Schriftzug

Nahe-Blies-Zeitung, St. Wendel.
8. Mai 1918
 
„Die Blätter beschäftigen sich augenblicklich mit dem Leben Karl Marx’, der, am 5. Mai 1818 zu Trier als Sohn eines Rechtsanwaltes geboren, der Begründer der internationalen Sozialdemokratie geworden ist. Bei dieser Gelegenheit mag daran erinnert werden, daß an dem Leben dieses hervorragenden Idealisten und Kämpfers eine St. Wendelerin, Elisabetha Katharina Demuth, hervorragenden Anteil hatte. Sie führte ihm viele Jahrzehnte in uneingenützigster Weise den Haushalt und sorgte in den Tagen des Alters, da die Härte der Fremde und all jene Enttäuschungen und Bitternisse, die keinem Philantropen erspart bleiben, auf den alternden Mann drückten, für sein Wohlergehen und die Fortführung seines gelehrten Werkes. Nachdem sie dem Greise die Augen zugedrückt, galt ihre Sorge bis zu ihrem Tode seinen Nachkommen. Und wann einmal die Geschichte Karl Marx’ wird geschrieben werden, dann wird sein Biograph auch an dieser selten treuen, schlichten Frau nicht vorübergehen können, ohne ihren Einfluß auf das gewaltige Lebenswerk ihres Herrn zu würden.“


Gemeint ist Helena Demuth.

Vorwort
Viel wird gesagt, und viel wird behauptet.

Von vielem ist man fest überzeugt, von vielem glaubt man fest zu wissen. Man hat hier gehört und dort gelesen. Und der und der hat das und das erzählt.

Doch wenn’s geschrieben werden muß, werden zumindest manche vorsichtig. Dann fragen sie, woher der und der das und das hatte.

Dann können sie es entweder abschreiben oder selbst noch mal nachschauen.

So ist das auch mit Helena Demuth. Ihr Elternhaus steht in der oberen Balduinstraße in St. Wendel, so hieß es jahrelang. Manche wußten es noch genauer: es war das heutige Café Lerner. Ein Werbeschild wurde angefertigt, und kaum war es fertig, erkannte man: Es war gar nicht das Café Lerner, sondern das Haus gegenüber, in dessen Räumen sich der Friseursalon Bernhard befindet. Bzw. stand es dort, wo heute ein Teil des Friseursalons steht. Eine Statue wurde aufgestellt, die auf das heutige Haus schaut, immerhin auf den Teil, an dem früher ein Haus stand, das sich direkt neben dem mutmaßlichen Geburtshaus befand. Das - wie sich etliche Jahre später herausstellte - doch nicht das Geburtshaus war. Mutmaßungen, falsche Schlüsse, voreilige Entscheidungen, Hörensagen.

Quellenstudium ist nicht leicht, vor allem, wenn die Quellen gut versteckt oder völlig unbekannt sind oder wenn sich Hinweise in Akten befinden, wo man sie nie im Leben suchen würde. Bei Räumarbeiten in der Klosterbibliothek von Tholey fand ich in einer Marx-Biographie einen Zettel, den der St. Wendeler Heimatforscher Hans Klaus Schmitt dort hineingelegt hatte. Darauf standen zwei Namen und eine Quelle. Diese nachprüfend stellte sich heraus, daß die Kinder der Nikolaus Servatius’ Wittib im Dezember 1818 ihr Wohnhaus durch den Notar Hen versteigern ließen. Dieses Haus, das in St. Wendel in der Grabenstraße liegt, gehörte laut einer Akte des St. Wendeler Stadtarchivs[1]
um das Jahr 1800 der genannten Familie Servatius. Im Urhandriß des Jahres 1843 fand sich der Eintrag, daß das Haus der Witwe von Michel Demuth gehörte. Die Akten des St. Wendeler Notars Hen liegen im Landesarchiv Saarbrücken. Leider fehlt das komplette zweite Halbjahr 1818 von Hens Notariatsakten. Vorhanden ist nur noch das Register. Und dort fand sich die Versteigerung am 24. bzw. 31. Dezember 1818 als kurzer Eintrag.

Kompliziert, aber findbar. Benötigt werden Phantasie, Erfahrung, Sturheit, Ausdauer und Zeit.


Meine erste bewußte Auseinandersetzung mit der Geschichte der Familie Demuth begann vor 11 Jahren, als ein Amerikaner namens Carl De Muth sich nach seinen Vorfahren aus St. Wendel erkundigte. Sein Vater sei schon einmal vor 30 Jahren hiergewesen und habe nichts gefunden. Den Zahn von wegen „de Muth“ zog ich ihm damals als erstes, nix von wegen adelig und „von Muth“, sondern „Demuth“ (im Sinne von „Unterwürfigkeit“, auf Englisch „humility“). Genealogisch stieß ich auf Susanna Maldener, die Stephan Demuth heiratete, und ihre Tochter Susanna, die später mit ihrem Stiefvater Johann Georg Schulz sieben Kinder hatte. Carl lachte, als ich ihm die Geschichte erzählte, und meinte, jetzt wisse er, warum sein Vater nichts gefunden habe.

