Das Skelett im Wingert
Dienstag, 23. Dezember 2008
Heute abend ist etwas gar Lustiges passiert. Hoffe ich jedenfalls.
Ich halte mich gerade an einem Ort auf, wo gewöhnlich auch der Kaiser zu Fuß hingeht.
Da klingelt das Telefon. Meine Frau Anne geht ran.
Ein Mann meldet sich und fragt, ob Josef da sei.
"Josef?" sagt Anne fragend, "so jemand wohnt hier nicht."
"Ach nein", meint der Gegenüber, "dann aber sicher Roland Geiger."
"Ja, Moment", entgegnet sie und ruft nach mir.
Ich komme aus dem Bad und nehme das Telefon.
"Hallo?"
"Ja, hier ist Stoll."
Die Stimme kommt von einem Mann, geschätzte 25 bis 35, ich mag mich täuschen. Sie klingt irgendwie seltsam, halbwegs aufgeregt.
"Guten Abend, Herr Stoll. Was kann ich für Sie tun?"
"Sind Sie Anthropologe … oder … Archäologe …?"
Ich lache belustigt auf.
"Nein, ich bin … Heimatforscher. Um was geht’s denn?"
"Ja, ich habe ein Skelett gefunden."
Hoppla, damit kenne ich mich ein bißchen aus. Unter unserem Haus liegt eine römische Villa, und im Nachbarsgarten liegen resp. lagen drei Menschen begraben. Die liegen dort schon tausend Jahre, wenn wir der C14-Datierung glauben können.
"Und wo?"
"Im Wingert."
Das ist eine Straße in St. Wendel – von uns aus durch die Kelsweilerstraße über den Bahnübergang und direkt links rein. Eine Sackgasse, in der seit etwa 100 Jahren Häuser stehen. Ich überlege, wo dort ein Skelett herkommen kann. Bombardierungen gabs dort eigentlich keine, und vorher … gabs dort nix.
"Ist es ein menschliches Skelett oder von einem Tier?"
Okay, nicht mein allerbestes Deutsch, aber in so einer Situation …
"Ja, ich weiß nicht. Vermutlich menschlich." (oder so ähnlich hat er das gesagt).
"Hm, haben Sie schon die Polizei verständigt?"
"Ja, und die haben mich an Sie verwiesen."
"Die Polizei hat Sie an mich verwiesen?" frage ich verdutzt.
Ein Knacken in der Leitung - und das Gespräch ist beendet.
Was ist das denn? Will mich da jemand verarschen?
Anne nimmt das Telefonbuch raus. Im Wingert gibt’s niemand mit dem Namen "Stoll".
Ich wähle die 110. Polizei-Notruf. Der Beamte ist erstaunt, als ich ihm meine Geschichte erzähle. Nein, bei ihnen hat sich niemand gemeldet. Jedenfalls nicht seit 21 Uhr, seit er Dienst hat. Und davor auch nicht. Er verspricht, sich darum zu kümmern.
20 Minuten später.
Ich sitze an meinem Schreibtisch, als vor dem Fenster ein Licht aufleuchtet.
Weißes Licht, nur ganz kurz. Dann geht die Türklingel.
Ich öffne und lasse die beiden Polizeibeamten herein.
Bitte schön, immer rein in die gute Stube. Draußen ist es viel zu kalt.
Sie schauen mißtrauisch, als ich meine Geschichte erzähle.
Als ich sage, daß ich Heimatforscher bin, und die Geschichte mit unserer Villa unterm Haus und den drei Leichen in Nachbarsgarten erzähle, hellen sich ihre Mienen auf.
Aber helfen in dem Sinne können sie nicht.
Sie machen sich Notizen und fahren wieder.
Da wollte uns wohl doch jemand verkohlen.
Frohe Weihnachten.