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20. Jahrhundert -> 1993 Flug nach Berlin

Mit Hamburg Airlines im September 1993 von Saarbrücken-Ensheim nach Berlin-Tempelhof

 

Abflug 10.15 Uhr

 

Die DASH 8, ein zweimotoriger Hochdecker mit Propellerantrieb, das Standardflugzeug der relativ jungen Fluggesellschaft "Hamburg Airlines", rollt vollbesetzt vom Vorfeld über die taxiway zur Startbahn, auch runway genannt. Das Wetter meint es nicht so gut mit uns Passagieren, der Himmel ist bewölkt, von Frankreich her treiben dicke, schwarze Wolken auf Kap Ensheim zu.

 

Kurz vor der Runway stoppt die Maschine, der Pilot holt beim Tower die Startfreigabe ein, wir rollen an, drehen nach rechts auf die Startbahn, stehen wieder. Die Maschinen rechts und links unter den Tragflächen dröhnen monoton. Die Passagiere sitzen angeschnallt auf ihren Plätzen, stets beobachtet durch die beiden hübschen Stewardessen in ihren schicken dunkelblauen Uniformen. Die beiden großen Maschinen links und rechts unter der Tragfläche dröhnen mononton, halt, da ändert sich der Ton, er wird lauter, steigert sich immer mehr, das Flugzeug ruckt, aber bewegt sich noch nicht vorwärts. Man spürt, daß es los, weg, vorwärts will, aber noch nicht kann. Wieder ein Ruck und die Maschine macht einen Satz nach vorne. Ein Blick ins durch die geöffnete Cockpittür - beide Piloten legen ihre Hände auf einen Kontrollhebel, Schub wahrscheinlich, so daß im Augenblick des Abhebens kein Fehler durch einen der Piloten passieren kann.

 

Das Flugzeug rollt an, wird schneller und immer schneller, es drückt mich in die Rückenlehne, ich schaue aus dem Fenster und sehe unmittelbar auf das rechte Doppelrad. Draußen huscht der Rasen neben der Startbahn vorbei, da - die Maschine hebt sich, doch noch ist das Rad auf dem Boden, da verliert es den Kontakt, die Maschine hebt ab. Dem Druck im Rücken gesellt sich ein anderer hinzu, ich werde ganz tief in den Sitz gepreßt, doch habe gar keine Zeit, darauf zu achten. Draußen - wir sind gerade erst zwanzig, dreißig Meter hoch - klappt das Fahrwerk bereits ein, die Maschine steigt schnell und kippt in eine Rechtskurve. Ich habe gute Sicht nach unten, das muß Bischmisheim sein, dahinter kommt das breite Band der Autobahn, dann kommen wir schon in die tiefhängenden Wolken, der Boden ist fast nicht mehr zu sehen, das Flugzeug schlingert und hüpft, das Dröhnen läßt langsam nach, obwohl der Startwinkel immer noch sehr steil ist. Muß er wohl auch, wir müssen noch gut 5.500 Meter höher.

 

Da ertönt die routinemäßige Ansage der Stewardess, die uns rät, die Sitzgurte während des gesamten Fluges geschlossen zu halten. Ferner weist sie uns darauf hin, daß auf vielfachen Wunsch der Passagiere alle Flüge der Hamburg Airlines Nichtraucherflüge sind. Wahrscheinlich haben die Stewardessen keine Lust, laufend irgendwelche Mageninhalte von den Sesseln zu kratzen.

 

Wir stoßen durch die Wolken.

 

Die Wolkendecke, die sich bis zum Horizont erstrecht, wirkt stark zerklüftet. Nach gut zwei Minuten Flug erreichen wir die zweite Wolkenschicht, die am Fenster wie einzelne Fasern vorbeizieht. Schwer zu beschreiben, das muß man gesehen haben. Die Maschine kippt nach vorne in die Fast-Waagerechte, der Pilot drosselt die Maschinen, deren Brummen auf eine angenehme Lautstärke reduziert wird.