Im Zuge meiner Beabeitung des Notariats St. Wendel im Laufe der letzten 25 Jahre stieß ich vor fünf, sechs Jahren auf einen Akt aus dem Jahre 1888 mit einer Unterschrift Helena Demuths.

Vor zwei Jahren haben die Schwestern Claudia und Nadja Beinert St. Wendel besucht, um Stoff zu sammeln für einen Roman über Helena Demuth. Wir streiften durch die Stadt, und ich zeigte ihnen die Stätten, die nach damaligem Wissensstand mit Helena Demuth zusammenhingen. Ihr Roman „Revolution im Herzen - Die heimliche Liebe des Karl Marx“ ist Anfang April 2018 bei Knaur erschienen.

Ein Jahr später wandte sich Marlene Ambrosi an mich. Sie hat eine Biographie von Jenny Marx verfaßt und sich danach Helena Demuth zugewandt. Ich stellte ihr bereitwillig alles zur Verfügung, was ich darüber bisher recherchiert hatte, und lieferte weitere Erkenntnisse bis Mitte Februar 2018 nach. Das rechnete sich zwar finanziell nicht, aber ich mag es nicht, wenn jemand etwas nicht Zutreffendes niederschreibt, wenn ich ihm oder ihr helfen könnte. Denn wenn es erst einmal gedruckt ist, ist es schwer, das wieder aus der Welt zu bringen.

Anfangs des Jahres 2018 sprach mich der Regiseur Klaus Gietinger aus Saarbrücken an, der ein Doku-Drama über Helena Demuth drehte. Ich gab ihm Tips, was die Örtlichkeiten in St. Wendel anging. Eine Bemerkung seinerseits, da wisse man nun nicht, in welchem Haus sie wirklich geboren sei, trieb mich dazu, nach Belegen über Helena in St. Wendel zu suchen, was prompt zu weiteren Entdeckungen führte, z.B. der ältesten bekannten Unterschrift. Ich legte alle anderen Projekte zur Seite und konzentrierte mich auf Helena Demuth. Meine Recherchen führten mich in den C-Bestand des Stadtarchivs St. Wendel, die Nachlaßsammlung des Stadtarchivs in Trier, die Friedrich-Ebert-Stiftung in Trier und das Landesarchiv Saarbrücken - plus ein virtueller Ausflug ins englische Nationalarchiv, das in meinem Jahresabo des amerikanischen Anbieters ancestry eingebunden ist.

Phantasie, Erfahrung, Sturheit, Ausdauer und Zeit - die Kombination zahlt sich bisweilen aus.

Leider habe ich mir bei der Veröffentlichung dieses Buches dann gerade die Zeit nicht mehr genommen, als die Vorstellung von Klaus Gietingers Lenchen-Demuth-Film am 23. April 2018 näherrückte und das Buch unbedingt fertig werden sollte. Das führte zu der ersten Auflage, der ich noch dazu ein falsches Titelbild aufsetzte.

Joachim Schmitz aus St. Wendel nahm eine Vor-Version dieser zweiten Auflage kritisch unter die Lupe und gab mir wertvolle Tipps, vor allem auch im Bereich des Artikels über Lenchens Schulzeit. Karl-Marx-Kenner Klaus Gietinger lieferte zahlreiche Hinweise aus dem umfangreichen Schriftverkehr der Familie Marx und stand meinen manchmals etwas obskuren Ideen wohlwollend kritisch gegenüber. Euch beiden gilt mein ganz besonderer Dank.

St. Wendel, im Juli 2018                 Roland Geiger



[1] Stadtarchiv St. Wendel (SAS), A199.

St. Wendel

Die Stadt St. Wendel besteht seit der Gebietsreform im Jahre 1974 aus 16 einzelnen Orten mit einer Gesamteinwohnerzahl von etwa 28.000 Einwohnern. Einer dieser Orte ist die Kernstadt St. Wendel mit knapp 10.000 Einwohnern.

Dieses Gebilde "Kernstadt" gibt es in seiner jetzigen Form und Ausdehnung seit dem Jahre 1859, als die drei Gemeinden Alsfassen, Breiten und St. Wendel zur Stadt St. Wendel zusammengeschlossen wurden. Alsfassen und Breiten sind heute keine Stadtteile im klassischen Sinne, sondern Vororte ohne eigene Verwaltung.

Die bekannte Geschichte von St. Wendel – und damit ist ab jetzt stets die Kernstadt gemeint – beginnt im ersten Jahrhundert nach Christi Geburt. Im Vorort Alsfassen wurde im 1ten Jahrhundert nach Christus ein römisches Landhaus errichtet, das vermutlich bis zum Ende der römischen Herrschaft bewohnt und dann aufgegeben wurde.

Im Jahre 634 vermacht ein merowingischer Adeliger namens Adalgisel genannt "Grimo" der Kirche von Verdun per Testament seine bis nach Holland und Belgien verstreut liegenden Güter, u.a. auch die Ursprünge der heutigen Benediktiner-Abtei in Tholey. Etwa 10 Jahre darauf kauft Paulus, der spätere Bischof von Verdun, den Ort "Basonis villare" aus eigenen Mitteln für die Kirche von Verdun.

