiche verloren; allein bei der stetig zunehmenden Überproduktion, in welcher Deutschland krank, und bei der erkennbaren Überbevölkerung dürfte es doch angemessen erscheinen, auch außerdem erworbenen deutschen Gebieten, die erst noch der weiteren Entwicklung bedürfen, sich auch nach anderen passenden und zur Ansiedelung geeigneten Gegenden umzusehen. Seither wandern nach tausenden zählende (durchschnittlich circa 80.000) deutsche Angehörige jährlich nach den vereinigen Staaten von Nordamerika aus. Dort zerstreuen sie sich über die ganze Union und gehen zum Teil zu Grunde. Eine Besserung würde schon dadurch herbeigeführt werden, wenn das deutsche Elemente auch dort durch Gründung von Kolonien mehr zusammengehalten würde. Zwar gelingt es manchem der zahlreichen Kolonisten, welche sich dem Ackerbau und der Kultivierung des Bodens widmen, durch energische Tätigkeit, Entsagung und Ausdauer sich auf seiner einsamen Farm behaglich einzurichten, und diese auch nach jahrelanger, und ausgesetzte Tätigkeit wertvoller zu machen, allein dies nimmt in der Regel eine lange Zeit in Anspruch, hingegen dar, wo sich Kolonien bilden, auch der Wohlstand des Einzelnen sich viel schneller entwickelt, namentlich wenn eine gute Wahl bei Gründung der Ansiedelung getroffen worden ist. Das Wachstum gut angelegter Kolonien und kleiner Ortschaften vollzieht sich in Amerika in einem Beitrag schwören Tempo, als bei uns in Deutschland, und der Wert des Grund und Bodens verdoppelt sich nicht nur in kurzer Zeit, sondern in manchen Fällen verzehnfacht sich derselbe in verhältnismäßig kurzen Zeitraum. Dieser Umstand würde auch dem jungen Einsiedler zugutekommen, wenn er sich in einem Kolonialgebiete niederlassen könnte, besonders da, wo die Vorbedingungen zur schnellen Entwicklung der Kolonien erfüllt sind.
Es ist dürfte aber selbst nicht außerdem Bereiche der Möglichkeit liegen, daselbst in Europa noch Teile aufzufinden wären, welche sich zur Kolonisation für deutsche Kolonisten sehr gut eignen würden, vorausgesetzt, dass dem Einwanderer im Notfalle genügender Schutz gewährt werden könnte, ohne dass selbst verständlich erst staatliche Erwerbungen vorauszugehen hätten, welche in diesem Falle natürlich ausgeschlossen wären. Die Hauptaufgabe bei Gründung von Kolonien wird aber immer in erster Linie die Beschaffung der nötigen Geldmittel hier zu sein, und nur durch zusammenwirken der interessierten Kreise könnten diese aufgebracht werden.
So viel nun auch in Deutschland selbst in den letzten Dekaden durch Erbauung von Eisenbahnen und dergleichen geschehen und geschaffen worden ist, um im allgemeinen die Verkehrsinteressen zu fördern und die Industrie Deutschlands zu heben, so hat man doch einem anderen Gebieten noch sehr wenig, ja so gut wie gar keine Beachtung geschenkt. Es muss jedem, welcher längere Zeit im Auslande gelebt hat, auffallend erscheinen, dass Deutschland in Hinsicht auf die Wasserstraßen und Kanalisation fast noch auf derselben Stufe steht wie vor 30 Jahren und in dieser Beziehung so gut wie gar keine Fortschritte gemacht hat. Denn die wenigen Verbesserungen, beziehungsweise Vertiefungen der vorhandenen Schiff waren Wasserläufe, die im Laufe der Zeit wohl vorgenommen worden sind, können füglich doch nicht als große Fortschritte bezeichnet werden. Hier könnte nun aber in Deutschland noch unendlich viel geschaffen werden, die deutsche Regierung ist bestenfalls auch längst schon von der Wichtigkeit solcher Anlagen überzeugt; allein schon die ersten Versuche derselben, einen Anfang in der Sache zu machen, fanden bei den Vertretern der deutschen Nation im Reichstage leider nicht das gewünschte Entgegenkommen und die Regierung somit keine Ermunterung in ihren Bestrebungen. Es muss befremden und schmerzlich berühren, dass ein großer Teil der deutschen Volksvertretung für eine so wichtige Angelegenheit wie gut angelegter Wasserstraßen, namentlich zweckmäßige Verbindungen anderer Hauptströme untereinander, so wenig Verständnis zu haben scheint. Oder ist es nur eine Oppositionslust oder Parteiinteresse bei einem Teil unserer gegenwärtigen Volksvertretung, welches nicht zulässt, die Reichsregierung bei folgenden Vorlagen zu unterstützen? Und doch liegen in Deutschland die Verhältnisse zur Herstellung von Wasserstraßen mindestens ebenso günstig, wenn nicht noch günstiger in anderen Ländern.