 

Wir sind jetzt eine Viertelstunde in der Luft, jetzt wird's Zeit fürs Frühstück.

 

10:48 Uhr. Die Stewardess reicht heiße, feuchte Tücher zur Erfrischung, sie stinken nach Essig, werden aber jedesmal verteilt. Ich mach's wie die anderen - Hände, Hals und Gesicht abwischen, dann kommt sie schon und sammelt alles wieder ein. Hinten öffnet sie nun die Tür zum "Kofferraum" und zieht den Frühstückswagen nach vorne; dort hat schon die Kollegin die Getränke - hoppla, die Kiste wackelt und hüpft! - in ihrem Wägelchen bereitstehen. Wieder ändert sich das Geräusch der Maschinen, wir steigen immer noch, wenn auch nur leicht. Rundherum die Leute lesen, schlafen, unterhalten sich und schauen zum Fenster raus. Oder sind einfach nur nervös. Kleine Pause - jetzt gibts was zu essen. Drei schon geschmierte Brötchen (schreib: Flutescheiben), belegt mit kaltem Braten und Lachs, dazu ein Schälchen mit Obstsalat und ne Tasse Kaffee (alternativ: Tee, 0-Saft, Cola, Sekt). Gerade das Richtige, um Hunger zu bekommen. Während wir speisen (11.00 Uhr), eine Ansage des Chefpiloten, der uns im Namen der Besatzung auf unserem Flug der Hamburg Airlines von Saarbrücken nach Berlin willkommen heißt. Er entschuldigt sich für die 15 Minuten Verspätung beim Start. Wir befinden uns zur Zeit irgendwo kurz hinter und gut 6.000 Meter höher als Gießen, bewegen uns mit etwas mehr als 500 km/h via Fulda, Thüringer Wald und Leipzig nach Berlin-Tempelhof. Unter uns haben sich die Wolken schon vor 20 Minuten gelichtet, kurz bevor der Rhein in Sicht kam. Den Frankfurter Flughafen sahen wir auf der Steuerbordseite (rechts) als großen, hellbraunen, rechteckigen Fleck, von dem eine lange Gerade wegführte, die berühmt-berüchtigte Startbahn-West, um die sie sich vor Jahren mal die Köpfe einschlugen und die heute kaum noch einen stört.

 

Hinter Frankfurt kommen diverse Orte, Hügel (nun gut: kleine Berge), Wälder und Flüßchen in Sicht. Sehr schön anzusehen sind die verschieden farbenen Felder und Wiesen. Jetzt ist es 1,d:28 Uhr. Wir befinden uns nun schon ein paar Minuten über dem Gebiet der ehemaligen DDR - und seltsam, die Landschaft hat sich überhaupt nicht verändert. Nicht mal ne Grenze (oder Reste davon) ist zu sehen. Felder, Wälder, Bäche und zwischendrin ab und an mal 'ne Ortschaft. Dann kommen dicke, weiße Wolken - und mit der schönen Sicht ist es vorbei.

 

Noch 20 Minuten bis zur Landung - und die Kiste fängt schon wieder an zu wackeln.

 

Da und dort reißt die Wolkendecke auf und läßt tief unten den Erdboden erahnen. Doch bevor das Auge zupacken kann, schiebt sich eine weiße flauschige Masse dazwischen. Die Stewardess sammelt nun auch noch die letzten Reste des Frühstücks ein. Der ältere Herr vor mir schaut traurig, weil er seine FAZ durch und nun nix mehr zu lesen hat. 11:36 Uhr wir hüpfen immer noch. 11:45 Uhr jetzt müßten wir gleich runtergehen. Aaaaaahhhhh - wir sinken. Ich merk's im Bauch, die Maschine geht runter, mein Magen will oben bleiben, aber der Vogel ist einfach stärker - und mein Magen sieht's ein. Und da kommt auch schon die Ansage: Meine Damen und Herren, wir haben soeben unsere Reiseflughöhe verlassen und befinden uns nun im Landeanflug auf Berlin-Tempelhof. Ich darf Sie nun bitten, ...