Wie kommen wir nun darauf, daß es sich bei diesem "Basonis villare" um einen früheren Namen St. Wendels handelt? Nun, im 11. Jahrhundert wird in einem Heiligenkalender des Klosters Stablo (heute Stavelot in Belgien) der Kultort des heiligen Wendalinus mit dem Namen "Basenvillare" bezeichnet. Und da es nur einen Kultort für den heiligen Wendalinus gibt, muß dieses "Basenvillare" oder "Basonis villare" identisch sein mit dem heutigen St. Wendel. Hoffentlich.

Die Wallfahrt zum Grab des Heiligen setzt in der zweiten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrtausends ein und bewirkt, daß der Name des Heiligen den Namen der Siedlung verdrängt. Aus "Wir fahren nach Bosenweiler zum heiligen Wendel" wird "Wir fahren in die Stadt des heiligen Wendalinus" und schließlich "Wir fahren nach St. Wendel".

Über den heiligen Wendalinus wissen wir so gut wie nichts. Er wird zum ersten Mal im 10. Jahrhundert in einem Buch über die Geschichte des Bistums Metz genannt, also über 300 Jahre nach dem Datum, an dem er nach heutiger Lesart gestorben sein soll. Von der Person, die im Hochgrab der Wendalinusbasilika bestattet ist, wissen wir nur, dass sie männlich und etwa 1,80 m groß war. Die Reliquie im Sarg aufbewahrt ist der Heilige Wendalinus.

Die Verehrung des Heiligen bewirkte die Wallfahrten, die Umbenennung des Verehrungsortes, der Ankauf desselben durch den Trierer Bischof im 14. Jahrhundert und dessen systematische Förderung bis ins späte 15. Jahrhundert. Ohne die Verehrung wären St. Wendel und seine ganze nähere Umgebung heutzutage nur eine Ansammlung kleiner Ortschaften ohne jedwede Bedeutung. Das wird heute gern vergessen.

Im 14ten Jahrhundert kauft Balduin von Luxemburg, Erzbischof und Kurfürst von Trier nach und nach die Grundstücke und Häuser rund um die Pfarrkirche aufund verleibt sie dem Trierer Kurstift ein; die Pfarrei St. Wendel kommt im späten 15. Jahrhundert ins Bistum Trier.

Mitte des 15. Jahrhunderts wird Nikolaus Krebs aus Bernkastel-Kues, den die Menschen ob seiner Herkunft "Cusanus" nennen, Herr der Pfarrei. In seiner Zeit wird der Umbau der Basilika fertiggestellt und entstehen die auf der ganzen Welt einzig-artigen Wappenmalereien. Auch die Steinkanzel, die zweitälteste datierte in Deutschland, wird dem Cusaner zugeschrieben, der als einer der bedeutendsten Kleriker, Wissenschaftler und Philosophen des ausgehenden Mittelalters gilt. Seine Bedeutung für St. Wendel wurde über viele Jahre hinweg unterschätzt oder gar heruntergeredet, und einzelne einsame Rufer (Werner Martin) ignorierte man geflissentlich.

Stadt und Amt St. Wendel bleiben bis zur französischen Revolution eine weitab im Südosten gelegene Exklave des Kurfürstentums Trier. Im Juni 1815 wird Napoleon bei Waterloo besiegt und nach St. Helena verbannt. Im Wiener Kongress wird das bisher französisch besetzte linke Rheinufer unter den Siegern aufgeteilt. Der Großherzog von Oldenburg erhält die Gegend um Birkenfeld und errichtet das Fürstentum Birkenfeld, das bis vor den Zweiten Weltkrieg existiert. Das alte Amt St. Wendel kommt zusammen mit der Umgebung von Baumholder an Herzog Ernst von Sachsen-Coburg; doch der will es eigentlich nicht. Versuche, es zu verkaufen, schlagen fehl. Also bleibt er vorerst auf seiner "coburgischen Colonie" sitzen. Die coburgischen Beamten, die er zur Verwaltung herschickt, wissen genau: die Kommandierung nach St. Wendel ist eine Strafversetzung. Anfangs geht alles noch sehr gut, und die St. Wendeler – gewohnt, daß ihr Herrscher etwas weiter weg residiert – fügen sich gut. Doch mit der Zeit wird auch der einfachste Mann gewahr, daß Herzog Ernst weniger das Wohl seiner hiesigen Untertanen im Sinne hat als vielmehr das Füllen seines stets leeren Staatssäckels. Alles, was nicht fest angelegt ist, wandert nach Coburg. Seine hiesigen Beamten sind so geübt darin, daß Rücklagen für längerfristige Projekte nach der Winterpause einfach verschwunden sind. Die Bürger murren, und die Beschwerden häufen sich.