Banner bei der Ablehnung der betreffenden Regierungsvorlage seinerzeit geltend gemacht, Kanäle in Deutschland würden circa vier Monate im Jahr eingefroren, und daher für diesen Zeitraum unbenutzbar sein: ferner würden dieselben in der Herstellung zu teuer werden, so dass sich das darin angelegte Kapital nicht oder doch nicht genügend verzinsen würde. Dass das Erstere nicht zutreffend ist, davon kann sich auch jeder Laie sehr bald überzeugen; im Winter, in denen vier Monate die größeren Wasserläufe zugefroren sind, gehören auch in Deutschland zu den Ausnahmen; was die allzu hohen Kosten, und daher die befürchtete nicht genügende Verzinsung des Angelegtenkapitals betrifft, so würde die Praxis erst nach dem Beweis für die Richtigkeit aufgestellten Behauptung zu erbringen haben. In der Praxis sind die Resultate aber in vielen Fällen ganz andere, als dieselben theoretisch nach den minutiösesten Berechnungen sich ergeben haben und in Aussicht gestellt worden sind. Auch unsere Eisenbahnen haben sich zum Teil in den ersten Jahren nicht sofort so verzinst, wie es wünschenswert gewesen wäre; ja ein Teil verzinslich heute noch nicht entsprechen; es wäre aber gewiss ein großer Fehler, und doch nicht zu rechtfertigen gewesen, hätte man aus diesem Grunde die Bahnen nicht gebaut oder bauen wollen.
Deutschland würde aber seine Wasserstraßen aber auch noch wesentlich billiger herstellen können, wenn es dabei Praktischverfahren und die ihm zu Gebote stehenden Hilfsquellen richtig verwenden und ausnutzen würde. Die Arbeitskräfte sind in Deutschland im Verhältnis zu den überseeischen Ländern zu billiger und dabei liegen im Deutschen Reich so viel Arbeitskräfte brach, dass es als ein wahrer Segen betrachtet werden müsse, wenn auch der deutsche Staat zu weit gehenden Unternehmungen auf heimischen Boden, zur Herstellung der so wichtigen Wasserstraßen vorschreiben würde. Man hat statistisch berechnet und nachgewiesen, dass in Deutschland jährlich circa 200.000 Vagabunden beschäftigungslos auf den Landstraßen herumziehen; die Zahl der ordentlichen braven Handwerksbursche, welche gern arbeiten möchten, aber keine Beschäftigung finden, und sich deshalb ebenfalls auf den Landstraßen befinden, beläuft sich vielleicht auf das Doppelte oder gar auf das dreifache; die Gefängnisse und Zuchthäuser sind zum Teil mit Insassen überfüllt, und alle diese Elemente verursachen dem deutschen Volke und den betroffenen Staaten eine Last der Unterhaltungskosten, die jedenfalls in die Millionen geht. Dabei machen die Insassen der Gefängnisse noch obendrein der darniederliegenden deutschen Industrie durch billigere Erzeugnisse verschiedener Artikel nicht unwesentliche Konkurrenz, was schon vielfach zumisst Vergnügungen und Beschwerden Anlass gegeben hat. Was könnte nun aber die Regierung Deutschlands davon abhalten, diese vielen brachliegenden, im Lande nur auf verursachenden Kräfte nutzbringend zu verwenden und im Lande dienstbar zu machen? Würde die Reichsregierung auch nur einen, und zwar den sich hier für eigene Teil dieser Kräfte zu Bauten, namentlich zur Herstellung der Wasserstraßen verwenden, so würde Deutschland seine so nötigen und vielfach gewünschten Wasserstraßen sehr bald und für eine wesentlich billigere Summe herstellen können.
