Mein Onkel Sevirus war ein eindrucksvoller Mann. Er war fast ein Meter siebzig groß und hatte breite Schultern. Sein ganzer Oberkörper war mit Narben bedeckt, die er sich in seinen 20 Jahren beim römischen Militär „verdient“ hatte. Mich konnte er ganz besonders gut leiden und erzählte mir immer wieder seine Geschichten aus der Militärzeit. Wie er mit 16 Jahren von zu Hause wegging und sich beim Militär verpflichtete, von den zahlreichen Schlachten, an denen er teilgenommen hatte. Sein Lieblingssatz war „ein halbes Jahr endloses Marschieren und Drill, dann 2 Stunden mörderischer Kampf, und dann das ganze von vorne“.
Er diente in der Siebten Legion, die sich selbst „Flavia Felix“ nannte und seit über zweihundert Jahren in Viminacium in der Provinz Obermösien in einem befestigten Lager untergebracht war. Die meisten Kämpfe fanden südlich der Donau statt.
Mein Onkel wurde einige Male verwundet, hatte aber insofern Glück, dass er keine Gliedmaßen und vor allem natürlich nicht den Kopf verlor.
Der Sold der Soldaten war sehr gering und ging fast vollständig für das Militärleben drauf - die Verpflegung, die Instandhaltung der Ausrüstung, ab und an eine Flasche Wein und - die billigste Position - den monatlichen Besuch im Bordell.
Als er nach 30 Jahren aus dem römischen Militärdienst entlassen wurde, kehrte er auf das Landgut seiner Eltern zurück, wo er seinen Lebensabend verbrachte - etliche Meilen südlich der Stadt Augusta Treverorum [in gut 1000 Jahren wird man die Stadt Trier nennen].
Onkel hat gern gespielt, und vor allem Würfelspiele waren sein Ding. Einmal war im Fortuna besonders hold, und er gewann einen ziemlichen Haufen Geld. Als er durchzählte, entdeckte er eine Kupfermünze mit dem Konterfei des Sohns des damaligen Soldatenkaisers Marcus Iulius Philippus.
Der hat die Münze zu Ehren seines gleichnamiges Sohnes um 244 nach Christus schlagen lassen und war ein paar Jahre zuvor von seinen eigenen Leuten umgebracht worden. Das sei damals gang und gäbe gewesen, sagte Onkel, der Ermordete sei genauso an die Macht gekommen. Onkel beschloß, die Münze als Souvenir zu behalten. Viel war sie eh nicht wert und schon einige Meilen außerhalb der Stadt gar nichts mehr. Als er nachhause kam - viele Jahre und gut 1000 römische Meilen später - hatte er sie in der Tasche. Sie lag dann jahrelang in seinem Zimmer auf dem Schränkchen mit dem kleinen Spiegel.
Eines Tages war sie weg, und der Verdacht fiel auf meinen kleinen Bruder. Onkel war sehr betrübt, und mein Vater unterzog meinen Bruder einem hochnotpeinlichen Verhör, bei dem Vaters Ledergürtel und meines Bruders Kehrseite eine wesentliche Rolle spielten.
Aber die Münze blieb verschwunden.“
Epilog
Gut 1770 Jahre später nahmen wir in unserem Hof in St. Wendel Ausgrabungen vor, begleitet vom Landeskonservatoramt Saarbrücken, das eine Archäologin mit der Aufgabe betraut hatte.
Fünf Jahre zuvor hatten wir in einem anderen Bereich schon größere Erdbewegungen vorgenommen und bemaltes Mauerwerk, römischen Estrich, die Scherben zahlreicher Dachziegel plus 3 Tote gefunden, die allerdings erst 500 Jahre später dort beerdigt worden waren.
2005 wurde das Areal im Bereich der ehemaligen Scheune in 4 Quadranten aufgeteilt und ausgegraben. In dem Viertel, worin auf dem Foto die Leiter steht, fanden wir in 20 Zentimetern Tiefe den gut sichtbaren Fußboden und eine Mauer.
Und die Münze.