Im Jahre 1832 kommt es zum Eklat. In Kellersch Wirtschaft (heute Spinnrad), treffen sich ein Rechtsanwalt, ein evangelischer Pfarrer, ein Schullehrer und ein Notar und planen eine Reise nach Hambach in der Pfalz. Von dort zurückgekehrt, beginnen sie, aufrührerische Reden über Themen wie „Demokratie“ zu schwingen. Stellen Sie sich das vor: das Volk soll bei wichtigen Entscheidungen mitabstimmen und seine eigenen Regierungsvertreter wählen – völlig absurd. So sieht es auch der coburgische Regierungspräsident. Als vor dem Roten Haus gar ein Freiheitsbaum gepflanzt und trotz wiederholtem Auffordern nicht entfernt wird, kommt es fast zu gewalttätigen Ausschreitungen. Coburg bittet die Preußen um Truppen. Bevor diese einrücken, entspannt sich die Lage wieder. Doch richtig ruhig wird es nie mehr. Ernst zieht die Notbremse und verkauft das Fürstentum 1834 für eine ansehnliche Summe an die Preußen. Was bleibt, ist ein Spitzname („die Coburger“) und eine Art „kollektiver Erinnerung“ an seine Ex-Frau, die Herzogin Luise, die Ernst nach der Trennung in Coburg in die Kolonie ins Exil schickt. Etliche Legenden ranken sich heute um ihren Aufenthalt in St. Wendel, aber nur wenig davon hat Hand und Fuß.

Ab 1834 teilt St. Wendel das Schicksal der meisten Teile des späteren Saarlandes: Erst werden wir preußisch, dann kommen wir nach dem Ersten Weltkrieg unter die Verwaltung des Völkerbundes. Gemäß den Bestimmungen des Versailler Vertrages sollen die Saargebietler 1935 darüber abstimmen, wie ihre Zukunft aussehen soll, deutsch, französisch oder weiter unter Verwaltung des Völkerbundes. Über 90 Prozent der Bevölkerung entscheiden sich für Deutschland und wählen damit Hitler und die Nazis. Das 1000-jährige Reich ist bei uns nach 10 Jahren vorbei. Im März 1945 besetzen die Amerikaner die Stadt und überlassen sie drei Monate später den Franzosen. Deren Präsenz - am Schluß (und zwar seit dem Friedensvertrag im Zuge der deutschen Wiedervereinigung) nur noch in Form der Garnison in der ehemaligen deutschen Kaserne am Weg nach Winterbach - währt bis Ende des vergangenen Jahrtausends.

1947 entsteht der für viele Betroffene ungeliebte Saarstaat. Das Saarland als eigenständiger Staat mit wirtschaftlicher und militärischer Anbindung an Frankreich. 1955 dürfen die Saarländer wieder abstimmen, diesmal über die Annahme oder Ablehnung des sog. "Saarstatuts", in dem dieses unabhängige Staatsgebilde bestätigt werden soll - oder nicht. Aber die Antipathie gegenüber den Franzosen ist zu stark; dazu kommt, daß die Regierung unter Johannes Hoffmann sich nicht grad mit Ruhm bekleckert. Einem Vergleich mit der ehemaligen DDR hält das Regime an der Saar in puncto "Brutalität" gewiß nicht stand - die Erschießungen dort wurden zu Ausweisungen hier. Wer nicht den Mund hält oder linientreu ist, wird ausgebürgert. Die Abstimmung basiert dann auch mehr auf "aus-dem-Bauch-Gefühlen" als rationalen Gedanken. Mit über 70 Prozent geht Adenauers Plan baden. Die Alternative ist das, was das "Volk" will. Und so wird das Saarland 1957 politisch und 1959 wirtschaftlich an die Bundesrepublik Deutschland angegliedert - als erstes neues Bundesland.

Der Stadtplan von 1800

Der älteste Plan der Stadt liegt im hiesigen Stadtarchiv und datiert ungefähr auf das Jahr 1800 plus-minus ein paar Jahre. Er zeigt alle Straßen und Parzellen innerhalb der letzten Stadtmauer - und alle Parzellen tragen eine fortlaufende Nummer.       

Zu jeder einzelnen Nummer gibt es einen Eigentümer, der sich in der Akte „A199“ im Stadtarchiv St. Wendel findet. Jede Nummer ist ein Haus oder eine Scheune, ein Stall oder ein Hofraum oder einfach nur eine Mistgrube - außer Nr. 1 (Pfarrkirche) und 43 (Magdalenenkapelle).

Passend dazu gibt eine etwas ältere Quelle, was Häuser und Eigentümer angeht - das ist die Brandversicherungsliste von 1786[1]. Mit diesen beiden Quellen und in Kombination mit genealogischen Daten, dem Urhandriß von 1843 und den St. Wendeler Notariatsakten des 19ten und 20ten Jahrhunderts im Landesarchiv Saarbrücken sind die Chancen groß, manchem Rätsel auf die Spur zu kommen.

Wohnhäuser mit Familien, die Demuth heißen und die - geht man weit genug zurück - auch alle miteinander verwandt sind - auch wenn es das Schicksal mit manchen besser meinte als mit anderen - lagen über die halbe Stadt verteilt, vor allem aber in der Straße, die heute in St. Wendel die Balduinstraße genannt wird.

Die besser Betuchten residierten um den Dom herum. Von den Demuths war das aber nur einer - in Balduinstraße 4 der Bäcker und Gastwirt Wendel Demuth, der in seiner Freizeit als Kirchenschöffe agierte. Die heute getrennten Häuser Balduinstraße 8 und 10 nebenan waren damals noch ein Gebäude und gehörten ihm ebenfalls. 1786 waren sie unbewohnt und bestanden aus dem Haus selbst und einem Brauhaus dahinter.

