Bonn am 22ten December 1823.
Lieber Bruder!
Ich höre dieses Semester viele Collegien, Differentialrechnung,
analytische Geometrie, Trigonometrie, die Bücher des Apollonius
von Perga, die Emeriden (?) von Aeschylus, Plautus, das Philolog
Seminar und Geschichte des Mittelalters. Obgleich mir diese
alleine schon genug zu arbeiten gäben, so habe ich durch die
Vorbereitungen zu dem bevorstehenden Examen doch noch weit
mehr zu thun. Also fleißig muß ich sein, und bin es auch.
In Betreff des Stipendiums wand ich mich nach Coblenz.
Das Consistorium antwortete jedoch, seiner Seits ginge es
nicht mehr an, einen Antrag für mich zu thun, indem das
Ministerium ihm ausdrücklich geschrieben, ich bekäme es
zum letztenmale. Ich wollte mich deßhalb direct nach Berlin
wenden; aber Dietterweg versicherte mich, das Gesuch würde
wieder hier an Refues geschickt und ich sollte mich daher
lieger an Refues selbst wenden. Das that ich auch. Er meinte,
da so viele in dem Neuzellen-Fond participirten, so würde
es meistens nicht lange gegeben; das Jnnere des Fonds,
der Geldmangel hatte es wahrscheinlich nöthig gemacht, daß
man es mir abgesagt hätte; er wolle aber sich für mich
verwenden, jedoch für den Erfolg könne er nicht stehen.
Ich bezog mich in dem Gesuch auf die Zeugnisse, die über die
Prüfungen von vorigen Semester ausgestellt wurden, und
welche, wie mich der Decan versicherte, für mich günstig
ausfielen. Dazu fügte ich noch die Zeugnisse von den Collegien
dieses Semesters, welche ebenfalls sehr günstig sind.
(Seite)
Was die Stelle zu Essen betrifft, so ist sie mir noch immer
vorbehalten; inzwischen ist es doch so ganz sicher nicht damit,
denn Consistorial-Rath Grassow aus Cölln war nemlich hier.
Er sprach davon, sie rechneten nur auf mich, und sie hätten
mir ja auch Hoffnung darauf gemacht. Allein in Wesel
sei einer als Mathematiker provisorisch angestellt gewesen
unter der Bedingung, innerhalb eines Jahres sein Examen zu
machen; dieser habe sich aber darauf gleich geheirathet und
erklärt, er werde sich dem Examen nicht unterwerfen.
Jahres darauf sei er wirklich abgesetzt worden, weil er das
Examen nicht gemacht. Dieser Mensch, nun brodlos, habe beim
Ministerium angehalten, er wolle sein Examen machen, und
sie sollten ihn wieder anstellen. Das Ministerium weiß
nun nicht davon, daß ich nach Essen bestimmt sei, verspricht
ihm diese Stelle, wieder unter der Bedingung wenn er sein
Examen gemacht habe. Aber nun geht dieser Mensch wieder
hin, schreibt Grassov, er möge authorisch dem Consistorium
erklären, daß er das Examen nicht mache. So wissen also
die Cöllner nicht, wie sie mit diesem Menschen halten und
rechnen noch immer auf mich; und im Falle, daß dieser
Ostern seine Prüfung noch nicht bestanden hat, soll ich
wirklich nach Essen. In jedem Falle aber, sagt Grassov,
müßten sie Ostern für mich sorgen, da sie mich so lange
in Hoffnung gehalten. - Wie es also mit diesem Stipendium
und ferner mit der Anstellung geht, muß noch dahin
gestellt bleiben. Auf jeden Fall aber hoffe ich nächstes
Jahr in eine angenehmere und bessere Lage versetzt zu sein;
selbst wenn ich die Hilfslehrerstelle am hiesigen Gymnasium,
(Seite)
die ich nächsten Herbst bekommen kann als Mathematiker
annehmen wollte und könnte, in dem da noch der Sommer
im Wege steht, so würde ich nicht schlecht daran sein.
Ich will also getrost in das neue Jahre schreiten, das für mich
aber so angenehm wie unangenehm, aber in jedem Sinne
recht wichtig ist. Den Nicola sehen wir auch seinem Ziel
um so näher gerückt; und das Maria wird hoffentlich
wieder gesund sein, oder es doch werden. Und wir könnten
dann ziemlich bald eine freiere, glücklichere Aussicht gewinnen
und mit Recht könnte ich dann auch beiden zum Neujahr
gratuliren, da ich somit thue. Auch bitt ich meine
Gratulation bei Herrn Castello nicht zu vergessen.
Also auf eine fröhliche Zukunft
Euer ergebener Bruder
P.J. Steininger