Essen 3 6
Herrn
Herrn Steininger
Wohlgeboren, Oberlehrer
am Gymnasium
Essen am 4. Juni 1827.
Lieber Bruder!
Daß Nikola und Lehnchen hier gewesen sind, wirst du wahrscheinlich
aus ihrem eigenen Munde erfahren haben. Sie haben es übel
getroffen, denn es war beständig unfreundlich Wetter, und
auch auf der Hieher-Reise scheint Lehnchen nicht viel Genuß
gehabt zu haben. Freilich hat Nikola zu viele Eigenheiten
und schließt sich an Frauen viel zu wenig an, als daß diese
ihm allein überlassen, auf einer Reise Vergnügen finden
könnten. Um so mehr mußte ich es bedauern, daß auch ich
so wenig beitragen konnte ihr hier einige, angenehme
Tage zu verschaffen; denn des beständigen Regens wegen
konnte man beinahe nicht die Stube verlassen, und in den
Gesellschaften, worin ich sie des Abends führte, konnte
sich Lehnchen allerdings auch nicht gefallen. Möge die
Rückreise einigen Ersatz gewährt haben für die vielen
Unkosten, mit denen eine solche Reise verknüpft ist.
Vor Ostern war Konsistorialrath Kortüm von Düsseldorf zum
Abiturienten-Examen wieder hier. Ich hatte gehofft,
mit ihm über Versetzung sprechen zu können, traf ihn
indessen nie allein und es ward nicht draus. Schreiben
mag ich nicht, um so mehr da sie einen genau kennen und
da in ihrer Provinz keine Stellen fällig sind; man müßte
sich also ans Ministerium wenden und es nur dem Zufall
überlassen, wohin dieses einen schickte. Mit dem Mathema-
tiker geht es nicht wie mit einem Philologen, dem sich alle
Augenblicke eine Anschrift eröffnet. Ich werde demnach
(Seite)
noch einige Zeit hin zubringen können, und bin auch auf
einige Jahre gefaßt, auf etwa 3-4, so lange nämlich
bis ich hier alles Vorkommende durchgenommen;
dann mache ich eine Bahn.
Ich habe in den Osterferien eine interessante Bekannt-
schaft gemacht mit einem guten Mathematiker und
überhaupt recht tüchtigen Manne, mit dem Bruder des
Prof. Diesterweg. Er ist, nachdem er als Mathematiker in Worms,
dann in Frankfurt und Elberfeld gestanden, endlich als
Direktor des Schullehrer-Seminars in Mörs angestellt
worden, wo er nun ganz demn Volksschulwesen sich
widmete. Wahrscheinlich am Ende seiner Carriere, muß
er seinen Bruder in Bonn sehen, diesen seinen Bruder,
der sich an Kopf und Kenntnissen bei weiter nicht mit
ihm vergleichen läße. So geht es in der Welt. Er machte
mich aufmerksam auf die Unversität Berlin, auf Grüson
und alle wie sie dort heißen, daß sie nichts leisten, wie
bekannt; daß Lehmus gar nicht einmal sich anstellen
lassen wolle, und sich privatie etwa sein 12000 Thr
verdiene, wie ebenfalls bekannt; daß es einen jungen
Mann, der anfängt und ausdauert, besonders Rücksicht
genommen auf die vielen Königl. Institute, nicht fehlen
können etc etc. Auch Konsistorial-Rath Kortüm
gab mir, unaugefordert und aus eigenem Antriebe,
Winke, die Universität betreffen: - Wenn ich
jetzt schon 4 meiner Universitätsgenossen als Personen
auf Universitäten erblicke, keineswegs lauter _____
(Seite)
lumina; und dann die Ueberzeugung habe, daß der
Gymnasiallehrer nur unter den glücklichsten Conjunc-
turen und durch Zufall gewissermassen erst ziemlich
spät zu diesem Posten gelange; und wenn ich dann
das Leben des Gymnasial-Lehrer betrachte: - ich fühle
mich dann wenigstens bewogen, dergleichen Werte zu
beachten. Ich überlasse übrigens nach 3-4 Jahren mich
ganz dem Zufalle, so lange nämlich ich noch etwas
lernen kann.
Ich habe so lange geschwiegen, nicht weil ich nicht an’s
Schreiben gedacht, sondern - wie es denn so immer geht,
man weiß nichts was euch interessieren könnte. Haltet
euch indessen überzeugt, daß mich die Meinigen nicht ver-
(Wort fehlt) daß es mein innigster Wunsch ist, die Termine
und __t=Wandten möchten sich recht zusammen fasse
und daß ich glücklich bin, sie froh und glücklich zu
wissen. Meiner Schwägerin sage meinen besten Dank
für die Zeilen, womit sie mich in deinem letzten Briefe
erfreut hat. Ich habe Antheil genommen an den traurigen
Ereignissen, die ihre Familie betrübt haben, und wünsche,
der Sommer möge recht angenehm für sie werden und
sie diese Vorfälle verschmerzen lassen. Grüße sie
freundlichst. Auch Herrn Castello empfehle mich
gelegenlich. So schließe ich denn wieder, und mit der
Versicherung, daß ich Briefen von dir jederzeit sehnlichst
entgegensehe, wenn gleich so nachlässige im Schreiben.
Dein dir ergebenster Bruder
P.J.