Bis zum nächsten Demuth-Haus müssen wir ein paar Meter die Balduinstraße hinauflaufen. Das Haus des Schuster Mathias Demuth lag schräg hinter dem heutigen Sporthaus Bies - etwa zwischen Balduinstraße 50 und der ehemaligen Glaserei Sommer.

Maldener - Demuth - Schulz

Und gleich beim nächsten Demuth-Haus sind wir dort, wo ich mit Ihnen hinwill: „Haus Nr. 76,
Henrich Demuths Haus + Stall

Henrich Demuth, das ist der Bäcker
Heinrich Demuth, geboren 1760 in St. Wendel. Er und seine Ehefrau Elisabeth Maldener sind die Großeltern von Helena Demuth. Sein Haus ist das heutige Wohnhaus Balduinstraße 64. Der schmale Gang hinterm Haus, den Sie auf dem Kartenausschnitt sehen, entspricht in etwa der heutigen schmalen Gasse zum Café Lerner hin. Die breite Gasse zwischen 77 und 82 existiert heute nicht mehr.

Das Haus genau gegenüber (Nr. 98 - nicht gut lesbar => rechts oberhalb 99) gehört Stephan Demuth, Heinrichs Bruder. Er hat es vor 1786 von Jakob Hassdenteufel gekauft. Er wohnt 1786 aber nicht dort, sondern im Haus nebenan (Nr. 99); das ist sein Elternhaus, das um 1800 noch seinem Vater gehört, Jakob Demuth (1727-1804). Der hat es um 1786 neu gebaut (vermutlich auf einem Vorgängerbau). Das geht aus der genannten Brandversicherungsakte hervor.



Stephan Demuth ist mit Susanne Maldener aus Hasborn verheiratet, die ihm zwischen 1783 und 1791 fünf Kinder schenkt, von denen drei das 10te Lebensjahr überleben: Jakob, Susanne und Wendel. Im Gegensatz zu seinem Vater Jakob wird Stephan nicht sehr alt, er stirbt 1793 mit 35 Jahren. Nach einer Trauerzeit von 18 Monaten heiratet seine Witwe den Fuhrmann Johann Georg Schulz, der von der Münchwies stammt. Sie haben zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, das aber kein Jahr alt wird. Susanne stirbt am 15ten Januar 1807 im Alter von 42 Jahren.

Ihr Witwer Johann Georg Schulz heiratet nicht wieder; seinen Haushalt führt ihm seine Stieftochter Susanna, die beim Tod ihrer Mutter gerade volljährig geworden ist. Im Laufe der folgenden 20 Jahre schenkt sie sieben Kindern das Leben. Die erste Tochter Barbara kommt am 20. Dezember 1807 zur Welt, 11 Monate nach dem Tod ihrer Mutter. Michael, das zweite Kind, kommt erst fast sieben Jahre später zur Welt - im August 1814. Die weiteren Kinder folgen jetzt jeweils im Abstand von zwei bis drei Jahren. Susanne heiratet nie, weshalb alle Kinder unehelich zur Welt kommen.

Als Johann Georg Schulz am 13. August 1814 auf der Mairie von St. Wendel dem Standesbeamten das Neugeborene vorzeigt, trägt dieser alle Daten in französischer Sprache im Geburtenregister ein - und streicht später den gesamten Eintrag durch.[2]


                No 80.      Acte de Naissance.
L’an mil huit cent Quatorze le Treize du mois de Aoust à huit heure du matin (/)[3] pardevant nous Maire faisant les fonctions d’officier de l’état civil de la Mairie de St. Wendel (/) Canton de St. Wendel, Departement de la Sarre, est comparu Jean Georges (/) Schulz, âgé de quarante un ans, profession de laboureur, (/) domicilié à St. Wendel qui nous a présenté un enfant du sexe masculin né à (/) St. Wendel le treizième jour du mois de Aoust à cinq heure du matin (/) de lui Dèclarant profession de laboureur domicilié à St. Wendel (/) et de Susanne Demuth, et auquel enfant il a déclaré (/) vouloir donner les prénoms de Michel. (/) Lesdites déclaration (/) et présentation faite en présence de Anton Riotte, âgé de quarante (/) ans, profession de Cabaretier, domicilié à St. Wendel premier témoin, et de (/) Jean Pierre Chèlard âgé de vingt un ans, profession de Sous Secretaire, (/) domicilié à St. Wendel second témoin, et ont le pere et les témoins (/) signe avec nous le présent acte de maissance, apres qu’il leur en a été fait lecture. (/) Approuvé la bissure de cette déclaration, comme étante reprouvée par l’article 335. (/) du Code Civil(/) Fait St. Wendel les jour, mois et an que dessus. Le Maire de St. Wendel.

