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2005 Der letzte Schnee des Jahres

Morgen war der große Tag, auf den wir uns schon seit ein paar Monaten freuten. Silvester. Wir würden alte, gute Freunde wiedersehen und eine schöne Zeit haben. Und die ganze Nacht "Uno" spielen. Dazu würde es nach dem Fondue Ouzo geben und anderes Tiefgreifendes, auch wenn die Gespräche wohl weniger tiefschürfend sein würden. Um zwölfe würden wir dann unser Feuerwerk abbrennen und die Raketen in die Nacht hineinschießen, um das neue Jahr zu begrüßen und uns von den alten, guten Vorsätzen, die wir uns gestellt hatten, verabschieden. Und die neuen, guten Vorsätze - vermutlich die gleichen wie die alten - erstmal vor der Tür warten lassen. Gut gekühlt bei den zu erwartenden Temperaturen würden sie sich dort gut halten. So stand der Käse fürs Fondue auf der Terrasse, die Getränke gut gekühlt im Keller und im Kühlschrank, der Tisch war ausgezogen und vorbereitet, kurz, wir hatten alles, was zu planen war, geplant. Und alles, was bis dahin getan werden konnte, getan.

Anne genoß einen freien Tag, ich hatte mir morgens in Wolfersweiler das neue, prächtige örtliche Heimatbuch besorgt (ziemlich dick, ziemlich schwer, nicht als Bettlektüre zu empfehlen - wenn man darüber einschläft und das Buch dann - der Gravitation folgend - einschlägt, na, dann "Gut Nacht"), hatte in Heusweiler meinen Lieblings-Elektro-Fachmarkt besucht und den Nachmittag im Landesarchiv mit den staubigen Akten des St. Wendeler Notars Ackermann verbracht (das ist der, dessen Handschrift nur noch von der des guten Max Müller - und meiner eigenen - an Unleserlichkeit übertroffen wird - weia, was ha'm wir drei eine Sauklaue!). Die Rückfahrt aus Scheidt in den anbrechenden Freitagabend hinein verlief ruhig, denn ruhig war auch der Verkehr auf der Autobahn und schließlich der B-41 bis nach St. Wendel.

Abends bereiteten wir alles vor (siehe oben). Irgendwann hatte es dann auch schon in dicken Flocken zu schneien begonnen. Als ich das erste Mal gegen acht aus dem Fenster schaute, war mein Auto weg. Nun ja, natürlich nicht auf die Art "Huch-mein-Auto-ist-geklaut-schnell-ruf-die-Polizei"-weg, sondern eher "Huch-wo-kommt-der-viele-Schnee-her"-weg. Gegen zehn hätten wir beruhigt in die Kiste gehen können, aber das ging nicht. Wir waren beide unruhig geworden, und obwohl wir wußten, daß es morgen nacht lange werden würde, hätten wir niemals Schlaf gefunden. Und auch keine Ruhe für sonst nix. Das kennst du sicher, lieber Leser: wenns irgendwo drinnen kriwwelt und dich eine Unruhe überfällt, die dich nicht losläßt. Wenns nur noch einen Ausweg gibt - hinaus.

Draußen fiel der Schnee leise und stetig vor sich hin, wir saßen unten im Eßzimmer und starrten in die weiße Dunkelheit hinaus. Irgendwann machte Anne den Vorschlag, und ich stimmte sofort zu. Wir schlüpften in unsere dicken Warm- und Wohfühl-Klamotten, banden uns Schals um und setzten Mütze und Hut auf - und gingen hinaus in die Kälte und den Schnee. Die Flocken waren etwas dünner geworden, fielen aber immer noch heftig genug. Bürgersteig und Straße lagen tief verschneit, nur ab und an brummte ein Auto an uns vorbei, als wir langsam Hand in Hand in Richtung Innenstadt schlenderten. An der Verkehrsinsel bogen wir in die Kelsweilerstraße ab. Als wir durch die dunklen Bäume und über die Blies hinweg die heimligen Lichter der Felsenmühle sahen, kramte ich in meinen Taschen, in denen ich noch ein paar Münzen wußte. So kehrten wir um viertel vor elf in die Mühle ein, und als die Kellnerin fragte, was wir haben möchten, bestellte ich "für maximal fünf Euro". Dafür gabs einen Cappuccino mit Sahne für mich und einen großen Radler für meine Frau. Und sogar noch etwas Trinkgeld für die Bedienung. Voll war die Mühle nicht, aber dennoch gut besucht. Wir saßen am Hängetisch neben dem Kamin und unterhielten uns. Am Nachbartisch grüßten alte Bekannte und wünschten uns einen guten Rutsch. Und wir lachten über den alten Witz, der angesichts des Wetters automatisch folgte: "Aber erst morgen!"

Gegen viertel nach elf brachen wir wieder auf. Wir waren noch nicht zur Türe draußen, als wir schon feststellten, daß Kachelmann & Co während des Tages doch nicht so weit nebendrangelegen hatten, als sie wärmeres Wetter vorhergesagt hatten: der Schnee hatte sich in feinen, aber stetigen Regen verwandelt. Nun, wir waren bestens ausgerüstet, und stapften hinter der Mühlenscheune hinauf zum neuen Rad- und Wanderweg, der seit vorigem Jahr auf der alten Bahntrasse von St. Wendel nach Tholey entlangführt. Außer uns war kein Mensch hier mehr unterwegs, der Schnee lag unberührt da, nur wir prägten unsere Spuren hinein, die der unaufhörliche Regen mit dem Schnee zusammen bald wegwischen würde. Ganz dunkel war es auch nicht, gerade so schummrig und ruhig, um unseren Spaziergang zu einem wahrhaften Genuß werden zu lassen. "Wandern durch die weiße Winterwelt" - schöner geht es in dem alten Lied auch nicht.

Am Bohnenrech - hinterm Schützenhaus Diana, dessen Treppe wir in der Halbdunkelheit nicht so recht trauten - verließen wir die Trasse, die von hier aus am Lanzenberg und der Göckelmühle immer weiter führt bis nach Bliesen und von dort nach Tholey. Diesen Rest hoben wir uns für das nächste Jahr auf. Wir gingen die "Naafuhr" hinunter ins "Loch", wie das "Mühlwiesgäßchen" bei uns in Alsfassen heißt, vorbei an meinem Geburtshaus und dann den steilen Stich hinauf auf die Hauptstraße. Viel mehr Autos waren hier nicht gefahren, die Straße lag - wie schon vor einer Stunde - ziemlich verlassen da. Wir überquerten sie und stiegen den schmalen Stich bis zu unserem Haus hinauf. Ein richtig schöner Spaziergang war das gewesen, und wir haben uns vorgenommen, ihn ab jetzt jedes Jahr zu unternehmen - am Tag vor Silvester. Am nächsten Abend - als unsere Freunde nach und nach eintrafen - war der Schnee natürlich schon fast wieder Geschichte geworden, ebenso wie das Jahr 2005 bald Geschichte sein würde. Und so freuten wir uns nachträglich noch mehr darüber, daß wir ihn auf die beste Art genossen hatten - bei einem Spaziergang durch den letzten Schnee des Jahres.

Historische Forschungen · Roland Geiger · Alsfassener Straße 17 · 66606 St. Wendel · Telefon: 0 68 51 / 31 66
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