Abgesehen aber davon, dass eine große Anzahl Elemente, welche der deutschen Nation nur Opfer verursacht, bei einem solchen Unternehmen genüsslich zur Verwendung fände, würde ein solches Unternehmen auch auf Industrie und Verkehr seine belebende und ermutigende Wirkung äußern. 1000 andere fleißige Hände fänden wieder auf längere Zeit ausreichende Beschäftigung und Verdienst, größere Geldsummen kämen unter das Volk und alles das würde dazu beitragen, ging Geschäftsverkehr zu heben und eine ruhigere und zuversichtlichere Stimmung im Volke zu erzeugen. Außerdem würden derartige, vom Start ins Leben gerufene Unternehmungen, wie die Anlage von Kanälen und größeren Wasserstraßen für Deutschland auch in anderer Beziehung von ganz wesentlichem Nutzen sein. Deutschland besitzt noch Teile, die zum Teil große Heideflächen, wie zum Beispiel einzelne Distrikte Hannovers, zum Teil große Fläche im Moor sind. Heideland und Moorland geben keinen, oder doch kaum einen nennenswerten Nutzen. Würde man den Kanalbau, wenn auch in kleinerem Maßstab auf diese Gebiete ausdehnen, so würden dadurch jedenfalls der Kultur nicht unwesentliche Länderflächen gewonnen werden können; die Kanäle könnten zur Be- und Entwässerung, und zugleich als praktische, billige Zufahrtsstraßen für alle landwirtschaftlichen Bedürfnisse, wie auch für Abfuhr aller Bodenerzeugnisse dienen. Würden dann ferner weit von den Kanälen und landeinwärts nach dem Hinterlandestraßen und Wege angelegt, so würde auch dieses auf weitere größere Strecken beschlossen.
Wir leben in einem Zeitalter der Kolonisation. So wichtig nun auch unsere erworbenen überseeischen Besitzungen für das Deutsche Reich sind, und so bedeutungsvoll und wertvoll dieselben namentlichen Zukunft sein werden, so möchte ich doch bemerken, dass man darüber auch das näherliegende nicht so ganz unbeachtet lassen möge; es Kolonie sieht sich in Deutschland, in einem so gesunden, mäßigen Klima wo außerdem alle Hilfsmittel und kräftiges vorhanden sind, viel leichter, als unter dem Himmel der Tropenzone, und wenn die Erfolge auch nicht gleich anfangs glänzende und sofort in die Augen springende sein werden, so unterliegt es doch gar keinen Zweifel, dass die aufgewandte Mühe mit der Zeit reichlich belohnt werden würde.
Kolonisation erfordert aber über alle Anstrengung, Geduld und Ausdauer. Ich war selbst Augenzeuge, wie die allerdings sehr genügsamen und fleißigen Portugiesen auf den Azoren, und zwar auf der Insel Fayal, was den höchsten, sterilen Berges abhängen noch Bodenerzeugnisse abzuringen wussten. Die Mormonen am Salzsee in den vereinigten Staaten haben durch Fleiß und Ausdauer und mit Zuhilfenahme künstlicher Verbesserung aus einer steinigen Wüste einen wahren Garten und eine blühende Kolonie geschaffen und ihre Ansiedlung zu einer wohlhabenden, industriellen Niederlassung gemacht; wohl haben halt und ein behagliches Ziel war die Erfolge und der Lohn für rastlose Tätigkeit und Ausdauer. Auch der Deutsche, welcher in Amerika als Farmer sich ein neues Heim gründet oder gründen will, muss dort mit großer Energie und Ausdauer an sein Werk gehen, wenn Erfolge erringen will.
Die wenigen derzeit in Deutschland bestehenden Arbeiterkolonien, unter anderem die des Herrn Pastor von Bodelschwingh in Wilhelmsdorf in Westfalen, geben einen hinlänglichen Beweis dafür, wie Segen bringen derartige Unternehmungen auch in Deutschland wirken können: außerdem würde aber auch für einen Teil solcher Elemente, welche aus Strafanstalten entlassen werden, und für die es dann schwer ist, wieder in passende Lebensstellung einzutreten, eine sichere Existenz geschaffen werden können, wenn man eben diese Elemente bei der Kolonisation auf solchen öden Ländereien beschäftigte und denselben, um sie zu Ausdauer aufzumuntern und für ihre Arbeit zu belohnen, entsprechende Parzellen unter gewissen Bedingungen als Eigentum anweisen würde, so dass sich dieselben eine seitliche Existenz gründen könnten.
Die Kolonisation solcher düsteren Länderstriche würde sich einerseits dadurch rascher vollziehen, andernteils würden diese Elemente der Bevölkerung doch nicht so leicht wieder in ihr früheres Leben zurück- und dem Staate und der menschlichen Gesellschaft abermals zur Last fallen.
Man muss daher lebhaft wünschen, dass auch unsere Volksvertreter im Reichstag für alles das, was den Wohlstand des deutschen Volkes leben kann, und was den Interessen des Reiches nach außen hin förderlich ist, ein offenes Auge und ein richtiges Verständnis haben, und Regierungsvorlagen nicht aus Parteiinteressen oder aus sonstigen Unerforschtgründen rücksichtslos ablehnen, oder dieselben nicht unterstützen, wie es gegenwärtig bei verschiedenen Gelegenheiten zum Leidwesen dieses Patrioten leider vorgekommen ist. Menschen aber doch gerade die Parteien, die immer das Wohl der Arbeiter im Mund führen, bedenken, dass sie mit Ablehnung solcher Vorlagen, welchem Interesse des Reichs gemacht werden, ihrem Vaterland einen schlechten Dienst erweisen.