Anton Riotte          
Chèlard              gorg schultz

(am linken Rand hochkant:)
Approuvé la bissure de cette (/) déclaration, comme étante reprouvée (/) par l’article 335 du Code Civil.
(/) Le maire de St Wendel. (/) Charles Cetto

Nr. 80. Geburtsakt
Im Jahre 1814 den 13ten des Monats August um 8 Uhr nachmittags erschien vor uns, dem Bürgermeister, in der Funktion des Standesbeamten der Bürgermeisterey von St. Wendel, Kanton St. Wendel, Saardepartement, Johann Georg Schulz, 41 Jahre alt, Arbeiter von Beruf, wohnhaft in St. Wendel, der uns ein Kind männlichen Geschlechts vorzeigte, geboren in St. Wendel am 13ten Tag des Monats August um 5 Uhr nachmittags durch ihn, den Erklärenden, Arbeiter von Beruf, wohnhaft in St. Wendel, und von Susanne Demuth, und diesem Kind, so erklärte er, soll der Vorname Michel gegeben werden. Diese Erklärung und das Vorzeigen geschah in Gegenwart von Anton Riotte, 40 Jahre alt, Schreiner von Beruf, wohnhaft in St. Wendel, als erstem Zeugen, und Jean Pierre Chèlard, 21 Jahre alt, Untersekretär von Beruf, wohnhaft in St. Wendel, als zweitem Zeugen, und haben der Vater und die Zeugen mit uns den vorliegenden Geburtsakt unterschrieben, nachdem er vorgelesen wurde.
[handschriftl. Zusatz identisch mit dem Seitenvermerk rechts]
Aufgenommen St. Wendel am Tag, Monat und Jahr wie oben. Der Bürgermeister von St. Wendel.
[Unterschrift] Anton Riotte   
Chèlard       gorg schultz

(am linken Rand hochkant:)
Anerkannt [wird] die Zweitschrift dieser Erklärung, da sie missbilligt wird durch Art. 335 des Code Napoleon.
Der Bürgermeister von St. Wendel.
Charles Cetto.

Der Artikel 335 des Code Civil (= Code Napoleon) setzt die Kenntnis des Artikels 331 voraus.

Artikel 331: Die außerehelich geborenen Kinder, mit Ausnahme der im Ehebruch erzeugten, werden durch die nachfolgende Ehe ihrer Eltern legitimiert, wenn sie diese vor ihrer Ehe anerkannt haben oder im Augenblick der Eheschließung anerkennen. In diesem letzteren Fall stellt der die Eheschließung vornehmende Standesbeamte die Anerkennung und Legitimation in einem besonderen Akte fest. (…)

Artikel 335: Diese Anerkennung kann zu Gunsten der in Blutschande oder im Ehebruch erzeugten Kinder nicht stattfinden, vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels 331.


Bevor er den Eintrag durchstreicht, wendet sich Bürgermeister Carl Cetto an das zuständige Kreisgericht in St. Wendel[4] und erhält diese Antwort:


„An den Herrn Oberbürgermeister Cetto, Wohlgebohren in St. Wendel. Antwort auf das Schreiben vom 13ten August 1814

Auf Ew. Wohlgebohrene Anfrage vom gestrigen, ob Johann Görg Schulz von St. Wendel in dem Geburts Acte des Kindes der Sussanna Demuth, seiner Stieftochter, als Vatter dieses Kindes sich einschreiben und dadurch das Kind anerkennen könne, habe ich die Ehre zu bemercken, daß

1) nach Artikel 331 des Civilgesetzbuchs keine in Blutschande erzeugten Kinder durch Heyrath legitimiert werden können, daß demzufolge auch 2) nach Article 335 auch solche Kinder nicht anerkannt werden können,

Wenn daher das befragliche Kind ein würklich in Blutschande erzeugtes Kind ist - so ist es keinem Zweifel unterworfen, daß der blutschänderische Vatter sich nicht als solcher darstellen, noch im Acte der Geburt figuriren könne. Nach alten Gesetzen sowohl als nach unseren heutigen ist aber der Incest oder Blutschande vorhanden, wenn Personen unter welchen die Ehe wegen zu naher Blutsverwandtschaft oder Verschwägerung verbotten ist - ohne vorherige Erlaubnis wenn solche möglich ist - sich fleischlich vermischen.

Da nun offenbar und namentlich nach Art. 161. die Ehe, wegen zur nahen Verwandtschaft, zwischen dem Stiefvatter und der Stieftochter verbotten ist - so muß auch das Kind, das aus dem Umgang solcher Persohnen erzeugt wird, als blutschänderisch angesehen werden. Ew. Wohlgebohren haben daher vollkommen Recht, wenn sie die Erklärung des Joh. Görg Schulz nicht aufnehmen.
Mit vollkommenster Hochachtung habe ich die Ehre zu verharren
             Der Staatsprocurator am Kreisgericht St. Wendel
                             (gez.) Riotte“


Am 8. August 1828 - im Jahr nach der Geburt des siebten Kindes - bittet Schulz um die Erlaubnis, seine Stieftochter heiraten und damit die Kinder legitimieren zu dürfen. Der Bürgermeister gibt den Schwarzen Peter an die Coburgische Landescommission weiter, die Zeter und Mordio und Blutschande schreit und ihn anweist, die Frau und die Kinder aus dem Haus zu weisen, aber Schulz gibt nicht auf. Wieder wendet er sich an die Komission, und die reicht die Angelegenheit nach Coburg weiter.