 

Die Wolkendecke dort unten ist dicht, langsam kommt sie näher. Korrektur: wir sinken schneller, gleich werden wir gegen die Watteschicht knallen. Die Stewardess verteilt wie gewohnt das Good-bye-Geschenk in Form einer Mini-Tafel Schokolade. Da merke ich auch schon den Druck auf den Ohren, Nase zuhalten und kräftig in die Nase blasen, da hebt sich das Gehirn, und die Ohren werden frei. Druckausgleich. Wir sind in den Wolken, eben war da noch blauer Himmel, plötzlich ist alles weiß ringsum, und reiten auf den Bodenwinden. Und schon wieder ein Ruck. Jetzt wirds langsam ungemütlich, die Maschine schlingert, aus dem Cockpit, dessen Tür wie immer offensteht, dringen Fetzen des Funkverkehrs zwischen Pilot und Tempelhof Tower, der Neigungswinkel nimmt noch zu, Kehre nach rechts, dann kommt die Ansage "Wir werden in Kürze landen. Bitte klappen Sie die Tische vor sich hoch", da kommen wir aus den Wolken.

 

Berlin liegt unter uns.

 

Dunstig, nicht viel zu sehen. ein breiter Fluß, ein bißchen Wald, dann nur noch Häuser und Straßen. Die Maschine wird hinunter gestoßen. Unten liegt eine große Fabrik - grau in grau, mit lustigen bunten Punkten dazwischen, die sich als Autos entpuppen. Die Höhe schätze ich auf drei, vierhundert Meter - die Maschine schlingert sehr stark - eine weitere Schleife - dann gehts gradaus - alle machen "huuuppp" als die Maschine in ein Luftloch rutscht. Ich hänge in meinem Sitz, halte mich krampfhaft fest, als ob es etwas nutzen würde, drücke mich gegen die Abwärtsbewegung. Die Maschine wird etwas gedrosselt und langsamer. Den Piloten habe ich im Auge, er sitzt an Backbord, hat ein Klemmbrett in der Hand und liest etwas ab. Der Copilot fliegt - nehme ich an äh hoffe ich doch. Mir wird etwas flau im Magen.

 

Draußen ein Rumpeln, das Fahrwerk geht raus. Gebannt schaue ich auf die Räder, die stillstehen. 11:56 Uhr ein breiter Fluß, ein Vergnügungspark ein bißchen abseits, wir befinden uns auf dem üblichen Landeweg, wieder Druck auf den Ohren, schlucken, schlucken, bis er verschwindet - Schrebergärten unter uns - wir haben es gleich - gut 100 Meter hoch oder so.

Ein Ruf aus dem Cockpit: "Minimum - Minimum". Das bedeutet, daß wir jetzt landen müssen -ob wir wollen oder nicht. Durchstarten ist nicht mehr drin. Die Kiste schaukelt, und wir sind über dem Friedhof. Und die üblichen Bemerkungen fallen "Iiih, wir fliegen ja über nen Friedhof!" "Ja, schauen Sie linker Hand, da steht die passende Turnhalle", über den Zaun aufs Flugfeld, ich fixiere die Räder ganz genau, kann die Rollbahn darunter ausmachen, noch ein bißchen tiefer, noch ein bißchen, jetzt - und ich atme aus - und dann setzen die Räder auf, erst auf meiner Seite, dann auf der anderen, wir rollen, und die Maschine wird gebremst, Gegenschub. Es ist Punkt 12:00 Uhr. Wir rollen aus, die Stewardess begrüßt uns in Tempelhof und verabschiedet sich und die Crew.

 

Willkommen in Berlin, einen schönen Tag und - danke, daß Sie mit Hamburg Airlines geflogen sind.

 

Tschüs, Captain Deubel (oder Gebhard oder Kreller oder Hotz), bis nächsten Freitagabend- auf dem Weg nach Saarbrücken.

 

(c) by Roland Geiger, St. Wendel

23. September 1991 und 21. Januar 1992

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