Das deutsche Volk braucht Raum zur Ausdehnung, der deutsche Arbeiter vor allem Arbeit und Verdienst; nichts verstimmt denselben mir und Martin Missmut, als wenn er keine oder nicht ausreichende Beschäftigung hat und daher keinen genügenden Verdienst findet, um sich selbst, und wenn er verheiratet ist, seine Familie erhalten zu können. Das sinken und verkümmern, sowie die vielen Selbstmord eines Teils derselben, sollte gerade diesen Parteien zu denken geben und Veranlassung sein, alle Regierungsvorlagen bisher nur irgendwie geeignet sind, eine Besserung dieser traurigen Verhältnisse herbeizuführen, auch auf das Entgegenkommen so zu unterstützen.
Deutschland ist einig, groß und mächtig geworden. Dank den Männern, die es zu dem gemacht haben, was es gegenwärtig ist! Es vermag jetzt seine Angehörigen in allen Ländern der Erde zu schützen; der Deutsche im Ausland für sich gehoben durch das Bewusstsein, dass auch er nun einer großen Nation angehört, von welcher er Schutz erwarten kann und darf.
Möchten aber auch ihr daheim im eigenen Vaterland und alle als Deutsche fühlen, und namentlich die Vertreter des deutschen Volkes im Reichstag von diesem Gefühle ganzen voll durchdrungen sein! Leider war seither dies nicht immer der Fall, vielmehr zeigte sich in dieser Körperschaft mitunter ein noch recht patriotischer Sinn, und die ganze Verfahren, in Herzlichkeit und Uneinigkeit wie in früheren Zeiten, Umstände, die nicht dazu beigetragen haben die Achtung vor der deutschen Nation im Ausland zu erhöhen.
Großes in Deutschland geschaffen worden. Möchte aber auch die deutsche Nation und möchten vor allem diejenigen, die dazu berufen sind, der Größe und dem Wohle des Vaterlandes mitzuarbeiten, sich ihrer Aufgabe voll und ganz bewusst sein! Möchten alle Parteien doch den Spruch beherzigen und zur Wahrheit machen: ?wir wollen seien ein einig Volk von Brüdern.?
Störende Elemente vermögen vielleicht die Entwicklung des Reiches durch ihre ablehnende Haltung momentan etwas aufzuhalten, ein Nutzen für sie selbst dürfte aber aus ihrem Verhalten doch wohl schmerzlich herausspringen. Dem Arbeiter in Deutschland möchte ich aber in seinem eigenen Wohl erwogenen Interesse ist dringend ans Herz legen, von besonnenen, zu nichts, oder nichts gutem führenden Agitation abzustehen und den Weg zu betreten, auf welchen ich hingewiesen habe. Nicht mit leeren Händen und Zweckagitation erreicht man heutzutage etwas, sondern mit den nötigen Mitteln und durch rastlose Tätigkeit, Fleiß und Ausdauer. Die Mittel auf gesetzlich erlaubten Wege zu erlangen, das wird keine Regierung verwehren, im Gegenteil dürften derartige Bestrebungen gewiss auf ein freundliches, wohlwollendes Entgegenkommen rechnen können.
Ist einmal der Anfang mit Gründung von Arbeiterkolonien in dem angedeuteten Sinne gemacht, so würden dieselben sehr bald ihre Lebensfähigkeit beweisen und zugleich darthun, wie aus kleinen Anfängen großes heraus wächst.
Ist auch Gottes schöne weite Welt und bietet dieselbe noch unendlichen Raum für Millionen von Menschen, und auch der deutsche Arbeiter kann, wenn er vernünftig genug ist, und nur das zu erreichen strebt, was vernünftigerweise zu erreichen ist, an den neugewonnenen oder zugänglich gemachten Gebieten, wo dieselbe noch immer liegen mögen, einen Anteil erhalten. Es sollte mich freuen, wenn die von mir ausgesprochenen Ideen in den dabei interessierten Kreisen auf fruchtbaren Boden fallen und Beachtung finden würden, wenn weiter sich hochklassige Männer fänden, welche den angedeuteten Vorschläge näher treten und meine Ideen weiter ausgestalten und verwirklichen würden. Nicht als wollte ich mich in einer Sache, in welcher schon so unendlich viel geschrieben worden ist, hervorbringen, sondern lediglich im Interesse der Arbeiter, der deutschen Arbeiter, zu welchen ich selbst zähle, sah ich mich dazu veranlasst, diese kleine Betrachtung als Nachtrag zu meinem Buch zu schreiben. Möge daher dieselbe von allen Seiten eine gütige Nachsicht finden.