„Johann Georg Schulz hierselbst hat unterm 8. d.M. bei uns gebeten, wir möchten uns bei Ew. Herzog. Durchlaucht für ihn dahin verwenden, da ihm die Erlaubnis, sich mit seiner Stieftochter Susanna Demuth, mit welcher er seither in wilder Ehe gelebt und bereits sieben Kinder erzeugt habe, bürgerlich trauen zu lassen, ertheilt werde. Ueber diesen Gegenstand haben wir unterm 11. August die Herzog. Staatsbehörde mit Bericht gehört, welche sich aber aus mehreren triftigen Gründen denen wir auch vollkommen beipflichten müssen, gegen das Schulz. Gesuch erklärt hat. Wir verhehlen daher nicht, das quaest. Gesuch nebst den Bericht der Herzog. Staatsbehörde in der Anlage mit der unterthänigsten Bitte zu überreichen, daß Ew. Herzog. Durchlaucht uns über diesen Gegenstand mit höchster Resolution versehen zu lassen geruhen möchten.
Herzog. Saechs. Regierung
Brückner Sebaldt“


Die Antwort kommt mit negativem Bescheid zurück, worauf sich Schulz am 8. Oktober 1828 direkt an den Herzog wendet - mit guten Argumenten und starken Vergleichen:


„St: Wendel dem 8ten October 1828.

Durchlauchtigster Herzog, Gnädigster Fürst und Herr!

Johann Georg Schulz von St: Wendel wagt es Euer Hochfürstlichen Durchlaucht, unserm allergnädigsten Landesvater ergebenst vorzustellen.

Er habe unterm 19ten August laufenden Jahres die Gnade gehabt, Euer Hochfürstlichen Durchlaucht seine Lage mit seiner Stieftochter, der Susanna Demuth ergebenst zu schildern, und Allerhöchstdieselben um die nöthige Dispensation zu seiner bürgerlichen Trauung mit derselben zu bitten, sey aber durch die Allerhöchste Verfügung vom 27ten v.M. mit seinem Gesuch nicht allein absondern zugleich angewiesen worden, seine gesagte Stieftochter aus seiner Wohnung zu schaffen, welches letztere doch allerdings eine absolute Unmöglichkeit sey, indem von den 6. jüngsten der mit derselben erzeugten Kindern das älteste erst 13. und das jüngste erst 1. Tage alt, und zu ihrer Erziehung keine andere Mittel als sein täglicher Erwerb durch Plag und Mühe, vorhanden seyen: Dass diese seine Geschlechtsvermischung mit seiner Stieftochter eine blutschänderische sey, sey jedoch eine ewige Ansicht, die, wie ihm scheine, der Herr General=Procurator Riotte in seiner Uebereilung veranlaßt habe, indem eine blutschänderische Geschlechtsvermischung nur zwischen Verwandten statt finden könne, welche einen Stammvater haben, welches zwischen ihm und seiner Stieftochter der Fall nicht sey, indem sie nicht von einem und demselben Stamm herrührten, und er bloß durch den Beischlaf mit ihrer Mutter, mit ihr verschwägert sey.

Die ursprüngliche Ursache des Verbots der Ehelichung zwischen Blutsverwandten scheint keine andere, als die Veredlung der Rassen gewesen zu sein, indeß ist sie, aber aus bloßer Gewinnsucht, durch die katholischen Kirche, anders interpretirt auf die Verschwägerten ausgedehnt, und heute ein Gesetz der Sittlichkeit geworden, gegen welches Verwandte im ersten Grad, welche, /: etwa durch Verschlagung auf eine wüste Insel :/ von den übrigen Gesellschaft getrennet durch ihre Ehelichung eben so wenig sündigen könnten, als in der ersten Menschen=Familie wo nothwendiger Weise aus Geschwistern Ehegatten werden mußten, dagegen gesündigt worden ist.

Sein Alter, sein höchst unbedeutendes Vermögen, und die Unmöglichkeit seine mit seiner Stieftochter erzeugten Kinder ohne derselben Mitwirkung zu erziehen, machten ihm die Trennung von derselben unmöglich, und würden ihn zur Auswanderung nöthigen, wenn die gegen ihn erlassene Verfügung vollzogen werden sollte. Und da Euer Hochfürstliche Durchlaucht aus väterlicher Milde ohnlängst die Strafe wegen Bigamie im hiesigen Fürstenthum erlassen, so wagt er abermals die fußfälligste Bitte an Allerhöchstdieselben, seine höchst traurige Lage huldreich zu beherzigen, und ihm aus eben derselben väterlichen Milde und Gnade sein unterthänigstes Gesuch zu gewähren.

In der Hoffnung huldreicher Willfahrung seiner Bitte erstirbt er in tiefster Verehrung Euer Herzoglichen Durchlaucht treu ergebenster Diener Görg Schultz“



Die Coburger bleiben - natürlich - bei ihrer Ablehnung.

Susanna Demuth, die Mutter von Schulzens Kindern, stirbt am 30. November 1835 im Alter von 49 Jahren in St. Wendel. Von ihren Kinder bleiben zwei in St. Wendel, und fünf wandern in die USA aus (zwei nach Pennsylvania und drei nach Indiana). Johann Georg Schulz stirbt am 4. Januar 1849 in St. Wendel.

Das Haus in der Balduinstraße

So ist dieser Exkurs etwas länger geworden als geplant, aber es war eine gute Gelegenheit, die Geschichte zu erzählen.

Wir gehen ein paar Jahre zurück. Am 27. Juni 1808 um 9 Uhr morgens erwartet Frederic Roechling, Notar in St. Wendel, Kanton St. Wendel, Bezirk Saarbrücken, Departement de la Sarre, die Geschwister Jakob und Susanne Demuth, großjährige Kinder der verstorbenen Eheleute Stefan und Susanne Maldener, die im eigenen Namen und dem ihrer minderjährigen Geschwister, deren Vormund Heinrich Demuth und Johann Georg Schulz, Vater und Erziehungsberechtigter von Johann Schulz junior, alles Erben der genannten verstorbenen Eheleute, um das Haus in der Obergasse Numer 107 neben der Witwe des verstorbenen Nicolas Hallauer und Nicolas Heil. Die Versteigerung ist jetzt erst möglich, weil man auf eine Zustimmung des Gerichts in Saarbrücken warten mußte. Ein Urteil ist am 13. Juni 1808 mit positivem Bescheid ergangen.[5]


Zuvor ist das Haus von drei Spezialisten, dem Schreiner Steininger, dem Bäcker Wassenich junior und Herrn Linxweiler, hinsichtlich der Möglichkeit der Teilbarkeit unter den Eigentümern und seines Wertes untersucht und eingeschätzt worden.

Das Haus hat eine neue Wand zur Straße hin. Es ist vorne 4,55 m breit und 12,57 m tief. Hinten ist es 5,20 breit; dort gibt es einen 1,19 m schmalen Raum, über den der Besitzer des Nachbarhauses (zur Zeit die Witwe von Nicolas Hallauer) gehen darf, um durch eine Tür den Treppenturm hinter diesem Haus zu betreten. Das Haus hat auf der Straßenseite zwei Etagen und auf der gegenüberliegenden Seite nur eine. Das Zimmer im Erdgeschoß nach vorn zum Bürgersteig, aus dem man die Straße überblickt, ist 4,12 m breit und 5,68 m tief. Die Küche ist 4,12 m breit und 2,76 m lang. Hier befindet sich der Backofen, und von hier aus führt die Treppe nach oben. Im ersten Stock gibt es ein Zimmer, auf der zweiten Etage ein Schlafzimmer und einen kleinen Nebenraum (Kabinett). Darüber liegt der Dachboden. Unter einer Hälfte des Hauses gibt es einen Gewölbekeller, 4,12 m lang und 2,60 m breit. Die Scheune hinterm Haus, in der sich auch ein Kuhstall befindet, teilt man sich mit Michel Kockler.

Alle drei Sachverständigen sind der einstimmigen Meinung, daß das Haus unmöglich geteilt, sondern nur von einem verheirateten Paar bequem bewohnt werden kann. Den Wert des Hauses schätzen sie auf 1450 Gulden, das sind 3154 französische Francs 57 Centimes.

Der Notar hat zuvor schon eine Anzeige im Saarbrücker Wochenblatt, Ausgabe Nr. 25 vom Samstag, 18ter Juni 1808, veröffentlichen lassen, die dem Notariatsakt beigefügt ist.


Der Wert ist festgestellt, die Unteilbarkeit auch. Jetzt kann zur Versteigerung geschritten werden. Aber so schnell schießen die Preußen nicht - und auch nicht die Franzosen. Zuerst wird eine präparatorische Versteigerung durchgeführt: Der Hintergrund dieser kompliziert erscheinenden Vorgehensweise ist, daß bei dem präparatorischen Termin kein tatsächlicher Zuschlag erfolgt, weil das Gericht nicht sicher weiß, ob ihm alle, die gegebenenfalls Rechte besitzen, bekannt geworden sind.[6] So wird also versteigert, doch bleibt noch eine kleine Frist, um noch Rechte anzumelden, die im zweiten Termin berücksichtigt werden könnten. Bei der zweiten - der definitiven, also der endgültigen - Versteigerung erfolgt dann der Zuschlag.

Der Schätzwert beträgt 3.150,57 Francs, das ist die Basis für alle Gebote. 8 Personen beteiligen sich daran: Peter Linxweiller, Peter Demuth, Heinrich Demuth, Michel Demuth, Michel Tholey, Franz Tholey, Michel Blum, Jakob Meistrell, bis Michel Demuth, Heinrichs Sohn, mit 4029,63 francs ein Gebot abgibt, das niemand mehr überbieten will. Drei Kerzen werden abgebrannt, von denen jede eine volle Minute brennt, und als die letzte erloschen ist und niemand höher bietet, erfolgt der Zuschlag an Michel Demuth. Ihm wird der Akt vorgelesen (hoffentlich auf Deutsch, denn der Notar verfaßt ihn in Französisch), alle Bedingungen werden en detail erklärt, dann setzt er seinen Kaiser-Wilhelm unter das Dokument.




[1] Landeshauptarchiv Koblenz, 1 C 7441.

[2] Abschrift und Übersetzung: Dr. Margarete Stitz, St. Wendel;

Quelle: SAS, Geburtsregister St. Wendel.

[3] (/) = Zeilenumbrüche im Original

[4] Staatsarchiv Coburg, MinR 883, fol. 23-30.

[5] LAS, Notar Roechling, Nr. 118 vom 13.06.1808.

[6] Freundlicher Hinweis von Dr. Gerhard Müller.

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